Schläfst du, Mutter? - Jakob Wassermann - E-Book

Schläfst du, Mutter? E-Book

Jakob Wassermann

0,0
0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Schläfst du, Mutter?? ist eine Erzählung von Jakob Wassermann, die 1897 zum ersten Mal veröffentlicht wurde. "Ich lasse sie schreien, die Knirpse, dachte Peter und schritt würdevoll seine Straße fürbaß. Das Spottgedicht stammte vom Herrn Lehrer selbst, aber Peter war fest überzeugt davon, daß ihn diese »Kinderei« gleichgültig lasse. Wenn er in den Zwischenpausen träumerisch, fast tiefsinnig im Schulhof stand, hinten am Zaun, wo man auf den Fluß hinabsehen konnte, der so ruhig und so klar vorbeiströmte, oder wenn er abseits von dem Knäuel der Aufgeregten mit nachdenklich verschränkten Armen dastand, mußte ihn oft die spöttische Mahnung des Lehrers aus seinem Sinnen wecken. Aber Peter lächelte nur, und dieses Lächeln war nicht ohne eine gewisse Geringschätzung; denn er war bei seinen neun Jahren schon ein beachtenswerter Philosoph, der über den lieben Gott bereits sein ganz bestimmtes Urteil hatte."

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 44

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Schläfst du, Mutter?

Schläfst du, Mutter?Anmerkungen zu dieser AusgabeImpressum

Schläfst du, Mutter?

I

Peter Vogelsang Geht auf den Grillenfang, Hat eine lange Nase Und Ohren wie ein Hase ... 

Ich lasse sie schreien, die Knirpse, dachte Peter und schritt würdevoll seine Straße fürbaß. Das Spottgedicht stammte vom Herrn Lehrer selbst, aber Peter war fest überzeugt davon, daß ihn diese »Kinderei« gleichgültig lasse. Wenn er in den Zwischenpausen träumerisch, fast tiefsinnig im Schulhof stand, hinten am Zaun, wo man auf den Fluß hinabsehen konnte, der so ruhig und so klar vorbeiströmte, oder wenn er abseits von dem Knäuel der Aufgeregten mit nachdenklich verschränkten Armen dastand, mußte ihn oft die spöttische Mahnung des Lehrers aus seinem Sinnen wecken. Aber Peter lächelte nur, und dieses Lächeln war nicht ohne eine gewisse Geringschätzung; denn er war bei seinen neun Jahren schon ein beachtenswerter Philosoph, der über den lieben Gott bereits sein ganz bestimmtes Urteil hatte.

Es war ein Mittwochnachmittag, und er ging spazieren. Er trug einen dünnen Spazierstock aus Weichselrohr – die Mutter hatte ihn gestern erst gekauft –, und damit hieb er fortwährend auf die Einfassung des Trottoirs los, gerade als könne er sich damit von einer Summe innerer Zweifel befreien. Am Lilienplatz ertönten die Schmiedehämmer, und das war ein heller, fast klagender Laut. Peter blieb stehen, denn diese Töne fesselten ihn sehr. Klang es nicht, wie wenn die alten und berühmten Recken mit ihren Schwertern aufeinander loshieben? Wahrlich, wenn man die Augen schloß, so konnte man glauben, Laurin kämpfe in vollem Gewaffen mit Dietrich von Bern. Dann sah er noch zu, wie einem Pferd die Hufeisen erneuert wurden, und so beklommen war sein Herz bei diesem Schauspiel, daß ihn selbst der arge Gestank des angesengten Hufs nicht vertreiben konnte. Er staunte nur, daß ein Pferd so schön stille halten konnte, während man ihm Nägel in die Füße schlug. Er ging weiter, aber das Staunen über diesen sonderbaren Umstand wollte ihn gar nicht mehr verlassen. Er dachte: Man sollte das einmal bei mir probieren! Man sollte mir einmal Nägel in die Füße schlagen! Erstens würde ich schreien, und dann ... dann würde schon Papa kommen...

Als er sich der Fischergasse mit ihrem schlechten Pflaster und ihren kleinen, baufälligen Häusern näherte, dachte er: Dies Fürth ist doch eine häßliche Stadt. Warum hat mich der liebe Gott nicht in einer Stadt mit schöneren Häusern geboren werden lassen? Schon der Name ist häßlich. Es gibt doch so schöne Städte: Babylon oder Bagdad oder Palmyra...

