Schicksalsjäger (Band 2) - Ich bin deine Bestimmung - Stefanie Hasse - E-Book

Schicksalsjäger (Band 2) - Ich bin deine Bestimmung E-Book

Stefanie Hasse

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Beschreibung

Kiera kann immer noch nicht glauben, dass sie wirklich göttliches Blut in sich trägt. Doch als sie eines Tages in einen Hinterhalt gerät und von Lamien angegriffen wird, ist ihr klar, dass der Schleier zwischen menschlicher und göttlicher Welt bald fallen wird. Fortunas und Kairos' Sieg steht kurz bevor. Wäre doch nur Phoenix noch an Kieras Seite, um ihr irgendwie zu helfen! Und dann geschieht das Unfassbare: Kiera verliert die Schicksalsmünze ... Schicksalsjäger ist der zweite und abschließende Band einer Romantasy-Geschichte zum Verlieben. Als erfolgreiche Buchbloggerin weiß Stefanie Hasse genau, was Leserinnen ab 13 lieben: eine romantische Liebesgeschichte mit einer sympathischen Protagonistin und einem prickelnden Love Interest (oder besser gleich zwei), einer Prise Humor und einem düsteren Geheimnis. Und wer würde nicht gern selbst einmal Schicksal spielen? "Schicksalsjäger – Ich bin deine Bestimmung" ist der finale Band der Dilogie.

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Inhalt

Widmung

Einleitung

Prolog

Kapitel 1 – Schweiß rann mir …

Kapitel 2 – Mit schnellen Schritten …

Kapitel 3 – Wer, wie ich …

Kapitel 4 – Schnell konzentrierte ich …

Kapitel 5 – Im letzten Moment …

Kapitel 6 – Ich hatte noch …

Kapitel 7 – »Das erklärt, warum …

Kapitel 8 – Die Hand, die …

Kapitel 9 – Hayden reagierte schnell …

Kapitel 10 – Im Krankenhaus herrschte …

Kapitel 11 – Ich hatte gehofft, …

Kapitel 12 – Hayden machte keine …

Kapitel 13 – Hayden wechselte auf …

Kapitel 14 – »Hatten wir uns …

Kapitel 15 – Seine Worte hingen …

Kapitel 16 – Gemeinsam gingen wir …

Kapitel 17 – Es dauerte mehrere …

Kapitel 18 – Der Greif setzte …

Kapitel 19 – Phoenix erhob sich …

Kapitel 20 – Auch Cody und …

Kapitel 21 – Cody murmelte so …

Kapitel 22 – Ich ließ den …

Kapitel 23 – Meine Beine zitterten, …

Kapitel 24 – Nicht einmal bei …

Kapitel 25 – Ich keuchte auf. …

Kapitel 26 – Meine Hand glitt …

Kapitel 27 – Die Selbstvorwürfe drohten …

Kapitel 28 – Cody war es …

Kapitel 29 – »Die Vorfälle in …

Kapitel 30 – Phoenix stand im …

Kapitel 31 – Die Nachrichten liefen …

Kapitel 32 – In Windeseile wechselte …

Kapitel 33 – So fühlte sich …

Kapitel 34 – Sie hatten Hayden. …

Kapitel 35 – Es war zu …

Kapitel 36 – »Mein Vater hat …

Kapitel 37 – Hayden trat langsam …

Kapitel 38 – »Wie hast du …

Kapitel 39 – Ohne zu fragen, …

Kapitel 40 – Ich schloss die …

Kapitel 41 – Ihre Worte dröhnten …

Kapitel 42 – Ich atmete bemüht …

Kapitel 43 – Ich konnte Hayden …

Kapitel 44 – Die Luft knisterte …

Kapitel 45 – Die Situation war …

Kapitel 46 – Ursprünglich hatte ich …

Kapitel 47 – Amy bestand darauf, …

Kapitel 48 – Amy schrie ein …

Kapitel 49 – Cody sprang zu …

Kapitel 50 – Es dauerte eine …

Kapitel 51 – Sofort hatte Phoenix …

Kapitel 52 – Wieder einmal sorgte …

Kapitel 53 – Ich stellte mir …

Kapitel 54 – Ich wusste nicht …

Kapitel 55 – Phoenix spannte sich …

Kapitel 56 – Niemand im Raum …

Kapitel 57 – Phoenix reagierte schnell, …

Kapitel 58 – Ich kniff die …

Kapitel 59 – Ohne uns zu …

Kapitel 60 – »Sie sind weg«, …

Kapitel 61 – Cody ließ Phoenix …

Kapitel 62 – »Ich muss zu …

Kapitel 63 – »Was genau tust …

Kapitel 64 – Eins musste ich …

Kapitel 65 – Geräusche, die eigentlich …

Kapitel 66 – Grelle Blitze. Schmerzen. …

Kapitel 67 – »Hol sie zurück!«, …

Kapitel 68 – »Nimm deine Finger …

Kapitel 69 – Das, was innerhalb …

Kapitel 70 – Hatte ich wirklich …

Kapitel 71 – Ich hatte mich …

Kapitel 72 – »Nehmt auch die …

Kapitel 73 – Hermes sah zu …

Kapitel 74 – Ein gewaltiger, dröhnender …

Kapitel 75 – In meinen Ohren …

Kapitel 76 – Mein Herz klopfte …

Kapitel 77 – Die nächsten Szenen …

Kapitel 78 – Zwei Wochen später …

Bisher von Stefanie Hasse im Loewe Verlag erschienen

Über die Autorin

Weitere Infos

Impressum

Für alle, die Kiera und Phoenix

Fortunae plango vulnera

Fortunae plango vulnera stillantibus ocellis, quod sua mihi munera subtrahit rebellis. Verum est, quod legitur fronte capillata, sed plerumque sequitur occasio calvata. In Fortuna solio sederam elatus prosperitatis vario flore coronatus; Quidquid enim florui felix et beatus, nunc a summo corrui gloria privatus. Fortuna rota volvitur: Descendo minoratus; Alter in altum tollitur; nimis exaltatus

(aus den Carmina Burana)

Prolog

Götter hatten einst die Menschen erschaffen. Sie formten sie aus Lehm, schnitzten sie aus Holz oder einer Rippe – je nachdem, welchem Glauben man folgte.

All diese Mythen hatten jedoch eines gemeinsam: Menschen wurden erschaffen. Die Götter standen über ihnen und bestimmten über die Wesen, die sie schufen.

Doch die Stärke der Götter war nicht in Stein gemeißelt. Mit der Erschaffung der Menschen hatten sie etwas ins Rollen gebracht, das sie nicht mehr kontrollieren konnten. Die Menschen wurden eigenständig, sie wandten sich in Situationen der Not nicht mehr an die Götter, sondern an ihresgleichen. Der Glauben an die Götter schwand mehr und mehr – und ohne den Glauben der Menschen schwand die Macht der Götter zusehends. Um nicht eines Tages zu vergehen, beschloss der Götterrat, sich aus der Welt der Sterblichen zurückzuziehen.

Fortuna, die das Schicksal der Menschen in den Händen hielt, war zu jener Zeit zur mächtigsten Göttin geworden, denn der Glaube an das Schicksal war nach wie vor ungebrochen. Doch auch sie musste sich dem Willen der versammelten Götter beugen – und die Welten von Göttern und Menschen durch einen Schleier voneinander trennen. Sie tat dies jedoch nicht, ohne sich selbst ein Tor zur Menschenwelt offen zu halten, um eines Tages erneut zurückkehren zu können.

Und so zog sie drei junge Männer aus ihrem Füllhorn. Einem von ihnen gab sie die Lösung an die Hand, wie er jenen Schleier eines Tages zerstören und die Schicksalswege von Menschen und Göttern wieder vereinen konnte – mit unabsehbaren Folgen für die Menschheit.

Kapitel 1

Schweiß rann mir die Schläfen hinunter, mein Herzschlag glich einem schnellen Stakkato.

In den letzten drei Wochen hatte ich mehr Sport getrieben als in meinem ganzen bisherigen Leben. Hätte ich geahnt, dass Hayden dabei unbarmherziger und fordernder sein konnte als jeder Personal Trainer eines Models oder Filmstars, hätte ich mich vielleicht nicht darauf eingelassen. Aber auch wenn ich ihm das nie direkt ins Gesicht gesagt hätte: Es tat so gut. Zwischen all dem Training kam ich kaum dazu, über die vergangenen Wochen nachzudenken. Denn sobald ich das tat, fühlte ich mich, wie von einem Eimer eiskalten Wassers überschüttet – wach gerüttelt –, und musste mich wieder mit dem chaotischen Scherbenhaufen auseinandersetzen, zu dem mein Leben geworden war.

