Schwarz / Weiß. Der Tod hat zwei Gesichter. Ein London-Krimi - Martin Semesch - E-Book

Schwarz / Weiß. Der Tod hat zwei Gesichter. Ein London-Krimi E-Book

Martin Semesch

4,4

Beschreibung

Seit über hundert Jahren ranken sich Gerüchte und Spekulationen um den berühmtesten Serienmörder der Geschichte. Warum hat er getötet? Wieso hat das Morden so abrupt aufgehört? Wer war er? Nie hat jemand eine Antwort darauf gefunden. Im heutigen London werden bestialisch zugerichtete Frauenkörper gefunden. Die Bevölkerung fühlt sich an eine längst abgeschlossen geglaubte Mordserie aus der Vergangenheit erinnert. Detective Sergeant Duncan McGregor wird mit den Ermittlungen betraut. Mit jeder Spur gerät er tiefer in die dunkle Welt des Killers. Handelt es sich um einen Nachahmungstäter, einen verrückten Fan, jemanden, der nach Anerkennung lechzt? Oder ist es die albtraumhafte Wahrheit, dass Jack the Ripper von den Toten auferstanden ist, um sein Werk zu Ende zu bringen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 192

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,4 (16 Bewertungen)
9
4
3
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Martin Semesch

Christoph Wittmann

Schwarz/Weiß

Der Tod hat zwei Gesichter

Ein London-Krimi

Martin Semesch, Christoph Wittmann: Schwarz/Weiß.

Der Tod hat zwei Gesichter. Ein London-Krimi, Hamburg, ACABUS Verlag 2011

1. Auflage

ISBN: 978-3-86282-001-6

Die Buch-Ausgabe dieses Titels trägt die ISBN 978-3-86282-000-9

und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

Lektorat: Christian Schlieper, ACABUS Verlag

Umschlaggestaltung: Daniela Sechtig, ACABUS Verlag

Umschlagmotiv: © Pavel Ignatov - Fotolia.com

Der ACABUS Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© ACABUS Verlag, Hamburg 2011

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Für unsere Familien und Freunde,

die uns stets bei allem unterstützen –

ganz gleich, wie verrückt es auch ist.

Du kannst vor dem davonlaufen, was hinter dir her ist.

Aber was in dir ist, das holt dich ein.

(Herkunft unbekannt)

Kapitel 1

London East End, Whitechapel

Heute

Ich liebe es. Ich liebe es, hier zu sein. Hier in meiner alten Heimat. Wie ich es doch immer wieder genieße, die kühle Luft dieser alten Stadt an einem späten Herbsttag wie diesem einzuatmen.

London fasziniert mich seit jeher. Mit seinen grauen Häusern, die sich im Laufe der Zeit kaum verändert haben. Nur die Straßen haben sich gewandelt. Die Welt ist viel, wie soll ich sagen … vorsichtiger geworden. Ja, vorsichtig ist das richtige Wort, denke ich. Besonders in letzter Zeit. Und das ist gut so. Denn früher hat doch keiner diese jungen Dinger beschützt. Sie waren Freiwild, sozusagen. Eine leichte Beute für jeden Kleinganoven, jeden besoffenen Möchtegern-Casanova oder was auch immer. Aber nicht heutzutage. Wenn man ein Mädchen nur schief ansieht, bekommt man es entweder mit ihrem Freund, ihrem Mann oder gar einem Polizisten zu tun. Tja, so ist das nunmal. Den jungen Dingern ist das egal, ob man ehrbare Absichten hat. Aber wer kann es ihnen verdenken, wo doch so viel Abschaum in den nächtlichen Straßen sein Unwesen treibt. Es gibt ja leider Gottes wirklich viel zu viele Menschen, die aus Lust und unbändiger Geilheit ein Mädchen in eine Seitengasse zerren und ihren Trieben freien Lauf lassen. Einfach nur aus Spaß. Nur aus Spaß. Kranke Leute sind das. Gut, dass es noch Kerle wie mich gibt, die ihre Arbeit machen. Tagtäglich passieren solche motivationslosen Verbrechen. Besonders in letzter Zeit treiben sich viele Detectives auf den Straßen rum. Seit Wochen ist diese Stadt bereits in Aufruhr. Deshalb muss auch ich vorsichtiger sein.

