Schafft die Schule ab - Oliver Hauschke - E-Book

Schafft die Schule ab E-Book

Oliver Hauschke

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  • Herausgeber: mvg Verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Was macht Schule tagtäglich mit unseren Kindern? Sind Noten, Tests und Leistungsdruck wirklich die richtige Methode? Und warum lernen sie eigentlich nur "Blödsinn" im Klassenzimmer? Oliver Hauschke, selbst ambitionierter Lehrer, Schulleiter und Vater von 10 Kindern, plädiert für eine radikale Veränderung unseres Schulsystems. Er entwirft eine Vision einer neu gestalteten Schule, die sowohl kind- als auch lerngerecht orientiert ist. Statt vorgegebenen Rhythmus und ständigen Beurteilungen fordert er freie Lerngruppen, mehr Freiheit und Eigenverantwortung der Kinder sowie die Nutzung des Potentials neuer Medien, um Lernprozesse zu modernisieren, Motivation zu erzeugen und Lernen erfolgreich zu gestalten.

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Seitenzahl: 229

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2019

© 2019 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Thomas Bertram

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Umschlagfoto: Nils Schwarz

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern

ISBN Print 978-3-7474-0042-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-375-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-376-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Warum wir die Schule abschaffen müssen

Die Normierung unserer Kinder

Die Ungerechtigkeit der Notengebung

Der Beurteilungswahn der Schulen

Geringschätzung ist Teil des Geschäfts

Lehrer/innen – eine schwierige Spezies

Lehrer? Warum sollte ich Lehrer werden?

Unterricht – da kann man nur weglaufen

Nichts ist so wichtig, wie wir denken, und Zeit haben wir sowieso nicht

Es ist und bleibt unnütz

Noch mehr Unnützes

Wie das Lernen der Zukunft aussehen muss

Schulbildung neu definieren

Um acht Uhr in die Lernzellen – das darf nicht sein

Weniger ist mehr und ermöglicht mehr Vielfalt

Vielfalt und Individualität brauchen Raum

Es geht auch ohne Noten

Das Lernen neu denken

Über den Autor

Weiterführende Informationen

Warum wir die Schule abschaffen müssen

Eine bekannte Karikatur beschreibt ziemlich genau unser Bildungs- und Gesellschaftssystem. Sie zeigt verschiedene Tiere, die alle die Aufgabe haben, einen Baum hinaufzuklettern. Doch diese Tiere – Vogel, Affe, Elefant, Goldfisch im Glas, Robbe – haben ganz unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es ihnen erleichtern, erschweren oder gänzlich unmöglich machen, die Aufgabe zu bewältigen. Hier gilt Albert Einsteins Satz:

»Jeder ist ein Genie! Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.«

Die Karikatur illustriert perfekt, wie es in den letzten Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten in unseren Schulen gelaufen ist. Es gibt die Schüler/innen, die sie ohne Problem durchlaufen, es gibt jene, die es an der einen oder anderen Stelle schwer haben, und dann sind da noch diejenigen, die am Ende immer scheitern, egal, welche Schule sie besuchen.

Für die Gesellschaft ergeben sich daraus schwerwiegende Probleme. Nicht genug damit, dass wir wertvolles Potenzial einfach ungenutzt lassen, schaffen wir auch gleichzeitig eine Gesellschaft, in der einige das Gefühl haben, weniger wertvoll zu sein als andere, da sie eine Aufgabe lösen mussten, an der sie nur scheitern konnten und die sich so gar nicht an ihren Talenten und Fähigkeiten orientierte. Die anderen hingegen, auf die das System besser zugeschnitten ist oder die über die unglaubliche Fähigkeit zur Anpassung verfügen, werden das System erfolgreich durchlaufen und glauben, dass sie besser sind als die anderen, da sie es ja geschafft haben. Womöglich blicken sie auf die anderen herab und sind der Meinung, dass diese sich nicht genug angestrengt haben oder einfach zu dumm sind. Das führt zwangsläufig zu gesellschaftlichen Spannungen. Spannungen, die wir uns selbst zuzuschreiben haben.

