Schelln Solo - Gerhard Hutterer - E-Book

Schelln Solo E-Book

Gerhard Hutterer

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Beschreibung

Leichenfund am Höllensteinsee! Die Ermittlungen führen Kriminalrat Wilson Schwarzer von der Straubinger Mordkommission zurück in den Bayerischen Wald. Zurück in seine Heimatstadt Viechtach, die er vor über zwanzig Jahren verlassen hatte. Nicht alle freuen sich auf ein Wiedersehen mit ihm. Tief taucht er in Ereignisse ein, die bislang in der Vergangenheit gut und sicher aufgehoben schienen. Kann er seiner Tante Inge trauen? Welche Rolle spielt der Bauunternehmer Georg Thaler? Der Weg zur Lösung des Falles wird für Wilson Schwarzer schmerzhaft werden. So oder so.

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Seitenzahl: 343

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Der Autor

Gerhard Hutterer begann Mitte der 1990er Jahre damit, seine persönlichen Gedanken in Kurzgeschichten zu fassen. Inspiriert durch seinen Beruf als Offizier bei der Bundeswehr, handelte es sich dabei zunächst um spannungsgeladene Agentengeschichten.

2008 erschien im Verlag Books on Demand GmbH (BoD), Norderstedt, sein Fachbuch „Im Dialog – Die Beurteilung von Soldaten“, mit dem er sich in seiner damaligen Verwendung als Dozent im Personalmanagement der Bundeswehr einen ersten Namen als Fachbuchautor machte.

Ebenfalls 2008 gab er dann unter dem Pseudonym Henry Gerhard sein Debüt als Romanautor.

Bisher sind bei BoD von ihm erschienen:

© 2008 „Schüsse an der Heimatfront“ (Politthriller) ISBN 978-3-8370-4413-3

© 2009 „Zusatzzahl dreizehn“ (Kriminalroman) ISBN 978-3-8370-2045-8

© 2010 „Tabula rasa“ (Kriminalroman) ISBN 978-3-8370-2470-8

© 2011 „Keine Tapas an der Jagst“ (Kriminalroman) ISBN: 978-3-8423-6318-2

© 2013 „Der Tod im Wald“ (Kriminalroman) ISBN: 978-3-8482-6732-3

© 2013 „Mord im Hasenlager“ (Kriminalroman) ISBN: 978-3-7322-8358-3

© 2023 „Anfangsverdacht“ (Krimi-Kurzgeschichten aus dem Bayerischen Wald) ISBN: 978-3-750404212

Prolog

Beim „Schelln Solo“ handelt es sich um eine im Erfolgsfall lukrative Spielvariante des Schafkopfens, bei der ein Spieler den Schneid aufbringt, für ein Spiel allein, also „Solo“, gegen die anderen drei Spieler am Tisch anzutreten und dazu die Farbe Schelln (auch Schellen) für dieses Spiel zu seiner Trumpffarbe erklärt.

Ein Oberstufenbetreuer eines ostbayerischen Gymnasiums hat es beim Thema Schafkopfen einmal so formuliert: „Ein Bayer, der nicht Schafkopfen kann, hat eine Bildungslücke!“ Zumindest für die Ober- und Niederbayern sowie die Oberpfälzer trifft dies sicherlich uneingeschränkt zu. Die bayerischen Franken sowie die Schwaben sind dagegen vor dieser kategorischen Feststellung vorsichtshalber in Schutz zu nehmen.

Den Tierliebhabern zuliebe sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich beim Schafkopfen um ein altbayerisches Kartenspiel, quasi das „Skat des Südens“ handelt, bei dem blökende Wolllieferanten ausdrücklich nicht (!) zu Schaden kommen.

In „Schelln Solo“ betritt mit Kriminalrat Wilson Schwarzer ein neuer Ermittler die literarische Bühne. Er ist, wie auch die anderen Charaktere und die Handlung in diesem Kriminalroman, ein Produkt der Fantasie des Autors. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits toten Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

Gleichwohl gibt es das Bayerwaldstädtchen Viechtach (Waldlerisch: Vejda) und sein Dominicus-von-Linprun-Gymnasium wirklich, sonst hätte der Autor dort nicht sein Abitur machen können.

Seit geraumer Zeit ist die ehemalige Kreisstadt auch wieder aus der durch die bayerische Gebietsreform Anfang der Siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verordneten automobilen Anonymität herausgetreten. Echte „Vejdacher“ können ihre fahrbaren Untersätze wieder mit dem Kennzeichen „VIT“ für die Teilnahme am Straßenverkehr anmelden.

In und um Viechtach herum wird Waldlerisch (auch: Waidlerisch) als im Bayerischen Wald gesprochene Dialektform des Bayerischen gepflegt. Die lautmalerischen Feinheiten des Waldlerischen, die bereits von Nachbarort zu Nachbarort erheblich variieren können, lassen sich in Schriftform nicht abbilden. Bei den Dialogen der Einheimischen in „Schelln Solo“ wird daher auch der Versuch unterlassen, dies mit Hilfe des internationalen phonetischen Alphabets eventuell doch darzustellen. Eine Übersetzung der Dialoge ins Hochdeutsche bot sich daher an. Da muss der geneigte Leser halt durch (do mou da Leser hoid duache)!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

1

„Kruzitürken, das gibt es doch nicht!“, fluchte Robert Thaler zum wiederholten Mal.

Seit vier Tagen werkelte er nun schon mit seinen Bauarbeitern, um den verklemmten Ablaufschieber an der Staumauer des Höllensteinsees wieder beweglich zu bekommen.

„Wenn das so weitergeht, dann müssen wir den ganzen See ablassen“, stellte er schließlich mit säuerlichem Unterton fest.

„Das wäre aber jetzt saublöd, mitten im Sommer, ohne Wasser“, kommentierte der Kioskbesitzer Rolf Brandl, der gleichzeitig der Betreiber des Ruder- und Tretbootverleihs an dem Stausee war, das Geschehen.

„Ich kann es nicht ändern. Die Pumpe ist kaputt. Wenn der Schieber nicht aufgeht, können wir die Pumpe nicht austauschen. Irgendwas muss sich da unten ineinander verkeilt haben.“

„Und wer zahlt mir für den Ausfall? Das Sommergeschäft hat gerade erst angefangen Der letzte Sommer war schon ein Draufzahlgeschäft. Da kann ich meinen Kiosk und den Bootsverleih gleich ganz zusperren.“

„Rolf, deine Probleme möchte ich haben. Was meinst du, was so eine neue Pumpe kostet? Und dann wird ja die ganze Zeit kein Strom erzeugt. Wir probieren es nochmals mit den Tauchern. Wenn das auch nichts bringt, müssen wir den See ablassen.“

„Ja, probiert es mit den Tauchern. Dann bräuchte man nicht abzulassen“, murmelte Rolf Brandl zustimmend.

„Ich kann aber nichts versprechen“, fasste Robert Thaler zusammen und stieg in seinen BMW X5.