Dabei ist es doch gut und vernünftig, dass die Straßen von solchen Perversen regelmäßig gesäubert werden. Ich leiste hier also nur meinen Beitrag. Ohnehin sieht man in letzter Zeit zu wenige Mädchen in der Stadt. Sobald die Nacht ihren schwarzen Mantel über London ausbreitet, ist es hier wie ausgestorben.

Es ist schwer geworden, ein Mädchen zu finden. Ein Mädchen zu verführen. Früher war das leichter. Du hast eine Frau umgarnt und nicht lange gebraucht, bis du sie im Bett hattest. Die Frauen wollten umgarnt und verführt werden. Sie haben nicht gleich ein böses Motiv dahinter gesehen, wenn ein Fremder ihnen schöne Augen machte.

Es gibt einfach keine wahren Gentlemen mehr auf dieser Welt. Ja, das fehlt den Frauen. Ein wahrer Gentleman der weiß, wie man eine Lady behandelt. Es gibt zwei Arten von Frauen. Solche, die einem ein paar schöne Stunden bereiten können, auf ehrliche Art und Weise. Und dann gibt es noch die anderen, die einem echt üble Sachen antun können, obwohl man nur einen netten Abend verbringen will. Sie bringen dir Unglück. Dann komme ich ins Spiel.

Nun stehe ich hier in diesem wunderschönen Viertel Whitechapel und sauge die kühle Nachtluft ein. Einst war dieser Platz eine wahre Pracht. Ein nobles Viertel. Aber das ist schon Ewigkeiten her. Ja tagsüber ist das noch heute so. Mit all seinen Hotels und emsigen Pendlern, die sich wie Ameisen durch die Menge drängen. Niemand von ihnen ahnt, oder denkt daran, dass es Abschaum gibt, der nach ihrem Leben trachtet. Bei Nacht kommt diese ausgekotzte Scheiße aus ihren Löchern gekrochen. Es ist anders, seitdem die Welt von Drogen und purer Gewalt beherrscht wird. Davon ist London nicht verschont geblieben. Aber dafür bin ja ich hier – um dieser meiner geliebten Stadt ein anderes Ansehen zu verleihen. Ein Ansehen, wovon die Leute noch in vielen Jahren reden werden. Ich bin ihr Held.

Ich blicke auf meine Uhr. Es ist kurz nach elf Uhr abends.

Gestern Abend habe ich sie gesehen. Sie ist mir vorher noch nie aufgefallen. Eine Neue, wie es scheint. Ich wollte sie unbedingt kennenlernen.

Sie ist bereits überfällig, aber ich bin ja ein geduldiger Mensch. Ich schließe die Augen und genieße noch einmal die Nachtluft. Ein süßlicher Mix aus Marihuana, Pekingente und Erbrochenem steigt mir tief in die Nase und mich ekelt es ein wenig. Ich warte hier noch eine Weile, bis sie kommt. Allzu lange kann es ja nicht mehr dauern. Schließlich bin ich mit ihr verabredet.

Sie sollte meine Nachricht bereits erhalten haben.

Aber ich kann warten. Mein Terminplan ist diesen Abend nicht sonderlich voll. Und wenn ich jetzt gehen würde, wäre ich kein Gentleman. Also warte ich weiter.

Der Wind wird plötzlich eisig, sodass ich meinen Hut tief ins Gesicht ziehen muss und den Mantelkragen so hochziehe, dass nur noch meine Augen sichtbar sind.

Nebelschwaden kriechen durch die engen Gassen und ich bleibe im Verborgenen. Die ersten Schneeflocken dieser Nacht fallen vom Himmel und tanzen rhythmisch im Wind. Im Schutz der Schatten bleibe ich stehen und sehe mir den Schnee an. Er wird mit Sicherheit liegen bleiben. Meine Kleidung dient mir in jeder Hinsicht als Schutz vor Wind und Wetter. Aber wahrt mir der Mantel und Hut auch meine Anonymität? Ich schätze die Einsamkeit und ich mische mich nicht gerne unters Volk. Ganz wie die amerikanischen Superhelden will auch ich nicht unbedingt erkannt werden. Ich helfe der Menschheit mit meinen Taten, doch bin ich ein Einzelgänger. Der Andrang um meine Person würde mich umbringen.

