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Das Handbuch zur Gestaltung konstruktiver Gespräche Beratungs- und Kritikgespräche, Leistungsbeurteilungen und erst recht ernsthafte Aussprachen mit Alkoholabhängigen erfordern sorgfältige Vorbereitung, Feingefühl für die Situation und Wachsamkeit für Zwischentöne. Wie Führungskräfte, Teamleiter oder Mitarbeiter im Personalwesen schwierige Gespräche konstruktiv gestalten, demonstriert Karl Benien mit Beispielen aus seiner Beratungspraxis.
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Seitenzahl: 398
Veröffentlichungsjahr: 2020
Karl Benien
Modelle für Beratungs-, Kritik- und Konfliktgespräche im Berufsalltag
Mit einem Geleitwort von Friedemann Schulz von Thun
Das Handbuch zur Gestaltung konstruktiver Gespräche
Beratungs- und Kritikgespräche, Leistungsbeurteilungen und erst recht ernsthafte Aussprachen mit Alkoholabhängigen erfordern sorgfältige Vorbereitung, Feingefühl für die Situation und Wachsamkeit für Zwischentöne. Wie Führungskräfte, Teamleiter oder Mitarbeiter im Personalwesen schwierige Gespräche konstruktiv gestalten, demonstriert Karl Benien mit Beispielen aus seiner Beratungspraxis.
Karl Benien, geboren 1952 in Borken, Studium der Betriebswirtschaft und Psychologie. Gesprächstherapeut und Psychodramatherapeut (Ausbilder). Lehrbeauftragter am Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg und Mitglied im «Arbeitskreis Kommunikation und Klärungshilfe» unter der Leitung von Prof. Friedemann Schulz von Thun. Arbeitsschwerpunkte: Therapeutische Beratung und Coaching in eigener Praxis. Referent am IWL für die Zielgruppe: Trainer und Trainingsverantwortliche. Ausbildung von internen Trainern durch Inhouse-Seminare, Training von Mitarbeitern und Führungskräften.
MITEINANDER REDEN: Praxis
Herausgegeben von Friedemann Schulz von Thun
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, August 2020
Copyright © 2003 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Redaktion Wolfgang Müller
Covergestaltung Umschlag-Konzept: any.way, Hamburg Barbara Hanke/Heidi Sorg/Cordula Schmidt
Coverabbildung DrAfter123 / DigitalVision Vectors
ISBN 978-3-644-56331-5
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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www.rowohlt.de
Geleitwort | Friedemann Schulz von Thun
Vorwort
Einleitung
1 Psychologische Vorgänge in der zwischenmenschlichen Kommunikation
Das Kommunikationsquadrat
Ein Beispiel zum Kommunikationsquadrat aus dem Berufsalltag
Das Innere Team
2 Gesprächsführung
2.1 Allgemeiner Gesprächsverlauf (Überblick)
Sechs Aspekte der Vorbereitung
Besonderheiten im Kritikgespräch
Besonderheiten im Konfliktgespräch
Nachbereitung
2.2 Konflikte
Konfliktprophylaxe
Konfliktdiagnose
Doppel- und Mehrfachkonflikte
Konfliktvermeidung durch Verlagerung
Umgang mit Ärger und Aggression
Konfliktphasen
Das Konfliktklärungsgespräch
2.3 Beratung (Coaching)
Beratung als Führungsaufgabe
Führungskraft als Coach
Beratungsthemen und Anlässe
Beratungsgrundlagen
Kommunikationsprobleme in der Beratung
Das Beratungsgespräch
2.4 Kritik am Mitarbeiter
Das Kritikgespräch
2.5 Das Gespräch über berufliche Situation und Entwicklung
Vorbereitung
Hilfen zur Beurteilung einer Person
Das Mitarbeitergespräch
2.6 Teambesprechungen
3 Gespräche mit alkoholkranken Mitarbeitern und Kollegen
«Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren»
Gesprächsvorbereitung
Das Kritikgespräch als erstes Interventionsgespräch
Kurzfassungen zum Kopieren
Literatur
Friedemann Schulz von Thun
Dass wir miteinander gute Gespräche führen können, durch die wir in der Sache weiter- und einander menschlich näher kommen: Das ist eine Errungenschaft von höchstem Wert und größter Bedeutung auf Erden. Aber wann haben Sie zuletzt ein «wirklich gutes Gespräch» geführt, zu zweit oder in einer Gruppe, privat oder im Beruf? Es ist schon lange her? Ihnen fällt auf Anhieb keines ein?
Es scheint, dass der Mensch auf einer Stufe seiner Entwicklung steht, wo diese Errungenschaft zum Greifen nahe ist und doch noch häufig verfehlt wird. Dabei steht und fällt so viel damit, ob unsere Kontakte zielführend und unsere Beziehungen tragfähig sind, ob unsere Problemlösungen aus dem Dialog, bei dem die Wahrheit zu zweit beginnt, hervorgehen und ob wir überhaupt einen Draht zueinander finden. Jeder lebt auf seinem Stern, in seinem System von Welterfahrung, Deutungsmustern, Wirklichkeitskonstruktionen, Werten und Prioritäten. Aber es ist einsam auf diesem Stern, und ohne Kontakt und Begegnung gibt es kein Überleben, körperlich nicht und seelisch erst recht nicht.
Dies gilt auch und besonders dann, wenn es schwierig wird. Berufliche Kooperation und Wettbewerb sind keine Schönwetterveranstaltungen. Zwar hängt alles vom gelungenen Mannschaftsspiel ab, keiner kann das Spiel allein gewinnen. Aber der Mannschaftskamerad ist nicht nur Freund und Helfer, er ist auch Konkurrent und Versager: will das Tor selbst schießen, statt zu flanken, oder schießt ein Eigentor nach dem anderen, jedenfalls aus meiner Sicht. Oder er ist mein ständiger Spielverderber, nörgelt und krittelt herum und nagt an meiner Lebenslaune. Und statt einsichtig sein Fehlverhalten zu bedauern und Besserung anzustreben, klagt er mich auch noch als Urheber seiner Missgriffe an, dreht den Spieß um und kommt am Ende auf den Gedanken, dass eine(r) zu viel auf dem Platz sei. Wer Kollegen hat, braucht keine Feinde – so die zynische Bilanz. Wo bleibt der Schiedsrichter, der das Foulspiel am eigenen Mannschaftskameraden mit der gelben und notfalls der roten Karte ahndet?
Es hilft alles nichts, auf Gedeih und Verderb müssen wir miteinander reden, auch wenn Gespräche eine eigenartige Doppelrolle im Zwischenmenschlichen spielen. Auf der einen Seite enthalten sie die Verheißung auf Klärung, Verständnis und Lösung, wenn es sachlich und menschlich kompliziert geworden ist. Auf der anderen Seite tragen sie nicht selten dazu bei, dass menschliche Beziehungen nun erst recht den allergischen Punkt erreichen – wir könnten von «kommunikagenen Beziehungsstörungen» sprechen. Manch harmlose, harmlos gemeinte, Kritik löst vielleicht äußerlich eine gute Miene aus, innerlich aber ein Schlachtfeld aus Selbstzweifel und Wut, Ohnmacht und Racheimpuls, Ansporn und Kränkung.
