Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Band 6 - Friedrich Hölderlin - E-Book

Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Band 6 E-Book

Friedrich Hölderlin

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Beschreibung

Mit dieser Ausgabe schließt der Herausgeber, der als einfacher Leser begann, seine Arbeit ab. Sie enthält auf 3.000 Seiten das Resultat der 1974 begonnenen Arbeit, die für ihn von Anfang an keinen anderen Zweck hatte als den hier vorgelegten, gegenüber allen früheren und noch im Handel erhältlichen Ausgaben wesentlich erweiterten und korrigierten Text …

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Inhaltsverzeichnis
 
EINLEITUNG - VI
1797. Fortsetzung.
 
Copyright
EINLEITUNG
VI
Der Frankfurter Plan zum Empedokles hat noch die Form des bürgerlichen Trauerspiels, und dies mit Grund. Durchgespielt wird, der Abschied aus dem Gontardschen Haus - der Auszug aus den Verhältnissen überhaupt. In einer unscheinbaren Verschreibung zerreißt die gewählte Metapher: Ehre u. Liebe, (m)die einzigen Bande, die an’s Wirkliche knüpfen, bringen ihn zurük. Hier hat ein unterdrücktes,meine’ oder,mich’ sich Luft verschafft.
 
Vorsorglich unterrichtet er die Mutter von dem notwendigen, doch immer hinausgezögerten Schritt. Fast wartet er auf den Eklat, ohne welchen der Abschied nicht möglich sein wird: Dann sind auch die Menschen, unter denen ich lebe, doch nicht so, daß ich über mich bringen könnte, im Unfrieden zu scheiden, und auf eine sanfte Art fortzukommen, hält sehr schwer; wenigstens wüßt’ ich es für jezt nicht wohl anzufangen.
 
Der Entwurf zum zweiten Band des Hyperion stockt. Zu genau beobachtet waren die vor Hyperions Abschied sichtbaren Anzeichen der Krankheit. Hier müssen die Liebenden erörtert haben, ob Diotima wirklich im Roman sterben müsse. Sie war dagegen, er verteidigte die Konzeption des Romans. Zwei Jahre später, bei Übergabe des zweiten Bandes schreibt er: Verzeih mirs, daß Diotima stirbt, du erinnerst dich, wir haben uns ehmals nicht ganz darüber vereinigen können. Ich glaubte, es wäre, der ganzen Anlage nach, nothwendig.
 
Auf der einen Schale der Waage lag ein sterbliches Menschenleben - auf der anderen Seite die relative Unsterblichkeit eines Buchs. Das wurde erst betäubend klar, als sie gestorben war. Wie überdeutlich, wissen wir durch Wilhelm Waiblinger. Ich, mein Herr, bin nicht mehr von demselben Namen - sagt er zu ihm - ich heiße nun Killalousimeno. Aber Waiblinger versteht nicht. Er notiert das wunderliche Wort nicht griechisch, sondern Killalusimeno. Um zu erraten, was er damit meinte, hätte er wissen müssen, was mit Killa war. Ilias und Odyssee, sie wären nicht ohne ihr Opfer. Homer erblindete, desgleichen er.
 
In Alexandria war jener mythische Grund noch bekannt. Im kanonisierten Text ist er getilgt. Hekuba, die Königin, und Killa, ihre Schwester, beide sind vom König schwanger. Der ersten träumt, das Kind in ihrem Leibe werde die Fackel sein zu Trojas Brand. Sie erzählt den Traum dem Priamos, doch unbestimmt genug, daß dieser vor der Wahl steht. Der Seher, den er fragt, rät ihm - wie anders? - Killa mit dem Kinde zu verbrennen. So kommt Paris an den Tag, der Helena entführen wird. Hekuba, wird sie alle überleben und sich in vom Felsen stürzen.
 
An einem der drei Fenster, die zum Neckar gehen, liegt der Hy perion. Als ihn der junge Schwab zur Hand nimmt, hört er ihn murmeln: Guck’ nicht so viel hinein, es ist kannibalisch. Das war die Zeit, es abzubüßen.
 
Ich, der ich von Killa mich reinwasche.
1797. Fortsetzung.
Ende August. Frankfurter Plan zum Empedokles in Henrys Schulheft. Hier noch als bürgerliches Trauerspiel, in welchem der Dichter sich selbst und seine Verhältnisse, quasi analytisch, auf die Metapher eines analogen Stoffs überträgt, um auf diese Weise deren Auflösung mit ihren tragischen Konflikten und Konsequenzen durchzuspielen. Setzt man beispielsweise für das anfangs genannte Fest der Agrigentiner den Besuch bei Goethe, den er, wie Schiller vermutet, zunächst nicht aufsuchen wollte, liegt das biographische Movens des Plans vor Augen. Passagen im Brief an die Mutter vom November 1797 sind als Kommentar zu diesem Szenario zu lesen.
Empedokles
Ein Trauerspiel in fünf Acten.
 
Erster Act.
 
