Schule - Darf's auch etwas mehr sein? - Isabelle Liegl - E-Book

Schule - Darf's auch etwas mehr sein? E-Book

Isabelle Liegl

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Beschreibung

Isabelle Liegl, engagierte Mutter von zwei Söhnen und Bildungsnetzwerkerin, betrachtet das Thema Schule nicht nur aus deutscher Sicht, sondern hat den internationalen Vergleich ebenso im Blick wie spezifische Besonderheiten hierzulande. Sie benennt konkrete Probleme unseres Schulsystems und setzt diesen ihren lösungsorientierten und ganzheitlichen Ansatz entgegen. Liegl macht deutlich, dass Schule mehr ist als Wissensvermittlung. Ihr Ideal aus Elternsicht: eine innovative Schule mit Weitsicht, die Kreativität und Sprachkompetenz vermittelt, auf Digitalisierung setzt, Stärken ebenso wie Selbstdisziplin fördert und sich selbst als Lebensraum begreift, in dem kulturelle Kompetenz, soziales Engagement und Sport Priorität haben.

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»… to the children of our country, regardless of your gender, our country has sent you a clear message:

Dream with ambition,

lead with conviction,

and see yourselves in a way that others may not,

simply because they have never seen it before.

But know that we will applaud you every step of the way.«

Kamala Harris

Im Text wird der besseren Lesbarkeit wegen die männliche Form für Lehrer und Schüler verwendet, es sind aber immer alle Geschlechter gemeint, m/w/d (d steht für »divers« und schließt alle Gender-Kombinationen ein).

Distanzierungserklärung: Mit dem Urteil vom 12.05.1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Ausbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seite gegebenenfalls mit zu verantworten hat. Dies kann, so das Landgericht, nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Wir haben in diesem E-Book Links zu anderen Seiten im World Wide Web gelegt. Für alle diese Links gilt: Wir erklären ausdrücklich, dass wir keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte der gelinkten Seiten haben. Deshalb distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller gelinkten Seiten in diesem E-Book und machen uns diese Inhalte nicht zu Eigen. Diese Erklärung gilt für alle in diesem E-Book angezeigten Links und für alle Inhalte der Seiten, zu denen Links führen.

© 2021 LMV, ein Imprint der Langen Müller Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Sabine Schröder

Umschlagmotiv: istockphoto by gettyimages

Satz und E-Book Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7844-8390-0

www.langenmueller.de

Inhalt

Vorwort

Prof. Dr. Thomas F. Hofmann, Präsident der TU München

Vorbemerkung

Dr. Isabelle Liegl: Warum ich dieses Buch schreibe

Einführung: Wie ist Schule in Deutschland?

Teil I: Wie geht Schule mit Weitsicht?

1. Natur, Wahrnehmung und die frühe Förderung

2. Digitale Kompetenz in einer hochtechnisierten Umwelt

3. Lernen, was Computer nicht können

4. Sprachkompetenz und Sprachförderung

5. Mehr von allem in der Ganztagsschule

6. Das Abitur und der Föderalismus

Teil II: Wie geht Schule mit und für Kreativität?

7. Kreativität braucht Unterschiede, Zeit und Fehler

8. Lehrpläne entrümpeln und innovative Strukturen einziehen

9. Wohlbefinden trainieren und Stärken fördern

10. Fordern ist so wichtig wie Fördern

11. Positiver Wettbewerb und die Selbstreflexion

12. Globaler Wettbewerb – was ist das?

Teil III:Wie geht Schule als Lebensraum?

13. Werte lernen durch Handeln

14. Lehrer im Mittelpunkt

15. Interkulturelle Kompetenz und Mobbing

16. Soziales Engagement kann man lernen

17. Sport ist wichtig

18. Freizeit ist anders

Nachwort:Erziehung zu Freiheit und Demokratie

Danke

Vorwort

Never waste a crisis – diese Handlungsmaxime des früheren US-Präsidenten Barack Obama sollte sich auch unser Schulsystem zu eigen machen! Die globale Zäsur der Corona-Pandemie hat im weltweiten Vergleich die Schwächen verschiedener Gesellschafts- und Bildungssysteme bloßgelegt, aber auch neue Entwicklungspotenziale für den Nachwuchs und enorme Chancen für die nachhaltige Stärkung des Wissens- und Wirtschaftsstandorts Deutschland offengelegt.

Diese nach der Krise zu nutzen, verlangt alles von uns ab. So sind wir gefordert, mit größter Kraftanstrengung die jahrelang ignorierten und coronabedingt offenbarten Defizite unserer Schulen, wie beispielsweise in der »Digitalisierung«, endlich zu überwinden. Denn auch in der neuen Post-Corona-Normalität werden Schulen, die digitale Lehrformate ergänzend zum Präsenzunterricht nicht sinnvoll nutzen, zu den ewig Gestrigen gehören, auf die morgen niemand mehr blicken wird. Deshalb braucht es jetzt mutige Entscheidungen der Politik, ohne sich hinter dem Bremsklotz des Föderalismus zu verschanzen.

Die Zukunft verlangt aber noch mehr von unseren Kindern. Anstatt täglichem Formelpauken und uniformem Lehren muss ein zukunftsorientiertes, verantwortungsvolles Schulsystem die jugendliche Neugier, die individuellen Talente und das kreative Potenzial der jungen Menschen aktivieren, ihre Selbstdisziplin und Teamkompetenz erproben und soziales Engagement und interkulturellen Austausch fördern. Denn nur so werden wir die Leidenschaft der Schülerinnen und Schüler entfachen, die erfahrungsgemäß späteren Erfolg grundlegt, sei es in der Ausbildung, im Studium oder im Beruf. Und nur diese Leidenschaft wird den Schülern die Angst vor dem Scheitern nehmen und sie umkehren in die Freude auf das Unbekannte.

Als Präsident der Technischen Universität München erfüllt es mich mit Stolz und Zuversicht, wie fachkompetent, scharfsinnig und zukunftsorientiert Isabelle Liegl in ihrem Buch unsere Schulen auf die Probe stellt. Mit viel Weitblick zeigt sie neue Perspektiven für unser Schulsystem und deren junge Menschen, für deren sichere, gesunde und nachhaltige Entwicklung wir heute die Verantwortung tragen – alle gemeinsam.

