Scherbentanz - Paul Fenzl - E-Book

Scherbentanz E-Book

Paul Fenzl

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Beschreibung

Feuer in einer Villa unweit des Jakobstors. Astrid Sölls Villa, in der sie den Showroom für ihre Dirndl-Kollektionen eingerichtet hat. Gibt es einen Zusammenhang mit einer Näherin Astrids, die auf dem Emmeramsplatz von einer Kugel tödlich getroffen wird? Hat die im Sarchinger Weiher gefundene Pistole etwas mit dem Fall zu tun? Bei weitem nicht die einzigen Probleme, die zu lösen dem Kommissar Köstlbacher Sorgen bereiten. Mit der Neuauflage dieses Krimis möchte der Autor an Roland Zeller erinnern, im zivilen Leben ehemaliger Soldat mit Afghanistan Erfahrung, Fahrlehrer und Drummer der Band Scherbentanz. Leider verstarb zwischenzeitlich Roland Zeller, der nicht nur in diesem Krimi für den gleichnamigen Undercover-Agenten Pate stand, während seiner Dienstausübung als Fahrlehrer bei einem unverschuldeten Unfall.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 

Kapitel 2 

Kapitel 3 

Kapitel 4 

Kapitel 5 

Kapitel 6 

Kapitel 7 

Kapitel 8 

Kapitel 9 

Kapitel 10 

Kapitel 11 

Kapitel 12 

Kapitel 13 

Kapitel 14 

Kapitel 15 

Kapitel 16 

Kapitel 17 

Kapitel 18 

Kapitel 19 

Kapitel 20 

Kapitel 21 

Kapitel 22 

Kapitel 23 

Kapitel 24 

Kapitel 25 

Kapitel 26 

Kapitel 27 

Kapitel 28 

Kapitel 29 

Kapitel 30 

Kapitel 31 

Kapitel 32 

Kapitel 33 

Kapitel 34 

Kapitel 35 

Kapitel 36 

Kapitel 37 

Kapitel 38 

Kapitel 39 

Kapitel 40 

Kapitel 41 

Kapitel 42 

Kapitel 43 

Kapitel 44 

Nachtrag 

Danksagungen 

Köstlbacher-Krimireihe 

 

 

 

 

Neuauflage des ursprünglichen Titels AUSGEBRANNT 

 

 

 

Vollständige e-Book Ausgabe 2021 

 

© 2021 SPIELBERG VERLAG, Neumarkt 

Umschlaggestaltung: coMedia 

Umschlagmotive: © blende12 - pixabay, borisb17 - adobe stock 

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel ›Ausgebrannt‹ im MZ-Buchverlag, Regenstauf 

Alle Rechte vorbehalten. 

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

 

(e-Book) ISBN: 978-3-95452-110-4 

 

 

www.spielberg-verlag.de 

 

 

 

 

Gewidmet meiner lieben Frau Virginia 

 

 

Eigenheiten des vom Autor gewählten Stils 

 

Paul Fenzl entschied sich bezüglich seiner achtteiligen Regensburg-Krimi-Serie für einen etwas ungewöhnlichen Sprachstil, dessen besondere Merkmale elliptische Sätze, die ›du‹-Form, Namen mit vorangestelltem Artikel, häufig Dativ statt Genitiv sowie stereotype Satzanfänge und Redewendungen sind.

Es lag in der Absicht des Autors, dadurch den Leser gleichzeitig zum Zuhörer zu machen, der mit diesen Geschichten gleichsam in einer Art Wirtshausatmosphäre von einem Erzähler unterhalten wird.

Kapitel 1 

Nach der Geschichte mit den Serienmorden, wie sie seit 1975 nicht mehr passiert sind, als der Regensburger Horst David sein teuflisches Unwesen als Frauenmörder mit der Ermordung der Prostituierten Waltraud Frank begonnen hat, da hat jeder gehofft, nun würde erst einmal Ruhe in die Weltkulturerbe-Stadt Regensburg einkehren. Einerseits ein berechtigter Wunsch. Andererseits, und da wirst du mir sicher recht geben, wenn ein so fähiger Kriminaler wie der Kriminalhauptkommissar Edmund Köstl­bacher seine Arbeitskraft aushilfsweise bei denen von der Wirtschaft oder vom Diebstahl vergeuden müsste, dann wäre das auch nicht wirklich in Ordnung. Selbstverständlich würde der Köstlbacher auch da eine gute Figur abgeben, aber als Spezialist in Sachen Mord, da ist er ohne jeden Zweifel bei der Aufklärung eben dieser Kapitalverbrechen am besten aufgehoben.

Ist ja irgendwie schon fast pervers, wenn du einer Arbeit nachgehst, die davon lebt, dass einer gewaltsam stirbt. Gut, die Leute vom Bestattungsinstitut leben auch irgendwie vom Tod, egal wie der sich sein Opfer geholt hat, ob durch einen Verkehrsunfall, eine Krankheit, die Hand eines Mörders oder eben nur aus Altersgründen. Aber was anderes ist das trotzdem. Bei denen läuft alles pietätvoll ab. Davon ist bei der Mordkommission nichts zu spüren.