Drei Tage später stand das Endergebnis fest. Robert Thaler hatte sich bereits vom Wasserwirtschaftsamt die Genehmigung geholt, den Höllensteinsee kontrolliert leerlaufen zu lassen. Mitten im August führte der Schwarze Regen Niedrigwasser und konnte überdies unterhalb der Staumauer auf seinem weiteren Weg einen Schuss Verstärkung gut vertragen. Und von flussaufwärts kam weit weniger Wasser nach, als abgelassen wurde.

Robert Thaler hatte seine Bauarbeiter jetzt im Schichtdienst eingeteilt. So waren immer – auch am Wochenende - mindestens vier Mann vor Ort bei der Arbeit. Anders hätte die zuständige Behörde die Aktion auch nicht genehmigen können.

„Schau, das ist ein alter VW Käfer“, rief plötzlich ein Jugendlicher, als etwa in Seemitte langsam das verrostete buckelförmige Dach eines Autos zum Vorschein kam.

Rolf Brandl machte wenigstens mit den vielen Schaulustigen sein Geschäft. Nachdem der Höllensteinsee zuletzt vor über vierzig Jahren ohne Wasser gewesen war, wollten sich doch viele die unverhoffte Attraktion dieses Sommers nicht entgehen lassen. Von der Kioskterrasse aus konnte man - durch die großen Sonnenschirme wohl beschattet - bei Eis oder Pommes dem Stausee beim Leerlaufen zuschauen. Den Käfer mitgezählt, waren in den letzten Tagen schon vier Autos, elf Fahrräder und sieben Mopeds zum Vorschein gekommen. Robert Thaler hatte dafür extra einen kleinen Parkplatz mit Bauzaunteilen einfrieden lassen, um den geborgenen Schrott zunächst dort zwischenzulagern. Ob der hiesige Schrotthändler eine Fuhre davon abbekam oder der eine oder andere Bastler noch Teile für die Restaurierung seines entsprechenden Oldtimers ergattern konnte, war noch nicht entschieden. Wer wusste schon, was noch alles ans Tageslicht kommen würde?

Robert Thaler schätzte, dass der Wasserstand in etwa zwei bis drei weiteren Tagen soweit abgesunken sein würde, dass er mit einem Bagger an den Ablaufschacht nahe genug herankommen konnte, um den beschädigten Schieber und die Steuerpumpe am äußerst linken der drei Stromerzeugerschächte auszuwechseln. Spätestens eine Woche darauf konnte dann damit begonnen werden, den Schwarzen Regen wieder aufzustauen. Vorher konnte aber bei der Gelegenheit auch gleich noch der Zulauf des Sees von Sedimenten befreit werden, die den oberen Teil des Stausees regelmäßig zu verlanden drohten. Diese Maßnahme wäre zwar erst im übernächsten Jahr fällig gewesen, so konnte man aber jetzt wenigstens aus dem unerwarteten Schaden einen kleinen, ebenso unerwarteten Nutzen ziehen.

„Was ist denn das da unten? Da unten! Da in der schwarzen Plane? Hans, siehst du das denn nicht, oder was?“, erregte sich plötzlich Maria Betz, die - an das Geländer der Staumauer gelehnt und mit einem Fernglas bestens ausgerüstet – die Szenerie zusammen mit ihrem Ehemann Hans gut im Blick hatte.

Sechs Wochen vorher:

Lässig lehnte Wilson Schwarzer am ausladenden Kotflügel des amerikanischen Sportwagens und blies den Rauch seiner Zigarette in den bayerisch-böhmischen Nachthimmel. Seine Pistole und das dazugehörige Holster hatte er - zusammen mit seinen Ausweispapieren - bereits im Handschuhfach der kirschroten Chevrolet Corvette C3 verstaut.

Er aktivierte die Beleuchtung seiner Armbanduhr, die jetzt 23:23 Uhr anzeigte. Aus Richtung Bodenmais kommend hatte Wilson Schwarzer wenige Minuten zuvor am Bretterschachten angehalten, da er für seine geplante Mission noch zu früh dran gewesen war.

Kurz nach Mitternacht lenkte Wilson Schwarzer nun den Wagen hinter der Brennes-Passhöhe zielsicher in eine geschotterte Forststraße hinein, die in ihrem weiteren Verlauf in Richtung der tschechischen Grenze führte. Nach etwa zwei Kilometern hatte er dann das Anwesen mit dem alten Bauernwirtshaus auf der mondhellen Waldlichtung erreicht.

Der weiß-blau gestrichene Schlagbaum an der letzten Abzweigung war senkrecht in die Höhe gestanden. Für Insider war das ein untrügliches Zeichen dafür, dass heute Nacht etwas ging.

Ein Spiel ging.

Ein Kartenspiel ging.

Ein illegales Kartenspiel!

Wilson stellte seinen amerikanischen Oldtimer, Baujahr 1975, neben dem deutlich jüngeren Polizei-BMW gegenüber dem Eingang zur Gaststube ab. Der Rest des Parkplatzes war durch Autos mit Chamer, Straubinger, Regensburger sowie Deggendorfer Autokennzeichen fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Dagegen waren Wagen mit einheimischen Regener oder Viechtacher Autokennzeichen in deutlicher Unterzahl.

Das unscheinbare Gehöft mit dem dazugehörigen Gasthaus Holzhauerklause hatte sicherlich schon bessere Tage gesehen. Um die vorletzte Jahrhundertwende herum erbaut, hatte es nach dem 2. Weltkrieg noch für kurze Zeit erfolgreich einen zweifelhaften Ruf als Schmugglerkneipe aufrechterhalten können. Nachdem sich aber der Eiserne Vorhang an der Grenze zwischen Bayern und der damaligen CSSR für mehrere Jahrzehnte gnadenlos gesenkt hatte, fiel das kleine Gehöft - zusammen mit dem ostbayerischen Grenzland - in einen wirtschaftlichen Dämmerschlaf, aus dem es nach der Wiederöffnung der Staatsgrenze nur widerwillig erwacht war.

Wilson Schwarzer blieb noch geraume Zeit in seinem Wagen sitzen, zündete sich eine weitere Zigarette an und beobachtete eine Weile entspannt den sternenklaren Nachthimmel über dem Gipfel des Großen Arbers, des uneingeschränkten „Königs des Bayerwaldes“. Ab und zu durchbrach der Ruf einer Eule – oder war es ein Steinkauz? - die Ruhe dieser lauen Sommernacht.

Um 00:45 Uhr stieg Wilson aus und kauerte sich zunächst im Schlagschatten des ausladenden Dachüberstandes an die Hauswand. Durch die verschmierten Scheiben der Gaststube konnte er ins Innere der Holzhauerklause blicken. Zwei Bierdimpfel saßen scheinbar als einzig verbliebene Gäste zusammen mit dem Dorfsheriff am Stammtisch und diskutierten wild gestikulierend. Der Wirt servierte gerade die nächste Runde Bier in Halblitergläsern. Bei den anderen drei Wirtshaustischen waren die Stühle bereits hochgestellt. Wohl damit die Putzfrau am nächsten Morgen ihre Arbeit leichter verrichten konnte, falls der Wirt überhaupt eine Putzfrau angestellt hatte. Die verschmierten Fensterscheiben sahen eher nicht danach aus.

