"Scherbenpfade: Das Erwachen des Gläsernen Labyrinths" - Mira Vossfeld - E-Book

"Scherbenpfade: Das Erwachen des Gläsernen Labyrinths" E-Book

Mira Vossfeld

0,0

Beschreibung

Stell dir vor: Du bist allein. Keine Familie mehr, nur das Versprechen, deinen Bruder zu finden, treibt dich voran. Als eines Nachts ein gläsernes Labyrinth erscheint, das Wünsche erfüllt – oder Leben verschlingt – wagst du das Spiel. Doch was als Suche beginnt, wird zu einem Kampf gegen die eigenen Dämonen, Geheimnisse und die tödlichen Regeln des Labyrinths. Jeder Schritt birgt Gefahr, jede Entscheidung könnte die letzte sein. Doch wie weit gehst du, um die Wahrheit zu finden? Und was, wenn sie schlimmer ist als die Lüge?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Vorwort

Stell dir vor: Du bist allein. Keine Familie mehr, nur das Versprechen, deinen Bruder zu finden, treibt dich voran. Als eines Nachts ein gläsernes Labyrinth erscheint, das Wünsche erfüllt – oder Leben verschlingt – wagst du das Spiel. Doch was als Suche beginnt, wird zu einem Kampf gegen die eigenen Dämonen, Geheimnisse und die tödlichen Regeln des Labyrinths. Jeder Schritt birgt Gefahr, jede Entscheidung könnte die letzte sein. Doch wie weit gehst du, um die Wahrheit zu finden? Und was, wenn sie schlimmer ist als die Lüge?

Über den Autor / Autorin:

Die Autorin Mira Vossfeld, 25 Jahre alt, wuchs in einer kleinen Stadt auf, wo Geschichten oft die einzige Flucht aus dem grauen Alltag waren. Schon früh entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Schreiben und die Faszination für düstere, mystische Welten. Inspiriert von ihrer Liebe zur Natur und langen Spaziergängen an nebligen Tagen, begann sie, Geschichten zu erfinden, die das Unbekannte und die Abgründe der menschlichen Seele erkunden. In ihrer Freizeit liebt sie es, durch verlassene Orte zu streifen und sich vorzustellen, welche Geheimnisse dort verborgen liegen. Heute lebt und schreibt sie an einem ruhigen Ort, der ihre Fantasie beflügelt, und lässt ihre Leser in Welten eintauchen, die ebenso faszinierend wie beunruhigend sind.

Titel:

„Scherbenpfade: Das Erwachen des Gläsernen Labyrinths“

Kapitel 1: Das Flimmern in der Nacht

Es war drei Uhr morgens, als der Funk reinkam. Wieder so eine seltsame Sichtung am Stadtrand. Menschen, die von einem riesigen, leuchtenden Glaskonstrukt berichteten, das aus dem Nichts aufgetaucht war. Er hatte den Bericht nur mit einem halben Ohr verfolgt. Es klang nach Unsinn, nach etwas für die Kollegen, die nachts lieber UFO-Jäger spielten, als sich um echte Probleme zu kümmern. Trotzdem saß er jetzt hier, in seinem Streifenwagen, der kalte Kaffee in der Hand, und starrte auf die Umrisse dieses... Dings.

Der Regen hatte die Scheiben verschmiert, aber das änderte nichts daran, dass dieses Labyrinth – oder was immer es war – echt war. Die Struktur schimmerte wie ein Kristall, als würde sie das Licht der Straßenlaternen schlucken und in etwas Eigenes verwandeln. Es war wie eine Mischung aus einem hochmodernen Museum und einem Alptraum. Kein Eingang zu sehen, keine Fenster, nur eine glatte, durchsichtige Wand, die in der Dunkelheit pulsierte.

