Schwarz Rot Blond - Ralf T. Franzen - E-Book

Schwarz Rot Blond E-Book

Ralf T. Franzen

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Beschreibung

In einer ruhigen Kleinstadt werden reihenweise Männer umgebracht. Die beiden Ermittler, die vom Drogen-Derzernat ausgeliehen werden, tappen völlig im Dunkeln. Karl Gebauer bekommt von all dem nicht mit, er ist vollauf mit seiner Scheidung beschäftigt. Und was will diese blonde Frau von ihm, die ständig auftaucht?

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Seitenzahl: 196

Veröffentlichungsjahr: 2024

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„Mein schönstes Gedicht? Ich schrieb es nicht. Aus tiefsten Tiefen stieg es. Ich schwieg es.“ Masha Kaléko

Mein besonderer Dank gilt Johannes „Danger Dan“ Freitag Jörg Georg „The Undertaker“ Richter Contact: [email protected] Meine Seite: [email protected]

Danke, Schatz!

Inhaltsverzeichnis

Schwarz

Alkohol

Rot

Butterweiß

Blond

Therapie

Fix und Foxi

Die Ohrfeige

Der letzte Gedanke

Frau Bückesmühl

Der Pimmelflieger

Avocados

Henning Schlott

Dumme Ideen

Oma Braun

Blut

Nord-Nord-West

Beamte

Camping

Back in Town

Der menschliche Faktor

Spuren

Entführt

Verfolgen

Knapp

Ausgeflogen

Schweine

Kismeth

Der Autor

Bisher erschienen

„Inside Bruno Kosmalla“

„Der Andere“

Rattenschwanz

„Das ehrenwerte Haus“

Schwarz

Pia blickte begeistert aus dem Fenster.

„Österreich ist so anders! Diese Häuser, supersüß!“

Sie legte Martin die Hand auf den Unterarm.

„Warte, bis du die Berge siehst!“

„Na, aber da sind sie doch schon?!“

Martin lachte.

„Das sind nur Hügel, die richtigen Berge kommen erst noch. Die Hütte, die ich gemietet habe ist auf 1800 Meter, du wirst staunen!“

Pia war jetzt schon berauscht. Wie ein Kind konnte sie die Augen von der vorbeirauschenden Landschaft kaum abwenden. Sie öffnete ein Seitenfenster und der Wind wirbelte ihr langes, langes, schwarzes Haar durcheinander.

„Noch ein paar Kilometer Autobahn, dann müssen wir raus, die Serpentinen hinauf. Aber es wird schon dunkel.“

Pia blickte besorgt.

„Ist das nicht zu gefährlich?“

„Ja, und daher übernachten wir heute in einer kleinen Pension, und morgen starten wir dann frisch und ausgeruht.“

Pia war überwältigt. Stürmisch küsste sie Martin auf die Wange und er verriss dabei das Lenkrad des Wagens ein wenig.

„Hehe, mein Schatz, nicht so wild! Wir wollen doch nicht, dass unser Ausflug tödlich endet!“

Pia lachte und lehnte sich während der restlichen Fahrt an seine Schulter. Der Landgasthof entsprach jeglichem, alpenländischen Klischee: viel Holz und Unmengen pinker Geranien. Die Wirtin trug die hiesige Tracht und sie speisten gegen 20 Uhr auf karierter Tischdecke. Martin bestellte den frischen Bachsaibling mit neuen Kartoffeln, Pia entschied sich für die Schweinelendchen zu Gemüsen der Saison. Dazu leerten sie eine Flasche leichten Weißwein, der zu beiden Speisen gut passte. Auf dem Zimmer hatten sie ausgiebigen Sex. Martin war zärtlich, aber fordernd; Pia ließ sich gehen und gab alles. Erschöpft und verschwitzt schliefen sie Arm in Arm ein.

Trotz der durchgevögelten Nacht standen sie sehr früh auf. Vor lauter Vorfreude wollte Pia kein Frühstück und Martin schloss sich ihr an. Der Kaffee, den sie sich gönnten, war brühend heiß und sie bliesen kleine Dampfwolken aus den Tassen in den blauen Morgenhimmel.

„Dieses Licht!“, schwärmte Pia. „Man sollte malen können!“

„Mach doch! Wir sind ja noch jung, uns stehen alle Türen offen!“ Pia schmunzelte.