Empedokles, durch sein Gemüth und seine Philosophie schon längst zu Kulturhaß gestimmt, zur Verachtung alles sehr bestimmten Geschäffts, alles nach verschiedenen Gegenständen gerichteten Interesses, ein Todtfeind aller einseitigen Existenz, und deswegen auch in wirklich schönen Verhältnissen unbefriedigt, unstät, leidend, blos weil sie besondere Verhältnisse sind und, nur im großen Akkord mit allem was Lebendigem empfunden ganz ihn erfüllen, blos weil er nicht mit allgewärtigem Herzen innig, wie ein Gott, und frei und ausgebreitet, wie ein Gott, in ihnen leben und lieben kan, blos weil er, so bald sein Herz und sein Gedanke das Vorhandene umfaßt, ans Gesez der Succession gebunden ist -
Empedokles nimmt ein besonderes Aergerniß an einem Feste der Agrigentiner, wird darüber von seinem Weibe, die von dem Einfluß dieses viel gehofft, und gutmütig ihn überredet hatte, daran Theil zu nehmen, etwas empfindlich und sarkastisch getadelt, und nimmt von jenem Aergerniß und diesem häuslichen Zwist Veranlassung, seinem geheimen Hange zu folgen, aus der Stadt und seinem Hauße zu gehen, und sich in eine einsame Gegend des Aetna zu begeben.
 
Erster Auftritt.
Einige Schüler des Empedokles mit einigen vom Volk. Jene wollen diese bewegen, auch in Empedokles Schule zu treten. Einer der Schüler des Empedokles, sein Liebling, kommt dazu,1 verweist ihnen die Proselytenmacherei, und heißt sie weggehn, weil der Meister um diese Zeit allein in seinem Garten seiner Andacht pflege.
 
Zweiter Auftritt.
Monolog des Empedokles.
Gebet an die Natur.
 
Dritter Auftritt.
Empedokles mit Weib und Kindern.2
Zärtliche Klagen des Weibs über Empedokles Mismuth. Herzliche Entschuldigungen des Empedokles. Bitte des Weibs, bei dem großen Feste mit zu seyn, um da sich vieleicht zu erheitern.
 
Vierter Auftritt.
Fest der Agrigentiner.
Ein Kaufmann, ein Arzt, ein Priester, ein Feldherr, ein junger Herr, eine altes Weib.
Aergerniß des Empedokles.
 
Fünfter Auftritt.
Häuslicher Zwist.
Abschied des Empedokles, ohne zu sagen was seine Absicht ist, wohin er geht.3
 
Zweiter Act.
Empedokles wird von seinen Schülern auf dem Aetna besucht, zuerst von seinem Liebling, der ihn wirklich bewegt und fast aus seiner Herzenseinsamkeit zurükzieht, dann auch von den übrigen, die ihn von neuem mit Entrüstung gegen menschliche Dürftigkeit erfüllen, so daß er sie alle feierlich verabschiedet, und am Ende auch noch seinem Liebling rathet, ihn zu verlassen. Erster Auftritt. Empedokles auf den Ätna.
Monolog.
Entschiedenere Devotion des Empedokles gegen die Natur.
 
Zweiter Auftritt.
Empedokles und der Liebling.
 
Dritter Auftritt.
Empedokles und seinenSchüler.
 
Vierter Auftritt.
Empedokles und der Liebling.
 
 
Dritter Act
Empedokles wird auf dem Aetna von seinem Weib und seinen Kindern besucht. Ihren zärtlichen Bitten sezt das Weib die Nachricht hinzu, daß an dem selben Tage die Agrigentiner ihm eine Statue errichten. Ehre und Liebe, die einzigen Bande, die ihn an’s Wirkliche knüpfen, bringen ihn zurük. Seine Schüler kommen voll Freude, in sein Haus. Der Liebling stürzt ihm an den Hals. Er siehet seine Statue errichtet. Dankt öffentlich dem Volke, das ihm Beifall zuruft.
 
 
Vierter Act.
Seine Neider erfahren von einigen seiner Schüler, die harten Reden, die er auf dem Aetna vor diesen gegen das Volk ausgestoßen, benüzen es, um das Volk gegen ihn aufzuhezen, das auch wirklich seine Statue umwirft und ihn aus der Stadt jagt. Nun reift sein Entschluß, der längst schon in ihm dämmerte, durch freiwilligen Tod sich mit der unendlichen Natur zu vereinen, er nimt in diesem Vorsaz den zweiten tieferen schmerzlicheren Abschied von Weib und Kindern und geht wieder auf den Aetna. Seinem jungen Freunde weicht er aus, weil er diesem zutraut, daß er sich nicht werde täuschen lassen, mit den Tröstungen, mit denen er sein Weib besänftigt, und daß dieser sein eigentlich Vorhaben ahnden möchte.
 
Fünfter Act.
Empedokles bereitet sich zu seinem Tode vor. Die zufälligen Veranlassungen zu seinem Entschlusse fallen nun ganz für ihn weg und er betrachtet ihn, als eine Nothwendigkeit, die aus seinem innersten Wesen folge. In den kleinen Scenen, die er noch hie und da mit den Bewohnern der Gegend hat, findet er überall Bestätigung seiner Denkart, seines Entschlusses. Sein Liebling kömmt noch, hat das Wahre geahndet, wird aber von dem Geist und von den großen Bewegungen in dem Gemüthe seines Meisters so sehr überwältigt, daß er dem Befehle desselben blindlings gehorcht und geht. Bald drauf stürzt sich Empedokles in den lodernden Aetna. Sein Liebling, der ohne Ruhe unruhig und bekümmert in dieser Gegend umherirrt, findet bald drauf die eisernen Schuhe des Meisters, die der Feuerauswurf aus dem Abgrund geschleudert hatte, erkennt sie, zeigt sie der Familie des Empedokles, seinen Anhängern im Volke, und versammelt sich mit diesen an dem Vulkan, um laidzutragen, und den Tod des großen Mannes zu feiern.
 
