Schatten über Venedig - Gordon McBane - E-Book

Schatten über Venedig E-Book

Gordon McBane

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Teil 3 der spannenden Mystery-Serie: Das Geheimnis um Bragolins Gemälde wird endlich gelüftet  Da der Mord an Franchot Seville noch immer nicht aufgeklärt ist, setzt die Polizei Josephine weiter unter Druck. George läuft die Zeit davon. Ein mysteriöses Tagebuch bringt die beiden schließlich auf die Spur des geheimnisvollen Malers Bragolin. Doch als sie endlich erkennen, wer hinter den Mordanschlägen steckt, scheint es bereits zu spät zu sein … Das Buch ist der letzte Teil einer Trilogie. Von Gordon McBane sind bei Midnight by Ullstein erschienen: Das Vermächtnis des Künstlers (Teil 1 der Bragolin-Serie) Die Maske der Angst (Teil 2 der Bragolin-Serie) Schatten über Venedig (Teil 3 der Bragolin-Serie)

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Der AutorGordon McBane, geboren 1988, stammt aus Schottland, wuchs aber am Niederrhein auf. Nach dem Abitur zog es ihn zunächst nach Hong Kong, wo er knapp ein Jahr lebte und Südostasien bereiste. Anschließend absolvierte er bis 2012 eine kaufmännische Lehre. Daraufhin studierte er bis 2015 Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit einigen Zwischenstopps in Berlin und Brüssel. Um seine Ausbildung zu finanzieren, arbeitete er bereits früh im Journalismus, u.a. als Redakteur bei der Westdeutschen Zeitung, freier Videojournalist beim ZDF und Pressereferent für die Uni Düsseldorf. Hauptberuflich in der PR-Branche tätig, schreibt er auch weiterhin als freier Journalist und Autor.

Das Buch

Teil 3 der spannenden Mystery-Serie: Das Geheimnis um Bragolins Gemälde wird endlich gelüftet Da der Mord an Franchot Seville noch immer nicht aufgeklärt ist, setzt die Polizei Josephine weiter unter Druck. George läuft die Zeit davon. Ein mysteriöses Tagebuch bringt die beiden schließlich auf die Spur des geheimnisvollen Malers Bragolin. Doch als sie endlich erkennen, wer hinter den Mordanschlägen steckt, scheint es bereits zu spät zu sein …Das Buch ist der letzte Teil einer Trilogie.

Von Gordon McBane sind bei Midnight by Ullstein erschienen:Das Vermächtnis des Künstlers (Teil 1 der Bragolin-Serie)Die Maske der Angst (Teil 2 der Bragolin-Serie)Schatten über Venedig (Teil 3 der Bragolin-Serie)

Gordon McBane

Schatten über Venedig

Ein Venedig-Krimi

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Februar 2018 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © FOTOWEST  ISBN 978-3-95819-146-4  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inspiriert von einer wahren Begebenheit

Was bisher geschah:

George Mallory ist Psychologie-Dozent an der Universität von Virginia mit dem Spezialgebiet Parapsychologie. Anders, als viele jedoch annehmen, glaubt er nicht an paranormale Phänomene, sondern hat es sich zur Aufgabe gemacht, deren natürliche Ursachen ans Licht zu bringen und das vermeintlich Übersinnliche rational zu erklären. Als er einen Brief aus Venedig erhält, in dem die Kuratorin eines venezianischen Kunstmuseums, Dr. Velmonte, von einer seltsamen Serie von Todesfällen berichtet, ist seine Neugier geweckt. Die Fälle scheinen miteinander verknüpft zu sein. Eine Reihe von Hausbränden mit tödlichem Ausgang, die sich in den letzten zwanzig Jahren über ganz Westeuropa erstreckte, geriet in den Fokus der Presse, da aus den ausgebrannten Trümmern jedes Mal nichts anderes geborgen werden konnte als ein Gemälde – völlig unbeschädigt von Feuer und Rauch. Alle Opfer waren im Besitz solch eines Bildes. Und diese Porträts zeigen stets ein trauerndes Kleinkind mit vorwurfsvollem Blick. Alle sind sie signiert mit dem Pseudonym eines unbekannten Künstlers: Bragolin. Wer verbirgt sich hinter diesem Namen?

Man behauptet, dass ein Fluch auf diesen Porträts lasten würde und die Augen der Kinder ihre Besitzer in den Wahnsinn und in den Tod treiben würden. Dr. Velmonte ist bereits seit zwanzig Jahren auf der Suche nach diesen Bildern und hat bis auf zwei Exemplare alle Werke gesammelt, um sie in einer Galerie auszustellen. George soll zusammen mit der Kunsthistorikerin Dr. Josephine Canino für das Antenor-Museum herausfinden, ob von der Gemäldeserie wirklich eine dunkle Macht ausgeht. Dr. Canino geht nach ihren Recherchen davon aus, dass die porträtierten Kinder wirklich gelebt haben und von jenem Bragolin im Venedig der Nachkriegszeit in sein Atelier entführt und umgebracht wurden. Dr. Velmonte geht sogar noch weiter, denn sie glaubt, dass der Urheber dieser Werke die Kinder tötete, indem er ihnen mit jedem Pinselstrich nach und nach ihre Seelen nahm, bis sie in das jeweilige Gemälde eingesperrt waren. Deshalb gehe von den Bildern eine solch bedrohliche Kraft aus. Der Legende nach könne der Fluch nur gebrochen werden, wenn alle Gemälde von Bragolin gesammelt und so die Seelen der Kinder wiedervereint wären.

Die einzigen zwei Gemälde, die dem Antenor-Museum noch fehlen, sind laut Dr. Velmonte von ganz besonderer Bedeutung, weil sie einen Jungen beziehungsweise ein Mädchen zeigen, Geschwister, weswegen die beiden Bilder in gewisser Weise zusammengehören. George Mallory und Josephine Canino verschlägt es bei ihrer Suche nach den letzten beiden Porträts ins spanische Salamanca, wo der reiche Kunstsammler Franchot Seville eines dieser Gemälde besitzt: das Exemplar mit dem trauernden Mädchen. Josephine ist auf ihn aufmerksam geworden, weil Sevilles Frau Lydia vor einigen Wochen spurlos verschwunden ist. Bei der Polizei und in der Öffentlichkeit kursieren viele Spekulationen, ob ihr Mann Franchot für ihr Verschwinden verantwortlich ist. Dieser beteuert jedoch seine Unschuld. Interessant ist für Josephine, dass nicht er, sondern Lydia die eigentliche Besitzerin des Bragolin-Bildes war. Als George und Josephine Franchot jedoch nach einem gescheiterten Besuch noch einmal aufsuchen, finden sie nur seine verstümmelte Leiche in dessen Villa. Man hat ihm die Augen aus dem Kopf geschnitten. Das Bragolin-Gemälde ist hingegen entwendet worden.

Durch einen Hinweis kommt George zu der Vermutung, dass der berüchtigte Kunstdieb Dominique Poincaré hinter dem Mord stecken könnte. Er findet dessen Aufenthaltsort heraus und will sich nach Montségur in Südfrankreich begeben. Josephine jedoch ist sehr verstört seit dem Mord an Seville und befürchtet, dass die Polizei sie damit in Verbindung bringen könnte. Vor allem der venezianische Inspektor Carlos Orlando, der durch einen Presseartikel auf Georges Arbeit aufmerksam geworden ist, hat ihn und Josephine nun ins Visier genommen, kann beiden aber noch nichts nachweisen. Trotz aller Überredungsversuche durch Dr. Velmonte beschließt Josephine zunächst aus dem Projekt auszusteigen, vor allem, da sie ihre Tochter Amanda nicht in Gefahr bringen will. Amanda ist jedoch nicht Josephines leibliches Kind, sondern von ihr im Alter von neun Jahren adoptiert worden. Josephine ist einst selbst ein Waisenkind gewesen und hat schreckliche Erfahrungen im Heim gemacht. Um einem anderen Kind dies zu ersparen, hat sie Amanda adoptiert, deren Eltern bei einem Unfall gestorben sind. Mittlerweile steckt das Mädchen in der Pubertät und gerät mit Josephine immer häufiger aneinander, seit ihre Mutter mit ihr nach Venedig gezogen ist, um an diesen unheimlichen Bildern zu forschen.

Kurz bevor George mit dem Auto nach Frankreich aufbricht, gelingt es Amanda, sich als blinde Passagierin im Kofferraum zu verstecken, nachdem sie im Streit mit Josephine aus der Wohnung gerannt ist. Während Josephine auf die Rückkehr ihrer Tochter wartet, wird sie nachts in ihrer Wohnung von einer dunklen Gestalt angegriffen. Der Attentäter verbirgt sein Gesicht hinter einer diabolischen Harlekin-Maske und will Josephine umbringen, indem er ihr die Augäpfel raubt – auf die gleiche Art ist auch Seville gestorben. Nur knapp dem Angriff entkommen, erfährt Josephine nach langen Gesprächen mit der Polizei, dass ihre Tochter bei George ist. Sie ist erst mal beruhigt und vertieft sich in den Lieblingscomic ihrer Tochter, um Amanda besser zu verstehen, hat dabei jedoch bald verstörende Erlebnisse, die die dunklen Schatten ihrer Vergangenheit lebendig werden lassen. So glaubt sie in dem Comic Mr Cantare zu erblicken, der sich sogar bewegt. Mr Cantare war der Name einer furchteinflößenden Vogelscheuche, über die sich einst in Josephines Heim viele dunkle Geschichten rankten. Die kleine Josephine musste sich ihr damals bei einer Mutprobe stellen.

