Schreibenlassen - Hannes Bajohr - E-Book

Schreibenlassen E-Book

Hannes Bajohr

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Beschreibung

Alle Literatur ist heute digital, aber nicht jede weiß darum. Die Frage, in welchem Sinne von digitaler Literatur gesprochen werden kann und was daraus für das Wissen über Literatur und Digitalität folgt, animiert die Beiträge dieses Bandes. In ihnen diskutiert Hannes Bajohr Verwandtschaftsverhältnisse zwischen konzeptueller und programmierter Literatur, skizziert Poetologien und Schreibpraxen und stellt sich der Herausforderung, die Künstliche Intelligenz sowie machine learning für das literarische Schreiben darstellen. So dokumentieren die zwischen 2014 und 2021 entstandenen Texte auch die Veränderungen in der Diskussion über Literatur im Digitalen. Sie erheben Einspruch gegen ein "prometheisches Unbehagen", das die Ersetzung des Menschen durch die Maschine fürchtet und daher die Maschine nur menschlich denken kann. Welche Möglichkeiten ergeben sich stattdessen aus einer Literaturproduktion, die nicht mehr an einer anthropologischen Sonderstellung und Begriffen wie Genie oder Kreativität orientiert ist? Denn Literatur, so lässt sich hier erfahren, gibt es ohnehin nur als Verabredung.

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HANNES BAJOHR

SCHREIBENLASSEN

Texte zur Literatur im Digitalen

INHALT

Vorbemerkung

I. Digitale als konzeptuelle Literatur

Schreibenlassen. Gegenwartsliteratur und die Furcht vorm Digitalen

Vom Geist und den Maschinen. Autorschaft zwischen Mensch und Computer

Infradünne Plattformen. Print-on-Demand, Autofaktografie und postdigitales Schreiben

Das Reskilling der Literatur. Über das Verhältnis von Code und Konzept

II. Poetologie und Praxis

L(t). Der literarische Prozess

Sagen, hören, lesen. Über digitale Literatur

Was ist Literatur? Eine Minimalposition

III. Künstliche Intelligenz und literarisches Schreiben

Algorithmische Einfühlung. Für eine Kritik ästhetischer KI

Keine Experimente. Über künstlerische Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz und digitale Literatur. Theorie und Praxis konnektionistischen Schreibens

Textnachweise

Bildnachweise

VORBEMERKUNG

Alle Literatur ist heute digital, aber nicht jede weiß darum. Dieser Band versammelt Aufsätze über jene Art des Schreibens, die sich ihrer Digitalität bewusst ist. Es geht um Texte, die per Algorithmen produziert wurden, aber auch um konzeptuelle Praktiken, die ohne den Computer zu verwenden ein digitales Weltverständnis umsetzen. Ihre Werkzeuge sind Schere und Kleber, aber auch klassischer Computercode und das neuronale Netzwerk, das sich nicht mehr programmieren lässt, sondern von selbst lernt. Ihre Grundfragen lauten dabei stets: Was ist die Welt im Digitalen, wie beschreibt man sie oder besser noch: Wie lässt man ihre Mechanismen sich selbst beschreiben?

Die hier zusammengestellten Texte sind im Laufe eines knappen Jahrzehnts entstanden. Ihr Zugriff schwankt zwischen beschreibender Distanz und unmittelbarer Teilnahme, mischt die akademische Analyse mit der Lust am Coding. Als Literaturwissenschaftler, der über, und als Autor, der selbst digitale Literatur schreibt, ist die Trennung der beiden Rollen für mich ohnehin eine künstliche. Statt diesen dauernden Positionswechsel zu verstecken, nehmen die folgenden Texte ihn als gegenseitige Horizonterweiterung auf. Insofern ist dieses Buch auch ein Beitrag zu einer praxeologisch fundierten Literaturwissenschaft.

Die meisten der hier versammelten Texte sind in Zeitschriften erschienen, manche auf Websites, andere als Kapitel in Sammelbänden. Alle reagieren auf Entwicklungen im Zusammenspiel zwischen Literatur und Digitalität. Sie haben immer einen Zeit- und Kontextbezug, aus dem sie zu lösen unmöglich und den zu leugnen unsinnig wäre: Als der erste dieser Essays erschien, steckte die Technik des deep learning, mit der sich der letzte befasst, noch in den Kinderschuhen; die Poetik des Print-on-Demand, von der die mittleren als aktueller Bewegung sprechen, ist bereits historisch geworden und hat ihren eigenen Kanon gebildet. So ist dieser Band auch Dokument einer Entwicklung in der Verbreitung und Diskussion digitaler Literatur und der Literatur im Digitalen. Trotzdem glaube ich, dass seine Grundargumente Bestand haben. Daher habe ich nur behutsam eingegriffen, an manchen Stellen Bezüge geklärt, Dopplungen getilgt – auch wenn sie sich nicht ganz vermeiden lassen – und aktuelle Forschungsliteratur nachgetragen. So nicht anders angegeben, sind alle Übersetzungen fremdsprachlicher Quellen von mir.

