SchneeWehen (eBook) - Roland Ballwieser - E-Book

SchneeWehen (eBook) E-Book

Roland Ballwieser

4,8

Beschreibung

Eine tote Italienerin im niedergebrannten Dorfgasthof, zwei Babyleichen, vergraben unterm Walnussbaum, und eine Krankenschwester, die sich vom Dach des Nürnberger Südklinikums stürzt. Mitten im Vorweihnachtstrubel hat das ungleiche Ermittlerpaar Stefan Simpel und Mike Ziegler alle Hände voll zu tun, Licht in das Dunkel dieser Fälle zu bringen. Schnell ist klar: Nicht alle Dorfbewohner haben eine weiße Weste, doch wer weiß mehr, als er zugibt? Obendrein bremst ein handfester Jahrhundertwinter die Spurensucher, und auch der neue Dienststellenleiter stellt die Geduld der Kommissare hart auf die Probe. Erst eine Reise nach Trient bringt den entscheidenden Durchbruch ...

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Roland Ballwieser & Petra Rinkes

SchneeWehen

Simpels und Zieglers dritter Fall

 

 

Kriminalroman

 

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage November 2014)

© 2014 by ars vivendi verlag

GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Johanna Cattus-Reif

Umschlaggestaltung: ars vivendi verlag unter Verwendung einer Fotografie von plainpicture/Caterina Sansone

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-480-2

 

 

»Pressen, du musst pressen! Verstehst du? Ja, gut so, gleich ist es da, dann hast du es geschafft.«

Hoffentlich. Irgendetwas stimmte hier nicht. Es dauerte einfach zu lange. Die beiden hatten gesagt, das Mädchen wäre nie beim Arzt gewesen. Nicht ein einziges Mal, die ganzen neun Monate. Aber jetzt galt es, Ruhe zu bewahren. Bei dem Schneesturm kamen sie sowieso nicht mehr rechtzeitig ins Krankenhaus. Die Straßen waren schon seit dem frühen Morgen nahezu unpassierbar.

»Ja, gut so. Kannst dich kurz erholen und dann noch mal fest pressen. Verstehst?«

Ein mattes Nicken war die einzige Antwort.

Es klopfte ungeduldig an der Tür. Eine dumpfe Stimme fragte: »Und? Is scho da, des Kind? Warum dauert denn des so lang?«

Was wollten die denn? Sie tat ja, was ihr möglich war.

»Bleibt draußn, euch könn mer edz ned brauchn. Ihr werdet scho wartn müssn. Wer is denn eigentlich der Vater von euch zwei?«

»Des geht dich nix an, mach dei Arbeit, so wie mer’s ausgmacht ham.«

»Seid froh, dass ich euch helf, ihr …« Der Rest ging in einem lauten Aufstöhnen der werdenden Mutter unter.

Es war so weit.

»Gut, und jetzt fest pressen. Ich seh schon den Kopf. Noch einmal, gut so, gleich – oh Gott!«

Sie hatte ja gewusst, dass da etwas nicht stimmte. Der kleine Junge war tot, das sah sie sofort. Er war ganz blau im Gesicht.

Sie traf keine Schuld, da hätte ein Arzt auch nichts machen können, bestimmt nicht. Oder doch?

Wieder die zwei mit ihrer Klopferei.

»Ja, gleich, edz wartets halt mal.«

Sie wickelte das tote Baby in ein Handtuch. Das Mädchen auf dem Bett stöhnte laut auf. Ja, natürlich, die Nachgeburt. Sie ließ das Kind erst einmal liegen, dem konnte man sowieso nicht mehr helfen. Aber der Mutter. Da durfte jetzt nichts schiefgehen. Und dann musste das Mädchen in ein Krankenhaus! Darauf würde sie bestehen. Egal, was die beiden sagten, oder womit sie ihr drohten. Eigentlich hatte sie die zwei immer ganz nett gefunden. Aber das hier war ja wohl das Allerletzte.