Unterdessen erreicht George mit Amanda Montségur und kann dort besagten Poincaré aufspüren und mit unerwarteter Hilfe von Amanda bei einer Konfrontation bezwingen. Der Kunstdieb erzählt George daraufhin im Verhör, dass er für einen ihm unbekannten Auftraggeber arbeitet, der unter dem Decknamen Samaghul operiert. Der Name verweist auf einer Figur aus dem alten venezianischen Karneval, die auch als das blutrote Phantom von Venedig bekannt war. George ahnt zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, dass jene dunkle Gestalt, die Josephine des Nachts attackiert hat, genau diese Maske trug.

Poincaré beteuert jedoch, dass er nur ein Kunstdieb sei und nichts mit dem Mord an Seville zu tun hat. Alle Fäden laufen daher bei seinem Auftraggeber zusammen, doch Poincaré hat diesen Samaghul bisher noch nie gesehen. Der Franzose verrät George aber, dass neben dem Exemplar von Seville auch das andere Bragolin-Bild entdeckt worden ist. Das Gemälde des trauernden Jungen befinde sich im Besitz des deutschen Grafen Magnus von Eisenstein. Doch es gibt ein Problem: Der Graf ist verschwunden – zur selben Zeit wie auch Lydia Seville. Da Poincaré George den geheimen Aufenthaltsort des Grafen mitteilt, läßt dieser den Kunstdieb laufen. Durch ihr beherztes Eingreifen hat Amanda mittlerweile Georges Respekt gewonnen, weswegen er ihr auf der Rückfahrt erzählt, wie er zum Parapsychologen geworden ist. George hat einst als Soldat im Vietnamkrieg gedient und dort erlebt, wie sein alter Studienfreund Boris Blake dem Wahnsinn anheimfiel, als dieser im Dschungel Jagd auf den Din Juun, den legendären schwarzen Tiger gemacht hat. Die Militärs nahmen damals an, dass Blake auf dieser Expedition im Wahn seine eigenen Kameraden umgebracht hat und ließen ihn deshalb in eine Irrenanstalt einweisen, wo ihn George regelmäßig besucht, weil er noch immer hofft, seinem alten Freund helfen zu können. Er ist überzeugt, dass Blake irgendetwas im Dschungel widerfahren ist, das ihn seinen Verstand gekostet hat. Amanda verspricht ihm, über diese Geschichte Stillschweigen zu bewahren, und freundet sich allmählich mit George an. Als beide schließlich wieder in Venedig angekommen sind, sorgen die neuesten Entwicklungen dafür, dass Josephine sich wieder der Suche nach den Bildern anschließt. Nun erfährt auch George von dem nächtlichen Angriff des maskierten Samaghul.

Bevor sie nach Altaussee in Österreich aufbrechen, wo sich angeblich der Graf von Eisenstein versteckt hält, gehen Josephine und George einem weiteren Hinweis von Poincaré nach. Dieser hätte nämlich über Briefe mit seinem geheimen Auftraggeber kommuniziert. Das ominöse Postfach befindet sich zu ihrer Verwunderung mitten in Venedig in einem alten, heruntergekommenen Haus, das nach dem Zweiten Weltkrieg von einem Brand heimgesucht wurde. George und Josephine entdecken einen geheimen Keller in dem Haus und stoßen dort unten an einer Wand auf eine versteckte Kreidezeichnung des Dämons Baphomet. George hatte bereits von dem Kunstdieb Poincaré erfahren, dass die Gottheit einst das Zeichen der Baffometi war, einer dunklen Sekte, die jedoch schon vor Jahrhunderten untergegangen ist. Josephine hat zudem herausgefunden, dass nach dem Brand noch mal eine verarmte Familie mit Namen Bonillo in dem unheimlichen Haus gewohnt hat; eine Frau mit zwei Kindern. Unschlüssig, wie das alles miteinander zusammenhängt, beschließen er und Josephine, heimlich nach Altaussee aufzubrechen. Kurz vor der Abfahrt kommt es jedoch zwischen Josephine und Amanda zum totalen Zerwürfnis. Amanda glaubt, dass sie sich in George verliebt hat, und stößt damit natürlich auf Unverständnis bei Josephine. In einem Streit, der immer mehr ausufert, werden beide handgreiflich, und Josephine droht daraufhin, sie sofort nach ihrer Rückkehr auf die Straße zu setzen. Der Bruch zwischen den beiden ist so groß, dass Amanda am nächsten Tag sogar Inspektor Orlando von Josephines geheimer Fahrt nach Altaussee erzählt, nachdem der Polizist das Mädchen am Schultor abgefangen hat, um einige Informationen von ihr über George zu erhalten.

Dieser ist mittlerweile mit Josephine im verschneiten Bergdorf Altaussee angekommen, und beide finden den Grafen tatsächlich in einer windigen Nacht in einer abgelegenen Waldhütte. Der einst so stolze Industrielle ist nur noch ein Schatten seiner selbst und fühlt sich von den Augen des porträtierten Jungen verfolgt. George und Josephine können jedoch langsam sein Vertrauen gewinnen und erfahren von ihm, dass er Lydia Seville kannte und sogar ein enges Verhältnis zu ihr pflegte, von dem ihr Mann Franchot nichts wusste. Lydia Seville und Magnus von Eisenstein lernten sich über den Ring der Karmini kennen, in dem sie beide Mitglieder sind. Da beide im Besitz eines Bragolin-Bildes waren, fühlten sie sich direkt miteinander verbunden. Sie teilten dieselben Ängste, was die Gemälde betraf. Daher war Lydia die einzige Person, welcher der Graf vertraute. Als Eisenstein erfuhr, dass Lydia plötzlich verschwunden war, glaubte er, dass dies mit dem Gemälde des trauernden Mädchens zusammenhängen müsse, und verlor endgültig alle Hoffnung, sich dem Bann des Bildes entziehen zu können. Da er es nicht vermochte, das Porträt zu zerstören, versteckte er es in der Familiengruft auf dem alten Friedhof oberhalb von Altaussee – es gelang ihm jedoch nicht, sich völlig von dem Gemälde zu trennen. Deshalb plante er, sich umzubringen, und zog sich in diese Waldhütte zurück, um dort auf einer Schreibmaschine sein Testament zu verfassen.

George und Josephine können ihn jedoch überreden, sie zum Gemälde des trauernden Jungen zu führen, welches der Graf in einem Sarg versteckt hält. Als George das Kunstwerk in der Gruft hervorholt, glaubt der Graf wieder die Augen zu sehen und verliert endgültig den Verstand. Vom Wahnsinn getrieben, bringt er sich selbst um, indem er sich ein Auge herausschneidet. Völlig verstört verlassen George und Josephine den Tatort mitsamt dem Gemälde. Als sie jedoch auch das Testament des Grafen aus der Waldhütte mitnehmen wollen, stellen sie schockiert fest, dass sich auf den Papieren nicht der letzte Wille des Grafen befindet, sondern dessen letzte Aufzeichnungen. Er hatte bereits mit dem Besuch der beiden wie bei einer Vorhersehung gerechnet. Er schreibt, der Geist von Bragolin habe von ihm Besitz ergriffen und ihm befohlen, die beiden zu töten. Mittlerweile fühlen sich George und Josephine selbst von den Augen des Jungen verfolgt. Während sie die Nacht in ihrem Hotelzimmer verbringen, glaubt Josephine nicht nur, draußen ihren Peiniger Samaghul um ihr Auto herumschleichen zu sehen, sondern findet sich im Zimmer in einer albtraumhaften Situation wieder, als sich der vermeintliche George, der sie umarmt, als grauenhafte Kreatur entpuppt. Nach diesem Schreck finden beide aber tatsächlich zueinander und wie in einer Trance schlafen sie miteinander.

Doch nicht nur George und Josephine werden immer häufiger von düsteren Visionen heimgesucht – auch Amanda wird in Venedig allmählich vom nackten Grauen gepackt. Nachdem sie schon in der Schule mehrfach unter Realitätsverlust gelitten hat, glaubt sie, als sie abends mit ihren Freunden durch die Stadt zieht, die Gestalt des Samaghuls in den Gassen der Lagunenstadt zu erblicken. Zudem verspürt sie eine ungeahnte Aggressivität und beteiligt sich dabei, einen wehrlosen Mann auf der Straße zu verprügeln. Als sie danach mit den einigen Jungs zu Miloš geht, schlägt der von ihr angehimmelte Taugenichts Harpo vor, den Abend mit einem Trinkspiel abzuschließen. Danach wird die Situation immer surrealer. Plötzlich sieht Amanda im Spiegel ihre leiblichen Eltern, Harpo und Miloš sind verschwunden. Stattdessen sitzt im Wohnzimmer eines der toten Kinder von den Gemälden und zeigt ihr in Visionen, wie Bragolin einst seine diabolischen Porträts geschaffen hat. Schockiert flüchtet Amanda aus der Wohnung und rennt hinaus in die dunklen Straßen von Venedig.

Während George und Josephine mit dem Gemälde auf der Rückfahrt in die Lagunenstadt sind, bemerken sie, dass ein anderer Wagen sie verfolgt. Nach einer wilden Jagd entkommt ihnen zwar das fremde Fahrzeug, aber Josephine kann zuvor das Gesicht ihres Verfolgers erkennen. Es ist Lydia Seville.