Seine kindische Sehnsucht machte seine Schritte größer und hurtiger. Bald lagen die Wiesen vor ihm.

II

Lange Zeit verfolgte er die Landstraße, die kahl und schattenlos dalag, während der weiße Staub sie gleich einer Mehlschicht bedeckte. Am wolkenlosen Himmel stand die Sonne, und alles Land lag da: leblos, gleichsam schlaftrunken. Bienen und Hummeln summten vorbei, und der Kohlweißling und das Pfauenauge flatterten umher. Hinter den Hügeln drüben erhob sich ein Dorfkirchturm einsam in die Luft, lang und schmal wie eine Lanze. Ein leichter Schleier verhüllte die Fernen, und je weiter sich der Knabe von der Stadt entfernte, desto stiller, desto feiertäglicher wurde es in der Runde um ihn. Er hätte immer zuwandern mögen in diese große Ebene hinaus, die so trügerisch den Schein eines Unermeßlichen erweckte. Nichts fesselte das Auge hier, und stets sah man die schwere, gleichförmige Linie des Horizonts; aber dies Flachland birgt Schönheiten, die denen der Nacht verwandt sind.

Peter Vogelsangs Ziel war der Wald. Und während er weitertrippelte, überließ er sich völlig seinen Träumereien. Wie herrlich wäre es, wenn er jetzt als Anführer einer Armee die Straße zöge! Natürlich mußte er dazu schon groß sein und stark – stärker als Haushammers Fritz, ja sogar stärker als der Vater selbst. Er blieb stehen ... nein, am Ende war es doch viel hübscher, Kapitän zu werden, Seeräuber zu werden. Er legte den Finger an die Nase und sann emsig darüber nach, was wohl ersprießlicher sein möchte: Feldmarschall zu werden oder Seeräuber? Wenn er aber bedachte, daß man es vom Feldmarschall gar leicht zum Kaiser bringen kann? Es war schwer, darüber ins Klare zu kommen. Er wollte die Bäume an der linken Seite der Straße zählen, bis hinauf zur Hügelspitze, und wenn eine gerade Zahl herauskam, wollte er Kaiser werden, und wenn eine ungerade herauskam, wollte er Seeräuber werden. Wenn das Tante Lina wüßte, würde sie natürlich wieder lachen, aber wovon verstand sie denn eigentlich etwas? Überhaupt, die Mädchen verstehen ja gar nichts, sagte er finster vor sich hin. Er haßte die Mädchen, und obwohl Tante Lina schon verheiratet war, rechnete sie Peter doch zu den Mädchen. Sie redete immer bloß von ihrem Alfredchen und von ihren neuen Tüllgardinen oder so, und vom lieben Gott zum Beispiel verstand sie gar nichts. Auch hatte sie nicht einmal gewußt, daß die Sonne größer ist als die Erde. Das empörendste war aber, daß sie immer vom Storch sprach, der die kleinen Kinder bringe. Als ob er das geglaubt hätte, solche Kindermärchen!

Und er versank in tiefes Grübeln. Eigentlich war er doch noch nicht fertig mit diesem Storch. Wer sollte einen denn sonst bringen, wenn es nicht der Storch war? Aber andrerseits, welches Interesse konnte der Storch daran haben, daß die Menschen Kinder bekämen? Ja – und dies war der Hauptpunkt: im Herbst ziehen doch die Störche fort, können also keine Kinder bringen; er wußte aber ganz genau, daß die Kinder auch dann auf die Welt kommen, wenn gar keine Störche mehr da sind. Und was ist dies für ein geheimnisvoller Ort, wo die vielen winzigen Kinderchen hegen? Ein großer See, von dunklen Wildnissen umspannt; rosenfarbene Vögel schwimmen darauf umher, und am Rand steht himmelhohes Schilf. Und es gibt keinen Tag und es gibt keine Nacht dort, sondern immer nur ein seltsames Dämmern, und eine Prinzessin liegt im Wald und ist verzaubert und schläft, bis der Königssohn kommt.