Dass sich Fortunas Rad unablässig drehte und eins zum anderen führte, hatte ich vor knapp einem Monat am eigenen Leib erfahren, als das Schicksal plötzlich höchstpersönlich vor mir stand. Noch immer fühlte es sich absolut unwirklich an, dass mein Vater in Wahrheit einer der drei jungen Männer war, die Fortuna damals aus ihrem Füllhorn gezaubert hatte, ehe sie den Schleier zwischen Götter- und Menschenwelt gezogen und somit beide Welten getrennt hatte.

Ich hatte immer an Zufälle geglaubt – viel mehr als an Schicksal oder Bestimmung. Ich musste fast lachen, wenn ich daran dachte, wie zweideutig diese Begriffe mittlerweile für mich waren, jetzt wo ich offiziell die Tochter des Zufalls war, mein eigener Vater plötzlich den Namen Kairos trug und mir sein Problem vererbt hatte, Entscheidungen zu treffen. Was irgendwie ungünstig war angesichts der Tatsache, dass ich gleichzeitig die sogenannte »Münze des Schicksals« gefunden hatte, die es mir für vier Wochen zur Aufgabe machte, den Lauf der Welt zu bestimmen. Nicht gerade das, wovon ich schon immer geträumt hatte!

Der Zufall – mein Vater – war das mächtigste der drei Wesen, die Fortuna erschaffen hatte. Hayden, in göttlichen Kreisen bekannt als Eftychios oder das gute Schicksal, korrigierte mich immer noch vehement, wenn ich wieder einmal von den ›Söhnen Fortunas‹ sprach.

»Wir wurden erschaffen, nicht geboren«, warf er dann meistens ein. Was die drei weder zu Söhnen noch zu richtigen Geschwistern machte.

Zum Glück. Denn es wäre doch ganz schön schräg und zudem ein perfektes mythologisches Klischee, wenn ich mich in meinen eigenen Onkel verliebt hätte, oder?

In Phoenix alias Zoferos oder das schlechte Schicksal, der sich in mein Leben geschlichen hatte. Ihm hatte ich zu verdanken, dass alles, was ich mit der Münze des Schicksals hatte beeinflussen wollen, schiefgegangen war und sich zum Negativen entwickelt hatte. Und dennoch hatte ich mich in ihn verliebt.

Aber auch das war Teil des jahrhundertelang ausgetüftelten Planes meines Vaters Kairos gewesen, um die Götterwelt wieder mit der Menschenwelt zu vereinen und Fortuna die Macht über einfach alles zu geben – und meinem Vater vermutlich eine sehr gute Position in ihrem engeren Kreis zuzuteilen. Denn durch meine Liebe zu Phoenix hatte ich ihm vampirmäßig einen Teil seiner Unsterblichkeit abgesaugt, mit jeder Berührung und mit jedem Kuss ein wenig mehr. Und genau darauf hatte mein Dad jahrelang gewartet: Die Zeit für die Rückkehr der Götter war gekommen, wenn das gute und das schlechte Schicksal besiegt waren. Also hatte er still und heimlich zugesehen, wie ich mich in Phoenix verliebt und ihn damit verletzbar gemacht hatte.

Was er aber nicht bedacht hatte, war die Tatsache, dass ich als seine Tochter etwas konnte, wozu keiner von ihnen in der Lage war: Ich konnte das Schicksal rückwirkend verändern. Und so hatte ich rückgängig gemacht, dass ich mich in Phoenix verliebt hatte, und alle weiteren Ereignisse, die damit zusammenhingen: der geplante Tod von Phoenix und Hayden, der Tod meines besten Freundes Cody, etliche tote Zuschauer bei unserem großen Auftritt auf dem Battle of the Bands-Contest. All dies hatte ich zum Glück wieder geradebiegen können. Aber das Schlimme war, dass ich keinem Menschen von diesen Erlebnissen erzählen konnte, denn niemand konnte sich mehr daran erinnern, was geschehen war, seit ich die Münze Fortunas vor einem Monat gefunden hatte.

Oder besser gesagt: Kein Mensch konnte sich daran erinnern. Denn leider wurden Hayden und ich ständig darauf gestoßen, wie hoch der Preis für den Eingriff in das Schicksal so vieler Menschen war. Ich hatte das, was ich kitschigerweise ›die erste Liebe meines Lebens‹ nannte, verloren, bevor sich daraus überhaupt etwas wirklich Großes hatte entwickeln können. Und ich kam kaum damit klar, denn meine Gefühle für Phoenix waren nach wie vor ungebrochen. Sie zerstörten mich Stück für Stück. Und sie waren der Grund für Haydens Ablenkungsversuche.

Beim Joggen funktionierte das jedoch nicht ganz so gut, weshalb ich sehr froh war, als Hayden plötzlich mitten im Lauf stoppte. Ich rannte zunächst noch ein paar Meter weiter, weil ich annahm, dass sich vielleicht bloß sein Schnürsenkel gelöst hatte. Erst als ich in sein irritiertes Gesicht blickte, wurde mir klar, dass etwas nicht stimmte.

Und da hörte ich es auch schon: ein markerschütterndes Kreischen, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ und die schlimmsten Bilder meines Lebens wieder in mein Bewusstsein holte. Diese Schreie würde ich mein Leben lang nicht vergessen können. Ich sah noch einmal vor mir, wie die Harpyien durch die Dachkonstruktion des Bricks gestürzt waren und etliche Besucher unter den herabstürzenden Trümmern begraben wurden, ehe mein Vater sich als Kairos geoutet und mich für seinen miesen Plan hatte benutzen wollen. Sofort konzentrierte ich mich auf alles, was mir Hayden beigebracht hatte. Ich schärfte meine Sinne und durchdrang den Schleier, der Menschen- und übernatürliche Welt voneinander trennte. Gerade noch rechtzeitig, denn eines der hässlichen Biester stürzte sich auch schon auf mich hinab. Hayden stieß mich zur Seite und ich rollte mich ab, wie wir das im Training zum Glück hundertmal geübt hatten. Binnen Sekunden kam ich wieder auf die Beine – genau rechtzeitig, um mitzuerleben, wie das Biest sich erhob und einen neuen Angriff startete. Den Göttern sei Dank verging auf dieser Seite des Schleiers die Zeit anders und der gesamte Kampf würde von der Menschenwelt aus gemessen nur wenige Augenblicke dauern. So mussten Hayden und ich immerhin nicht befürchten, dabei entdeckt zu werden, wie wir kurz hinter den Schleier traten, um uns einem der Monster entgegenzustellen, die aller Wahrscheinlichkeit nach mein Vater auf uns hetzte.

Die Luft um Hayden herum knisterte, ich sah die blauen Blitze bereits über seine linke Handfläche zucken, während er mit der Rechten den Dolch gegen die Harpyie richtete. Ich suchte den Himmel ab, um nach ihren Schwestern Ausschau zu halten. Denn wie ich mittlerweile von Hayden wusste, traten Harpyien immer im Trio auf.

»Wo sind die anderen?«, fragte ich skeptisch, bekam jedoch nur einen erstickten Laut zur Antwort. Warum musste Hayden auch mitten im Sprung antworten, während er gerade seinen Dolch über die Brust der über ihm schwebenden Harpyie zog? Die kreischende Harpyie stieß nach oben, wendete und stürzte nun auf mich zu. Das aus ihrer Sicht vermutlich einfachere Opfer. Doch sie hatte offensichtlich nicht mitbekommen, wie gut mich Hayden trainiert hatte. Denn noch während ich mich von ihrem spitzen Schnabel mit den scharfen Zähnen wegdrehte, stieß mein Dolch in ihre rechte Flanke. Ihr lauter Schrei sorgte für einen Schwall derart Übelkeit erregender Luft, dass ich mich konzentrieren musste, um nicht zu würgen.

»Sie flieht«, kommentierte Hayden, während ich noch immer gegen den Drang kämpfte, mich zu übergeben. Als ich schließlich den Geruch der taufeuchten Wiesen um uns herum wieder wahrnehmen konnte, wendete ich mich stolz an meinen Trainer. Doch der stand nur mit zerfurchter Stirn da und starrte in Richtung der abgezogenen Harpyie.

