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Schweigen ist Gold, denn wer redet, muss sterben..
Der Partner der ehemaligen Kriminalkommissarin Svea wird erhängt in seiner Wohnung aufgefunden.
Als seine Halskette, mit der er beerdigt wurde, zufällig an einem anderen Tatort auftaucht, machen sie und sein Bruder Denny sich auf die Suche nach der Wahrheit.
War es Mord oder Selbstmord?
Je tiefer die beiden in diesem Fall ermitteln, desto weiter geraten sie in einen Teufelskreis aus Verschwörungen, Korruption und illegalem Handel.
“Eine fesselnde Geschichte über das Schweigen und seine Folgen!“
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Schweigen ist Gold
S.A. Serious
Text Copyright © 2018 S.A. Serious
Lektorat: Corinna Bischof
ISBN: 9781980922742
Kontakt: [email protected]
Facebook: packenderThrill
Instagram: S.A.Serious
Web: www.s-a-serious.de
Impressum: Müller Wasser & Wärme c/o S.A.Serious
Hauptstraße 26
87637 Seeg
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Für meine Familie, die mich so tatkräftig unterstützt und an mich geglaubt hat.
4
Prolog5
1. Kapitel6
2. Kapitel8
3. Kapitel10
4. Kapitel12
5. Kapitel14
6. Kapitel16
7. Kapitel19
8. Kapitel21
9. Kapitel23
10. Kapitel25
11. Kapitel27
12. Kapitel29
13. Kapitel30
14. Kapitel32
15. Kapitel34
16. Kapitel36
17. Kapitel38
18. Kapitel40
19. Kapitel42
20. Kapitel43
21. Kapitel44
22. Kapitel46
23. Kapitel48
24. Kapitel50
25. Kapitel52
26. Kapitel54
27. Kapitel56
28. Kapitel58
29. Kapitel61
30. Kapitel62
31. Kapitel65
32. Kapitel67
33. Kapitel69
Epilog71
Prolog
Üblicherweise beginnt eine Geschichte am Anfang, meine jedoch endet hier. Ich liege in einem bis zur Decke gefliesten weißen Raum, auf einem Tisch aus Edelstahl, wie man ihn aus der Gerichtsmedizin kennt. Über mir eine helle OP-Leuchte, die mich wahnsinnig blendet. Es ist kalt und ich bin nackt. An meinem rechten Arm liegt eine Infusion mit einem Medikament, das mich müde und schlappmacht. Mein Blick ist verschwommen und mir ist schwindelig. Dass ich hier liege, ist meine eigene Schuld. Ich konnte meiner Neugierde nicht widerstehen und bin so mit Vollgas in die Höhle des Löwen gelaufen, auf dessen Tisch ich nun liege. Um Hilfe rufen würde mich in dieser Situation nicht weiterbringen, es würde ja doch keiner hören und mich nur unnötig Energie kosten. Energie, die ich benötige, um einen klaren Gedanken zu fassen, wie und ob ich hier jemals wieder lebend rauskomme, um meine Geschichte zu erzählen.
1. Kapitel
Ein schrilles Piepsen erfüllte den ganzen Raum und riss Svea schlagartig aus ihren wohligen Träumen zurück in das kalte Hier und Jetzt. Verschlafen blinzelte sie in die Richtung, aus der dieser schrille Ton kam. Der Wecker zeigte 3:30 Uhr, von draußen schien noch der Mond durch die Ritzen des Rollladens. Früh aufstehen war gar nicht nach Sveas Geschmack. Nicht mehr. Seit sie ihren Dienst bei der Polizei nach dem Selbstmord ihres Partners David quittiert hatte, bevorzugte sie einen regelmäßigen und strukturierten Tagesablauf. Zu viele Nächte, Feiertage und Wochenenden hatte sie sich bereits um die Ohren geschlagen und dabei Unmengen an Kaffee und Zigaretten konsumiert.
Seit sie von ihrem Trip quer durch Amerika zurück war, joggte sie jeden Morgen circa zehn Kilometer, hatte das Rauchen aufgegeben und ihren Kaffeekonsum stark eingeschränkt. Wäre David noch am Leben, er würde sie nicht wiedererkennen.
Früher war sie eher unsportlich und zog einen guten schnellen Burger in einem Fast Food Restaurant jedem Salat vor. David war da eher das Gegenteil. Er joggte täglich und nahm dreimal die Woche Unterricht im Kickboxen. „Wer weiß, wann man das einmal gebrauchen kann. Du solltest mitkommen, dann lernst du, dich in schwierigen Situationen zu verteidigen“, predigte er ihr immer. „Ach was, wofür habe ich denn eine Waffe? Und im Zweifelsfall habe ich dich dabei, und so ganz unsportlich bin ich ja auch nicht. Bisher habe ich noch jeden eingeholt, dem wir nachlaufen mussten“, hatte sie dann immer geantwortet und ihm zugezwinkert.