Hannes BajohrBerlin und Basel im Winter 2021/2022

I. DIGITALE ALS KONZEPTUELLE LITERATUR

Abb. 1.1:Brion Gysin u. Ian Sommerville, „permutation poems (I AM THAT I AM)“ (ca. 1960), Ausschnitt

SCHREIBENLASSEN. GEGENWARTSLITERATUR UND DIE FURCHT VORM DIGITALEN

Ian Sommerville schrieb Anfang der 1960er auf einem Honeywell-Computer ein äußerst simples Programm. Der Input bestand aus einer Zeichenkette (‚Satz‘), deren n Elemente (‚Wörter‘) durch Leerzeichen getrennt waren. Gemäß aller möglichen Kombinationen wurden diese Elemente neu zusammengesetzt und alle Permutationen (‚Zeilen‘) untereinander auf einem Monitor als Textblock ausgegeben (‚Gedicht‘). Bei einem ‚Satz‘ aus n ‚Wörtern‘ entsteht demnach ein ‚Gedicht‘ aus n! ‚Zeilen‘. Ist n=5, sind das 5·4·3·2·1=120. Aus dem Input „I AM THAT I AM“ wird so:

I AM THAT I AM

AM I THAT I AM

I THAT AM I AM

Und so weiter, bis Zeile 120. Der Ausgangssatz stammte vom Künstler und Schriftsteller Brion Gysin, der Sommerville den Auftrag für die kleine Programmierarbeit erteilt hatte.1 Die erklärte Absicht: Bedeutung sollte nicht von außen an das Ergebnis herangetragen werden, sondern der permutierte Text sollte seinen Sinngehalt von selbst preisgeben.

Gysin und Sommerville arbeiteten nicht das erste Mal zusammen. Als Team hatten sie schon die Dreamachine erfunden, die nichts anderes war als ein durchlöcherter Lampenschirm, der auf einem Plattenteller rotierte und jenen Stroboskopeffekt simulieren sollte, den ein schläfriger Beifahrer hinter geschlossenen Lidern erfährt, wendet er den Kopf vor vorbeisausenden Baumwipfeln gegen die Sonne. Sommerville und Gysin hofften, dass das künstlich erzeugte Flackern auf die Hirnwellen des Benutzers einwirken und ihn so in andere Bewusstseinszustände katapultieren könne.2

Ein kalter Technizist war Gysin also nicht und der Sinnsuche kaum abgeneigt. In seinen zunächst steril anmutenden Permutationsgedichten steckt derselbe Mystizismus. Der erste Satz, den das Programm verarbeitete, war ausgerechnet die göttliche Tautologie, das „Ich bin, der Ich bin“, die Namensoffenbarung Gottes vor Mose im Tanach. (Gysin hatte sie allerdings nicht aus dem Alten Testament, sondern in Aldous Huxleys Meskalin-Vademekum Die Pforten der Wahrnehmung gefunden.) Der Algorithmus wird hier zum Sinngenerator, der schon in der zweiten Zeile das himmlisch Offenbarte in numinose Selbstzweifel stürzt: „Bin ich, der ich bin“?

Diese beiden Pole, die kalte Kombinatorik und die hehre Sinnerwartung, spielen auch bei der ‚Entdeckung‘ eine Rolle, die Gysins Nachruhm sicherte: der Technik des Cut-Up, bei der Texte – Zeitungsspalten, Buchseiten, Werbezettel – in Stücke geschnitten und zufällig neu zusammengesetzt werden. „Das Schreiben hinkt der Malerei fünfzig Jahre hinterher“,3 lautete sein berühmter Legitimationsverweis auf die Collagen der Vorkriegsavantgarden, mit dem er dem ganzen Unternehmen den Anstrich aufholender Notwendigkeit verlieh. Gysins Freund William S. Burroughs wandte Cut-Up später mit bestürzender Effektivität für seinen Schizo-Roman Naked Lunch an, und auch in diesem Zerschneiden und Neuzusammensetzen konnte Sinn in strahlender Plötzlichkeit zutage treten.

Sicher, das Ganze ähnelte den Textexperimenten Tristan Tzaras, der 1920 Dada-Gedichte mit aus einem Hut gezogenen Wortschnipseln improvisierte. Tzara, den Gysin in den 1950er Jahren gelegentlich in Paris traf, beschwerte sich dann auch einmal dem Jüngeren gegenüber, dass die Literatur seit Dada nichts Neues mehr zustande gebracht habe.4 Er irrte. Das Neue aber waren nicht Gysins Cut-Ups, die tatsächlich ganz ähnlich wie Tzaras Hut funktionierten. Es war seine digitale Lyrik.

Denn Gysins Permutationsgedichte waren nicht einfach eine modernisierte Form der Textcollage. Wie überall, wo das Digitale Einzug hält, gibt es plötzlich einen Sprung: Gysin ersetzte das Materiegeschnipsel durch einen Algorithmus, der ohne analoges Trägermedium auskommt. Mit Sommervilles Hilfe schuf er etwas noch nie Dagewesenes – digitale Literatur. Sein permutation poem ist ein ‚Gedicht‘, das kein Ding mehr ist, sei es eines aus Tinte und Papier oder ein fertiges ‚Werk‘. Es ist ein Unding aus flirrenden Elektronenimpulsen,5 ein Unwerk, das jederzeit weiter permutiert und verarbeitet werden kann, weil es nie zu einem Endzustand gerinnt, sondern fließend bleibt. Was Gysin voraussah, war die Entmaterialisierung des Textes. Er ahnte die flüssige Wirklichkeit unserer digitalen Welt.