Prof. Dr. Thomas F. Hofmann,

Präsident der TU München, im April 2021

VorbemerkungWarum ich dieses Buch schreibe

Vor drei Jahren erschien mein erstes Buch mit dem Titel »Wo bitte geht’s nach Stanford?«.[1] Zu dieser Zeit schien unsere Welt noch in Ordnung. Die »Work-Life-Balance« unserer Kinder war das alles beherrschende Thema. Gap Years, Praktika, Auslandsaufenthalte, eine Überzahl an Ausbildungsangeboten waren für uns selbstverständlich. Die Jobaussichten waren rosig. Entsprechend polarisierte der Inhalt des Buches noch, denn unser Erziehungs- und Bildungssystem war scheinbar unverwundbar, und der globale Wettbewerb wurde zumindest für unsere Kinder ausgeblendet. Die sollten so lange wie möglich spielen – und anschließend so wenig Leistungsdruck wie möglich erfahren. Damals wurde kritisch beäugt, wenn der erzieherische und schulische Weg in eine der besten Universitäten der Welt beschrieben, deren Werte und Leistungen hervorgehoben und zudem darauf verwiesen wurde, dass die Aufnahme ein Höchstmaß an Anstrengung erfordert und das Studium auch Geld kostet.

Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Quer durch die deutsche Medienlandschaft werden inhaltliche, strukturelle, methodische wie technische Mängel unseres Bildungssystems aufgezeigt, die durch die Corona-Pandemie offenbar wurden: Distanzunterricht? Absolut machbar, dachten wir alle. Bis uns die Realität eines Besseren belehrte.

Ich werde in diesem Buch nach Antworten auf viele Fragen suchen und dabei auch auf konkrete Leerstellen, Defizite und Probleme Bezug nehmen – aber nur, weil sie wegbereitend sind. Mein Hauptanliegen sind pragmatische Verbesserungsvorschläge und Lösungen, die innovativ und zukunftsorientiert sind und sich zudem im Ausland oder auch bei uns in Deutschland, dank engagierter Lehrer und Schulleiter, bereits bewährt haben. Sie sollen dazu beitragen, Weitsicht und Kreativität in unsere Schulen zu tragen und die Schule zu einem Lebensraum für alle Schüler zu formen.

Alle Beiträge in diesem Buch entstanden durch viele Gespräche über lange Zeit, wurden von Buchautoren und vor allem Journalisten in klassischen und digitalen Medien thematisiert. Sie werden uns positive und erfolgreiche Einblicke und Aussichten eröffnen, und vor allem vor Augen führen, dass alle unsere Versäumnisse, Defizite und Probleme schon längst gelöst sein könnten, wenn wir Wandel als solchen akzeptierten und infolgedessen Veränderungen zuließen.

Dr. Isabelle Liegl

München, im April 2021

Anmerkung

[1] Isabelle Liegl/Albert Wunsch: Wo bitte geht’s nach Stanford? Wie Eltern die Leistungsbereitschaft ihrer Kinder fördern können. Beltz Verlag, 2017.

Einführung: Wie ist Schule in Deutschland?

Nach dem Zweiten Weltkrieg reformierten die Besatzungsmächte das deutsche Schulsystem und drängten zunächst darauf, die frühe Trennung der Schüler nach der vierten Grundschulklasse und deren anschließende Verteilung auf unterschiedliche Schulformen zu beenden. Während die sowjetische Seite den Umbau zu einer Einheitsschule mit Abschlussstufen sozialistischer Prägung forcierte, sahen die Amerikaner in der zu frühen Selektion und Klassifizierung der Schüler ein Hindernis für die Demokratisierung der Bildung, denn Demokratie bedeutet, dass allen die gleichen Bildungschancen geboten werden.[2]

Auch wenn dieser Reformansatz letztlich nicht zum Tragen kam[3], so leistet die Schule auch im dreigliedrigen System die tägliche Egalisierung, weil alle Kinder beschult werden, der Unterricht für alle einheitlich ist und individuelles Lernen in einem sozialen Kontext und einem festgelegten Zeitrahmen ermöglicht wird.[4] Doch genau diese Einheitlichkeit von Lehrer, Lernziel, Lerntempo, Lerndidaktik und -methodik ist das eigentliche Problem! Auch wenn mittlerweile die Schulstrukturen zumindest durchlässiger geworden sind, wie der achte nationale Bildungsbericht feststellt. Auch wenn das dreigliedrige Schulsystem, Haupt-, Realschule und Gymnasium, in einigen Bundesländern einem zweigliedrigen System gewichen ist, mit einer Gemeinschaftsschule, die alle Abschlüsse anbietet, und dem Gymnasium.[5] Auch wenn dadurch späte Entscheidungen, späte Entwicklungen und Umwege innerhalb des Schulwegs möglich werden, wie auch das »Abschulen« in Sekundarschulen, was lange Zeit nicht möglich war.[6] Auch wenn dadurch suggeriert wird, dass die Schulwahl nach der Grundschule nicht mehr bestimmend für den gesamten Bildungsweg eines Kindes ist.

Es bleibt das Problem, dass Lehrer eine individuelle Förderung ihrer Schüler unter den gegebenen Bedingungen und Umständen nicht leisten können. Zum anderen, und das ist sehr viel alarmierender, verlassen immer mehr Jugendliche die Schule ohne Abschluss und sind später auch ohne Berufsausbildung. Dieser Anteil an jungen Menschen hat sich seit 2013 um 20 Prozent erhöht, und gerade sie laufen im Zuge der Digitalisierung Gefahr, dass ihre Arbeitskraft von Robotern ersetzt wird, weil beispielsweise Lager in Zukunft digital bewirtschaftet werden.

Zudem hat die Corona-Krise für den Berliner Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth selbst die grundlegenden Errungenschaften unserer Bildungspolitik zunichte gemacht, denn Schule findet nur sehr bedingt statt, Leistungsnachweise und Noten sind größtenteils ausgesetzt, der soziale Kontext aufgehoben, und die sozialen Unterschiede sind wieder deutlich verschärft, weil der Geldbeutel der Eltern Nachhilfestunden ermöglicht, den Erwerb eines Laptops oder gleich den Wechsel auf eine gut funktionierende Privatschule – oder eben auch nicht.

Abgesehen von diesen zusätzlichen Erschwernissen, ausgelöst durch eine Pandemie, wie wir sie alle noch nie erlebt haben, ist für die meisten deutschen Kinder die Schule grundsätzlich ein eher beschwerlicher Weg, oder soll ich sagen ein Weg mit vielen negativen Erfahrungen. Oft ist es ein freudloser Weg bis zum Schulabschluss, inklusive Versagensängsten, familiären Konflikten und eben verzweifelten Nachhilfeaktionen. Und so, wie es momentan anmutet, werden die offensichtlichen Defizite unseres Schulwesens auch nach der Corona-Krise weiterhin beschleunigt und ungelöst die Zukunft unserer Kinder gefährden.