Auch der glücklose und sinnlose Versuch der Einführung integrativer Gesamtschulen (IGS), wie sie heutzutage wieder zahlreich aus dem Boden sprießen, hat keine wesentliche Veränderung gebracht. Zwar sind sie der Versuch, es anders (und besser) zu machen, doch dieser Versuch funktioniert nicht. Und das nicht, weil es schlechte Schulen sind, sondern weil sie Teil eines Systems sind, das von Grund auf falsch ist. Die IGS muss sich, wie alle Schulen, diesem System unterwerfen und bietet daher gerade so viel Veränderung, wie das System bereit ist zuzulassen. Der Freiraum ist jedoch so eingeschränkt, dass die IGS sich gar nicht richtig entfalten kann. Im Grunde versucht sie lediglich, den einen und anderen Riss in der Institution Schule zu kitten. Das ganze Gebäude zu sanieren schafft sie nicht, kann sie nicht und darf sie nicht schaffen. Das größte Problem dieser Schulform ist, dass sie versucht, etwas zu verändern, gleichzeitig aber an das System gebunden ist. Der Versuch ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Die IGS versucht sicherlich, die Lernsituation für die Schüler/innen zu verbessern. Dazu hat sie verschiedene Konzepte. Wenn wir die IGS am Beispiel der Karikatur erklären, macht sie etwa Folgendes: Da in der Gruppe Tiere wie Goldfisch und Robbe sind, die an der Aufgabe, einen Baum hinaufzuklettern, scheitern müssen, weil sie deren Fähigkeiten ignoriert, versucht die IGS auch diesen Tieren gerecht zu werden. Und weil sie den Baum nicht abschaffen kann, denn er ist von den Kultusministerien vorgegeben, verändert sie die Aufgabenstellung im Vorfeld ein wenig. Um Gerechtigkeit herzustellen, verpflanzt die IGS diesen Baum einfach in einen See. Dieser See ermöglicht immerhin Fisch und Robbe Erfolgserlebnisse und motiviert sie. Denn solange sie im Wasser sind, glauben sie an ihren Erfolg, da sie den Baum noch nicht kennen.

Die IGS versucht also, Gerechtigkeit herzustellen, indem sie für Affe und Elefant den See als Herausforderung schafft und damit den Umstand ausgleicht, dass Fisch und Robbe am Ende auf den Baum klettern müssen.

Der Affe, der die Aufgabe ohne See problemlos gemeistert hätte, sieht sich nun mit einer Schwierigkeit konfrontiert: dem See. Ist er kein oder ein schlechter Schwimmer, muss er scheitern. Schafft er es hingegen, den See zu bezwingen, schafft er es auch problemlos auf den Baum. Es sei denn, das Schwimmen hat ihn derart erschöpft, dass ihm keine Kraft mehr zum Klettern bleibt.

Der Elefant, der zunächst sein Scheitern vor Augen hatte, sieht nun eine Chance, die Aufgabe zu meistern. Schwimmen kann er in der Regel gut, und mit dem Problem Baum wird er sich später beschäftigen. Womöglich findet er beim Durchqueren des Sees eine Lösung, jedoch nur, um nach all der Mühe, die er sich gab, zu erkennen, dass sein Hoffen eine Illusion war und es für ihn keine Lösung des Problems Baum gibt. Am Ende scheitert er an ihm ebenso, wie Fisch und Robbe scheitern.

Der Fisch schafft es nicht einmal an Land, die Robbe hingegen kann sich noch bis zum Fuß des Baumes vorarbeiten. Alle drei, Elefant, Fisch und Robbe, werden die letzte Aufgabe nicht meistern, jene Aufgabe, die über ihren Wert als Lebewesen und für die Gesellschaft entscheidet. Eine einzelne kleine Aufgabe sagt ihnen, wie wertvoll sie sind. Besitzen sie ein gesundes Selbstvertrauen, werden sie sich damit abfinden können und sich mit dem begnügen, was die Gesellschaft bereit ist, ihnen übrig zu lassen. Andere werden sich einreden, alles habe seine Ordnung. Um mit der Situation umgehen zu können, reden sie sich ihre unmittelbare Lebenswelt schön.

Der Vogel hingegen wird immer gewinnen, solange das Ziel der Baum ist und er nicht vorher noch etwas vom Boden des Sees holen muss. Welche Schulform der Vogel auch wählt, er wird die Aufgabe meistern.

Wir haben also auch in der IGS weiter all diejenigen, die schon immer die Gewinner und Verlierer des Systems waren. Einem Teil der Verlierer gaukeln wir vor, sie könnten doch gewinnen, und belügen sie damit. Ihr Erwachen wird dann besonders schlimm. Und wir haben ursprüngliche Gewinner, die wir zu Verlierern machen (manche Affen), womit wir die Zahl der Verlierer erhöhen. Mehr Gewinner jedoch haben wir nicht, obwohl genau dies eigentlich zu wünschen gewesen wäre.