Doch heute fiel der Frühsport aus, es war lediglich Zeit für einen Shake aus Orangensaft und einem rohen Ei. Viel Auswahl hätte sie sowieso nicht gehabt, zum Einkaufen war in den letzten Tagen keine Zeit. Sie stürzte sich noch immer am liebsten pausenlos in ihre Arbeit. Ihr Privatleben war wenig aufregend, bis auf ein paar Treffen mit Bekannten passierte da nicht wirklich etwas. Familie hatte sie keine mehr, und einen Lebensgefährten gab es derzeit auch nicht. Ihre Freunde rieten ihr immer dazu, sich wieder einmal mit Männern zu verabreden, vielleicht einmal zu einem Speeddating zu gehen, oder sich auf einer Partner-Website anzumelden. Doch das war ihr zu blöd. Es passte ganz und gar nicht zu ihr und wenn, was sollte sie denn den Männern erzählen, wenn sie fragten, was sie in ihrer Freizeit so machte? Da würde sich ja jeder gleich auf dem Absatz umdrehen und die Flucht ergreifen. Sie fand, dass sie dafür viel zu abgewrackt war. Zudem fehlte ihr nichts, also BASTA!
Seit ihrer Rückkehr hatte Svea eine eigene kleine Detektei eröffnet, mit dem Geld, das sie vor drei Jahren von ihrem Vater geerbt hatte. Die beiden waren zu Lebzeiten ein Herz und eine Seele. Er war selber Polizist und wahnsinnig stolz, als Svea den gleichen Weg einschlug. Er arbeitete im selben Revier wie sie und stellte damals die Weichen, als sie sich um die Ausbildungsstelle bewarb. Nur ein Jahr arbeiteten die beiden zusammen, ehe er in Rente ging. Dass seine Tochter seine Arbeit weiterführte, war ein gutes Gefühl für ihn. Am Abend saßen sie beide oft zusammen im elterlichen Wohnzimmer, und Svea erzählte von ihrem Arbeitstag. Sie glaubte, wenn sie das tat, fühlte ihr Vater sich so, als wäre er mit seiner Pensionierung noch nicht völlig ausgeschieden. Darum nahm sie sich täglich die Zeit dafür. Als er immer kränker wurde und nach einer Weile nicht mehr sprechen konnte, erzählte nur noch sie ihre Geschichten und hoffte, dass er noch ein wenig davon mitbekommen würde. Als sie, einige Zeit nach seinem Tod, schließlich bei der Polizei aufhörte, hatte sie deswegen große Gewissensbisse. Doch alles andere hätte sie mit der Zeit nur innerlich aufgefressen.
Ihr erster Auftrag ließ nicht lange auf sich warten. Sie sollte einen reichen Unternehmer im Auftrag seiner Ehefrau beschatten. Sie befürchtete, dass er sie mit seiner Sekretärin betrügen würde.
Anscheinend hatte sich die Werbung, zu der sie sich von einer Freundin hatte breitschlagen lassen, wirklich etwas bewirkt. Beziehungsfälle, bei denen die „Erstehefrauen“ befürchteten, ihre Männer würden sie allmählich durch ein „jüngeres Modell“ ersetzen, kannte man ja aus den vielen Klatschzeitschriften, die Svea allerdings verschmähte. Es sei denn, sie saß beim Arzt und hatte keine andere Möglichkeit, sich während der Wartezeit zu beschäftigen. Dieser Auftrag war heute auch der Grund, der sie so früh am Morgen aus dem Bett zwang.
Der Unternehmer wollte in einer Stunde zu einer Geschäftsreise aufbrechen, die aber seine Frau für ein romantisches Wochenende mit seiner Geliebten hielt.
Svea warf einen flüchtigen Blick in den Badezimmerspiegel, ehe sie sich einen schwarzen Kapuzenpulli überzog, strich sich einmal durch die braunen schulterlangen Haare, und band diese zusammen. Mit ihren 1,68 Meter und den 58 Kilogramm lag sie genau im Normbereich für Frauen im Alter von Mitte 30. Sie selbst würde sich mit ihren blau-grauen Augen und den Grübchen als eher unauffällig und durchschnittlich beschreiben, was in ihrem aktuellen Beruf von großem Vorteil war. So konnte sie sich ohne große Mühe fast überall unauffällig bewegen wie ein Chamäleon.
Sie legte nicht viel Wert auf Kosmetik und teure Kleider so wie andere Frauen in ihrem Alter. Sie bevorzugte den einfachen und lässigen Look, in dem sie sich problemlos bewegen und auch einmal rennen konnte, wenn es die Situation erforderte. Was nicht bedeutete, dass sie sich nicht pflegte. Aber lackierte Zehennägel, Maniküre oder Wellnesstage waren nicht so wirklich ihr Ding. Sie war auch ungeschminkt ansehnlich und ihrer Meinung nach war sie auch ohne hochhackige Schuhe groß genug. Zumal Turnschuhe sowieso viel bequemer waren und man von denen auf Dauer auch keine hässlichen Füße bekam.
Jedoch wusste sie sich in Gegenwart von Männern zu beweisen, und sie, wenn nötig, zu ihrem Vorteil um den Finger zu wickeln. Weshalb sie bereits im Polizeidienst an einige Informationen kam, die sie dieser Stärke zu verdanken hatte.