Die Schere klafft immer weiter auseinander

Deutschland hat zwar hohe Bildungsausgaben – die jährlichen Ausgaben je Schüler an einer öffentlichen Schule sind im Zeitraum von sieben Jahren bis 2017 um 22 Prozent auf 7300 Euro gestiegen[7], es sollen 2018 insgesamt 70 Milliarden gewesen sein –, doch gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschland mit 4,2 Prozent des BIP nach den Daten der OECD unter dem Durchschnitt von 4,8 Prozent.

Wenn ich vor diesem Hintergrund meine Eindrücke zum Thema »Schule in Deutschland« zusammenfasse und vereinfacht darstelle – für manche sicherlich übertrieben, dafür aber recht anschaulich –, dann würde ich sagen: Kultusministerien der Länder generieren föderalistische Lehrpläne, die keine zentralen Schulabschlüsse vorsehen. Damit verhindern sie die Vergleichbarkeit der Leistungen, den Wettbewerb unter gleichen Bedingungen und die Chancengleichheit für alle Schüler Deutschlands, unabhängig von ihrer regionalen Zugehörigkeit. Diese unterschiedlichen Lehrpläne sind, weil politisch beeinflusst, unterschiedlich schwer, was Inhalt und Überprüfung des Lernerfolgs betrifft.

Zudem wird seit einiger Zeit verstärkt die Inklusion an Schulen vorangetrieben, und nach wie vor dringlich ist die Integrationsproblematik. Wir haben aber nicht genug Lehrer, die sich allen Herausforderungen stellen können. Abgesehen von den fehlenden Kindergarten- und Kitaplätzen und den fehlenden Ganztagesplätzen für Grundschulkinder ist der Mangel an besser qualifiziertem Personal an den Grund-, Mittel- und Förderschulen ein altes Erbe. Für angehende Gymnasiallehrer gibt es hingegen Wartelisten, aber noch keine Jobaussichten.[8] Auch werden Gymnasiallehrer besser bezahlt als Grund-, Haupt-, Real- und Förderschullehrer, was mit der Länge der Ausbildung begründet wird! Das entspricht nicht einer bedarfsorientierten Mittelzuweisung, bei der die meisten Ressourcen im Bereich der Frühforderung und Grundschule zur Verfügung zu stellen wären, wo mit ihnen der stärkste Lernerfolg erzielt werden kann.

Zudem geht seit Jahrzehnten viel Energie für Strukturveränderungen verloren, wie beim jahrelangen Streit um die Einführung der Gemeinschaftsschule, oder beim Umbau des Gymnasiums von G9 zu G8 und wieder zurück zu G9. Wir haben jetzt Gymnasien, die in manchen Bundesländern immer einfacher werden, und grundsätzlich wieder länger dauern, damit auch alle mitkommen können. Neben diesem »Gymnasium für alle« schrumpfen aber die anderen Schulzweige wie Realschule oder Hauptschule und/oder darben vor sich hin – als schlechtere aller Wahlmöglichkeiten, sowohl, was die Zukunftschancen, als auch, was Prestige und Ansehen betrifft.

Relativ neu hingegen ist der Streit um den schleppenden Ausbau von Ganztagsschulen, die nunmehr nach langem Hin und Her als wertvoll erachtet werden, jedoch vor allem, was die Integration benachteiligter Schüler betrifft.[9] Diese einseitige Auslegung fördert kontinuierlich den Zugang der anderen Schüler zu Privatschulen, die sich ihre Schüler aussuchen können. Die Klassen in öffentlichen Schulen sind übervoll und im Unterricht ist keine Zeit für den Einzelnen. Es gibt wenig Förderung und gezielte Unterstützung für den Schwachen und noch viel weniger für den Starken. Die Schüler werden zu oft allein gelassen, nachmittags sowieso, und die Eltern sollen weiter zu Hause als Hilfslehrer fungieren. Wenn sie das nicht können, hat man Pech gehabt.

Wenn Sie Start-up-Gründer zu Deutschland befragen, dann hören Sie: »zu bürokratisch, zu rückständig, zu zögerlich, zu ängstlich«. Damit ist auch unser Schulsystem gemeint, das entweder gar nicht oder sehr unflexibel und unangepasst auf seit Langem sichtbare und einschneidende Veränderungen und den Wandel der Welt reagiert und in hohem Maße die Anforderungen der Zukunft ignoriert. Die Bürokratie verhindert die flexible, dringliche und sofortige Umsetzung des 2019 geschlossenen Digitalpakts, da Schulen erst ein Digitalkonzept vorlegen müssen, jedes Land eine Verwaltungsvereinbarung unterzeichnen und eine eigene Förderrichtlinie erlassen muss – und das dauert. Anschließend sind unterschiedliche Landesstellen für die Beauftragung des Providers, die Bestellung der Hardware, die Wartung von Geräten und die Weiterbildung der Lehrer zuständig – und das dauert noch länger.[10]

Nur 43 Prozent der deutschen Schulen nutzen überhaupt Online-Plattformen, 33 Prozent der Schulrektoren halten ihre Technik für ausreichend, und nicht einmal die Hälfte der Lehrer organisiert in der Krise echtes E-Lernen. Statt mit digitalen Medien zu arbeiten, drucken sie Arbeitsblätter aus, die sie verschicken[11] oder die sie den Müttern vor der Schule übergeben.

Die Durchführung des Unterrichts erfolgt mehrheitlich durch die Eltern, selbst die Kosten für den Unterricht werden auf die Eltern abgewälzt, und die verantwortlichen Stellen nehmen – anders als im Verlauf der Friday-for-Future-Streiks – den massiven Unterrichtsausfall billigend in Kauf.[12] Die Lehrergewerkschaften stellen sicher, dass Lehrer in ihren Pfingst- und Sommerurlaub fahren können, anstatt den ausgefallenen Unterricht nachzuholen oder sich mit den digitalen Anforderungen auseinanderzusetzen, und somit in einer Krisensituation ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nachzukommen – wohlgemerkt, nicht bei Kurzarbeitergeld, sondern bei vollem Gehaltsausgleich.[13]

Überhaupt überwiegt die Standespolitik der Lehrerverbände, die die Bildungsforschung und somit auch die Erhebung von Lernstandsdaten eher abwehren, als sie für die Unterrichtsentwicklung nach Corona nutzen zu wollen. Dass lange Pausen Gift für das Lernen sind, ist hinlänglich bekannt. Es gibt viele Untersuchungen, die aufzeigen, dass es bei mehrmonatigen Unterbrechungen nicht nur zum Stillstand beim Wissensstand kommt, sondern zum Rückschritt.