Dabei wäre es gar nicht so schwierig, all die Missstände und Mängel von Schule zu vermeiden, indem wir die Schule revolutionieren, was bedeutet, sie in der heutigen Form abzuschaffen und durch etwas zu ersetzen, das kind- und gesellschaftsgerecht ist, das auf den Erkenntnissen der Wissenschaft über Lernen, Lernprozesse, Entwicklung und Gehirnforschung basiert und das Lernen und Schule zu etwas macht, das wirklich Spaß bringt, nachhaltig ist und jedem Einzelnen (im wahrsten Sinne des Wortes) gerecht wird.

In einem Leserbrief zu Manuel Hartungs Zeit-Artikel »Im Leererzimmer«1, der sich mit dem deutschlandweiten Lehrermangel auseinandersetzt, macht eine Leserin den Vorschlag, dass alle Kultusminister/innen zurücktreten sollten, denn sie hätten sich an den Kindern vergangen und täten dies noch immer.

Und es ist wahrlich erschreckend zu sehen, wie sich unsere Kinder tagtäglich in der Schule bemühen und abmühen, wie sie ackern und rackern, wie sie geben, was sie können, manchmal ihr Bestes, manchmal das, was ihre Tagesform hergibt. Am Ende aber hat man das Gefühl, dass es eigentlich keine Rolle spielt, was sie machen und wie sie es machen, denn das System findet immer irgendwelche Kleinigkeiten oder auch Größeres daran auszusetzen. Und damit tut es genau das, was Schule doch vermeiden soll: Es demotiviert, allzu oft auch frustriert es unsere Kinder und Jugendlichen, Lernen wird zu etwas Unangenehmem, dem man besser aus dem Weg geht.

Dabei soll Lernen Freude machen und Begeisterung wecken. Man soll lernen wollen, so wie es kleine Kinder wollen, nicht müssen, so wie wir Erwachsene es wollen. Lernen muss sich ergeben und kann nicht aufgezwungen werden wie in der Schule. Und wenn es sich ergibt, dann kann man auf interessante wie uninteressante Sachverhalte stoßen.

Ich selbst habe soeben bei der Arbeit an diesem Buch ergebendes Lernen erlebt. Ich wollte das Gegenteil zu dem Wort »Kleinigkeiten« formulieren, und weil mir »Größeres« nicht gefiel und es »Großigkeit« nicht gibt, dachte ich über weitere Antonyme nach.

Wenn Sie jetzt nicht wissen, was ein Antonym ist, müssen Sie sich keine Gedanken machen. Sie sind deswegen kein schlechterer Mensch, und ungebildet sind Sie auch nicht. Sie brauchen auch keine Angst zu haben, in Ihrem weiteren beruflichen Leben deswegen auf Hindernisse zu stoßen oder gar Ihre Zukunft gänzlich zu verbauen. Landläufig benutzen wir das Wort »Gegenteil« oder »Gegensatz« und kommen damit auch gut aus.

Ich war jedenfalls auf der Suche nach einem schönen Antonym und stellte fest, dass es zu »Kleinigkeiten« keines gibt.

Also tat ich das, was vor allem die Jüngeren unter uns in solchen Momenten tun: Ich recherchierte im Internet. Doch ich merkte recht schnell, dass es mit Antonymen zu »Kleinigkeiten« nicht weit her ist. Die drei, die man mir nannte – »Schwierigkeit«, »Größe«, »Wichtigkeit« –, gefielen mir nicht. Keines davon passte in den obigen Satz. Also entschied ich mich für die Formulierung »oder auch Größeres«.

Allerdings stieß ich bei meinen Recherchen auf etwas Interessantes, etwas, das bei mir ganz nebenbei einen Lernprozess auslöste. Dieser Lernprozess war weder aufgesetzt noch erzwungen, sondern ergab sich aus meiner Suche nach dem Antonym. Während meiner Recherche erfuhr ich, dass das Wort »Kleinigkeit« nicht auf dem Diminutiv »klein« fuße, sondern auf dem ripuarischen Wort »Keid«, was so viel wie »Korn«, »Keim« oder »Gerstenkorn« bedeutet.2 Bei einer Kleinigkeit handelt es sich folglich um ein winziges Ding, weswegen eine Wortkonstruktion, wie »Großigkeit« als Gegenteil nicht möglich ist.