»Ich habe sie in die Flucht geschlagen«, versuchte ich ihm ein Lob zu entlocken. Endlich wandte er sich mir zu und schüttelte langsam den Kopf.

»Sie war nicht aufs Töten aus. Sonst wären sie zu dritt gekommen. Sie muss einen anderen Plan verfolgt haben. Lass uns schnell nach Hause laufen.« Und schon joggte er weiter.

Ich schnaubte. Wie konnte der Typ, der das positive Schicksal verkörperte, nur so miesepetrig und negativ eingestellt sein? Stirnrunzelnd steckte ich meinen Dolch zurück in die Scheide, wo er für Menschen unsichtbar an meinem Oberschenkel verblieb. Hayden hatte mir etliche Details dazu erzählt, aber irgendwann hatte mein Kopf dabei abgeschaltet. Fakt war, dass der Dolch samt Scheide aus irgendeiner magischen Materie bestand, die Menschen nicht sehen konnten – und dass ich den Dolch immer bei mir tragen musste. Denn auch wenn ich Hayden und Phoenix sehr ähnlich war, hatte ich nicht wie die beiden ein cooles Angeber-Tattoo, auf dessen Berührung hin sich aus dem Nichts eine Waffe materialisierte. Ich hatte keine Ahnung, wo Hayden diesen scheinbar magischen Dolch für mich aufgetrieben hatte, der ebenso schwarz wie die Klinge meines Vaters war, doch ich war schon mehr als einmal froh darüber gewesen. Froh wäre ich allerdings auch über ein Wort des Lobes gewesen, was den Fortschritt meines Trainings anging.

Allein der Gedanke daran war so absurd. Vor vier Wochen war ich eine normale Schülerin der Abschlussklasse gewesen, nun übte ich mit Dolchen und manchmal sogar uralten Schwertern, einem Gegner tödliche Verletzungen zuzufügen oder die geistige Kontrolle über jemanden zu übernehmen. Obwohl ich Letzteres nur mit Widerwillen tat, legte Hayden gerade darauf sehr viel Wert. Denn die potenziellen Gegner waren reich an der Zahl. Auch wenn ich alles hatte rückgängig machen können, tat sich etwas, das spürte ich ebenso wie Hayden. Immer wieder traten die grausamsten mythologischen Monster im Schleier auf uns zu, was vor meinem Eingriff kaum vorgekommen war, wie Hayden mir immer wieder versicherte. Die faltige Harpyie von eben war uns nicht das erste Mal untergekommen – oder eine ihrer Schwestern. Mir taten noch immer die Augen weh, wenn ich an den Angriff der Gorgonin dachte. Wir waren zwar nicht zu Stein geworden, wie es die Mythen berichteten, aber ihr Anblick hatte so in den Augen geschmerzt, dass wir nichts mehr hatten sehen können – was in einem Kampf natürlich suboptimal war. Noch mühsamer war der Kampf gegen den Wendigo gewesen. Dieses indianische Pendant zum Werwolf hatte uns bei unserem Schwerttraining im Wald angegriffen. Wir mussten das versiffte Ding mit unseren Blitzen kurz lahmlegen, bevor wir es endgültig erledigten, und es danach verbrennen, weil es sonst immer wieder auferstanden wäre. Danach hatte ich von Hayden eine der vielen Lektionen über die ganzen Götter, magischen Wesen und Monster bekommen. Er hatte mir erklärt, dass es Wesen wie den Wendigo überall auf der Welt gab, er jedoch unterschiedlich bezeichnet wurde, ähnlich der Götter der griechischen und später römischen Mythologie. Fantastisch – Hunderte von Namen, die man sich eh nicht merken konnte, für nur eine Sorte Monster. Das Problem blieb immer dasselbe: Sie traten aus dem Schleier und standen plötzlich mitten vor uns, zischten, kreischten, heulten, und wir mussten sie vernichten, ehe wir gefressen wurden.

Dieser Schleier war die Grenze zwischen Götter- und Menschenwelt, die Fortuna vor Tausenden von Jahren gezogen hatte. In ihm lebte alles, was man sich nicht einmal mit der blumigsten Fantasie vorstellen konnte. Aus irgendeinem Grund versagte er in seiner Funktion als Grenze immer mehr und ständig gab es im Internet neue »Sichtungen« von seltsamen Wesen. Im Moment wurden sie noch als Fake News abgetan, aber wie lange noch? Ich wusste schließlich, dass diese Meldungen, die durchs Netz geisterten, der Wahrheit entsprachen. Und ich machte mir Vorwürfe, dass ich durch meinen Eingriff in die Vergangenheit den Schleier irgendwie durchlässiger gemacht hatte. Damit wäre ich schuld daran, dass schon mehrere Menschen verletzt worden waren. Doch mir blieb nichts anderes übrig, als weiterzumachen und zu versuchen, noch Schlimmeres zu verhindern.

Ich lernte immer besser, hinter den Schleier zu sehen und zu kämpfen, aber ohne Hayden hätte mich schon längst das eine oder andere Monster erwischt. Er war sich zwar sicher, dass sie mich nicht töten würden – schließlich hatte mein Vater mich extra ›erschaffen‹, um Fortuna zurückzuholen. Aber von schweren Verletzungen oder dem ein oder anderen Biss war nie die Rede, weshalb ich mich gern dem Training widmete – vor allem an einem Freitagnachmittag wie heute.

Schließlich hatte ich außerhalb der Schule sonst nicht mehr viel zu tun. Durch meine Veränderung des Schicksals hatte ich nebenbei dafür gesorgt, dass der größte Traum meines besten Freundes Cody in Erfüllung gegangen war. Er hatte es geschafft. Der Auftritt an jenem schicksalhaften Abend hatte dafür gesorgt, dass er von einem Talentscout entdeckt worden war – und zwar wirklich nur er. Damit waren unsere Band Excellence und auch die gemeinsamen Bandproben Geschichte, während Cody nun nahezu jeden Abend mit seinem neuen Agenten zusammensaß oder sich in einem Tonstudio in Downtown Seattle befand.

Ich freute mich wirklich, dass er endlich das machen konnte, wovon er immer geträumt hatte, und wenigstens einmal in seinem Leben alles gut für ihn lief. Er hatte es mehr als nur verdient. Aber der egoistische Teil von mir konnte sich nicht freuen, weil es sich anfühlte, als hätte ich ihn verloren. Außerhalb der Schule bekam ich ihn kaum mehr zu sehen. Ja, ich hatte sogar den Eindruck, er würde mir aus dem Weg gehen, als wüsste er, dass ich ihn quasi getötet hatte. Vielleicht lag es aber auch an dem Kuss an jenem Abend. Er hatte mich aus dem Nichts heraus geküsst, als wäre es schon lange überfällig. Doch es hatte sich einfach nur falsch angefühlt – ich war mir sicher, für ihn genauso wie für mich. Vermutlich redeten wir deshalb nicht darüber.

Andererseits … Was hätte ich ihm sagen sollen? Er hatte vergessen, was geschehen war, wusste nicht einmal mehr, dass wir ihm die Wahrheit über Hayden und Phoenix erzählt hatten. Ich konnte also froh darüber sein, dass er so viel beschäftigt war und ich Zeit hatte, ausgiebig zu trainieren. Körperlich sowie mental. Hayden und ich hatten beschlossen, dass ich die magische Kraft der Münze, in Schicksale einzugreifen, nicht mehr nutzen sollte, da ich als Tochter des Zufalls vermutlich nie die gewünschte Wirkung erzielen würde. Da ich nicht wie all die anderen Münzträger zuvor auf das Niederschreiben in das Buch des Schicksals angewiesen war, musste ich außerdem aufpassen, nicht versehentlich auf das Gewebe zu sehen, in dem die Schicksalsfäden aller Menschen zusammenliefen, und dadurch einen meiner Mitmenschen zu lenken. Daher hielt ich mich, so gut es ging, von ihnen fern. Es war einfach zu gefährlich. Meine letzte Beeinflussung eines Schicksals hatte zu unzähligen Todesopfern geführt. Und anders als zuerst angenommen, drängte die Münze den Träger glücklicherweise nicht dazu einzugreifen.

»Deine Zeit war auch schon besser«, stichelte Hayden, ohne auch nur ein kleines bisschen außer Atem zu sein. Kurz vor den ersten Häusern am Stadtrand wurde er langsamer und zwang so auch mich in ein schnelles Gehen. Ich warf ihm nur einen finsteren Blick zu, denn jegliche bissige Antwort wäre durch mein Keuchen unverständlich gewesen. Am liebsten wäre ich hier an Ort und Stelle, knapp zweihundert Meter von zu Hause entfernt, zu Boden gesunken und nie mehr aufgestanden.