„Scheiße“, murmelte er und nahm einen weiteren Schluck des abgestandenen Kaffees. „Was zur Hölle...?“ Er hätte sich drücken können. Den Fall weitergeben, Protokoll schreiben, fertig. Aber dann blitzte das Gesicht seines Bruders in seinem Kopf auf, und sein Magen drehte sich um. Zwei Monate waren vergangen, seit er verschwunden war. Keine Spur, kein Abschiedsbrief. Nichts. Nur dieses Gerücht, das wie ein Krebsgeschwür durch die Stadt wuchs: Ein Glaskonstrukt, das Wünsche erfüllte – oder Leben verschlang.

Er hatte anfangs gelacht. Wer glaubt an so einen Mist? Aber jetzt, wo das Ding direkt vor ihm stand, fühlte er sich wie ein Vollidiot. Vielleicht war sein Bruder wirklich da drin. Vielleicht war das die einzige Spur, die er hatte. Die einzige Chance, ihn zurückzuholen.

Der Regen wurde stärker. Er schaltete die Scheibenwischer ein, doch die Sicht wurde nicht besser. „Reiß dich zusammen“, flüsterte er, während er die Wagentür aufstieß. Kalte Tropfen prasselten auf seine Jacke, als er auf das Labyrinth zuging. Mit jedem Schritt spürte er, wie die Luft kälter wurde. Irgendetwas an diesem Ding war... falsch. Nicht nur optisch. Es vibrierte, ein tiefes Summen, das durch die Brust kroch und in den Zähnen brummte.

Er umrundete die Struktur. Keine Menschen, keine Absperrungen, keine verdammten Erklärungen. Als er fast wieder am Ausgangspunkt war, bemerkte er es: eine schmale Öffnung. Sie sah aus, als hätte jemand die glatte Wand mit einem Messer aufgeschlitzt. Das Licht dahinter war unnatürlich, ein stumpfes, grünes Glühen, das wie ein Atemzug flackerte.

„Okay“, murmelte er, zog seine Taschenlampe und leuchtete hinein. Es war still, zu still. Keine Stimmen, kein Wind. Nur dieses Summen, das ihn langsam in den Wahnsinn trieb. Ein Gedanke kam ihm: Wenn du jetzt reingehst, kommst du vielleicht nicht mehr raus. Aber er schob ihn beiseite. Ich finde ihn. Scheiß auf die Angst.

Er trat ein. Die Luft änderte sich sofort, wie in einem Fahrstuhl, der zu schnell abwärts rauscht. Alles roch nach Glas, Staub und etwas Scharfem, das ihm die Nase prickeln ließ. Die Wände reflektierten sein Licht, warfen es zurück in unvorhersehbaren Mustern. Die Taschenlampe war nutzlos. Alles war zu hell, zu verzerrt. Doch es war nicht das Licht, das ihm den Atem raubte. Es war das Gefühl, beobachtet zu werden.

„Hallo?“ Seine Stimme hallte, aber anders, als sie sollte. Es war kein Echo, sondern... ein Nachhall, als hätte jemand das Wort auseinandergezogen und in Fetzen zurückgeworfen. „Scheiße.“

Er zog seinen Schlagstock. Kein großartiges Werkzeug gegen ein Labyrinth, aber es fühlte sich besser an, etwas in der Hand zu haben. Die Gänge waren eng, manchmal so eng, dass er sich seitlich hindurchquetschen musste. Und dann hörte er es – ein Geräusch, wie flüsternde Stimmen, irgendwo tief in den Gängen. Er blieb stehen, das Herz in der Kehle. „Hallo?“ Keine Antwort. Nur das Flüstern. Es klang wie... Lachen.

Er presste die Lippen zusammen, schob den Gedanken an Panik weg. Das Ding spielt dir Streiche. Konzentration. Er folgte den Gängen, wählte willkürlich Links, dann Rechts. Es fühlte sich an, als würde er seit Stunden herumlaufen, obwohl seine Uhr kaum zehn Minuten weitergegangen war. Die Stimmen kamen näher, aber sie blieben ungreifbar, wie Rauch.