Venedig, Italien – Viertel vor sieben am Abend

»Wie konnten Sie ohne meine Einwilligung noch weitere Schritte dieser Art unternehmen? Sie haben mein Vertrauen missbraucht!«, herrschte Dr. Velmonte George und Josephine an. Gramgebeugt hatte die aufgewühlte Dame ihr Gewicht im Rollstuhl ständig von der einen auf die andere Seite verlagert. George und Josephine standen im Foyer des Antenor-Museums wie zwei Kinder, die bei einem Streich auf frischer Tat ertappt worden waren und sich nun eine mächtige Standpauke anhören mussten. Nach einer langen Fahrt waren beide schließlich wieder aus Altaussee zurückgekehrt und hatten eben der Kuratorin ihre Erlebnisse geschildert.

»Es tut mir leid, Frau Doktor, aber wir wollten niemanden gefährden«, beteuerte Josephine.

»Niemanden gefährden?«, giftete die Alte garstig zurück. »Der Graf von Eisenstein ist tot! Verstehen Sie das etwa unter niemanden gefährden? Und die Polizei war hier und hat sich nach Ihnen erkundigt. Sie waren für niemanden zu erreichen. Dr. Canino, ich bin sehr enttäuscht von Ihnen. Und auch Sie, Dr. Mallory, hatte ich für einen weitaus vernünftigeren Menschen gehalten!«

»Was wollte die Polizei genau?«, fragte Josephine aufgeschreckt.

»Hach, ein Inspektor aus Padua hatte sich bei mir nach Ihrem Verbleib erkundigt. Erst da habe ich übrigens Ihre Abwesenheit bemerkt. Ich habe erst heute Morgen erfahren, dass er über irgendjemanden von Ihrer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Österreich Wind bekommen haben muss. Woher er diese Information hat, weiß ich nicht. Wie konnten Sie auch nur nach dem Bragolin suchen, ohne mich vorab zu konsultieren?«

»Frau Doktor, es musste sein«, beteuerte Josephine, »wir hatten ernsthaften Grund anzunehmen, dass es innerhalb des Antenor-Museums einen Maulwurf gibt. Wer auch immer unser Gegenspieler ist, er war über jeden unserer Schritte unterrichtet.«

»Tja, dies dürfte in Zukunft dann wohl nicht mehr der Fall sein«, erwiderte die Alte schroff und drehte mit ihrem Rollstuhl um.

»Was meinen Sie damit?«

»Ich löse unseren Vertrag auf. Ihre Arbeit wird hier nicht länger benötigt, Dr. Mallory.«

»Das soll wohl ein Witz sein? Wir haben Ihnen gerade das Bild des trauernden Jungen beschafft, und Sie wollen die ganze Aktion nun beenden?«

»Meine Entscheidung ist gefallen, das Ganze ist außer Kontrolle geraten. Mir bleibt keine andere Wahl, denn auch meine Mittel sind beschränkt. Unser Projekt ist kein Geheimnis mehr, mehrere Menschen sind bei unserer Suche bereits gestorben, und die Polizei wird nicht lange brauchen, um einen Zusammenhang zwischen unserer Arbeit und diesen Vorfällen festzustellen. Man wird das Museum schließen und uns womöglich alle vor Gericht stellen; da hilft es auch nichts, wenn wir nun ein Gemälde mehr oder weniger haben. Deswegen entlasse ich Sie, Dr. Mallory. Falls Sie dieses Land noch schnell verlassen wollen, können Sie aus der Sache vielleicht noch irgendwie heil herauskommen …«

»Kommt nicht infrage«, erwiderte George. »Wir stehen nun kurz davor, die Suche abzuschließen, und werden sie nun nicht einfach abblasen … ich werde jetzt nicht aufgeben!«

»Ach ja? Haben Sie denn einen Hinweis, wo sich der letzte Bragolin befindet?« Auf diese herausfordernde Frage spürte George, wie seine innere Unruhe wuchs.

»Nicht direkt, aber …«

»Na sehen Sie? Was bringt es dann noch, weiter darüber zu debattieren?«, betonte Velmonte. »Wer auch immer das Exemplar von Seville besitzt, ist damit längst über alle Berge.«

Nun schaltete sich Josephine ein. »Bei allem gebührenden Respekt, Frau Doktor, aber wir haben eine Spur!«

»So? Na, da bin ich aber gespannt. Lassen Sie mal hören …«

»Lydia Seville … sie lebt, wir haben sie gesehen!« Dr. Velmonte hielt für einen Moment inne, als wäre sie zu einer Salzsäule erstarrt. Langsam drehte sie ihren Rollstuhl wieder in die Richtung der beiden. Ihre Finger hielten die verchromten Armstützen ihres Gefährts fest umklammert und schienen unkontrolliert zu zittern. Ihr Blick war nun noch entrückter, war aber immer noch auf Josephine gerichtet. Noch nie hatte sie ihre Chefin in einem derartigen Dämmerzustand gesehen. Ein ungewohnt harter Glanz lag in den Pupillen der alten Frau.

»Sie haben Lydia Seville wirklich gesehen?«

»Ja, es könnte sogar sein, dass sie hinter allem steckt! Das habe ich Ihnen eben zu verdeutlichen versucht. Unsere geheime Aktion verfolgte auch den Zweck, unseren finsteren Attentäter aus seinem Versteck zu locken. Es kann sich um niemanden aus unserer Organisation handeln. Es war eindeutig Lydia Seville. Sie verfolgte uns, wir versuchten sie zu stellen, aber sie ist entkommen …«

»Was natürlich offenlässt, woher sie wusste, dass wir nach Altaussee gefahren sind. Sie ist uns definitiv nicht dorthin gefolgt, sondern scheint sich in dem Dorf bereits aufgehalten zu haben, bevor wir eintrafen. Können Sie sich vielleicht einen Reim darauf machen?«

»Sie ist also noch am Leben, aber …« Dr. Velmonte schnitt sich selbst das Wort ab und ging gar nicht auf Georges Frage ein. Man sah, wie sie mit sich selbst rang. Die Ereignisse der letzten Tage hatten die alte Dame doch sehr mitgenommen, weswegen sie ihre Gedanken erst mal sortieren musste.

»Wir sind auch noch nicht ganz durchgestiegen«, fuhr Josephine fort. »Wenn sie ihren Mann getötet hat, warum hat sie das Gemälde erst so spät gestohlen? Als sie spurlos verschwand, hätte sie es problemlos mitgehen lassen können?«

»Die ganze Angelegenheit wird in der Tat immer verzwickter«, sinnierte Velmonte vor sich hin, »aber wir können nichts tun, solange uns die Polizei im Nacken sitzt. Ich kann leider nicht mehr für Ihren Schutz garantieren.«

»Vielleicht war alles aber auch nur ein Trick, um von sich selbst als Täterin abzulenken?«, warf George ein. »Sie täuschte eine Entführung vor, um ungehindert den Mord an ihrem Mann begehen zu können und sich des Bildes zu bemächtigen?«

»Sie hat ihren Mann umgebracht, um ein Gemälde zu stehlen, welches ihr ohnehin bereits gehörte?«, fragte Josephine sarkastisch.

»Vergiss nicht, von welchem Bild wir hier sprechen!«, sagte George. »Wer weiß, was sie damit vorhatte. Vielleicht war ihr Mann ein unnötiger Zeuge oder hatte etwas über ihre Absichten herausgefunden.«

Dr. Velmonte ging dazwischen. »Sie sind jetzt beide still! Es bringt nichts, hier wie ein Haufen aufgeschreckter Hühner rumzugackern. Es bleibt, wie ich gesagt habe: Sie ziehen sich aus dem Projekt zurück, und das ist mein letztes Wort!«

»Aber, Frau Doktor …«

»Keine Widerrede!«, unterbrach die Alte Josephine schroff. »Ich bin die Direktorin und habe hier das Sagen! Vielleicht hätte ich Sie beide schon früher mal daran erinnern sollen, wer hier eigentlich die ganze Operation leitet. Ich weiß nicht mehr, wie weit ich Ihnen noch trauen kann nach dieser Aktion. Natürlich sehe ich es gerne, dass uns nur noch ein Gemälde zur Vollendung der Galerie fehlt, aber das hätten wir gemeinsam bewerkstelligen müssen. Mein letztes Wort: Sie sind aus der Sache raus! Dr. Canino, wenn Sie noch einmal diese Insel ohne Absprache mit mir verlassen, werde ich bei der Polizei reinen Tisch machen. Ich rechne Ihnen Ihren Einsatz hoch an, aber dank Ihres Übermutes stehen wir nun entweder vor einem großen Triumph oder einer desaströsen Katastrophe.« Sie pausierte kurz und sah aus wie ein Vulkan, der verraucht war, als sie wieder das Wort ergriff. »Dr. Mallory, falls es Sie doch drängen sollte, Venedig zu verlassen, so lassen Sie es mich wissen. Ich werde alles veranlassen, damit Sie ohne viel Aufsehen zurück in die Vereinigten Staaten reisen können. Das wäre dann alles für heute. Gehen Sie nun!«

Ohne große Verabschiedung wollten beide den Cini-Palast verlassen, als Dr. Velmonte es sich noch einmal anders überlegte. »Dr. Mallory! Nein, so warten Sie noch. Ich würde gerne mit Ihnen noch etwas besprechen … unter vier Augen, wenn es genehm ist. Es dauert nicht lange. Wenn Sie kurz unten im Foyer warten würden, Dr. Canino?« George warf Josephine einen Blick zu, als ob sie ihm erst eine Freigabe dazu erteilen müsste. Sie nickte nur kurz und zog sich daraufhin zurück. George trat auf die Alte zu.