»Verdammt!«, zischte er da und sofort war ich in Alarmbereitschaft und die Erschöpfung verflogen. Hayden war der Gute, er fluchte so gut wie nie, hatte ich in den letzten drei Wochen feststellen können.

Adrenalin flutete meinen Körper und sorgte für ein wenig mehr Sauerstoff. Ich tastete erneut nach der vor Menschen verborgenen Waffe an meinem Oberschenkel, während Hayden seinen silbernen Dolch hervorzauberte. Nur diese besonderen magischen Waffen konnten die übernatürlichen Wesen töten, die uns ständig angriffen. Früher, hatte Hayden erzählt, war ihm nur alle paar Jahre eines der Monster untergekommen. Nun beehrten sie uns beinahe täglich. Welch ein Glück! So sparte ich mir Horrorfilme. Die kamen nämlich nicht annähernd an die widerlichen Kreaturen heran, die wir ständig zu Gesicht bekamen.

Nun spürte auch ich eine Präsenz, ein Ziehen im Gewebe des Schicksals.

Hayden atmete zischend ein und knurrte ein »Was willst du hier?«.

Mein Herz tat einen Satz, während mich gleichzeitig eine lähmende Angst überkam und ich nicht in der Lage war, mich umzudrehen wie Hayden. Mit einem Monster sprach er da nämlich garantiert nicht.

Als er schließlich durch den Schleier trat, übermannten mich all die verdrängten und sorgfältig weggepackten Gefühle. Ich schloss die Augen und mein Körper wandte sich ihm wie von selbst zu, während eine Brise seinen unverwechselbaren Duft nach Natur und Freiheit zu mir wehte. Ich bohrte meine Fingernägel in die Handflächen, um mich von dem Schmerz in meiner Brust abzulenken.

»Ich habe etwas herausgefunden«, sagte Phoenix und ich öffnete die Augen.

Phoenix hielt meinem Blick nicht stand und senkte die Lider. Wie geschwächt er aussah! Seine Lippen glichen einem schmalen Strich. Sein bleiches Gesicht wirkte um Jahre gealtert und ausgezehrt. Tiefe Schatten lagen unter seinen dunkelbraunen Augen. Die dunklen Haare waren in den drei Wochen länger geworden und hingen ihm ins Gesicht. Wie gerne hätte ich ihm die Strähnen hinters Ohr gestrichen, wäre ihm nahe gewesen, hätte ihn berührt. Das Schlimmste jedoch war der Ausdruck in seinen Augen, als er mich endlich ansah. Als wären sie ein Spiegel dessen, was ich so sehr zu verdrängen versuchte.

Wie ferngesteuert trugen mich meine Beine auf ihn zu. Seine Hand streckte sich mir entgegen. Drei Wochen, seit ich die Folgen unserer Beziehung rückgängig gemacht hatte. Drei Wochen, in denen es nicht eine Sekunde gab, in der er nicht in meinem Kopf herumspukte, ich mich an seine Berührung oder seine Küsse erinnerte. Drei Wochen voller Träume, in denen wir uns nahe sein konnten, ohne dass ich ihn damit indirekt tötete. Diese drei Wochen angestauter Gefühle kochten über, als er seine Lider hob und der Schmerz darin mich beinahe zusammenbrechen ließ. Es gab nichts, was ich mir in jenem Moment mehr wünschte, als bei ihm zu sein. Es war ein magischer Moment – bis Hayden mich nach hinten riss und hinter sich zog.

»Verschwinde!«, zischte er Phoenix zu, der einen knurrenden Laut ausstieß. Wenn er so aussah, war er mir immer etwas unheimlich. Nicht ohne Grund. Phoenix war all die Jahre der Mächtigere der beiden gewesen, auch wenn – oder gerade weil – er oft mit miesen Tricks gearbeitet hatte. Auch war er durch den Glauben an das schlechte Schicksal, den die Menschen ihm bei jeder Gelegenheit bestätigten, immer mächtiger geworden, stärker.

»Wie kannst du es riskieren, bei Tag herzukommen?«, legte Hayden nach und brachte die Rädchen in meinem Kopf damit zum Laufen. Hatte Hayden in den letzten Wochen Kontakt zu Phoenix gehabt? Mir hatte er erzählt, dass Phoenix untergetaucht war.

»Ich … Ich dachte, du wärst von der Bildfläche verschwunden«, stammelte ich und sofort holte Phoenix bebend Luft und ballte seine Hand zur Faust. Den blauen Schimmer darin konnte er jedoch nicht verbergen.

»Du hast ihr nie etwas ausgerichtet?«, presste er hervor. Die blauen Blitze breiteten sich über seine Handrücken aus.

»Sollte sie etwa noch mehr leiden? Ich habe alles dafür getan, dass sie vergisst. Es ist das Beste für euch beide.« Hayden verschränkte die Arme vor der Brust. »Für uns alle.«

»Ich bin hier, verdammt!«, ging ich dazwischen. Das hatte sich also nicht verändert. Noch immer redeten sie über mich, als wäre ich gar nicht da. Ich schnaubte.

Als Phoenix zu mir sah, veränderte sich sein Gesichtsausdruck und mein Herz krampfte sich zusammen. Wie konnte es sein, dass ich ihn direkt vor mir sah und ihn dennoch nicht berühren durfte? Er war so nah, dass ich ihn sogar riechen konnte! Das Sehnen zog in meinem Inneren, nichts wollte ich mehr, als sanft seine Wangen zu berühren oder meine Finger mit seinen zu verflechten.

Doch Hayden hatte recht. Es war besser, Phoenix zu vergessen – ehe noch der letzte Brocken von dem, was einmal mein Herz gewesen war, zerfallen würde.

»Bitte geh«, flüsterte ich gegen alle Sehnsucht und ehe ich meine egoistische Seite nicht länger zurückhalten konnte. Wenn ich unsere Liebe über das Wohl aller anderen stellte, würde ich ihn letztendlich damit vernichten – ihn und Hayden. Der Zufall würde das darauffolgende Chaos regieren: mein Vater. Ich konnte ihn nicht gewinnen lassen, konnte nicht riskieren, dass Cody erneut etwas zustieß oder mein Vater es wirklich schaffte, den Schleier zu zerstören und die Götter- wieder mit der Menschenwelt zu verbinden.

Phoenix presste die Lippen fest zusammen und nickte langsam, ehe er hinter den Schleier trat. Tränen brannten in meinen Augen, als ich mich umdrehte und Hayden stehen ließ.

Kapitel 2

Mit schnellen Schritten nahm ich die letzten Meter nach Hause, zwängte mich durch die Hecken, die den hinteren Teil des Gartens vor neugierigen Blicken schützten, und ging zum Hintereingang, den ich nie abschloss, um keinen Schlüssel mitnehmen zu müssen.

Ich fürchtete keine Einbrecher mehr. Menschen konnten mir nicht länger etwas anhaben. Mom würde zwar die Krise bekommen, wenn sie wüsste, dass das Haus so einladend offen stand, aber zum Glück war sie wieder einmal nicht da.

Erst seit wir bei meinem Dad ausgezogen waren, hatte ich bemerkt, wie viel meine Mutter tatsächlich arbeitete. Sie war eigentlich nie anwesend, hatte ständig Seminare oder Termine mit Hausbesitzern, die ihre Dienste als Maklerin in Anspruch nehmen wollten.

In der Küche angekommen, widerstand ich dem Drang, mir ein Glas Wasser einzuschenken und es in einem Zug zu leeren. Seit sich mein göttliches Blut durch den Schnitt an der Münze des Schicksals aktiviert hatte, vertrug ich Nahrung nicht mehr sehr gut – und brauchte sie zum Glück auch nicht mehr. Besonders auf meinen geliebten Kaffee musste ich verzichten, wenn ich mich nicht sofort danach übergeben wollte. Stattdessen krallte ich mich an der kleinen Küchentheke fest. Irgendeinen Halt brauchte ich.

Mit mehrmaligem Blinzeln drängte ich die Tränen zurück, die mir noch immer sofort in die Augen traten, sobald ich allein war. Für wie dämlich ich diese weinerlichen Mädchen in meinen Lieblingsbüchern immer gehalten hatte, die sich nur wegen eines Kerls die Augen ausheulten. Doch nun konnte ich ihre Gefühle allzu gut nachempfinden.