Nach ihrer letzten Beziehung, die kurz nach dem Tod ihres Vaters endete, gab es nur noch hier und da einmal eine flüchtige Bekanntschaft. Nichts Ernstes und vor allem niemand, dem sie sich hätte anvertrauen wollen. Ihr Job mit den unregelmäßigen Arbeitszeiten und den ganzen negativen, teils grausamen Geschichten, die sie erlebte, ließ ohnehin keine gesunde und gefestigte Beziehung zu. Die meiste Zeit verbrachte sie sowieso auf der Dienststelle, in einem Pkw zusammen mit David während irgendeiner Observation oder im Flugzeug auf dem Weg zu einem neuen Fall. Alles in allem eine ziemlich unbeständige Lebensweise. Wieder einmal durchfuhr sie diese innere Leere, die mit dem Tod ihres Kollegen kam und seither wie Pech an ihr klebte.
Zehn Minuten später stand Svea im Morgengrauen auf dem Bürgersteig vor ihrem alten VW-Käfer. David hatte sie immer wegen des alten Autos aufgezogen. Er fuhr immer die neuesten Fahrzeuge und hatte überhaupt nichts für den emotionalen Wert ihres alten schwarzen PKWs übrig.
Er war etwas in die Jahre gekommen, hier und da ein bisschen Rost, die Gangschaltung ging etwas schwer und die Sitze, vor allem der auf der Fahrerseite, waren durchgesessen. Trotzdem, es war ihr erstes Auto und es war ihr bis heute lückenlos treu.
Sie stieg ins Auto, das wie üblich ein bisschen muckte, und macht sich auf den Weg Richtung Stadtmitte.
2. Kapitel
Draußen war es noch stockdunkel, als Denny die Rettungswache betrat. Im Inneren war es noch dunkel und leise. Entweder schliefen die Kollegen von der Nachtschicht noch, oder sie waren noch immer unterwegs. Er schaute kurz in die große Garage, in der alle drei Rettungswagen nebeneinanderstanden.
Ein Blick auf die Einsatzlisten verriet ihm, dass die Nacht recht ruhig verlaufen war. Lediglich ein Krankentransport um zwei Uhr war eingetragen. Denny schmunzelte ein wenig. Nächtliche Krankentransporte waren eine recht unbeliebte Sache unter den Kollegen auf der Wache. Man war immer froh, wenn man davon verschont blieb. Meist waren es Bagatellen, die schon über mehrere Wochen bestanden, den Patienten nun aber zu dieser unmenschlichen Uhrzeit so dermaßen quälten, dass er nicht mehr bis zum Morgen warten konnte oder wollte, um dann den Hausarzt aufzusuchen. Ein Taxi oder Angehöriger kam dann anscheinend auch nicht infrage, sodass man lieber einen Rettungswagen dafür blockierte. Die Krankenkasse zahlte die Rechnung ja sowieso und die Mitmenschen, die die Hilfe der Sanitäter vielleicht eher benötigen könnten, waren uninteressant in einer Welt, in der sich jeder selbst der Nächste war.
Er beschloss, in die Küche zu gehen und für sich und die Kollegen Kaffee zu kochen. Kaffee galt im Rettungsdienst als schwarzes Gold. Die meisten tranken innerhalb einer Schicht mindestens sieben bis zehn Tassen davon, sei es, um morgens aus dem Bett zu kommen oder die Nächte durchhalten zu können. Es war wie eine Droge und wehe dem, der die letzte Tasse trank und nicht für den Nachschub sorgte. Dann brach ein Aufstand aus.
Siebzehn Jahre war er nun schon als Notfallsanitäter im Dienst. Siebzehn Jahre, in denen er alles Erdenkliche gesehen hatte. Manchmal gab es etwas zu lachen, ein anderes Mal musste er sich die Tränen verkneifen und immer gab es am Ende etwas zum Nachdenken.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand ging er zum Küchentisch, um die morgendliche Zeitung zu lesen und zu warten, bis die Kollegen aufstanden und die Übergabe machten, um dann endlich in den verdienten Feierabend zu ziehen.
Doch heute Morgen war Denny dies nicht vergönnt. Er las gerade einmal die Überschrift der Titelseite, als der Hausalarm schrillend zu läuten begann. Üblicherweise hatte jedes Fahrzeug seine eigenen Funkmelder, über die sie im Alarmfall an gepiepst wurden. Der Hausalarm war nur für Einsätze gedacht, die alle Besatzungen betrafen.
Denny horchte auf, als es durch die Lautsprecher tönte: „Einsatz für die RTW 1/21, 1/22 und 1/23 Großbrand Stadtmitte, Feuerwehr fordert mehrere Rettungswagen und Notarzt zur Absicherung. Genaueres folgt.“
Inzwischen waren auch die restlichen Kollegen der neuen Schicht eingetroffen und stürmten mit Denny zusammen in die Garage zu ihren jeweiligen Fahrzeugen, auf denen sie eingeteilt waren. Auf den dortigen Car-PCs erfolgten nun genauere Anweisungen und Angaben zum Geschehen. Es handelte sich wohl um einen Großbrand in einem gehobenen Wohnblock in der Stadt.
An der Einsatzstelle herrschte ein Betrieb wie in einem Ameisenhaufen. Überall blinkten blaue Lampen von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst. Die Löscharbeiten waren in vollem Gange und Denny und seine Kollegin mussten erst einmal nach dem Einsatzleiter suchen, ehe sie in das Geschehen eingreifen durften.