Laut der Unterrichtsforscherin Felicitas Thiel gibt es zwei neue Studien, die zum einen aufzeigen, dass gerade junge Kinder im Homeschooling praktisch nichts dazulernen.[14] Daher empfehlen die Bildungsexperten der Friedrich-Ebert-Stiftung die Durchführung von Leistungstests, aber nur, um Lernrückstände zu diagnostizieren und den Förderbedarf zu ermitteln.[15] Zum anderen lernen Sekundarschüler im Gegensatz zu Grundschülern im Distanzunterricht genauso gut wie im Präsenzunterricht. Die Einbußen bei Kindern aus bildungsfernen Familien liegen um 55 Prozent höher als bei bildungsnahen Familien.[16] Das führt, laut Gabriel Felbermayr, dem Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, zu einem Einkommensverlust in ihrem gesamten Erwerbsleben von bis zu 50 000 Euro pro Schüler.[17]

Grundsätzlich betrachten wir die Schule als Institution der Wissensvermittlung, weisen aber jegliche Verantwortung hinsichtlich Erziehung im herkömmlichen Sinne oder hinsichtlich der Vermittlung von Werten, die eine Gesellschaft stabil und prosperierend erhalten, in der Praxis weit von uns – auch wenn die Leitlinien unserer Lehrpläne von der Persönlichkeitsentwicklung unserer Kinder fabulieren. Das ist doch Sache der Eltern, der Familie, die aber mittlerweile nur noch bedingt funktioniert oder aufgrund von Migration und vielen anderen Einflüssen oftmals kulturell verändert beziehungsweise aufgeweicht ist.

Dazu gehört auch und vor allem, dass unsere Kinder mittlerweile gleichzeitig in einer realen und einer virtuellen Welt leben. In diesem Zusammenhang erlebe ich Eltern und Lehrer, die sich dieser neuen Lern- und Arbeitswelt weitgehend verschließen, sei es aus Angst vor Technik, aus Unsicherheit infolge großer Uninformiertheit, aufgrund von Ignoranz und Rückwärtsgewandtheit. Für diese Eltern und Lehrer hält nur die klassische Allgemeinbildung ihre Legitimation hoch, und sie schieben die Tatsache, dass die Welt globaler, schneller und komplexer geworden ist, weit von sich, und sehen vor allem inhaltlich keinerlei Zusammenhang zur späteren beruflichen Ausbildung ihrer Kinder. Zeitlich denken sie lediglich bis zum Schulabschluss und verschieben alle Zukunftspläne ihrer Kinder auf die Zeit danach.

Weder haben die Schulen das notwendige digitale Equipment, oftmals noch nicht einmal einen WLAN-Anschluss, noch sind Lehrer zukunftsorientiert, geschweige denn fachübergreifend ausgebildet. Weder haben wir eine ganzheitliche Ausrichtung der Lehrpläne und Lernkonzepte, noch können wir ertragen, dass noch mehr Inhalte, alte wie neue, in einen Gesamtlehrplan für unsere Schüler gestopft werden. Diese noch stärkere Überfrachtung der Lehrpläne, die ja bereits Realität ist und von vielen Eltern und ihren Kindern beklagt wird, führt meines Erachtens nicht zu sinnvoller und nachhaltiger Schularbeit, um das Denken zu lernen, sondern nur zu routiniertem Auswendiglernen und Vergessen, nachdem der Stoff abgefragt wurde.

In unserer Schullandschaft haben wir die staatlichen Schulen, wir haben aber auch die Montessori- oder Steiner-Schulen als wesentliche Bestandteile unserer eher kleinen Privatschul-Kultur. Ihre Lehrpläne sind von Lehren geprägt, die dem Wohl und der Entwicklung des Kindes sehr viel mehr Zeit und Raum geben, gegebenenfalls auf Noten verzichten oder die Natur zum Lehrmeister machen. Aber auch hier handelt es sich nicht um neue Visionen mit Blick auf die Zukunft, sondern um schulische Konzepte des 19. und 20. Jahrhunderts, die zudem und leider immer noch in den Augen vieler nicht »normal« sind, sondern dazu da, Kinder aufzufangen, die »Probleme« haben. Private Schulen werden nach wie vor mit Argusaugen beäugt, obwohl ihre Daseinsberechtigung, und die Vielfalt, die sie darstellen, in unserem Grundgesetz verankert sind. Das hat geschichtliche Gründe, die in unserer jüngsten Vergangenheit liegen. Denn in der Nazizeit wurden unter anderem liberale, jüdische, anthroposophische Privatschulen zurückgedrängt, geschlossen, verboten, weil die rassistische und antijüdische Ideologie in der völkischen Schule Einzug hielt[18], und in der DDR waren Privatschulen verboten. Interessanterweise liegt der echte Zuwachs privater Schulen in den neuen Bundesländern.

In Deutschland habe ich in Gesprächen mit Eltern oft den Eindruck, dass sie für ihren Nachwuchs alles wollen. Die Kinder sollen eine umfassende und klassische Allgemeinbildung erhalten. Wenn möglich aber ohne größere Anstrengung, ohne Einschränkung, und vor allem ohne Kosten. Dabei achten sie auf die Work-Life-Balance ihrer Sprösslinge und kritisieren den Stress in der heutigen Leistungsgesellschaft. Gleichzeitig erwarten sie aber, dass die Jugendlichen in kürzester Zeit zu English Native Speakern avancieren oder ihre digitale Kompetenz perfektionieren. Gern auch erst nach dem Schulabschluss – der Stress! – oder vielleicht im Rahmen eines Gap Years.