Ein böses Spiel nimmt seinen Anfang. Und ob der Kritisierende zu unsensibel oder der Kritisierte zu empfindlich ist: darüber kann man sich auf der Meta-Ebene des Geschehens erneut in die Haare kriegen. Solange noch Menschen und nicht Computer miteinander zu tun haben, sind neben den knallharten Sachfragen die «knallweichen» Fragen der Anerkennung, der Zugehörigkeit, der Gerechtigkeit berührt. Diese Fragen werden auch dann zwischen den Zeilen verhandelt, wenn wir uns bemühen, «das Persönliche herauszuhalten». Insofern ist das Gespräch, das wichtigste Führungsinstrument überhaupt, ein «Instrument» mit unweigerlicher Tiefenwirkung auf beiden Seiten. Nicht selten gehört Mut dazu, sich seiner zu bedienen. Mut und Kompetenz. Denn wenn ich mir beispielsweise die Fähigkeit angeeignet habe, Kritik mit menschlicher Würdigung und Fürsorge zu verbinden und/oder die Kritik aus der eigenen Betroffenheit herauszuarbeiten und als Wunsch zutage treten zu lassen, dann stehen die Chancen besser, dass ich den anderen erreiche, statt ihn zu verletzen oder an seiner Abwehrmauer abzuprallen.
Mit Bedacht spreche ich davon, sich solche Fähigkeiten «anzueignen», statt sie bloß zu erwerben. Denn Kompetenzen, von denen wir hier sprechen, sind von besonderer Art: Sie wollen mit der je eigenen, so oder so gearteten und gewordenen Menschlichkeit verschmolzen werden. Andernfalls nehmen sie die elende Gestalt eines antrainierten Gehabes an und wirken kontraproduktiv.
Dies ist der Grund, weshalb Karl Benien uns keine Verhaltensrezepte anbietet, sondern bei allen Gesprächtypen zunächst das Wesen der Sache herausarbeitet, um daraus dann eine Handlungsorientierung abzuleiten. Zum Beispiel beim Mitarbeiter-Coaching durch den Vorgesetzten (Kapitel 2.3): Welcher Grundgedanke steckt hinter diesem Schlagwort? Welche innere Haltung setzt er bei der Führungskraft voraus? Welche kniffeligen Rollenaspekte sind dabei berührt, wenn man einen kundigen Blick auf das Schachbrett der Organisation wirft? Welche immanenten Chancen und Gefahren stecken in dem Vorhaben, den Mitarbeiter nicht oder nicht vorrangig zur schnellstmöglichen Lösung zu führen, sondern zur bestmöglichen Entwicklung seiner Fähigkeiten anhand dieses konkreten Problems? Welche Themen eignen sich dafür, welche nicht?
Erst dann wird es sehr «praktisch»: Ein idealtypischer Phasenverlauf der Gesprächsführung sorgt auch dann für Orientierung, wenn man aus situativen oder menschlichen Gründen davon abweicht; wunderbare Praxisbeispiele aus der Erfahrungswelt des Beraters sorgen für Konkretisierung und Veranschaulichung des Prinzips auf der Verhaltensebene. Dem Leser, der Leserin kommt zugute, dass der Autor Betriebswirt, Kommunikationstrainer und Psychotherapeut war und in einem ist: So bleiben beruflicher Kontext, äußeres Verhalten und innerer Mensch stets im Blick, gestalten sich nie losgelöst voneinander. Der Optimismus, dass auch schwierige Gespräche gelingen können, strahlt uns aus diesem Buch entgegen, aber nicht naiv, sondern fundiert aus diesem dreifachen Blickwinkel heraus.
Die Leser von «Miteinander reden» (Schulz von Thun, 1981; 1989; 1998) betreten, was die kommunikationspsychologische Grundausrichtung angeht, vertrautes Gelände – Neueinsteiger werden in knapper Bündelung vertraut gemacht. Karl Benien greift, auf der Grundlage der Stimmigkeitslehre, u.a. auf das Kommunikationsquadrat und das Innere Team zurück, um relevante Wahrnehmungskanäle für das Geschehen aufzuschließen. Erstmals versuchen wir, das Innere Team für das heikle Führungsthema «Alkoholabhängigkeit» nutzbar zu machen, mit deutlichen Konsequenzen für die Gesprächsführung.
Leser(innen) unseres knapp gehaltenen «Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte» (Schulz von Thun, Ruppel und Stratmann, 2000) finden hier nun Ergänzungen und Vertiefungen, vor allem auch eine systematische Unterscheidung der Gesprächsanlässe. Karl Beniens Handbuch ist umfangreich, aber nicht nur reich an Umfang, sondern auch an Erkenntnissen und Anregungen. Am ergiebigsten stelle ich mir die Lektüre der Kapitel 2.2 bis 2.6 über Konflikte, Beratung, Kritik, Mitarbeitergespräch, Teambesprechung und über den schwierigen Sonderfall Alkoholabhängigkeit als Vor- und Nachbereitung eines akuten Gespräches vor. Dann begegnen sich Theorie und selbst erfahrene Praxis an einem anschaulichen Treffpunkt Ihres Lebens. Wir dürfen gespannt sein!
Warum habe ich dieses Buch geschrieben und welche Einflüsse haben es geprägt?
Ich habe dieses Buch geschrieben, da ich in meinem Berater- und Traineralltag immer wieder erlebe, dass Seminarteilnehmer fragen, wo sie das Gelernte zur Vertiefung und Nachbearbeitung nachlesen können. Haben sie doch erlebt, dass manche Theorie eine hilfreiche Orientierung geben kann, der Teufel jedoch häufig im Detail steckt und das rechte Wort am richtigen Platz erst noch gefunden werden musste.
Sie haben vielleicht auch bemerkt, dass ich als Trainer bei übenden Rollenspielen zu konkreten Gesprächsabläufen einen «roten Faden» vor Augen hatte, den ich an geeigneten Stellen dann auch öffentlich gemacht habe. Typische wiederkehrende Probleme wie «Lösungslosigkeit aushalten im Beratungsgespräch» oder «Gutes Zuhören im Konfliktklärungsgespräch» waren nicht nur für das aktuell besprochene Thema von Bedeutung, sondern konnten auch auf andere Situationen übertragen werden. Für mich als Trainer stellte sich im Lauf meiner Seminararbeit heraus, dass viele Gespräche eine ähnliche Grundstruktur aufweisen. Ich begann diese auszuformulieren und mit Kollegen zu diskutieren.
Viele Erfahrungen, die ich als Berater und Seminarleiter gesammelt habe, fließen so in dieses Buch ein. Vieles von dem, was ich beschreibe, entspringt jedoch nicht nur meiner persönlichen Einsicht und ist nicht auf eigenem Mist gewachsen. Ich erlebe mich eingebettet in einen Erkenntnis-und Suchprozess, an dem viele Menschen teilhaben und mitarbeiten. Vor allem denke ich da an meine Kollegen im «Arbeitskreis Kommunikation und Klärungshilfe im beruflichen Bereich». Hier handelt es sich um einen Zusammenschluss von Psychologen an der Universität Hamburg. Zusammen mit und unter der Leitung von Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun besteht dieser Kreis aus Eberhard Stahl, Stephan Bußkamp, Regine Heiland, Gabriele Manneck, Johannes Ruppel, Roswitha Stratmann, mir selbst und als Außenstelle Dr. Christoph Thomann (Schweiz), durch dessen Art der Klärungshilfe wir entscheidend mitgeprägt wurden.
Da wir im Arbeitskreis einen regen fachlichen und kollegialen Austausch über inhaltliche Grundsatzfragen, Theorien und Konzepte pflegen, ist so mancher Grundsatz im Zweiergespräch geboren und in einer kollegialen Diskussion verdichtet worden. Ich weiß im Einzelnen oft nicht, wer der ursprüngliche Vater (oder die Mutter) des Gedankens war und wer als Urheber oder Urheberin erwähnt werden müsste. Deshalb seien hier alle als potenzielle Urheber mit Dankbarkeit erwähnt.