Dieser führte die beiden Sanitäter durch einen Hintereingang in eine bereits gelöschte Wohnung im Erdgeschoss des Gebäudes. Im Eingang standen zwei große laute Lüfter, die den restlichen Rauch aus der Wohnung bliesen. Rauch war keiner mehr in der Wohnung, aber es stank an gekokelt und die Wände und Möbel waren voller Ruß. Außerdem bedeckte den Boden eine zentimetertiefe Pfütze aus Löschwasser, die sich durch die ganzen Räume zog. Bei diesem Anblick konnte man nur hoffen, dass der Bewohner ausreichend gut versichert war, denn die komplette Einrichtung war völlig hinüber.
Am Einsatzort angekommen, waren bereits ein Notarzt und sein Fahrer vor Ort. Der Fahrer hieß René und zählte zu den Urgesteinen der Rettungswache. So lange Denny zurückdenken konnte, war René auf der Wache. Selbst als er noch seinen Zivildienst ableistete, war der stämmige Sanitäter schon angestellt und sah damals bereits aus, als würde er in den kommenden Jahren in Rente gehen. Er traute sich nie, ihn nach seinem genauen Alter zu fragen, aber er war auf jeden Fall schon so lange im Dienst, dass selbst die jüngeren Notärzte auf seinen Rat hörten.
Als der Fahrer die beiden Sanitäter erblickte, gab er ihnen gleich mit einer unauffälligen Handbewegung zu erkennen, dass es sich bei dem Patienten um einen Verstorbenen handelte. Für Denny war es in dieser Woche schon der Dritte, zu dem er kam und nichts mehr machen konnte.
Er war es gewohnt, dass er in verschiedenen Situationen einfach nichts mehr tun konnte, weil es schlichtweg zwecklos war. Oft waren die Personen entweder vorher schon so krank gewesen, dass ihr Tod eher eine Erlösung schien, oder sie lagen schon Tage oder auch Wochen in ihrer Wohnung, weil sie keine Verwandten mehr hatten, denen ihre wochenlange Abwesenheit aufgefallen wäre.
Schlimmer war es da bei jungen Patienten, die der Tod einfach so unerwartet aus dem Leben riss. Familienväter, die beim wöchentlichen Rasenmähen plötzlich tot umfielen, oder junge sportliche Frauen, die zuvor nie über irgendwelche Beschwerden klagten und plötzlich und völlig unvorhergesehen an einer Embolie starben. Und natürlich jene, die nicht an gesundheitlichen Problemen starben, sondern sich das Leben nahmen, wie sein Bruder.
Die junge Tote, die vor ihnen lag, war etwa fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Jahre alt, mittelgroß, schlank, hatte blonde kinnlange Haare und war, wie die Reste der Möbel und die Wohnung vermuten ließen, recht gut situiert.
Die Todesursache war auf den ersten Blick nicht gleich zu erkennen. Zumal sie wie der Rest der Wohnung doch recht stark mit Ruß verschmutzt war. Ein paar blutige Kratzer an Armen und Gesicht waren die einzigen Verletzungen, die auf den ersten Blick ins Auge sprangen. Dennys Kollegin Sarah legte der jungen Frau, die in etwa in ihrem Alter war, auf Anweisung des Notarztes ein EKG an, damit dieser sich von deren Tod überzeugen und diesen vorläufig bescheinigen konnte.
Viel war für die vier vom Rettungsdienst hier nicht mehr zu machen, den Rest würde die Polizei übernehmen oder der Bestatter, je nachdem, ob sie von der Polizei gleich vor Ort freigegeben würde. Doch damit hatte Denny nichts mehr zu tun.
Im Hinausgehen sah er plötzlich im Augenwinkel eine Kette auf der Garderobe im Flur liegen. Beim Eintreten war sie ihm wegen der ganzen Eindrücke gar nicht aufgefallen. In der Regel achtete er nicht auf solche Dinge, doch das Licht fiel zufällig so auf den Anhänger, dass er auffällig glänzte. Wäre es eine gewöhnliche Halskette gewesen, wäre er wahrscheinlich weitergegangen - doch diese erregte seine Aufmerksamkeit. Sie kam ihm bekannt vor, und als er sie aufhob, um sie näher zu betrachten, durchfuhr es ihn wie ein Schlag.
3. Kapitel
Svea saß nun eine Stunde in ihrem Auto und beobachtete den der Untreue verdächtigten Ehemann. Nicht immer hatten die Ehefrauen Recht, wenn sie ihren Männern eine Affäre nachsagten. Manche Männer gingen auch einfach in einen Strip-Klub und schauten sich die Mädels dort nur an, um sich quasi Appetit für zu Hause zu holen. Andere trieben irgendwelche zwielichtigen Dinge, in die sie die Ehefrau nicht mit hineinziehen wollten. Und wieder andere waren einfach nur froh, wenn sie einmal etwas Zeit für sich hatten. Manchmal waren es auch wirklich Geschäftsreisen oder Meetings, die länger dauerten. Dennoch hatten Frauen oft einen guten Sinn dafür, wenn etwas nicht stimmte. Männer waren da eher blind. Sie waren nicht gleich skeptisch, wenn die Frau einmal länger weg war. War sie halt noch bei der Maniküre, oder es war mehr Betrieb im Supermarkt. Solange es im Bett und auf dem Esstisch stimmte, wurden Männer nicht skeptisch.