Die Aussage, dass Kleinigkeit nicht von klein, sondern von Keid abstamme, faszinierte mich. Darauf wäre ich nie gekommen, und wahrscheinlich war diese Herleitung auch nur Sprachwissenschaftlern unmittelbar einsichtig.

Im Übrigen suchte ich auch nach einem schönen Antonym zu »begeistern«, und was mir spontan als Erstes einfiel, war entgeistern. Leider passt entgeistern nicht, denn es bedeutet laut Duden »völlig verstört, sprachlos (vor Erstaunen, Überraschung, Entsetzen)«.

Diese Erkenntnis mag eher unwichtig sein, aber ich werde sie so schnell nicht vergessen, denn ich habe die Erklärung mit Verwunderung und Erstaunen gelesen, und deswegen habe ich etwas gelernt – im wahrsten Sinne des Wortes. Und wenn der Mensch mit Erstaunen lernt, so lernt er sogar die unwichtigsten Dinge, selbst wenn sie gar nicht der eigentliche Lerngegenstand sind.

Wäre ich hingegen an das Thema Antonyme herangegangen, wie es die Schule macht, dann hätte ich beliebig viele Antonyme gesucht, die aber keine Bedeutung für mich gehabt hätten, und ein Lernprozess wäre, wenn überhaupt, nur schwer möglich gewesen.

Damit Lernen dauerhaft erfolgreich ist, muss es nachhaltig sein. Eine Grundvoraussetzung dafür ist, die Kinder und Jugendlichen in Erstaunen und Verwunderung zu versetzen. Das aber machen die Schulen nicht. Sie schaffen es nicht, sie zu begeistern, obwohl genau das schon seit Jahrzehnten gepredigt wird: in der Öffentlichkeit, im Studium und im Referendariat. Stattdessen entmutigen, desillusionieren, deprimieren, unterdrücken und betrüben sie unsere Kinder. Und uns Erwachsene oft auch. Und weil die Schule das macht, lernen unsere Kinder und Jugendlichen nicht nachhaltig und gehen meist nicht gern zur Schule. Zumindest nicht mehr, sobald sie verstanden haben, dass die Schule nicht für sie da ist, sondern für den Staat und die Wirtschaft, damit aus ihnen brave Arbeitssoldaten werden, die möglichst wenig eigenständig denken. In dem Moment, in dem Schüler/-innen merken, dass sie nicht für sich, sondern für andere lernen, stellen sie oft das Lernen ein, und es wird überaus anstrengend. Das ist kritisch und mag bösartig klingen, doch genau das ist es, was die Schule macht und worauf sie ausgelegt ist. Und das ist auch der Grund, warum es – trotz jahrzehntelanger Bildungsdiskussion – noch keine wesentliche Veränderung der Schule in Deutschland gegeben hat. Alle wirklichen Veränderungen, alle Neuerungen, welche die Schule kindgerechter machen würden, hätten am Ende zur Folge, dass die Schule sich völlig neu erfinden und den Lehrkräften ans Herz gewachsene Inhalte radikal gestrichen werden müssten. Das aber ist nicht gewollt, denn das Bewährte lässt sich politisch immer besser verkaufen als das unsichere Neue, vor dem alle ein wenig Angst haben und das Politiker schon so manche Wählerstimme gekostet hat.

Die Schule in ihrer heutigen Form bedarf dringend einer Revolution, um sie zu dem zu machen, was sie sein sollte. Wir müssen die Schule von Grund auf neu gestalten, denn eine Reform von innen heraus ist unmöglich und von vornherein zum Scheitern verurteilt. Andernfalls hätten all die guten Ideen zur Schule und zum Lernen, die seit Jahrzehnten bekannt sind, schon längst tief greifend Einzug in diese Institution gehalten. Wir müssen die Schule nicht neu denken, jedoch den Mut haben, die bekannten hervorragenden Ideen konsequent in allen öffentlichen Schulen umzusetzen.