„Von wegen jung. Ich bin 31 und du …“

Martin winkte lachend ab. „Wie alt war ich denn heute Nacht?“

„18!“, antwortete Pia pflichtschuldigst.

An der Rezeption verwickelte Martin die Wirtin in ein Gespräch über Fischzucht und die Wirtin ihrerseits fragte, ob sie denn verheiratet seien.

„Neinnein!“, antwortete Pia. „Wir kennen uns noch nicht so lang.“

Wie lange, wollte die Wirtin wissen. Pia und Martin sahen sich an.

„Drei Monate, aber das Leben hat entschieden: Unsere Schicksale sind unzertrennlich miteinander verbunden!“,

lachte Martin. Wie zur Bekräftigung küssten sie sich.

Nach wenigen Kilometern verließen sie die Autobahn und fuhren eine schmale Straße den Berg hinauf.

„Ich muss dir noch diese tolle Stelle zeigen, von der ich dir erzählt hab. So etwas Romantisches hast du noch nicht gesehen!“

Martin suchte und fand eine kleine Parkbucht und beide stiegen aus. Pia zog eine Regenjacke über ihr Top, es war kühl. Sie mussten nur ein paar Meter gehen und hinter einer massiven Wand aus hohen Fichten floss und rauschte ein Gebirgsbach durch ein steinernes Bett zu Tal.

Die Strömung war sehr stark. Pia war fasziniert.

„Gott, ist das schön! Ich bin so froh, dass du mir das noch gezeigt hast.“

Martin war vorausgegangen und stand am schmalen Uferrand. Pia folgte ihm, sammelte einen etwa faustgroßen Stein auf und stellte sich auf einen Felsen hinter Martin. Sie holte weit aus und schlug ihm den Stein mit all ihrer Kraft gegen die rechte Schläfe. Martin gab einen undefinierbaren Laut von sich, er wankte, sein Körper fiel vornüber und landete zur Hälfte im Wasser. Pia suchte nach einem langen Ast, fand ihn und schob damit Martins Körper weiter in den Fluss hinein; zu guter Letzt gab sie ihm einen kräftigen Schubs. Die Strömung zerrte und riss an Martins Körper, Pia half noch einmal nach und sah unbewegt dabei zu, wie die Leiche ins Tal hinuntertrieb. Sie zog die Regenjacke aus, wusch sie im Bach und steckte sie in die dunklen Untiefen von Kofferraum und Ersatzreifen. Dann verwuschelte sie ihre Haare, verwischte ihr Mascara, schlug sich ein paar Mal mit der flachen Hand heftig auf beide Wangen und atmete zehnmal hektisch ein und aus.

Dann nahm sie ihr Handy in die Hand.

Alkohol

Alkoholismus ist eine sehr ernst zu nehmende Sucht, die genau durchdacht sein will.

Einmal ganz abgesehen von den Motiven und dem Leid.

Wenn man sich, zugegebenermaßen oberflächlich, mit dem Umstand abgefunden hat, dass man seinen Stoff braucht, beginnt man, Pläne zu schmieden und Strategien zu entwickeln, um Spuren zu verwischen, oder am besten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Hier kommt es natürlich darauf an, zu welcher Art von Alkoholiker man gehört. Man unterscheidet sehr grob zwischen dem Säufer, dem es egal ist, ob er in vollgepissten Hosen in einem Straßengraben einpennt, dem gleichen Typus, der den Deckel einer Schnapsflasche mit 80 Umdrehungen sofort wegwirft. Und dem ganz normalen Typus, der gar nicht will, dass sich sein Leben so weit ändert, dass er sich für vollgepisste Hosen rechtfertigen müsste.

Karl Gebauer gehörte – Fluch und Segen - zur letzteren Sorte. Er war glücklich mit einer wunderschönen Frau verheiratet, hatte drei Kinder, er mochte seinen Job, besaß ein schönes Haus, ein geiles Auto und hatte etwas Kohle auf der Seite. Sein Problem war nicht, die nächste Flasche bezahlen zu können, er hätte sich mühelos im Supermarkt die linke Hälfte des Schnapsregals leisten können. Nein, sein Problem war ein völlig anderes, und zwar eines, dass dem klassischen Säufer so völlig egal war: Er wollte kein Alki sein. Zumindest nicht nach außen hin.