Danach wünschen sich immer mehr Eltern ein Studium an einer renommierten Universität im Ausland, in den meisten Fällen ohne jede Vorkenntnis der tatsächlichen Qualität der Universitäten oder der jeweiligen Bewerbungsanforderungen. Ein Masterstudium soll das Bild abrunden und entlässt die jungen Menschen im Vergleich zu konkurrierenden Ländern erst relativ spät in die Realität und Arbeitswelt. Alles, was mit der beruflichen Zukunft zu tun hat, wird auf die Zeit nach dem Schulabschluss verschoben. Nur die Qualität der Allgemeinbildung steht im Fokus und die Wissenswiedergabe wird als Quintessenz des Lernens begriffen. Die Kinder wachsen auf, ohne über sich nachdenken zu müssen, ohne sich mit ihrer Zukunft wirklich auseinandersetzen zu müssen, ohne Anleitung zu Kreativität und Innovation, ohne die Vermittlung eines Wertesystems, um diese künftige Realität möglichst positiv gestalten zu können.

Unsere Schulperspektive ist eher eine lokale und regionale, mit wenig Bezug zur Welt im Ganzen, zur globalen Wirtschaft und der internationalen Gesellschaft, zu den neuen Technologien, die unser aller Leben verändern. Weder wissen unsere Kinder, wie eine Krankenversicherung funktioniert, noch lernen sie in der Schule die wichtigsten wirtschaftlichen Zusammenhänge. Dieses, nach Meinung von Start-up-Gründern, besonders negative Merkmal des deutschen Bildungssystems, wenn nach der Einschätzung des Standorts Deutschland befragt, führt laut Fritzi Köhler-Gelb, Chefvolkswirtin der KfW, auch dazu, dass sich Frauen weniger Unternehmergeist zutrauen als Männer.[19]

Unsere Kinder genießen die Vorzüge einer kostenlosen Bildung in einem der wohlhabendsten Länder der Welt und ahnen nicht, in welch ärmlichen Verhältnissen Kinder in vielen asiatischen Ländern oder in Südamerika aufwachsen müssen. Ich kenne viele Kinder, die sich nie wohltätig engagiert oder vielleicht einmal gejobbt haben. Ich erlebe oft, dass Altruismus bei uns erst gar nicht verstanden wird. Was bekomme ich für mein Geld, ist die erste Frage!

Andere Nationalitäten oder Kulturen werden im besten Fall als »komisch« beschrieben, da Kulturkompetenz an unseren Schulen kein Thema ist. Warum gibt es nicht einmal die Woche ein Kennenlernen fremder Kulturen? Wir glauben immer noch, dass das westliche Europa der Nabel der Welt sei und unser Schulsystem den anderen überlegen. Wenn möglich grenzen viele Eltern ihre Kinder sozial gegen die anderen ab, die um dieselben Ausbildungsplätze und Jobangebote konkurrieren. Besonders beliebt sind dabei die Fächer Latein und Griechisch, und damit glauben sie, sind ihre Kinder gewappnet für die Zukunft.

Das alles hat zur Folge, dass viele Jugendliche internationale Chancen verpassen oder im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können. Sie treffen falsche Entscheidungen, versäumen Zeit, nutzen sie nicht sinnvoll oder verlieren gar den Halt, weil die schulische Struktur plötzlich wegbricht. Sie haben nicht gelernt, mit künftigen Unwägbarkeiten und Herausforderungen umzugehen. Doch woher kommt unsere ambivalente, gefährlich gelassene Einstellung, wenn es um die Ausbildung und Zukunftsfähigkeit unserer Kinder geht? Warum realisieren wir nicht, dass wir aktuell oft nicht das Richtige und/oder Vieles viel zu spät tun?

Offensichtlich wird ausgeblendet, dass alle unsere Kinder eine Zukunft vor sich haben, in der künstliche Intelligenz, Globalisierung und Migration unsere Arbeitswelt quasi täglich, zum Teil disruptiv, verändern. Mittlerweile ist noch die Corona-Pandemie dazugekommen und mit den Schulschließungen der Zusammenbruch der herkömmlichen Beschulung unserer Kinder. Stattdessen werden sie nach Hause geschickt und mit veralteten Methoden über Wasser gehalten. Mehr aber auch nicht – abhängig vom jeweiligen Entwicklungstempo der Schule und vom individuellen Einsatzwillen der Lehrer. Jede der 43 550 Schulen in Deutschland hat ein eigenes Schritttempo und geht von unterschiedlichen Startlinien aus.[20] Diese Einstellung des »Wieso, uns geht es doch auch ohne Digitalisierung gut« hat eine Zukunftsforscherin noch im November 2018 auf dem Panel des Forums für den Frauen-Karriere-Index in München, zu dem ich eingeladen war, sehr gut auf den Punkt gebracht: »… und dann lernen sie sieben Jahre Latein für eine Zukunft, die es nicht mehr geben wird«.

Mittlerweile – ich muss das fast dankbar sagen – hat die Corona-Krise die Erkenntnis erzwungen, dass unsere Kinder für die Visionslosigkeit der Kultusminister, für die Rückständigkeit und Orientierungslosigkeit vieler Schulen und in letzter Instanz vieler Lehrer büßen werden. Sie hat die Einstellung vieler Eltern verändert, die sich zunehmend fragen, was die Zukunft ihren Kindern bringen wird, und die Ignoranz früherer Jahre ist einer großen Verunsicherung gewichen.

Betrachten wir also die Realität, kommt Gunnar Heinsohn, Professor der Soziologie und Kompetenzforscher, im November 2018 zu einer beeindruckenden wie beängstigenden Erkenntnis: Die Schere zwischen kompetenten und inkompetenten Menschen klafft weltweit immer weiter auseinander.[21] Zum Beispiel in Ostasien, hier werden die Länder zunehmend wettbewerbsfähiger, die besten Schüler der Welt leben dort. Von 1000 zehnjährigen Schülern sind bis über 500 in der höchsten mathematischen Leistungsklasse, in Deutschland hingegen sind es 50. In der Schweiz wenigstens noch 220. Die USA sind bei Spitzenbegabungen fast dreimal stärker als Westeuropa. Die Folge ist: Im Jahre 2017 hat Deutschland im Vergleich zu Japan 40 Prozent weniger PCT-Patente angemeldet. Die Chinesen bestreiten 43 Prozent aller Veröffentlichungen zur künstlichen Intelligenz, während Deutschland bei der digitalen Zukunftsfähigkeit bis 2018 vom achten auf den zwanzigsten Platz abgerutscht ist. Selbst im östlichen Europa schneiden Schüler im Vergleich deutlich besser ab als die westeuropäischen.