Außerdem sind Ideen und Gedanken von Kollegen aus anderen beruflichen Zusammenhängen außerhalb des Arbeitskreises in dieses Buch eingegangen. Zu erwähnen sind besonders Maren Fischer-Epe, Jens Hager und Karin van der Laan.
Im Übrigen habe ich im Text zitiert, wenn ich genau weiß, von welchem Kollegen oder Autor ich im Einzelnen beeinflusst wurde, abgeschrieben oder geborgt habe.
Besonders unterstützt wurde ich durch Beate Falt, Maud Winkler und Katrin Poplutz, die mich durch Ermutigung und kritisches Stirnrunzeln zur fachlichen Auseinandersetzung gezwungen haben – allen herzlichen Dank an dieser Stelle!
Der Weg ins Verhängnis ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert – und fast immer auch mit schlechten Gesprächen. Natürlich ist Kommunikation nicht die Lösung aller Probleme, aber ohne klare Kommunikation gibt es keine klaren Lösungen. Das Bewusstsein von der Tragweite gelungener Kommunikation ist in letzter Zeit gestiegen. Auch wenn die meisten Gesprächssituationen im beruflichen Alltag zur Routine gehören, so gibt es doch immer wieder Themen und Situationen, in denen die Kommunikation schwierig wird.
Vielleicht soll ein seit längerer Zeit unter der Oberfläche schwelender Konflikt so angesprochen werden, dass einerseits der heikle Punkt und die Problemursache deutlich auf den Tisch kommen und andererseits die Beziehung nicht noch mehr darunter leidet. Im Gegenteil, sie soll durch die Aussprache verbessert werden. Vielleicht muss ein Kollege einen anderen Kollegen kritisieren, mit dem er sich menschlich sehr verbunden fühlt. Vielleicht trägt jemand einen stillen Vorwurf mit sich herum und weiß nicht, wie er ihn ansprechen soll, ohne Porzellan zu zerschlagen.
Wie auch immer, schwierige Gespräche sollten nicht mal eben zwischen Tür und Angel geführt werden. Sie brauchen
eine sorgfältige Vorbereitung,
Wachsamkeit für die Gesprächsatmosphäre,
Achtsamkeit für die leisen Zwischentöne und Feingefühl für die Nuancen zwischen den Zeilen,
Wissen um einen folgerichtigen Gesprächsablauf,
eine Wortwahl, die den beteiligten Personen, dem Thema und der Gesamtsituation entspricht.
Diese «Kunst der Gesprächsführung» unterliegt Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Dabei geht es weniger um rhetorische Kniffe und nicht um raffinierte Finten aus der kommunikationspsychologischen Trickkiste. Durch solche zweifelhaften Mittel wird der Mitmensch zum Objekt gemacht, den man mit geschickten Strategien behandeln muss, damit er richtig (und das meint dann häufig: «in meinem Sinn») funktioniert.
Kooperative Gesprächsführung nimmt den Mitmenschen als Subjekt in seinem verantwortlichen beruflichen Handeln ernst. Sie ist die Fähigkeit, soziale Prozesse so zu gestalten, dass Informations- und Abstimmungsprozesse das gemeinsame Arbeiten fördern und erleichtern.
Dieses Buch wendet sich deshalb insbesondere an Führungskräfte, die Führen nicht als bevormundendes Fordern und rein zielorientierte technokratische Verhaltenssteuerung verstehen. Soll das Arbeitsklima durch Miteinander statt Gegeneinander, durch Transparenz statt Geheimniskrämerei, durch Offenheit statt Hintenherum und durch Ehrlichkeit statt Vermeidung von Unangenehmem geprägt sein, so braucht es eine Kommunikationskultur, die sich auch den heißen Themen mutig stellt. In einem offenen Klima, in dem Respekt, Akzeptanz und offene Konfliktaustragung zu den leitenden Werten gehören, arbeiten die meisten Menschen gerne. Das Arbeitsklima als einer der hauptsächlichen Faktoren der Motivation ist Voraussetzung dafür, dass Kreativitätspotenziale freigesetzt und die vorhandenen Kapazitäten eingesetzt werden können.
Wie kommuniziert man richtig?
Um über «gute» und «richtige» Kommunikation nachzudenken, sollen zwei Beispiele zur Anregung dienen.
Glaubt man dem Guinness-Buch der Rekorde, so fand der kürzeste Briefwechsel der Menschheitsgeschichte im Jahr 1862 statt. Nach dem Erscheinen seines Buches «Les Misérables» war der Dichter Victor Hugo aufs Land gefahren, wo ihm aber die Ungewissheit über den Erfolg seines Werkes keine Ruhe ließ. Also schrieb er seinem Verleger: «?»
Der Empfänger dieser Nachricht konnte das Zeichen in den richtigen Zusammenhang stellen und dem Brief damit Bedeutung verleihen. Postwendend bekam Hugo die hoch befriedigende Antwort: «!»
Das zweite Beispiel ereignete sich in einem größeren Versicherungsunternehmen. Dort war die Stelle eines Verkaufsleiters frei geworden. Herr Bilz und Herr Silkus, zwei hervorragende Verkäufer der Firma, machten sich Hoffnungen auf diese Stelle. Herr Bilz bekam die Stelle und wurde somit Vorgesetzter von Herrn Silkus.
Nach einiger Zeit in der Rolle des Verkaufsleiters bemerkte Herr Bilz, dass Herr Silkus immer mal wieder Geschäfte hinter seinem Rücken machte. Nachdem er dieses Verhalten einige Zeit beobachtet hatte, fuhr er schließlich zu Herrn Silkus, um mit ihm zu reden.
Ohne große Vorrede begann er das Gespräch: «Ich will gar nicht lange um den heißen Brei reden. Seit einiger Zeit beobachte ich, dass Sie Geschäfte an mir vorbei machen. Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten: 1. Sie arbeiten weiterhin gegen mich, oder 2. wir arbeiten ab jetzt kooperativ zusammen. Wenn Sie weiterhin gegen mich arbeiten, bedeutet das Kampf, und ich verspreche Ihnen, dass ich am längeren Hebel sitze. Ich werde Ihnen dann das Leben schwer und die Arbeit zur Hölle machen. Sollten Sie sich für eine kooperative Zusammenarbeit mit mir als Ihrem Vorgesetzten entscheiden, so können wir ab heute offen und kollegial an einem Strang ziehen. Sollte ich es noch einmal erleben, dass Sie ein Geschäft heimlich machen, werde ich dies so interpretieren, dass Sie sich für den Kampf entschieden haben. So, das war’s auch schon. Das wollte ich Ihnen nur sagen.»
Herr Silkus hatte im gesamten Gespräch wenig gesagt, sondern die Konfrontation nur zur Kenntnis genommen. Er hatte sich nicht verteidigt, hatte keine Rechtfertigungen oder Ausflüchte gesucht und war auch nicht zum Gegenangriff übergegangen. Er war nur bemüht, das Gespräch irgendwie zu beenden.
Wie kann man die beiden Kommunikationsbeispiele beurteilen? Welche Aspekte und Kriterien können wir heranziehen, um ein Gespräch als positiv oder negativ zu bewerten?
(In der Realität hat sich nach dem zweiten Gesprächsbeispiel eine 15-jährige kooperative Arbeitsbeziehung entwickelt und beide Kollegen sind seit 10 Jahren fast freundschaftlich miteinander verbunden. Frage: Ist der Ausgang und die spätere Beziehungsform ein Kriterium für ein gutes Gespräch und heiligt der Zweck die Mittel?)