Wilson drückte seinen Zigarettenstummel an der Hauswand aus und folgte dem Kiesweg, der um das Haupthaus des Hofes herum nach hinten in die Dunkelheit führte. Aus den gekippten Fenstern der Stallung drangen das leise Klirren von Ketten und das eine oder andere sonore Muh-Geräusch nach draußen. Der Misthaufen neben der einen Stalltür war sorgfältig aufgeschichtet und verströmte seine markante Landluft. „Kuhmist mit einem Hauch Schwein“, würde der Fachmann herausriechen können. Dazu wehte noch eine kleine Prise des Geruchs von Silage von dem in der Dunkelheit andeutungsweise erkennbaren Fahrsilo zu Wilson Schwarzers Nase herüber. Dieser hatte in dieser Nacht aber keine Sensoren für die olfaktorischen Highlights auf einem Waldlerhof übrig, sondern folgte seiner Spürnase zielstrebig zu einer Tür, die seitlich in die Scheunenwand eingelassen war. Er klopfte dreimal mit seiner rechten Faust kräftig gegen die Holztür.

„Ja was gibts denn heute Nacht?“, wollte die männliche Person dahinter wissen, nachdem sich eine kleine Klappe in der Tür geöffnet hatte.

Wilson Schwarzer konnte den Mann zwar durch den dunklen Spalt hindurch nicht erkennen, antwortete aber mit: „Heute gibts ein Rehragout, ein Rehragout, ein Rehragout.“

Sogleich schloss sich die Klappe wieder und die ganze Tür ging nach innen auf. Wilson betrat nun einen kleinen dunklen Raum. Sobald der Eingang hinter ihm jedoch wieder verschlossen war, schaltete sich plötzlich ein schummriges Rotlicht ein.

„Pokern, oder?“, fragte ihn der bullige Türsteher, den er jetzt schemenhaft erkennen konnte.

„Wenn ein Schafkopf geht, dann möcht ich lieber Schafkopfen“, antwortete Wilson Schwarzer in betont breitem einheimischen Tonfall.

„Momentan ist zwar kein Platz frei, aber vielleicht geht ja bald Einer. Wenn dir das recht ist. Hast du genug Geld dabei? Es wird der lange Schafkopf gespielt. Tarif ist zehn, zwanzig, fuchzig, ein jeder darf doppeln. Solo, Wenz und Geier werden gespielt. Zeig mir dein Geld. Zwei Tausender musst du schon mindestens dabeihaben“, klärte der Türsteher seinen neuen Gast über die in diesem Etablissement geltenden Spielregeln auf.

„No Problem!“, antwortete Wilson Schwarzer und zeigte - wie zum Beweis - ein dickes Bündel Einhundert- und Fünfzig-Euro-Scheine vor.

„Du bist ein Ami, gell? Das habe ich mir gleich gedacht. Ihr seid schon Hunde, gell. Ich hätte mir aber gedacht, dass du lieber pokerst. Aber, dass du auch einen Schafkopf spielst, hätte ich nicht gedacht. Hunde seid ihr schon, ihr Ami. Komm rein. Wenn du in der Zwischenzeit etwas trinken willst, Schantall ist an der Bar. Sonst alles roger bei dir? Oder?“

Wilson nickte jovial und schob den schweren dunklen Samtvorhang zur Seite, der ihm bisher die Sicht auf den dahinterliegenden Spielsaal verschlossen hatte. Der große Raum lag ebenfalls in schummerigem Halbdunkel, lediglich die Mitte der einzelnen Tische war einigermaßen hell beleuchtet. Er konnte gleich erkennen, dass in dieser zur Spielhalle umfunktionierten Scheune üblicherweise landwirtschaftliche Geräte abgestellt waren.

Die acht lackierten Spieltische mit blutroter Filzauflage wirkten wie Fremdkörper in diesem etwa vier Meter hohen Raum. Auf dem Betonboden waren Öl- und Farbflecken zu erkennen, die nur notdürftig beseitigt worden waren. Die anwesenden Spieler, fast ausschließlich Männer, schienen sich jedoch nicht an diesen Äußerlichkeiten zu stören.

An der Fensterseite stand ein behelfsmäßig aussehender Tresen, bemannt mit einem bulligen Barkeeper. Sicherlich der Bruder des Türstehers, dachte Wilson Schwarzer. Zumindest hatte der Typ den gleichen Bauernschädel auf wie der Mann am Eingang. Wilson Schwarzer lehnte sich an den Tresen und beobachtete die Szenerie. An drei Tischen wurde gepokert. Vor jedem Spieler lagen mal größere, mal kleinere Bündel Geldscheine. Das Spielglück hatte sich offensichtlich noch nicht abschließend für jeweils einen am Tisch entschieden. An fünf Tischen wurde Schafkopf gespielt. Zwischen den Tischen standen einzelne Männer, die anscheinend wie Wilson keinen freien Platz mehr gefunden hatten und darauf lauerten, dass sich kurzfristig eine Mitspielmöglichkeit auftun würde und wenn es nur ein kurzes „Aufsitzen“, das zeitlich beschränkte Einspringen für einen Spieler, der etwa eine Raucher- oder Pinkelpause benötigte, handelte.

„Du bist aber nicht von hier, gell?“, säuselte ihm plötzlich eine piepsige Frauenstimme ins Ohr.

„Wie kommst du jetzt da drauf?“, antwortete Wilson Schwarzer der drallen Blondine, die jetzt rechts neben ihm stand und deren knielanges Sommerkleid an Hüfte und Oberweite bedenklich spannte.

„Weil es bei uns keine Schwarzen nicht gibt.“

„Ach so? Aber in Bayern 3 kommt doch immer einer, der sagt: I bin da Williams – und da bin I dahoam.“

„Ach geh, das ist doch im Fernsehen, das ist doch nicht echt. Magst du was trinken?“

„Hast du ein Cola? Dann nehme ich eins.“

“Ja, freilich haben wir ein Cola. Sepp, machst du meinem neuen Freund ein Cola und mir einen Piccolo. Du lädst mich doch ein auf einen Piccolo, oder?“

“Und wenn ich nein sage?”

„Ach geh, so ein charmanter Mann wie du sagt doch niemals nicht nein, oder?“

„Und was bekommen die charmanten Männer sonst noch von dir?“

„Was du magst.“

„Ich bin aber eigentlich zum Zocken da.“

„Geh, ist ja gerade eh nichts frei an den Tischen.“

„Schon, aber zum Aufsitzen wird es mir heute schon noch reichen, oder?“

„Ach so, du bist nur zum Aufsitzen da. Warum sitzt du dann nicht bei mir auf? Gefalle ich dir vielleicht nicht?“

„Das habe ich nicht gesagt. Oder habe ich vielleicht gesagt, dass du mir nicht gefällst?“

„Nein, das hast du nicht. Aber du hast auch noch nichts über meinen schönen Busen gesagt. Alles echt. Gefällt er dir am Ende nicht?“

Demonstrativ stützte Schantall ihren “Balkon” mit beiden Händen und drückte sich näher an Wilson heran.