Eine Schule in der bisherigen Form hingegen, die nichts produziert als unzufriedene Kinder und Jugendliche, deren wertvolle Lebenszeit wir stehlen, um ihnen etwas einzutrichtern, das sie später größtenteils vergessen und nicht brauchen, auch wenn wir uns das Gegenteil einreden, hat ihre Berechtigung schon lange verloren. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass wir es nicht brauchen. Da aber auch wir mit großer oder kleiner Anstrengung das System durchlaufen haben, glauben wir den fadenscheinigen Begründungen, warum wir all das Gelernte doch bräuchten, denn so erscheinen unsere Mühen uns am Ende angenehmer. Unseren Kindern sollten wir das jedoch nicht antun und deswegen die Schule in ihrer jetzigen Form gänzlich abschaffen und durch Lernorte ersetzen, die kind- und jugendgerecht sind und die Schüler/innen in den Vordergrund stellen – und nicht sich selbst.

Nun werden viele Leser/innen zu Recht einwenden, lamentieren könne jeder und an der Schule sei schon immer herumgemeckert worden. Und da jeder seine eigenen Erfahrungen mit Schule gemacht hat, sei es als Schüler oder auch später als Elternteil, seien solche Gemeinplätze wohlfeil.

Ich werde daher in den folgenden Kapiteln versuchen, Ihnen einen Einblick in das zu geben, was und wie unsere Kinder in der Schule lernen müssen, warum sie es lernen sollen, warum die Lerninhalte oft unsinnig und die Lernmethoden nicht unbedingt angebracht sind, was wir beim Lernen meist nicht berücksichtigen und wie wir das eine oder andere besser machen können.

Wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Bücher über Bildung gibt es viele. In ihnen werden die unterschiedlichsten Meinungen vertreten. Ich werde auf den folgenden Seiten hingegen weitgehend aus meiner Erfahrung als Vater von zehn Kindern, als langjähriger Gymnasiallehrer und Schulleiter berichten. Auf wissenschaftliche Erkenntnisse werde ich hin und wieder Bezug nehmen. Dabei werde ich weder meine Kolleg/innen in Schutz nehmen noch versuchen, alles zu rechtfertigen, was in der Schule so ist, wie es ist. Stattdessen werde ich Ihnen vor Augen führen, welchen Blödsinn Ihre Kinder lernen sollen, und warum ich finde, dass es Blödsinn ist, wohl wissend, dass viele andere diese Lerninhalte ganz wichtig und richtig finden.

Natürlich dürfen Sie sich gerne selbst Gedanken machen und eine eigene Meinung bilden. Aber was und wie auch immer Sie denken, denken Sie selbst darüber nach. Lassen Sie sich dabei auch meine Gedanken durch den Kopf gehen und wälzen Sie sie hin und her. Lassen Sie sich von Ihren eigenen Erfahrungen als Schüler/in leiten, vom dem, was Sie in Ihrer Schulzeit über Schule dachten, und von den Erfahrungen, die Sie als besorgte Eltern mit Schule gemacht ­haben.

Man kann für alles eine gute Erklärung finden, egal, ob es richtig oder falsch ist. Und allzu oft dient uns diese Erklärung lediglich dazu, den Status quo zu erhalten, was uns gleichzeitig vom Nachdenken über Veränderungen und der Arbeit an ihnen entlastet. Aber damit kommen wir hier nicht weiter. Denn bei der Schule geht es um uns und die Gesellschaft, in der wir leben. Es geht um die wichtigste Ressource, die wir haben, unsere Kinder, letztlich also um uns selbst, denn wir waren auch einmal Kinder, was wir leider allzu oft vergessen.

Es ist für uns alle wichtig, die Schule besser zu machen, und zwar wirklich besser. Es geht nicht darum, an ein oder zwei Rädchen zu drehen. Die Schule muss in ihrer Gesamtheit neu aufgebaut werden. Schulbehörden und Lehrkräfte brauchen dafür viel Mut, genauso wie die Eltern diesen Mut brauchen. Denn mit Erneuerungen gehen stets Unsicherheiten und Ängste einher, insbesondere die Unsicherheit, ob das Neue denn auch wirklich besser sei, und die Angst, es könnte schlechter sein.

John D. Rockefeller sagte einmal, man solle keine Angst davor haben, das Gute für das Bessere aufzugeben. Die Schule in ihrer heutigen Form ist aus meiner Sicht nicht gut. Vielleicht ist sie zweckmäßig. Mehr aber auch nicht. Für unsere Kinder aber muss sie besser sein.

Da die Schule also nicht gut ist, sollte es uns leichter fallen, das Neue anzugehen, denn es kann nur besser werden.