Da mich sonst niemand tröstete, redete ich mir eben selbst ein, dass Phoenix und ich auch wirklich allen Grund zum Heulen hatten. Er war nicht der böse Schurke, der er eigentlich sein sollte, und er hatte mir das Herz mit den besten Vorsätzen gebrochen. Nämlich, indem er versucht hatte, mich von ihm fernzuhalten. Das hatte nur einfach nicht geklappt, weil ein Teil von mir genau diese distanzierte und arrogante Seite an ihm auf schockierende Weise faszinierend fand und danach drängte, Löcher in seinem Panzer zu finden. Mehr von dem zu sehen, was Phoenix unter der rauen Schale verbarg. Hin und wieder hatte ich sein wahres Ich erahnen können und wollte augenblicklich mehr von diesem sanften, liebevollen Phoenix erfahren, der mich mit seiner Art zum Lachen brachte, mich frech herausforderte oder auch mal zur Weißglut trieb.

Ein Geräusch schreckte mich auf und ich erkannte im Augenwinkel, dass Hayden das Haus ebenfalls betreten hatte. Er musste absichtlich draußen gewartet haben, um mir meinen Freiraum zu lassen. Schniefend wischte ich mir mit dem Handrücken mehrmals über das Gesicht. Er sollte mich nicht für noch schwächer halten, als ich sowieso schon war.

»Wir sind mit dem Training noch nicht fertig«, sagte er ruhig und ich war kurz davor, dass mein Ärger über seine Lüge zu Wut wurde. In meiner Hand spürte ich das Kribbeln der Magie, die nur darauf wartete, meine angestauten Gefühle in einem Funkenschlag loszuwerden. Aber ich riss mich zusammen und starrte Hayden stattdessen vorwurfsvoll an. Der wich meinem Blick aus, kratzte sich nervös im Nacken und trat schließlich wortlos wieder nach draußen. Die Terrassentür ließ er auffordernd offen stehen.

War das sein Ernst? Fassungslos sah ich zur Tür, durch die er verschwunden war. Wie konnte er jetzt an Training denken? Wut kochte in mir hoch und ich folgte ihm mit schnellen Schritten in den Garten, wo er bereits auf der kahlen Fläche inmitten des verwilderten Rasens stand, auf dem wir immer trainierten.

»Du hast mich belogen«, sagte ich, während ich zu ihm trat. Meine angestaute Wut konnte ich wenigstens sehr gut für einen Angriff nutzen. Hayden ging gerade noch in Verteidigungshaltung, doch es war zu spät. Ich hatte ihm bereits einen der kleinen Funkenbälle entgegengeschleudert, die ich – Ichor im Blut sei Dank – seit ein paar Tagen hervorzaubern konnte. Er schien überrascht und sackte auf die Knie. Der Ärger machte es mir leicht, weitere Funken über meine Handfläche zu schicken.

»Du hast ihn ständig gesehen und mir nichts davon gesagt.« Meine Stimme klang so jämmerlich, dass sein Gesichtsausdruck weich wurde, während er sich aufrappelte. Dann wich er schnell meinem Blick aus und nickte.

»Ich dachte, es wäre das Beste für dich. Ich hatte gehofft, du würdest ihn vergessen.« Ich zielte erneut mit Funken auf Hayden und wollte einen Faustschlag hinterhersetzen, doch diesmal war er zu schnell. Er stieß seine Hand nach vorne und hielt mein Handgelenk fest. Blitzschnell drehte ich meinen Arm, entglitt seinem Griff und packte ihn anschließend auf dieselbe Weise – genauso, wie er es mich gelehrt hatte. Mittlerweile waren mir die Bewegungen tatsächlich in Fleisch und Blut übergegangen.

»Konntest du sie denn vergessen?« Mein Ton wurde herausfordernd. Alles, was mir derzeit passierte, war auf ähnliche Weise schon einmal geschehen, als mein Dad versucht hatte, seine Brüder zu schwächen und sterblich zu machen. Hayden hatte sich vor vielen Jahren ebenfalls in eine Trägerin der Schicksalsmünze verliebt: Chenoa. Sie hatte ihm einen Teil seiner Unsterblichkeit genommen, hatte mir mein Vater mehr oder weniger detailliert erklärt – nicht genug jedoch, um es Kairos zu ermöglichen, Hayden zu töten. Aus Zorn hatte mein Vater Chenoas Lebensfaden gekappt und Hayden damit seine große Liebe genommen. Woraufhin er sich lange Zeit zurückgezogen und Phoenix die Suche und Beeinflussung der Münzträger überlassen hatte. Das Ergebnis dieser Zeit kann noch heute in den Geschichtsbüchern nachgelesen werden – unter dem Begriff »dunkles Mittelalter«.

Ich ließ Hayden nicht aus den Augen. Erst der Schmerz, der sein Gesicht zu einer Maske verzerrte, brachte mich dazu, wegzusehen und meinen Griff an seinem Handgelenk zu lösen. Er wehrte sich sowieso nicht ernsthaft. Meine Worte hatten ihn geschlagen.

»Es tut mir leid«, sagte ich schnell. Was war ich nur für ein Miststück geworden? Hayden war ein durch und durch guter Kerl. Er war das positive Schicksal. Auch ihm hatte mein Dad übel mitgespielt. Die Geschichte mit Chenoa war zwar Jahrhunderte her, doch für ihn musste das bloß ein Wimpernschlag sein, oder?

»Nein, schon in Ordnung, du hast ja recht. Ich konnte Chenoa nie vergessen.« Er senkte seinen Kopf, doch ich hatte die Verzweiflung und Sehnsucht in seinen Augen gesehen. Eine Sehnsucht, die für immer unerfüllt bleiben würde. »Selbst heute, nach all den Jahrhunderten, denke ich noch jeden Tag an sie. Es tut mir leid, dass ich dir nicht zugetraut habe, dass deine Gefühle für Phoenix genauso stark sind.« Er schluckte und sein Blick ruckte zur Seite, um mir weiterhin auszuweichen. Seine Augen glänzten und er blinzelte vergeblich gegen die Tränen an.

»Wie geht es ihm?«, fragte ich. Nicht nur aus egoistischen Gründen, sondern auch, um Hayden abzulenken. »Er sah schrecklich aus.« Auch Hayden war im Moment nicht das blühende Leben, sah aber lange nicht so ausgezehrt aus wie Phoenix.

»Phoenix ist es nicht gewohnt, nicht das zu bekommen, was er will«, seufzte Hayden. »Er war immer der Stärkere von uns beiden, weil Menschen Schicksalsschläge nun mal viel bewusster wahrnehmen als positive Wendungen. Auch wenn ich es nicht gern zugebe.« Er lachte freudlos auf. »Für mich ist es immer noch seltsam, dass er mich nicht jeden Moment angreifen wird, um zu versuchen, mich auszuschalten.«

Ich verzog meinen Mund zu einem halben Lächeln. Immerhin konnte Hayden schon wieder scherzen, denn sich gegenseitig umzubringen, würden die beiden nicht riskieren. Schließlich waren sie durch Kairos’ Intrigen über all die Jahrtausende hinweg zu einem Gleichgewicht geworden. Wurde einer getötet, verging auch der andere – das hatte Kairos äußerst geschickt arrangiert. Oder vielleicht auch Fortuna. Wer außer meinem Vater wusste das schon.

»Vielleicht schalte ich dich stattdessen aus?« Ich täuschte einen Satz nach vorn an, bog mich jedoch im Ausfallschritt unter Haydens Gegenschlag hindurch und knuffte ihn fest in die Seite. Sein Aufkeuchen war wie ein Ritterschlag. Es kam leider viel zu selten vor, dass ich ihn tatsächlich überrumpeln konnte.

»Phoenix hat nach Kairos gesucht«, erklärte Hayden, nachdem er den Schmerz auf die Oberschenkel gestützt weggeatmet hatte. »Er hat so ziemlich alle Menschen gecheckt, deren Lebensfaden auch nur entfernt mit deinem in Berührung kommen könnte. Doch in den letzten drei Wochen ist keine bemerkenswerte Veränderung aufgetreten. Wir müssen also davon ausgehen, dass er verschwunden ist.«

»Sicher nicht auf Dauer«, warf ich mit skeptischem Blick ein.

Hayden schüttelte den Kopf. »Nein, das ganz sicher nicht. Er wird seine Pläne überdenken und dann zurückkehren. Wenn es so weit ist, müssen wir bereit sein.«

Ich nickte. Bereit sein. Wer konnte schon für die Rückkehr der Götter – oder was auch immer Dad wirklich plante – bereit sein? Mein Handy in der Tasche vibrierte und ich zog es heraus.