“Habe ich das gesagt?”

“Nein, hast du nicht. Aber du hast auch nicht gesagt, dass er dir gefällt. Wie heißt du denn überhaupt?“

„Mein Name ist Wilson. Wilson Schwarzer. Du weißt schon, mein Name ist Bond. James Bond.“

„Jetzt verarscht du mich aber. Du bist doch nicht der James Bond. Der ist doch weiß und nicht schwarz. Ich bin übrigens die Schantall.“

„Prost Schantall.“

„Prost James.“

„Ich habe doch gesagt, dass ich Wilson heiße.“

„Ach so, du heißt garnicht James?“

“Ist gut, Schantall. Lass dir deinen Piccolo schmecken. Ich werde sehen, ob ich an einem Tisch aufsitzen kann.“

Wilson Schwarzer löste sich von der aufdringlichen Dorfschönheit und stellte sich zu einem der Schafkopftische. Ohne viele Worte wurde ein Spiel nach dem anderen gemacht. Zwei Spieler hatten entweder gerade eine Glückssträhne oder spielten heimlich zusammen. Auf jeden Fall wechselte der Gewinn seit ein paar Spielrunden regelmäßig über den Tisch zu den beiden hin.

Karl Schweiger hatte wahrscheinlich deshalb so große Schweißperlen auf der Stirn. Seit er Wilson Schwarzer erkannt hatte, waren sie jedoch noch weiter von ursprünglicher Reiskorngröße zu ihrem jetzigen Maiskornformat angewachsen. Schließlich blickte er etwas nervös wirkend zu Wilson herüber.

„Willst du aufsitzen? Ich muss aufs Klo.“

„Pinkeln oder länger?“, fragte Wilson Schwarzer nach, um abschätzen zu können, für wie lange er wohl eingewechselt sein würde, also aufsitzen konnte.

„Weiß ich noch nicht. Könnte eventuell eine längere Sitzung werden“, antwortete Karl Schweiger, kramte sein Geld zusammen und schätzte grob die Gesamtsumme ab, die ihm aktuell noch geblieben war.

„Verspiel aber nicht alles. Mehr habe ich nämlich heute nicht.”

Karl Schweiger verschwand durch eines der hölzernen Scheunentore, hinter dem sich anscheinend der Weg zur Toilette befinden musste. Vielleicht stand neben dem Misthaufen aber auch nur ein Sommerhäusl mit einem ausgesägten Herzchen in der Tür. War ihm aber wahrscheinlich auch gerade egal.

Vier Runden lang hielt sich Wilson wacker gegen die anderen Schafkopfer am Tisch.

„Und, was hast du?“, fragte sein rechter Nebenmann, der gerade Geber war.

„Ein schönes Weiter habe ich“, antwortete Wilson trocken.

„Genauso weit“, erklärte sein linker Nebenmann kurz und bündig.

„Ich hätte ein Spiel. Ist es recht?“, fragte nun der Dritte in der Runde den Geber.

Dieser nickte nur zustimmend mit dem Kopf.

„Mit der Alten geht es.“

„Die suche ich gleich“, kommentierte Wilson Schwarzer die gemachte Ansage und legte den Eichel-Zehner in die Tischmitte.

„Michel, wenn das so ist, bekommst du eine Spritze von mir!“

“Was? Du gibst mir ein Kontra? Da musst du aber gut beieinander sein, Schorsch!“

Georg Reimer zückte die Herz-Sau und knallte sie effektvoll krachend auf den Tisch. Von Michael Seitz kam der Eichel-König und dessen Bruder Hans musste die gesuchte Eichel-Sau dazu legen.

„Schneiderfrei sind wir schon einmal, Schwarzer! Ich hoffe, du hast auch ein bisschen was zu bieten“, triumphierte Georg Reimer und strich grinsend die vier Karten seines ersten Stiches ein.

„Gras hat ein jeder, ob er Hans heißt oder Peter“, murmelte er nun und legte die Gras-Sau auf den Tisch.

Und tatsächlich mussten alle Gras bedienen und Georg Reimer hatte weitere 21 Augen mehr in seinem Stapel, da Wilson den Gras-Zehner schmieren konnte. Nun machte er mit dem Alten, dem Blauen und dem Roten kurzen Prozess mit seinen Gegenspielern.

„Spiel zwanzig, Schneider dreißig, drei Laufende sechzig, Kontra hundertzwanzig, zweimal gedoppelt, macht vierhundertachzig“, rechnete Georg Reimer mit besonderer Betonung auf den Gesamtbetrag den Unterlegenen den für dieses Spiel fälligen Tarif vor.

Wilson Schwarzer wechselte einen Fünfhunderter, schob als Wechselgeld einen Zwanziger zu Hans Seitz hinüber, als plötzlich eines der beiden großen Scheunentore aufgerissen wurde. Zahlreiche grelle Handscheinwerfer leuchteten jetzt in den Innenraum.

„Polizei! Polizei! Keiner rührt sich vom Fleck!“, rief ein älterer Mann mit grauem Bürstenhaarschnitt und dunklem Anzug laut, der offensichtlich bei der nun folgenden Razzia das Sagen hatte.

Mit ihm stürmten gut zwanzig Polizeibeamte in MEK-Montur herein und bauten sich schwer bewaffnet neben den Spieltischen auf. Keiner der Anwesenden wagte einen Fluchtversuch. Die meisten legten sogar als „Friedensangebot“ sogleich ihre Hände gut sichtbar auf den Tisch.

Ganz ruhig strich Wilson Schwarzer die vor ihm liegenden Geldscheine ein, stand unbehelligt auf und ging durch das offene Scheunentor nach draußen.

2

„Pfui Teufel, stinkt das!“, beschwerte sich eine der Schaulustigen bei ihrem Nebenmann hinter dem Absperrband.

Wortlos beobachtete Polizeihauptkommissar Blasius Kreitinger die Szene. Kurz nach dem Weißwurstfrühstück ging in der Polizeiinspektion Viechtach der Anruf von Rolf Brandl ein. Maria Betz, eine Bäuerin aus Pirka, hatte sich den Höllensteinsee bei Niedrigwasser anschauen wollen. Im mittlerweile schon sehr seicht gewordenen Uferbereich war ihr etwas Schwarzes aufgefallen. Sie hatte dann offensichtlich ihren Mann Hans so hartnäckig bearbeitet, bis dieser wiederum den Kioskbesitzer Rolf Brandl dazu brachte, die Polizei zu benachrichtigen.

Und die Frau hatte tatsächlich den richtigen „Riecher“ gehabt. Gegen 11:30 Uhr traf ein erster Polizeiwagen am Stausee ein. Polizeioberkommissar Anton Eglseder und sein Kollege Polizeioberkommissar Josef Geiger besahen sich das Gelände. Der schnell gefasste Entschluss, das schwarze Paket kurzerhand zum Uferweg heraufzuziehen, um es näher in Augenschein nehmen zu können, erwies sich als doch nicht ganz so glücklich. Als Beppo Geiger das schwarze Etwas mit einem kräftigen Ruck aus dem Schlamm, der es noch zu etwa einem Drittel umschlossen hatte, losreißen wollte, löste sich lediglich der vermoderte Strick, mit dem die Plane verschnürt gewesen war. Diese gab plötzlich einen Teil ihres Inhalts preis, begleitet von beißendem Verwesungsgeruch.