Dem Säufer ist es vollkommen wurscht, was die anderen Menschen über ihn denken, nach dem Motto: Ist der Ruf mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Karl nicht und selbstverständlich sollte in seiner Welt niemand seinen Alkoholkonsum bemerken.

Er hatte es auch anfangs gar nicht so ernst genommen.

Auf Firmenfeiern stürzte er zwar regelmäßig ab, das ließ sich aber noch unter ganz normalem Verhalten wegheften. Eines Tages jedoch lud ihn ein Kollege auf einen kleinen Afterwork-Cocktail in eine Bar ein. Karl willigte, ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten, mit Kollegen auszugehen, einmal ein. Aus einem Cocktail wurden vier und als er nach Hause kam, war er leicht angenehm beschwingt, er war witzig, er brachte seine Frau zum Lachen und sie hatten den besten Sex seit der Geburt der Zwillinge. Und er konnte endlich einmal, ganz ohne irgendwelche Formeln oder Bilanzen im Kopf, einschlafen. Die mäßig dicken Klüsen am nächsten Tag begründete er in der Firma damit, er habe noch lange im Büro gearbeitet, das zog immer. Nun konnte er nicht jeden Abend mit Kollegen Cocktails saufen, keine Frage, er musste zum Essen schon zuhause sein, da legte Amrei großen Wert drauf. Daraufhin entschied er sich für Rotwein, und zwar im eigenen Heim.

Und schon tauchten Probleme auf, die es zu lösen galt, wie beispielsweise dieser grauenvolle Mundgeruch, die klassische Spritfahne. Der Verfasser dieser Zeilen ist sich ganz sicher, dass die Firma Menthos ihren horrenden Jahresumsatz hauptsächlich aus Alkoholikern und den Trotteln, die ihr Produkt in Colaflaschen hineinwerfen, um Raketen daraus zu basteln, generierte. Warum sonst sollte man sich sonst etwas subtil minzartiges in den Mund stecken, dass sich wie ein Schiffsbohrwurm an die Knabberleiste heftete? Da der gute Karl vorerst nur den leichten Glimmer brauchte, um nach einem Tag voller Eindrücke, Entscheidungen und harten Worten in der Firma einschlafen zu können, war das alles gar nicht so schwierig und mit anständig Zähne putzen und zwei Menthos am Morgen kam er über den Tag.

Und dann entdeckte er durch einen ungewöhnlichen Vorfall, dass Amrei, seiner höchst ehrenwerten, wunderschönen Ehefrau, bei einer Mandeloperation einen Teil ihres Geschmacks- und somit auch Geruchssinnes verlustig gegangen war. Durch eine Nachlässigkeit beim Befüllen des Salzstreuers hatte Karl, der grandiose Fleischkoch, eines Tages das Goulasch völlig versalzen. Und zwar dermaßen, dass es selbst ihm, dem notorischen Nachsalzer, der sogar Räucherlachs nachwürzte, fast ungenießbar erschien. Amrei sagte nur

„Lecker, Schatz!“.

Marlon, der schwer pubertierende, von Pickeln übersäte Problemsohn, stopfte sowieso alles ungeprüft in sich hinein. Man hätte auch eine Handgranate mit Speckstreifen umwickeln können, Marlon hätte sie ohne zu zögern – und ohne auch nur einen einzigen Blick von einem beliebigen Display abzuwenden - verdrückt. Die Zwillinge hatten keine Ahnung, wie Alkohol roch und somit war Karl ein grundlegendes Problem los.

Er deponierte die Objekte seiner Begierde, die Rotweinflaschen, in der Garage im für Amrei ekligsten Regal, dass er einst an die Wand hohlraumgedübelt hatte.

Amrei mochte den ganzen, wie sie es ausdrückte, Chemiescheiß nicht, also deponierte Karl volle wie leere Flaschen im Regal mit den bösen Farben und Lacken, Nitroverdünnung und unrettbar verkrusteten Flachpinseln, die die Welt ins Unglück stürzten, so Amreis Originalton. Da würde seine Frau nie rangehen. Das Lager galt sowohl für volle, als auch für leere Flaschen. Und einen Grund, die Garage zu betreten, gestand ihm seine Frau zu beinahe jeder Tages- und Nachtzeit zu. Es war ja eh immer etwas Technisches, meist mit dem Auto und da hätte ihr Mann ihr sowieso jeden vergorenen Quatsch erzählen können. Was er auch tat. Er liebte seine Frau, aber er kannte niemanden auf Gottes weitem Erdboden, der technisch und praktisch so, hm, unbedarft war. Amrei wäre einem Zimmerbrand sicherlich mit Löschpapier entgegengetreten. Ihm fiel dann etwa ein, dass er etwas im Auto hatte liegenlassen hatte, oder das Licht angelassen, oder dass nach der Kurbelwelle sehen musste, oder er musste noch den Refluxgenerator aufladen, sonst käme er am nächsten Morgen nicht zur Arbeit. Und so huschte er jeden Abend in die Garage und soff hastig und hektisch um sich blickend in großen Zügen eine ganze Flasche hinunter.