»Nun … was gibt es denn, was Sie noch mit mir besprechen wollen?«

»Es tut mir leid, ich hoffe, Dr. Canino wird es mir nicht übelnehmen, aber wenn Sie uns wirklich verlassen, könnte es das letzte Mal sein, dass wir miteinander reden, Dr. Mallory.«

»Nun sprechen Sie schon«, sagte er.

»Sie sagen, der Graf von Eisenstein hat sich das Leben genommen, und Lydia Seville sei Ihnen auf den Fersen?«

»Ja, bezweifeln Sie das?«

»Keineswegs. Ich habe verständlicherweise nur das Gefühl, dass Sie mir noch nicht alles erzählt haben. Vielleicht um Dr. Canino zu beschützen?«

»Wie meinen Sie das?« Dr. Velmontes Gesichtsausdruck wirkte nun leblos, als wäre er einem überbelichteten Foto entnommen worden.

»Sie können mich nicht belügen, Dr. Mallory«, sagte sie. »Auch ich kann Menschen lesen. Ich habe schon früh gelernt, die Mienenspiele meiner Mitmenschen zu studieren. Und ich habe gesehen, wie Sie Dr. Canino angeschaut haben. Das haben Sie schon öfter getan, aber nie mit diesem Blick.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte George dünnhäutig.

»Ich will nur wissen, ob da noch etwas vorgefallen ist bei Ihrer Reise. Denn wenn, so hätte ich ein Anrecht darauf, es zu wissen. Für den Fall, dass es zu einer Befragung durch die Polizei kommt, müssen wir untereinander offen und ehrlich sein, sonst verheddern wir uns in Widersprüche. Wir müssen uns auf eine gemeinsame Strategie festlegen. Also frage ich Sie jetzt noch einmal: Ist dort in Österreich noch irgendetwas vorgefallen, was Sie als wichtig genug erachten, dass es mir mitgeteilt werden sollte?« Ihre Frage mutete auf eine befremdliche Weise wie eine Anklage an, und hatte aufgrund ihrer ungemeinen Drohkulisse einen indexikalischen Charakter, ganz so als würde die Beantwortung eine komplette Analyse von Georges Persönlichkeit zulassen.

»Nein«, erwiderte dieser, ohne eine Miene zu verziehen, aber auch bemüht, nicht zu steif zu wirken. Dr. Velmonte durchforschte seinen Blick für einen Moment, wie jemand, der durch Wasser schaute, um auf dem dunklen Grund nach etwas zu suchen. Doch dann nahm sie ihre Augen von ihm und neigte den Kopf zur Seite.

»Na, schön, so soll es sein«, sagte sie und rollte etwas deprimiert auf ein Gemälde zu, das sich nicht in einer der vielen Glasvitrinen befand, sondern schutzlos an der Wand aufgehängt worden war. Es war keines der Bragolins, die hatte sie schließlich an einen sicheren Ort gebracht. Es passte aber auch nicht zur klassischen Renaissance-Sammlung der vormaligen Cini-Stiftung. Es war nicht mal ein Original, sondern der Abdruck eines Claude Monets, Kathedrale von Rouen, entstanden 1894. Der Titel sagte eigentlich alles, bloß dass das Gotteshaus nicht detailgetreu auf der Leinwand wiedergegeben wurde, sondern wie ein vielfarbiger Ölfleck im Ozean gestaltet war. Das Bild sah aus, als wären die Farben zerlaufen oder geschmolzen, um sich so gegen den gesunden Menschenverstand zu verschwören. Ein Generalangriff auf die Vernunft, wenn man so wollte.

»Ist Ihnen nicht gut?«, erkundigte sich George und näherte sich der Dame von hinten.

»Dieses Bild hat einmal meinem Mann gehört … in gewisser Weise. Er war kein großer Freund der Kunst, deswegen habe ich es ihm aufgeschwatzt«, sagte sie mit einem wehmütigen Lächeln.

»Sie hatten erwähnt, dass es einst Ihr Mann gewesen sei, der Sie auf die Bragolins aufmerksam gemacht habe?«

»Nun ja, er kannte sich in der Kunst nicht so gut aus wie ich. Aber er sammelte sie aufgrund ihres Wertes. Er war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, müssen Sie wissen, und er glaubte einfach, dass es sich für einen Mann seines Standes gezieme, wertvolle Kunstgegenstände um sich zu scharen. Ihm ging es nicht um die Kunst, sondern nur um das Prestige. Aber ich will mich nicht beschweren. Ohne ihn wäre ich nicht das, was ich heute bin. Ich verdanke ihm all mein Glück. Privat wie beruflich.«

»Und was hat es dann mit diesem Bild auf sich?«

»Es ist eines meiner Lieblingsbilder. Für mich stellt es eine chimärenhafte Vermischung dar. Normalität trifft auf Grenzüberschreitung. Klingt ziemlich hochgestochen, nicht? Das ist nun mal die Kunsthistorikerin in mir. Aber die Carla Velmonte in mir sieht darin auch noch etwas anderes. Es erinnert mich einfach an vieles aus meinem Leben, selbst wenn Sie es darin nicht sehen können. So ist es eben nun einmal in der Malerei … aber vermutlich auch in allen anderen Aspekten des Lebens.«

»Und was sehen Sie in dieser Kathedrale?«

»Es ist nicht direkt die Kathedrale, es ist das Zusammenspiel der Farben. Ich sehe darin die Olivenfelder in Kalabrien. Dort stamme ich nämlich ursprünglich her. Ich erinnere mich noch sehr gut an unsere Heimat. Diese Oliven sind nicht mit den heutigen Dingern aus den Supermärkten zu vergleichen. Wenn Sie diese Oliven gepflückt und mit nach Hause gebracht haben, dann duftete Ihr ganzes Heim danach.«

»Was hat Sie hierher verschlagen?«

»Die Antwort mag etwas antiquiert klingen, aber leider war es der Krieg. Denn meine Eltern wurden von den Faschisten zum Arbeitseinsatz nach Norditalien herangezogen. Dort warteten bereits die Deutschen auf uns. Sie setzten meinen Vater und meine Mutter einfach an ein Fließband im Walzwerk und sagten: Anfangen! Entweder man gehorchte, oder es gab keine Bezugsscheine und Essensmarken … oder Schlimmeres. Daher waren wir heilfroh, als wir hörten, dass die Amerikaner anrückten, um den Duce zusammen mit den Fritzen davonzujagen. Doch leider mussten wir feststellen, dass es weder Hakenkreuz noch Hammer und Sichel benötigte, um den Glauben an das Gute zu brechen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Meine Eltern mussten sich zwar nicht mehr für den großen Endsieg und ein italienisches Imperium in der Fabrik kaputtschuften, aber die Freude über die Freiheit war dennoch nur von kurzer Dauer. Wir mussten oft umziehen, nirgendwo gab es Arbeit, und ich hatte Hunger bis unter die Arme. Eines Tages kamen wir in einem Flüchtlingslager unter, welches von den Amerikanern kontrolliert wurde. Offiziell war es kostenlos, aber die Soldaten verlangten den Sold in ihrer ganz eigenen Währung. Viele junge Frauen mussten dran glauben, und eines Tages griffen sie mich und meine Mutter auf, als wir versuchten, auf dem Feld noch ein paar Kartoffeln auszugraben. Diese Männer sind über uns hergefallen, alles Flehen und Bitten meines Vaters schien sie nur noch mehr anzufeuern. Oft habe ich mich gefragt, für wen es schlimmer war: für die Frauen, die es über sich ergehen lassen mussten, oder die Männer, die tatenlos zuschauen mussten …«

George spürte, wie sein Anzug immer enger wurde.

»Das tut mir leid«, sagte er. Was sollte er auch anderes sagen?

»Das muss es nicht. Es liegt schon sehr lange zurück, und wie Sie als Psychologe sicher wissen, beschönigt man im Alter immer die Vergangenheit. Selbst die dunklen Kapitel erstrahlen fast schon auf beschämende Weise in einem neuen Licht. Ich will das Verhalten der Männer in keiner Weise entschuldigen, denn sie sind bestimmt schon tot oder noch ältere Greise, als ich es jetzt schon bin. Aber mittlerweile glaube ich, dass auch sie in gewisser Weise Opfer waren. Im Krieg wird jeder Mensch ein ganz anderer, die dunklen Kräfte nehmen dann Platz in unseren Köpfen ein … aber auf der anderen Seite«, setzte sie an und legte ein sonniges Lächeln auf, »ich war damals auch nicht ganz ohne. Oh, Sie hätten mich sehen sollen, was für eine Augenweide ich war. Ich war ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Die Bekanntschaft mit hilfsbereiten Männern half mir irgendwann, das Geschehene zu verdauen, aber erst als ich meinen Mann kennenlernte, habe ich wieder begonnen, Männern ganz zu vertrauen. Schlimmer war es für meine Mutter, sie starb kurz nach dieser schrecklichen Tat. Es war für mich und meinen Vater sehr schwer durchzukommen.«

»Sie genießen meinen Respekt, Dr. Velmonte.«

»Ach was … viele mussten damals lernen zu überleben. Jeder tat es auf seine Weise. Was ist mit Ihnen, Dr. Mallory. Ihr Vater war nach allem, was ich gehört habe, selbst Soldat im Krieg?«

»So ist es. Mein Vater nahm mich und meine Mutter einmal im Urlaub mit, und wir besuchten die alten Schlachtfelder. Darunter waren auch Städte in Italien … und eben Venedig. Ich hätte nie gedacht, dass mich mein Weg noch einmal hierher führt … und dann unter so dunklen Vorzeichen …«

Die Worte bewirkten ein unangenehmes Schweigen. Ein wenig beschämt wich jeder dem Blicken des jeweils anderen aus. Schließlich ergriff Dr. Velmonte wieder das Wort.