Vmtl. Ende August. An Carl Gock. Druck in Chr. Th. Schwabs Ausgabe von 1846 und fast vollständige Abschrift Gustav Schlesier.
Lieber Karl!
Deine Besorgnisse waren ganz ungegründet. Ich habe deinen Brief nicht gleich bei der Hand und die Zeit ist zu kurz, um ihn zu suchen, sonst wollt’ ich deine Zweifel dir umständlich lösen.
Du fragst mich über meine Gemüthsstimmung, über meine Beschäfftigungen. Die erste ist aus Licht und Schatten gewebt, wie überall, nur daß die Massen oft stärker, abstechender sind bei mir.
Meine Beschäfftigungen sind um so mehr sich gleich. Ich dichte, unterrichte meine Kinder, und lese zuweilen ein Buch. Ich verlasse auch meine Tagesordnung sehr ungern. Wer es nie entbehrt hat, wie ich, der weiß nicht, wie viel ein Tag, wo man so hinarbeitet, und ruhigen Gemüths bleibt, werth ist. Den Meisten ist das Leben zu schläfrig. Mir ist es oft zu lebendig, so klein auch der Kreis ist, worinn ich mich bewege. Es war mir noch vor wenig Jahren unbegreiflich, daß irgend eine Situation, die unsre Kraft zurükhält, in irgend einer Rüksicht eine günstige genannt werden könne. Jezt fühl’ ich manchmal, welch ein Glük darinn liegt, wenn ich sie mit andern vergleiche, die uns oft zu viel aus uns entfernen, die für uns das sind, was der Rübsamen für die Aeker, die zu viel Kraft aus uns ziehen, und uns für die Folgezeit unbrauchbar machen.
Laß dein Leben immerhin so unbedeutend bleiben, wie es ist! Es wird noch Bedeutung genug bekommen. Ich wollte dir manches vorräsonniren. Aber die Nacht ist wunderschön. Der Himmel und die Luft umgiebt mich, wie ein Wiegenlied, und da schweigt man lieber.
Mein Hyperion hat mir schon manches schöne Wort eingetragen. Ich freue mich, bis ich vollends mit ihm zu Ende bin. Ich habe den ganz detaillirten Plan zu einem Trauerspiele gemacht, dessen Stoff mich hinreißt.
Ein Gedicht, der Wanderer betitelt, kannst du auch von mir im neuesten Stüke der Horen lesen. Einiges wirst du auch von mir im nächsten Schillerischen Allmanach finden.
Ich bin etwas müde, lieber Karl! von den Geschäfften des Tags. Sei also so gut, und dispensire mich dißmal von weiteren Äußerungen. Ich schreibe dir bald wieder, und wacher, und wärmer! Wie immer dein
Fritz.
 
 
8. September. Friedrich Schiller an Johannn Wolfgang Goethe.
Es war mir sehr angenehm, daß Hölderlin sich Ihnen noch praesentiert hat; er schrieb mir nichts davon, daß ers thun wollte und muß sich also auf einmal ein Herz gefaßt haben.
 
Vor dem 11. September. Mit dem zum Freundeskreis gehörenden Kaufmann Christian Landauer war auch Neuffer zur Frankfurter Herbstmesse gekommen. Vmtl. zur Begrüßung auf dem Adlerflychtschen Hof entsteht die Übertragung der Eingangsstrophen des ersten vierstrophigen Chorlieds aus dem Ödipus auf Kolonos.
In des pferdereichen Landes Treflichen Höfen Auf Kolonos weißem Boden Bist du angekommen, O Fremdling dieser Gegend, Wo durchdringend klagt Die wiederkehrende Nachtigall Unter grünem Buschwald Überwölbt von dunklem Epheu Und von des Gottes unzugänglichem Geblätter Dem früchtevollen, sonnenlosen Keinem Sturme bewegten Wo immerhin der bacchantische Dionys einhergeht, Wohnend unter den göttlichen Nährerinnen,
 
Wo immerhin vom himmlischen Duft Die schöntraubigte Narcisse Aufwächst, von Tag zu Tag, Der großen Göttinnen Uralter Kranz, Und der goldglänzende Krocus. Noch mindern sich schlummerlose Quellen, Die in Wasser des Cephissus sich theilen, Sondern immer und täglich Kommt der schnellerzeugende über die Felder Mit reinen Reegengüssen Über die Brust der Erde. Auch hassen die Chöre der Musen es nicht, Und nicht die goldene Aphrodite.
 
Vmtl. vor dem 11. September. Das zweite Chorlied des Sophokleischen Trauerspiels Wo sich zornige Männer begegnen im Erzgetöse des Ares... gibt vmtl. die Anregung zum rhapsodischen Entwurf O Schlacht fürs Vaterland... Er wurde im noch freien Raum unter den beiden Strophen des ersten Chors notiert.
O Schlacht fürs Vaterland, Flammendes blutendes Morgenroth Des Deutschen, der Mit siegenden Leben nun Endlich, wie die Sonn, erwacht Die Gespensterfeindin
 
Der nun nun nimmer zögert, der nun Länger das Kind nicht ist, Denn die sich Väter ihm nannten, Diebe sind sie. Die den Deutschen das Kind Aus der Wiege gestohlen Und das fromme Herz des Kind betrogen
 
Wie ein zahmes Tier, zum Dienste gebraucht.
 