Wie sich dann jedenfalls über ein Jahr, abgesehen von ein paar Selbstmördern, die nachweislich ohne Fremdverschulden ihren Freitod gewählt hatten, die Gewaltbereitschaft einiger Bürger maximal in Schlägereien entlud, die selten mehr als ein paar Beulen oder Schrammen zur Folge hatten, und kein weiterer Mord mehr im Zuständigkeitsbereich der Kripo Regensburg passierte, da dachten die oben in München doch tatsächlich darüber nach, die Abteilung für Mord zur Einsparung von Personal ganz zu streichen. Im Bedarfsfall sollte dann nur schnell aus den anderen Abteilungen eine Sondereinsatzkommission gebildet werden. Positive Erfahrungen mit solchen SOKOS hatte man ja bundesweit schon mehrfach gesammelt. Nur führte die Bildung einer SOKO bisher nie zur Abschaffung einer Kripo-Abteilung, die sich überwiegend mit Mordfällen befasste. Derartige Erwägungen waren neu und für die eventuell betroffenen Beamten sehr beunruhigend.

Ich sage immer, alles hat zwei Seiten. Und das trifft auch auf den Mord zu, der dem Köstlbacher soeben telefonisch durchgegeben worden ist. Natürlich bedeutete der wieder den Beginn einer ganzen Menge unangenehmer Arbeit. Aber dafür sind der Köstlbacher und sein Team schließlich da. Ohne diese aktuelle Mordmeldung hätten die Pläne von denen oben in München womöglich tatsächlich noch Fürsprecher gefunden. Diese Gefahr würde zwar weiterhin bestehen, aber zumindest für den Moment war sie gebannt.

Abgesehen von diesen personellen Umstrukturierungsideen seitens des Ministeriums hatte die Zeit ohne einen Mord in Regensburg auch sein Gutes für den Köstlbacher gehabt. Und dabei denke ich vor allem an seine Familie, der er sich wieder mehr widmen konnte, weil er nun in aller Regel verlässliche Arbeitszeiten hatte und seine Anna ihn bezüglich seiner Pflichten als Familienoberhaupt besser einplanen konnte.

Ich kann jetzt direkt deine Gedanken dazu lesen. ›Als ob das der Köstl­bacher als Vorteil empfunden hätte!‹ Natürlich hast du recht! Für ihn war das oft eher lästig. Aber immerhin beruhigte es sein schlechtes Gewissen, das er sonst meistens hatte, wenn er unvermittelt zu einem Tatort oder zu einer Vernehmung gerufen wurde. Nur wenn der Grill gerade heiß war und die Würstchen schon duftend darauf brutzelten, dann wäre er natürlich lieber geblieben, als hungrig das Haus zu verlassen.

Während seiner ›geregelten‹ Arbeitszeit hat der Köstlbacher selbstverständlich nicht nur Däumchen gedreht und Kaffee getrunken. Wobei er mir einmal gestanden hat, dass er in der Tat schon Sodbrennen vom vielen Kaffee bekommen hat.

Die Mordfälle der vergangenen Jahre hatten dem Kriminalhauptkommissar Edmund Köstlbacher kaum Zeit gelassen, Regensburg aus kriminalistischer Sicht ganzheitlich zu erfahren. Dazu hatten sich jetzt genug Gelegenheiten ergeben.

Und das ›Ganzheitliche‹, das hat schon was! In der Medizin hört man dieses Schlagwort ja auch immer wieder. Und nicht nur da! Aber bleiben wir einmal einen kurzen Gedanken bei der Medizin. Was hilft es dir, wenn dir ein Arzt irgendein Krankheitssymptom wegmacht und die Ursache nicht behebt? Du verstehst, was ich mit dem ›das Ganzheitliche‹ meine.

Und wenn der Köstlbacher einen Mörder dingfest macht, dann ist das in gewisser Weise etwas in der Art. Er eliminiert ›ein‹ Symptom. ›Das Ganzheitliche‹ erledigen dann später all die Gutachter, die zum Prozess herangezogen werden, während der Köstlbacher schon wieder irgendein neues ›Symptom‹ im Visier hat.

Zugegeben, natürlich fehlt so einem Kriminaler, auch wenn er einer vom Kaliber eines Köstlbacher ist, die psychologische Ausbildung, um ganzheitlich arbeiten zu können. Dafür gibt es bei der Kripo Regensburg schließlich den Polizeipsychologen Dr. Hartmut Schenker. Aber so ein Gewaltverbrechen, so ein Mord, der passiert in aller Regel nur in einem größeren Zusammenhang. Und der ist ebenso in aller Regel eingebettet in einen Personenkreis, der es ganz allgemein mit dem Gesetz nicht so ernst nimmt.

Und genau diesen Personenkreis lernte der Köstlbacher intensiv in all den Wochen und Monaten kennen, in denen er mangels eines neuen Mordes anderen Kollegen, wie denen von der Sitte, vom Rauschgift, von der Wirtschaft und vom Diebstahl aushalf. Auch Probleme mit Migranten, religiösen Fanatikern und politisch radikalen Randgruppen landeten dabei auf seinem Schreibtisch.

Im Ministerium in München kamen seine umsichtige und breitgefächerte Arbeit, seine Teamfähigkeit und letztendlich die Erfolge, die er immer wieder aufs Neue vorzuweisen hatte, gut an. Der bislang über Regensburg hinaus weithin unbekannte, schrullige Kriminaler, der sich vor ein paar Jahren von Straubing nach Regensburg hatte versetzen lassen, erregte positives Aufsehen, das noch Folgen zeigen sollte. Aber davon später!