„Geh Geiger, schicken sie doch die Leute weiter weg! Mindestens bis hinauf zur Terrasse. Machen sie doch mehr Absperrband hin. Solange die Kollegen von der Spurensicherung noch nicht da sind, läuft mir da keiner mehr durch. Und die sollen ihre Handys wegtun. Das ist nun wirklich kein geeigneter Anblick fürs Internet. Haben wir uns verstanden?“, dirigierte Blasius Kreitinger jetzt seine Mannen.

Endlich, dachte er, als drei schwarze VW-Busse mit aufgesetzten Blaulichtern in schneller Fahrt die Zufahrtsstraße zum Höllensteinsee herunterkamen. Im Schlepptau dahinter der dunkelgraue Mercedes Vito mit der Aufschrift des hiesigen Bestattungsunternehmens Seiler. Kurz darauf folgte eine silberfarbene BMW-Limousine mit Straubinger Behördenkennzeichen.

„Mordkommission“, vermutete Blasius Kreitinger bei dem letzten Fahrzeug zutreffend.

„Kollege Kreitinger, was haben sie denn da für uns?“, kam Kriminalrat Herbert Seitzinger gleich zur Sache.

„Eine Wasserleiche. Mehr kann ich ihnen nicht sagen. Liegt schon etwas länger im See. Zumindest dem Gestank nach zu urteilen. Alles andere müssen sie herausfinden. Übrigens, die Presse ist auch schon da. Die haben schon Bilder von dem stinkenden Paket gemacht, da hatten wir noch nicht einmal unser Absperrband ausgepackt. Wer die so schnell informiert hat, weiß ich nicht. Da kann man nur spekulieren“, informierte der stellvertretende Viechtacher Polizeichef seinen Kollegen der Straubinger Kripo.

„Ja, studieren geht über spekulieren, wie mein Ausbilder an der Polizeiakademie in Münster immer zu sagen pflegte. Aber jetzt sind wir ja da. Danke, Kollege Kreitinger. Wenn wir was brauchen, melden wir uns“, beendete Herbert Seitzinger das kurze Gespräch und ließ seinen uniformierten Kollegen am Uferweg zurück, blieb aber noch einmal kurz stehen und drehte sich zu ihm um.

„Sie, Herr Kreitinger, wird eigentlich das ganze Wasser aus dem Höllensteinsee abgelassen?“

„Ich denk schon. Warum fragen sie?“

„War nur so ein Gedanke. Wir werden es ja sehen.“

Gegen 17:00 Uhr konnten die Bestatter den Leichnam in ihrem Metallbehälter verstauen und nach Straubing in die Rechtsmedizin transportieren. Als Bestatter vom Dienst hatte die Firma Seiler schon häufig solche Aufträge für die Polizei erledigt. Ob sie auch für die Gestaltung der Beisetzung des Toten einen Auftrag erhalten würden, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen. Weder wusste die Polizei etwas über die Identität des Toten noch über mögliche Angehörige. Zunächst hatte nämlich erst der Pathologe in Straubing das Wort.

Sechs Wochen vorher:

„Kollege Schwarzer, das war nicht in Ordnung, den Kollegen Schweiger mitzunehmen, der nicht zu unserer Einsatzgruppe gehört“, erregte sich Kriminaldirektor Heinz Zettel lautstark.

„Herr Kriminaldirektor, sie haben sicherlich Recht. Aber...“

„Aber? Nichts aber! Der Kollege Schweiger hatte dort nichts zu suchen gehabt und damit basta. Ich weiß, dass sie mit ihm befreundet sind. Trotzdem haben sie in der Sache gegen unser Geheimhaltungsgebot verstoßen. Sie haben Glück, dass die Razzia ein großer Erfolg gewesen ist und wir den illegalen Laden endlich ausheben konnten. Ich wüsste nicht, ob ich ihren Arsch sonst hätte retten können. Sie sind zwar ein erfolgreicher Polizeibeamter, aber ihre Extratouren gehen manchem in der Chefetage schon lange auf den Sack. Haben wir uns verstanden, Kollege Schwarzer?“, belehrte Kriminaldirektor Zettel seinen Mitarbeiter mit zunehmend lauter werdender Stimmlage.

„Ja, aber“, versuchte Kriminalrat Schwarzer einen erneuten Anlauf, um sich zu rechtfertigen.

„Nichts, aber!“, brüllte Heinz Zettel nun.

„Der Erfolg gibt einem nicht immer Recht. Wann kapieren sie das endlich? Schwarzer, sie sind doch kein grüner Junge mehr. Wir haben Dienstvorschriften. Daran müssen wir uns halten. Wenn nicht, zerpflückt uns jeder dahergelaufene Winkeladvokat unsere Fälle und unsere Verdächtigen marschieren grinsend aus dem Revier oder später aus dem Gerichtssaal hinaus. Das können sie nicht wollen. Damit sie nicht gleich wieder in Versuchung kommen, muss ich sie erst einmal aus der Einsatzgruppe abziehen. Die organisierte Kriminalität wird eine Zeit lang ohne sie auskommen müssen. Die Mordkommission ist momentan unterbesetzt. Der Kollege Berthold Maurer heult in fast jeder Dienstbesprechung herum, wie viele unbesetzte Stellen er in seiner Mordkommission hat. Der kann einen ausgezeichneten Beamten wie sie gut brauchen. Nehmen sie sich eine Auszeit. Schärfen sie ihr Profil. Vielleicht bekommen sie dort den einen oder anderen Lehrgang, für den bei uns keine Zeit da ist.“

„Chef, das ist nicht ihr Ernst? Mordkommission in Straubing. Das ist fast wie Frühpensionierung. Alle drei Jahre mal ein richtiger Mord. Da wird man auf die Dauer trübsinnig. Da muss man wahrscheinlich nebenher ein Fernstudium machen, damit man nicht komplett verblödet.“

„Jetzt machen sie aber mal einen Punkt, Kollege Schwarzer. Jede Abteilung ist so gut wie die andere. Also sprechen sie nicht so abwertend von den Kollegen der Mordkommission. Klar ist das organisierte Verbrechen im Vergleich dazu richtig sexy. Glücksspiel, Drogen, Prostitution, et cetera. Da ist schon immer was los. Das gebe ich ja zu. Aber was ist mit den ganzen Überstunden? Jammert nicht die ganze Einsatzgruppe OK ständig von Überlastung?“

„Genau Chef! Deshalb muss ich dabeibleiben. Wer macht denn sonst meine Arbeit? Das sind doch schon wieder zusätzliche Überstunden für die anderen Kollegen.“