Die Normierung unserer Kinder

Ich bin kein großer Freund von PISA, der in regelmäßigen Abständen auftauchenden Vergleichsstudie, oder anderer, ähnlicher Studien. Zu Anfang fühlte ich mich als Lehrer durch solche Studien zu Unrecht kritisiert, mühte ich mich doch tagtäglich damit ab, meinen Schüler/innen bei der Vorbereitung auf das (Berufs-)Leben zu helfen und ihnen das dafür nötige Rüstzeug mitzugeben. Dafür hatte ich Jahre studiert und ein Referendariat hinter mich gebracht. Und jetzt sagten mir diese Studien, dass all das gar nicht hilfreich sei und dass ich meine Arbeit nicht ordentlich machte, denn meine Schützlinge schnitten im weltweiten Vergleich nicht gut ab.

Heute empfinde ich diese Kritik nicht mehr als belastend, denn Kritik an unserem Bildungssystem ist mehr als angebracht. Meine anfänglichen Zweifel daran, wie Schule in der Praxis aussah, führte ich auf meine Unerfahrenheit und Unwissenheit zurück. So lernte ich, was zu lernen war, doch meine Zweifel sorgten immer wieder dafür, dass mein Weg durch die Schullaufbahn ein sehr steiniger war. Ich musste die Schule erst mehr als 15 Jahre lang durchlaufen und tagtäglich erleben, um meinen Zweifeln wieder Glauben zu schenken und zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Schule in der heutigen Form abgeschafft gehört.

Heute bin ich der Meinung, dass wir Lehrer/innen unseren Beruf völlig falsch ausfüllen, dass wir völlig falsch lernen, was wir unseren Kindern beibringen und wie wir es ihnen beibringen sollen. Auch wenn sich das eine oder andere Studienseminar abmühen mag, Unterricht in Teilen zu verbessern, am System kommt niemand vorbei.

Dennoch halte ich wenig von PISA, weil die Studie nichts anderes macht als die Schule: Sie vergleicht. PISA und Schule setzen für Menschen, die sich unterschiedlich entwickeln, Maßstäbe, die diese zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht haben sollten. Allerdings benutzt PISA den Vergleich nicht dazu, die Schüler/innen zu bewerten, sondern, mittelbar durch diese, die Schule. Beide Systeme gehen davon aus, dass die Schüler/innen zu einem bestimmten Zeitpunkt, zum Beispiel in der Klasse 8, einen bestimmten Leistungs- und Lernstand erreicht haben sollten. Während die Schule Schüler/innen diesen Stand mit einer Note quittiert, präsentiert PISA den Schulen die Rechnung.

Das ist grundsätzlich in Ordnung, denn wenn eine Institution die Quittung für die unterdurchschnittlichen Leistungen unserer Kinder bekommen sollte, dann die Schule. Die Lehrer/innen vor Ort trifft dabei weniger die Schuld. Sie erfüllen lediglich die Aufgabe, die man ihnen stellt, nach den Maßgaben des Systems. Vorwerfen kann man ihnen allerdings, dass sie diese Maßgaben akzeptieren. Die Abmahnung durch die PISA-Studie gilt vielmehr dem System Schule als Ganzem, ihrer Struktur und den dafür verantwortlichen Politikern, Verbänden, Seminar- und Schulleitungen, die seit Jahrzehnten stur an einem völlig veralteten und verfehlten System festhalten.

PISA vergleicht nicht nur unterschiedliche Schul-, sondern auch unterschiedliche Kultursysteme miteinander. Doch weil Lernen ein sehr individueller Prozess ist, gestaltet sich schon ein schulinterner oder landesinterner Vergleich als schwierig. Ein internationaler Vergleich, bei dem unendlich viele verschiedene Einflussfaktoren auf die unterschiedlichen Schüler/innen einwirken, scheint da fast unmöglich.

Darüber hinaus vergleicht die Studie zwangsweise bereits bestehende Systeme und ordnet diese in Rangstufen ein. Da sich eine solche Studie auf vorhandene Praxisbeispiele stützen muss, bleibt ihre Aussagekraft begrenzt. Andere Modelle, die denkbar, wünschenswert und womöglich besser wären, jedoch noch nirgendwo in die Praxis umgesetzt wurden, bleiben dabei leider außen vor.