Kapitel 2 

Dass jede friedliche Ruhe auch einmal vorüber ist, das ist ein Naturgesetz. Das trifft auf den täglichen Straßenverkehr genauso zu wie auf dein Eheleben oder das leidige Wetter. Und schon dreimal auf einen Kommissar von der Mordkommission, der vor lauter Ruhe schon an seiner Existenzberechtigung zweifelt und nach anfänglicher Verärgerung die Umstrukturierungspläne derer in München in Ansätzen zu verstehen beginnt.

»Funken Sie die Dr. Sieber an. Am Emmeramsplatz liegt eine tote Frau. Scheint kein Unfall zu sein! Sagen Sie ihr, ich bin mit dem Liebknecht unterwegs!«, orderte der Köstlbacher und war auch schon an seiner Sekretärin Edith Klein vorbei hinaus in den Flur verschwunden, um mit dem Lift runter zum Einsatzwagen zu eilen. Die Abteilungsleiterin legte großen Wert darauf, über Einsätze ihrer Beamten außer Haus informiert zu werden.

Sicher wäre er zu Fuß die beiden Stockwerke schneller unten gewesen, aber du kennst inzwischen den Köstlbacher. Treppauf tut’s die Pumpe nicht und treppab schmerzt das rechte Knie. Alles eigentlich viel zu früh für seine gerade mal 47 Jahre. Aber wenn du das nötige Schlachtgewicht auf die Waage bringst, spielt das Alter nur mehr eine untergeordnete Rolle, was die Kondition betrifft.

Trage einmal versuchsweise zwei große Gießkannen voll Wasser. Eine links und eine rechts. Und steige mit denen eine Treppe hinauf. Du kannst es auch mit einem vollen Kasten Bier versuchen. So kannst du am besten, zumindest ansatzweise, nachempfinden, was dem Köstlbacher seine Knie beim Treppensteigen aushalten müssen.

»Du hast am Telefon was von einer Toten am Emmeramsplatz gefaselt?«, fragte den Kommissar der Liebknecht, der schon hinterm Steuer des schwarzen Dienstaudis auf seinen Chef wartete.

»Ja! Direkt vor dem Evangelischen Krankenhaus!«, antwortete der Köstlbacher.

»Dort ist doch auch ein Notarzt stationiert. Konnte der nichts mehr machen?«, fragte der Liebknecht.

»Allem Anschein nach nein. Außerdem kann auch ein Notarzt eine Tote nicht wieder zum Leben erwecken!«, grummelte der Köstlbacher, weil er doch selber nichts wusste, außer dass er von Kollegen, die schon vor Ort waren, gerufen worden ist.

Dem Liebknecht war klar, wann es besser ist, den Mund zu halten. Zwar bestand kein Anlass, nicht mit dem Edmund weiter über den Grund zu sinnieren, der sie zum Emmeramsplatz führte, aber wenn der Edmund diesen brummigen Unterton in seiner Stimme anschlug, war es angebrachter, eine Konversation nicht erzwingen zu wollen. Eigentlich müsste sein Chef ja eher jubeln, weil alles darauf hindeutete, dass die Regensburger Mordkommission wieder etwas zu tun bekäme, was ihrem Aufgabenbereich entspricht. Aber so ist er eben, der Köstlbacher, immer anders, als man es von ihm erwartet. Für einen Kollegen, der diese Eigenheit kennt, kein wirkliches Problem. Für einen Straftäter, auf den es der Köstlbacher abgesehen hat, ein undurchschaubarer und damit gefährlicher Ermittler.

»Schau, schau! Der Kollege Jung ist schon da!«, sagte der Liebknecht erstaunt, als sie den Emmeramsplatz erreichten.

»Seltsam! Allein! Ganz ohne sein Team?«, kommentierte der Köstlbacher.

»Wer hat dich schon angefordert?«, fragte der Köstlbacher seinen Kollegen Kommissar Jung von der Spurensicherung.

Dabei streckte er ihm seine Hand entgegen, verzichtete aber auf begrüßende Worte.

Der Kommissar Liebknecht nickte dem Jung nur freundlich zu und ließ erst einmal seinen Blick in die Runde schweifen. Bei all den Fenstern, aus denen man hier herunterschauen konnte, da dürfte der Personenkreis, der Beobachtungen gemacht haben könnte, enorm groß werden.

»Niemand! Ich hielt nur zufällig gerade eine Fortbildung in der Klinik ab«, entgegnete der Beamte und schüttelte dem Köstlbacher seine Hand.

»Du? Eine Fortbildung? Willst du denen in der Klinik beibringen, wie man für die Polizei Spuren sichert, falls einmal einer in der Klinik ermordet wird?«, fragte der Köstlbacher mit einem fast zynischen Lächeln auf seinen Lippen.

»Wo denkst du hin? Die Fortbildung ist nur für Notärzte! Ich versuche denen klar zu machen, dass sie wertvolle Spuren verwischen, wenn sie sich mit ein/zwei Sanitätern vor Ort wie die sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen aufführen. Allerdings will man davon nichts wissen. Menschenleben retten sei vorrangig!«, antwortete der Jung.

»Ist ja auch nachvollziehbar!«, meinte der Köstlbacher.

»Notärzte sind keine Kriminaler. Die machen ihre Arbeit nicht mit dem Verdacht im Hinterkopf, dass ein Gewaltverbrechen vorliegen könnte. Wir suchen Täter! Und die Notärzte wollen, wie du schon richtig gesagt hast, nur Leben retten!«

»Wenn’s noch was zu retten gibt, dann schon! Aber oft sind die Opfer ja schon unübersehbar tot«, entgegnete der Jung.