Um den 11. bis 16. September. Mit Ludwig Neuffer, Christian Landauer und vielleicht auch Isaak von Sinklair besucht Hölderlin vmtl. Franz Wilhelm Jung in Mainz. Während dieser Tage entstanden die jetzt an den Rändern des Sophokles-Blatts notierten antiklassischen Epigramme.
Guter Rath.
 
Hast du Verstand und ein Herz, so zeige nur eines von beiden, Beides verdammen sie dir, zeigest du beides zugleich.
 
 
Advocatus Diaboli.
 
Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit.
Lieben Brüder! versucht es nur nicht, vortreflich zu werden Ehrt das Schiksaal und tragts, Stümper auf Erden zu seyn
Denn ist Einmal der Kopf voran, so folget der Schweif auch Und die klassische Zeit deutscher Poëten ist aus.
 
 
Die beschreibende Poësie.
 
Wißt! Apoll ist der Gott der Zeitungsschreiber geworden Und sein Mann ist, wer ihm treulich das Factum erzählt.
 
 
Falsche Popularität.
 
O der Menschenkenner! er stellt sich kindisch mit Kindern Aber der Baum und das Kind suchet, was über ihm ist.
 
 
Vmtl. Mitte September. Freies Zitat aus Klopstocks Gelehrtenrepublik, Erster Morgen im Hyperion-Exemplar Franz Wilhelm Jungs. Gotthold Friedrich Stäudlin, der sich im September 1795 bei Straßburg im Rhein das Leben nahm, zitierte das Motto im Herbst 1791 in seinem Aufruf zu einer zeitverändernden Lyrik im hohen Stil. Bei dem vmtl. mit den Freunden unternommenen Besuch in Mainz erwirbt oder erhält Hölderlin vmtl. das französische Papier mit dem Wasserzeichen HENRIET / ABRECHEVILLE / PRO PATRIA LIBERTATE unter phrygischer Mütze, das zunächst für den zweiten Entwurf zu Hyperion 2, dann vmtl. auch für den Entwurf des verschollenen Trauerspiels Agis verwendet wurde.
Klopstok
Die Dichter, die nur spielen, Die wissen nicht, wer sie und wer die Leser sind, Der rechte Leser ist kein Kind, Er will sein männlich Herz viel lieber fühlen, Als spielen.
 
 
Vmtl. nach der Septembermitte. In seiner nicht überlieferten Einladung hatte Hölderlin vmtl. Neuffer um das für den Unterricht benötigte Magisterspezimen Geschichte der schönen Künste unter den Griechen gebeten. Auf zwei leeren Seiten am Schluß des mitgebrachten Exemplars - eine Abschrift der 1791 von Neuffer angefertigten Kopie - wird der als Vorstufe des Schiksaalslieds anzusehende rhapsodische Entwurf Da ich ein Knabe war... notiert.
Da ich ein Knabe war, Rettet’ ein Gott mich oft Vom Geschrei und der Ruthe der Menschen, Da spielt’ ich sicher und gut Mit den Blumen des Hains, Und die Lüftchen des Himmels Spielten mit mir.
 
Und wie du das Herz Der Pflanzen erfreust, Wenn sie entgegen dir Die zarten Arme streken,
 
So hast du mein Herz erfreut Vater Helios! und, wie Endymion, War ich dein Liebling, Heilige Luna!
 
O all ihr treuen Freundlichen Götter! Daß ihr wüßtet, Wie euch meine Seele geliebt!
 
Zwar damals rieff ich noch nicht Euch mit Nahmen, auch ihr Nanntet mich nie, wie die Menschen sich nennen Als kennten sie sich.
 
Doch kannt’ ich euch besser, Als ich je die Menschen gekannt, Ich verstand die Stille des Aethers Der Menschen Worte verstand ich nie.
 
Mich erzog der Wohllaut Des säuselnden Hains Und lieben lernt’ ich Unter den Blumen.
 
Im Arme der Götter wuchs ich groß.
 
Vmtl. im letzten Septemberdrittel. Das früherbstliche Salamis-Fragment entspricht dem Sommerbrief XII Ich lebe jezt auf der Insel des Ajax...., der im ersten Hyperion-Band den Beginn des zweiten Buchs einleitet. Demgemäß lautete auch die gestrichene, durch Ende des ersten Buchs ersetzte Überschrift Zweites Buch. Ein geschlossenes Dreieck links und ein offenes rechts dieser Disposition bezeugt die architektonische Sorgfalt, mit welcher der Roman komponiert wird. An dieser Stelle sichtbar eine gegen Ende der abfallenden Seite eingezeichnete Zäsur: Sie kann nur den Ort des Schiksaalslieds markieren, das ahnungsvoll dem Abschiedsbrief Diotimas vorausgeht. Dieser Funktion wird der zur Kindheit rückgewandte Gesang Da ich ein Knabe war.... nicht gerecht. Beiseite gelegt wurde auch dieser am Schluß des Homburger Quarthefts notierte Entwurf. Der betrachtende prognostisch die Biographie vorwegnehmende Aufenthalt auf der Insel des Ajax wird durch den Bericht der Seeschlacht bei Tschesme ersetzt, die 1770 (im Geburtsjahr des Dichters) stattfand. Der Brief endet mit einem Zitat des Sophokleischen Aias, auf den schon im Fragment von Hyperion die Wahl fiel, mit dessen Stimme er noch einmal, im Scheitelpunkt der Lebenskrise, sprechen wird.
Ende des ersten Buchs.
 