Also: Was kennzeichnet gute Kommunikation? Kann man überhaupt gute Kommunikation abstrahierend beschreiben und sie von schlechter abgrenzen?
Der direkte Weg
Vielleicht sollte man grundlegende Merkmale anführen, die gute Gespräche kennzeichnen, wie zum Beispiel:
Klar und explizit statt verwickelt, einseitig und unklar;
situationsangemessen statt die Wahrheit und Logik der Situation zu verleugnen;
metakommunikatorisch statt unreflektiertes automatisches Vorantreiben ohne Notbremse;
zuhören statt sich automatisch rechtfertigen und verteidigen, ständig selbst reden und abschweifen;
sich ausdrücken statt mauern, eisig schweigen, sich abkapseln und herunterschlucken;
selbstgeklärt statt inneres Durcheinander und Doppelbotschaften;
gute Wahrnehmung nach innen und außen statt unbemerkte Projektionen und Übertragungen;
«ich» und die Sprache der Verantwortung statt nur man, es, wir und du;
Wünsche statt Vorwürfe,Manipulation und Taktik;
ehrlich und wahrhaftig statt listig, gerissen und fintenreich;
selektiv authentisch statt ungeschützte, grenzen- und verantwortungslose Offenheit;
konkret bleiben statt ablenken, ausweichen und um den heißen Brei herumreden;
direkt statt hinten herum, Tratsch, Klatsch und üble Nachrede;
achtungsvoll dem anderen gegenüber und mit Selbstachtung sich selbst gegenüber.
Natürlich sind solche Kriterien nicht belang- und wahllos. Mir scheint aber, dass man noch sehr viel mehr Kriterien auflisten könnte, die gute Kommunikation beschreiben. Als gedankliche Starthilfe mag dies hilfreich sein, aber letztlich droht dieser Ansatz ein Holzweg zu werden, da die enorme Kriterienfülle bald die Übersicht verlieren lässt. Außerdem ist Kommunikation sicherlich nur dann «gut», wenn neben einer Kombination positiver Kommunikationsmerkmale vor allem die atmosphärischen Bedingungen stimmen. Die Atmosphäre eines Gesprächs wird wiederum durch die inneren Gegebenheiten der Personen und ihrer Beziehung zueinander bestimmt. Es reicht demnach nicht aus, wichtige Kommunikationsmerkmale mit musterschülerhaftem Gehabe einzuhalten und ihnen formal zu entsprechen. Sie können helfen, einige Kontakthindernisse aus dem Weg zu räumen, und bieten Möglichkeiten zu Klimaveränderungen in Gesprächen, wobei sie die Atmosphäre weder garantieren noch erzwingen können.
Vielleicht fällt es leichter, eine gestörte Kommunikation zu beschreiben als eine gute. Man könnte beispielsweise sagen: Eine Kommunikation ist dann gestört, wenn einer der Beteiligten sie als gestört erlebt. Diese allgemeine Aussage gilt aber in der Umkehrung schon nicht mehr. Auch dann nicht, wenn beide sie als gute Kommunikation erleben. Es kann ja sein, dass beide seit Jahren aneinander vorbeireden, ohne es zu bemerken. Auch dieser Weg ist nicht gangbar, und es scheint, dass wir auf dem direkten Weg der Definition in eine Sackgasse geraten.
Der indirekte Weg
Wenn wir uns dem Ziel, «gute» Kommunikation zu beschreiben, anscheinend direkt nicht nähern können, müssen wir eine andere indirekte Herangehensweise suchen. Wir könnten versuchen, die wichtigsten Einflussgrößen zu beschreiben, die auf Kommunikationsprozesse wirksam werden, um durch ihre positive Beeinflussung «gute» Kommunikation zu ermöglichen.
Die wesentlichen Einflussgrößen, die auf ein Kommunikationsgeschehen wirken und zu Störungen führen können, sind
der gesellschaftliche Rahmen, in dem die Begegnung stattfindet (Kultur, Organisation, Zeit, Vorgeschichte, Ort, Räume etc.):
Entspricht die Art und Form der Gesprächseinladung dem gemeinsamen Beziehungsverständnis?
Ist für alle Themen so viel Zeit vorgesehen, dass man sie angemessen besprechen kann, oder kommen die Beteiligten mit Zeitdruck zusammen?
Sind Störquellen soweit es geht ausgeschaltet?
Sitzen die Beteiligten an einem runden Tisch oder wird durch die Sitzordnung deutlich, wer Heimrecht und das Sagen hat?
die soziale Deutung und die persönliche Bedeutung der Situation:
Befinden sich alle «innerlich auf der gleichen Veranstaltung»? Haben alle das gleiche Sinn- und Zweckverständnis der Begegnung und sind positiv dazu eingestellt (Interesse), oder steht das eigentliche Thema, das, was wirklich ansteht, nicht auf der Tagesordnung?
Was sind die offiziellen und was sind die heimlichen Ziele der Einzelnen? Wissen alle, wie der Hase läuft (Gepflogenheiten, Vertrautheit), und sind sich darin einig, um was es jetzt gehen soll? Oder sieht der eine die Situation als willkommenen Anlass, um sich für eine anstehende Beförderung zu profilieren, während ein Zweiter das Treffen als wichtigen Austausch von Sachinformationen begrüßt und ein Dritter das Treffen für überflüssig hält und am liebsten an seinem Schreibtisch sitzen würde, wo sich die Arbeit türmt?
die Rollenbeziehungen der Anwesenden:
Sind alle für den Inhalt wichtigen Personen anwesend? Wer ist in welcher Funktion, in welcher Rolle, mit welchem Interesse, in wessen Auftrag hier? (Wer Gastgeber, wer Einladender, wer Moderator, wer Protokollführer, wer Betroffener, wer Experte, wer Informationslieferant, wer Informationsempfänger, wer interessierter Unbeteiligter usw.? Stimmen die wechselseitigen Rollenerwartungen überein und weiß jeder, was sein Beitrag zur Situation sein sollte? Wie sind die hierarchischen Beziehungen und Kompetenzen?
Stimmung und Persönlichkeitsstrukturen der Kommunikationspartner:
Was bringt jeder Einzelne an inneren Voraussetzungen mit (Erfahrungshintergrund, aktuelle Lebenssituation und Stimmung, persönliche Eigenarten, Stärken, Schwächen,Werte, Überzeugungen, Vorlieben, Ziele, Motive etc.)?Wie ist die jeweilige persönliche Wirklichkeit und subjektive Wahrnehmung? Können die Einzelnen den jeweils anderen mit Achtung gegenübertreten und sich selbst Achtung schenken? Welchen Projektionen, Übertragungen und Gegenübertragungen unterliegen die Beteiligten? Welche alten oder aktuellen Konflikte und Beziehungsstörungen sind wirksam?
Die Summe der aktuellen Einflussgrößen bestimmt die jeweilige Situationswahrheit.
Das Leitbild
Auf der Suche nach einem übergeordneten Kriterium für «gute Kommunikation» mit entsprechender Situationswahrheit bietet Schulz von Thun (1981, 1998) das Ideal der Stimmigkeit an. Kommunikation ist für ihn dann stimmig, wenn sie die inneren Gegebenheiten und die äußeren Gegebenheiten berücksichtigt. Sie muss somit einer doppelten Übereinstimmung entsprechen: sowohl der Übereinstimmung mit der Person als auch mit dem Charakter der Situation und der ihrem Sinngehalt innewohnenden Logik. Schulz von Thun schaut also in zwei Richtungen. Mit dem einen Auge blickt er nach außen auf den situativen Kontext, damit Kommunikation «situationsgerecht» ausfallen kann und dem Gehalt der Situation entspricht (siehe oben Punkte 1., 2. und 3.). Mit dem anderen Auge schaut er auf den Menschen und den inneren Kontext der Person, damit Kommunikation «authentisch» ist, der Mensch zu dem stehen kann, was er wie sagt, und sich selbst nicht verfehlt (siehe Kapitel 2.5).