Und ein gutes Jahr später finden wir im Handelsblatt vom 22. Januar 2020 empirische Daten dazu, dass Deutschland Mittelmaß ist, wenn es um Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften geht. Das kleine Estland, Finnland, Kanada und Schweden haben sehr viel bessere PISA-Ergebnisse als wir. Und nicht nur das: Die Tendenz der angezeigten Leistungen in Deutschland ist weiter sinkend und, noch viel wichtiger, für Kristina Reiss, Mathematikerin an der TU München, die den deutschen Teil der PISA-Studie leitet, ist »die Schere zwischen starken und schwachen Schülern (...) in Deutschland so groß wie in kaum einem anderen Land – und sie öffnet sich weiter«.[22] Hingegen erzielen »andere Staaten, etwa Finnland und Estland (…), insgesamt bessere Leistungen und halten zudem die Kluft zwischen guten und schlechten Schülern kleiner.« Dort gelingt »eine Förderung der leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler, ohne die Förderung der Leistungsspitze zu vernachlässigen.«

Wie machen das estnische oder finnische Schulen, und warum machen wir das nicht nach?

Die neuesten internationalen TIMSS(Trends in International Mathematics and Science Study)-Untersuchungen Ende 2020 zeigen: Unsere Viertklässler sind in Mathematik und Naturwissenschaften schlechter als der OECD- und EU-Schnitt, und über 25 Prozent verfügen nur über rudimentäre Kenntnisse, was insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund betrifft. Andere europäische Länder, wie Tschechien, Österreich und die Niederlande, sind besser als wir. Am stärksten sind Singapur, Hongkong, Taiwan, Südkorea, Japan, Finnland und die russische Föderation. In Singapur gehören 54 Prozent zu den stärksten Schülern in Mathematik, in Deutschland sind es sechs Prozent, die Begeisterung für das Fach ist weiter fallend.

Wann fängt die deutsche Bildungspolitik damit an, den Lehrern, den Kindern und ihren Eltern begreiflich zu machen, dass der langfristige Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland auch davon abhängen, wie gut seine Schüler und Schülerinnen in den sogenannten MINT(Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technologie)-Fächern sind? Auf gut Deutsch: Wir brauchen intelligente »Streber«!

Vielleicht haben Sie das Glück, dass Ihre Kinder an einer Ausnahmeschule lernen dürfen. Ich habe jedenfalls angesichts unserer Möglichkeit, mit der Internationalen Schule vergleichen zu können, lange über meine eigenen Erfahrungen mit der deutschen Schule nachgedacht. Ich kann mich einfach an wenig Positives erinnern, und anscheinend hat sich daran nicht viel geändert. Ich höre von deutschen Eltern immer wieder, wie negativ die Lehrer bei uns sind, wie oft sie Kinder runtermachen und bei Problemen allein- oder sogar fallen lassen. Selbst wenn ich 50 Prozent der elterlichen Vorwürfe streiche, sehe ich immer noch nicht die Umsetzung eines überzeugenden Werte- und Erziehungskonzepts im Vergleich mit der Internationalen Schule, geschweige denn die Bereitschaft, den Unterricht unserer Kinder mit Blick auf das 21. Jahrhundert zu ergänzen, zu modernisieren.

Was wir von Stanford lernen können

Die jährliche Einführung des neuen Studentenjahrgangs wird an den Universitäten der USA groß gefeiert. Nicht nur ernst und pathetisch, sondern auch voller Selbstbewusstsein, Fröhlichkeit und Humor – und mit einer gehörigen Portion Schlitzohrigkeit. Ich durfte selbst diesen Tag im Rahmen des Studienbeginns unseres älteren Sohns erleben. Nach den beeindruckenden Eingangszeremonien und Festakten hielt auch der Präsident der Stanford-Universität seine Rede an alle neuen Studenten und Studentinnen des Jahrgangs. Und die ging ungefähr so:

»Liebe Studenten und Studentinnen, heute früh fragte mich einer von Ihnen, ob ich auch wirklich sicher sei, dass er in Stanford willkommen sei. Und ob man ihn auch wirklich haben wolle. Ich antwortete ihm Folgendes: Wir haben jeden von euch ausgesucht, und wir wollen jeden von euch haben. Ihr seid die Besten der Besten, und mit euch wollen wir die Welt verändern. Ihr seid es, die etwas bewegen werden, die einen Unterschied machen werden, die uns alle weiterbringen werden.

Und weil das so ist, werden wir alles für euch tun. Wir werden euch fördern und fordern. Wir werden euch alles geben, was wir zu geben haben. Wir werden euch begleiten und unterstützen, so gut wir können, bis ihr erfolgreich seid. Bis ihr eure Aufgabe gefunden und eure Ziele erreicht habt.

Aber dann, wenn ihr es geschafft habt, wenn ihr Erfolg habt, wenn ihr erreicht habt, was ihr euch vorgenommen habt, dann gebt ihr uns zurück. Dann helft ihr uns, eine neue Generation auf den Weg zu bringen. Dann helft ihr die Zukunft unseres Landes zu gestalten und weiterzuentwickeln. Dann leistet ihr euren Beitrag für die Gemeinschaft und eure Universität.«

Ich versichere Ihnen, jeder von uns hatte Gänsehaut, und die Studenten und Studentinnen um mich herum waren um mindestens fünf Zentimeter gewachsen. Sie waren voller Enthusiasmus und Stolz, und sie waren sichtlich bereit ihr Bestes zu geben, um ihren Beitrag in der Universität, in der Zukunft und für die Welt zu leisten.

Die Rede des Präsidenten hatte Fürsorge und Anspruch ausgestrahlt, Vertrauen und Zuversicht vermittelt, Motivation und Optimismus beflügelt. Er hatte den Studenten und Studentinnen ganz klar vermittelt, was von ihnen erwartet wurde, und was sie von ihrer Universität erwarten konnten. Er hatte ihnen gesagt, dass sie willkommen seien und nicht ausgesiebt würden, so wie bei uns. Er hatte ihnen Regeln gegeben, die ihrem Studium Struktur und Halt geben würden. Er hatte ihnen die Zukunft zur Aufgabe gemacht, und gleichzeitig die Angst vor der Zukunft genommen.

Warum erzähle ich Ihnen das? Was hat eine »Elite«-Universität in den USA mit unseren Schulen in Deutschland zu tun? Nun, vor allem fällt auf, dass solche Reden bisher an deutschen Schulen nicht gehalten werden. Als 2017 mein erstes Buch »Wo bitte geht’s nach Stanford?« erschien, war es insofern auch noch kühn, den erzieherischen und schulischen Weg in eine der besten internationalen Universitäten zu beschreiben und ihre Werte und Leistungen zu preisen, weil die Aufnahme und das Studium ein Höchstmaß an Bewerbungsanstrengung fordert und zudem Geld kostet, viel Geld! Dabei wurde vergessen, dass unsere Studenten ebenfalls Geld kosten, nur bezahlt das der Staat beziehungsweise alle Steuerzahler, und so fällt es nicht weiter auf.