Ich scheide heute von Salamis. Ich will nach Kalaurea hinüber, ich will auch nach Tina. Es ist sonderbar, aber ich muß dahin. Wir können das nicht lassen; der Gefangene tastet zur Kurzweil im Dunkel umher, und sieht, wie weit sein Kerker ist, das Kind spielt mit der Wunde, die es sich stieß, der Kranke unterhält sich mit seiner Krankengeschichte, der Schiffbrüchige mit dem Sturme, worinn er gescheitert und ich bin kaum auf festeren Füßen so muß ich fort, und sehen mit eigenen Augen, was mir widerfahren ist, seitdem ich weg bin. Wofür? Ich werd’ es nicht aushalten, ich werde meine gewonnene Ruhe, muthwillig zerreißen; und thue es doch? O es ist ein Meer von Übermuth in uns!
Übermuth? Verzeih’ mir Gott den schaalen Gedanken! Liebe ists, mein Bellarmin! Wir sind zu innig verknüpft, mit allem, was um unser Herz sich regt, wir trinken an den Brüsten des Schiksaals, auch wenn es Wermuth nimmt, um uns von ihnen zu entwöhnen.
Ich habe sie sehr lieb gewonnen, diese Insel. Doch kann ich wenig dir von ihr erzählen. Ich gieng so Tag für Tag herum auf ihren grasigen Pfaden und sah, ob diß und jenes Feld gedeihe, das ich in Schuz genommen als wär es mein, ob da und dort die kleinen sauren Pfirsichpflaumen milder würden und zählte die Trauben am Sto- ke, und pflükte mir Beere an den Heken und wilde Pflanzen am Wege. Derlei Geschäffte trieb ich meist den Sommer über.
Aber meine Gedanken sind wunderbar unter diesen Spielen gereifft, und meine Seele ist im Müßiggange größer geworden.
Es kommt mich schwer an, diese Insel zu verlassen und ich sehe mit wehmütiger Freude das unschuldige Leben dieser Thale und Hügel. Es ist, als sollt’ ich noch mein Abschiedsmahl genießen.
Reifer grünt die verbrannte Wiese noch Einmal auf im kühlen Reegen des Spätjahrs, und die Zeitlosen blühen und schimmern im dunkeln Grase und auf den Stoppeläkern waiden die Schaafe und die Zugvögel versammeln sich lärmend in den abgeerndteten Zweigen und schiken zur Reise sich an. Lieblichmild sind izt die Spiele der Wolken; und die Sonne lächelt in ihrer ewigen Ruhe dazwischen und die Menschen sizen vergnügt in der Hütte und freuen sich, wie die Bienen des gesammelten Honigs. Auch die Schiffer kommen nach Haus und die Mäste ruhen im Hafen.
Ich frage nicht, ob ich nicht auch anderswo diß all so gut gefunden hätte, wie in Salamis. Es ist unverzeihlich altklug, wenn ein Freund uns Ruhe giebt mit seinem stillen Gespräche, dann noch hinterherzusagen, derlei könne man überall haben.
Und ich weiß nicht, Salamis hat doch eigene Reize, und die Gefährten des Ajax hatten Recht, im Vaterlandsweh auf der fernen Küste zu rufen:
Draußen schwimmst du von Meereswoogen umrauscht!
Voll Ruhms, voll guten Geistes, o Salamis!
 
Vmtl. letztes Septemberdrittel. An Carl Gock. Regest und Abschrift Gustav Schlesiers.
Schickt die Briefe, worin die Kinder Carl’n noch für die Geschenke danken, die er ihnen geschickt. Solche Briefe waren schon liegen geblieben; heute schrieben sie neue dazu.
“Die schönen Herbsttage thun mir sehr wohl. Ich wohne noch mit meinem Zögling allein im Garten. Die Familie ist wegen der Messe in die Stadt gezogen. Die reine frische Luft und das schöne Licht, das dieser Jahreszeit eigen ist, und die ruhige Erde mit ihrem dunkleren Grün, auch mit ihrem sterbenden Grün, und mit den durchschimmernden Früchten ihrer Bäume, die Wolken, die Nebel, die reineren Sternennächte - all das ist meinem Herzen näher als irgend eine andre Lebensperiode der Natur. Es ist ein stiller, zärtlicher Geist in dieser Jahreszeit. -
Neuffer hat mich richtig besucht. Wir haben einige Tage recht vergnügt zusammen zugebracht. Seine Treuherzigkeit und heitre Laune sind Arzenei für unser einen. -
Ich weiß es zu schäzen, lieber Karl, daß du so fleißig bist in deinem bestimmten Geschäffte. Nicht sowohl, was wir treiben als wie wir etwas treiben, nicht der Stoff und die Lage, sondern die Behandlung des Stoffs und der Lage bestimmt den Werth der Menschenkraft. Es giebt in jeder menschlichen Thätigkeit eine Vollendung, auch unter den Akten. Freilich will der Fisch ins Wasser und der Vogel in die Luft, und so hat unter den Menschen auch einer ein ander Element als der andre. Nur muß man nicht denken, das Homogenste sei immer auch das angemessenste. Der idealische Kopf thut am besten, das Empirische, das Irrdische, das Beschränkte sich zum Elemente zu machen. Setzt er es durch, so ist er, und auch nur er, der vollkommene Mensch.
 