Als er endlich sein Haus verlassen hatte, war Svea ihm eine ganze Weile quer durch die Stadt hinterhergefahren. Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt er endlich vor einer Villa in einem kleinen Nebenort an.
Die Villa war sehr gepflegt und hatte einen beachtlichen Vorgarten, mit Figuren aus weißem Marmor und Buchshecken, die in verschiedene Formen zugeschnitten waren. Die Fenster waren mit dunklen, dicken Vorhängen zugezogen, sodass ein Blick ins Innere unmöglich war. Svea wunderte es, dass die Sekretärin des Verdächtigen in einer so edlen Wohngegend zu Hause war. Entweder hatte sie einen sehr gut betuchten Ehemann, was nicht zu ihrem Job passen würde, denn immerhin arbeiteten die Ehefrauen solcher Männer selten bis nie, oder es handelte sich hier nicht um das Anwesen der Dame.
Die Haustür öffnete sich, und der Geschäftsmann wurde von einem recht attraktiven Mann Mitte vierzig begrüßt. Natürlich dokumentierte sie alles mit ihrer neuen Spiegelreflexkamera, die sie sich extra dafür zugelegt hatte; ihre Klienten bezahlten schließlich für Beweise und nicht für irgendwelche Geschichten.
Als der verdächtige Ehemann nach einer Stunde noch immer nicht wieder aus dem Haus kam, beschloss sie, sich die Villa von Nahem anzusehen. Von außen wirkte sie nicht auffällig. Immerhin standen in der Nachbarschaft nicht weniger gepflegte und große Villen. Sie stand lediglich etwas abgelegener am Ende der Straße. Das Klingelschild war unbeschriftet, sodass Svea nicht erkennen konnte, wer der Bewohner dieses Anwesens war. Das einzig Auffällige waren lediglich vier andere Fahrzeuge, die ebenfalls in unmittelbarer Nähe des Hauses geparkt waren. Alles größere Limousinen. Klar war man in dieser Gegend hochpreisige Fahrzeuge gewohnt und erwartete auch nichts anderes. Doch es waren zu viele für einen einzigen Haushalt, und es war früh am Morgen, was eher ungewöhnlich war. Ein Meeting schloss Svea aus, denn so früh traf man sich selten in Privathäusern zu einer Besprechung. Da bevorzugte man doch eher einen der Konferenzräume in der Firma. Für einen Empfang oder eine Gala hingegen war es schon zu spät. Die fanden eher am Abend statt und endeten um diese Uhrzeit. Zudem gab es dabei keinen Grund, die eigene Ehefrau nicht mitzunehmen oder gar zu belügen. So kam sie jedenfalls nicht weiter.
Svea beschloss sich, hinters Haus in den Garten zu schleichen, in der Hoffnung auf ein Fenster, das nicht durch dicke, dunkle Vorhänge verschlossen war. Der Garten war noch prächtiger als der Vorgarten und ebenfalls sehr gepflegt. Es gab sicherlich einen Gärtner, der dafür zuständig war. Eine Person alleine konnte gar nicht die Zeit aufbringen, um sich neben der Arbeit noch um diesen Garten zu kümmern. Ein Stück weiter hinten stand ein schönes Pool Haus mit einem Pool in der Größe, wie ihn Svea nur aus dem Freibad kannte. Man konnte diese Menschen schon beneiden. Sie hatten jeglichen Luxus, den man sich nur zu erträumen wagte, und um all das mussten sie sich nicht einmal selbst kümmern. Es musste sich wie Urlaub anfühlen, hier zu wohnen. Man kam von der Arbeit, setzte sich an den vom Personal gedeckten Tisch und konnte die Beine ausstrecken. Danach brauchte man nichts ab- oder aufzuräumen, sondern legte sich entweder an den hauseigenen Pool im paradiesischen Garten, oder traf sich mit Freunden zum Golf. Gut, die Männer arbeiteten sicher hart für diesen Luxus, aber die Ehefrauen durften dies mit Sicherheit bedingungslos genießen. Einzige Aufgabe war es, gut auszusehen, was dank Personal-Trainer und der modernen Chirurgie in der heutigen Zeit nicht mehr so schwer sein konnte. Doch wenn sie recht überlegte, aus welchem Grund sie gerade da war, nämlich wegen der Gefahr, dass man jederzeit gegen ein jüngeres Modell ersetzt werden konnte, dann war sie doch ganz froh mit ihrer Selbstständigkeit.
Svea hatte Glück, ein Kellerfenster mit einem Rost, der als Laubfang diente, bot ihr die Gelegenheit, einen Blick in das Innere der Villa zu erhaschen. Das, was Svea dort zu sehen bekam, war allerdings nichts, womit sie gerechnet hatte.
Es war ein Kellerraum, der zu einer beachtlichen Saunalandschaft umgebaut war. Man könnte sagen, dieses Haus war, auch wenn es von außen den Eindruck erweckte, kein gewöhnliches Wohnhaus. Es handelte sich hierbei eher um eine Schwulensauna. Besagter Ehemann ließ sich gerade von zwei jüngeren, gut gebauten Männern ordentlich verwöhnen.
Anscheinend lag die Ehefrau mit ihrem Verdacht nicht ganz falsch, nur handelte es sich hier nicht um die Sekretärin oder irgendeine andere junge Dame.