Ach du meine Güte. Von wegen Nachgeburt. Da kam noch ein Köpfchen.

»So, jetzt presst du noch mal, ganz fest. Hast mich verstanden?« Das Mädchen war so fertig, sie konnte nicht einmal mehr nicken.

»Noch ein bisschen, ja!«

Herrgott, bitte mach, dass dieses Kind lebt, bitte!

Jetzt war es da … und es lebte. Wieder ein Junge. Schwach, aber er schrie. Nicht sehr laut, aber er schrie. Danke, lieber Gott, danke. Sie arbeitete jetzt ganz schnell, versorgte das Baby und die Mutter, wie sie es gelernt hatte.

Da flog die Tür auf. Einer der beiden stürmte ins Zimmer.

»Was is jetzt? Is edz endlich vorbei?«

»Ja, es is vorbei. Schau her, der Kleine muss ganz schnell in eine Klinik, der is total schwach, hast ghört?«

Und dann leiser, damit es die Mutter nicht hören konnte. »Der andere is tot. Ich kann nichts dafür. Er war schon tot, als er rauskam.«

Der Mann starrte auf das tote Baby, dann auf die Mutter. »Freilich, ich kümmer mich drum«, sagte er. »Ich bring die beidn ins Krankenhaus, mit dem Traktor komm ich scho irgendwie durch.«

In dem Moment kam der andere ins Zimmer, drückte ihr einen Umschlag in die Hand und schob sie zur Tür hinaus. Aber sie war doch noch nicht fertig. Sie wollte doch mit in die Klinik.

»Geh, wir machen des scho. Los, verschwind endlich!« Sie konnte gerade noch sehen, wie er mit beiden Babys auf dem Arm aus dem Zimmer lief. Mit dem toten Baby und dem lebenden.

Dieses Bild sah sie immer wieder in ihren Albträumen. Und jedes Mal wachte sie schweißgebadet auf, seit nunmehr dreißig Jahren.

 

***

 

 

»Wenn’s so weiterschneit, dann muss ich heut noch Schnee schippn, a schöner Mist. Und des bei meiner Erkältung.«

Prompt bekam Hauptkommissar Horst Vogel einen Hustenanfall, der gar nicht mehr enden wollte.

Stefan Simpel sah von seinen Papieren auf. »Was hast du gesagt?«

»Ich habe gesagt, wenn es weiter so schneit, muss ich heute noch Schnee schippen«, sagte Horst Vogel, langsam und auf Hochdeutsch, nachdem sein Hustenanfall endlich vorüber war. Dabei zeigte er aus dem Fenster, wo der Wind die Schneeflocken durcheinanderwirbelte.

Simpel sah hinaus und dachte an seine Winterreifen. An die Winterreifen, die immer noch in der Garage an der Wand hingen. Irgendwie war er noch nicht dazu gekommen, sie zu montieren.

»Ach, die paar Flocken«, winkte er ab. Er loggte sich schnell ins Internet ein. »Das hört am Wochenende auf, und ab Montag soll es wieder wärmer werden.«

»Scho, aber mir ham erst Oktober, vor a paar Jahr bin ich da noch im Rothsee schwimmen gwesn.«

Simpel klickte weiter.

»Ist aber nicht allzu ungewöhnlich, Schnee im Oktober. Der Wetterochs sagt, laut Statistik …«

»Ach, hör auf! Die Statistik is mir wurscht. Ich hab fünfundsiebzig Meter Gehsteig zu schippn. Da kommt ka Wetterochs zum Helfn. Wie wär’s, wenn du a weng vorbeikommst, a zweite Schneeschaufel hätt ich scho.«

Tina Kaczmarek, die Sekretärin, steckte ihren Kopf durch die Tür.

»Schönen Gruß vom Chef! Meeting in einer halben Stunde im großen Konferenzraum.«

Simpel und Vogel blickten sie fragend an.