Ein leiser Mix aus Stimmen von Betrunkenen und der U-Bahn, die unter mir hinwegdonnert, stören die minutenlange Stille.

Da vorne kommt eine Gestalt aus dem Nebel. Zweifelsohne eine Frau. Vermutlich sogar die Frau, auf die ich warte. Ich überlege kurz, ob ich mich ihr schon zeigen soll, entschließe mich aber anders, weil ich sehe, wie zwei Betrunkene aus einem Lokal torkeln und ihren Weg kreuzen. Ich möchte abwarten, was die beiden von ihr wollen.

Die beiden bleiben stehen und sprechen mit ihr. Obwohl ich nur ein Gebrabbel vernehmen kann, kann ich mir vorstellen, dass sie von ihr nicht wissen wollen, wie spät es ist. Sie lachen laut auf.

Der größere der beiden stellt sich ihr mitten in den Weg und lässt sie nicht vorbei. Ich warte immer noch. Noch besteht keine Gefahr.

Sie will an ihm vorbeigehen, doch der Hüne packt sie am Arm und zerrt an ihrem Mantel, der nun herunterher rutscht. Der Schein der Laterne zeigt, dass sie nichts darunter trägt. Braves Mädchen. Wie abgemacht. Das ist tatsächlich meine Verabredung. Ein unbedeckter Busen kommt zum Vorschein. Selbst im fahlen Licht der Straßenlaterne ist ihre makellose Haut erkennbar. Sie ist keine Lady, aber meinem Freund in der Hose gefällt es offensichtlich. Ich warte im Schutze des Schattens mit einer mächtigen Erektion. Aber nicht nur mir scheint es zu gefallen. Auch die beiden Herren werden nun handgreiflich und lechzen nach ihrem nackten Fleisch.

Das kann ich nicht länger zulassen. Das ist meine Verabredung. Nur ich kann sie so behandeln, wie sie es verdient. Und was wissen zwei so schmierige Typen schon, wie man eine Frau behandelt. Die wollen doch nur ihren Trieb ausleben wie wilde Tiere. Sie selbst sind auch nichts weiter als das.

Nun ist es an mir zu zeigen, wessen Revier dieses Viertel ist.

Ich trete aus dem Nebel und ziehe meinen Mantelkragen hoch. Mein Schatten verläuft dünn und parallel zu den dreien und sie bemerken ihn.

Der Kleinere sieht mich zuerst und kommt auf mich zu. Wie ein Löwe in der Serengeti, der sein Opfer vor einer Hyäne verteidigt, kommt er langsam auf mich zu.

Ich bleibe stehen. Mein Puls schlägt ruhig und ich atme tief die Luft ein. Die Hände habe ich in meinen Manteltaschen.

Ich fordere sie auf, die Frau loszulassen. Aber sie lachen mich aus. Ich nehme es nicht persönlich. Die beiden können ja nicht wissen, dass ich es todernst meine.

Der Kleinere greift, obwohl betrunken, blitzschnell in seine Gesäßtasche und im nächsten Moment sehe ich in der Dunkelheit etwas Metallisches aufblitzen.

Ein hübsches kleines Messer. Nicht effektiv genug, wenn’s darauf ankommt. Aber auch das weiß er noch nicht. Vermutlich hatte er es bis jetzt nur benutzt um wehrlose Frauen einzuschüchtern. Bei denen klappt so etwas.

Ich lache leise. Mein Puls schlägt immer noch ruhig und merkwürdigerweise spüre ich, dass meine Erektion noch härter geworden ist. Mein Unterleib beginnt zu zittern.

Mein Lachen gefällt dem Hünen gar nicht. Er fordert den Kleinen auf, mir zu zeigen, wo Gott wohnt. Aber dessen Wohnort werde ich wohl nie sehen. Aber auch das weiß er natürlich nicht.

Schleichend, ja fast gebückt kommt er mit dem Messer auf mich zu und bleibt dann stehen. Vielleicht beunruhigt es ihn ja, dass ich keinen Schritt weiche. Aber warum sollte ich auch? Wegen des kleinen Messers?