Die Liquidierung der Realität, die sich in ihrer finiten Substanz auf- und von ihrer materialen Fixiertheit loslöst, gehört zu den offensichtlichsten Umwälzungen der Gegenwart. Wer Texte am Computer schreibt, sie auf Tablets liest oder in der Cloud bearbeitet, ohne sie je zu Tinte und Papier werden zu lassen, hat an dieser Verflüssigung ebenso Teil wie diejenige, die sich an einem fremden Ort auf die GPS-Funktion ihres Smartphones verlässt, statt sich durch die Patentfaltung gedruckter Stadtpläne zu wursteln. Die Loslösung vom Materiellen findet sich im Hochfrequenzhandel der Börsen nicht weniger als im alltäglichen Konsumverhalten, von dem der Marketingsoziologe Russell Belk schrieb,6 dass materielle Güter, anders als noch vor dreißig Jahren, das Konsument:innen-Ich heute immer weniger definieren. Schließlich hat sich die Speicherkapazität digitaler Medien faktisch ins Unendliche erweitert; weil alles gespeichert werden kann, wird es auch gespeichert, und neben neuen Wissensformen entstehen neue Kontrollmöglichkeiten. Damit ist in unserer Gegenwart selbst das Vergessen Vergangenheit geworden.

Natürlich sind auch Computer materiell. Platinen benötigen Seltene Erden zu ihrer Herstellung, deren Förderung inzwischen Geopolitik bestimmt, Serverfarmen verbrauchen Strom und produzieren CO2 und Datacenter stehen sehr konkret am Rande von Industriegebieten. Trotzdem ist das Gefühl der Dematerialisierung real. Es drückt sich als Reaktion auf das Unding des Digitalen aus – nicht selten in einem Unbehagen, das sich in nostalgische Verweigerung flüchtet, wie die zunehmende Nobilitierung des Dings in Kunst, Theorie und Alltag zeigt. Der Aufstieg von Materialitäts- und Dingtheorien wäre dabei das akademische Äquivalent zur Auratisierung des Handgefertigten – jener Retrosemiotik aus Tweed und geprägtem Rindsleder, wie sie etwa in Spike Jonzes Film HER (2013) zum stilistischen Inbegriff einer Futuristik wird, die gerade deshalb völlig plausibel wirkt, weil sie in einer Welt körperloser Softwareakteure so offensichtlich die Sehnsucht nach handfester Stofflichkeit verkündet.

Das ist nur eine Inkarnation der Furcht vorm Digitalen und sie mag lediglich die Signatur einer Übergangszeit sein, in der das Alte in noch zu frischer Erinnerung und das Neue noch nicht selbstverständlich genug ist, sodass die Spannung zwischen beiden Übersprungshandlungen generiert. Die Kunsthistorikerin Claire Bishop beklagte entsprechend im Magazin Art Forum,7 dass bildende Künstler heute zwar auf Schritt und Tritt und ganz selbstverständlich digitale Technologien benutzen, diese Tatsache aber entweder verschleiern, indem sie das Analoge fetischisieren (wie etwa Cyprien Gaillard, der seine mit der Handykamera gedrehten Videos auf 35-mm-Film überspielt und auf authentisch ratternden Großprojektoren laufen lässt),8 die bloß oberflächliche Aneignung von Netzinsignien betreiben (wie Dina Kelberman, die animierte GIFs zu Online-collagen zusammenfügt)9 oder sich gar nicht erst der Frage stellen, „was es bedeutet, wenn wir heute durch das Digitale denken und sehen und unsere Affekte filtern“.10

Was Bishop „das Digitale“ nennt, hat als neuer Erkenntnismodus nicht nur den Umgang mit, sondern auch den Zugang zur Welt verändert. So irritierend vage der Begriff auch ist, plausibel ist zumindest, dass mit dem Internet Gelehrsamkeit allein kein hinreichendes Merkmal der Gelehrten mehr sein kann und nach Google Maps der Flaneur, der es versteht, sich in der Großstadt zu verlaufen, eine noch artifiziellere Figur ist als schon zu Benjamins Zeiten.

Der Aufgabe, dieses noch nicht geklärte Digitale zu artikulieren, hat sich die bildende Kunst laut Bishop bis auf Ausnahmen eher verweigert. Und die Literatur? Auch hier herrscht viel Furcht vorm Digitalen. Ein Beispiel: Reinhard Jirgl, der vom avantgardistischen Außenseiter zum Büchnerpreisträger aufgestiegen ist und dem man nur schwer formalen Konservatismus vorwerfen kann, echauffierte sich 2014 in der Neuen Rundschau über eine „elektronische Hybris“,11 die er allerorten zu wittern meinte. Die vom Verschwinden des Buches, der Autorschaft oder des souveränen Genies reden, oder dem Internet mehr als bloß praktischen Nutzen zusprechen, seien nur auf ihren Marktwert bedachte „Protagonisten in eigener Sache“.12 Überhaupt, dieses Internet: Eigentlich doch nicht mehr als eine bessere Eisenbahn, das heißt für die Literatur höchstens Requisite: „Wie haben in der Vergangenheit gravierende technischwissenschaftliche Neuerungen – Telefon, Relativitätstheorie, Kernspaltung, Automobil, Radio, Fernsehen, Flugzeuge, Weltallraketen etc. pp. – die Literatur beeinflusst? Die Literaturen anverwandelten sie zu ihren Themen. Nicht weniger, nicht mehr.“ Anderes werde auch im Fall des Internet und des Digitalen nicht geschehen: „Eigene neue Qualitäten hinsichtlich der Literaturen erwarte ich von diesen Medien keine.“13

Es wäre Zeitverschwendung, im Einzelnen auf die zahllosen Studien zu verweisen, die zeigen, wie Entwicklungen in Technik und Wissenschaft weit mehr als nur die Inhalte von Literatur beeinflusst haben – angefangen beim filmischen Erzählen bis hin zu den Auswirkungen, die die Theorie der Thermodynamik auf die Figurenkonstellationen in Prousts Recherche hatte. Hinter Jirgls Invektiven steht schlicht die Idee von Literatur als ewiger Substanz, die erhaben das Neue betrachtet, ohne von ihm je selbst berührt zu werden. Dass er der Literatur trotzdem die „Versinnlichung bewusster menschlicher Erfahrung“ als Aufgabe zuschreibt,14 macht in einer Welt, in der das Digitale ebenjene Erfahrung radikal verändert, seinen ganzen Ausfall nur noch ärgerlicher.