Karl hatte sich fest vorgenommen, nie mehr als vier leere und vier volle Flaschen im Versteck zu horten, was bedeutete, dass er die leeren natürlich regelmäßig entsorgen musste. Die ersten Wochen verklappte er den verräterischen Abfall, ganz der brave Bürger, im Glascontainer an der Ecke der Straße, war dort jedoch zwei Mal auf Nachbarn getroffen, die etwas blöde und vorwurfsvoll auf die Flaschen starrten.

„Grillparty!“, hatte er sich unsicher grinsend gerechtfertigt. Daraufhin verschwanden die Beweismittel im ganz normalen Hausmüll. Den zu entsorgen war Teil des Haushaltsplanes seiner Frau. Karl hatte zwar nie verstanden, warum sich ein Mann, der eine gute 60-Stunden-Woche arbeitete wie ein Ackergaul, nach dem wohlverdienten Feierabend am Haushalt beteiligen sollte.

Amrei war ja auch nicht im Büro. Er tat es jedoch, ohne zu klagen. Damit das Glas nicht allzu klapperte, wenn er mit dem Müllsack durch die Garage ging, hatte er die Flaschen in alte Malerlappen eingewickelt und achtete sorgfältig darauf, dass keinerlei Adressen auf den Abfällen zu finden waren. Wie blöde, wenn sich einer von der Müllabfuhr beschweren sollte! Was für ein Gedanke.

Schwieriger war die Beschaffung seiner Droge. Karl war schon der Teil des Ehepaares, der im Auftrag seiner Frau auch mal Einkäufe erledigte. Der Klassiker.

„Kannst du Milch mitbringen? Und Schnittkäse und Haferflocken? Und wenn du noch die Jacke aus der Reinigung holst, wäre ich dir sehr dankbar.“

„Aber ich habe den Abholschein nicht.“

„Ach, das geht auch so. Die kennen uns doch.“

Im Supermarkt tauchte beinahe das gleiche Problem auf wie am Glascontainer: Man traf beim Kauf seiner Droge Bekannte, Freunde und Nachbarn. In einem Fall war er mit sechs Flaschen im Einkaufswagen regelrecht erwischt worden, und begründete das hektisch mit einer bevorstehenden Geburtstagsfete. Der Nachbar war natürlich nicht eingeladen – wie denn auch? – und rannte eine Zeit lang beleidigt und grußlos durch die Gegend.

Hätte der seine Frau auf einen Geburtstag angesprochen, wäre das durchaus gefährlich geworden.

Karl kaufte nach einem weiteren unangenehmen Erlebnis im Supermarkt seinen Stoff dann am anderen Ende der Stadt in einem Getränkemarkt, wo man die Flaschen auf dem Laufband nicht unter Staudensellerie und Blattspinat verstecken musste. Hier wurden letztendlich ausschließlich Getränke verkauft, für die man sich nicht zu schämen brauchte. So lief das Wochen und Monate, es wurde zur Routine. Bis Karl bemerkte, dass er beim Weinkauf immer wieder – und das war neu - auf die Promillezahl achtete; unter 13 Volumenprozent lief hier gar nichts. Und dann gab ihm die verzwickte 13 keine ausreichende Befriedigung mehr. Aus einer Flasche wurden eineinhalb und kurz darauf zwei. Karl gestand sich ein, dass er dann die halbe Nacht aufs Klo gehen musste, bei diesen Mengen an Flüssigkeit. Es war also lediglich ein technisches Problem. Und folgerichtig war die nächste Stufe Sherry. Ein durchschnittlicher Rotwein hat zwischen 11 und 13 Volumenprozent, Sherry ungefähr 17. Das war doch was! Statt sonst zweier Flasche am Tag brauchte Karl jetzt nur noch eine halbe bis dreiviertel Flasche, was die Gänge zum Glascontainer und Toilette erheblich verringerte. Aber nur kurz. Dann wurde es doch eine ganze Flasche.