Das war mehr, als sie benötigte, um diesen Auftrag erfolgreich abzuschließen. Sie machte noch ein paar Fotos zum Beweis für ihre Auftraggeberin und verschwand dann schnellstmöglich.
Als sie davonfuhr, wurde es schon allmählich hell. Sie hatte Glück, dass sie die Dunkelheit noch recht lange hatte nutzen können, um nicht gesehen zu werden. Die Klientin würde sie morgen anrufen, sobald sie die Fotos ausgedruckt hatte. Im Moment hatte sie keinen Nerv für ein Drama und das würde es auf jeden Fall geben, wenn sie der Dame von dem Doppelleben ihres Mannes erzählte. Jetzt war es erst einmal Zeit, um im Park eine Runde zu joggen.
Auf dem Weg in den fünften Stock, in dem ihre Wohnung lag, klingelte Sveas Handy. Sie musste erst einmal in ihrer Tasche danach kramen, ehe sie auf dem Display die ihr unbekannte Nummer erkennen konnte. Es war inzwischen neun Uhr und wahrscheinlich war es ein neuer Kunde, der ihre Anzeige in der Zeitung gesehen hatte und nun einen Termin mit ihr vereinbaren wollte.
Doch am anderen Ende war kein potenzieller Kunde. Die Stimme am anderen Ende der Leitung war eine, mit der sie absolut nicht gerechnet hatte …
4. Kapitel
Mit zitternden Händen wählte Denny die Nummer, die er zuvor im Telefonbuch nachgeschlagen hatte. Er war noch immer ganz durcheinander von dem letzten Einsatz, bei dem er die Halskette fand. Er hatte sie mitgenommen, in einem Moment, als keiner hingesehen hatte. Er wusste, dass er sich damit strafbar machte, aber er brauchte sie und redete sich ein, dass der Zweck in diesem Fall die Mittel heiligte. Er saß im Büro der Wache und wartete auf ein Freizeichen in der Leitung. Nach einer Weile, die ihm endlos vorkam, meldete sich auf der anderen Seite der Leitung endlich eine vertraute Frauenstimme.
Es war Svea, die ziemlich verwundert auf seinen Anruf reagierte. Denny und sie kannten sich eine Ewigkeit, noch lange bevor sein Bruder und sie zu Partnern im Polizeidienst wurden. Sie hatten sich kurz nach ihrer Ausbildung bei einem ihrer gemeinsamen Einsätze kennengelernt. Svea fuhr damals Streife. Das war der übliche Weg aller jungen Polizeianwärter, ganz egal, welche Richtung sie bei der Polizei einschlagen wollten. Sie mussten sich erst eine Weile im Streifendienst beweisen.
Eine Weihnachtsfeier in einem Motorradklub war damals zu einer ordentlichen Kneipenschlägerei ausgeartet. Sie waren die Erst-Eintreffenden und hatten versucht, Herr über die Lage zu werden, was ihnen leider erst mit dem Nachfordern von drei weiteren Streifenwagen gelang. Svea schnitt sich während der Festnahme eines Klubmitglieds an einem Bierkrug und bat Denny im Anschluss um etwas Verbandsmaterial. Sie waren sofort auf einer Wellenlänge, wahrscheinlich weil sie beide noch recht unerfahren in der Art solcher Einsätze waren.
Mit den Jahren wurde ihre Zusammenarbeit immer runder. Irgendwann hatte Svea sogar die eine oder andere Ersthelfermaßnahme von ihm gelernt, und wusste sich auch vor seinem Eintreffen gut zu helfen. Sie trafen sich nach Dienstende des Öfteren einmal auf ein Bier und erzählten sich dann von ihren Einsätzen der vergangenen Schicht.
Als sie dann zur Kripo wechselte, sahen sie sich nicht mehr so oft. Ihre Dienstpläne waren immer sehr unterschiedlich. Schließlich heiratete Denny und gab sich den Aufgaben eines Familienvaters hin, sodass der Kontakt abbrach. Vergessen hatte er Svea aber nie und er hoffte, bei ihr würde es genauso sein. Auf der Beerdigung seines Bruders hatten sie sich kurz gesehen, aber zum Reden kamen sie nicht. Es waren viel zu viele Leute vor Ort, die ihm alle ihr Beileid bekunden wollten, sodass Svea bereits weg war, als er endlich zur Ruhe kam. Und dann quittierte sie ihren Dienst und reiste durch die Welt, sodass er nicht wusste, ob er nicht alte Wunden aufreißen würde, wenn er sie anrief.
Doch jetzt hatte er keine andere Wahl, Wunden hin oder her, er musste sie jetzt anrufen und sie um Hilfe bitten. Sie war die Einzige, die ihn jetzt verstehen und ihm hoffentlich auch weiterhelfen konnte.
„Hallo?“, klang es aus dem Hörer und riss Denny aus seinen Gedanken. Er holte tief Luft und begrüßte sie vorsichtig. „Hallo Svea, ich bin's, Denny. Ich habe etwas gefunden, was ich dir unbedingt zeigen muss. Können wir uns treffen?“, fragte er mit rauer Stimme.