In Stanford fordert die Universität von allen, für die es kein Geld kosten darf, aber ein noch höheres Maß an Einsatz und Energie, um eines der begehrten Stipendien ergattern zu können. Sie werden an immerhin 50 Prozent der Studierenden vergeben, wovon 29 Prozent aus nicht-akademischen Familien stammen.

Auch in den USA ist es Aufgabe staatlicher und privater Hochschulen, Bildung zu ermöglichen und Chancen zu eröffnen, doch tun sie es in einem sehr viel härteren System des Wettbewerbs. Was junge Menschen in diesem Land oft leisten müssen, um überhaupt studieren zu können beziehungsweise an einer der guten Hochschulen lernen zu dürfen, ist bei uns nicht vorstellbar. Wir blenden aus, dass Bildung in den meisten Ländern der Welt Geld kostet und/oder der Zugang vor allem zu akademischer Bildung mit sehr viel mehr Aufwand und Anstrengung verbunden ist als bei uns.

Wir dürfen daher nicht vergessen, dass wir in Deutschland eine kostenlose und vergleichsweise ausgeglichene Bildungslandschaft ohne eklatant hohe qualitative Niveauunterschiede genießen. Auf diese Weise erreichen wir eine Studienanfängerquote von 56,2 Prozent der Bevölkerung des entsprechenden Geburtsjahres, wie im Jahr 2019. In den USA hingegen sind alle der über 4000 amerikanischen Hochschulen in ihrer Ausrichtung, Qualität und ihrem Anspruch nicht nur sehr unterschiedlich, sondern auch sehr unterschiedlich gut, und Studienbewerber kämpfen folglich darum, in die für sie bestmögliche Universität aufgenommen zu werden. Ihre Universität wird für sie zur Alma Mater, die viele Bereiche ihres künftigen Lebens bestimmen wird: ihr Netzwerk, ihre Berufsaussichten, manchmal sogar ihren Lebenspartner.

Ein Jahr nach Erscheinen veränderte sich die Akzeptanz meines Buches grundlegend. Mir scheint, dass Eltern und ihre Kinder sehr viel intensiver über ihre Zukunft nachdenken. Nicht nur über ihre unmittelbare Zukunft im Heimatland, sondern über den langfristigen Werdegang ihrer Kinder, auch über nationale Landesgrenzen hinweg. Die Welt scheint nicht mehr so weit weg. Sich auf ein internationales Schul- oder Studienabenteuer einzulassen und sich im jeweiligen Bildungssystem und den dort herrschenden Verhältnissen zu bewähren, findet immer mehr Gefallen – nicht nur bei Gymnasiasten, sondern auch bei Realschülern und Lehrlingen, die sich für ein Jahr »abroad« interessieren.

Wenn wir unseren Horizont erweitern, erfahren wir auch, dass unsere Länder zwar Grenzen haben, aber dennoch einen gemeinsamen Himmel. Diese starken, werteorientierten »Grenzen« unseres Landes verleiten uns dazu, uns möglichst lange hinter ihnen zu verstecken, so lange, wie es eben geht. Während sich Amerikaner mutig und begeisterungswillig auf Neues einlassen, während Asiaten mit unfassbarem Fleiß und Disziplin immer neue Wege suchen und gehen, tendieren wir dazu, möglichst lange zu erhalten und zu bewahren, was uns gut und richtig erscheint. Nicht die Zukunft lockt uns an, sondern die Vergangenheit gilt es zu verteidigen.

Diese Verdrängungsstrategie, inklusive »Kopf in den Sand«-Mentalität, hat uns geschadet und wird uns weiter schaden, und wir ahnen mittlerweile – spät genug –, dass wir die Zukunft auf diese Weise mehr schlecht als recht bewältigen werden, sicherlich aber nicht positiv gestalten können. Fakt ist, dass andere (auch weniger wohlhabende) Länder bereits Bildungs-Vorreiter sind. Auch Internationale Schulen, die United-World-College-Schulen oder vereinzelte »Schulen im Aufbruch« leisten teilweise schon seit langer Zeit, was Vertreter deutscher Bildungspolitik immer noch diskutieren oder aus diversen Gründen abbremsen. Allerdings werden Bildungsinitiativen und -projekte immer sichtbarer, Eltern werden lauter und namhafte Journalisten hinterfragen unser Bildungssystem und erklären uns die internationale Welt und ihre Herausforderungen.

Im Zuge des globalen Vergleichs wird deutlich, wie viel einfacher bei uns der Zugang zu Bildung ist, weil im Grunde nur unsere Noten zählen, und das wiederum hat zur Folge, dass sich junge Menschen vergleichsweise weniger anstrengen müssen, um sich beruflich qualifizieren zu können. Weder müssen sie eine Bewerbungsstrategie fahren, noch müssen sie zusätzliche Leistungsnachweise erbringen oder sonstige Wettbewerbshürden überwinden.[23] Selbst wenn sie sich allen kostenlosen Angeboten verschließen, werden sie vom Staat und seinen sozialen Unterstützungsmaßnahmen aufgefangen.

Ich konnte mit eigenen Augen sehen, was die Stadt München einem, sagen wir mal, unreifen jungen Menschen ohne Hauptschulabschluss alles bietet, um ihn nach vielen und kostenintensiven Anläufen, Programmen und Unterstützungsaktionen in die Arbeitswelt integrieren zu können. In manchen Bundesländern gibt es Schulen, die keine Leistungsnachweise mehr einfordern und keine Prüfungen mehr stellen, und für ein Studium brauchen wir im Regelfall nur das bestandene Abitur. Das hat bislang gut funktioniert, in einer Zeit, in der unser wirtschaftliches Wachstum, die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und unser Wohlstand zementiert schienen. Und deshalb denken wir erst seit relativ kurzer Zeit wirklich darüber nach, warum wir Probleme haben, was das für uns bedeutet und wo unsere Beitragsqualität liegt.