Dann, plötzlich, ein Schatten. Kein Schatten – eine Gestalt. Ein Mensch. Klein, kaum größer als ein Teenager, aber viel zu schnell. Sie schoss durch den Gang vor ihm, keine Zeit für Details, nur ein wirrer Eindruck von blasser Haut und langen, schlaksigen Gliedern. „Hey! Warte!“ Er rannte los, rutschte fast aus, als der Boden unter ihm zu einer glatten Fläche wurde. Seine Schritte hallten, zu laut, wie Trommelschläge.

Der Gang führte in einen größeren Raum. Hier war das Licht dunkler, das Glimmen bedrückender. Die Gestalt war weg. Stattdessen stand dort etwas anderes. Ein Spiegel? Nein. Eine glatte Wand, die sein Spiegelbild zeigte. Aber es war nicht richtig. Das Bild war verzerrt. Sein Gesicht... bewegte sich. Lachte, obwohl er nicht lachte. Seine Augen starrten ihn an, kalt, fremd. „Verdammt“, flüsterte er, trat einen Schritt zurück. Das Spiegelbild bewegte sich nicht mit.

„Was bist du?“, murmelte er, als die kalte Hand der Angst nach ihm griff.

Kapitel 2: Schattenfresser

Er konnte sich nicht bewegen. Seine Beine fühlten sich an, als hätten sie Wurzeln geschlagen, tief in den gläsernen Boden hinein. Das Spiegelbild starrte ihn an, grinsend, mit einem Lächeln, das immer breiter wurde, bis es unmöglich schien, dass ein Mensch so viele Zähne haben konnte.

Sein Atem kam flach, zitternd. „Scheiße, was ist das?“, flüsterte er, die Worte kaum mehr als ein heiserer Hauch. Sein Spiegelbild wiederholte nichts, bewegte sich nicht – es blieb einfach da, starrte und grinste, während etwas Dunkles hinter den Augen flackerte. Es war, als würde das Ding hinter der glatten Oberfläche auf ihn warten. Oder auf den Moment, in dem er die Nerven verlor.

„Du bist nicht echt“, sagte er schließlich, mehr zu sich selbst als zu dem Ding. Seine eigene Stimme klang brüchig, kraftlos. „Ich lass mich von so ’nem Mist nicht verarschen.“

Er wich einen Schritt zurück, dann noch einen, bis sein Rücken die Wand hinter ihm berührte. Kalt wie Eis. Das Ding im Spiegel bewegte sich immer noch nicht – aber er spürte es, irgendwo in den Eingeweiden. Eine Art Sog, ein Kratzen, als würde etwas an seiner Seele ziehen. Er presste die Hände gegen die Schläfen. „Reiß dich zusammen, Mann. Das ist nur ’ne Illusion. Irgend’n Trick.“ Er zwang sich, die Augen zu schließen. Einfach durchatmen. Nicht ausrasten.

Als er die Augen wieder öffnete, war die Wand leer. Kein Spiegelbild, kein Grinsen, nichts. Nur sein eigenes Gesicht im milchigen Glas des Labyrinths, blass und verschwitzt. „So viel zu cool bleiben“, murmelte er und schüttelte den Kopf. Der Kloß in seinem Hals ließ sich trotzdem nicht runterschlucken. „Vielleicht bist du doch verrückt.“

Seine Finger tasteten nach der Innentasche seiner Jacke. Er zog die zerdrückte Packung Chips heraus, die er sich vor der Schicht eingesteckt hatte. Eine Handvoll knisterte in seiner Faust, während er sie hastig in den Mund schob. Der salzige Geschmack beruhigte ihn ein wenig. Zumindest fühlte es sich so an, als hätte er etwas Reales, etwas Greifbares zwischen den Zähnen.