»Wir sind spät dran. Mein Termin bei Dr.Phyllis ist bald.« Ich war schon im Begriff, zurück ins Haus zu gehen, als Hayden die Lippen zusammenpresste und mich flehend ansah. Das hatte er definitiv mit Phoenix gemeinsam. Ich seufzte.

»Ich kann dich nicht davon abbringen, oder?« Er bedachte mich mit einem Dackelblick, der tausend Frauenherzen auf einmal zum Schmelzen gebracht hätte. Ich jedoch schüttelte den Kopf.

»Diese Termine sind neben der Schule die einzige Konstante in meinem Leben. Und ich bin dort sicher – auch ohne dich.«

Als Phoenix noch an meiner Seite gewesen war, war diese eine Stunde, die ich auf Wunsch meiner Mutter bei der Therapie verbrachte, seine persönliche Hölle gewesen. Ihm war es nicht möglich, das Gebäude zu betreten. Genauso wenig wie Hayden. Seit meine Fähigkeit oder mein übermenschliches Blut erwacht war, spürte ich diese magische Barriere an der Tür des Gebäudes in der 16th Avenue Southwest ebenfalls, aber lange nicht so stark wie die beiden.

Hayden schnaubte. »Es tut sich was. Du spürst es doch auch, oder?«

Ich presste die Kiefer fest zusammen und nickte langsam. Dann wandte ich mich um und ging die Treppe nach oben, um den Staub und den Schweiß des Trainings wegzuduschen. Dabei dachte ich unentwegt darüber nach, was genau ich denn spürte. Vielleicht könnte uns das den entscheidenden Vorteil verschaffen.

Kapitel 3

Wer, wie ich neuerdings, einen Blick auf das Gewebe des Schicksals werfen konnte, stellte fest, dass es von weiter weg wie ein komplexes Bild – oder besser noch viele einzelne Bilder und Szenen in einem – aussah. Erst beim Näherzoomen erkannte man die Milliarden einzelner Fäden, aus denen das Bild gewoben war. Und jeder dieser zahlreichen Fäden stand für einen Menschen. Er tangierte die anderen Fäden, verknotete sich zu Familien oder Freundschaften, ging getrennte Wege, ehe er irgendwann endete …

All das konnte ich seit etwas mehr als drei Wochen sehen und ich wurde immer geschickter darin, mich auf einzelne Teile zu konzentrieren. So ließ sich auch das, was die Menschen für Schicksal oder Zufall hielten, besser erklären. Denn der Lebensweg eines einzelnen Menschen war klar und deutlich abzusehen. Erst wenn jemand gezielt eingriff, gab es Krümmungen, wo keine sein sollten.

Solche Krümmungen waren der Verdienst von Kairos, Phoenix oder Hayden. Vor drei Wochen hatte das Gewebe eine große Delle erhalten, einer dicken Narbe gleich, als ich mit einem Schlag alle Konsequenzen meiner damaligen Entscheidung für Phoenix rückgängig gemacht, ihn aus meinem Leben gelöscht hatte, wenngleich meine Gefühle für ihn nach wie vor dieselben waren. Denn jeder Faden berührte automatisch etliche weitere, alles hing zusammen. Eins bedingte das andere – der berühmte Domino- oder auch Schmetterlingseffekt.

Daher wusste ich auch, was Hayden mit »es tut sich was« gemeint hatte. Ich spürte ein Kribbeln, das über das Gewebe fuhr wie kleine Stromstöße. Es würde etwas passieren, neue Verknüpfungen standen unmittelbar bevor. Ich hatte es damals zwar nicht richtig einschätzen können, aber genau dasselbe Kribbeln hatte ich gespürt, bevor bei unserem vermeintlich großen Auftritt im Club so viele Menschen ihr Leben lassen mussten.

Doch was genau stand uns nun bevor? Kehrte mein Vater zurück? Das Gewebe war zum Zerreißen gedehnt, voller Erwartung angespannt – und ich mit ihm.

Ich stieg aus der Dusche, zog mich an und trocknete mir in Windeseile die Haare. Als ich nach unten kam, stand Hayden mit erhobenen Händen da, als hätte er eben noch wild gestikuliert, und sah nun langsam zu mir. Das Gefühl, in ein Gespräch über mich selbst hineingeplatzt zu sein, überkam mich und es war einfach nur peinlich. In diesem Fall aber auch peinlich für Hayden, dessen Gesprächspartner verschwunden war.

Die Luft in der Küche war dennoch erfüllt von seinem Geruch nach Natur, Abenteuer, Freiheit und Geborgenheit zugleich. Mein Herz verkrampfte wie der Rest meiner Eingeweide. Die Sehnsucht nach Phoenix zerrte erneut an mir und boxte mir anschließend in den Magen – anders konnte ich den Schmerz in meinem Inneren nicht beschreiben. Verdammt, anstatt leichter zu werden, wurde es immer schlimmer und all die Ablenkung brachte rein gar nichts.

»Was wollte er?«, fragte ich irgendwann mit krächzender Stimme, ehe ich mich mehrmals räusperte, um den Kloß in der Kehle loszuwerden.

»Ich erzähle es dir unterwegs. Oder willst du den Termin doch absagen?« Hayden sah mich erwartungsvoll an, bis ich den Kopf schüttelte und in den Flur ging, um meine Schuhe anzuziehen.

»Ich habe es befürchtet«, murmelte er hinter mir.

Während wir losgingen, schwieg Hayden unentwegt, bis ich ihn endlich auffordernd ansah.

Er verzog den Mund. »Indianer.«

»Was?« Ich blieb stehen, weil ich dachte, ich hätte völlig in Gedanken versunken einen Teil seines Satzes verpasst.

»Hier überall«, er zog mit seinem Finger einen Kreis über seinem Kopf, »gab es früher Indianerstämme und zahlreiche Kultstätten.«

Was genau er mir damit sagen wollte, konnte ich immer noch nicht erkennen. Genau das musste er mir angesehen haben, denn Hayden verdrehte die Augen und wechselte in einen Tonfall, in dem man Kleinkindern die Welt erklärte.

»Das Gebäude in der Sechzehnten, in dem sich die Praxis deiner Therapeutin befindet, wurde auf einer solchen Kultstätte erbaut. Phoenix vermutet, dass wir deshalb nicht hineingehen können. Die Schamanen der Indianer haben ihre eigenen Wege, Übernatürliches auszuschließen.«

»Was? Mitten in der Stadt?« Ich war fassungslos. Natürlich wuchs hier jedes Kind mit dem Wissen um die alten Indianerstämme auf, die in der Gegend gelebt hatten. Aber dass sich jemals etwas davon aktiv auf mein Leben auswirken würde, hätte ich nie vermutet. Ich erschauderte, als sich meine Gedanken verselbstständigten, und murmelte ein »Friedhof der Kuscheltiere?«, während mir gruselige Bilder von ehemals toten Tieren vor dem inneren Auge vorbeizogen.

»Wie?« Nun war es an Hayden, mich verständnislos anzustarren. Ha! Codys und meine Filmsucht hatte doch einen Vorteil. Zumindest gegenüber einem jahrtausendealten Wesen, das eher auf Musik als auf Filme stand.

»Ist dort denn schon einmal etwas Übernatürliches aufgetreten?«, fragte ich nach einer kurzen Pause. Anfangs hatte ich es toll gefunden, dass Phoenix mir nicht zu Dr.Yates folgen konnte. Seit ich mich jedoch selbst dort so unruhig und nervös fühlte, wäre es mir sehr recht gewesen, wenn Dr.Yates auch den Kindern Fortunas Zutritt zur Praxis gewährt hätte. Geheimnisse gab es sowieso keine mehr. Meine Sicherheit war mir wichtiger. Aber ich konnte ja kaum meine Therapeutin wechseln, weil mir die Lage ihrer Praxis nicht gefiel – diese Auseinandersetzung mit Mom würde ich mir gerne ersparen. Ich seufzte, als wir auf dem Platz vor dem Gebäude ankamen.

»Soll ich deine Mutter überreden …«, setzte Hayden an, der anscheinend genau wusste, was ich gerade dachte, doch ich brachte ihn mit einem schnellen Winken zum Verstummen. Er wusste, wie sehr ich gegen die Beeinflussung von Menschen war – und doch versuchte er immer wieder, mich davon zu überzeugen. Auch bestand er darauf, dass ich es selbst in unseren Trainingsstunden regelmäßig übte.