Später im Buch werde ich unter anderem darauf eingehen, was unsere Kinder künftig können sollten, weil Computer dazu nicht in der Lage sind. Ich werde über Kreativität, Stärken, Optimismus und Wohlbefinden sprechen. Ich werde auch auf die Lehrer an unseren Schulen eingehen, und werde speziell von einer Lehrerin berichten, die ähnlich wie der Präsident von Stanford agierte, als sie eine Klasse zugewiesen bekam, die so schlecht war, dass sie sich nicht vorstellen konnte, wie sie diese Schüler zum Abschluss führen sollte. Lesen Sie, wie schlau und einfühlsam sie mit diesen Schülern umging, und warum wir uns von ihrer Strategie so viel abschauen können.

Nicht die hundertste Umfrage, die hundertste Analyse steht in diesem Buch im Mittelpunkt, wenn sie auch grundsätzlich sehr wichtig sind, sondern moderne, innovative und vor allem pragmatische Lösungen und Verbesserungsvorschläge für relevante Entwicklungs- und Problembereiche in allen Schulformen. Wir haben im deutschen Bildungssystem kein Erkenntnis-, sondern ein Lösungs- und Umsetzungsproblem, sagt Regine Pötke, die renommierte Leiterin der Roland Berger Stiftung, die auf ihre Berufserfahrung als Lehrerin, Schulleiterin und im Kultusministerium zurückgreifen kann.[24]

Mein Anliegen ist es auch nicht, die »normale« Schule oder eine der drei Hauptschulformen zu desavouieren. Es geht mir um ein effizientes Miteinander und ein zukunftsorientiertes Vorwärtsdenken und -handeln, um eine Ausrichtung auf das 21. Jahrhundert voranzubringen. Alle Vorschläge sind bereits »in Betrieb«, in manchen Fällen schon seit Jahren, sowohl in »Leuchtturmschulen« im Inland, als auch in fortschrittlichen und zukunftsorientierten Schulen im Ausland.

Auffällig dabei ist, dass wirklich innovative »Out of the Box«-Ideen sehr oft aus den USA stammen und wir diese im besten Fall dann kopieren. Alle Vorschläge sind untersucht, überprüft, können Erfolge aufweisen und sind Teil der jeweiligen Schul- und Unterrichtskultur. Warum nur kommt kein Ministerialbeamter oder Schulleiter auf die Idee, eine der Internationalen Schulen oder der United-World-College-Schulen zu besuchen, um ohne Scheuklappen zu lernen und zu erfahren, was sie anders machen und warum – zumal sich diese Schulen gerne austauschen würden?

»Schule im Aufbruch« ist ein von Margret Rasfeld, Stephan Breitenbach und Gerald Hüther gegründetes einzigartiges und fortschrittliches Bildungsprojekt in Deutschland, das Schulen zur Transformation anstiftet und sie bei der Einführung und Umsetzung neuer, innovativer schulischer Strategien und Lernformate begleitet. »Schule im Aufbruch« vernetzt die wenigen »Leuchtturmschulen« in Deutschland mit weiteren motivierten Schulen, die ihre Schüler besser auf die Realität und Zukunft vorbereiten wollen.[25]

Leider haben diese Initiativen offensichtlich keinen bis wenig Einfluss auf die politischen Ambitionen der Entscheidungsträger, und folglich auch nicht auf die Lehrpläne für öffentliche Schulen. Ist es, weil Eltern zu viel jammern, wie mir ein Politiker sagte? Sind wir immer noch anderen überlegen, wie mir Altphilologen versichern? Da kann es doch nicht sein, dass irgendeine private Schule oder gar ein anderes Land eine gute weiterführende Idee hat, die in der Umsetzung auch noch klappt, oder einen echten Wettbewerbsvorteil verschafft!

Zur Gesamtsituation gehört auch, dass die (digitalisierte) Bildung weltweit immer besser wird. In Indien gibt es mittlerweile in jedem kleinen Dorf eine Schule, der reichste Inder hat die Hälfte seines Vermögens für Bildung in seinem Land gespendet, und der Antrieb, der Ehrgeiz und die Leidensfähigkeit indischer Kinder und ihrer Eltern ist nicht zu vergleichen mit dem Konsum des kostenlosen »Verwöhnpakets«, das Kinder und ihre Eltern vergleichsweise in Deutschland genießen.

Ist das der Grund, warum wir an den besten Universitäten der Welt viele Inder, aber nur sehr wenige deutsche Student*innen finden? Allen, die meinen, dass ein »Elitedenken« nicht zeitgemäß ist, möchte ich entgegenhalten, dass »Elite« im globalen Wettbewerb nicht nur auf den Geldbeutel der Eltern reduziert werden darf. In anderen Ländern sieht man in diesem Zusammenhang die Intelligenz von Menschen und ihre Qualifizierung zugunsten von Fortschritt und Wohlstand für alle – und meint damit auch nichts anderes!

Es bedeutet, dass sich ALLE Kinder nicht mit weniger Bildung zufriedengeben, als sie leisten und schaffen können. Es bedeutet, dass unsere Bildung ALLEN Kindern so viele Möglichkeiten bieten soll, wie sie bereit und in der Lage sind, anzunehmen und umzusetzen. Und es bedeutet auch, dass es DIE geben darf, die nicht nur mittelmäßig bis gut sein wollen, sondern die ganz »vorne« mitschwimmen können. Schlichtweg, weil die naturwissenschaftliche Intelligenz eines Landes den Wohlstand ausmacht, an den wir uns alle so gewöhnt haben, und der für uns alle so viele Vergünstigungen finanziert.

Die Lösung ist nicht das generelle Absenken des Bildungsniveaus, das »Spielenlassen« bis in die Zwanziger oder das Verteufeln der Leistungsgesellschaft. Es sind die Chancen, die sich für alle durch Weitsicht, Kreativität und Wohlbefinden im Lebensraum »Schule« ergeben, die eine individuelle Qualifizierung unserer Kinder ermöglichen, und die sie motivieren, ihren Weg in eine Zukunft zu finden, die sie lernen zu gestalten.

Politisch fehlgeleitet

Nur, um die bei uns so immanente Kritik vorwegzunehmen: Nicht alles kostet Geld, was unseren Kindern in Zukunft Vorteile bringen soll! Viele Verbesserungen können in den Bereichen Wahrnehmung, Wertekonsens, aber auch Struktur und Inhalt verankert werden und erfordern zunächst einmal die zukunftsorientierte Aufgeschlossenheit, eine Zusammenarbeit aller Akteure sowie die Flexibilität der Verantwortlichen für Schule und Lehre.