Gute Kommunikation muss beiden Aspekten gerecht werden, sodass sich ein Ergänzungs- und Spannungsfeld von authentisch und situationsgerecht ergibt, welches eine ständige Such- und Entwicklungsrichtung bedingt. Das übergeordnete Kommunikationsideal der Stimmigkeit wirft also zwei Fragen auf. Erstens: Was ist situationsgerecht? Und zweitens: Wann und wie bin ich in Übereinstimmung mit mir selbst?
Die erste Frage ist bedeutsam, damit sich die beteiligten Personen auf ein und dieselbe Situation nicht einen unterschiedlichen Reim machen und die Situation unterschiedlich definieren. Die Leitfragen zur Sicherstellung einer gemeinsamen Situationsdefinition sind nach Schulz von Thun (1998, S. 285)
Wie kommt es (Vorgeschichte!) und
welchen Sinn macht es (Zielsetzung!), dass
ausgerechnet ich (in welcher Rolle?)
ausgerechnet mit Ihnen (in welcher Zusammensetzung?)
ausgerechnet dieses Thema (wie hat es sich ergeben?) besprechen möchte?
Die zweite Frage der Übereinstimmung mit sich selbst ist bedeutsam, da der Mensch mit sich selbst nie ein Herz und eine Seele ist. Fast immer melden sich innere Kräfte und Stimmen zu Wort, die miteinander ringen und gegeneinander Politik betreiben. Wie wir von einem «inneren Haufen» als normale Ausgangslage zum «Inneren Team» gelangen und welche innere Dynamik dabei eintreten kann, beschreibt Schulz von Thun in «Miteinander reden 3» (1998).
Die Metapher des Inneren Teams ist gut geeignet, sich dem Ziel «In Einklang mit sich selbst» anzunähern. Dieses Ziel ist aus zwei Gründen bedeutsam.
Einmal braucht es innere Klarheit (Was ist meine Meinung dazu?), um bei schwierigen Gesprächen einen tragfähigen Standpunkt und eine klare Linie zu gewinnen. Und zum anderen sollte neben dem Was auch das Wie berücksichtigt werden, um den Gesprächsprozess und den richtigen Ton, den ich anschlagen möchte, finden zu können. Auch wenn die Kommunikationspsychologie lange das Wie als Schwerpunkt im Blickfeld hatte, so hat doch das Was zumindest Gleichberechtigung, wenn nicht Vorrang. Kommt beispielsweise ein Mitarbeiter mit einem Verbesserungsvorschlag zu seinem Vorgesetzten, so ist zunächst einmal die Frage, was der Vorgesetzte über den Verbesserungsvorschlag denkt. Ist es wirklich eine Verbesserung oder hat der Vorschlag an anderer Stelle bisher nicht bedachte Nachteile, welche letztlich die Vorteile stark relativieren? Welche (kurz- und langfristigen) Konsequenzen hat der Vorschlag auf andere Arbeitsgebiete? Bin ich der richtige Ansprechpartner? Was sieht unser «Belohnungssystem» für solche Vorschläge vor? Hier einen klaren Standpunkt zu haben ist bedeutsam. Das Wie ist zunächst sekundär, es muss zum Was passen und ergibt sich häufig aus der eigenen Haltung.
Wenn wir keinen klaren Standpunkt habe, ist das Wie immer schwierig. Dabei gilt es zu bedenken, dass der eigene Standpunkt keine festgeschriebene Größe ist – er entwickelt sich manchmal erst im Gespräch. Die Standpunktbildung vollzieht sich nicht nur im Dialog, sie ist auch im Dialog revidierbar. Entsprechend stellt sich im Gespräch vielleicht die Frage: Was brauche ich jetzt an Informationen, um meine noch nicht festgeformte Haltung zum Thema zu finden?
Das Wie umfasst neben dem Tonfall und der Art und Weise, wie ich meinem Gesprächspartner gegenübertrete, vor allem die situationslogische Reihenfolge der unterschiedlichen Gesprächsbeiträge. So manche Gespräche scheitern, da sie einer unheilvollen Dynamik unterliegen und im Gesprächsverlauf nicht die angemessene, folgerichtige Vorgehensweise berücksichtigen oder einige wichtige Aspekte sogar ganz unterschlagen. Dieses Buch beschreibt daher idealtypische Gesprächsverläufe, die als Orientierung für gute Gesprächsführung dienen können.
Wie können Sie dieses Buch benutzen?
Da ich mich immer wieder auf das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun (1981) und die Metapher des «Inneren Teams» (Schulz von Thun, 1998) beziehe und nicht davon ausgehen kann, dass jeder Leser diese Konzepte kennt, habe ich in Kapitel 1 in einer Kurzfassung die psychischen Vorgänge in der zwischenmenschlichen Kommunikation beschrieben. Dem Leser, dem diese Zusammenfassung zu knapp erscheint und der sich deshalb eingehender damit beschäftigen möchte, seien «Miteinander reden 1» und «Miteinander reden 3» ans Herz gelegt. Der Leser, der mit diesen Modellen bereits vertraut ist, kann direkt mit dem Kapitel 2 beginnen, in dem es um die Gesprächsführung in unterschiedlichen Gesprächssituationen geht. Dieser Teil ist im Sinn eines Nachschlagewerks aufgebaut, sodass der Leser je nach Bedarf die Kapitel für sich erarbeiten kann.
Da so manche unangenehme Überraschung im realen Gesprächsverlauf durch eine sorgsame Vorbereitung vermieden werden kann, geht es zunächst darum, welche Aspekte zu einer differenzierten Gesprächsvorbereitung gehören (Kapitel 2.1).
Im beruflichen Feld gibt es aus Sicht der Führungskraft sehr unterschiedliche Gesprächsformen und -anlässe. Im Kapitel 2.2 geht es um das Thema Konflikte und im Kapitel 2.3 um das Thema Beratung. In beiden Kapiteln beschreibe ich zunächst grundlegende Aspekte, um dann auf die idealtypischen Abläufe von Konflikt- und Beratungsgesprächen einzugehen. Anschließend gehe ich auf die Abläufe von gut geführten Kritikgesprächen (Kapitel 2.4),Mitarbeitergesprächen (Kapitel 2.5) und Teambesprechungen (Kapitel 2.6) ein.
Zum Abschluss (Kapitel 3) thematisiere ich das Problemfeld Alkoholabhängigkeit und werde neben dem ersten Gespräch zwischen Führungskraft und betroffenem Mitarbeiter eine mögliche Interventionskette beschreiben, die bei diesem heiklen Thema angemessen ist und in ähnlicher Form von vielen Beratungsstellen empfohlen wird.
Meine Themenauswahl ist dabei eine pragmatische: Sie orientiert sich an den häufigsten Fragestellungen und Unsicherheiten von Führungskräften, wie ich sie in meinen kommunikationspsychologischen Seminaren erlebe.