»Ich weiß nichts, wirklich nicht, ich schwöre!«, sagte sie und hob zwei Finger.

Manuel Küppers, der jüngste Kommissar der Schwabacher Mordkommission, kam aus dem Nebenraum.

»Vielleicht bekommen wir endlich den neuen stellvertretenden Dienststellenleiter. Der Jochen ist ja schon fast ein halbes Jahr weg.« Er hielt Tina eine Tüte Mokkatrüffel hin. »Magst du? Die hat mir meine Mutter geschickt. Selbstgemacht. Die sind echt lecker.«

Tina lächelte ihn an und griff in die Tüte.

»Stellvertretender Dienststellenleiter? Bloß ned«, sagte Vogel. »Ich bin froh, dass wir hier nur einen Chef ham. Der Hans-Georg red uns so wenig wie möglich in unsre Arbeit nei. Der weiß, wie er den Ladn am Laufn hält. Des Letzte, was wir in Schwabach brauchn, is so a karrieregeiler Jungspund mit lauter spinnerte Ideen. In meinem letztn halbn Jahr will ich in Ruh mei Arbeit machn.«

Er schielte zu der Tüte mit Süßigkeiten in Küppers’ Hand, aber der hielt sie noch immer Tina hin und machte keine Anstalten, den anderen auch etwas anzubieten.

»Vielleicht geht es aber auch um etwas ganz anderes«, vermutete Simpel. »Um den Feuerteufel zum Beispiel. Kann sein, dass die Mayr vom Branddezernat Hilfe braucht.«

»Die Sabine schafft des scho allein. Des Madla hat schließlich alles von mir glernt, was sie weiß. Und a paar fähige Leut hat s’ ja auch noch«, sagte Vogel und wandte sich dann an Küppers. »Sag mal, Manuel, wir kriegn wohl nix ab vo deine Kugln? Mir sin natürlich auch ned so charmant wie die Tina, aber trotzdem.«

Küppers beeilte sich, seinen Kollegen die Tüte hinzuhalten, und verschwand dann schnell wieder im Nebenraum.

»Okay, lassen wir das Spekulieren und schauen lieber, dass wir noch den Bürokram wegschaffen. Dann können wir gleich nach dem Meeting Feierabend machen.«

Simpel wandte sich wieder seinem Bericht zu.

»Klar, Chef! Wird gemacht«, sagte Vogel und salutierte.

 

»Ihr fragt euch sicher, warum ich euch zu dieser späten Stunde zusammengerufen habe. Für die Weihnachtsansprache ist es schließlich noch ein wenig zu früh.«

Hauptkommissar Hertle, Dienststellenleiter der Kripo Schwabach, lachte. Die Polizisten lachten halbherzig mit. Wenn Hertle schlechte Witze machte, dann war die Lage wirklich ernst.

»Na ja, um es kurz zu machen. Es hat mich ziemlich böse erwischt. Ich habe einen Bandscheibenvorfall und muss nächste Woche ins Krankenhaus.«

Sofort erhob sich ein aufgeregtes Stimmengemurmel.

»Das heißt«, fuhr Hertle fort, »dass ich für einige Zeit ausfallen werde. Und dass ihr in der Zeit einen neuen Chef bekommt. Mein bisheriger Stellvertreter, der Jochen, ist ja nach Rosenheim versetzt worden. Es wird vermutlich bis nächstes Jahr dauern, bis die Stelle neu besetzt wird. Eigentlich wäre dann der Horst dran. Als Dienstältester müsste er die Inspektion übernehmen.«

Horst Vogel erbleichte. Er hatte schon die Leitung der Dienstgruppe Simpel überlassen, weil er sein letztes halbes Jahr nicht mit Verwaltungskram verbringen wollte. Er öffnete den Mund, aber bevor er etwas sagen konnte, sprach Hertle weiter.