»Und wie steht’s mit der da?«, fragte der Köstlbacher und deutete dabei auf die Frau, die unweit vom Eingang ins Evangelische Krankenhaus durch eine Decke abgeschirmt vor neugierigen Blicken auf dem Bürgersteig lag. Neben ihr ein ramponierter DINA4 Aktenordner.

»Hat ein hässliches Loch in der Brust. Sieht mir nach einem großen Kaliber aus! Vermutlich dauerte es nur eine Schrecksekunde, bis sie tot war«, fasste der Jung ultrakurz zusammen und hob die Decke an, damit sein ­Kollege die Sauerei sehen konnte.

Der Köstlbacher zuckte bei dem Anblick unmerklich zusammen.

»Großkaliber! Müssten den Schuss nicht jede Menge Passanten gehört haben?«, fragte der hinzugetretene Kommissar Liebknecht.

»Und falls mit einem Schalldämpfer geschossen worden ist? Außerdem, schau mal da hinüber!«

Keine 20 Meter von der Leiche entfernt, stand ein Baustellen-Generator. Momentan nicht in Betrieb!

»Wenn der mit seinem lautstarken Kompressor den angekoppelten Presslufthammer in Bewegung setzt, dürfte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen und selbst ein Schuss wäre nur schwer als solcher zu identifizieren«, meinte der Kollege Jung.

»Wurde da zur Tatzeit gearbeitet?«, wollte der Köstlbacher wissen.

»Vermutlich ja. Die Männer schienen von allem nichts mitbekommen zu haben. Ich musste sie in eine Zwangspause schicken, um hier überhaupt halbwegs störungsfrei arbeiten zu können!«, sagte der Spurensicherer.

»Was meinst du, Gewehr oder Faustfeuerwaffe?«, fragte der Köstlbacher.

»Das ist schwer zu sagen«, wich der Kollege Jung aus, weil er sich nicht sicher war. Der Aktenordner, den die Tote vor sich haltend getragen hatte, war von der Kugel durchschlagen worden. Vermutlich der Grund, warum die Energie der Kugel nicht mehr ausreichte, den Körper zu durchschlagen. Aber von daher auf die Art der Waffe zu schließen? Das sollten andere tun.

»Also Gerichtsmedizin?«, fragte der Köstlbacher.

»Unbedingt!«, antwortete der Jung. »Du fragst mich gar nicht, wer die Tote ist?«, fügte der Jung noch erstaunt hinzu.

»Nicht nötig! Ich kenne die Tote!«, antwortete der Köstlbacher.

Du kannst dir vorstellen, wie verblüfft der Kommissar Jung bei diesen Worten dreingeschaut hat. Auch dem Kommissar Liebknecht hat es einen Ruck gegeben. Ohne abzuwarten, was sein Chef für einen Namen nennen würde, hob er die Decke noch einmal an, da ihm vorher durch den breiten Rücken seines Chefs der Blick auf die Tote versperrt war.

Mehr als zwei Sekunden waren es nicht, die der Liebknecht die Decke oben ließ. Blitzschnell drehte er sich wieder weg. Du kennst dem Liebknecht sein Problem ja! Auch nach jetzt schon über zehn Jahren bei der Kripo kann er immer noch kein Blut sehen, ohne dass es ihm den Magen umdreht.

»Linh?«, fragte der Liebknecht mit einer Hand vor dem Mund, falls die Übelkeit überraschend doch noch hochsteigen sollte. »Tran Thi Linh?«

Der Köstlbacher nickte nur.

Möchte man meinen, die beiden hätten nun den Kommissar Jung aufgeklärt. Möchte man meinen! Stattdessen haben beide nur in sich gekehrt auf die zugedeckte Leiche gestarrt. Das hat den Jung gewurmt, weil er sich ausgegrenzt gefühlt hat. Dabei hatte keiner der zwei Kriminaler im Sinn, den Spurensicherer bewusst auszugrenzen. Sie hingen nur im Moment ihren Gedanken nach.

»Kann mich vielleicht einer von euch aufklären?«, unterbrach der Jung die seiner Meinung nach zu lange Schweigeminute.

»Meine Frau hat bei Linh schon öfter etwas zum Ändern hingebracht«, begann der Köstlbacher.

»Wie, zum Ändern?«, fragte der Kollege Jung, der nicht verstand, was der Köstlbacher zum Ausdruck bringen wollte.

»Blusen, Hosen, Kleider, was man eben so alles zu einer Änderungsschneiderin bringt!«, erläuterte der Köstlbacher näher.

»Und woher kennst du sie?«, fragte der Jung den Liebknecht.

»Weil ich schon öfter mal dafür herhalten musste, auf dem Weg die geänderten Teile bei ihr abzuholen«, antwortete der Liebknecht, führte aber nicht näher aus, was er mit ›auf dem Weg‹ meinte. Klar, dass es auf Dienstfahrten geschehen ist. Aber das musste er dem Jung ja nicht auf die Nase binden. Dass er außerdem vor kaum mehr als vier Wochen versucht hat, mit dieser Tran Thi Linh anzubandeln, das behielt er lieber für sich.