Kommunikation und partnerschaftlich-kooperativer Umgang mit anderen scheint vielen Menschen privat und beruflich ein erstrebenswertes Ziel zu sein. Dies wahrscheinlich nicht nur, weil es dem Zeitgeist entspricht oder eine Modeerscheinung ist. Viele Menschen kennen die schmerzliche Erfahrung, dass in der Kommunikation manches schief gehen kann. So mancher hat «gestörte Kommunikation» am eigenen Leibe erlebt und die Erfahrung gemacht, dass Kommunikationsprobleme die sachliche Arbeit erschweren und manchmal sogar unmöglich machen können. Wenn sich in Zweiergesprächen, in Arbeitsgruppen und Teamprojekten das Miteinander zum Gegeneinander entwickelt, können die Störungen in der Kommunikation zu teuren «Reibungsverlusten» führen, da Information, Motivation, Produktivität und Kreativität sinken.
Wir Menschen stehen der Kommunikation häufig ähnlich gegenüber wie unserer Gesundheit: Solange alles gut läuft und funktioniert, wird sie wenig beachtet. Wird es jedoch schwierig im Miteinander und ist der zwischenmenschliche Karren sogar festgefahren, dann reicht oft ein Reagieren aus dem Bauch oder mit dem gesunden Menschenverstand nicht aus, um sich aus einer Sackgasse zu befreien. Im Gegenteil, manchmal führen solch spontane Rettungsversuche nur tiefer in das Problem. Um wieder in guten Kontakt zum Kommunikationspartner zu kommen und um das Gespräch wieder in Bewegung zu bringen, kann es hilfreich sein, eine Orientierung vor Augen zu haben, die sowohl als Landkarte als auch als Pannenwerkzeug dienen kann. Um dieses theoretische Rüstzeug soll es jetzt gehen.
In der Kommunikationspsychologie bezeichnen wir (Schulz von Thun, 1981) denjenigen, der sich äußert und spricht, als Sender und denjenigen, der zuhört, als Empfänger.
Der Sender ist derjenige, in dem die Absicht heran«reift», etwas mitzuteilen. Dieses innere «Reifen» beim Sender meint den Vorgang im Menschen, der stattfindet, bevor wir uns äußern, betrifft also die «subjektive Bedeutungswelt» des Gesprochenen, das «innere Erleben» des Gesagten. Das, um was es dem Sender geht, ist im Vorfeld häufig noch ein diffuses Gemisch aus Gefühlen, Gedanken, Bildern, Phantasien und Absichten und liegt der Äußerung unmittelbar zugrunde. Um es von der «Äußerung» abzugrenzen, nennen wir es «Innerung». Aspekte dieser Innerung sind dem Sender häufig unbewusst oder vorbewusst, besonders wenn sie dem idealisierten Selbstbild des Senders zuwiderlaufen und dieser in der Kunst der Selbstwahrnehmung (Introspektion) nicht sehr geübt ist. Auch wenn diese un- oder vorbewussten Aspekte dem Sender nicht direkt zugänglich sind, so können wir sie trotzdem in seinen Äußerungen wiederfinden. Und vielleicht hat der Empfänger ein feines Gespür für gerade diese unbewussten Signale des Senders und reagiert stärker auf sie als auf die expliziert geäußerten Worte des Senders. Dieser fühlt sich dann aber missverstanden, weil er diese oft heiklen Punkte abgespalten hat, sie nicht wahrnehmen kann oder sie sich nicht eingestehen will. Deshalb besteht ein «Training in Kommunikation» manchmal im ersten Schritt in der Hilfe zur Selbstklärung und erst im zweiten Schritt in der Hilfe zur besseren Formulierung oder zur Kontaktklärung.
Um von der Innerung zur Äußerung zu kommen, muss der Sender seine zu übermittelnden Gefühle, Gedanken, Absichten, Kenntnisse – kurz: einen Teil seines inneren Zustandes – in vernehmbare Zeichen, in unsere Sprache verschlüsseln und übersetzen. Diese Übersetzungstätigkeit wird kodieren genannt. Der Prozess vollzieht sich bei Erwachsenen normalerweise in Bruchteilen von Sekunden. In Beratungs- und Trainingssituationen, wo der Prozess langsamer und dadurch sorgfältiger wird, können wir manchmal sehen, wie mühsam dem Sender dieser Vorgang ist, vor allem dann, wenn er seine Innerung nicht in Worte fassen kann. Dieses «innere Ringen um Worte» könnte sich beispielsweise so anhören: «Ja, wissen Sie … äh, öh, … jaaa, … es … es ist wie ein Vulkan in mir … und da will was raus, aber … da ist eine dicke Platte obendrauf und behindert dies … und … äh, mmh … »
Der Sender benutzt ein Bild (hier die Metapher eines Vulkans mit Platte), um sich verständlich zu machen, da er sein Erleben nicht anders ausdrücken kann.
Das gesprochene Wort, die Äußerung oder die Botschaft, trifft nun auf den Empfänger und entfaltet dort ihre Wirkung. Dieser muss nun wiederum die geäußerten Worte dekodieren, das heißt sie mit eigener Bedeutung, eigenen Bildern, Assoziationen und Erleben verbinden, um sie verstehen zu können. Manchmal hören wir allerdings nur, was wir zu hören wünschen. Das wird «selektive Dekodierung» genannt. Manchmal hören wir nicht richtig zu,weil wir,während der andere spricht, damit beschäftigt sind zu überlegen,was ich denn gleich sagen kann. In diesem Fall ist «dein Ausdruck mein Einsatzsignal für meinen Auftritt.» Wenn der Empfänger durch seine (auch nonverbale) Reaktion zurückmeldet, was er wie verstanden hat, entsteht eine Feedback-Schleife.
Grundvorgang in der Kommunikation
Ich werde jetzt zunächst auf die «Äußerung» eingehen (Kommunikationsquadrat), die der Sender mitteilt und der Empfänger aufnimmt, und dann die «Innerung» des Senders (Inneres Team) etwas näher beleuchten, da diese beiden Aspekte für eine gute Gesprächsführung von zentraler Bedeutung sind.
Das Modell von Schulz von Thun (1981) besagt, dass immer, wenn jemand etwas von sich gibt, die Äußerung (ausdrücklich oder zwischen den Zeilen) vier Aspekte enthält, die sowohl für ihn als Sender als auch für den Empfänger von Bedeutung sind. Kommunikation ist somit immer ein vierfaches Geschehen, da alle vier Aspekte immer gleichzeitig im Spiel sind:
Die Sach-Ebene. Auf dieser Ebene informieren wir über den Sachverhalt, tauschen Argumente aus und wägen Entscheidungen ab. Häufig stimmt die Sachebene mit dem wörtlich genommenen Inhalt der Äußerung überein.
Die Selbstkundgabe-Ebene. Sie enthält alles, was der Sender von sich, seiner Persönlichkeit und aktuellen Befindlichkeit zu erkennen gibt – ob er will oder nicht. Diese Selbstkundgabe kann mehr oder minder betont, mehr oder minder bewusst, mehr oder minder zur Schau getragen oder auch so weit wie möglich vermieden sein. Sie reicht von der gewollten Selbstdarstellung (zum Beispiel Imponiergehabe) bis zur unfreiwilligen Selbstenthüllung. Diese Seite der Kommunikation ist für jeden Sender von großer Bedeutung: «Wie stehe ich in den Augen der anderen da? Was denken die von mir?»
Die Beziehungs-Ebene. Auf dieser Ebene sagt der Sender etwas über sein Gegenüber aus; was er von ihm hält und wie sie beide seiner Meinung nach zueinander stehen. Die Klage: «Sie mögen Recht haben, aber Sie hätten das auch anders sagen können!» deutet an, dass auch bei sachlicher Zustimmung auf der Beziehungsebene Frostschäden eintreten können. Oft zeigt sich der Beziehungshinweis in der gewählten Formulierung, im Tonfall und anderen nichtsprachlichen Begleitsignalen wie zum Beispiel Gestik und Mimik. Für diese Seite der Kommunikation hat der Empfänger oft ein besonders empfindliches Ohr; denn hier fühlt er sich als Person in bestimmter Weise behandelt oder auch misshandelt, geachtet, geschätzt und akzeptiert oder abgelehnt und gedemütigt («Wie redest du eigentlich mit mir!?»).