Mit einem schnellen Stoß schnellt seine Hand vorwärts und die Klinge schneidet meinen Mantel. Jetzt werde ich langsam sauer. Was hat ihm mein guter, alter Mantel getan? Dieser Mistkerl würde mich nicht mal im Schlaf erstechen können. Betrunken oder nicht.

Meine Hand kommt nun aus der Tasche und mit einer schnellen Reaktion öffne ich meinen Mantel und lasse ihn einen Blick in meine Innentasche gewähren.

Das hat ihn etwas irritiert, denn er weicht einen Schritt zurück und sieht mich ungläubig an. Ich sehe es deutlich in seinen Augen. Angst. Unzählige Male habe ich es in Augen gesehen. Er stolpert, als er rückwärts gehen will.

Der Hüne ist irritiert von dem Szenario. Er weiß natürlich nicht, was sein Kumpan gesehen hat. Aber wenn er will, zeige ich es ihm auch.

Ich schreite auf den Großen zu. Vorbei an dem Kleinen. Auf den achte ich nicht mehr. Ich befürchte nicht, dass er mich von hinten attackieren wird. Er ist besoffen, aber hoffentlich kein Narr.

Der Große nimmt jetzt die Frau, hält ihr sein Messer an den Hals, flucht vor sich hin und beschimpft seinen erbärmlichen, kleinen Freund.

Ich komme näher und fordere ihn auf, sie gehen zu lassen. Schließlich gehört sie mir. Sie sollen sich eine andere Frau suchen. In meinem Revier wird nicht gewildert.

Er drückt die Messerspitze so stark an ihren Hals, dass sie anfängt zu bluten. Jetzt macht er mich wirklich wütend. Sie ist so schön, und ich will sie unbeschadet.

Ich gehe auf ihn zu und greife nach seiner Hand mit dem Messer. Angst, dass er nun zusticht, habe ich nicht. Dieser verfluchte Mistkerl ist kein Mörder. Er ist ein erbärmlicher Bastard.

Überrascht, dass ich seine Hand ergreife und vielleicht überrascht, dass er selbst nicht reagiert, ist es mir ein Leichtes sein Messer zu entwenden. Mit einem einzigen geschickten Griff und geringer Krafteinwirkung ertönt ein Knacken in seinem Handgelenk. Ich spüre wie sein Knochen bricht. Meine Erektion spannt. Er lässt das Messer schließlich fallen und schreit kurz auf.

Ich weise die beiden an zu verschwinden und drohe ihnen, dass sie keiner Menschenseele von unserer Begegnung erzählen. Im Gegenzug dafür gehe ich nicht zur Polizei und erzähle denen, was gerade passiert ist. Das hätte ich sowieso nicht getan. Aber auch das können sie nicht wissen.

Mit dem kleinen Handel geben sie sich offensichtlich zufrieden, denn der Hüne hilft seinem Freund hoch und die beiden verschwinden in einer Seitengasse. Ich kann ihre schnellen Schritte hören.

Ja, lauft nur schön nach Hause.

Die junge Frau war während der ganzen Situation recht ruhig geblieben. Vielleicht passiert ihr das ja öfter. Vermutlich werden wir das noch in dieser Nacht herausfinden.

Ich reiche ihr meine Hand. Nach kurzem Zögern ergreift sie sie. Trotz meiner Lederhandschuhe kann ich erahnen wie weich ihre Haut sein muss. Auch das werden wir vermutlich noch herausfinden.

Ich frage sie, ob alles mit ihr in Ordnung sei. Sie lächelt mich an. Es ist nicht dieses typische Lächeln, welches einem sagt: „Danke, dass Sie mich gerettet haben.“ Es ist ein nervöses Lächeln. Irgendwie verbunden mit Furcht. Dennoch komme ich mir vor, als sei ich ihr Held.

Der leichte Anstieg von Angst in ihrem Gesicht macht sie irgendwie nur noch attraktiver. Wenn sie eine Lady wäre, könnte ich mich glatt in sie verlieben. Manchmal ist das Schicksal ungerecht.

Ich bitte sie, mit mir mitzukommen.

Wir gehen in Richtung Durham Street. Das ist etwas länger, doch etwas außerhalb des Viertels. Man weiß ja nie. Ich kann nicht vorsichtig genug sein.