„Nicht ganz, Kollege Schwarzer.“

„Versteh ich jetzt nicht, Chef.“

„Wenn ich sie eine Weile kaltstelle, bekomme ich vier Absolventen der Polizeiakademie zugeteilt. Als Praktikanten. Quasi für die Mülleimerjobs. Telefonlisten auswerten, Überwachungskameraufnahmen sichten und so. Die ganzen Hiwi-Jobs, auf die sie meistens sowieso keinen Bock haben. Das war der Deal. Sie sehen, wie ernst es der Leitung des Hauses ist, sie aus der Schusslinie zu nehmen. Das ist reine Fürsorge. Sehen sie es einfach als Fürsorgemaßnahme an.“

Sichtlich angesäuert schlurfte Wilson Schwarzer nach dem für ihn äußerst unerfreulichen Gespräch mit seinem Vorgesetzten in den Teil des Gebäudes hinüber, in dem die Sitte ihre Büroräume hatte. Auf der dortigen Toilette wartete er geraume Zeit, bis Kriminalhauptkommissar Karl Schweiger endlich zum Pinkeln hereinkam. Unsanft drückte er diesen plötzlich von hinten gegen das Pissoir. Ein Teil seines gelblichen Strahls landete deshalb auf seiner Designer-Jeans.

„Hey, hast du den Arsch offen? Die Hose ist nagelneu und hat über zweihundert Euro gekostet!“

„Du hast den Arsch offen, Charlie. Was treibst du dich denn in dieser Spelunke herum? Beinah hätten sie dich erwischt. Wegen dir habe ich gerade einen Riesenanschiss kassiert.“

„Hey, Blackie. Ich war nur das eine Mal dort. Ich kann doch nicht wissen, dass ihr da eine Razzia veranstaltet.“

„Scheiße Charlie! Haben wir aber. Wir haben aber eine Razzia gemacht. Und beinahe hätten sie dich auch mit hochgenommen.”

„Sorry, Blackie. Das war ein absoluter Geheimtipp. Da konnte ich nicht widerstehen. Und es ist beim Schafkopf für mich auch ganz gut gelaufen. Wo ist eigentlich mein Geld hingekommen?“

„Da hast du dein scheiß Geld!“, antwortete Wilson und steckte seinem Freund ein dickes Bündel Scheine – ungefähr viertausend Euro - in dessen Jackettasche.

„Super, Blackie! Merci dir! Ich bin auch gerade etwas knapp bei Kasse. Das Geld kann ich gut gebrauchen.“

„Charlie, du bist sooo ein Rindviech. Wegen dir bin ich ab sofort bei der Mordkommission.“

„Aber der Chef weiß doch nichts von mir, oder?“

„Scheiß dir nicht in die Hosen! Deswegen bin ich ja jetzt bei der Mordkommission. Weil mein Chef weiß, dass du dabei warst in der Holzhauerklause. Ich habe natürlich nicht gesagt, dass du zum Zocken da gewesen bist, sondern zu meiner Unterstützung. Das ist aber auch gegen die Dienstvorschriften gewesen. Deswegen bin ich jetzt aus der OK draußen.“

„Da haben wir aber nochmal richtiges Schwein gehabt, Blackie!“

„Du hast Schwein gehabt, dass sie dich nicht erwischt haben. DU hast Schwein gehabt! Nicht WIR haben Schwein gehabt!“

Die Freundschaft zu seinem Kollegen Karl Schweiger war für die nächste Zeit erst einmal auf Eis gelegt. Missmutig gab Wilson Schwarzer noch die Schlüssel für seine Chevrolet Corvette in der Asservatenkammer zurück. Die ehemalige Ludenschleuder aus dem Besitz einer mittlerweile zu einer längeren Haftstrafe verurteilten Rotlichtgröße musste sich nun wieder ihre breiten Schlappen in der Tiefgarage des Straubinger Polizeipräsidiums platt stehen, statt regelmäßig freien Auslauf zum Cruisen zu bekommen.

3

„Oma, warum ist denn der Mann schwarz?“, fragte Sofie Kammerl ihre Großmutter.

„Geh, Soferl, setz dich richtig hin und schau nicht immer zu dem Mann nach hinten“, wies Hilde Kammerl ihre Enkelin ruhig, aber bestimmt, zu Recht.

„Aber der Mann ist doch schwarz. Was macht denn der in unserem Bus?“, quengelte Sofie weiter.

„Das wird halt ein Asylant sein. Der hat halt kein eigenes Auto. Deswegen fährt er mit dem Bus“, versuchte Oma Kammerl den Wissensdurst der Enkelin zu stillen.

„Oma, sind eigentlich alle Schwarzen Asylanten?“

„Nicht alle. Nur bei uns. In Afrika sind auch die normalen Leute schwarz. Ich glaube, in Afrika gibt es gar keine Asylanten. Genau weiß ich das aber auch nicht.“

„Ist der Herr Pfarrer dann auch ein Asylant?“

„Geh, wie kommst du jetzt da drauf, kleines Dummerchen?“

„Der ist doch auch schwarz, oder?“

„Der ist doch nicht schwarz. Der Herr Hochwürden ist doch aus Indien.“

„Der ist aber fast genauso schwarz wie der Mann da hinten.“

„Geh Soferl, der Herr Hochwürden ist doch nicht so schwarz wie der Asylant da hinten.“

„Sind die Asylanten eigentlich reich, Oma?“

„Geh Soferl, jetzt hör endlich auf mit dem Unsinn. Asylanten sind doch nicht reich. Sonst wären sie doch keine Asylanten.“

„Der schwarze Mann hat eine Joop-Jeans und eine Hilfiger-Jacke an. Die sind sehr teuer. Das weiß ich von meiner Schwester. Die möchte auch immer Joop-Klamotten und die Mamma kauft sie ihr nicht, weil sie so teuer sind.“

„Die Sachen werden halt reiche Leute bei der Caritas abgegeben oder in einen Kleidersack vom Roten Kreuz getan haben. Bei der Caritas bekommen die Asylanten was zum Anziehen.“

„Ich möchte auch ein Asylant sein. Dann hätte ich auch Joop-Sachen.“

“Schlatzendorf! Nächster Halt: Schlatzendorf!”, krächzte es aus dem Lautsprecher über dem Hinterausgang des Linienbusses.

Hilde Kammerl nahm die Hand ihrer Enkelin und ging mit ihr zum Ausgang, um in Schlatzendorf den Bus der Regentalbahn AG zu verlassen. Wilson Schwarzer dagegen war noch bis zum Viechtacher Stadtplatz in dem Bus sitzen geblieben. Nachdem er dort ausgestiegen war, schlossen sich mit einem zischenden Geräusch die hinteren Türen des Busses und das große Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung.

Gegen 08:30 Uhr war er in Deggendorf losgefahren. Nun blieb Wilson Schwarzer einen langen Augenblick stehen und betrachtete den Viechtacher Stadtplatz. Vor fünf Jahren war er zuletzt in der kleinen, ehemaligen Kreisstadt gewesen. Hier war er aufgewachsen und zur Schule gegangen, bevor er Viechtach als Zwanzigjähriger verlassen musste, um eine Karriere bei der bayerischen Polizei zu machen. Nun brachte ihn sein erster Fall bei der Straubinger Mordkommission für hoffentlich nur kurze Zeit wieder hierher zurück.