Die Summe aller Beziehungshinweise bestimmt im privaten Bereich die Familienatmosphäre, im Beruf das Betriebsklima, die Atmosphäre in Abteilungen und Projekten und in der Vorgesetztenrolle den persönlichen Führungsstil: «Wie gehe ich als Vorgesetzter mit meinen Mitarbeitern um?»
Im beruflichen Bereich ist die Beziehungsebene komplex und häufig differenzierungsbedürftig. Hier müssen wir manchmal drei Arten von Beziehung gleichzeitig beachten
Basisbeziehung. Die persönlich/menschliche Ebene fragt beispielsweise: «Was halten wir voneinander? Mögen wir uns, sind wir uns gleichgültig, rivalisieren wir usw.?»
Rollenbeziehung. Die hierarchische Ebene fragt beispielsweise: «Wer ist weisungsbefugt und wer hat wem was zu sagen?»
Kompetenzbeziehung. Die sachlich/fachliche Ebene kann fragen: «Wer hat vor wem welchen Wissensvorsprung?»
Die drei Ebenen werden dann zum Problem, wenn sie sich beißen, was zum Beispiel in einem Projektteam zum Problem werden kann. Nehmen wir den Fall, dass ein Versicherungsunternehmen ein Projekt zur Datenverarbeitung plant. Zielvorstellung: Aktualisierung und Flexibilisierung der Hard- und Software im PC-Bereich.Das Projekt hat im Unternehmen große Bedeutung und stellt für den Projektleiter einen wichtigen Karriereschritt dar. Das Projekt soll aus ca. 10 Mitarbeitern bestehen und der Leiter soll auf Grund seiner hohen Fachkompetenz im Bereich der Datenverarbeitung der Gruppenleiter Herr Dr. Müller (36 Jahre) werden. Sein Vorgesetzter und Abteilungsleiter, Herr Großschuh (59 Jahre), wird in diesem Projekt gebraucht, da er die Firma auf Grund seiner dreißigjährigen Firmenzugehörigkeit in allen Einzelbereichen kennt und einen guten Gesamtüberblick besitzt. Außerdem soll noch aus den Einzelabteilungen (Verkauf, Kundenservice, Buchhaltung usw.) jeweils ein Gruppenleiter anwesend sein.
Zwischen Herrn Dr. Müller und Herrn Großschuh besteht eine Basisbeziehung auf der persönlich/menschlichen Ebene: Sympathie mit Vater-Sohn-Anklängen. Die Rollenbeziehung besagt, dass Herr Großschuh der disziplinarische Vorgesetzte von Herrn Dr. Müller ist. Dr. Müller ist aber Leiter dieses Projektes. Die Kompetenzbeziehung besagt, dass Herr Dr. Müller zu dem Projektthema wegen seines fachlichen Wissens (er hat Informatik studiert und kennt den Markt sowie innovative Softwareprogramme genau) die höchste Kompetenz hat.
Im Laufe der Projektarbeit kann die Beachtung der Beziehungsebene für Herrn Dr. Müller von entscheidender Bedeutung werden. Was macht er zum Beispiel, wenn Herr Großschuh häufig andere in ihren Wortbeiträgen unterbricht? Wie reagiert er, wenn Herr Großschuh ständig mit ausschweifenden Reden allen die Zeit stiehlt? Wie konfrontiert er Herrn Großschuh, wenn dieser sich nicht an Vereinbarungen hält? Schweigen und großzügig darüber hinwegsehen kann er sich nicht erlauben, da die Projektgruppe womöglich durch die schwelende Unruhe und ansteigende Unmutsäußerungen über Herrn Großschuh gesprengt wird. Jetzt wird jeder Zungenschlag von Herrn Dr. Müller gegenüber Herrn Großschuh und der Gruppe bedeutsam.
Die Appell-Ebene. Sie umfasst die Wirkungsabsicht des Senders. Hier wird deutlich, welchen Einfluss der Sender auf den Empfänger nehmen will. Schließlich wird kaum etwas «nur so» der reinen Information wegen gesagt – fast alle Nachrichten haben den Zweck oder die tatsächliche Wirkung, auf das Denken, Fühlen oder Handeln des anderen auch Einfluss zu nehmen. Ist die Appellseite explizit, so formulieren wir klare und offene Aufforderungen, Anordnungen und Wünsche. Bleibt der Appell implizit zwischen den Zeilen versteckt, so übt der Sender seinen Einfluss auf den Zuhörer indirekt aus.
Auch wenn im Berufsleben die Sachlichkeit betont wird, so wird die seelische Qualität zwischenmenschlicher Interaktion vor allem durch die oft unausgesprochenen Botschaften auf den unteren drei Seiten der Nachricht bestimmt. Da alle vier Seiten immer gleichzeitig im Spiele sind, muss der kommunikationsfähige Sender sie alle mehr oder minder gut beherrschen. Grundregel: Einseitige Beherrschung stiftet Kommunikationsstörungen!
Die vier Seiten der Nachricht (nach Schulz von Thun, 1981)
Die Botschaften auf den vier Seiten des Kommunikationsquadrats werden durch den jeweiligen situativen Kontext und den entsprechenden «Erwartungsraum» qualifiziert. So wird der Satz: «Hände hoch!», von einem Polizisten während einer Fahndung ausgesprochen, eine andere Bedeutung haben als von einem Lehrer im Turnunterricht, und der Satz: «Es geht dem Ende zu!» eines Lehrers bei der schriftlichen Abiturprüfung meint etwas anderes als die gleichen Worte, wenn sie ein Arzt bei der Diagnose zu seinem Patienten sagt. Der kommunikative «Erwartungsraum», welcher durch die Situation definiert und durch Konvention abgesteckt wird, eröffnet Interpretationsspielräume. Wir können zwar gegen den Erwartungskontext verstoßen, sollten ihn uns aber zumindest bewusst machen. Menschen, die sich häufig anders verhalten, als es der allgemeine Erwartungskontext nahe legt, werden von anderen schnell als taktlos erlebt, da ihr Verhalten deplatziert erscheint. Erspüren wir nicht die mit einer bestimmten Situation verknüpften Erwartungen, so können wir häufig auch nicht verstehen, warum unsere Gesprächspartner unsere Botschaften anders interpretieren, als wir sie gemeint haben. Dies gilt nicht zuletzt für Kommunikationssituationen, in denen Gesprächspartner aus unterschiedlichen Kulturen zusammentreffen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Gruppenleiter eines Versicherungsunternehmens und haben gerade mit einem Kunden gesprochen, der besondere Vertragskonditionen wünscht, die in keinem der angebotenen Tarife vorgesehen sind. Da Sie in diesem Falle nicht alleine entscheiden wollen, inwieweit ihre Firma den Wünschen dieses Kunden entgegenkommen kann und will, gehen Sie zu Ihrem Abteilungsleiter. Dieser macht einen ziemlich gehetzten Eindruck. Den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt blättert er in mehreren Akten, während gleichzeitig das zweite Telefon klingelt. Nachdem er Sie auffordernd angeschaut hat, tragen Sie ihm Ihre Frage vor. Er antwortet ungeduldig: «Also das können Sie doch wirklich selbst entscheiden. Die Ausnahmeregelungen stehen doch fest. Mit solchen Detailentscheidungen müssen Sie mich nicht auch noch belasten.»