 
Henry Gontard an Carl Gock. Regest Schlesier: Endlich schreibt Henri: “Mutter und meine 3 Schwestern sind in die Stadt gezogen vor 8 Tagen, der Hölderlin und ich wohnen noch auf dem Guth.” Es ist Messe in Frankfurt. Neuffer ist den Samstag abgereist mit dem Herrn Landauer. Obwohl Mutter und die Schwestern nicht mehr auf dem Lande wohnen, so gehen sie doch manchmal hin.
 
 
Vmtl. letztes Septemberdrittel. Analog zu den ersten rhapsodischen Oden-Entwürfen am Schluß der Reinschrift Der Wanderer, wird jetzt, am Schluß des Entwurfs Der Wanderer, die Idee zum späteren Schiksaalslied notiert. Im Gensatz zu Da ich ein Knabe war… hinausblickend in eine andere Freiheit.
 
Mühelose Wandelt ewig freigegeben Frei in stiller Selbstgewalt Unter euch ein
 
 
Vmtl. letztes Septemberdrittel. An Heinrike Breunlin.
Liebe Schwester!
Ich rechnete seit langer Zeit darauf, den Herbst zum Theil mit dir, in deinem Hauße, unter deinen Kindern, deinen Freunden, besonders auch mit deinem Manne zuzubringen, mit dem ich lange schon in näherer Beziehung einmal wieder zu leben mich sehnte. Ich freue mich äußerst, seine Bekantschaft, wie von neuem zu machen, wenn ich einmal bei euch bin. Ich ehre und verstehe Menschen von seinem Karakter immer mehr. Ich möchte manchmal zu ihm können, und bei seiner Ruhe und Menschenkentniß in die Schule gehn.
Du, meine Liebe, bist nun ganz Mutter, hoffende Mutter, und ich theile dein Glük und deine Sorgen. Ich weiß nichts achtungswertheres, als eine Frau in deinen Umständen, und ich demüthige mich tief vor dir, wenn ich mir denke, wie du jezt bist. Das ist doch eigentlich schönes Verdienst um die Welt. Das ist das treueste Opfer, das ein lebend Wesen der Natur bringt. Ich freue mich, liebe, daß du die schöne Erfahrung schon einmal so glüklich gemacht hast, weil ich hoffen kann, deine theure Gesundheit werde so wenig darunter leiden, wie ich wünsche.
Wie wär’ es glüklich gewesen, wenn ich dich hätte besuchen können! Aber es gieng denn doch nicht wohl, weil ich wahrscheinlich auf Ostern verreise. Bis dahin bin ich gewiß bei dir, und da sollen sich alle frohen Augenblike erfüllen, mit denen ich manchmal mich unterhalte. Dann gehn wir zusammen in eurer Felsenregion herum, und erinnern uns an die alten vergnügten Tage, dann fahen wir zusammen nach Ulm und Elchingen, zu den geistlichen Herrn, deren häßliche Gesichter so zur wunderschönen Gegend kontrastiren, nach Wiblingen, und zu den alten Klosterfrauen, und nach Asch, und auf das kleine Örtchen, das unten an der Blau liegt, wo ich einmal nach einer Kahnfahrt sehr gute Fische gegessen habe u. s. w.
Entschuldige mich, meine Liebe, daß ich dir noch nichts von unserer Messe schiken kan. Ich habe sie noch gar nicht gesehn. Du must dich eben nicht scandalisiren an den Kleinigkeiten, womit ich dir meine Ergebenheit bezeuge. Was machen deine lieben Kinder! Überall meine Grüße und Empfehlungen.
Dein Friz.
 
 
Anfang Oktober. Auf dem aus Mainz mitgebrachten französischen Papier entsteht jetzt - immer noch synchron zur Jahreszeit - der über weite Partien fast unverändert in die Druckvorlage übernommene zweite Entwurf zum zweiten Band des Romans. Auf 24 Seiten überliefert ist die Vorstufe zu den Briefen 2, III-X. Die Niederschrift wird jedoch wiederum für etwa drei Monate, vmtl. zur Arbeit an dem schon in Hyperions Abschied von Kalaurea anklingenden Trauerspiel Agis oder Agis und Kleomenes unterbrochen.
 
Hyperion an Bellarmin.
 