Man sollte vielleicht nicht zu streng mit Jirgl sein, denn die Erwähnung des Digitalen ist im deutschen Literaturdiskurs heute selbst schon eine Anomalie. Blickt man etwa auf die länger vor sich hin köchelnde Literaturdebatte um die mittelschichtige Erfahrungsarmut junger Autor:innen zurück, die Florian Kessler Anfang 2014 in der Zeit anstieß, fallen zwei Dinge auf. Erstens, dass Literatur immer mit Prosa, genauer: dem Roman, gleichgesetzt wurde. Aber der Roman, dieses Mastodon des neunzehnten Jahrhunderts, so sehr Ding wie wenig anderes, ist womöglich überhaupt die falsche Gattung, um sich dem Digitalen zu nähern. Und damit zusammenhängend, zweitens, dass ein verblüffend enger Begriff von Erfahrung in Anschlag gebracht wurde, nämlich so etwas wie eine Reportageperspektive: Ich war dabei und kann davon berichten. Dass gerade dieser hypersubjektive Anspruch den im Digitalen stattfindenden Identitätsverwischungen gar nicht gerecht werden kann, bleibt dabei natürlich auf der Strecke. Nimmt man beides zusammen, verwundert es nicht, dass am Ende alles darauf hinauslief, anderen das Rederecht zu entziehen, weil sie nicht den nötigen Authentizitätsnachweis erbringen können.

Dabei ist diese angepriesene Wunderformel aus Großnarration und Erlebnisgeprotze selbst fragwürdig. Sie garantiert eher effektives Personality Marketing als aufschlussreiche Gegenwartsdarstellung, denn oft ist dieses ‚Erleben‘ selbst eine Konstruktion, die bestimmten stereotypen Konstanten gehorchen muss, um als authentisch (und vermarktbar) zu gelten. Und wieder ist das Beispiel Gysin erhellend. Er lebte in Marokko und mit psychedelischen Drogen, brachte also alle Voraussetzungen zur Hyperauthentizität mit, aber statt dem großen Beat-Roman produzierte er Lyrik, die sich standhaft weigert zu erleben. Und doch steht sie, als digitale, fester im Jetzt als all die monierten Schreibschulenabsolvent:innen und gelobten Echteweltautor:innen.

Dass das Digitale in der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur keine Rolle spielt, liegt durchaus auch am Reden über sie. Der kritische Apparat zur Analyse digitaler Literatur ist zwar, nicht zuletzt durch die Vorarbeit von Literaturwissenschaftler:innen wie N. Katherine Hayles oder Espen Aarseth im englisch- und Roberto Simanowski oder Christiane Heibach im deutschsprachigen Raum,15 geradezu überausgestattet, aber dessen Anwendung beschränkt sich zumeist auf einen Satz früh kanonisierter Werke, die wieder und wieder herangezogen werden – allen voran afternoon, a story (1987) von Michael Joyce, das als erstes Hypertextnarrativ in keinem Essay über elektronische Literatur fehlen darf (also auch in diesem nicht).

Auch in Arbeiten der letzten Jahre sind die behandelten Werke höchstens noch aus den frühen Zweitausendern, was sicherlich an der normalen Latenz der Literaturwissenschaft liegt, dabei aber einen falschen Eindruck vom Stand der Dinge aufkommen lässt. Gerade diese frühe Hyperfiktion und ihre Lobreden, die vom nichtlinearen Erzählen schwärmten, von Texten ohne Zentrum, wirken heute als enthusiastische Zeugnisse einer vergangenen Zukunft fast rührend.16 Das liegt vor allem daran, dass hier die Vernetzung als willkommener Anwendungsfall liebgewonnener Konzepte der Postmoderne (Rhizom!) eher gesucht als gefunden wurde, aber ebenso daran, dass sich auch der Hypertext noch immer am Roman orientiert und allen Ansprüchen ausgeliefert ist, die an und gegen ihn erhoben werden.17

Wer sich heute dem Digitalen stellt, tut es, Gysin folgend, im Offenen der experimentellen Lyrik, die eher in den Grenzbereich zur bildenden Kunst hineinspielt, statt das große Erzählen zu propagieren. Das Spektrum ist breit und reicht von flarf-Poesie, die aus der Ergebnisvorschau der Google-Suche Gedichte komponiert,18 über Kombinatorikexperimente wie Danny Snelsons EXE TXT, das Theorietexte zusammenwürfelt und sowohl als Buch wie auch als ZIP-Datei publiziert wurde,19 bis hin zu den in Acryl gemalten QR-Codes des Schriftstellers Douglas Coupland, die sich, mit der Handykamera gescannt, in Lyrik verwandeln.20

Deutschsprachige Vorstöße blieben dagegen bisher eher spärlich. Der Kulturwissenschaftler Stephan Porombka, der 2001 einst den Hypertext als „digitalen Mythos“21 verabschiedete und sich heute vor allem auf den sozialen Aspekt der Textproduktion im Internet, auf Twitter und Facebook als literarische Spielfelder konzentriert, gab 2012 unter dem Titel Flarf Berlin. 95 Netzgedichte eine Lyrikanthologie heraus,22 die flarf auch nach Deutschland bringen sollte. Doch scheinen die wenigsten der darin einmalig zum Experiment geladenen Autor:innen, außer vielleicht Alexander Gumz oder Jan Skudlarek, diese Ansätze auch für ihr eigenes Schreiben weiterverfolgt zu haben.