Auf der Arbeit merkte niemand etwas, und zuhause sowieso nicht. Oder? Heimlich, still und leise genügte auch dieses Quantum an Alkohol nicht mehr aus. Vorbei das problemlose Einschlafen, Geschichte diese angenehme Leichtigkeit. Die so gute Laune schwand zusehends, seine Witze wurden sarkastisch und immer öfter war seine Frau am Abend eher beleidigt als belustigt.

Er mochte seine Frau nicht mehr. Und er konnte sie nicht mehr riechen. Amreis gut zwei Meter lange Batterie an Ölen, und Cremes und Parfum und Eau de was weiß ich garantierte, dass seine Gattin immer, immer, zu jeder Tages und -Nachtzeit lecker roch, nach Vanille, Patschouli oder Himbeere.

Jetzt stank sie. Karl konnte kaum ihre Nähe ertragen, weil sie in seiner Nase stank wie ein Gully. Und er begann seinen Zynismus über sie auszuschütten.

Aus irgendeinem ihm unerfindlichen Grund hatte Karl immer nur Beziehungen mit Frauen gehabt, die weder kochen konnten noch Englisch sprachen. Er hatte nie herausbekommen, ob es da Zusammenhänge gab, ob sich diese beiden Parameter irgendwie ausschlossen, kam aber nie dahinter. Es war eben so. Amrei sprach überhaupt keine Fremdsprache und in einer ungünstigen Minute, hatte Karl sie böse enttäuscht. Oder eher Joe Cocker.

Amrei´s Lieblingssong vom guten, alten Joe war „You can leave your hat on“. Amrei hatte viele, viele Jahre fest daran geglaubt, es heiße „You can leave your head on“,

also nicht, du kannst den Hut aufbehalten, sondern du kannst den Kopf aufbehalten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Amrei gedacht, es wäre so etwas wie feministisches Ficken. Karl nahm ihr diese Illusion brutal. Das hatte sie ihm sehr, sehr übel genommen und tischte es ihm auch immer wieder auf. Joe Cocker war für sie von da an tot, tot, tot. Good Old Joe war seinem neuen Zynismus zum Opfer gefallen. Ein Fan weniger.

Die Stimmung zuhause wurde immer schwieriger. Der einzige, der nichts davon merkte, war der Sohn. In Marlons derzeitigen Leben hatten Erwachsene generell, und speziell seine Eltern, nichts zu suchen. Amrei ging Karl zunehmend auf die Nerven. Früher fand er es niedlich, dass sie immer Worte verdrehte oder ganz neue erfand.

Das Wort „Heilemacherei“ konnte sowohl für einen Gynäkologen, als auch für eine KFZ-Werkstatt oder einen Schuster stehen, Dingens konnte alles heißen. Ein Hammer war ein Kaputtmacher, und eine Steckdose das Stromdings. Außerdem war Amrei alleinige Inhaberin des Copyrights für das Wort brontal, das genau so zu verstehen war. Und so weiter. Dieses kindlich naive hatte ihn einst fasziniert. Jetzt glaubte er, seine Frau sei einfach nur dumm, sie würde die einfachsten Zusammenhänge nicht kapieren. Ihr einst hübscher Mund mutierte zu einem rotumrandeten, schlitzförmigen Anus, der permanent Stuhl absonderte. Es war grauenvoll.

Im Idealfall ging er in dieser Phase seiner Frau aus dem Weg, er machte Überstunden, er ging früh ins Bett, er hatte jede beliebige Menge an Ausreden dafür, ihr nicht zuhören zu müssen. Amrei, die über ein starkes Selbstbewusstsein verfügte, überging das einfach. Sie hatte genug mit sich selbst zu tun und einen so großen Freundeskreis, den ihre Erlebnisse des Alltages viel mehr interessierten als ihr Göttergatte. Aber er konnte ihr nicht entrinnen. Dann spürte er, wie ihm die sprichwörtliche Galle nach oben in die Mundhöhle kroch, es schmeckte bitter und nach Eisen und seine Hand ballte sich unsichtbar für Amrei in seiner Tasche.