„Okay“, murmelte er mit vollem Mund. „Weiter.“ Die krümelige Chips-Tüte wanderte zurück in die Jacke. Noch ein Schritt nach vorne, dann blieb er stehen. „Du hast keine Ahnung, wohin du gehst, oder?“ Er lachte kurz, trocken, fast hysterisch. „Super Plan. Echt clever.“

Er zwang sich weiter, durch die verschlungenen Gänge, immer tiefer hinein in das Labyrinth. Die Gänge wirkten jetzt enger, die Luft schwerer, fast wie ein feuchter Keller voller Schimmel. Seine Taschenlampe flackerte, und er schlug mit der Hand drauf, fluchend. „Nicht jetzt, du Drecksding.“

Plötzlich kam ein anderer Geruch auf ihn zu. Süßlich, fast klebrig, wie eine Mischung aus altem Parfüm und verdorbenem Obst. Er rümpfte die Nase, zog die Luft scharf ein. Was zum... Der Gestank wurde stärker, und er spürte, wie ihm übel wurde. Weiter hinten im Gang flackerte etwas. Ein Licht? Nein, mehr wie ein Schatten, der sich bewegte, aber ohne festen Körper. Er kniff die Augen zusammen, versuchte, die Taschenlampe darauf zu richten, aber das Flackern wurde schlimmer.

„Komm raus, wenn du was willst!“, rief er. Seine Stimme hallte wieder seltsam, verzerrt, fast wie eine fremde Version seiner selbst. Der Schatten verschwand, nur um plötzlich an einer anderen Stelle wieder aufzutauchen, näher dieses Mal. Sein Herz schlug schneller. Was ist das für ein Spiel?

Er griff in seine Jackentasche und zog eine zerdrückte Milchschnitte heraus. Seine Hände zitterten, während er das Plastik abriss und ein großes Stück abbiss. Der Geschmack von Schokolade und kühler Creme war ein seltsamer Trost, aber er brauchte etwas, um den Knoten in seinem Magen zu lösen. Als ob die Milchschnitte irgendwas retten könnte, dachte er bitter, schob sich aber trotzdem noch ein Stück in den Mund.

Plötzlich spürte er es. Hinter sich. Ein Hauch, wie der kalte Atem eines Raubtiers, direkt im Nacken. Er drehte sich blitzschnell um, schlug mit dem Schlagstock ins Leere. „Komm her, du verdammtes Mistvieh!“, brüllte er, obwohl er keine Ahnung hatte, ob überhaupt etwas da war. Doch da war nichts. Nur die Wand, die aussah, als hätte sie sich leicht bewegt, wie Wasser, das in einem Glas schwappt.

Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, spürte den kalten Schweiß. Du drehst echt langsam durch, Mann.

Er ging weiter, immer tiefer in das Labyrinth hinein, obwohl jeder Instinkt in ihm schrie, dass er umkehren sollte. Doch umkehren wohin? Es gab keinen Ausweg, den er bisher gesehen hatte. Und irgendwo da drin war sein Bruder. Der Gedanke daran war wie ein Stachel, der ihn weitertrieb. „Ich gebe nicht auf“, flüsterte er, mehr zu sich selbst. „Nicht, bevor ich ihn finde.“

Ein neuer Gang öffnete sich vor ihm, breiter und dunkler als die anderen. Am Ende ein Licht, schwach, wie das Glimmen eines Handydisplays. Hoffnung stieg in ihm auf, aber sie war so zerbrechlich, dass er sie kaum fassen konnte. „Das wird doch wieder irgendeine Scheiße“, murmelte er, trotzdem setzten sich seine Füße in Bewegung.

Als er das Licht erreichte, blieb er stehen. Da war etwas auf dem Boden. Eine Papiertüte, durchweicht vom Regen, aber noch erkennbar. Darin: eine halb leere Dose Hafer-Latte, ein paar zerdrückte Bonbons, und darunter ein Schlüsselbund. Sein Herz setzte aus. Es war der Schlüsselbund seines Bruders.

Kapitel 3: Das Spiel beginnt

Die kalte Luft biss in seine Finger, als er den Schlüsselbund aufhob. Der Anhänger – ein verkratztes Stück Metall in Form eines kleinen Hundes – war unverkennbar. Sein Bruder hatte ihn immer dabeigehabt, ein Überbleibsel aus der Kindheit. Ein Moment der Erleichterung durchzuckte ihn, doch der Knoten in seinem Magen zog sich nur noch fester zusammen. Warum lag der Schlüssel hier? Wo war sein Bruder?