Es gibt noch andere Versuche – wie 2014 On the Road von Gregor Weichbrodt, der die in Jack Kerouacs Roman genannten Orte in die Google-Maps-Routenplanung eingab, deren Richtungsangaben als Langpoem veröffentlichte und so einen hyperexaktes Metanarrativ schuf –,23 aber diese Versuche sind im Ganzen gesehen derartige Ausnahmen, dass sich aus ihnen keine hierzulande einflussreiche ‚Richtung‘ ablesen lässt. Trotz theoretisch geladener Symposien wie „Netzkultur“ und „Literatur Digital“ spürt man in der deutschen literarischen Praxis immer noch wenig vom Digitalen.24

Womöglich haftet flarf und ähnlichen Experimenten, die das Internet zur Textproduktion heranziehen, wie etwa twitterature, in der Twitter zum literarischen Operationsfeld wird, noch etwas allzu Wörtliches an, das es leicht macht, sie zu ignorieren. Sie fischen nur die Oberfläche des Internet ab, ohne sich in die Untiefen des Digitalen zu wagen. Das Internet ist auch Google, ist auch das Stimmengewirr der sozialen Netze, aber darin erschöpft sich das Digitale nicht. Wie es in der Gegenwartskunst den Unterschied zwischen net art und digital art gibt,25 sollte man auch Netzliteratur von digitaler Literatur trennen. Das eine sind Schnappschüsse eines kulturellen, linguistischen und technologischen Augenblicks, der sich in der Geschwindigkeit verändert, mit der Memes und Plattformen auf- und wieder abtauchen; das andere sind Versuche, die Affektorganisation und Weltwahrnehmung durch das Digitale überhaupt darzustellen.

Gleichwohl fehlt beides im Augenblick mehr als das große, dreckige Erleben, von dem dann authentisch zu berichten wäre. Identität, die Authentizität nun einmal voraussetzt, spielt im Digitalen ohnehin eine andere Rolle. Bereits Gysin nannte das Ergebnis seines Algorithmus ein „120-Zeilen-Gedicht ohne Autor:in“.26 Denn am Ende weiß niemand mehr genau, wer hier das Gedicht schreibt: Gysin, der Programmierer Sommerville oder, auch möglich, der Honeywell-Computer – was weniger absurd ist, als wenn man bei Tzara auf den Hut getippt hätte.

Die Welt im Digitalen, das ist ein neuer Blick und ein großes Versprechen: Nichts ist mehr Ding, alles ist Text. Bilder, Töne, Filme sind Text. Sogar Text ist Text. Noch das Wort „Wort“ ist, auf einer tieferen Ebene, hexadezimal, als „57 6F 72 74“ codiert und, wieder darunter, in Maschinencode, binär, als „01010111 01101111 01110010 01110100“. Ein Foto von Reinhard Jirgl und seine Texte sehen auf diesen niedrigeren Ebenen strukturell gleich aus. Erst die Ausleseregel, der Codec, bestimmt, was aus dem untersten aller Texte wird. Sommervilles/Gysins ‚Gedicht‘ mit seinen 120 ‚Zeilen‘ hätte auch eine Melodie sein können. Das ist die Dimension der Transkodierung, die man mit N. Katherine Hayles unter dem Schlagwort des stets auf eine andere Codierungsebene verweisenden „flickering signifier“27 fassen kann und die im Digitalen den Übergang vom einen ins andere Ausgabeformat ermöglicht – so, als könnte man an einem Buch nicht nur die Lettern lesen, sondern auch Papier, Leimung und Heftfaden. Transkodierung ist zumindest ein zentrales Dispositiv des Digitalen.

Weil im Digitalen alles fluktuiert, ist es unmöglich, bei null anzufangen. Stattdessen ist, und zwar wirklich erst heute, alles frei, wieder und weiter verarbeitet, transkodiert und prozessiert zu werden. Was Hans Blumenberg über die Poetik Paul Valérys schrieb, ist ganz wörtlich wahr geworden: dass nämlich „die ‚Fertigstellung‘ des Werkes in seiner Dinglichkeit nur ein willkürlicher Einschnitt ist und daß das aus dem Prozeß seines Werdens herausgetretene Werk unmittelbar in einen neuen Prozeß eintritt“.28 Dieser Einschnitt der Dinglichkeit ist im Unding aufgehoben. Das Digitale ist das Nichtendenmüssen, das Immerweitermachenkönnen.

Wo alles Text ist, gibt es kein Werk mehr, nur noch „Halbzeug“,29 jenes Übergangsprodukt zwischen Rohstoff und Fertigfabrikat, das weder ganz unbehauen noch endgültig abgeschlossen ist. Und weil es gleichzeitig lesbarer Code und ausführbares Programm sein kann, beherbergt das Digitale auch die Sammlung von Instrumenten zu seiner eigenen Verarbeitung. Ins Arsenal einer wirklichen Gegenwartsliteratur gehören daher gerade jene Programme, Modelle und Funktionen, die auf der untersten Ebene des Digitalen ansetzen, data moshing betreiben und in den digitalen Urtext eingreifen. Und das führt zwangsläufig zurück zu den Techniken der Aleatorik, Iteration und Kombinatorik – jenen dadaistischen und surrealistischen Lieblingsspielen, die Gysin aufgriff und denen sich heute die zweite Generation der digitalen Literat:innen wieder zuwendet.