Diotimas Erblassen, da sie Alabandas Brief las, gieng mir durch die Seele.
Drauf fieng sie an, gelassen und ernst, den Schritt mir abzurathen, und wir sprachen manches hin und wieder; o ihr Gewaltsamen rief sie endlich, die ihr so schnell zum Äußersten seid, denkt an die Nemesis!
Wer Äußerstes leidet, sagt ich, dem ist das Äußerste recht.
Wenn’s auch Recht ist, rief sie, du bist nicht dazu geboren.
So scheint es sagt, ich, ich hab’ auch lange genug gesäumt. O ich möchte einen Atlas auf mich laden, um die Schulden meiner Jugend abzutragen. Hab ich ein Bewußtseyn, Diotima? Hab’ ich ein Bleiben in mir? O laß mich, Diotima! Hier, gerad in solcher Arbeit muß ich es erbeuten.
Das ist eitel Übermuth! rief Diotima. Neulich warst du bescheidner, neulich, da du sagtest, ich muß noch ausgehn, zu lernen, ich bilde, aber ich bin nicht geschikt - erinnerst du dich?
Liebe Sophistin, rief ich, damals war ja auch von ganz was anderem die Rede. In den Olymp des Göttlichschönen, wo aus ewigjungen Quellen das Wahre mit allem Guten entspringt, dahin mein Volk zu führen, bin ich noch izt nicht geschikt. Aber ein Schwerd zu brauchen, hab’ ich gelernt, und mehr bedarfs für izt nicht. Der neue Geisterbund kann in der Luft nicht, leben, die heilige Theokratie des Schönen muß in einem Freistaat wohnen, und der will Plaz auf Erden haben, und diesen Plaz erobern wir.
Du wirst erobern, rief Diotima, und vergessen wofür? wirst, wenn es hoch kömmt, einen Freistaat dir erzwingen und dann sagen, wofür hab’ ich gebaut? ach! es wird verzehrt seyn all das schöne Leben, das daselbst sich regen sollte, wird verbraucht seyn selbst in dir! Der wilde Kampf wird dich zerreißen, schöne Seele, du wirst altern, seeliger Geist! und lebensmüd am Ende fragen, wo seid ihr nun, ihr Ideale der Jugend!
Das ist grausam, Diotima, rief ich, so ins Herz zu greifen, so an meiner eignen Todesfurcht, an meiner höchsten Lebenslust mich vestzuhalten - aber nein! nein! nein! der Knechtdsdienst tödtet, aber gerechter Krieg macht jede Seele lebendig. Das giebt dem Golde die Farbe der Sonne, daß man so ins Feuer es wirft! Das, das giebt erst dem Menschen seine ganze Jugend, daß er Fesseln zerreißt! das rettet ihn allein, daß er sich aufmacht und die Natter zertritt, das kriechende Jahrhundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet. - Altern sollt’ ich, Diotima? wenn ich Griechenland befreie? altern, ärmlich werden, wie ein gemeiner Mensch? O so war er wohl recht schaal und leer und gottverlassen, der Athenerjüngling, da er als Siegesbote von Marathon über den Gipfel des Pentele kam und hinabflog in die Thäler von Attika!
Lieber! Lieber! rief Diotima, sei doch still! ich sage dir kein Wort mehr. Du sollst gehn! sollst gehen, stolzer Mensch! Ach! wenn du so bist, hab’ ich keine Macht, kein Recht auf dich.
Sie weinte bitter und ich stand, wie ein Verbrecher, vor ihr. Vergieb mir, göttliches Mädchen! rief ich, niedergesunken, o vergieb mir, wo ich muß! Ich wähle nicht, ich sinne nicht. Eine Macht ist in mir, und ich weiß nicht, ob ich es selbst bin, was zu dem Schritte mich treibt.
Deine volle Seele gebietet dirs, antwortete sie. Ihr nicht zu folgen, führt leicht zum Untergange, doch ihr zu folgen, wohl auch. Das beste ist, du gehst, denn es ist größer. Handle du! ich will es tragen.
 
 
Hyperion an Bellarmin.
 
Diotima war von nun an wunderbar verändert. Mit Freude hatt’ ich gesehen, wie seit unserer Liebe das verschwiegne Leben aufgegangen war in Bliken und lieblichen Worten, und ihre genialische Ruhe war mir oft in glänzender Begeisterung entgegengekommen. Aber ach! wie so fremd wird uns die schöne Seele, wenn sie nach dem ersten Aufblühn, nach dem Morgen ihres Wachstums auf die Mittaghöhe nun muß! Man kannte fast das seelige Kind nicht mehr. Und dennoch war sie immer dieselbe.
O wie lag ich manchmal vor dem leidenden Götterbilde, und wähnte die Seele hinwegzuweinen im Schmerz um sie, und stand bewundernd und selber voll von allmächtigen Kräften wieder auf! Eine Flamme war ihr ins Auge gestiegen aus der gepreßten Brust. Es war ihr zu enge geworden im Busen voll Wünsche und Leiden: sie hatte ein neue Freiheit. Das machte die Gedanken des Mädchens so herrlich und kühn. Eine neue Größe, eine sichtbare Gewalt über alles, was fühlen konnte, herrschte’ in ihr. Sie war ein höhres Wesen. Sie gehörte zu sterblichen Menschen nicht mehr.
O meine Diotima, hätt’ ich damals gewußt, wohin das kommen sollte?
 
 
Hyperion an Bellarmin.
 
Auch der kluge Notara wurde bezaubert von den neuen Entwürfen, versprach mir eine starke Parthei, hoffte bald den Korinthischen Isthmus zu besezen und Griechenland hier, wie an der Handhabe zu fassen.
Aber das Schiksaal wollt’ es anders und machte seine Arbeit unnüz, ehe sie ans Ziel kam.
Er rieth mir, nicht nach Tina zu gehn, geradezu den Pelopones hinab zu reisen, zu Fuß und ohne Begleitung, und durchaus so unbemerkt, als möglich. Meinem Vater sollt’ ich unterwegens schreiben, meint’ er. Der bedächtige Alte würde leichter einen geschehenen Schritt verzeihn, als einen ungeschehenen erlauben. Ich zweifle, fuhr er fort, ob du wirst auf seine thätige Hülfe rechnen können. Darum geb’ ich dir, was nötig ist für dich, um eine Zeitlang in allen Fällen zu leben und zu wirken. Kannst du einst, so zahlst du mir es zurük. Wo nicht, so war das meine auch dein. Schäme des Gelds dich nicht, sezt’ er lächelnd hinzu, auch die Rosse des Phöbus leben von der Luft nicht allein, wie uns die Dichter erzählen.
 