»Es sind nur sechzig Minuten, Hayden. Mir wird nichts passieren, außer dass ich mich danach fühle wie nach einer Stunde Achterbahnfahren.« Immerhin hieß die Aussperrung des Schicksals aus dem Gebäude doch auch, dass mir nichts geschehen konnte, oder?

Wie bereits die letzten beiden Male versuchte Hayden, durch die von mir aufgehaltene Glastür zu treten. Und wie bei den letzten Malen prallte er an einer unsichtbaren Wand ab, ehe er grummelnd zurücktrat und mich nicht aus den Augen ließ, bis sich die Fahrstuhltür schloss. Ich drückte die Hände auf meinen Bauch, um die aufkommende Übelkeit unter Kontrolle zu halten. Wieder einmal war ich froh, dass ich nicht mehr in der Lage war, etwas zu essen oder zu trinken – was sich nicht in meinem Magen befand, konnte schließlich auch nicht rückwärts wieder hochkommen.

Doch heute war da noch etwas anderes. Die Münze des Schicksals, die noch immer an einem Lederband um meinen Hals hing, brannte beinahe schmerzhaft auf dem Stoff meines Shirts, und als ich einen Blick in den Spiegel an der Kabinenwand warf, erschrak ich. Die Münze flimmerte und verschwand immer wieder wie alte Fernsehübertragungen bei schlechtem Signal. Lag es an der Barriere? Oder hing es mit der Spannung im Gewebe zusammen? Ich stopfte die Kette samt Münze unter mein Oberteil, wo sie sich prompt in die Haut zu brennen schien, sodass ich keuchend die Luft einsog.

Ich biss die Zähne zusammen und ignorierte den Schmerz, während die Aufzugtür zur Seite glitt.

Dr.Yates stand wie immer bereits an der Rezeption und schenkte mir ein Lächeln. Es war jedoch kein warmer Empfang wie all die vergangenen Male, sondern eher eine billige Kopie davon. Wie immer bedeutete sie mir, ins Sprechzimmer zu gehen, doch auch hierbei wirkte sie heute anders, irgendwie nervös und fahrig.

Sie setzte sich langsam, wobei mir auffiel, wie kreidebleich sie war, und ich machte mir unwillkürlich Sorgen.

»Geht es Ihnen nicht gut?« Die Worte waren schneller draußen, als ich denken konnte.

Dr.Yates schüttelte langsam den Kopf. Ich sah, wie sie mehrmals schluckte. So fest, dass sich ihre heute sehr eng anliegende Kette mit dem türkisfarbenen Stein rührte und das einfallende Licht reflektierte. Dann bewegte sie ihren Kopf noch einmal langsam hin und her, was das Funkeln nur verstärkte, ehe sie aufsprang und mit einem Satz zur Tür hinausstürmte. Den Geräuschen nach zu urteilen schaffte sie es gerade noch zur Toilette.

Es gab Sachen, die musste ich nicht gehört haben. Wie sich die eigene Therapeutin die Seele aus dem Leib kotzte, zum Beispiel. Also sah ich schnell zum Fenster hinaus und versuchte, die Würgegeräusche zu ignorieren, von denen mir selbst ebenfalls übel wurde.

»Kiera, ich fürchte, wir müssen unseren Termin verschieben. Vermutlich habe ich etwas Falsches gegessen«, keuchte Dr.Yates. Sie lehnte kreidebleich am Türrahmen. »Ich melde mich bei dir, okay?«

Nickend und noch immer heftig gegen die aufkommende Übelkeit anschluckend schob ich mich an ihr vorbei und verließ das Sprechzimmer. Ohne auch nur einmal Luft zu holen, passierte ich die Rezeption, wartete anschließend ungeduldig auf den Fahrstuhl und fuhr nach unten. Auch ich war froh, heute schneller als sonst aus dem Gebäude zu kommen, meine Münze brannte mir immer noch auf der Haut und dieses Etwas, das in der Luft lag, sorgte dafür, dass sich mein Magen verkrampfte. Vielleicht war es aber auch die Erinnerung an das grünliche Gesicht von Dr.Yates, ehe sie aus dem Raum gestürmt war. Ich schluckte.

Draußen auf dem Vorplatz holte ich mehrmals tief Luft und genoss das befreiende Gefühl, ehe ich nach Hayden suchte, der natürlich nicht da war. Er rechnete ja erst in einer Stunde mit mir, warum hätte er sich also hier die Beine in den Bauch stehen sollen?«

Die dumpfen Schreie jedoch, die ich ganz entfernt vernahm, und die ich im ersten Moment für Kindergeschrei gehalten hatte, ließen mir das Blut in den Adern gefrieren.

Kapitel 4

Schnell konzentrierte ich mich auf das Geräusch und ließ meinen Blick durch den Schleier dringen, suchte instinktiv den Himmel nach der Harpyie vom Morgen ab. Doch die flatterte gerade mit ihren löchrigen Schwingen davon. Hayden hatte recht behalten. Sie hatte nicht geplant, uns etwas zu tun, sondern nur das auf mich gehetzt, was nun jenseits des Schleiers auf mich zukam: Die Wesen gingen auf zwei Beinen und waren so wunderschön, dass jeder Mensch auf dem Planeten vor Entzückung geseufzt hätte. Deshalb wusste ich sofort, mit wem oder besser gesagt, was ich es zu tun hatte. Hayden hatte mir von ihnen berichtet und seine Beschreibung kam mir wieder in den Sinn.

»Es gibt nichts Anziehenderes als Lamien«, hatte er behauptet und nun wusste ich, wie wahr die Worte waren, die ich damals noch belächelt hatte. Selbst Hayden und Phoenix, die schon wirklich unverschämt gut aussahen, weil sie ihr Äußeres den Wünschen und Vorstellungen des potenziellen Trägers anpassten und von einer Aura umgeben waren, die automatisch alle Blicke auf sich zog, konnten nicht annähernd mit diesen Dämonen mithalten, die die mythologische Vorlage für die Vampire bildeten. Mit ihrem Aussehen verzauberten sie ihre Opfer und tranken anschließend genüsslich ihr Blut. Hayden hatte erzählt, dass die Opfer danach wie betrunken waren, was mich trotz des Ernstes der Lage hatte kichern lassen. Die Vorstellung war schon seltsam. Die Kreaturen beißen dich und du wirst high? Irgendwie unfair.

Meine Hand griff wieder zu meinem Oberschenkel, an dem die Scheide für meinen Dolch angebracht war. Es dauerte, bis ich die Waffe gezogen hatte. Zu lange.

Nach ein paar übernatürlich schnellen Schritten war die erste Lamia nur noch knapp zwei Meter entfernt. Es waren drei Frauen, eine brünett, eine blond und eine mit rot wallendem Haar. Sie waren so unbeschreiblich schön, dass ich den männlichen Wesen auf dem Planeten sofort hätte abschwören können. Es tat beinahe weh, sie anzusehen. Doch ich musste mich konzentrieren, schließlich wusste ich, was Menschen blühte, die einer Lamie verfielen: Sie endeten als Snack.

Dann war das erste Miststück bei mir und versuchte, mich mit seinem Blick zu bannen, indem es mir mit bezauberndem Lächeln starr in die Augen sah.

»Pech gehabt, Mädchen. Bei mir funktioniert dein Trick nicht.« Ich hatte schon immer etwas in der Art sagen wollen und es tat so gut. Doch mein vorlautes Verhalten wurde sofort bestraft. Die blonde Lamia knurrte und fauchte und war mit einem großen Satz bei mir. Im letzten Moment bog sie sich nach hinten, um nicht direkt in meinen Dolch zu springen. Schade aber auch. Sie tänzelte ein paar kleine Schritte zurück und stand nun wieder zwischen ihren Freundinnen.

Die Aktion hatte ihre Wut jedoch so richtig angeheizt. Jetzt, wo sie wusste, dass sie mich nicht friedlich würde aussaugen können, entglitt ihr das hübsche Gesicht und wurde zu einer bleichen verzerrten Fratze mit vergilbten Zähnen und mehr Falten, als eine Hundertjährige sie hatte. Das war nun wirklich widerlich.