Auf der anderen Seite der Leitung war es totenstill. So lange, dass er sich nicht sicher war, ob sie noch dran war oder aufgelegt hatte, weil sie dieses Kapitel längst abgeschlossen hatte. Als Svea ihre Sprache wiederfand, war ihr deutlich anzuhören, wie erstaunt sie über Dennys Anruf war. Dennoch fackelte sie nicht lange herum und erklärte sich zu dem Treffen bereit, auch ohne zu wissen, worum es eigentlich ging. Svea wusste, wenn Denny nach so einer Weile bei ihr anrief, mit dem Argument, er müsse ihr unbedingt etwas zeigen, dann war es wichtig.
Eine Stunde später saß Svea in einem kleinen Café neben ihrer alten Dienststelle. Ihr gegenüber saß ein sichtbar nervöser Denny. Er hatte sich kaum verändert. Er war noch immer sehr attraktiv mit seinen 1,95 m und dem dichten schwarzen Haar. Die Ähnlichkeiten zu seinem jüngeren Bruder waren nicht zu verheimlichen. Doch man sah ihm an, dass irgendetwas an ihm nagte.
„Reden wir nicht lange um den heißen Brei. Der Grund, warum ich dich angerufen und um Hilfe gebeten habe, ist das hier“, sagte Denny und legte die Kette mit dem auffälligen Anhänger auf den Tisch. Svea erstarrte, als sie sie sah. Es war jene Silberkette, die David zu Lebzeiten ununterbrochen mit Stolz trug. Er legte sie nie ab, weil sie ein Geschenk seines Großvaters war, wie sie wusste. Er hatte ein sehr enges Verhältnis zu seinem Großvater, enger als Denny, worauf er immer etwas eifersüchtig war.
„Woher hast du die?", stammelte Svea überrascht. „Die habe ich gestern nach dem Brandfall in einer Wohnung in der Stadtmitte gefunden“, antwortete er.
Eine Weile starrten beide auf die Kette. Es gab keinen Zweifel daran, dass dies Davids Kette war. Doch wie kam diese in die Wohnung der unbekannten Frau? Wie kam sie an die Kette, mit der der junge Polizist beerdigt wurde? In welchem Verhältnis stand sie zu ihm? Weder Svea noch Denny hatten die Frau jemals zuvor gesehen, und an der Beerdigung war sie damals eindeutig nicht dabei gewesen.
Denny war der Erste, der das Schweigen brach. „Svea, du hast doch bestimmt noch Kontakte zur Kriminalpolizei. Wäre es möglich, diese spielen zu lassen, um mehr über das Opfer zu erfahren? Soweit ich weiß, wurde sie in die Gerichtsmedizin gebracht.“
Sie spielte noch eine Weile nervös an ihrer Tasse, bevor sie ihm antwortete. „Seit meiner Kündigung habe ich nicht mehr mit den Kollegen gesprochen, aber ich hatte sowieso einmal vor, auf einen Kaffee hinzufahren. Ich fahre gleich morgen hin und sehe, was ich in Erfahrung bringe. Sobald ich mehr weiß, rufe ich dich an. OK?“
Sie verabschiedeten sich mit einer flüchtigen Umarmung. Denny roch noch immer so gut wie früher, und Svea wurde etwas verlegen. Zum Glück sah er nicht, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Schnell verließ sie das Café und begab sich zu ihrem Auto. Es goss in Strömen und als sie das Auto erreichte, war sie nass bis auf die Haut.
Auf dem fünfzehnminütigen Heimweg dachte sie über die vergangenen Stunden nach. Davids Selbstmord war damals schon sehr rätselhaft. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass er sich das Leben nehmen würde. Es gab keine Anzeichen einer Depression, und abgesehen davon, dass er wie sie nicht viel von Beziehungen hielt und deshalb ebenfalls, mal hier mal da, eine flüchtige Bekanntschaft hatte, gab es keinen Grund, über den er hätte klagen können. Er war natürlich ein sehr eigener Mensch, der seinen Beruf immer an erster Stelle sah, aber das war noch lange kein Grund, sich das Leben zu nehmen.
Nachdem er am Morgen nicht zur Arbeit erschienen war, und auch auf mehrere Telefonanrufe nicht reagierte, begann sie sich Sorgen zu machen. Es war ungewöhnlich, dass er nicht zur Arbeit kam, ohne sich bei ihr abzumelden. Schließlich entschloss sie sich, in seiner Wohnung nachzusehen. Konnte ihm etwas zugestoßen sein? Sie fand ihn in seinem Wohnzimmer hängend. Den Knoten hatte er hinten am Hals, sodass er langsam erstickt war, was Svea wunderte. Er hatte in seiner Laufbahn so viel gesehen, dass er eigentlich wusste, wie man das richtig tat. Der Gerichtsmediziner bestätigte allerdings den Tod durch Erhängen und so wurde der Fall abgeschlossen.
5. Kapitel
Veit klopfte an der Tür seines Vorgesetzten. Er hatte gerade die Obduktion seines aktuellsten Falls abgeschlossen und wollte nun den Bericht beim Leiter des Ermittlungsteams Peer Stein abgeben. Ein genervtes „Ja?!?“ war von der anderen Seite der Tür zu hören. Veit trat vorsichtig ein. Peer saß an seinem Schreibtisch, der so voller gestapelter Akten lag, dass sich ein Normalsterblicher niemals darin zurechtgefunden hätte. Peer war wie die meisten in seiner Abteilung ein klassischer Workaholic. Die meiste Zeit verbrachte er mit seinem Job. Er war quasi mit ihm verheiratet. Gerade deshalb hatte er wahrscheinlich eine der besten Aufklärungsraten überhaupt. Er lebte seinen Beruf.