»Aha!«, kommentierte der Kommissar Jung nur, weil er nun zwar wusste, dass die Kollegen Köstlbacher und Liebknecht die Tote kannten, aber mehr nicht. Dabei wurde er das Gefühl nicht los, hier etwas verschwiegen zu bekommen.

Der Köstlbacher, der durchaus bemerkte, dass der Kollege Jung gern mehr gewusst hätte, winkte ab und sagte:

»Was heißt schon ›kennen‹! Kennst du die Blondine, die in der Kantine in der Bajuwarenstraße mittags an der Kasse sitzt? Du siehst sie oft! Aber kennst du sie?«

»Ich verstehe!«, antwortete der Kommissar Jung. So gesehen hatte der Köstlbacher natürlich recht. »Ich dachte nur …«

»Was? Dass ich den Mörder kenne, weil das Opfer mir schon einmal eine Hose kürzer gemacht hat?«

Der Köstlbacher war ganz offensichtlich verärgert. Der Jung hatte dafür zu sorgen, dass an einem Tatort alle Spuren richtig erkannt, katalogisiert und fotografiert würden. Und natürlich hatte er für einen Bericht Sorge zu tragen, der dem Köstlbacher umgehend zur Verfügung stehen sollte. Und anstatt sein Spusi-Team herzubeordern, löcherte ihn der Wichtigtuer mit Fragen.

Der Jung wollte keinen Streit und wechselte das Thema:

»Meine Kollegen müssten eigentlich schon da sein. Informiert sind sie auf alle ­Fälle!«

Bei diesen Worten verschwand der Ärger, der sich im Köstlbacher auszubreiten begonnen hat, schlagartig wieder. Er hatte den Jung zu Unrecht mangelnde Professionalität unterstellt.

»Entschuldigung!«, brummte der Köstlbacher. »Schick mir deinen Bericht zu, wenn du hier fertig bist!«

»Wir werden uns beeilen!«, sagte der Jung und beugte sich über die Tote. Seine drei Mitarbeiter waren soeben in ihren weißen Overalls gekommen, nickten dem Köstlbacher freundlich zu und begannen routinemäßig ihr Programm abzuspulen.

»Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«, fragte der Liebknecht den Köstlbacher, weil er so seinen Chef noch nicht allzu oft erlebt hatte.

»Ich werde das Gefühl nicht los, dass mit dieser Tran Thi Linh viel Ärger auf uns zukommen wird!«, antwortete der Köstlbacher ausweichend.

»Wie kommst du da drauf?«, fragte er.

»Ist nur so ein Bauchgefühl!«, antwortete der Köstlbacher. In Wahrheit wusste er selbst nicht so recht, was seine Verstimmung so spontan ausgelöst hatte. War es die dem Jung unterstellte Unprofessionalität oder war es der Anblick der ihm bekannten Toten? Oder spielte da ganz etwas anderes eine Rolle? Vielleicht die Befürchtung, seine eigene Familie könnte wieder einmal in einen Fall hineingezogen werden? Passiert war das ja schon. Und nicht nur einmal!

Und jedes Mal war es ein Desaster!

Erst jetzt fiel dem Köstlbacher auf, dass einige Polizeibeamte das Terrain rund um die Tote vorbildlich abgesperrt hatten.

»Dein Werk?«, fragte er, weil er glaubte, der Liebknecht hätte das erledigt, während er mit dem Jung gesprochen hat.

»Da musst du dich schon bei dem Jung bedanken. Der hat sehr umsichtig reagiert, bis wir hier aufgekreuzt sind!«

Jetzt war endlich wieder Arbeit nach seinem Geschmack da. Und dann dieser Einstieg! ›Vielleicht sollte ich mich vom aktiven Dienst zurückziehen!‹, dachte der Köstlbacher insgeheim.

Kapitel 3 

Interessant war dann der Bericht vom Dr. Michael Frank, dem Leiter der Gerichtsmedizin in Erlangen. Interessant vor allem wegen des Kalibers. Dass es ein großes gewesen sein musste, das hatte der Jung schon richtig gesehen. Aber dass es eines war, das in den alten Bundesländern bis zur Wende quasi gar nicht und danach auch nur selten auftauchte, das war durchaus außergewöhnlich. ›… Der fast 90° Einschusswinkel lässt darauf schließen, dass der tödliche Schuss fast in Gegenüberstellung des Mörders erfolgt sein muss. Der Aktenordner bremste die Durchschlagskraft der Kugel ab und verformte sie entsprechend, weshalb der Schusskanal überdimensional groß ausfiel. Das Geschoss durchschlug auf seinem weiteren Weg das Herz und blieb anschließend im T6 der Wirbelsäule stecken. Das Kaliber ist eindeutig 9,2 x 18 mm …‹

Soweit die Passage aus dem gerichtsmedizinischen Bericht, die den Köstlbacher am meisten interessierte.

9,2 x 18 mm! Dem Köstlbacher fiel dazu nur eine einzige Faustfeuerwaffe ein, die dieses Kaliber hatte. Eine Pistole Makarow, wie sie in der ehemaligen DDR in der NVA üblich war. Spontan dachte er in diesem Zusammenhang an Roland Zeller.

Falls du dem Köstlbacher seine beiden letzten Fälle kennst, deren Lösung ihm einige graue Haare bescherten, dann hast du auch schon was von dem Roland Zeller gehört. Ehemals, als er noch DDR-Bürger war, hieß er Oskar Lischka. Nach einigen Stationen in seinem Leben, auf die ich jetzt nicht ­näher eingehen möchte, wurde in Bayern aus dem Oskar Lischka ein Roland Zeller, der bald auf der Gehaltsliste des Freistaats Bayern stand, auch wenn er als zweites Standbein – vielleicht auch nur zum Schein – ›Rosi’s Fahrschule‹ betrieb.