Ich machte einen Sprung zur Seite, konzentrierte mich auf den Übertritt und bewegte mich ab diesem Moment wie sie innerhalb des diffusen Lichts des Schleiers. Kein Mensch würde Zeuge dessen werden, was nun passierte. Da die Zeit hinter dem Schleier unendlich viel langsamer verging, konnte ich einen kompletten Kampf durchstehen und wieder in die Menschenwelt übertreten, ohne dass ich für diejenigen dort wirklich weggewesen war. Daher hatte ich immer gedacht, Phoenix oder auch Hayden würden sich beamen. Mit etwas Übung war es aber gar nicht so schwer.

Auf dieser Seite des Schleiers hatte ich endlich genug Zeit, mich auf die Angriffstaktiken zu konzentrieren, die Hayden mir in den letzten Wochen beigebracht hatte.

Ich musste sie zu mir kommen lassen. Die Lamien besaßen keine Selbstbeherrschung, wurden rasend, wenn sie Nahrung witterten. Das war die beste Chance, sie zu einer unklugen Tat zu verleiten, hatte Hayden behauptet und ich versuchte, seinen Tipp umzusetzen, indem ich den Dolch nahm und mir in einer schnellen Bewegung in den Handballen ritzte. Sofort quoll dunkelrotes Blut zäh aus der Wunde und die drei Lamien heulten auf. Ihre Augen leuchteten plötzlich in grellem Rot. Sie rasten vor Hunger. Blondie stieß ihre Freundinnen zur Seite und sprang mit gebleckten Lippen auf mich zu. Sie sah nicht auf meinen Dolch, nicht auf mich, sondern hatte nur Augen für das dunkelrote Blut an meiner demonstrativ nach oben gerichteten Handfläche.

Hayden hatte mir gesagt, dass mein Blut für sie fast genauso reizvoll sein musste wie das von ihm oder Phoenix. Wer nahm nicht gerne einen Drink mit einem Schuss Götterblut darin?

Blondie musste ein regelrechter Junkie sein, ignorierte jegliche Gefahr und rannte direkt in meinen nach vorne gerichteten Dolch. Für einen kurzen Moment wurden ihre Augen klar. Sie sah nach unten, registrierte die Waffe in ihrem Bauch. Angst huschte über ihr Gesicht, ehe es sich erneut verzerrte und sie sich mit voller Kraft gegen meinen Arm presste – wobei der Dolch immer weiter in ihren Körper eindrang. Ich wollte die Hand erheben, die Magie anzapfen, die mir schon im Kampf gegen die Gorgonin den Hintern gerettet hatte. Ich konnte nämlich blaue Energieblitze aus meinem Körper ziehen und damit meinen Gegnern einen kräftigen Schlag verpassen, der sie kurz lähmte, um sie danach mit dem Dolch zu töten. Leider laugte das Blitzen ziemlich aus, wenn man genug Energie aufwenden wollte, um jemanden komplett lahmzulegen, daher trainierte Hayden mit mir lieber die altmodische Verteidigung mit der Waffe.

Die Lamia schien jedoch über meine Magie Bescheid zu wissen. Sie riss die Hände nach oben und packte mich an den Oberarmen. Ihr Griff war eisern, meine Arme nun fixiert, sodass ich meine freie Hand nicht gegen sie richten und ihr einen elektrischen Schlag verpassen konnte. Ich versuchte, mich zu bewegen, den Dolch aus ihrem Bauch zu ziehen, um ihr den entscheidenden tödlichen Stoß in die Brust zuzufügen, doch ich hatte keine Chance.

Und in wenigen Sekunden auch kein Leben mehr. Die Brünette und Rotlöckchen kamen mit breitem Lächeln und rot leuchtenden Augen langsam auf mich zu. Sie waren wesentlich beherrschter als Blondie und legten ihre Köpfe schief, als würden sie ihre aufgespießte Freundin bedauern, sich aber gleichzeitig freuen, dass sie die Waffe unter Kontrolle bekommen hatte.

Erneut stemmte ich mich mit aller Kraft nach hinten und versuchte, Blondies Krallen zu entkommen. Ihre langen Finger bohrten sich tiefer in meine Arme, ehe sie mich zu sich zog, sodass sich der Griff des Dolches bereits in meinen Bauch bohrte. Dabei wurde meine Hand mit dem Dolch, die zwischen uns beiden eingequetscht war, immer weiter in Blondies Innereien gepresst und dabei so schmerzhaft verdreht, dass ich meine Waffe loslassen musste, um mir nicht das Handgelenk zu brechen. Blondie leckte sich die Lippen, ehe ihr Kopf nach vorne schoss und sie nach meinem Hals schnappte. Igitt!

Der Ekel mobilisierte neue Kräfte in meinem Körper und ich schlug mit voller Wucht den Kopf gegen die Nase der Lamia. Sie kreischte auf und wich zurück, ließ mich jedoch nicht komplett los. Hastig tastete ich nach dem schleimigen Griff meines Dolchs, umfasste ihn widerwillig und riss ihn nicht vor oder zurück, sondern mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft nach oben. Hätte mir vor ein paar Wochen jemand gesagt, dass ich eiskalt ein anderes Wesen abstechen würde, hätte ich mir wohl nur lachend an die Stirn getippt und meine Gedanken über denjenigen besser für mich behalten. Aber wenn es um das eigene Leben ging, war man doch zu mehr bereit, als man sich vorher vorstellen konnte. So wie jetzt, als Blondie aufheulte und endlich meine Oberarme losließ, ich ihr meine linke Hand an die Brust legte und die Energie darin bündelte. Funken stoben auf, ein feines blau leuchtendes Netz breitete sich von meiner Hand über die Lamia aus und brachte sie zum Zittern, ehe meine Waffe endlich ihr Herz erreichte. Sie zerfiel zu Staub und ich stand mit meiner blutgetränkten Waffe da wie ein irrer Psychokiller.

Für einen winzigen Moment schienen die beiden übrigen zu überlegen, ob ihnen dasselbe blühen könnte wie ihrer Jagdgefährtin. Dann jedoch verständigten sie sich wortlos und rasten zeitgleich auf mich zu.

So viel zum Thema blutgierig und total planlos. Ich verfluchte Hayden in dem Augenblick, in dem mich die beiden auf den Rücken warfen.

Kapitel 5

Im letzten Moment vor dem Aufprall stützte ich meinen Kopf mit der linken Hand ab, dankte Hayden in Gedanken für das anfangs von mir verhasste Falltraining, ohne das ich jetzt vermutlich vor Schmerzen nicht mehr hätte denken können. Meine Rechte mit dem Dolch wurde sofort seitlich eingeklemmt, vermutlich von Rotlöckchen. So von Nahem wirkten die roten Augen verstörend, das vorher noch so glänzende Haar der Brünetten fiel mir fahl ins Gesicht. Ich versuchte, die Hände nach oben zu bekommen, um ihren gierigen Mund von mir wegzuschieben, doch ich schaffte es nicht. Ihr Atem ließ mich würgen, bis mich ein stechender Schmerz in meinem rechten Arm davon ablenkte. Das andere Biest hatte mich gebissen!

Ich versuchte, alles außer den immer länger werdenden Zähnen vor mir auszublenden, als das Gewicht plötzlich von meiner Seite genommen wurde und ich meine Waffe wieder frei hatte. Ganz kurz ließ mich die widerliche Vorstellung, ein mythologisches Monster direkt über mir zu töten, zögern, aber wirklich nur ganz kurz. Es hieß entweder sie oder ich. Ich wappnete mich auf das Bad in Lamienblut, riss die Hand mit dem Dolch nach oben und ließ sie anschließend nach unten sausen.

Mit geschlossenen Augen hielt ich die Luft an, als sie zu Asche zerfiel und auf mich niederregnete. Doch es blieb keine Zeit für Ekel.

Ich sprang auf, wie Hayden es mir zig Male gezeigt hatte, und sah an die Stelle, an der bis gerade eben noch Rotlöckchen auf meinem Arm gesessen und mich gebissen hatte. Sie war weg. Und ich wusste auch, warum. An der Stelle stand Phoenix mit funkelnden dunklen Augen und starrte mich nahezu gierig an.

Sein Brustkorb hob und senkte sich schnell unter dem eng anliegenden dunklen T-Shirt. Aus einer Wunde an seinem Arm lief schwarzes Blut. Die Lamia hatte ihn noch gebissen, ehe er sie getötet hatte. Reglos stand er inmitten der Asche und scannte mich mit seinem Blick von oben bis unten, bis ich den Drang verspürte, mich zu bedecken.

»Du blutest«, flüsterte ich kaum hörbar über meinen polternden Herzschlag hinweg.