»Nun ja, vielleicht wird die ganze Sache bald ihr Ende finden. Jetzt haben wir doch so lange geredet und Dr. Canino vollkommen vergessen. Gehen Sie schnell zu ihr, aber vergessen Sie nicht. Sie werden diese Insel nicht noch einmal ohne meine ausdrückliche Erlaubnis verlassen, haben wir uns verstanden?«

»Ja, Ma’am, wie Sie wünschen«, erwiderte George und zog sich zurück.

Als er mit Josephine den Palast verließ und über die Brücke des Rio de San Vio trat, herrschte nur noch wenig Trubel. Die meisten Einwohner und Touristen waren in die Bars und Klubs der Stadt entschwunden. Der Sternenhimmel spiegelte sich auf der schummrigen Wasseroberfläche wider wie frisch poliertes Wechselgeld. Von der Promenade schimmerten ihnen die verwischten Lichter des Weihnachtsmarktes entgegen, an dem es Gebäck und gebratene Mandeln zu erstehen gab. Nur die Santa Maria della Salute war auffallend hell beleuchtet. Die Rundform der massiven Votivkirche lockerte die benachbarten Bauten aufgrund ihrer überhöhten Spiralreihen ein wenig auf und verlieh ihr – trotz der immensen Größe – eine kreiselnde Bewegung. Doch von der See zog bereits ein dichter Nebel auf, der sich auch über das Haupt des Kirchenbaus ausbreitete. Es schien, als ob die Kälte aus den Bergen George und Josephine ins italienische Flachland gefolgt sei. Ihr kondensierter Atem stieg wie Dampfsäulen vor ihnen auf.

»Glaubst du, dass es stimmt? Was Dr. Velmonte über die Polizei gesagt hat?«, fragte George.

»Was meinst du?«

»Vielleicht war es die undichte Stelle im Antenor-Museum, welche der Polizei einen Tipp gegeben hat? Von wem hätte dieser Orlando es sonst erfahren können?«

»Das weiß ich nicht, aber mir gefällt das alles nicht. Wir kämpfen gegen einen Feind, der sich uns noch nicht zu erkennen gegeben hat. Venedig ist nicht mehr sicher und wir können hier nicht mehr weg. Aber ich werde zumindest mein Hotel wechseln.«

»Weiß denn Amanda schon von ihrem Glück?«

»Amanda und ich werden schon bald getrennte Wege gehen«, erwiderte sie fahrig.

»Wie bitte?«

»Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit.«

»Meinungsverschiedenheit? Wie darf ich das auffassen?«

»Bitte! Ich möchte da jetzt nicht drüber sprechen«

»Schon gut. Aber warte erst mal ab, es ist gerade eine schwierige Zeit für uns alle. Wenn die ganze Scheiße hier vorbei ist, wird sich das zwischen dir und Amanda schon wieder einrenken.«

»Wenn die Sache vorbei ist?«, fragte sie ein wenig ungläubig. »Was glaubst du, können wir tun, um diese Sache zu beenden? Wir haben Dr. Velmonte ein weiteres Gemälde überreicht. Die Sammlung ist nun fast vollständig, uns fehlt nur noch ein Exemplar, das Bild des trauernden Mädchens. Aber wie sollen wir es finden? Dr. Velmonte hat recht, wir stehen bereits mit einem Bein im Gefängnis …«

»Es ist das Exemplar, welches Seville gehörte. Wir können mit gutem Recht annehmen, dass seine Frau Lydia es besitzt. Finden wir sie, dann finden wir auch das letzte Bild. Das hattest du doch eben erst ganz ähnlich geschildert«, sann George laut nach.

»Ja, aber es gibt ein Problem. Wo sollen wir nach ihr suchen?«

»Vielleicht lassen wir sie einfach zu uns kommen. Es hat doch bereits so gut in Altaussee geklappt.«

»Und wie sollen wir das anstellen?«

»Das weiß ich noch nicht«, seufzte George.

»Wir wissen nicht mal, ob sie sich hier in Venedig aufhält? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns noch einmal gefolgt ist.«

»Doch! Wir wissen, wo sie jetzt steckt«, erwiderte George und klang fest überzeugt von seinen Worten. »Irgendwo da draußen befindet sich die Mörderin von Franchot Seville. Irgendwo da draußen befindet sich … Lydia Seville. Ich bin mir sicher, dass sie sich hier in Venedig aufhält. Es ist fast zum Greifen nahe. Verdammt, diese Stadt ist nicht so groß, dass sich jemand hier lange vor uns verstecken könnte. Vielleicht haben wir die Lösung schon längst vor Augen gehabt, aber nicht bemerkt. Sie versteckt sich hinter dem Namen Samaghul, und sie hat Poincaré beauftragt. Sie hat auch den Briefkasten in diesem Haus genutzt, um …«

»Was ist?«, fragte Josephine, denn Georges Worte plätscherten plötzlich ins Leere. Er hatte eindeutig einen Geistesblitz.

»Das Haus … das Bragolin-Haus. Natürlich! Wir müssen da noch mal hin!«

»Was? Wieso?«

»Ich glaube, wir haben unsere Spur!«, polterte er drauf los.

»Kannst du dich vielleicht deutlicher ausdrücken?«

»Keine Zeit, wir müssen aufbrechen!«

»Was? Jetzt? Um diese Uhrzeit? Du spinnst!«

»Wir dürfen keine Zeit mehr verstreichen lassen!«, beharrte er.

»George, weißt du, wie spät es ist? Vielleicht hast du es schon vergessen, aber wir haben heute und gestern jeweils sieben Stunden im Auto verbracht. Wir haben uns durch die Wälder geschlagen, waren in einer Gruft, und ein Mann hat sich vor unseren Augen auf grausame Weise das Leben genommen. Ich habe die Nacht kaum geschlafen, weil ich gespürt habe, dass irgendetwas uns verfolgt. Und vor ein paar Stunden wären wir fast von einem Laster überrollt worden. Ich glaube, das war genug Action in den letzten vierundzwanzig Stunden. Denkst du nicht, dass unter Anbetracht der Umstände eine ausgewogene Nachtruhe angebracht ist, um morgen erfrischt und gestärkt deinem Verdacht nachzugehen?«

George widmete ihr seine volle Konzentration. Dann nahm er sie in den Arm und zog sie an sich heran. »Hör zu«, sagte er leise, »jede Sekunde ist kostbar. Es war schon ein Fehler, dass ich mich nach unserem Ausflug nach Salamanca nicht gleich nach Montségur aufgemacht habe, sondern noch fast eine Woche gewartet habe – ebenso unsere Waffenruhe bis wir nach Altaussee aufgebrochen sind. Lydia Seville arbeitet gegen uns, und wir dürfen unserer Gegnerin nicht wieder eine Atempause gönnen. Sollen wir etwa den entscheidenden Hinweis erst in ein paar Tagen abholen, wenn uns danach ist? Und was, wenn es dann zu spät ist?«

»Was glaubst du denn in dem Haus noch zu finden?«

»Das weiß ich noch nicht genau. Ich habe eine vage Vermutung. Es gilt herauszufinden, ob sie sich bestätigt. Also, bist du dabei?«

»Ach, George … ich bin wirklich müde …«

»Das heißt für mich Ja. Gehen wir!«, sagte er, griff Josephine am Ärmel und schritt mir ihr gemeinsam die Calle Nuova Sant’Agnese hinunter auf direkten Weg zum Bragolin-Haus. Sie machte keine Anstalten, sich dagegen zu wehren.

Venedig, Italien – fünf nach neun abends

Seit ihrem Aufbruch vom Cini-Palast hatte der Nebel sich bereits verdichtet und war so stickig geworden, wie man es aus diesen alten Sherlock-Holmes-Filmen kannte, die im viktorianischen London um die Jahrhundertwende spielten. Die Wolkendecke war nun suppig verhangen, und von den Sternen war nichts mehr zu sehen, als beide das Haus an der Calle dei Turchette aufsuchten und sich erneut über die Hintertür Zutritt verschafften. Das Schloss war noch immer aufgebrochen. Niemand hatte es ausgewechselt, und es sah nicht so aus, als wäre seit ihrem letzten Eintritt jemand hier gewesen. Leider hatten sie ihren Plan nicht umsetzen können, in der Gasse oder in dem Haus eine Wache aufzustellen, die dem Samaghul hätte auflauern können. Sie hätten ein ganzes Team von vertrauenswürdigen und fähigen Leuten aufstellen müssen, die sich wie im Schichtbetrieb hätten abwechseln müssen. Gleichzeitig hätte man diese Leute einer großen Gefahr ausgesetzt, denn bei einer Entdeckung wäre es zu einer direkten Konfrontation mit dem tanzenden Teufel gekommen. Doch bei ihrer Vorbereitung nach Altaussee hatten George und Josephine gar nicht die Zeit dazu gehabt, solch ein Unterfangen aufzuziehen. Zudem hatten sie es als wichtiger erachtet, dass der Kreis von Mitwissern nicht noch größer werden durfte. Dies wäre aber bei der Aufstellung von einem Team aus Spähern unumgänglich gewesen – man hätte noch mehr Menschen in das Projekt miteinbezogen und womöglich hätte sich darunter sogar der Maulwurf befunden. Da aber alles darauf hinwies, dass seit ihrem letzten Besuch ohnehin niemand mehr dieses Gemäuer betreten hatte, glaubten George und Josephine wenigstens einmal die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Zögernd illuminierten sie mit den Taschenlampen die Inneneinrichtung und kamen zu der Falltür, die in den Keller hinabführte. Ein wenig unwohl war ihnen schon, weil sie diesmal wussten, was dort unten auf sie wartete.