»Keine Angst, Horst, das tu ich dir nicht an. Das Präsidium schickt jemanden. Einen mit Erfahrung, hat man mir versichert, einen, der sich mit Personalführung auskennt. Schließlich stehen ab Januar die dienstlichen Beurteilungen an. Aber ich habe nicht vor, so lange wegzubleiben. Wenn alles gut geht, bin ich Weihnachten wieder da. Das war’s eigentlich schon. Die Dienstgruppenleiter kommen noch kurz in mein Büro, und an alle anderen: Einen schönen Feierabend!«

 

Es wurde dann doch fast sieben, bis Simpel seinen PC ausschaltete. Er packte seine Sachen zusammen und dachte über Hertles Neuigkeit nach. Mike Ziegler war der letzte Neue, den er in der Inspektion erlebt hatte. Und mit dem war es nicht immer einfach gewesen.

Vielleicht würde der … Aber nein, der war ja noch mitten in der Wiedereingliederung. Hoffentlich kam nicht …

Schluss damit. Warum beschäftigte er sich mit Dingen, die er nicht beeinflussen konnte? Er musste einkaufen gehen, das war jetzt viel wichtiger. Astrid übernachtete heute bei ihm. Endlich mal wieder. Sie sahen sich viel zu selten. Immer hatte einer von ihnen Dienst. Es war wirklich nicht leicht, in ihrem Beruf eine Beziehung zu führen.

Sie wollten heute ein Safranrisotto machen, und er hatte sich gestern Abend die Einkaufsliste auf seinem Blackberry gespeichert. Simpel griff nach seiner Jacke und war schon auf dem Weg zum Treppenhaus, als er seine Kollegin Sabine Mayr von der Brandermittlung traf.

»Schönen Feiertag, Sabine.«

Seine Kollegin winkte ab.

»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt einen Feiertag haben werde. Wir kommen bei dieser Brandserie einfach nicht weiter. Ich hoffe bloß, dass unser Zündler heute an Halloween nicht auf die Idee kommt, mal wieder ein Feuerchen zu schüren. Aber dir wünsche ich einen schönen Feierabend. Wir sehen uns dann am Freitag wieder.« Damit verschwand sie in ihrem Büro.

Simpels Abteilung hatte es momentan nur mit langweiligem Routinekram zu tun, und er war fast ein bisschen neidisch auf seine Kollegin. Doch dafür hatte er einen freien Abend, den er mit Astrid verbringen durfte.

Sein Fall für diesen Abend hieß Risotto, und den würde er hoffentlich erfolgreich lösen.

 

***

 

 

Die haarige Hand des Zombies näherte sich langsam dem Hals des Mädchens. »Ich will dein Gehirn!«, stöhnte er.

Das Mädchen machte einen Satz nach hinten. »Ey Alter, spinnst du? Willst du mich zu Tode erschrecken? Aber das Kostüm ist echt cool. Los, gehen wir endlich, die anderen warten.«

Vor dem verlassenen Gasthaus trafen sie die restliche Clique. Sie wollten ein bisschen die Dorfbewohner erschrecken, vielleicht einen kurzen Abstecher zum Kanal machen und dann zu Richi auf ein paar Wodka-Redbull. Nicht gerade das große Programm für einen Halloweenabend, aber mehr war halt nicht möglich, hier draußen am Land.

Es wehte ein eisiger Wind. Die drei Mädchen hüpften von einem Bein auf das andere und hielten dabei ihre ­Hexenhüte fest. Der Schnee hatte mittlerweile nachgelassen, nur noch ein paar einzelne Flocken tanzten durch die Luft.