Den Generationen-Begriff übernimmt die Literaturwissenschaftlerin Jessica Pressman von ihrer Lehrerin Hayles. Hatte sich die erste Generation noch in der Hoffnung auf das absolut Neue dem Hypertextenthusiasmus der 1990er verschrieben, so betreibt die zweite eine große Inventur und beruft sich auf die klassischen Avantgarden der 1920er Jahre, den Konzeptualismus der 1960er, auf Situationismus, konkrete Poesie und Oulipo – und versucht insgesamt, die Modernepoetiken des 20. mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts umzusetzen.30

Was Pressman „digital modernism“31 nennt, die Vermischung von neuen Medien und alten Avantgardeansätzen, zeigt sich am besten bei einer Literaturrichtung, die zunächst wenig mit dem Digitalen zu tun zu haben scheint: dem konzeptuellen Schreiben, dessen lauteste Stimme der Amerikaner Kenneth Goldsmith ist.32 Seine eigene Textproduktion ist zwar nicht born digital – er verfolgt einen literarischen Appropriationismus, den er „unkreatives Schreiben“ nennt, und tippte etwa für sein Buch Traffic die Verkehrsmeldungen aus dem Radio ab.33 Aber weil er sich weniger als Autor, denn als „Textmanager“ versteht, der vorhandenen Text nur rearrangiert statt neuen zu produzieren, ist das Digitale für ihn das größte aller Arsenale und das konzeptuelle Schreiben die reinste Form der Halbzeugrotation.

In seinem poetologischen Manifest Uncreative Writing lobt er Seite um Seite jene Autor:innen der zweiten Generation, die appropriieren, konzeptualisieren und vor allem programmieren, um aus vorhandenem Geschriebenem neuen Text zu schaffen. Sie bauen „Schreib-Maschinen“, indem sie sich selbstgewählten Prozeduren und Algorithmen unterwerfen, die sie, einmal in Gang gesetzt, nicht mehr kontrollieren und deren Ergebnisse immer weiter verwendet werden können. Ihre Mittel sind oft digital, aber viel wesentlicher ist, dass es auch die Perspektive auf die Welt ist, die sich in diesen Texten ausdrückt. Wer wissen will, wie Literatur aussieht, die eine Ahnung hat, was ‚das Digitale‘ sein könnte: Hier ist sie.34

Das ist noch nicht das Ende vom Lied. Goldsmith, die Flarfer:innen und die digitalen konzeptuell Schreibenden eint die Hoffnung, dass es doch möglich sein sollte, den Autor:innengenius zu streichen und, im Maximalfall, Poesie ganz ohne menschliche Einmischung kontrolliert passieren zu lassen. So wie Vilém Flusser vom fünften Kultursprung als der Zeit des „Technobilds“35 sprach – des Bilds, das nicht mehr unmittelbar darstellend auf eine Wirklichkeit rekurriert, sondern allein durch Apparaturen hervorgebracht wird –, könnte man beim Extremfall dieser Literatur von Technotexten sprechen, wenn zu ihrer Herstellung die menschlichen Akteur:innen so weit reduziert wurden, dass ihr Einfluss, verglichen mit dem der Textmaschinen und Schreibalgorithmen, gegen null konvergiert. Doch auch hier ist nur die Herstellung technisch delegiert. Der kanadische Dichter Christian Bök sinnierte schon 2001 über eine „Robopoetik“, die den Algorithmen nicht nur die Produktion, sondern auch die Rezeption von Texten überlässt, eine „Poesie für nichtmenschliche Leser:innen, die noch nicht existieren, weil solche Aliens, Klone oder Roboter sich noch nicht zur Fähigkeit des Lesens fort entwickelt haben.“36

Solche Fantasien sind in Zeiten von Posthumanismus, object oriented ontology und Spekulativem Realismus zumindest als Limesvorstellungen plausibel. Das in diesen Denkrichtungen formulierte Ziel, mit der Demokratie der Dinge den Anthropozentrismus aller menschengemachten Ontologie zu unterlaufen, ist der Hoffnung analog, im Digitalen Autor:in wie Leser:in völlig aus der Literatur zu streichen – in beiden Fällen findet eine Dezentrierung menschlicher Agency statt. Es kann gut sein, dass ‚das Digitale‘, konsequent zu Ende gedacht, ganz ohne Menschen auskommt, oder sich Mensch und Digitales so weit vermischen, dass die Unterscheidung keinen Sinn mehr hat. Bis es aber so weit ist, bleibt die alte Kategorie des ‚Sinns‘ als Kriterium ästhetischer Urteile noch die unübertretbare Grenze des Posthumanismus.