Veit war da nicht viel anders. Man könnte sagen, er war von seinem Job besessen. Er war schon immer von der menschlichen Anatomie angetan, hatte bereits in jungen Jahren sämtliche Enzyklopädien über den menschlichen Körper gewälzt und mit großer Begeisterung Krimis im Fernsehen verfolgt. Trotzdem war für ihn immer klar, dass er nicht mit lebenden Patienten arbeiten wollte. Seine Eltern waren beide Internisten mit eigener Praxis und deren Arbeitsfeld war so gar nicht nach Veits Geschmack. Ständig die üblichen Zipperlein von überwiegend älteren Patienten, Magen-Darm beziehungsweise Grippewellen oder sonstige Bagatellen, die ihn schon beim bloßen Gedanken daran zu Tode langweilten. Er mochte es lieber, auf die Suche nach der Todesursache zu gehen, den Körper Schicht für Schicht zu erforschen, dabei alles Erdenkliche über den Menschen auf seinem Tisch zu erfahren, und auch über das Handwerk von dessen Mörder. Verzwickte Fälle reizten ihn dabei besonders. Einmal hatte er einen Fall mit einem jungen Mann, der laut Leichenbeschauer vor Ort vermutlich an einem Herzinfarkt gestorben war. Bei der Obduktion konnte Veit dies allerdings nicht bestätigen. Der Mann war Sportler und hatte bis zu seinem Tod nie über Probleme am Herzen geklagt, geschweige denn irgendwelche sklerotischen Veränderungen am Herzen und den umliegenden Gefäßen gehabt. Der übliche Toxikologietest auf mögliche Gifte war ebenfalls negativ, und am restlichen Körper waren keine Verletzungen, Einstiche oder Sonstiges zu finden. Allerdings nahm Veit bei der Untersuchung des Mageninhaltes einen außergewöhnlichen Geruch wahr. Bei einem großen Test auf verschiedene pflanzliche Gifte fand er schließlich ein Gift im Organismus des Toten, das bei hoher Dosis zu einem plötzlichen Herzversagen führt. Es stellte sich heraus, dass die Ehefrau ihren Mann mit einer seltenen Pflanze aus dem eigenen Garten vergiftet hatte. Allerdings mischte sie ihm die Substanz nicht einfach unter sein Essen, sondern nahm die Äste der Pflanze als vermeintlichen Ersatz für Gyrosspieße, sodass die giftige Substanz beim Braten in das Fleisch zog. Sie wäre damit fast durchgekommen, wäre Veit nicht so vernarrt in die Suche nach der Todesursache gewesen. Er hatte sich förmlich an diesem Fall festgebissen und erst davon abgelassen, als er die Ursache gefunden hatte. Die Ehefrau verteidigte sich mit der Lüge, nichts über die Pflanze zu wissen und lediglich einen Ersatz für die Spieße im Hinterkopf gehabt zu haben. Allerdings fand man in ihrer Wohnung eine große Auswahl an Lektüren über Giftpflanzen, was demnach für sich selbst sprach.
Heute war Stein allerdings nicht alleine in seinem Büro. Svea, seine Ex-Kollegin saß auf einem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Veit kannte sie vom Sehen und wusste, dass sie ihren Dienst wegen des Selbstmordes ihres Kollegen quittiert hatte. Veit war damals noch in seinem praktischen Jahr, als David sich unerwartet das Leben nahm. Die Leiche wurde damals von Veits Vorgänger, einem rüstigen alten Gerichtsmediziner, untersucht. Veit schätzte diesen Kollegen. Immerhin war dieser bereits 40 Jahre lang in seinem Beruf tätig und zeigte ihm eine Menge Fertigkeiten, um auch kniffelige Fälle zu untersuchen. Allerdings war er schon ziemlich ausgebrannt und abgestumpft. Man sah ihm an, dass er reif für den Ruhestand war. Er wurde zunehmend nachlässiger und übersah allmählich einige Dinge. Am Ende unterschrieb der Alte nur noch wortlos Veits Berichte über die von ihm durchgeführten Autopsien.
Veit wich einen Schritt zurück, weil er sich nicht sicher war, ob er ungelegen kam. Doch Svea begrüßte ihn freundlich und Stein meinte: „Das trifft sich prima. Wir haben gerade von einem Ihrer Fälle gesprochen. Setzen Sie sich." Veit setzte sich verlegen. Er kam sich vor wie bei seinem Staatsexamen, als er vor mehreren Professoren in der mündlichen Prüfung saß und Rede und Antwort stehen musste. Er war nicht gerade sehr gesellig, deshalb war ihm die Arbeit mit den Toten auch so lieb. Sie sprachen nicht, stellten keine Fragen und setzten ihn auch nicht unter Druck – im Gegensatz zur aktuellen Situation.
„Sagen Sie, Sie haben doch den Fall Jaana Weiß untersucht, die Leiche vom Wohnhausbrand in der Stadtmitte.