Wie hatte er seine Frau einmal geliebt! Schon ihr Name! Amrei! Diese Silben musste man hauchen, und durfte sie auf gar keinen Fall laut aussprechen, das wäre ein Sakrileg. Die aneinander gereihten Buchstaben ergaben ein Zauberwort, sie beschrieben den erotischen Tanz von Feen auf einer mitternächtlichen Waldlichtung, vollkommen nackt natürlich. Dann bekam er heraus, dass dieser geheimnisvolle Name, der für das deutsche Gehör so gewöhnungsbedürftig war – welcher Name endet schon auf ei? – lediglich das Kürzel von Annemarie darstellte. Und das war sicherlich eher der Name für eine alpenländische Hochleistungsmilchkuh, als für eine Frau.

Seine Frau.

Alkohol ist eben ein guter Knecht, aber ein schlechter Meister.

Und dann bekam er Magenprobleme.

Karl war immer ein guter Esser gewesen, auch, wenn er zu schlechtem Fraß von der Imbissbude neigte. Amrei achtete sehr auf Vitaminzufuhr in Form von diversen Salaten und Karl hatte sich weitgehend angepasst. Aber in letzter Zeit hatte er keinen Appetit mehr, nur Hunger, und füllte dieses sinnlose Loch in seinem Bauch mit fast nichts.

Er nahm ab, und selbst seiner Frau, die sich mehr für ihr eigenes Äußeres interessierte, fiel es auf, und den Kollegen im Büro ebenso. Und eines nachts kotzte er Blut.

Oder so etwas Ähnliches, auf jeden Fall schwammen komische, rote Steifen in seinem Erbrochenem. Mit der Routine des eingefleischten Maximalverdrängers konnte das nur an den Tomaten gestern Abend gelegen haben.

Hatte es gestern Abend Tomaten gegeben? Er konnte sich nicht erinnern.

Ein Kollege, mit dem er ein maskulines Gespräch über Frauen im Allgemeinen und den jeweiligen Ehefrauen im Besonderen geführt hatte, erzählte ihm, er würde das ohne Xalanthin gar nicht mehr aushalten.

„Mit was?“

„Xalanthin. Ist eigentlich ein verschreibungspflichtiges Medikament für Kinder mit ADHS. Wirkt sofort und hält dich bei Laune. Meine Alte kann mir von ihrem Vierfruchtmarmeladen-Weiber- Verein erzählen, so viel sie will, es kratzt mich nicht. Ich habe noch welche. Willst du? Aber auf keinen Fall mit Alk zusammen, das geht schief.“

Karl wollte. Und es wirkte.

Die Unbeschwertheit der frühen Jahre war wieder da. Er war wieder so witzig, alles war toll. Er wuschelte gutgelaunt die Köpfe seine Kinder, wenn er nach Hause kam, er lachte, sie lachten, alle waren glücklich. Das ging ein paar Tage so. Irgendwann waren die Tabletten aus, die eine Rippe, die der Kollege hatte springen lassen, war schnell durch. Entgegen der Empfehlung hatte er sich immer die doppelte Menge gegeben, weil viel hilft viel.

Irgendwann stand Karl, Karl der Große, wie man ihn in der Firma nannte, nervös beim erwähnten Kollegen am Schreibtisch und fragte nach mehr. Der Kollege zögerte.

„Naja, die Sache ist die: Ich habe eine Restmenge aufgekauft, das Zeug gibt es gar nicht mehr am Markt. Im Moment ist es schwierig.“

Das machte Karl nervös. „Geld spielt keine Rolle.“

Der Herr Kollege eierte herum. „Das Geld ist es nicht, es ist einfach nicht so viel da.“

Trotzdem knöpfte er Karl 300 Euro ab, die er auch nur zufällig dabeihatte, um nach Feierabend eine Rechnung bei einem KFZ-Meister zu bezahlen. Aber er nahm dankbar die paar Pillen und zahlte anstandslos. Bei der nächsten Bestellung war es wieder schwieriger und Karl lernte die überaus harte Lektion, nicht alles für Geld haben zu können. Er hätte locker 20.000 Euro auf den Tisch des Hauses legen können, aber das spielte keine Rolle, es war einfach nichts da. Und so kombinierte Karl das erste Mal - und entgegen aller Warnungen - die letzte Xalanthin mit der letzten Flasche Sherry, die hinter den Produkten von BASF lauerte.