Auch Gysin, der als Großvater dieser Tendenz selbst noch ein digitaler Romantiker war, hoffte auf mystischen Sinn, und sogar Goldsmith gibt zu, dass der unoriginal genius, der er zu sein vorgibt, nur eine Fiktion ist: „Ich stimme zu, dass wir in dem Moment, in dem wir Urteilsvermögen und Qualität aus dem Fenster werfen, in die Bredouille kommen.“37 Das Schöpferische, so die Botschaft, bricht selbst im Unkreativen wieder hervor: Man kann nicht nicht schaffen, denn auch Textmanager:innen müssen immer noch auswählen und wegschmeißen. Im konzeptuellen Schreiben ist der auktoriale Akt nicht verschwunden, er verschiebt sich lediglich von der Ausführung eines Produktionsprogramms zu dessen Abbruch.38

„Halt“ zu sagen: Vielleicht ist das das Minimum von Autorschaft, das nicht totzukriegen ist. Auch das ist eine Lehre der alten Avantgarden. Die Musik von John Cage, die Literatur von George Perec sind gerade dort interessant, wo sie von den selbstgesetzten Regeln abweicht. Und als Gysin sein Gedicht ohne Autor:in dreizehn Jahre nach dessen Entstehen wiederveröffentlichte, waren aus den mathematisch vorgeschriebenen 120 Zeilen inzwischen 601 geworden – nach keiner Regel, sondern allein der Schriftbildästhetik und der Rhythmik der Zeilen folgend vervielfacht.39

Solange wir also noch keine Cyborgs sind, ist die Beibehaltung dieses erratischen humanen Elements womöglich der angemessenere Ansatz einer Literatur, die unsere Erfahrung des Digitalen – auch in seiner Vorläufigkeit – artikuliert. Dabei macht es gar nichts, dass unklar ist, wie diese Literatur das leistet, solange sie es nur versucht. Die Rückkehr zur Moderne mit dem Arsenal der Gegenwart kann zumindest ein Weg dahin sein. Viel schwerer als die unterstellte Unfähigkeit zu erleben wiegt nämlich die Unlust zu experimentieren.40

Dahinter steht die Einsicht, die Friedrich Kittler einmal formulierte: dass ein Text wie ein Molotowcocktail sei – man müsse ihn werfen.41 Und damit ist zweierlei gesagt, nämlich sowohl, dass ihm noch viel zur vollwertigen Bombe fehlt, der Text eher ein Guerillainstrument ist, als auch, dass er eben nicht ist, bevor er nicht geworfen wurde – dass man einen Text nicht einfach aus der Hand geben, sondern vielmehr schleudern soll. Das Ziel ist dabei fast egal, wenn es nur die Welt ist – und die ist heute, genau: digital.

Postskriptum:

Es ist behaupteten worden, dass der Begriff der ‚digitalen Lyrik‘ in sich unsinnig sei, „da jede Literatur, die alphabetisch notiert ist und sich auf analogen Parametern wie [graphetischem] Schriftbild oder [phonetischer] Lautlichkeit nicht begründet, bereits digital, nämlich in diskreten Zeichen gespeichert ist.“42 So korrekt das formal ist, übersieht diese Insistenz aber den Unterschied zwischen der exakten Begrifflichkeit eines terminus technicus und seiner legitimen tropischen Anwendung. Dass Bishops an der etwas überstrapazierten Sprache der ontisch-ontologischen Differenz orientierte Prägung ‚das Digitale‘ bereits den metaphorischen und synekdochischen Charakter des Adjektivs ‚digital‘ überdehnt, macht den Begriff nur falsch für die, die meinen, dass von einer Episteme der Digitalisierung zu sprechen unsinnig sei. Insofern kann man bei der Verwendungsweise ‚das Digitale‘ von einer Rückterminologisierung einer Metapher sprechen, die auf einem exakten Begriff beruht.43 Dass ‚digital‘ in den allermeisten Verwendungsfällen mehr und anderes als nur ‚diskret‘ bedeutet, versteht sich schließlich von selbst. Stur auf der einen Grundbedeutung zu beharren hieße, sich eine heuristisch fruchtbare Dimension nehmen: Das Digitale bedeutet etwas, das über das Diskrete hinausgeht; dass wir noch nicht genau wissen, was das ist, macht weder den Begriff nutzlos noch seinen Ursprung vergessen.

1Siehe Laura Hoptman (Hg.), Brion Gysin. Dream Machine, New York: Merrell 2010, S. 79.

2Die Dreamachine war aber keinesfalls ein auf die Beatszene beschränktes Untergrundphänomen. Sie wurde 1962 auf der Ausstellung The Object im Musée des Arts Decoratifs in Paris das erste Mal gezeigt und sogar Albert Barr angeboten, dem Direktor des New Yorker MoMA; er lehnte ab mit den Worten: „Kinetische Arbeiten sind vorbei; Pop ist jetzt in.“ John Geiger, „‚A Great Something Else‘. A Summary of Brion Gysin’s Life“, in: Hoptman (Hg.), Brion Gysin, S. 11–27, hier S. 20. Erst später entwickelte sich die – nun per Versand vertriebene – Dreamachine zum Verkaufsschlager; selbstverständlich gibt es sie inzwischen auch als App für das iPhone.

3Brion Gysin, „Cut-Ups Self-Explained“, in: Jan Herman (Hg.), Let The Mice In. With Texts by William S. Burroughs and Ian Sommerville, West Glover: Something Else Press 1973, S. 11.

4„Tristan Tzara und ich trafen uns in den späten Fünfzigerjahren manchmal gegen Mitternacht auf ein Steak und ein Bier an der runden Zinktheke des alten Royal Saint Germain, das heute zum monströsen Le Drugstore umgewandelt wurde, wo sich keine Dichter treffen, die es vermeiden können. Jedes Mal, wenn wir uns begegneten, maulte Tzara: ‚Würden Sie so freundlich sein, mir zu sagen, warum Ihre jungen Freunde darauf bestehen, das Thema von 1920 noch einmal aufzugreifen?‘ Was sollte ich sagen, außer: ‚Vielleicht haben sie das Gefühl, dass Sie es nicht gründlich genug behandelt haben.‘ Tzara schnaubte: ‚Wir haben das alles schon gemacht! Seit Dada hat sich nichts weiterentwickelt – wie sollte es auch! […] Ich schuf Gedichte in der Luft, als ich ein Wörterbuch zerriss, um die Wörter aus einem Hut herauszuziehen und sie wie Konfetti zu verstreuen – und das alles schon 1920.‘“ „Interview with Brion Gysin“, in: Nicholas Zurbrugg (Hg.), Art, Performance, Media. 31 Interviews, Minneapolis: University of Minnesota Press 2004, S. 190.