Mit dieser zwangsläufigen Einschränkung geht ein weiteres Problem einher: Einzelne Länder und deren Schulsysteme beschränken ihre Evaluation ausschließlich auf die vorhandenen Modelle und denken nicht darüber hinaus. Man stellt fest, dass skandinavische oder asiatische Schulen besser abschneiden, und fragt sich zu Recht, warum. Aber man fragt sich nicht, ob es noch bessere Möglichkeiten von Schule gibt und wie diese aussehen könnten.

In Deutschland ist der Vergleich mit dem Ausland besonders problematisch, da es sich bei den erfolgreichen Schulen in der Regel um Gesamtschulen handelt. Da geht die Gymnasiallobby sogleich in Abwehrstellung, zumal in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten ein ideologischer Kampf zwischen Gesamtschule und dreigliedrigem Schulsystem geführt wird, den beide Seiten gewinnen wollen.

Meiner Ansicht nach müssen wir endlich mit diesen Vergleichen aufhören. Das ständige Messen, Kategorisieren und Beurteilen muss ein Ende haben, denn es macht nicht nur unsere Kinder, sondern auch unsere Gesellschaft krank. Es geht uns kaum noch darum, ein sinnvolles, erfülltes Leben zu leben. Es geht nur noch darum, sich zu optimieren, die oder der Beste zu sein, Höchstleistungen zu erbringen, sich die beste Ausgangsposition für das Berufsleben zu verschaffen und sich dabei stets mit der eigenen Altersgruppe zu vergleichen. Das fängt schon nach der Geburt an, wenn Eltern die Entwicklungsgeschwindigkeit ihres Nachwuchses mit dem Tempo vergleichen, welches die Sprösslinge anderer Eltern an den Tag legen. Da wird dann geschaut, welches Kind eher auf den Bauch rollen, krabbeln, laufen und sprechen kann.

Und die Kinderärzte kategorisieren, von der Politik gezwungen, die Kinder fröhlich weiter. Bei jeder Untersuchung wird geschaut, ob man ein »Normkind« hat oder ob – und inwieweit – es von der Norm abweicht. Und bei zu starken Abweichungen muss sogleich etwas unternommen werden, um nur ja nicht den Zeitpunkt zu verpassen, aus den Kindern möglichst früh Normkinder zu machen.

Ihr Säugling trinkt in den ersten Wochen nicht ordentlich und nimmt nicht an Normgewicht zu? Dann stimmt mit dem Kind wohl etwas nicht. Machen Sie sich Sorgen! Pumpen Sie Muttermilch ab und geben Sie ihm die Flasche! Füttern Sie zu! Oder geben Sie das Kleine gleich wieder ins Krankenhaus, um es künstlich ernähren zu lassen!

Ihr Kind kommt in den Kindergarten und kann noch nicht jedes Wort sauber aussprechen? Machen Sie sofort einen Termin beim Logopäden! Ihr Kind braucht dringend professionelle Unterstützung, denn es ist zurückgeblieben. Es hat starke Mängel im sprachlichen Bereich, die dazu führen, dass es im täglichen Vergleich mit den anderen Kindergartenkindern psychisch leidet und am Ende gar einer Therapie bedarf. Womöglich hat Ihr Kind eine fehlgebildete Zunge, die dafür sorgt, dass es bestimmte Wörter nicht korrekt aussprechen kann. Dieser Fehler sollte sofort behoben werden. Und dann die Zähne. Am besten, Sie vereinbaren schon mal eine Langzeittherapie mit einem Kieferorthopäden.

Sicherlich karikiere ich an dieser Stelle. Natürlich ist eine gewisse Kontrolle der Entwicklung unserer Kinder sinnvoll. Niemand möchte, dass sie irgendwelche Mängel erleiden. Doch man hüte sich vor Übertreibung. Ich möchte Ihnen an einem Beispiel verdeutlichen, was ich meine. Als Vater von zehn Kindern konnte ich über die Jahre hinweg viele interessante Beobachtungen machen und habe dadurch sehr viel über Menschen, deren Entwicklung und Lernprozesse gelernt. Wenn Sie also selbst Feldstudien betreiben wollen, schaffen Sie sich viele Kinder an. Sie tun damit gleichzeitig etwas für Ihre Rente.