»Und du bist dir sicher, dass du da noch mal reinwillst?«, fragte Josephine.

»Es muss sein«, erwiderte George kurz angebunden.

»Was glaubst du denn da unten zu finden?«

»Ich hatte dich doch auf dem Weg hierher gefragt, ob du die letzten Aufzeichnungen des Grafen von Eisenstein dabeihast?«

»Ja, und?«

»Jetzt ist es an der Zeit, die Blätter noch einmal hervorzuholen. Würdest du den letzten Absatz bitte noch einmal für mich übersetzen?« Ein wenig verunsichert, aber ohne jedes weitere Wort kramte Josephine das Konvolut unter ihrer Jacke hervor. Sie hielt die Taschenlampe vor die Blätter, pickte jene Stelle heraus und las mit dünner Stimme vor. Sie machte nach fast jedem Satz eine Pause, als befürchtete sie, dass die Schriften des Grafen zum Leben erwachen und sich auf sie stürzen könnten. Der eiskalte Ton der Worte schnürte ihr beim Vortragen die Brust zu.

Er ist das nächste Opfer Bragolins. Ich habe es nie geschafft, seinen Bann zu brechen, und betrachte es mittlerweile auch als unmöglich. Die Spur, die ich aufgenommen habe, endete dort, wo die Frau auf dem Berge vom Blitz niedergeworfen wurde. Doch die Spur war bereits kalt, und auch die einzige Frau, der ich zutraute, stark genug zu sein, um diese Kräfte zu durchbrechen, konnte mir nicht helfen. Eine dunkle Mauer hat mir den Zutritt verwehrt, und ich wagte es nicht, das Antlitz des gehörnten Gottes zu schänden, obgleich ich wusste, dass sich ein tieferer Sinn dahinter verbarg. Ich sah das Grauen. Sie haben das Grauen gesucht, es aber nicht gefunden. Es war noch zu früh, aber es wird sich ihnen offenbaren. Sie werden es spüren, wenn die Wand zwischen ihnen und dem Meister fällt. Sie werden sehen, was dahinter verborgen liegt. Aber wenn sie es sehen, so wird es schon zu spät sein. Das Dunkel hat bereits nach ihnen gegriffen und formt für sie ein neues Sein.

Josephine faltete das Schreiben wieder zusammen und reichte es George. Er schien es nur widerwillig anzunehmen.

»Eisenstein«, flüsterte sie. »Aber wie soll uns das helfen? Welche Frau meint er? Lydia?« George reagierte nicht. »Inwiefern kann uns das helfen?«

George sagte immer noch nichts, sondern öffnete urplötzlich die Falltür und schritt die Treppe hinab. Josephine folgte ihm nur zögerlich. Wenigstens half ihr das Adrenalin, ein wenig klarer zu denken, wo sie zuvor doch so müde gewesen war. Der Keller war seit ihrem letzten Besuch völlig unverändert. Das Wandregal war verschoben, und die Tapete lag abgekratzt auf dem Boden. Aber nichts war trügerischer als das Offensichtliche, und in den letzten Wochen hatten sich die Grenzen des Unmöglichen ziemlich weit Richtung Unendlichkeit verschoben. Beide wussten, was sie erwartete, und dennoch erfüllte sie der Anblick mit Schauer. Das Abbild des Baphomet, der geflügelte Dämon, der gehörnte Götze, der Anti-Gott. Langsam löste sich George aus seiner Starre und legte die eingeschaltete Taschenlampe auf einer der vielen Kisten ab. Josephine musterte seine Bewegungen wie eine Medizinstudentin, die anhand eines Skeletts auf die Anatomie eines Menschen schließen wollte. George hatte sichtlich Angst, aber das wieder erstaunlich stabile Haus seiner Seele ließ nicht zu, dass die Haustür aufgerissen wurde. Egal wie stark ihn die Furcht beschlich, hier war noch etwas anderes am Werke. Seine Gefühle mussten wie ein Fußball sein, den man unter Wasser drückte. Egal wie stark man es probierte, irgendwann würde er seine Absicht, wieder an die Oberfläche zu schnellen, umsetzen. Nun war dieser Punkt gekommen. Er näherte sich der Kreidezeichnung, ganz langsam, ganz vorsichtig.

Sanft fuhr er mit seiner linken Hand über das alte Mauerwerk, seine Finger waren mittlerweile ganz klamm. Dann stemmte er beide Hände kräftiger gegen die Wand, als wollte er einen geheimen Zugang freisetzen. Kurz darauf nahm er wieder Abstand von der Zeichnung und schritt plötzlich hastig von einer Ecke des muffigen Kellerraums zur anderen. Er suchte etwas. Er kramte in den Kisten, als hoffte er dort irgendwelche Antworten zu finden.

»Was suchst du?«, fragte sie. George aber antwortete nicht, sondern kramte weiter zwischen, hinter und in den Kartons. Mit einem Mal zog er einen klumpigen Gegenstand aus dem Gerümpel hervor. Mit einem großen Hammer in der Hand stürmte er plötzlich auf die Wand zu und schlug mit voller Kraft gegen das poröse Mauerwerk. Josephine schrie auf, aber das hielt George nicht davon ab, noch kräftiger auf die Wand einzuhämmern. Wie unter Steroiden wuchtete er das Werkzeug und seine gesamte Manneskraft gegen den Wall. Und noch einmal holte er aus und schlug zu. Holte aus, schlug zu! Holte aus, schlug zu! Holte aus – und das alte Mauerwerk gab letztendlich nach. Der Mörtel bröselte, die Backsteine bröckelten. Noch ein paar Schläge, und mit jedem Hieb fiel die Wand mehr in sich zusammen.

Keuchend ließ er den Hammer sinken. Dort, wo eben noch das grausige Antlitz Baphomets geprangt hatte, war nun ein finsterer Durchlass, der in eine noch weitaus tiefere Finsternis mündete. Der aufgewirbelte Staub regnete ihnen wie Asche aufs Haupt und auf die Schultern. Unschlüssig blieben beide vor dem Durchgang stehen, unfähig, einen rationalen Gedanken fassen zu können.

In George stieg eine Angst auf, die Übelkeit in ihm weckte. Sein Verdacht hatte sich zwar bestätigt, aber als die Mauer nachgab, hatte er auch das Gefühl, dass gleichzeitig in seinem Innern ein Mauerwerk zerschlagen worden war.

»Was ist das? Ich meine, was ist da?«, fragte Josephine.

»Ich weiß es nicht.«

»Aber du wusstest, dass hinter dieser Zeichnung ein Durchgang war?«

»Ja.«

»Woher?«

Er blickte sie ungläubig an. »Woher wusstest du damals, dass es hier einen Keller gibt, dessen Zugang unter dem Sofa versteckt lag?«, fragte er zurück. Josephine antwortete nicht. George nahm ihr Schweigen zum Anlass, nach seiner Taschenlampe zu greifen und ins Innere des Durchlasses zu leuchten. Hinter der freigelegten Mauer lag ein Raum. Keine Lagune, kein zufälliger Hohlraum – nein, es war ein Zimmer! Ein Zimmer, das man dort versteckt hatte. Stück für Stück wurde das Gemäuer vom Punktstrahl der Taschenlampe erkundet. Bereits im milchigen Lichtpegel waren Möbel und Schränke zu erhaschen gewesen. George pirschte sich vorsichtig heran und sondierte die Lage. Das Blut in seinen Schläfen hämmerte mit jeder Sekunde mehr.

Der Raum, den er vorfand, sah aus wie … ein Kinderzimmer. Die Tapete war abgewetzt und angeschimmelt, der Boden morsch und feucht. Sie durften nicht zu lange hier unten verweilen, womöglich flogen feine Pilzschwaden durch die Luft, die den Weg in ihre Lungen finden könnten. Aber etwas erregte Georges Aufmerksamkeit. An den Wänden fanden sich Kreidezeichnungen, das meiste davon Gekrakel wie aus dem Kindergarten – keine diabolischen Symbole wie das Siegel Baphomets. Dafür entdeckte er zwischen den Kritzeleien Handabdrücke, als hätte ein Kind seine Pfoten in Fingerfarbe getaucht und sich dann an der Wand verewigt. Ein schmaler Tisch stand in der Mitte des Raumes sowie zwei Regalschränke an der Wand, in den Ecken lagen Spielsachen wie Bauklötze, Puzzles und Puppen. Und diese Puppen hatten etwas sehr Beunruhigendes an sich. Es waren nicht einfach nur liebenswerte Spielzeuge mit skurrilen Perücken, sondern dunkle Geschöpfe aus fahlen Stoffresten, Pappmaché und Porzellan. Diese kindlich-naiv anmutenden Halb-Menschen waren reglose, stumme Zeugen, deren Augen Szenen eines teuflischen Dramas verfolgt hatten. Unaussprechliche Verbrechen, die andere Zeugen aus Zeit und Erinnerung unlängst gelöscht hatten. Die eingefallene Kleidung der Puppen, mit ihren Säumen und Häkelspitzen, hatte bereits jegliche Farbe eingebüßt. Die Haare waren noch frisiert, aber verdreckt und strubbelig. Netzhäute aus Glas auf bleichen Gesichtern, starrten auf eine leere Leinwand. Eine Leinwand auf einer einsamen Staffelei. Unbefleckt und unbenutzt. Josephine hatte mittlerweile ebenfalls das Zimmer betreten und stöberte sogleich in den Schränken. Darin lag zwischen mehreren Konservengläsern und anderem Krempel ein kleines, zusammengebundenes Büchlein. Ganz behutsam griff sie nach dem kleinen Band und wagte einen Blick hinein.