Er schluckte hart, versuchte, die Gedanken zu ordnen. Dann hörte er es. Ein Geräusch, das durch die Stille schnitt wie ein Rasiermesser. Klatschen. Langsam, unheimlich. Es kam aus dem Dunkeln vor ihm, wo das schwache Licht des Gangs endete. „Wer ist da?“, rief er und griff fester nach dem Schlagstock. Die Antwort war ein Lachen, rau und tief, dass irgendwo zwischen Menschen und Tier lag.

„Willkommen“, sagte eine Stimme, die zu keinem Gesicht passte. Sie war überall und nirgends, wie das Flüstern einer Schar von Geistern. Er spürte, wie die Härchen auf seinen Armen sich aufrichteten. „Wir haben schon auf dich gewartet.“

„Ich habe keinen Bock auf eure Spielchen!“, rief er, aber seine Stimme klang brüchig, schwächer, als er wollte. „Zeigt euch, verdammt nochmal!“

Die Dunkelheit vor ihm schien sich zu bewegen, sich zu verdichten. Plötzlich waren sie da – fünf Gestalten, die wie aus dem Nichts auftauchten. Männer und Frauen, ihre Gesichter seltsam verschwommen, als würde man sie durch eine schmutzige Fensterscheibe betrachten. Ihre Kleidung war durcheinander – zerrissene Jeans, kaputte Lederjacken, ein grellbunter Hoodie mit einem lächerlichen Einhorn darauf.

Einer der Männer trat vor. Groß, mit breiten Schultern und einer Glatze, die im Licht des Labyrinths glänzte. „Neuer Fisch“, sagte er und grinste, wobei er ein Gebiss aus schiefen, gelben Zähnen entblößte. „Die schicken immer mehr rein. Denken, sie können gewinnen.“

„Wer seid ihr?“, fragte er, obwohl ihm die Kehle trocken war. „Und was labert ihr von Gewinnen? Ich suche meinen Bruder.“

Eine Frau mit schwarzen Haaren und blutroten Lippen trat neben den Glatzkopf. Ihre Augen waren wie zwei dunkle Löcher, leer und unheimlich. „Suchst deinen Bruder?“, wiederholte sie, und ihre Stimme war wie ein kalter Hauch. „Dann bist du wohl bereit zu spielen.“

„Was für’n Spiel?“ Seine Stimme wurde schärfer, aber seine Hände zitterten. Er wusste, dass er in einer verdammten Falle steckte, und er hasste das Gefühl.

Der Glatzkopf lachte, ein raues, kehliges Geräusch, das ihn an das Bellen eines Hundes erinnerte. „Das Spiel, das du schon angefangen hast, Kleiner. Du bist hier, also bist du drin. Regeln gibt’s nicht viele. Überleb, wenn du kannst.“

„Was soll das heißen?“, fauchte er und trat einen Schritt vor. Sein Blick war auf den Schlagstock in seiner Hand fixiert, als wäre er eine verdammte Waffe gegen das, was vor ihm stand. „Ich mach bei keinem Scheiß mit. Ich will meinen Bruder finden.“

„Dein Bruder hat auch gespielt“, sagte die Frau mit den schwarzen Haaren. Sie klang beinahe mitleidig, aber das Lächeln, das sich auf ihren Lippen ausbreitete, war kalt wie Glas. „Er hat verloren.“

„Ihr lügt!“, brüllte er und spürte, wie der Zorn in ihm aufstieg, heiß und scharf wie ein Messer. „Sagt mir, wo er ist!“

Die anderen Gestalten – drei weitere Männer, blass und still wie Statuen – fingen an zu lachen. Es war ein kehliges, ungesundes Lachen, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Du wirst es schon herausfinden“, sagte der Glatzkopf. „Oder auch nicht. Aber eines kann ich dir sagen: In diesem Labyrinth gibt’s nur einen Gewinner. Und das wird nicht dein Bruder sein.“

Er wollte antworten, irgendetwas schreien, aber plötzlich bewegte sich die Welt um ihn herum. Die Wände des Labyrinths glühten kurz auf, ein unnatürliches Grün, das ihm in die Augen schnitt. Dann begannen sie zu verschieben. Der Boden unter ihm vibrierte, als die Gänge sich neu formierten, die Wände sich auseinanderzogen und wieder zusammendrückten. Ein mechanisches, knirschendes Geräusch erfüllte die Luft.