Bevor er sich aber mit seinem neuen Kollegen Seitzinger treffen wollte, schlenderte Wilson gedankenverloren über den Stadtplatz hinüber zur Bäckergasse. Er folgte dann seinem alten Schulweg nach Blossersberg, wo seine Tante Inge immer noch wohnte. Er hatte sie gestern angerufen, kurz nachdem ihm sein neuer Chef mitgeteilt hatte, dass er zusammen mit Herbert Seitzinger nach Viechtach kommen würde, um den mysteriösen Leichenfund am Höllensteinsee aufzuklären.

„Du übernachtest natürlich bei mir!“, hatte seine Tante Inge am Telefon in einem Ton gesagt, der keine Möglichkeit für einen Widerspruch offenließ.

Inge Draxler bewohnte das kleine Einfamilienhaus in Blossersberg seit dem Tod ihres Mannes allein. Das erste Stockwerk hatten sie schon vor Jahren zu einer Ferienwohnung ausgebaut, um sich mit der Vermietung etwas dazuzuverdienen. Da Inge Draxler aktuell jedoch keine Feriengäste beherbergte, konnte sie das kleine Appartement ihrem Neffen bis auf weiteres zur Verfügung stellen. Für wie lange, musste sich im Verlauf der anstehenden Ermittlungen erst noch zeigen.

Wilson hatte sie auch gefragt, ob es denn die Pension Schneider in Blossersberg noch gäbe, was diese bejahte. Nun würde sein Kollege Kriminalrat Seitzinger dort ein großes Zimmer beziehen.

„Es dauert sicher bloß ein paar Tage“, hatte er Tante Inge am Telefon auf ihre Frage geantwortet, wie lange er denn in Viechtach bleiben würde.

Weder er noch sein Kollege Seitzinger hatten Lust, jeden Tag die Strecke von ihrer Dienststelle in Straubing nach Viechtach hin und her zu fahren. Und die Übernachtung mit Frühstück in der Pension Schneider war mit 30 Euro pro Tag auch nicht übermäßig teuer. Vor allem, wenn man die kostenlosen Insiderinformationen mit einberechnete, die Waldtraud Schneider ihren Gästen jeden Morgen zusätzlich zu frischen Semmeln, selbst gemachter Marmelade und heißem Kaffee zum Frühstück servierte.

„Dein Wammerl mit Semmelknödeln ist unschlagbar, Tante Inge“, lobte Wilson Schwarzer das Mittagessen, das ihm seine Tante wie angekündigt zubereitet hatte.

„Wann kommt dein Kollege? Um eins?“

„Ja, der Seitzinger holt mich um eins ab.“

„Dann müsste er ja gleich da sein“, sprach Tante Inge kaum aus und schon läutete es an der Wohnungstür.

„Grüß Gott, Frau Draxler. Herbert Seitzinger mein Name. Ich bin der Kollege ihres Neffen Wilson Schwarzer“, stellte sich Kriminalrat Seitzinger an der Tür höflich vor.

Gerade konnte er sich noch verkneifen, reflexartig seinen Dienstausweis vorzuzeigen, wie er das sonst bei ersten Begegnungen an Wohnungseingängen zu tun pflegte.

„Kommen sie doch herein, Herr Seitzinger“, bat Inge Draxler den Kollegen ihres Neffen in ihr Haus.

„Wir haben aber nicht viel Zeit. Um 14:00 Uhr haben wir einen Ortstermin am Höllensteinsee.“

„Aber für eine Tasse Kaffee wird es doch wohl noch reichen, oder?“

Bevor er die Einladung annehmen konnte, erkannte Herbert Seitzinger im Hintergrund das heftige Winken seines Kollegen.

„Danke schön. Vielleicht ein anderes Mal. Wir sehen uns in Zukunft eventuell öfter. Solange wir in Viechtach zu tun haben, meine ich. Da ergibt sich sicherlich noch eine passende Gelegenheit. Aber heute sind wir schon etwas spät dran“, entwand sich Herbert Seitzinger weitschweifig und etwas hölzern klingend der ausgesprochenen Einladung.

„Herbert, du kannst schon mal zum Auto vorgehen. Ich komme gleich“, rief Wilson Schwarzer seinem Kollegen über Tante Inge hinweg zu, der daraufhin in der Eingangstür kehrtmachte und über die Treppe nach draußen verschwand.

„Der ist aber nicht aus Straubing, so wie der redet?“

„Nein, Tante Inge, der Herbert ist aus Würzburg. Deswegen versteht er auch nicht alles auf Anhieb. Am besten du sprichst hochdeutsch mit ihm. So, ich pack es jetzt. Bis heute Abend. Ich weiß noch nicht, wie spät es werden wird.“

„Ganz nett, deine Tante“, merkte Herbert Seitzinger bei der Fahrt durch Blossersberg an.

„Ja, wir verstehen uns auch ausgezeichnet. Sie ist die ältere Schwester meiner Mutter. Die letzten drei Schuljahre habe ich bei ihr gewohnt, als meine Mutter schon in die Staaten rüber ist. Wo fahren wir denn als Erstes hin?“, lenkte Wilson Schwarzer die Unterhaltung jetzt auf die dienstliche Ebene.

„Ich wollte zuerst zur Viechtacher Polizeiinspektion und dann zum Höllensteinsee. Ohne Obduktionsbericht können wir noch nicht viel ausrichten.“

„Okay, dann erst zur PI.“

„Deine Mutter wohnt in den Staaten?“, fragte Herbert Seitzinger beiläufig.

„Ja, bei meinem Dad. Der ist Profiler unter anderem beim FBI und unterrichtet auch an den verschiedenen Polizeischulen entlang der Ostküste. FBI, State Police, City Police und auch private Sicherheitsunternehmen. Der ist hauptsächlich freiberuflich tätig. Er war auch schon als Gastdozent an unserer Polizeiakademie in Münster. Er ist eine richtige Koryphäe auf seinem Gebiet. Ich habe mal ein Praktikum drüben bei ihm gemacht.“

„Wie bist du denn darangekommen? Das würde mich auch mal interessieren. Obwohl – meine Beate könnte gar nicht so lange von ihrer Praxis weg. Aber allein wäre das wahrscheinlich nichts für mich.“

„Da gab es vor Jahren eine Ausschreibung. Gut Englisch musst du natürlich können. Bayern hat eine Kooperation mit Texas. Darüber läuft der Austausch von Polizeibeamten. Nach drei Monaten unter anderem beim FBI in Dallas hatte ich dann zufällig die Chance, ein Team aus Dallas zu Ermittlungen nach New York zu begleiten. Da bin ich sofort mit. Diese Erfahrung wollte ich mir nicht entgehen lassen. Dort habe ich dann auch dienstlich meinen Vater getroffen. Der hat mich später auf eine kleine Tour mitgenommen. Ich war zwei Wochen lang sein Quasi-Assistent auf einer Vortragsreise. Vieles von den Inhalten kann man in Deutschland natürlich nicht anwenden. Die Zuständigkeiten sind dort anders geregelt zwischen den einzelnen Polizeien der Staaten, der Städte und beispielsweise dem FBI. Aber so das Handwerkliche hat mich schon weitergebracht. Mein Englisch hat sich auch verbessert. Da vorne musst du nach links abbiegen. Da gehts zur Polizei.“

„Klingt echt spannend, Wilson.“

„Grüß Gott, verehrte Kollegen“, empfing Polizeihauptkommissar Blasius Kreitinger seine Straubinger Kollegen in seinem Büro.