5Siehe Vilém Flusser, „Das Unding I & II“, in: ders., Dinge und Undinge. Phänomenologische Skizzen, München: Hanser 1993, S. 80–89

6Russell W. Belk, „Extended Self in a Digital World“, in: Journal of Consumer Research 40:3 (2013), S. 477–500.

7Claire Bishop, „Digital Divide. Contemporary Art and New Media“, in: Art Forum 51:2 (2012), S. 434–441.

8Cyprien Gaillard, ARTEFACTS, Film, 2011, Museum of Modern Art, New York.

9Dina Kelberman, Smoke and Fire, GIF-Collage, 2013, New Museum, New York, https://archive.newmuseum.org/exhibitions/2500, letzter Aufruf 21.1.2022.

10Bishop, „Digital Divide“, S. 436.

11Reinhard Jirgl, „Im Stein jeder Gegenwart liegt die Skulptur der Zukunft“, in: Neue Rundschau 124:1 (2014), S. 70–80, hier S. 71.

12Ebd.

13Ebd., S. 72.

14Ebd., S. 74.

15N. Katherine Hayles, Electronic Literature. New Horizons for the Literary, Notre Dame, Ind.: University of Notre Dame Press 2009; Espen J. Arseth, Cybertext. Perspectives on Ergodic Literature, Baltimore: Johns Hopkins University Press 1997; Roberto Simanowski (Hg.), Text+Kritik 38:152, Themenheft „Digitale Literatur“ (2001); Christiane Heibach, Literatur im elektronischen Raum, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003.

16Beispielhaft sind hier die vor lauter Poststrukturalismus nur so knisternden Bücher von Jay David Bolter, Writing Space. The Computer, Hypertext, and the History of Writing, Hillsdale, NJ: Erlbaum 1991 und George Landow, Hypertext. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology, Baltimore: Johns Hopkins University Press 1992.

17Siehe etwa Michel Chaouli, „How Interactive Can Fiction Be?“, in: Critical Inquiry 31:3 (2005), S. 599–617.

18Gary Sullivan, „A Brief Guide to Flarf Poetry“, in: Poets.org, 14.2.2011, https://poets.org/text/brief-guide-flarf-poetry, letzter Aufruf 21.1.2022.

19Danny Snelson, EXE TXT, o.O.: Gauss PDF 2015, https://www.gauss-pdf.com/post/119280455505/gpdf172-gpdfe015-danny-snelson-exe-txt, letzter Aufruf 21.1.2022.

20Ariane Colenbrander, „Douglas Coupland. Vancouver Codes“, in: Vancouver Scape, 13.1.2012, http://vancouverscape.com/douglas-coupland-vancouver-codes, letzter Aufruf 21.1.2022.

21Stephan Porombka, Hypertext. Zur Kritik des digitalen Mythos, München: Fink 2001.

22Alexander Gumz, Stephan Porombka (Hg.), Flarf. 95 Netzgedichte, Hildesheim: edition paechterhaus 2012.

23Gregor Weichbrodt, On the Road, 2014, https://poetrywillbemadebyall.com/book/road, letzter Aufruf 21.1.2022. – Weichbrodts Buch und dieser Essay entstanden, bevor wir uns zum Textkollektiv 0x0a zusammenschlossen, auf dem auch On the Road wiederveröffentlicht wurde, siehe https://0x0a.li/de/text/on-the-road, letzter Aufruf 21.1.2022.

24http://netzkultur.berlinerfestspiele.de; https://hkw.eu/de/app/mediathek/audio/26389, letzter Aufruf 21.1.2022.

25Siehe dazu Christiane Paul, Digital Art, London: Thames and Hudson 22008, Kap. 2.

26William S. Burroughs u. Brion Gysin, The Third Mind, New York: Viking 1978, S. 9.

27N. Katherine Hayles, „Virtual Bodies and Flickering Signifiers“, in: dies., How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics, Chicago: University of Chicago Press 1999, S. 25.

28Hans Blumenberg, „Sokrates und das ‚objet ambigu‘. Paul Valérys Auseinandersetzung mit der Tradition der Ontologie des ästhetischen Gegenstands“, in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hg. v. Anselm Haverkamp, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, S. 74–111, hier S. 83.

29So beschrieb Blumenberg, der sich mit Industrieproduktion auskannte, einmal seine eigenen Texte: Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S. 29. – Ich habe dieses Wort später als Titel für einen Band mit digitaler Lyrik geborgt.

30Freilich ist das Generationenmodell schon deshalb fragwürdig, weil Gysin darin gar nicht vorkommt; siehe neuerdings zu einer Kritik des Modells: Hannes Bajohr u. Annette Gilbert, „Platzhalter der Zukunft. Digitale Literatur II (2001 → 2021)“, in: Hannes Bajohr u. Annette Gilbert (Hg.), Digitale Literatur II. Sonderband Text+Kritik, München: edition text+kritik 2021, S. 7–21.

31Jessica Pressman, Digital Modernism. Making it New in New Media, Oxford: Oxford University Press 2014.

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