„Die erste Runde beginnt“, sagte die Frau mit den schwarzen Haaren, und ihre Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. „Viel Glück.“

Bevor er reagieren konnte, verschwanden die Gestalten. Einfach weg, als hätte sie der Boden verschluckt. „Verdammt!“, schrie er und schlug mit dem Schlagstock gegen die nächste Wand. Der Ton hallte schrill durch die Gänge, aber es brachte ihm keine Genugtuung. Er war allein. Allein in diesem irren Ding.

Die Gänge hatten sich verändert. Sie waren enger, dunkler, und das Summen war lauter geworden, wie ein riesiger Schwarm von Insekten direkt hinter seinem Kopf. Er lief, seine Schritte hallten von den glatten Wänden wider. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde er Staub und Glassplitter einatmen.

Dann hörte er es. Ein Schrei, scharf und durchdringend, voller Schmerz und Verzweiflung. Sein Blut gefror, aber seine Beine bewegten sich von selbst, trugen ihn in die Richtung des Geräuschs. „Hallo? Wer ist da?“ Seine Stimme zitterte, aber er rannte weiter.

Der Schrei endete abrupt, wie abgeschnitten. Stattdessen kam ein anderes Geräusch. Ein Klackern, wie Metall auf Glas. Es wurde lauter, kam näher. „Nein, nein, nein“, flüsterte er, seine Finger klammerten sich um den Schlagstock.

Plötzlich tauchte etwas vor ihm auf. Ein Schatten, riesig und falsch, mit viel zu vielen Beinen. Die Form war unmöglich zu erkennen, aber die Augen – glühend, rot, leer – fixierten ihn. Das Ding bewegte sich mit einer unmenschlichen Geschwindigkeit auf ihn zu. Er schrie, drehte sich um und rannte.

Kapitel 4: Die Regeln der Jäger

Er rannte, die Schritte hallten wie Trommelschläge durch die engen Gänge. Die Luft brannte in seiner Lunge, aber er konnte nicht anhalten. Das Ding hinter ihm war zu nah, das Klackern seiner unnatürlichen Gliedmaßen hallte wie ein Countdown des Todes. Er wagte einen Blick über die Schulter und sah nichts außer den glühenden Augen, die ihn verfolgten.

„Scheiße, scheiße, scheiße!“, keuchte er und stolperte fast, als der Boden plötzlich nachgab. Ein Loch, tief und schwarz, tat sich vor ihm auf, und er konnte gerade noch zur Seite springen. Sein Herz raste, die Panik fraß sich in seine Gedanken wie ein Virus. Das Ding hinter ihm schrie, ein ohrenbetäubender Laut, der klang, als würden Nägel über Glas kratzen. Es war nicht menschlich. Nicht einmal nah dran.

Seine Beine fühlten sich an, als würden sie aus Gummi bestehen, aber er rannte weiter, bog um eine Ecke und krachte fast in eine glatte Wand. Er sah nach links, nach rechts. Zwei Wege. Keine Zeit, nachzudenken. Er nahm den linken und sprintete weiter, die Dunkelheit vor sich fixierend.