Natürlich hätte der Köstlbacher jetzt auch andere Kanäle anvisieren können. Aber der Roland hatte unschätzbare Erfahrungen, als Soldat im Kriegseinsatz in Afghanistan, als universeller Undercover-Agent, nicht nur für die Mordkommission, als Agent beim LKA, manchmal sogar beim BKA. So einer, der kennt Verbindungen und hat spontan Zusammenhänge parat, frage nicht! Die spuckt kein noch so gutes Computerprogramm aus.

Und weil der Köstlbacher trotz aller Subordinationsprobleme vom Roland den Teufelskerl irgendwie mochte, hat er einfach zum Telefon gegriffen und seine Handynummer im Verzeichnis angeklickt.

»Roland, bist du dran?«, fragte er, weil die Stimme am anderen Ende der Leitung nicht wirklich bekannt klang.

»Bist schon richtig! Hab’ mir nur eine Erkältung eingefangen!«, antwortete der Roland. »Was liegt an?«

»Kaliber 9,2 x 18 mm! Sagt dir das was?«, fragte der Köstlbacher.

Das war das Schöne am Roland! Bei ihm musste man nicht erst lang um den Brei herumreden. Das Wichtigste in einem Wort und der Roland würde wissen, worum es ging und was er dazu beitragen könnte.

»Hm!«, sagte der Roland. »Gute Pistole! Viele registrierte dürften in Bayern nicht zu finden sein! Die gab’s übrigens auch offiziell als schallgedämpfte Version.«

»Bist du zur Zeit in Regensburg?«, fragte der Köstlbacher. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, nicht zu viel übers Telefon zu äußern. Nicht nur Amerika hörte ab!

»Ja! Ich hätte sogar auf ein Bier Zeit für dich. Meine Kollegin hat meine Fahrstunden übernommen, damit ich meine Erkältung auskurieren kann.«

»Und das möchtest du bei einem Bier tun«, schmunzelte der Köstlbacher, der die Vorliebe vom Roland für ein frisches Weißbier nicht erst seit gestern kannte.

»Was dagegen?«, fragte der Roland.

»Natürlich nicht! In einer Stunde im Fürstlichen Brauhaus? Ich hätte anschließend Feierabend und könnte daher eins mittrinken!«, antwortete der Köstlbacher.

»Gute Wahl! Bis dann!«, bestätigte der Roland und beendete das kurze Gespräch.

Die Zeit reichte, um vorab noch einmal den Bericht vom Dr. Michael Frank von der Gerichtsmedizin durchzulesen. Um eine bessere Vorstellung von der Pistole zu haben, die als Mordwaffe gedient haben sollte, gab der Köstlbacher ›Kaliber 9,2 x 18 mm‹ in die Suchmaschine Google ein. Schaute eigentlich auch nicht viel anders aus, als vergleichbare westliche Fabrikate! Fragt sich nur, über welche Kanäle so eine Waffe hier her gelangen konnte. Die Munition dazu musste ja auf demselben Weg gekommen sein. Hier war sie ja selbst für einen munitionserwerbsberechtigten Sportschützen nicht zu haben!

Kapitel 4 

Astrid Söll war außer sich, als sie von einer Geschäftsreise, auf der sie einen Teil ihrer Stoffe für die Produktion ihrer Dirndl Couture eingekauft hatte, nach Regensburg zurückkam, und die Feuerwehr mit einem großen Aufgebot vor ihrem Haus in der Mathildenstraße vorfand.

Der Schrecken wäre schon groß genug gewesen, wenn es sich nur um ihr Zuhause gehandelt hätte. Aber dort in der Mathildenstraße befand sich weit mehr als nur das. Für Astrid war diese Adresse längst zum Zentrum ihres außergewöhnlichen Unternehmens geworden, wo hochwertige Stoffe noch als Meterware lagerten, in dem neue Kreationen entstanden, wo die edelsten Dirndln nicht nur der aktuellen Kollektion in einem Showroom bewundert werden konnten.

Natürlich wurde Astrid von ihrer Sekretärin Sandra Würtz, gleich nachdem sie die Feuerwehr informiert hatte, angerufen. Insofern hatte ihre Chefin schon eine Ahnung, was sie erwarten würde. Aber gerade deswegen waren die letzten Kilometer auf der Autobahn vom Flughafen München nach Regensburg zum Martyrium geworden. Letztendlich hätte inzwischen das ganze Haus abgefackelt sein können. Wie in so einem Fall die eigene Fantasie Horrorszenarien hervorzuzaubern vermag, das kann sich eigentlich nur vorstellen, wer sich schon einmal in einer vergleichsweise ähnlichen Situation befunden hat.

»Sie können hier nicht durch!«, stoppte ein älterer Polizist Frau Söll, als sie gerade im Begriff war, unter der Absperrung zum Haus hindurchzuschlüpfen.

»Und ob ich das kann!«, blitzte Astrid den Beamten an.

