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Tobias blieb einen Moment auf dem Bettrand sitzen und strich Dani durch die Haare, kraulte langsam ihren Hinterkopf, was sie mit einem wohligen Seufzer quittierte. Seit der Schule, ganze acht Jahren waren sie nun ein Paar. Er konnte sich glücklich schätzen und war es auch. Tobias hatte mit Dani den Hauptgewinn gezogen und würde noch dieses Wochenende um ihre Hand anhalten.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Tobias wurde von den Sonnenstrahlen eines herrlichen Sommermorgens geweckt. Dani lag auf dem Rücken, das schmale, aristokratische Gesicht eingerahmt von langem blondem Haar. Sie hielt seine rechte Hand in der Ihren und atmete gleichmäßig. Er konnte den Blick kaum lösen von den winzigen Härchen über ihren schmalen Lippen. Was für eine wunderschöne, beinahe perfekte Frau. Eines Tages würde er sie dazu bringen, sich von ihrem Augenbrauenpiercing zu trennen. Er löste seine Hand von ihr und schälte sich vorsichtig aus den Laken. Es gelang ihm nicht vorsichtig genug, was aber nur halb so schlimm war. Sie drehte sich ihm schlaftrunken zu, suchte wieder nach seiner Hand und schmiegte ihre Stirn daran. Konnte es eine schönere Geste geben?
Er küsste sie sanft auf die Schläfe. "Schlaf noch ein bisschen, ich bin gleich zurück."
"Eine von diesen leckeren Schoko-Brioche bitte." Sie schenkte ihm mit geschlossenen Augen ein Lächeln.
"Aber natürlich!"
Noch ein Kuss, diesmal auf den Mund.
Das Wochenende war von langer Hand von Verpflichtungen befreit worden und gehörte allein ihnen beiden. Tobias' Mitbewohner Stefan verweilte bis Ende darauffolgender Woche in einem Weiterbildungskurs in Paris und so hatten sie auch die Wohnung für sich. Endlich würden sie wieder einmal richtig Zeit füreinander haben und es würde perfekt werden.
Tobias blieb einen Moment auf dem Bettrand sitzen und strich Dani durch die Haare, kraulte langsam ihren Hinterkopf, was sie mit einem wohligen Seufzer quittierte. Seit der Schule, ganze acht Jahren waren sie nun ein Paar. Er konnte sich glücklich schätzen und war es auch. Tobias hatte mit Dani den Hauptgewinn gezogen und würde noch dieses Wochenende um ihre Hand anhalten.
Er schlüpfte in seinen Trainer und verließ die Wohnung über den Gartensitzplatz, einer der Vorzüge einer Parterre-Wohnung. Der Innenhof des Gebäudekomplexes wirkte wie immer friedlich und gar nicht so, als würden sie sich mitten in Zürich befinden. Die Wohnung war teuer, doch jeden Franken wert.
"Guten Morgen, Herr Gruber."
"Guten Morgen, Herr Andermatt." Der altgediente Pförtner stand bolzengerade vor seinem Schalter und wirkte dennoch nicht angestrengt, wie immer die Würde in Person.
"Ich hoffe, sie können den Sonntag und das Wetter trotz der Arbeit genießen."
"Aber sicher. Am Mittag werde ich abgelöst."
"Sehr gut!" Tobias war heute allen und jedem freundlich gesinnt.
Drei Ecken weiter, kurz vor der Bäckerei schlenderte ihm ein Mann entgegen, dessen Gesicht im bekannt vorkam. Ihre Blicke begegneten sich.
"Tobias? Scheiß die Wand an, du bist es wirklich!" Der Mann blieb stehen und breitete die Arme aus.
Er trug einen Dreitagebart und seine Augen sahen zwar verlebt aus, doch das Feuer darin schüchterte Tobias beinahe ein. Von der Lederjacke und den zerrissenen Jeans her zu urteilen gehörte er nicht zu seinem Freundeskreis. Und doch sprach er ihn auf eine ungezwungene Weise an, die Arbeitskollegen oder Geschäftskunden nicht an den Tag legten. Tobias runzelte die Stirn. "Hilf mir bitte."
Der Mann klatschte in die Hände, als könnte er damit einen Bann brechen. "Ich bin's, Patrick. Achte Klasse! Mann, ist das lange her! Da schau sich doch mal einer an, was aus dir geworden ist. Ein richtiger Mensch, sozusagen!"
Jetzt war der Groschen gefallen, doch die Freude hielt sich in Grenzen. Patrick war ein Tunichtgut gewesen, der immer den Unterricht gestört hatte mit seinem Geltungsdrang.
Tobias streckte ihm zögernd die Hand entgegen, doch Patrick umarmte ihn und klopfte ihm auf den Rücken.
Tobias fuhr seinen Schutzschild hoch und schaltete auf Small-Talk-Modus. "Und... was machst du so?"
"Ach, dies und das, viel unterwegs. Ich wohne momentan in St. Moritz und arbeite als Skilehrer und Masseur. Fette Ausbeute, das kann ich dir sagen!" Patrick rieb sich genüsslich die Hände und grinste.
Tobias erinnerte sich daran, dass Patrik schon in der Schule jedem Rock hinterhergejagt war. Unverständlicherweise mit Erfolg.
"Und du?"
"Versicherungskram." Tobias gab sich nicht der Illusion hin, eine exakte Berufsbezeichnung würde auf viel Verständnis stoßen.
Im Gegenteil war das Thema mit einem kritischen Blick von Patrick erledigt. "Machst echt einen sportlichen Eindruck!" Er tätschelte Tobias auf den Bauch, was er wiederwillig über sich ergehen ließ. "Hast du noch deine... Wie heißt sie doch gleich?"