Als mein Sohn sprechen lernte, gelang es ihm nicht, seine Zunge beim S hinter den Zähnen zu platzieren. Er lispelte folglich. Alles laienhafte Üben zu Hause blieb erfolglos, allerdings unternahmen weder meine Frau noch ich besonders intensive Versuche, ihm das Lispeln abzugewöhnen. In unseren Augen war es Teil seiner Entwicklung, und wir vertrauten darauf, dass sich das Problem mit der Zeit von alleine lösen würde. Der Kinderarzt hingegen sah schon früh Handlungsbedarf und riet uns, einen Logopäden aufzusuchen, damit unser Sohn rechtzeitig etwas gegen seinen Mangel unternehmen konnte. Meine Frau und ich lehnten diesen Vorschlag ab, denn wir waren der Meinung, wir sollten einfach ein wenig Geduld haben.

Doch auch im Kindergarten lispelte unser Sohn weiter, sodass die Erzieherinnen uns ebenfalls ans Herz legten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Immerhin stand ja auch bald die Einschulung an. Meine Frau und ich lehnten den Besuch eines Therapeuten weiter ab. So ging unser Sohn als Lispler zur Schule, wo er bald darauf seine Milchzähne verlor. Und mit den neuen Schneidezähnen, die sich als natürliche Barriere für die Zunge meines Sohnes erwiesen, hörte er plötzlich auf zu lispeln und hatte keine Probleme mehr mit der korrekten Aussprache des S. Und das alles ohne professionelle Hilfe. Nur mit Geduld und Vertrauen in die Entwicklung unseres Sohnes.

Auch eine unserer Töchter hatte anfangs ein Sprachproblem. In ihrem Fall probierten wir einen Logopäden aus. Doch da sie sich weigerte, die Übungen zu machen, die sie als blöd empfand, brachen wir die Behandlung ab. Auch ihr schadete das nicht, denn ihr Problem löste sich ebenfalls von alleine im Zuge der natürlichen Entwicklung, die kurzfristig zeitlich außerhalb der bürokratischen Normskala lag.

Wie diese Beispiele zeigen, sind ständige Vergleiche mit Gleichaltrigen nicht unbedingt notwendig und förderlich. Stattdessen versetzen sie Eltern und auch die Kinder in Angst und lassen sie an sich selbst zweifeln. Schließlich möchte jedes Kind zunächst einmal der Norm entsprechen. Es möchte so sein wie die anderen auch. Kinder fühlen sich oft von ganz allein als außerhalb der Norm befindlich. Während alle anderen perfekt sind, nehmen sie vieles an ihrem Körper als mangelhaft wahr. Das ist ganz natürlich. Dieses Empfinden sollten wir nicht noch mit Normierungswut und ständigem Vergleichswahn verstärken. Vielmehr sollten wir den Kindern deutlich machen, dass der Mensch sich nun einmal unterschiedlich schnell entwickelt und dass starke wie schwache Abweichungen in der Entwicklungsphase völlig normal sind.

Sich mit anderen zu vergleichen, ist ein natürliches Verhalten. Aber wir sollten es damit nicht übertreiben, sondern der Natur einfach ihren sinnvollen Lauf lassen. Immer dort, wo der Zwang des Vergleichs Auswüchse annimmt, sollten wir dem entgegenwirken, damit unsere Kinder selbst Vertrauen in ihre eigene Entwicklung und damit in ihre eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten erlangen. Die natürlichen Vergleiche von Kindern untereinander und mit Älteren können auch positive Auswirkungen haben, wie das folgende Beispiel zeigt.

Es ist auffällig, dass die jüngeren meiner Kinder Fertigkeiten in einem Alter entwickelt haben, in dem ihre älteren Geschwister diese Fertigkeiten noch nicht hatten, und das unabhängig von einzelnen Stärken und Schwächen. So können die jüngeren Kinder, obwohl sie noch längst nicht eingeschult sind, bereits teilweise schreiben, rechnen und auch lesen, während die älteren dies nicht in dem Maße konnten. Die jüngeren konnten sich auch schon viel früher alleine anziehen, sie verstanden früher, wenn Kleidungsstücke falsch herum waren, wenn zum Beispiel ein Ärmel sich verdreht hatte und von innen nach außen gezogen werden musste. Dieses Problem konnten die jüngeren Kinder früher lösen als die älteren. Interessant ist, dass meine jüngeren Kinder hier auch weiterentwickelt sind als viele ihrer Altersgenossen, mit denen sie in Kindergarten und Schule zusammenkommen.