Natürlich gehen wir in ein Hotel. Es gibt ein kleines schmuckes Hotel, in dem ich mich mit den Frauen meistens treffe. Natürlich gibt es mehrere Orte, an denen ich mich niederlasse. Immer am gleichen Ort zu bleiben ist erfahrungsgemäß nicht klug. Erst neulich gab es einen Zwischenfall.

Wir gehen in eine dunkle Seitengasse. Sollte ganz nach ihrem Geschmack sein. Meinen trifft es jedenfalls. Es ist kein Ritz und kein Hilton und das ist gut so. Es ist etwas abgelegen. Der Hotelier weiß natürlich, was sich in seinen Zimmern manchmal abspielt. Im Ritz oder Hilton könnte man nicht einfach für ein paar Stunden ein Zimmer mieten. Und für meine Zwecke reichen nun einmal ein paar Stunden. Manchmal auch weniger. Kommt darauf an, wie ich aufgelegt bin und wie mein Tag war. Dieser Tag war besonders gut.

Größtenteils sind die Zimmer schäbig. Aber ich habe ein Zimmer gemietet, auf die Dauer. Normalerweise ist das nicht üblich, aber es ist notwendig.

Ich habe den Hotelier natürlich reichlich für seine Diskretion belohnt. Mehr als er verlangt hätte. Er ist für seine fixe Miete sehr dankbar und verlangt auch deshalb keinen Namen von mir.

Das ist gut, denn ich lege nun einmal sehr viel Wert auf Diskretion und Anonymität.

Ich führe die Frau an der Hand und ich spüre, dass sie etwas nervös ist. Aber nicht so nervös, wie ich es gewohnt war. Das irritiert mich nun ein wenig. Sie versucht schon die ganze Zeit über, einen Blick auf mein Gesicht zu erhaschen. Ich spüre ihre Blicke. Sie wirkt angespannt. Vermutlich ist sie aber nur von meiner Präsenz beeindruckt und kann es nicht mehr erwarten bis wir da sind. Ja, meine Wirkung auf Frauen ist einfach umwerfend.

Aber ich habe anderes im Sinn, als mich mit ihrer mangelnden Nervosität und übertriebener Neugier zu befassen. Wir sprechen kein Wort miteinander. Ab und zu setzt sie zu einem Satz an, entschließt sich dann aber doch still zu sein. Wir sprechen also nicht. Wozu auch? Wir machen schließlich Geschäfte. Sie erweist mir ihre Dienste und ich werde sie angemessen dafür belohnen. Ich gebe ihnen immer das, was sie verdient haben.

Es beginnt stärker zu schneien, aber das ist nicht weiter schlimm. Bald würde über London eine weiße Pracht liegen. Wir sind ohnehin angelangt. Ein schummriges Licht beleuchtet die Rezeption. Der Gestank nach Urin und Schweiß dringt mir sofort in die Nase. Obwohl ich schon des Öfteren hier war, rümpfe ich immer noch die Nase. Meiner hübschen kleinen Freundin scheint es nicht viel auszumachen. Wahrscheinlich hat sie bereits häufiger solche Absteigen von innen gesehen.

Der Hotelier wirft uns einen flüchtigen Blick zu. Aber er sieht mich nicht direkt an. Das tut er nie. Und das macht ihn sympathisch für mich.

Mein Zimmer liegt im ersten Stock. Die Treppen sind genauso schlecht beleuchtet wie die Rezeption. Spinnweben ziehen sich über das dunkle Holzgebälk.

Ein wahrhaft geschmackloser, schäbiger Ort für einen Menschen, der Entspannung sucht. Aber ein perfekter Ort für mich.

Das Hotel verfügt im oberen Stockwerk noch über drei weitere Zimmer. Wenigstens sind die Wände dick. So hört man nicht das Gestöhne von schmierigen Typen und die übertrieben vorgetäuschten Orgasmen ihrer Schlampen.

Ich kümmere mich jedoch ohnehin nicht um andere, verfolge ich doch meine eigenen Interessen.

Den Schlüssel für das Zimmer habe ich stets bei mir. Es war lästig, ihn ständig an der Rezeption abzuholen und nur eine Frage des Preises, dass ich den Schlüssel behalten durfte.