»Also, bei wem klingeln wir?«

 

Die Frau zog die Kapuze ihres Mantels tiefer ins Gesicht. Auch sie hatte mit dem Wind zu kämpfen. Sie drückte sich eng an die Hecke und wartete, bis die jungen Leute verschwunden waren. Dann schlüpfte sie durch das offen stehende Gartentor des Gasthofes und ging mit schnellen Schritten zu dem alten Walnussbaum. Dort verharrte sie eine Weile, zog dann etwas aus der Manteltasche und legte es auf den Boden. Sie bekreuzigte sich und wischte sich die Tränen aus den Augen. Dann drehte sie sich um und ging langsam zurück. Am Gartentor blieb sie stehen. Die Straße war leer. Sie zog die Kapuze noch tiefer ins Gesicht. In dem Augenblick löste sich ein Schatten von der Hauswand und packte sie am Arm. Eine große Hand legte sich ihr über den Mund und erstickte ihren Schrei.

 

»Gehen wir zur alten Gruber, die regt sich immer so schön auf. Dann gibt’s endlich was zum Lachen«, schlug Paul vor.

Also zogen sie los zum anderen Ende des Dorfes. Sie klingelten Sturm und schoben sich schnell die Masken übers Gesicht.

Eine dicke Frau, weit über siebzig, öffnete die Tür.

»Naa, is scho widder so weit. Ihr mit euerm bleeden amerikanischn Gschmarri. Schaut bloß, dass ihr weiterkommt. Und dass euch ned eifällt, irgendwas kaputtzumachn.« Die alte Gruber fuchtelte mit den Armen. Franzi grapschte mit ihrer Teleskop-Skeletthand an den dicken Busen der Frau. Die packte die Hand und schmiss sie ins Gebüsch. »Geht lieber amoll in die Kirch, do sicht ma euch ned, aber Leit erschreckn mit dem Heidenzeich, des könnt ihr.«

Die Tür flog zu.

Franzi holte ihre Skeletthand aus dem Gebüsch, und die Gruppe trabte weiter. Nächstes Jahr mussten sie sich etwas anderes einfallen lassen. Die Gruber zu ärgern wurde langsam langweilig. Aber vielleicht hatte Paul nächstes Jahr schon seine eigene Bude in Nürnberg. Dann konnten sie alle auf eine geile Party und mussten nicht mehr bei Eiseskälte in diesem stinklangweiligen Dorf abhängen.

Sie machten sich auf den Weg zum Kanal. Da oben war es um die Zeit immer schaurig neblig. Auf dem Weg dorthin klingelten sie noch an ein paar anderen Häusern, aber entweder war keiner da, oder niemand machte auf. Nicht einmal der Waldmüller, der sonst keine Gelegenheit ausließ, wenn es darum ging, zukünftige Wähler für die Landratswahl zu ködern.

Zum Glück hatte Richi eine Flasche Schnaps dabei, die half gegen die Kälte.

»Wartet mal«, sagte Franzi, kurz nachdem sie zum zweiten Mal am alten Gasthaus vorbeigekommen waren. »Ich glaube, ich habe vorhin meine Handschuhe auf der Eingangstreppe vergessen. Ich schau mal schnell, ich bin gleich wieder da.«

Die anderen hatten es sich kaum am Buswartehäuschen bequem gemacht, da kam Franzi schon wieder angerannt.

»Was ist los, hat dich ein Geist erschreckt, oder warum rennst du so?« Der Junge mit der haarigen Zombiemonsterhand wedelte damit in Franzis Gesicht herum.

»Lass das. Ich weiß nicht, aber da war wirklich etwas. Im Gasthaus war jemand, ich habe so komische Geräusche gehört.«

Die anderen lachten sie aus.

»Ach komm, da trinkst du einen Schnaps und schon hörst du Gespenster. Gehen wir weiter. Wenn wir Glück haben, findet die Franzi am Kanal noch eine Wasserleiche.«

»Ihr seid echt blöd«, sagte Franzi und reihte sich hinter Paul ein. Im Gänsemarsch liefen sie den Trampelpfad entlang die Böschung zum Kanal hoch.