Plötzlich hörte er Stimmen. Menschenstimmen. Sie waren gedämpft, als kämen sie aus einem anderen Raum, aber sie waren da. Echt. „Hey!“, brüllte er, seine Stimme heiser von der Anstrengung. „Hallo? Ist da jemand?“

Ein Kichern antwortete. Kurz, scharf, fast verspottend. Es war keine Hilfe, aber es war menschlich. Das war genug, um ihn weiterzuziehen. Er rannte, bis er den Raum erreichte, aus dem die Stimmen kamen. Die Wände hier waren anders – nicht mehr glatt und kalt, sondern bedeckt mit einem unheimlichen, pulsierenden Licht, das wie Adern durch die Struktur zog. Zwei Gestalten standen dort, beide mit dem Rücken zu ihm.

„Ich hab dir gesagt, die Regeln sind einfach“, sagte einer von ihnen, ein breitschultriger Typ in einem zerrissenen Mantel. Seine Stimme war rau, als hätte er jahrelang zu viele Zigaretten geraucht. „Entweder du jagst – oder du wirst gejagt.“

„Halt die Klappe, Mann“, knurrte die andere, eine Frau mit einer wilden, ungekämmten Haarpracht, die aussah, als wäre sie aus einem Albtraum gestolpert. Sie trug eine Jacke, die eindeutig zu groß war, und ihre Finger waren blutig, als hätte sie gerade etwas auseinandergenommen. „Ich brauch keinen verdammten Vortrag. Wir müssen das Vieh erledigen, bevor es uns kriegt.“

Er trat vorsichtig näher, den Schlagstock noch immer fest in der Hand. Die beiden drehten sich gleichzeitig zu ihm um, und ihre Gesichter verrieten alles. Keine Freunde, keine Helfer. Überlebende. Genau wie er. Der Mann musterte ihn von oben bis unten und spuckte auf den Boden. „Noch ’n Neuling. Großartig.“

„Wer seid ihr?“, fragte er, seine Stimme zittrig. „Und was zur Hölle geht hier ab?“

Die Frau lachte kurz, ohne jeden Humor. „Was glaubst du denn, was hier abgeht? Das Labyrinth spielt mit uns, Idiot. Du bist hier, also hast du schon verloren.“

„Halt die Fresse, Raya“, knurrte der Mann und wandte sich wieder ihm zu. „Ich bin Leon. Das ist Raya. Wir sind hier seit... keine Ahnung. Stunden? Tagen? Zeit ist hier für ‘n Arsch.“ Er zuckte mit den Schultern, als wäre das alles völlig normal. „Wenn du überleben willst, solltest du lieber schnell lernen, wie der Hase läuft.“

„Überleben?“, wiederholte er, und seine Stimme brach fast. „Ich bin hier, um meinen Bruder zu finden.“

Raya schnaubte. „Deinen Bruder? Netter Witz. Der ist entweder schon tot – oder er spielt auch mit. Und glaub mir, du willst ihn nicht finden, wenn er sich entschieden hat zu jagen.“

„Was zum Teufel heißt das?“, fragte er, und sein Magen verkrampfte sich.

„Das Labyrinth spielt Spiele“, erklärte Leon und zog ein Messer aus seiner Manteltasche. Die Klinge war rostig, aber scharf genug, um zu töten. „Es gibt Regeln, die niemand versteht, aber eine Sache ist klar: Wenn du nicht bereit bist, jemand anderen zu erledigen, wird dich das Labyrinth fressen.“

„Ich... ich mach da nicht mit“, stammelte er, aber die Worte klangen leer, selbst in seinen Ohren.

Raya lachte wieder, diesmal lauter. „Dann wirst du als Erster draufgehen. Pass auf, du hast nicht viele Optionen hier. Entweder du spielst – oder du stirbst. Es ist ganz einfach.“

Bevor er antworten konnte, kam das Geräusch wieder. Das Klackern. Das Ding war zurück. Es war näher, lauter, als würde es direkt um die nächste Ecke lauern.

„Verdammt!“, zischte Leon und packte ihn am Arm. „Beweg dich, Neuling! Das ist kein verdammter Spielplatz.“

Raya zog eine improvisierte Waffe – ein abgebrochenes Stuhlbein mit Nägeln daran – aus ihrer Tasche und wirbelte herum. „Ich sag’s dir, Leon, diesmal erledigen wir es.“

„Bist du verrückt?“, fauchte Leon. „Das Vieh ist zu stark.“

„Und was willst du machen? Wegrennen? Wieder?“, schrie Raya, und ihre Augen funkelten vor Wut.