Tobias wollte gerade antworten, doch Patrick redete schon weiter. "Hör mal, ich bin grad unterwegs zu einer Freundin... zum Kaffee, du verstehst." Er zwinkerte. "Aber lass uns doch heut Abend zusammen ein Bierchen schlürfen und über alte Zeiten quatschen, ok? Ich komme vorbei."
"Hm, ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal ein Bier getrunken habe. Wie du festgestellt hast, lebe ich ziemlich gesund. Irgendwann kommt man in ein Alter, wo Party machen nicht mehr das Wichtigste ist." Warum sagte er das? Sein Lebensstil hatte nichts mit seinem Alter zu tun und überhaupt brauchte er sich nicht für etwas zu rechtfertigen, worauf er stolz sein konnte.
Patrick hatte jedoch nur mit einem halben Ohr zugehört und schaute teilnahmslos auf seine Uhr.
Tobias biss sich auf die Zähne. "Nur ein Bierchen, ok? Ich habe noch Dinge zu erledigen." Warum nur war er zur Freundlichkeit erzogen worden? Dieses Wochenende gehörte ihm und Dani. Tobias gute Laune drohte sich zu verabschieden.
"Alles klar, brauchst dir nicht gleich ins Hemd zu machen. Atme in deine Mitte und alles wird gut!" Patrick grinste, tätschelte Tobias den Oberarm und war verschwunden.
Erst als er in der Bäckerei in der Reihe stand, realisierte Tobias, dass sie keine Adressen ausgetauscht hatten. Ihm fiel ein Stein vom Herzen und seine Laune besserte sich wieder. Zu Hause angekommen war die Sache vergessen.
Der Tag ließ keine Wünsche offen. Sie brunchten ausgiebig, gingen am See spazieren und hängten eine spontane Shoppingtour an.
Am späten Nachmittag saß Tobias bequem auf der Couch – sie war erst vor einer Woche geliefert worden – und blätterte in seinem neuen Buch "Freeletics: Übungen für Fortgeschrittene".
Dani werkelte in der Küche herum und bereitete sein Lieblingsgericht, Kartoffeln mit Sahnelinsen, dazu eine große Schüssel grünen Salat mit Radieschen.
Das Buch diente eher der Ablenkung, ein bescheidenes Hilfsmittel gegen die Nervosität. Während des Abendessens sollte der große Moment kommen, wo er um Dani's Hand anhielt. Wieder und wieder stellte er sich die Situation vor und legte sich Worte zurecht. Seine Finger nestelten behutsam in der Hosentasche herum, wo sich die Schatulle mit dem Ring befand. Seine Gedanken kreisten um Eigenheim und Nachwuchs. Was würden sie für eine tolle Familie abgeben, was für ein gutes, gesundes Leben miteinander verbringen. "Noch fünf Minuten", klang es feierlich aus der Küche, als wüsste Dani, was ihr bevor stand.
Die Türklingel ließ Tobias zusammenzucken. Das konnte doch nicht... Die Pförtner meldeten Besuch über die Gegensprechanlage, bevor sie jemanden auf das Gelände ließen, also musste es sich wohl um einen Nachbarn handeln, der Salz braucht, oder so etwas. Tobias erhob sich zaghaft vom Sofa und öffnete die Wohnungstür.
Vor ihm stand Patrick und er war nicht alleine.
Tobias stockte der Atem. Ihm lag die Frage auf der Zunge, wie Patrick seine Wohnung ausfindig gemacht hatte. Damit hätte er allerdings den Missmut über dessen Erscheinen preisgegeben.
"Hey Tobias, alles klar? Das wirst du nicht glauben: Auf dem Weg hierher habe ich Georg getroffen. Kam mir einfach so entgegen wie du heute Morgen. Und das, obwohl er mittlerweile in München lebt. Er ist ein paar Tage da und hat nichts vor, da dachte ich mir, dass kann kein Zufall sein, er muss auch mit. Ich hoffe, das ist ok?"
"Hm." Tobias musterte Georg und erkannte ihn erst auf den zweiten Blick. Dieser trug eine Brille, war im Begriff, eine Stirnglatze zu kriegen und brachte das Doppelte von damals auf die Waage. Er wirkte zehn Jahre älter als er war und betrachtete seiner Haltung nach zu urteilen Bewegung als ein notwendiges Übel. Trotzdem stand ihm Schweiß auf der Stirn und er hatte Schweißränder unter den Armen. Tobias spürte eine innere Abneigung angesichts solcher Verantwortungslosigkeit und fühlte sich unangenehm an sein eigenes altes Ich erinnert. Als wäre das nicht genug, kaute Georg energisch und mit offenem Mund Kaugummi. Eine Unart, die Tobias noch nie ausstehen konnte.
Georg stellte die zwei mitgebrachten Einkaufstüten ab, grinste und streckte Tobias seine Pranke entgegen.
Tobias hob abwehrend die Hände. "Wir wollten gleich essen."
Patrick schaute an ihm vorbei und begutachtete die Wohnung. "Zieh dir das rein, Georg! Unser Tobias scheint es zu was gebracht zu haben. Aus dem Pummelchen ist ein Streber und angepasster Bürger geworden. Höchste Eisenbahn, dass wir etwas Action in die Bude bringen." Dann zu Tobias: "Ja, ich freue mich auch, dass es geklappt hat! Lasst euch nicht stören. Wir stellen uns solange in die Ecke und bewegen uns nicht, versprochen."