Richi erreichte die Dammkrone als Erster und drehte sich zu den anderen um, die hinter ihm heraufkeuchten. Da sah er hinten im Dorf …

»Feuer! Der Gasthof brennt!«

 

***

 

 

Simpel stellte die Tüten mit den Einkäufen auf den Küchentisch. Draußen schneite es immer noch. Nicht mehr so stark wie nachmittags, aber Vogel würde wohl ums Schnee schippen nicht herumkommen. Während er die Tüten ausleerte, dachte Simpel wieder an seine Winterreifen. Die musste er morgen unbedingt aufziehen. Es klingelte. Das war sicher Astrid. Sie hatte zwar einen eigenen Schlüssel, benutzte ihn aber selten. Simpel drückte den Türöffner, ließ die Wohnungstür angelehnt und ging wieder in die Küche. Kurze Zeit später hörte er ein seltsames Geräusch aus dem Hausflur. Es klang wie ein Minitiger, der vergeblich versucht, gefährlich zu brüllen. Simpel schlug sich an die Stirn. Halloween! Das war gar nicht Astrid. Simpel schnappte sich die Tüte Gummibärchen, an die er im Supermarkt gerade noch gedacht hatte.

Vor seiner Wohnungstür standen drei seltsame Gestalten, der Größte ging ihm gerade mal bis zum Bauch, der Kleinste hatte einen Totenkopfschnuller im Mund. »Schüsches oder Schaures«, tönte der Große. Wegen des Vampirgebisses konnte er nicht deutlicher sprechen.

»Oh je, jetzt habe ich aber schreckliche Angst, was mache ich denn jetzt?«, sagte Simpel und versuchte dabei, möglichst ängstlich zu schauen.

»Ich glaube, du musst diesen schrecklichen Vampiren etwas geben«, sagte Astrid, die gerade die Treppe hochkam.

»Ja, das glaube ich auch. Vor allem der Kleine«, Simpel deutete mit gespielter Zittrigkeit auf den Schnullerträger, »macht mir echt Angst.«

Die Vampire hielten ihm Plastikeimerchen hin, die aussahen wie ausgehöhlte Kürbisse, und Simpel schüttete Gummibärchen hinein. Astrid legte noch ein paar Schokoriegel dazu, und dann hüpften die drei Gruselgestalten die Treppe hinunter, jeder mit einem Mund voller Gummibärchen.

»Danke und schönen Abend«, hörten sie eine Erwachsenenstimme aus dem Erdgeschoss.

Astrid lachte.

»Hey, ich wusste gar nicht, dass du so gut mit Kindern umgehen kannst, das ist ja süß«, sagte sie und gab Simpel einen Kuss.

Der wurde ein bisschen rot. Eine Eigenschaft, die er an sich hasste, aber einfach nicht unter Kontrolle bekam. Ahnte Astrid, dass er wirklich schon ein paar Mal an ein gemeinsames Kind gedacht hatte? Nicht jetzt gleich, aber in ein paar Jahren.

»Also … jetzt sollten wir mal mit dem Risotto anfangen, das dauert ja eine Weile«, sagte er und ging in die Küche. Er schaltete sein iPad ein, holte die Küchenwaage aus dem Schrank und zeigte Astrid das Rezept.

»Ich habe schon mal ein Risotto gekocht«, sagte sie, nachdem sie das Rezept durchgelesen hatte. »So genau müssen wir das gar nicht machen, da nehmen wir einfach …«

Doch Simpel hatte schon begonnen, den genau abgewogenen Reis, die gehackten Schalotten und die anderen Zutaten in kleinen Schälchen vor sich aufzubauen. Astrid sah ihm schmunzelnd dabei zu.

»Ich glaube, es ist besser, du machst das Risotto alleine. Ich wasche inzwischen den Salat und decke den Tisch. Unsere Art zu kochen ist doch sehr unterschiedlich.« Sie warf demonstrativ zwei Körner Reis in das bereits abgewogene Schälchen. Simpel drohte ihr mit dem Kochlöffel. »Polizeimeisterin Leninger, ich verweise Sie meiner Küche, wenn Sie meine Vorbereitungen weiter sabotieren.«

»Super, dann kann ich gemütlich fernsehen, während du die Reiskörner polierst. Ziel erreicht.«

Sie fing das Geschirrtuch auf, das Simpel ihr an den Kopf warf, schlang es ihm um den Hals und gab ihm einen Kuss.