Mein Zimmer ist abgedunkelt. Ich ziehe die Vorhänge immer zu. Eine Angewohnheit von mir. Ein Akt der Vorsicht sozusagen, obwohl das Zimmer einen Ausblick in den Hinterhof wirft und ich üblicherweise nur nachts herkomme.

Ich ziehe den Vorhang lediglich einen Spalt beiseite. Der Schein der Laterne im Hinterhof gibt mir das nötige Licht.

Ich weise meine Begleitung an, es sich auf dem Bett bequem zu machen. Das ist das erste, was ich zu ihr sage, seit wir losgegangen sind. Sie stellt keine Fragen. Kein Smalltalk. Das gefällt mir. Sie ist professionell.

Ich stehe mitten im Raum, eingehüllt vom Schatten, und beobachte sie, wie sie im Lichtschein ihren Mantel auszieht.

Blasses, künstliches Licht zeigt mir ihren Körper. Da ist wieder meine Erektion. Sie trägt nichts darunter. Lediglich einen Strumpfhalter. Keine Lady.

Sie entkleidet sich vollständig und ihr makelloser Körper räkelt sich auf dem Bett. Das weiße Laken verrutscht unter ihren Bewegungen.

Dieses kleine Luder erregt mich tatsächlich immer mehr. Sie scheint zu bemerken, dass mir das gefällt. Denn sie setzt sich auf, spreizt die Beine, leckt ihren Finger ab und liebkost ihre roten Brustwarzen. Sie gewährt mir einen Blick auf ihre rasierte Vagina, indem sie gekonnt den Lichtschein ausnutzt.

Mein Puls steigt an. Das wollte ich nicht. Noch nicht. Böses Mädchen.

Ich bewege mich langsam auf sie zu und sie beginnt an meiner Beule in der Hose zu streichen. Ihre Brustwarzen sind aufgerichtet. Sie wirft ihr langes blondes Haar in den Nacken und stöhnt. Als ob sie das erregen würde. Ich habe sie noch nicht einmal berührt.

Verdammte Schlampe. Wahrscheinlich macht sie das mit jedem Typen so.

Andere haben gewiss das Gefühl, dass sie Frauen tatsächlich nur mit ihrer bloßen Präsenz erregen. Dieselben Typen denken dann wahrscheinlich auch, sie könnten sie mit nur einer Berührung zum Kommen bringen.

Im Endeffekt sind es zwei Minuten Sex, weil sie keine Selbstbeherrschung haben. Und sie sind um fünfzig bis hundert Pfund ärmer. Manchmal mehr, manchmal weniger.

Aber mit mir kann sie das nicht machen. Ich weiß ja, was mit solchen Frauen zu tun ist. Solche Frauen, die für Geld die Beine breit machen und sich für einen Batzen dazu eine Krankheit einfangen und diese dann auch noch verbreiten.

Ich greife ihre erstaunlich feste Brust und knete sie. Sie stöhnt nun noch mehr, scheint aber dennoch nicht ganz bei der Sache zu sein. Ihr Blick wandert immer wieder durch den dunklen Raum. Mich ekelt es. Sie beleidigt meine Intelligenz.

Niemand beleidigt mich.

Ich knete weiter und lasse sie noch stöhnen. Schließlich soll sie nicht ganz umsonst hier sein.

Sie zerrt an meinem Mantel. Vermutlich will sie es schnell hinter sich bringen. Aber ich werde es langsam tun. Ganz langsam.

„Ich will dein Gesicht sehen“, sagt sie. Das glaub’ ich ihr. Aber noch ist es nicht soweit. Mein Gesicht ist immer das Letzte, das sie von mir zu sehen bekommen. Es ist das Letzte, das sie überhaupt zu sehen bekommen. Sie sollen sehen wer ihre Seelen erlöst.

Ich öffne meinen Mantel. Sie will sich gerade hinlegen, als sie wie erstarrt auf die Innenseite blickt. Ja, das hat den kleinen besoffenen Messerstecher von vorhin auch erschreckt. Es erschreckt sie alle.

Ich grinse sie an und mit einem Mal verwandelt sich ihr lasziver Blick in eine angsterfüllte Fratze. Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Ihre Mimik war wie ihr Stöhnen – nicht echt. Und ich kenne den Unterschied zwischen Todesangst und keiner Angst. Für gewöhnlich haben sie immer Angst, wenn sie meinen Freund sehen. Und ich spreche hier von meinem metallischen Freund.