»Ich wohne hier!«

Ich muss schon sagen, dass einer in Regensburg die Astrid sieht und nicht erkennt, wen er da vor sich hat, das ist schon fast peinlich. Ein regionales Magazin, in dem sie nicht auftaucht, kann nur eines sein, dessen Tage gezählt sind. Mag sein, irgendwo in den neuen Bundesländern ist ihr Bekanntheitsgrad nicht so flächendeckend. Aber selbst dort bestünde zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit.

Der ältere Polizist wollte energisch reagieren. Aber so, wie’s aussah, hat er mit einem Schlag seinen Fehler begriffen. Zum Glück, muss ich sagen, sonst hätte ich am Personengedächtnis der Regensburger Polizei ernsthaft zu zweifeln begonnen. Zumal dieser Beamte schon seit 30 Jahren seinen Dienst hier in dieser Stadt ableistete.

»Oh! Entschuldigung! Selbstverständlich Frau Söll! Der dunkelhaarige Herr dort drüben leitet den Einsatz. Wenden Sie sich an ihn!«, stotterte er verlegen, wurde gleichzeitig knallrot im Gesicht und hob eigenhändig das Absperrband hoch, um die Modeschöpferin durchzulassen.

Ohne ein Wort des Dankes – ihr Ärger war nicht wirklich verflogen – wandte sich Frau Söll dem Einsatzleiter zu. Der streckte ihr zur Begrüßung eine Hand hin und meinte:

»Hallo Frau Söll! Kein Grund zur Aufregung! Wir haben alles im Griff!«

»Sie sind gut! Hier brennt’s und Sie sehen keinen Grund zur Aufregung?«, lamentierte Frau Söll, wenig angetan von der verniedlichenden Darstellung.

»Halb so wild, wie’s aussieht! Wir mussten kein Feuer löschen. Die starke Rauchentwicklung stammte vermutlich von einer Rauchgranate!«, versuchte der Feuerwehrmann erneut sie zu beruhigen. Aber mit dem Wort ›Granate‹ wählte er – du wirst es dir schon denken – nicht das geeignete Wort, um Frau Sölls Sorgen zu zerstreuen.

»Rauchgranate?«, fragte sie kopfschüttelnd. Allein schon der Begriff verursachte ihr Magenschmerzen.

»Das ist nur so ein Fachterminus«, erwiderte der Einsatzleiter, dem schlagartig bewusst wurde, dass er mit ›Granate‹ die Situation etwas überspitzt dargestellt hatte. Genau das Gegenteil von dem, was er wollte. »Explodiert ist da nichts! So ein Teil erzeugt nur jede Menge Rauch.«

»Dann gab’s gar kein Feuer?«, fragte Frau Söll. Ein Hauch von Erleichterung schwang in ihrer Stimme mit.

»Leider doch! Aber beruhigen Sie sich! Größerer Schaden ist keiner entstanden. Irgendwer muss einen brennenden, mit Benzin getränkten Lappen in Ihre Einfahrt geworfen haben und dazu die Rauchbombe. Beides zusammen simulierte einen Brand, der uns auf den Plan rief!«

Astrid schüttelte verwirrt den Kopf.

»Aber warum?«, fragte sie.

»Sieht mir nach einem üblen Streich aus. Vielleicht auch eine Warnung! Aber das ist nicht mein Metier! Sehen Sie die Dame dort vor Ihrer Haustüre? Das ist Kommissarin Koch von der Kripo. Ist vielleicht besser, wenn Sie mit der weiterreden.«

»Kripo?«, fragte Frau Söll erstaunt, wartete jedoch seitens der Feuerwehr keine Antwort mehr ab und wandte sich stattdessen der Kommissarin Koch zu.

Vermutlich wunderst du dich jetzt, was die Koch von der Mordkommission in der Mathildenstraße zu suchen hatte, wo es doch dort gar keine Leiche gegeben hat.

Ganz ehrlich gesagt, das war reiner Zufall. Die Koch hatte ihren freien Tag und wollte den nutzen, einmal im Showroom bei der Astrid Söll vorbeizuschauen. Die Sekretärin von der Astrid, die Sandra Würtz, die ist eine alte Freundin von der Koch. Alles Weitere kannst du dir denken.

Damit hat die Kommissarin Koch natürlich jetzt auch gegenüber Frau Söll ihre Anwesenheit erklärt. Dass ihr Chef, der Köstlbacher, dass der wenige Tage später auch hier aufkreuzen würde, und zwar letztendlich doch noch im Zusammenhang mit einem Mord, das konnte zu dem Zeitpunkt freilich noch keiner wissen.

Kapitel 5 

Aus dem einen Bier waren beim Köstlbacher längst zwei geworden. Und der Roland, der deutlich schneller schluckt, der Roland erfreute seinen Gaumen soeben sogar schon am Schaum vom vierten Weißbier.

Ich weiß, das klingt nach sehr viel und lässt Gedanken aufkommen, als ob die beiden Alkoholiker wären. Aber rechne das doch einmal in Maß um. Siehst du! Vier Halbe sind auch nicht mehr als zwei Maß! Und auf der Dult, da würde einer nach einer Maß noch lange nicht unter die Alkoholiker gezählt werden. Es ist einfach wie überall im Leben: Die Betrachtungsweise beschreibt das Ergebnis!

»Ich hab’ noch einmal über die Makarow PB nachgedacht. Ich bin mir sicher, dass es eine PB war«, sagte der Roland, als er vom Köstlbacher auf dieses Thema angesprochen wurde.

»PB? Was soll ich mir darunter vorstellen?«, fragte der Köstlbacher.