»So, ab jetzt lass ich dich in Ruhe, sonst bekommen wir heute nichts mehr zu essen. Multitasking ist ja nichts für euch Männer.«

Simpel tat entrüstet, konzentrierte sich dann aber tatsächlich auf das Kochen, schließlich wollte er Astrid beeindrucken. Er genoss diese seltenen gemeinsamen Abende. In letzter Zeit dachte er häufig daran, dass es besser wäre, sie würden zusammenziehen. Sie hatten so wenig gemeinsame Freizeit. In einer gemeinsamen Wohnung würden sie sich wenigstens täglich sehen. Und außerdem musste Astrid dann nicht immer nach Lauf fahren, wo sie doch sowieso in Nürnberg arbeitete.

Am Ende war Simpel recht zufrieden mit seinem ersten selbst zubereiteten Risotto. Es hatte zwar ziemlich lange gedauert, und er hatte so oft probiert, dass er davon schon fast satt war, aber am Ende kratzte Astrid sogar die Reste aus dem Topf, das war wohl eindeutig ein Lob.

Als sie nach dem Essen satt und zufrieden auf dem Sofa kuschelten, fragte Astrid:

»Sag mal, du Meisterkoch, es ist zwar noch einige Wochen hin, aber hast du dir schon überlegt, wie wir das an Weihnachten machen wollen? Weil, meine Eltern haben gefragt, ob du mitkommst an Heiligabend?«

Simpel wusste nicht, was er darauf antworten sollte, und schwieg. Astrid nahm die Zeitung und tat so, als würde sie lesen. Aber sie wartete auf eine Antwort, das wusste er. Eigentlich war er Heiligabend immer in Regensburg bei seinen Eltern gewesen. Andererseits wäre er diesmal gerne mit Astrid zusammen. Aber mit ihr alleine, nicht mit ihrer ganzen Familie. Sie hatte einen älteren Bruder, den hatte er nur einmal kurz gesehen, der würde sicher auch da sein. Und vielleicht wollte Astrid ganz traditionell feiern. Mit allem Drum und Dran, und nicht alleine mit ihm hier, ohne Weihnachtsbaum und das ganze Zeug. Legte sie eigentlich auf so etwas Wert?

Astrid kuschelte sich an ihn, und er legte den Arm um sie.

»Stefan? Wenn du lieber alleine bist an Weihnachten, oder bei deinen Eltern, das ist kein Problem für mich, weißt du? Du musst es nur sagen.«

»Nein … ja … ich weiß nicht. Es ist doch wirklich noch lange hin. Müssen wir das jetzt gleich entscheiden?«

Herrgott, was druckste er denn wieder so blöd herum. Astrid musste ja denken, dass er sie nicht sehen wollte an Weihnachten. Und wirklich, sie löste sich aus seinem Arm und stand auf. »Schon gut, ich sag meinen Eltern einfach, dass du Dienst hast.« Dann verschwand sie im Bad.

War sie jetzt sauer auf ihn? Wundern würde es ihn nicht. Warum konnte er nicht einfach sagen, dass er gerne mit ihr alleine sein wollte?

»Stefan, du bist mal wieder ein absoluter Idiot«, sagte Simpel laut zu sich selbst und ging in die Küche, das Geschirr abwaschen.