George untersuchte derweil die Wände und fuhr die kleinen Handabdrücke entlang, wobei seine Pranken im Kontrast zu diesen kleinen Kinderhänden geradezu riesig wirkten. Er spürte, wie die Kälte des Gesteins seinen Arm hinaufkroch und sich langsam, aber gefährlich den Weg zu seinem Herzen bahnte. Sein Magen krampfte sich zusammen, und er musste aufstoßen. Augenblicklich hatte er einen bitteren Geschmack im Mund. Welche Fingerfarbe hielt sich in solch feuchter Umgebung so lange? Sollte das …? War das Blut?

Plötzlich ertönte ein gellender Schrei. Josephine stolperte von einem der Schränke zurück. Ein Husten übermannte sie, ihr Körper bebte und fühlte sich mit einem Schlag an, als wäre er bereits durch viele Winter verbraucht worden. George drehte sich halb um seine eigene Achse und leuchtete in Richtung der Schränke. Seine Aufmerksamkeit wurde auf die Konservengläser gelenkt, die auf einer der Ablagen im Regal ungeordnet aufgereiht waren. Sie waren verkrustet und verdreckt, aber als George näher trat und aufmerksam durch die Verspiegelung blinzelte, blieb sein Herz fast stehen. In einem der Gläser hatte jemand Augen aufbewahrt. Nackte, aus den Höhlen herausgeschnittene menschliche Augäpfel. Sie waren bereits schwarz verschrumpelt, verwest, aber in ihrer schleimigen Gelatine gerade noch als Sehorgane zu identifizieren, weil man die Nervenstränge erkennen konnte, die wie qualvoll verendete Regenwürmer aussahen. Gerade als George glaubte, dass er sich übergeben müsste, überschlugen sich die Ereignisse.

Von oben drang ein Geräusch herab. Und dann noch eins und noch eins. Jemand war über ihnen, eine Person schritt über die Diele und steuerte genau auf die Öffnung des Kellers zu. Waren sie in eine Falle getappt? Beide hielten den Atem an, aber es war zu spät. Durch den Durchlass sahen sie, wie ein Lichtschein in den Kellerraum drang. Wer auch immer das war, er leuchtete mit seiner Taschenlampe die Treppe hinab. Ein lautes Knarzen, darauf ein Knirschen. Die Person machte die ersten Schritte auf den Stufen, die zu ihnen führten.

»Dr. Mallory? Dr. Canino?«, sprach die Stimme auf einmal. Es hörte sich nach einer gurgelnden, unsteten Stimme an, als hätte die Person einen Schleimbrocken im Hals stecken. Irgendwo hatten sie diese Stimme schon einmal gehört. »Dr. Mallory? Sind Sie das? Verstecken Sie sich nicht, ich weiß, dass Sie es sind. Und jetzt ist das Spiel aus!«

»Ich kenne diese Stimme«, flüsterte Josephine, »und ich verfluche den Tag, an dem ich sie das erste Mal gehört habe!«

»Lassen Sie das Versteckspiel, und kommen Sie mit erhobenen Händen raus!«

»Es hat keinen Sinn, sich hier tot zu stellen. Er weiß, dass wir hier sind«, sagte George. Josephine war unschlüssig, was sie erwidern sollte, aber George zog sie geistesgegenwärtig aus dem versteckten Raum, während die Person bereits langsam in den Keller hinabstieg.

»Inspektor Orlando!«, rief George.

»Ganz recht«, knurrte der Beamte. »Oh, und Ihre Kollegin ist auch dabei. Ich habe mir schon gedacht, dass ich zumindest einen von Ihnen hier treffen werde.«

»Sind Sie so spät noch auf Streife?«

»Heute nicht, aber als Polizist ist man zu jeder Zeit im Dienst«, erwiderte Orlando. Noch schien er in der totalen Finsternis, welche nur durch die Lichtpegel der drei Taschenlampen punktuell erhellt wurde, den Durchbruch in der Wand nicht bemerkt zu haben.

»Was haben Sie hier zu suchen?«, fragte Josephine.

»Das sollte ich besser Sie fragen. Immerhin ist dies nicht Ihr Haus, wenn ich recht informiert bin. Einbruch ist ein Verbrechen, falls Sie da noch nicht auf dem neusten Stand sind. Die Tür war aufgebrochen.«

»Dennoch schienen Sie nicht ganz überrascht zu sein, uns hier zu finden?«, warf Josephine ein, allerdings mit weitaus weniger Selbstsicherheit, als sie vorgehabt hatte.

»Es gab nicht viele Möglichkeiten, wo Sie sich herumtreiben konnten, nachdem Sie beide weder in Ihren Hotels noch im Antenor-Museum anzutreffen waren. Aber über den Pressesprecher Ihrer Chefin, einen gewissen Signor Lubic, wurde mir mitgeteilt, dass Sie seit heute wieder in Venedig seien. Ich hatte Sie sehr vermisst während Ihrer kleinen Spritztour nach Österreich. Also dachte ich mir, dass Sie vielleicht genau den Ort aufsuchen werden, den ich bereits Dr. Canino in unserem letzten Gespräch als Tatort genannt hatte. Sie schienen daran ja sehr interessiert zu sein. Und was haben wir hier?« Er leuchtete mit seiner Lampe die Umgebung ab und erspähte nun den Durchbruch.

»Was haben Sie getan? Ich fasse es nicht!«, sagte er, als er das Ausmaß der Zerstörung erkannte.

»Wir können alles erklären«, versicherte Josephine. »Wir sind im Auftrag des Museums hier.«

»Glaube ich Ihnen aufs Wort«, blaffte er sie an und trat ein. »Was ist das hier alles?«

»Fassen Sie nichts an!«, warnte George ihn, aber der Schnüffler schaute sich bereits um, lenkte die Glühbirne seines Strahlers in alle Richtungen, um sich ein Gesamtbild von dem Schrecken zu machen. Dann fiel sein Blick auf die Gläser im Regal.

»Jesus Maria im Himmel!«, rief er. »Sie sind ja krank!«

»Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir etwas damit zu tun haben?«, rief George.

»Raus! Raus mit Ihnen. Alle beide!«, befahl er.

»Was ist los?«

»Raus mit Ihnen aus diesem Verlies! Wird’s bald!«

George und Josephine taten wie geheißen. »Dieser Raum … dieser Keller ist von nun an auch offiziell ein Tatort. Es ist Ihnen hiermit ausdrücklich verboten, dieses Haus noch einmal zu betreten.«

»Aber was …«, wollte George gerade ansetzen, da zog Orlando seine Waffe.

»Was tun Sie da?«

»Sie stecken jetzt richtig tief in der Scheiße. Los, die Treppe rauf!« Ohne ein Widerwort folgten sie seinem Befehl.

»Hören Sie, wir haben diesen Raum eben erst ausfindig gemacht. Was auch immer dort zu finden ist, wir …«

»Halten Sie Ihr verdammtes Maul!«, herrschte Orlando sie an.

»Wir haben damit nichts zu tun«, wiederholte Josephine fast flehend.

»Das können Sie dem Haftrichter erklären. Ich nehme Sie vorläufig in Untersuchungshaft.«

»Was? Sie können uns nicht festnehmen!«, entfuhr es Josephine urplötzlich. Selbst George war von ihrem Vorpreschen überrascht.

»So? Und warum nicht?«

»Sie haben hier keine Befugnis. Sie arbeiten in Padua. Venedig liegt außerhalb Ihres Zuständigkeitsbereichs. Ohne Gefahr in Verzug haben Sie keine Handhabe gegen uns und dürften eigentlich auch keinen Tatort in dieser Gegend abriegeln.«

Orlando verzog sein steinernes Gesicht. Statt wütend zu werden, setzte er ein abfälliges Lächeln auf und schmunzelte verstohlen. Äußerlich wirkte er gefasst, aber seine Augen verrieten, dass er Josephine am liebsten seine Waffe ins Gesicht gerammt hätte.

»Hm, Sie sind ja so klug und gewieft, Dr. Canino«, höhnte er, »natürlich haben Sie recht. Aber den nötigen Haftbefehl werde ich über die Kollegen schon bald kriegen. Wahrscheinlich schon morgen, spätestens in ein paar Tagen werden die Kollegen vor Ihrer Tür stehen und Sie in U-Haft setzen. Ich habe Sie darüber informiert, und es ist Ihnen nun noch einmal ausdrücklich verboten, Venedig zu verlassen. Schon bald werden auch die Meldungen aus Salamanca die Beamten hier erreichen. Und ich werde alle nötigen Schritte einleiten, um herauszufinden, was Sie in Österreich getrieben haben. Auf jeden Fall haben wir jetzt schon genug Indizien, um Sie für eine gewisse Zeit hinter Gitter zu bringen.«

»Haben Sie schon mit Dr. Velmonte gesprochen? Wir haben nichts Kriminelles getan, sondern nur im Namen des Antenor-Museums gehandelt«, entgegnete George.