Das Ding erschien am Ende des Gangs. Seine Form war undeutlich, aber die Augen – rot, glühend, wie zwei Löcher in einer schwarzen Leere – waren unübersehbar. Es war riesig, viel größer, als es hätte sein dürfen, und die Art, wie es sich bewegte, war unnatürlich, wie etwas, das die Gesetze der Physik ignorierte.

„Lauf!“, brüllte Leon und zog ihn mit sich. Raya blieb stehen, ihre Waffe in der Hand, und lachte. „Kommt doch her, ihr Mistviecher!“

„Was macht sie da?“, keuchte er, während Leon ihn den Gang hinunterzog.

„Sie spielt. Genau wie du irgendwann spielen musst.“ Leons Stimme war kalt, und in seinen Augen war keine Hoffnung, nur Überleben. „Willkommen im Labyrinth.“

Kapitel 5: Der Raum aus Metall

Der Gang endete abrupt, eine Wand aus kaltem, glattem Metall schnitt den Weg ab. Leon schubste ihn nach vorne, sein Griff fest wie eine Klammer. „Halt die Klappe und beweg dich!“ Sein Atem ging schwer, Schweiß tropfte von seiner Glatze. Im Rücken hörten sie immer noch das Geräusch: Klackern, begleitet von einem tiefen, grollenden Laut, der sich wie die Vorfreude eines Raubtiers anhörte.

„Was ist das Ding?“, keuchte er, während sein Blick hektisch zwischen Leon und der Wand hin- und hersprang. Keine Tür, kein Ausweg, nichts. „Wir sitzen hier fest!“

Leon lachte kurz, ein raues, bitteres Geräusch. „Das ist hier Standard, Neuling. Das Labyrinth will, dass wir denken, wir sind geliefert. Aber es gibt immer einen verdammten Ausweg. Die Frage ist nur, was du bereit bist, dafür zu opfern.“

Er wollte etwas erwidern, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Kalter Schweiß rann ihm den Rücken hinunter, während er sich mit zittrigen Fingern an die Wand lehnte. Das Metall fühlte sich lebendig an, warm, fast pulsierend. Sein Herz raste, und sein Atem wurde schneller. Er wusste nicht, ob es die Panik war oder das Labyrinth selbst, das ihn auslaugte.

Hinter ihnen ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen. Das Ding war näher. Viel näher. „Was machen wir jetzt?“, stieß er hervor, seine Stimme bebte.

Leon hob die Hand, legte sie gegen die Wand und fluchte leise. „Such was. Einen Mechanismus, eine verdammte Schwachstelle. Dieses Labyrinth mag tödlich sein, aber es ist raffiniert. Es will uns nicht einfach so töten. Es will uns spielen lassen.“

„Spielen? Spielen?!“, schrie er und schlug mit der Faust gegen die Metallwand. Der Schmerz durchzuckte seine Hand, aber es war besser als nichts. „Das hier ist kein Scheiß-Spiel!“

Leon packte ihn am Kragen, zog ihn so nah heran, dass er den Gestank seines Atems riechen konnte. „Hör zu, Kleiner. Hier drin ist alles ein Spiel. Jedes Rätsel, jede verdammte Ecke. Wenn du das nicht kapiert hast, bist du schon tot. Also reiß dich zusammen und such mit.“

Er wollte widersprechen, wollte Leon in die Fresse schlagen, aber das Klackern hinter ihnen war zu laut. Das Ding war fast da. Er drehte sich um, leuchtete mit der Taschenlampe in den Gang. Die Lampe flackerte, und in diesem Moment sah er es. Ein Schatten, groß und unförmig, kriechend wie ein Insekt, aber mit einer unnatürlichen Eleganz. Es war zu nah. Viel zu nah.