 

***

 

 

Simpel gähnte, als er am nächsten Morgen das Tor zu seiner Garage aufschloss. Astrid war schon weg, sie hatte Dienst, und er musste den freien Vormittag unbedingt nutzen, um seine Winterreifen aufzuziehen. Dazu legte er sich erst einmal alle Werkzeuge zurecht: Wagenheber, Radkreuz, Drehmomentschlüssel, Reifenmarkierungsstift und eine Dose für die Radmuttern. Gute Vorbereitung ist Gold wert, sagte sein Vater immer. Keine Frage, den Ordnungsfimmel hatte er von ihm geerbt. Simpel zog sich einen gebrauchten Spurensicherungsoverall über und bekam gleich ein schlechtes Gewissen. Eigentlich dürfte er den gar nicht benutzen. Doch seine geliebte Arbeitshose, die er schon seit seiner Zeit bei der Bereitschaftspolizei besaß, hatte er wegschmeißen müssen, nachdem Astrid das gute Stück aus Versehen für einen alten Lappen gehalten und eine Benzinlache damit aufgewischt hatte. Und er war noch nicht dazu gekommen, sich eine neue zu kaufen.

Simpel gähnte noch einmal. Astrid und er hatten gestern Abend noch lange geredet und noch länger Versöhnung gefeiert. Zum Glück hatte er sich doch noch einen Ruck gegeben und ihr erklärt, warum er sich so komisch verhalten hatte. Astrid war dann auch nicht mehr sauer gewesen, und sie hatten schließlich beschlossen, erst kurz vor dem Fest zu entscheiden, wie und wo sie feiern würden. Simpel gähnte noch einmal. Er wäre am liebsten zurück ins Bett gekrochen. Arme Astrid, sie war sicher genauso müde wie er, und sie musste heute eine ganze Schicht durchstehen.

Simpel setzte gerade den Wagenheber an, als es am Garagentor klopfte. Manuel Küppers musste den Kopf einziehen, als er hereinkam. Simpels Garage war nicht für einen Zweimetermann gebaut.

»Hallo, Stefan, entschuldige, dass ich dich stören muss.«

Simpel wischte sich die Hände ab.

»Kommst du zum Helfen, oder hat es in der Inspektion gebrannt?«

»In der Inspektion nicht, aber gebrannt hat es schon.«

»Aha«, sagte Simpel. »Und Sabine Mayr braucht jetzt doch Unterstützung. Aber ich habe heute frei, und meine Winterreifen haben oberste Priorität. Da müssen halt du und der Horst ran, ihr habt doch Bereitschaft. Also, wenn du keine Leiche zu bieten hast …«

Simpel stockte, als er Küppers’ Gesicht sah. Der nickte.

»Es hat einen Toten gegeben, in Eckerslohe, in der Nähe von Roth. Bei einem Brand. Sabine und ihre Leute sind schon unterwegs. Es tut mir leid wegen deinem freien Tag, aber Horst liegt krank im Bett.«

»So wie sich sein Husten gestern angehört hat, wundert mich das nicht. Na, da kann man nichts machen. Ich geh mich schnell umziehen. Hast du ein Auto da?«

»Nein, die Dienstwagen sind alle unterwegs, und mein eigener ist in der Werkstatt.«

»Dann müssen wir wohl meinen nehmen. Auch ohne Winterreifen.«

Simpel warf einen kritischen Blick auf die Straße. Der Schnee war schon fast wieder weggetaut, aber wer weiß, wie es draußen hinter Roth aussah.

 

***

»Verdammter …«

»Frau Doktor Pfeiffer – hoppla!«

Simpel hatte der Gerichtsmedizinerin gerade noch die Hand reichen können, sonst wäre sie ohne Zweifel auf ihrem Hosenboden gelandet. Die gefrorenen Löschwasserpfützen waren tückisch. Wie erwartet, war es hier draußen auf dem Land deutlich kälter als in Schwabach.

»Danke. Sieh an, der Kommissar mit dem empfindlichen Magen. Wo ist denn Ihr charmanter Kollege?«

Simpel erinnerte sich nur ungern an die Szene in der Rechtsmedizin, als ihm während der Obduktion der Goldschläger-Leiche speiübel geworden war. Und das ausgerechnet unter den spöttischen Augen von Mike Ziegler.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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