Ich greife nach meinem Liebling, der nun silbern funkelt und sie will schreien. Aber sie kann nicht, weil ich ihr mit meiner linken Hand die Kehle zudrücke.

Ihre Augen ragen leicht aus ihren Höhlen unter dem Druck. Jetzt beginnt meine Show.

Jetzt beginne ich zu stöhnen.

Doch mein Instinkt sagt mir, dass hier etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Ich kann es nicht genießen, fühle mich beobachtet. Meine Erektion geht zurück. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster und sehe drei schwarze Autos draußen stehen. Die waren vorher noch nicht da.

Der verdammten Schlampe quellen unter meinem eisernen Griff die Augen beinahe raus. Ich will sie schnell töten und von hier verschwinden. Mein Instinkt sagt mir, dass ich verschwinden muss. Ich halte ihr das Messer an den Hals. Ich weiß immer, wo ich zustechen muss. Plötzlich klopft sie mit der Faust und letzter Kraft drei Mal an die Wand.

Die Tür springt auf und ich stehe im Rampenlicht. Wortwörtlich. Der Schein von unzähligen Taschenlampen blendet mich. Ich vernehme ein Stimmengewirr. Irgendjemand brüllt, ich solle das Messer fallen lassen. Ein anderer ist höflicher und gibt sich mir erst einmal zu erkennen. Scotland Yard.

Kapitel 2

Zehn Wochen vorher

Duncan McGregor schnellte mit einem Ruck in die Höhe, als er vom nervtötenden Geräusch seines Handys geweckt wurde. Er fluchte, als er in der Dunkelheit danach tastete und es vom Nachtkästchen wirft.

Ein nostalgisches Ring Ring erklang nun von irgendwo am Boden. Dazu tanzte rhythmisch in der Finsternis das blaue Licht seines Displays und erhellte zuckend sein Schlafzimmer.

Duncan fluchte erneut und griff danach.

„Ja … McGregor“, sagte er mürrisch und genervt ins Telefon, nachdem er es doch noch gefunden hatte.

„Durward Street? In Ordnung. Geben Sie mir wenigstens eine halbe Stunde bis fünfundvierzig Minuten. Es ist mitten in der Nacht.“ Duncan beendete das Gespräch und blieb einen Moment im Bett liegen. Er blickte auf das Display. 4:00 Uhr morgens.

McGregor atmete tief durch, stöhnte und fuhr sich mit der Hand durch seinen schwarzen Schopf.

Er ging ins Bad und drehte die Dusche heiß auf. Bevor er sich seine Bettwärme erhalten wollte, schaltete er die Kaffeemaschine an. Ohne Kaffee ging McGregor nie aus dem Haus. Einsatz oder nicht.

Sein Appartement in Whitcomb lag im Herzen von London. Die Durward Street liegt im East End. Aber an diesem Morgen machte ihm der Verkehr keine Sorgen. Sonntagmorgens um 4:20 war kein Mensch auf der Strasse. Abgesehen von Betrunkenen und sonstigen nachtaktiven und zwielichtigen Gestalten.

Duncan fuhr zügig durch die Straßen und Neil Young sang ihm dazu leise sein Heart of Gold. Ein Balsam für seinen Kopf, der nun nur noch leicht in den Schläfen pochte. Solange lebte er bereits in dieser Stadt und diente dem Scotland Yard. Nun schien sich all der Stress und wenige Schlaf zu rächen. Und das in Form von rasenden Kopfschmerzen. Gestern Nacht musste er früher von der Arbeit gehen, weil er nicht einmal mehr die Buchstaben auf den Berichten lesen konnte. Nach zwei Aspirin, einem kräftigen Schluck Scotch zum Nachspülen und einer Schlaftablette wurde der Schmerz erträglicher. Er schaffte es gerade noch ins Schlafzimmer. Sonst wäre er vermutlich noch im Wohnzimmer auf den Fußboden geknallt.

Es war eine nebelige Nacht. Ein typisch britisches Wetter.

McGregor ließ die Scheibe ein Stück hinunter und zündete sich eine Zigarette an. Er hustete und atmete die frische Nachtluft ein.