Das war ein Fehler.

Anfangs lief noch alles gut. Er kam nach Hause, es gab Schweinebraten, der blöde Sohn war stumm wie immer, die Zwillinge bereits im Bett, die Gattin aufgekratzt und voller langweiliger Geschichten. Karls Geduld war begrenzt. Er huschte also nach dem Essen schnell in die Garage, warf sich die letzten drei Xalanthin in den Hals, und spülte mit einer halben Flasche Sherry nach. Es wirkte so schnell, dass er es kaum von der Garage ins Haus schaffte. In der Küche erwischte ihn eine Übelkeit, die ihresgleichen suchte, der Weg ins Wohnzimmer war ein echter Hürdenlauf. Danach ging es, als seine Frau jedoch begann, von den Ereignissen des Tages zu erzählen, vom Shoppen und von der Freundin und von den Schuhen und dem frechen Kellner im Restaurant und dem Hund, der ins Wohnzimmer gepinkelt hatte, und vom Sohn, der auch beinahe ins Wohnzimmer gepinkelt hatte und dem neuen Italiener und der anderen Freundin und wieder dem Hund erzählte - platzte Karl der Kragen und er schlug seiner Frau mitten im Satz unvermittelt mit der geballten Faust ins Gesicht. Amrei, seine schöne, höchst ehrenwerte Frau, fiel seitlich vom Sofa, war benommen und nicht ganz da. Karl leider auch nicht und er war immer noch wütend. Er griff sich die Obstschale aus Balsaholz, die immer auf dem Wohnzimmertisch stand und schlug der Gattin damit zwei Mal auf den Kopf. Als der Sohn vom Geschrei alarmiert im Wohnzimmer erschien, saß Karl rittlings auf seiner Frau und schlug ihr besagte Obstschale links und rechts um die Ohren. Der sonst so lethargische Sohn ergriff daraufhin einen Stuhl und zog ihm diesen seinem Vater kurzerhand über den Schädel.

Die Polizei, der Krankenwagen, die Einzelzelle – das war das Ergebnis.

Es stellte sich heraus, dass Balsaholz zu den leichtesten Hölzern der Welt zählte, und dass Karls stete Weigerung, je ein Fitnessstudio zu betreten, hier ihr Gutes bewirkt hatte: Unter normalen Umständen hätte Amreis Schädel aussehen müssen wie Apfelmus, aber es gab lediglich ein, zwei blaue Flecken und gerötete Wangen. Karl selbst hatte es – Schicksal, Schicksal – übler erwischt. Er trug eine Gehirnerschütterung und eine böse Platzwunde davon. Es war doch eine gute Entscheidung gewesen, die Qualitätsstühle zu kaufen. Das Ende vom Lied, bzw. eine der letzten Strophen, war, dass Karl einen Prozess am Hals hatte, drei Tage im der Klinik und zwei Tage im Knast verbrachte.

Seine mäßig interessierten Eltern, die sich schon vor Jahren nach Malle verkrümelt hatten, konnten nur Sätze sprechen, die immer in der gleichen Botschaft mündeten.

„Karl, wie konntest du?!“ Von den Details wollten sie gar nicht erst etwas erfahren.

Seine Schwiegereltern, die ihn ohnehin nie gemocht hatten, fühlten sich bestätigt.

„Kind, wir haben dir das ja immer gesagt! Aber Du hörst ja nicht auf uns!“

„Was, immer gesagt?“

„Dieser Mann ist nicht gut für dich, du hast deutlich unter deinen Möglichkeiten geheiratet.“

Karls Job war natürlich auch Geschichte, ein Frauenschläger war hier nicht erwünscht. Es hatte ein Gespräch gegeben. Es gibt immer ein Gespräch.

„Hör mal, Karl, es ist besser so, glaub mir.“ Hannes hatte das einfach so gesagt, in seinem Scheißbüro, mit Panorama-Fenster und Holzvertäfelung aus türkischem Nussbaum. „Glaub mir. Du bist doch hier völlig unterbelastet, dieser Laden ist zu klein für dich. Du wirst bald wieder etwas finden, was deinen Fähigkeiten entspricht.“

Wenn man es so ausdrückte, klang es beinahe gut. Man sagte ja auch nicht mehr entlassen, man sagte freigestellt.