 
Hyperion an Bellarmin.
 
Nun kam der Abschiedstag. Ich war den Morgen über oben in Notaras Garten geblieben, in der frischen Winterluft, unter den immergrünen Cypressen und Lorbeern. Ich war gefaßt. Die grossen Kräfte der Jugend hielten mich aufrecht, und das Leiden, das ich ahndete, trug, wie eine, Wolke, mich höher.
Diotimas Mutter hatte Notara und die andern Freunde und mich gebeten, daß wir noch den lezten Tag bei ihr zusammenleben möchten. Die Guten hatten sich alle meiner und Diotimas gefreut; und das Göttliche in unserer Liebe war an ihnen nicht verloren geblieben. Sie sollten nun mein Scheiden auch mir seegnen.
Ich gieng hinab. Ich fand das theure Mädchen am Heerde. Es schien ihr ein heilig priesterlich Geschäfft, an diesem Tage das Haus zu besorgen. Sie hatte alles zu recht gemacht, alles im Hauße verschönert, und es durft’ ihr niemand dabei helfen. Alle Blumen, die noch übrig waren im Garten, hatte sie eingesammelt, Rosen und frische Trauben hatte sie in der späten Jahrszeit noch zusammengebracht. -
Sie kannte meinen Fußtritt, da ich heraufkam, trat mir leis’ entgegen, die blaichen Wangen glüthen von der Flamme des Heerds, und die ernsten grosgewordnen Augen glänzten von Thränen. Sie sahe, wie michs überfiel. Gehe hinein, mein lieber, sagte sie. Die Mutter ist drinnen und ich folge gleich.
Ich gieng hinein. Da saß die edle Frau und strekte mir die schöne Hand entgegegen - kommst du? rief sie, kömst mein Sohn! ich sollte dir zürnen, du hast mir mein Kind genommen, hast alle meine Vernunft mir ausgeredet, und thust was dich gelüstet und gehest davon - sollt ich nicht zürnen? aber vergebt es ihm, ihr himmlischen Mächte, wenn er Unrecht vorhat, und straft ihn nicht, und hat er Recht, o so kommt! so zögert nicht mit eurer Hülfe, dem Lieben!
Ich wollte reden, aber eben kam Notara mit den übrigen Freunden herein, und hinter ihnen Diotima.
Wir schwiegen eine Weile. Wir ehrten die trauernde Liebe, die in uns allen war, wir fürchteten uns, sich ihrer zu überheben in Worten und stolzen Gedanken. Nach wenigen flüchtigen Reden bat mich endlich Diotima, einiges von Agis und Kleomenes zu erzählen; ich hätte die großen Seelen oft mit feuriger Achtung genannt und gesagt, sie wären Halbgötter so gewiß, wie Prometheus, und ihr Kampf mit dem Schiksaal von Sparta sei heroischer, als irgend einer in den glänzenden Mythen. Der Genius dieser Menschen sei das Abendroth des griechischen Tages, wie Theseus und Homer die Aurore desselben.
Ich erzählte nun und am Ende fühlten wir uns alle stärker und höher.
O glüklich, rief einer von den Freunden, wem sein Leben wechselt zwischen Herzensfreude und frischem Kampf!
Ja! rief ein anderer, das ist ewige Jugend, daß immer Kräfte genug im Spiele sind, und wir uns ganz erhalten in Lust und Arbeit.
O ich möchte mit dir, rief Diotima mir zu.
Es ist auch gut, daß du bleibst, Diotima! sagt ich. Die Priesterin darf aus dem Tempel nicht gehn. Du bewahrst die heilige Flamme, du bewahrst im Stillen das Schöne, daß ich es immer wiederfinde bei dir.
Du hast auch recht, mein Lieber, das ist besser, sagte sie und ihre Stimme zitterte und das Aetherauge verbarg sich ins Tuch, um seine Verwirrung nicht sehen zu lassen. O Bellarmin! es wollte mir die Brust zerreißen, daß ich sie so schaamroth gemacht. Freunde, rief ich, erhaltet diesen Engel mir. Ich weiß von nichts mehr, wenn ich sie nicht weiß. O Himmel! ich darf nicht denken, zu was ich fähig wäre, wenn ich sie vermißte -
Sei ruhig, Hyperion, fiel Notara mir ein.
Ruhig? rief ich, o ihr guten Leute! ihr könnt oft sorgen, wie der Garten blühn, und wie die Erndte werden wird, und ihr könnt für
1
Geht! ruft er den andern zu indem er hereintritt.
2
Eines der Kleinen ruft vom Hause herunter: Vater! Vater! hörst du denn nicht! Drauf kömmt die Mutter herab, ihn zum Frühstük zu hohlen und entspinnt sich das Gespräch.
3
Er sagt, daß er sein Weib und seine Kinder mit sich nehme, daß er sie am Herzen trage, nur meint er, können sie ihn nicht behalten. Der Horizont sei ihm nur zu enge, meint er, er müsse fort, um höher sich zu stellen, um aus der Ferne, sie mit allem, was da lebe, anzulächeln
© 2004 Luchterhand Literaturverlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlag: R·M·E / Roland Eschlbeck
Satz: D. E. Sattler
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany
eISBN : 978-3-641-01118-5
 
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