»Das interessiert mich nicht. Ich habe Ihnen beiden auch noch geholfen, Ihnen immer wieder Chancen eingeräumt, die Sache klarzustellen, und Sie haben es vergeigt. Jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht!«

»Sprechen Sie mit Dr. Velmonte, sie wird Ihnen alles erklären können.«

»Das bezweifle ich.«

»Wir waren erst vorhin bei ihr. Wir hatten den dringenden Verdacht, dass es hier eine weitere Spur gibt, die uns zu den Bragolins führt«, beschwörte Josephine ihn.

Bei diesen Worten trat ein beunruhigendes Funkeln in Orlandos Augen. »So, Sie waren also vorhin erst bei Dr. Velmonte? Wann genau war das?«

»Vor weniger als drei Stunden. Warum?«, fragte George.

»Dr. Canino, Sie kannten Dr. Velmonte deutlich länger. Sagen Sie mir, war die gute Dame auch eine Freundin von Ihnen oder nur eine Chefin?«

»Sie war sogar eine sehr gute Freundin. Eine Förderin, Philanthropin und charismatische Persönlichkeit. Warum fragen Sie?«

»Nun …« Er machte eine Pause, um seinen nachfolgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen. »… weil dann das, was ich Ihnen jetzt zu berichten habe und weswegen ich eigentlich hierhergekommen bin, Sie sehr erschüttern wird«, sagte er auffallend angespannt. Während er sprach, steckte er seine Waffe wieder zurück in den Holster.

»Ich verstehe nicht …«, sagte Josephine.

»Das werden Sie gleich. Denn es dürfte Sie schmerzlich treffen, zu erfahren, dass Dr. Velmonte tot ist.«

Nun wurden beide gleichzeitig von Übelkeit übermannt. Ein kalter Schlag traf sie direkt in die Magengrube. Vor allem Josephine fuhr der Schock in die Knochen.

»Was? Wie? Wann?«, stammelte sie.

»Vor einer Stunde erfuhr ich davon. Wir wissen noch nicht, ob es sich um Mord handelt, aber sie starb bei einem Feuer. Jemand hat ihr Arbeitszimmer in Brand gesteckt …vielleicht um etwaige Beweise zu vernichten. Dr. Velmonte verbrannte bei lebendigem Leibe.«

»Ich verstehe nicht …«

»Das ist sehr schade. Denn, da Sie anscheinend die letzten Personen waren, die bei ihr waren, hatte ich gehofft, dass Sie es mir sagen können. Sie beide sind hiermit offiziell die Hauptverdächtigen!«

Venedig, Italien – kurz vor elf in der Nacht

Velmonte war tot. Josephine hatte es immer noch nicht verdaut, obwohl sie mit George noch mal den Cini-Palast aufgesucht hatte. Das Gebäude war in der Tat bereits abgesperrt, zwei Fenster im oberen Stockwerk zerstört, die Scheiben zersplittert, das Büro komplett ausgebrannt. Ansonsten schien der Palazzo keine weiteren Zerstörungen erlitten zu haben, da recht schnell die Feuerwehr alarmiert werden konnte. Die ersten Meldungen bekundeten, dass keine Kunstgegenstände beschädigt wurden. Der eigentliche Verlust war der Tod der Hausherrin. Dr. Carla Velmonte … ermordet? Die venezianische Polizei gab natürlich noch keine Stellungnahme dazu ab. Orlando war nicht mitgekommen, weil er mit dem Bragolin-Haus bereits einen neuen Tatort abriegeln musste. George und Josephine konnte dies nur recht sein. Und trotz aller Drohungen hatte der Polyp noch einmal davon abgesehen, sie direkt vor Ort festzunehmen, hauptsächlich, um keinen Ärger mit der Dienstaufsichtsstelle zu kriegen. Venedig war in der Tat nicht sein Zuständigkeitsbereich, aber beiden war klar, dass es jetzt nur noch eine Frage der Zeit war, bis die Bullen sich an der Hotelrezeption nach ihnen erkundigten. Sie konnten sich in der kurzen Zeitspanne nur noch in San Marco und den Nebeninseln bewegen. Bis sie vernommen werden sollten, war es ihnen verboten, das Festland zu betreten. Sie waren damit sprichwörtlich in der Lagune gefangen. So eine Aktion wie die Fahrt nach Altaussee würde ihnen nun nicht noch einmal gelingen. Und dann war da noch etwas ganz anderes. Ein kleines, harmloses Buch. So neugierig sie auch war, Josephine hatte das Büchlein die ganze Zeit über nicht aus ihrer Jackeninnentasche genommen, bis sie ihr Hotel erreicht hatte. Sie hatte das kleine Schriftstück aus dem geheimen Kellerraum gerade noch rechtzeitig in ihrem Mantel verschwinden lassen können, bevor Orlando sie ertappte. Selbst George hatte sie davon noch nichts erzählt, aber nicht, weil sie ihm den Fund vorenthalten wollte, sondern einfach, weil ihrer beiden Gedanken noch bei Velmonte verweilten. Josephine war so erschlagen von der entsetzlichen Tat, dass ihre Gefühle es ihr nicht mal gestattet hatten zu weinen. George hatte ihr eben aufgrund dieser Umstände angeboten, bei ihm zu nächtigen, aber sie hatte freundlich abgelehnt. Eine weitere Nacht zusammen mit George würde ihr Gefühlschaos endgültig zu einem Wirbelsturm der Emotionen aufblähen, der alles in ihr mit sich reißen und zerstören könnte. Nein, sie brauchte jetzt eine Auszeit, sie musste allein sein.

Außerdem fühlte sie sich in ihrem Hotelapartment den Umständen entsprechend sicher, zumindest so lange, bis sie die Eingangstür öffnete. Das Zimmer sah noch genauso aus, wie sie es verlassen hatte. Aber auf dem Speisetisch lag diese kleine Skulptur aus der Nacht des Überfalls: Der Denker, gehüllt in Trauer. Der Anblick wühlte wieder ihre Ängste auf. War es Lydia Seville gewesen, die sie einst in der Verkleidung des Samaghuls angegriffen und ihr diese Plastik vor die Türschwelle gelegt hatte? Ein psychologisches Mittel, um sie einzuschüchtern, auf dass Josephine aufhörte, weiter nach den Bragolins zu suchen? Es war definitiv eine Warnung! Lydia wusste, wo Josephine sich versteckt hielt. Wenn deine Feinde wissen, wo du bist, sei besser woanders, hatte sie mal gelesen. Vielleicht sollte sie George anrufen, damit sie …

Nein. Sie warf einen Blick ins Schlafzimmer, wo sich eine schmale Taille unter der Decke abzeichnete. Sie konnte das Gesicht nicht sehen, aber der kleine Körper und die dunklen Haare verrieten, dass es Amanda war. Ihr Rücken und Hinterkopf zeigten in Josephines Richtung, das Gesicht war abgewandt und lag vergraben zwischen einem Knäuel aus Decken und Kissen. Das Mädchen schien tief und fest zu schlummern. Alle Überlegungen, George aufzusuchen, wurden augenblicklich fallen gelassen.

Eine Nacht, dachte Josephine sich. Eine Nacht gebe ich dem Mädchen noch, und dann muss sie zusehen, wie sie alleine zurechtkommt. Unterdessen nahm sie eine kauernde Kälte im Schlafzimmer wahr. Leise schritt sie zum Fenster. Geschlossen. Sie fasste an den Heizkörper. Heiß. Seltsam. Wahrscheinlich hatte sie sich während des gesamten Stresses und des winterlichen Kälteeinbruchs eine Erkältung eingefangen. Der Trip ins eisige Altaussee musste ihr den Rest gegeben haben. Auch das noch, dachte sie sich. Eine Grippe konnte sie nun gar nicht brauchen. Aber schlafen konnte sie jetzt ebenso wenig. Sie holte vorsichtig den versteckten Schnaps aus ihrer Nachttischschublade, denn sie brauchte jetzt ungeachtet ihres Zustands eine Stärkung, um über den grauenvollen Tod der alten Dame hinwegzukommen. War der Brandanschlag das Werk von Lydia gewesen?

Aber sosehr sie sich auch bemühte, Josephine konnte kein Motiv oder Muster darin erkennen. Stattdessen wandten sich ihre Gedanken immer wieder Carla Velmonte zu, der barmherzigen alten Frau. Sie erinnerte sich an das erste Anschreiben aus dem Cini-Palast. Damals hatte Josephine noch in Mailand gearbeitet und Fresken in alten Kirchen restauriert. Die Kontaktaufnahme geschah unmittelbar bevor Amanda in ihr Leben trat. In ihrem Schreiben hatte Dr. Velmonte einst Josephines Arbeit gelobt und bereits angedeutet, dass man an einer Zusammenarbeit interessiert sei. Auf die ersten Sondierungsgespräche per Telefon folgte nach einem Jahr der erste Besuch im Antenor-Museum, wo sie der Dame das erste Mal von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat. Obwohl die Chemie zwischen den beiden auf Anhieb stimmte, mussten noch einige Jahre ins Land gehen, bis Josephine nach Ablauf ihres Vertrages nach Venedig reiste und dort schließlich ins Geheimnis um die Bragolins eingeweiht wurde. Das war vor drei Jahren gewesen. Sie war sehr dankbar. Den Kontakt zu Dr. Velmonte wollte sie niemals missen, aber ob sie mit dem Wissen von heute immer noch so sehr daran interessiert wäre, diese Gemälde in einer Galerie zu komplettieren?