„Grüß Gott, Herr Kreitinger“, antwortete Kriminalrat Seitzinger und reichte ihm die Hand.

„Grüß dich, Blase“, ergänzte Kriminalrat Schwarzer.

*****

„Die Grazia ist nicht zuhause. Und außerdem bist du nichts für sie”, versuchte Blasius Kreitinger den Schulkameraden seiner jüngeren Schwester abzuwimmeln.

„Blase, ist das der Wilson?“, fragte plötzlich Grazia Kreitinger aus dem Hintergrund.

„Aha, sie ist nicht zuhause. Aha, nicht zuhause?“, bemerkte Wilson Schwarzer gereizt und blickte an Blasius Kreitinger vorbei in den Flur.

„Unser Vater kommt gleich von der Schule heim“, antwortete Blasius Kreitinger und schlug die Haustür wieder zu.

„Blase, du bist so ein fieses Rindviech“, hörte Wilson Schwarzer seine Schulkameradin durch die Tür hindurch und er konnte heraushören, dass sie jetzt angefangen hatte zu heulen.

*****

„Grüß Gott, Herr Kriminalrat Schwarzer. Im Dienst bitte keine solchen Vertraulichkeiten, wenn es recht ist. Wir kennen uns zwar flüchtig, ich möchte aber das Dienstliche und das Private durchaus sauber getrennt halten.“

Das hatte gesessen. Besser hätte Blasius Kreitinger Wilson Schwarzer nicht „willkommen“ heißen können.

„Ich gehe doch davon aus, dass sie, Kollege Seitzinger, die Ermittlungen leiten, oder?“, legte der stellvertretende Viechtacher Polizeichef gleich noch einen nach.

„Ja, Herr Kreitinger, so hatten wir uns das gedacht. Dass ich die Ermittlungen leite. Und sie uns mit ihren Beamten vor Ort nach besten Kräften unterstützen. So ist es doch, oder?“, entgegnete Herbert Seitzinger.

„Und wie geht es jetzt weiter?“, versuchte Wilson nun das zwischenmenschliche Eis wieder etwas aufzutauen.

„Ohne den Obduktionsbericht haben wir keinen Tatzeitpunkt. Noch haben wir auch keine Informationen über die Identität des Toten. Wir wissen bisher nur, dass es sich um eine männliche Leiche handelt. Ohne Identität haben wir auch kein Umfeld des Toten und kein Motiv. Kollegen, ich fasse zusammen: wir haben eine Leiche und sonst nichts. Ideale Voraussetzungen für eine schnelle Aufklärung. Mein Vorschlag wäre daher, dass wir uns an den Fundort der Leiche begeben. Ich habe die Kollegen von der Spurensicherung für 14:00 Uhr zu einem Ortstermin an den Höllensteinsee bestellt. Der Obduktionsbericht wird ihnen zugemailt, Kollege Kreitinger. Hier haben sie unsere mobilen Erreichbarkeiten. Rufen sie den Kollegen Schwarzer oder mich sofort an, sobald der Bericht da ist. Wäre schön, wenn sie uns auch gleich zwei Ausdrucke davon zusammenstellen ließen. Danach sehen wir weiter. Oder hat jemand eine bessere Idee?“

Das einsetzende Schweigen war für Herbert Seitzinger Antwort genug auf seine letzte Frage. Er steckte seinen Notizblock weg und ging aus dem Büro des stellvertretenden Polizeichefs. Wortlos folgte ihm Wilson Schwarzer.

„Ihr seid ja richtig dicke Freunde oder täusche ich mich da etwa?“, begann Herbert Seitzinger, als sie die Innenstadt bereits verlassen hatten und kurz nach der Rugenmühle auf die Straße in Richtung Pirka abgebogen waren.

„Das ist eine längere Geschichte. Erzähl ich dir mal bei einem Bier oder zwei.“

„Du machst mich aber jetzt schon neugierig. Gibt es auch eine Kurzfassung?“

„Ja, die geht so: Vater Kreitinger war mein Biologie- und Chemielehrer am Viechtacher Gymnasium. Tochter Grazia war mit mir ein paar Jahre lang gemeinsam in derselben Schulklasse. Ihr älterer Bruder Blasius konnte Farbige noch nie besonders leiden. Und beide Kreitinger hatten etwas dagegen, dass ich mit Grazia zusammen war.“

„Und was ist daraus geworden?“

„Nichts natürlich!“

„Grazia ist aber ein ungewöhnlicher Name. Klingt nicht nach Bayerischer Wald, oder?“

„Ihre Oma hatte einen Friseursalon. Da hat ihre Mutter vor der Geburt der Tochter vielleicht zu viele Frauenzeitschriften gelesen. Es kommt sogar noch besser. Grazia heißt nämlich mit zweitem Vornamen Patrizia. Grazia Patrizia. Wie die Fürstin von Monaco. Deshalb haben wir sie in der Klasse auch immer Grace genannt. Wie Grace von Grace Kelly.“

„Das ist ja eine rührselige Geschichte. Mutter benennt Tochter nach Fürstin. So kommt man auch zu einem bisschen Glamour. Das wäre nur noch zu toppen, wenn sie Sissy mit Vornamen heißen würde.“

„Machst du dich jetzt über uns Bayerwäldler lustig? Ihr Unterfranken seid auch nicht unbedingt der Nabel der Welt. Wenn von dort nicht der bekannte Wein käme, wüsste man überhaupt nicht, dass es euch gibt.“

„Und? Hast du noch Kontakt?“

„Nein. 1995 bin ich nach dem Abitur gleich weg von hier. Hatte nur noch Verbindung zu Tante Inge und Onkel Karl. Die habe ich immer mindestens einmal im Jahr besucht. Dann war ich noch bei zwei Schülertreffen hier. Ansonsten hat mich nichts hierher zurückgezogen. Ach, da vorne warten schon die Kollegen von der SpuSi.“

Herbert Seitzinger stellte den silbernen BMW auf dem Parkplatz neben dem Café Seeblick ab. Zu Fuß legten sie die vierhundert Meter bis zum Fundort der Leiche am gegenüberliegenden Seeufer zurück, wo ihre Kollegen von der Spurensicherung am Werk waren.

„Kollegen, das könnt ihr erst einmal vergessen!“, begann der Motivationsvortrag von Kriminalhauptkommissar Ralf Haupt, dem Leiter der Spurensicherung, der mit seinem Team bereits seit 09:00 Uhr vor Ort gewesen war.