»Die Makarow PB Kal. 9,2x18 ist die schallgedämpfte Version der Makarow PM. Beide Modelle haben 8 + 1 Schuss, also 8 Schuss im Magazin und einer im Lauf. Interessant ist die relativ geringe Mündungsenergie von 310 m/s. Somit kommt es zu keinem Überschallknall. Der Mündungsknall wird mittels des Schalldämpfers fast gegen Null reduziert.«

»Aha! Dann wäre der Schuss also auch ohne den Straßenbaulärm nicht zu hören gewesen?«, fragte der Köstlbacher.

»So sieht’s aus!«, bestätigte der Roland. »Ich glaube auch kaum, dass jemand für seine Tat das Gerattere eines Presslufthammers einplant. Zu viele Unwägbarkeiten!«

»Hm!«, sagte der Köstlbacher nur. Er hatte eine Tote, wusste mit welcher Art Waffe sie erschossen worden war, und das war’s auch schon. Kein Motiv! Kein Täter! Nicht einmal einer, der verdächtig wäre! Nichts!

»Du hast nichts!«, brachte es der Roland auf den Punkt, weil der Köstl­bacher nur verdrossen dreinschaute und schwieg.

»Wir sind erst am Anfang!«, begann er auf einmal unerwartet zu erzählen. »Unbegreiflich! Das musst du dir einmal vorstellen! Direkt vor dem Evangelischen Krankenhaus! Einsehbar von allen Seiten. Und keiner hat was beobachtet! Keiner! Nicht einmal eine von den Sekretärinnen drüben in der Regierung. Normal entgeht denen aus Langeweile nicht die kleinste Bewegung unten auf dem Emmeramsplatz!«

»Wahrscheinlich sind die frustriert vom Presslufthammerlärm, haben ihre Fenster geschlossen und schauen demonstrativ nicht runter!«, vermutete der Roland.

»Und unten ist es nicht viel anders. Wer kümmert sich schon beim Vorbeigehen um das Geschehen auf einer Baustelle? Da schaut man doch meistens eher, so schnell wie möglich vorbeizukommen.«

»Auch dass die Erschossene Vietnamesin war, muss nicht zwangsläufig was zu sagen haben. Ich meine, von denen gibt’s schließlich eine ganze Menge hier in Regensburg. Und bisher machten die uns keinerlei Probleme«, stellte der Köstlbacher fest.

»Du vergisst den Brand in dem Laden in Burgweinting vor zwei Jahren! Oder waren das Chinesen? Jedenfalls sollte nach meiner Erinnerung damals die Konkurrenz ausgeschaltet werden«, gab der Roland zu bedenken.

»Du hast ein gutes Erinnerungsvermögen. War Brandstiftung! Aber Genaueres weiß ich nicht. Werde gleich morgen den Akt anfordern. Vielleicht gibt’s da ja tatsächlich Parallelen«, meinte der Köstlbacher.

»Ja, vielleicht!«, wiederholte der Roland die Worte des Kommissars. »Mich lässt diese Makarow PB nicht zur Ruhe kommen. Wenn du mich fragst, ist diese Waffe der Schlüssel zu dem Mord.«

»Wie kommst du auf diese Idee?«, fragte der Köstlbacher.

»Ich war zwar noch sehr jung, als ich die ehemalige DDR aktiv miterlebte. Aber an eines erinnere ich mich genau, unser sozialistischer Staat nahm viele Vietnamesen auf. ›Vertragsarbeiter‹ wurden sie genannt. Zeitweise sollen so an die 60.000 Vietnamesen in der DDR gelebt haben. Vermutlich sozialistisch geprägte. Aber was bedeutet das schon. Heute kehrt keiner mehr seine Gesinnung nach außen, zumal wenn es nicht mehr opportun ist.«

»Was genau willst du mir damit sagen?«, fragte der Köstlbacher.

»Kann sein, ich liege nicht richtig, und der Mord hat einen völlig anderen Hintergrund. Aber wenn du mich fragst, hast du ein vietnamesisches Problem am Hals. Die Leute sind äußerst geschäftstüchtig und lassen keine Möglichkeit aus, das unter Beweis zu stellen. Meines Wissens handeln einige Vietnamesen noch heute mit ehemaligen NVA-Beständen. Die waren nach der Wende ja für einen Appel und ein Ei zu haben. Legal wie illegal! Die Absatzmärkte dafür sind vielleicht nicht unbedingt in Regensburg, aber gleich über der Grenze in der nahen Tschechei dafür umso gehäufter.«

»Mag ja sein, es stimmt alles, was du sagst. Aber wirklich hilfreich ist das für meine Ermittlungen nicht gerade.

Könntest du da nicht einmal deine Kontakte für mich spielen lassen und versuchen herauszubekommen, in was der Clan, zu dem die ermordete Tran Thi Linh gehört, verwickelt sein könnte?«, bat der Köstlbacher.

»Kann ich machen. Hilfreich wäre es, wenn du mir mehr Namen geben könntest«, antwortete der Roland.

»Ich lass’ vom Liebknecht eine Liste zusammenstellen. Bisher haben wir Kontakt aufgenommen zu ihrem Mann und ihrer Mutter in der Ostengasse. Soweit ich weiß, wohnt dort eine ganze Großfamilie in einem Haus«, sagte der Köstlbacher.

»Das wäre ja ganz in der Nähe von dir?«, fragte der Roland.