Jetzt haben Sie als Empfänger alle Ohren voll zu tun. Sie können auf diese Äußerung Ihres Chefs auf vier Ebenen reagieren. Theoretisch bräuchten wir als Empfänger «vier Ohren» – ein Ohr für jede Seite der Nachricht.
Der «vierohrige Empfänger» (nach Schulz von Thun, 1981)
Für den Empfänger gilt der kommunikationspsychologische Grundsatz: Was eine Nachricht beim Empfänger anrichtet, richtet dieser selbst an!
Wie geschieht das?
Der Empfänger hat prinzipiell die freie Wahl, auf welche Seite der Nachricht er reagieren und worauf er eingehen will. In Abbildung S. 31 (Vierohriger Empfänger) sind die Ohren gleich groß gezeichnet, was einen Idealzustand andeuten soll. In der Realität unterliegen wir Menschen jedoch häufig einseitigen Empfangsgewohnheiten. Je nach Erfahrungsschatz und persönlicher Entwicklung, je nach Einschätzung der Situation und je nach unserer momentanen Stimmung (Gefühle, Hoffnungen, Befürchtungen etc.) kommt das Gesagte bei uns an und hören wir etwas anderes heraus.
Der Sender bietet zwar vierfach an, aber der Empfänger stellt durch seine Reaktion die Weichen, was davon wie verwertet wird. Da unsere Wahrnehmung aktiv ist, liegt es im Entscheidungsbereich des Empfängers, mit welchem Ohr er eine Nachricht bevorzugt hört.
Je nachdem, welches seiner vier Ohren der Empfänger vorrangig auf Empfang geschaltet hat, nimmt das Gespräch einen sehr unterschiedlichen Verlauf. Dies möchte ich an unserem Beispiel (Gruppenleiter im Versicherungsunternehmen) verdeutlichen:
So mancher Mensch (hier Sie als Gruppenleiter), der auf den sachlichen Gehalt einer Äußerung gepolt ist, wird in erster Linie auf die mitgeteilten Tatbestände reagieren. Die reine Sachinformation besteht hier im Werturteil über die Entscheidungskompetenzen und im Hinweis auf die Ausnahmeregelung. Hören Sie vor allem diese Botschaften heraus, werden Sie den Vorgesetzten vielleicht darauf hinweisen, dass Sie laut der bisherigen Anweisungen nicht berechtigt sind, ohne Rücksprache mit dem Vorgesetzten über solche gravierenden Abweichungen von den Tarifen zu entscheiden. Da Sie für diesen Fall gerade neue Informationen über Ihre Kompetenzen und den Umgang mit Ausnahmeregelungen bekommen, wollen Sie vielleicht wissen, ob dies grundsätzlich gelten soll oder nur auf diesen Einzelfall bezogen bleibt.
Allgemein: Mit dem Sachohr versucht der Empfänger den sachlichen Informationsgehalt zu verstehen, informiert sich über Hintergründe, fragt sachlich nach Daten und Fakten oder liefert diese selbst. Gefühls- und Beziehungsunsicherheiten werden ausgeblendet.
Höchstwahrscheinlich wird der gestresste Vorgesetzte auf den Versuch, in dieser Situation eine Grundsatzdiskussion zu führen, ziemlich ungehalten reagieren. Da Sie kommunikationspsychologisch geschult sind, werden Sie deshalb die Äußerung Ihres Vorgesetzten mit einem anderen Ohr auf einer anderen Ebene empfangen.
Wenn Sie dazu neigen, auf Kritik empfindlich zu reagieren, haben Sie wahrscheinlich Ihr sensibles Beziehungsohr geöffnet. Mit dieser Reaktion beziehen Sie die Nachricht auf sich selbst und reagieren zum Beispiel auf den mitschwingenden oder vermeintlich herausgehörten Vorwurf. Sie würden sich in diesem Fall fragen, was die mürrische Reaktion Ihres Chefs über sein Verhältnis zu Ihnen aussagt. Womöglich wirft er Ihnen vor, unselbstständig zu sein und mit jeder Kleinigkeit zu ihm zu laufen. Sie fühlen sich zu Unrecht getadelt und abgefertigt.
Allgemein: Hört jemand mit dem Beziehungsohr, so fühlt er sich als Mensch direkt betroffen. Er ist sensibel für den Tonfall und nimmt auf, wie der Sender mit ihm umgeht, ob der Inhalt beispielsweise freundlich oder unverschämt gemeint ist. Das Beziehungsohr empfängt, wie der Sender zu jemandem steht und was er von ihm hält. Der Empfänger fühlt sich entsprechend behandelt (gerügt, beschämt, beschuldigt, bevormundet, gewürdigt, akzeptiert, anerkannt usw.). Bei einseitiger Ausrichtung des Empfängers auf diese Seite der Kommunikation nimmt er alles persönlich, fühlt sich leicht angegriffen, ist empfindlich, schnell beleidigt und wirkt mimosenhaft. Die Besonderheit bei Überspezialisierung des Beziehungsohres liegt u.a. darin, dass der Empfänger eher negative Botschaften heraushört. Wenn der Sender wütend wird, bekommt er Schuldgefühle, lacht der andere, fühlt er sich ausgelacht, schaut man ihn an, fühlt er sich kritisch gemustert, und schaut man in eine andere Richtung, fühlt er sich abgelehnt. Je nach charakterlicher Entwicklung kann die Reaktion depressiv, sich selbst anklagend oder aggressiv-ablehnend sein, entweder mit der Haltung: «Entschuldige, dass es mich gibt!» oder mit ständiger «Kritik-Lauer».
Die meisten Menschen reagieren, wenn sie einen Vorwurf hören, mit Verteidigung oder Angriff. Sie könnten Ihren Vorgesetzten darauf hinweisen, dass Sie vor einigen Tagen wegen einer eigenständigen Entscheidung in einem ähnlich gelagerten Fall kritisiert wurden. Oder Sie weisen darauf hin, dass die Ausnahmeregelungen, die von ihm abgefasst wurden, so schwammig formuliert sind, dass sie keinem wirklich eine Hilfe sind.
Diese Reaktion wird womöglich den Vorgesetzten dazu veranlassen, sich wiederum gegen Ihre Verteidigung oder Ihren Angriff zu verteidigen: «Jetzt weichen Sie nicht aus. Sie sind doch kein Anfänger. Sehen Sie zu, dass Sie diesem Mann eine befriedigende Antwort geben, damit wir nicht noch so einen wichtigen Kunden verlieren. Aber schaffen Sie bitte keinen Präzedenzfall!»
Das Gespräch endet womöglich in einem unangenehmen Streit, welcher sich kaum förderlich auf das Arbeitsklima auswirkt.
Nehmen wir an, Sie hätten mit dem Selbstkundgabeohr gehört und sich gefragt: Was sagt die Mitteilung von ihm über ihn selbst aus? Sie wissen vielleicht, dass Ihr Vorgesetzter im normalen Berufsalltag ein ganz umgänglicher Mensch ist, der jedoch in Stresssituationen zu Äußerungen neigt, die ihm nachher Leid tun. Als Mitarbeiter, der ihn gut kennt, können Sie dann seine Worte nicht mit dem Beziehungsohr aufnehmen und daher nicht als Kritik, sondern eher als Überlastungsäußerung, deren Unmut sich zufälligerweise an Sie gerichtet hat.
Allgemein: Mit dem Selbstkundgabeohr ist der Empfänger personaldiagnostisch tätig: «Was ist das für ein Mensch? Was ist mit ihm los? Welche Ich-Botschaften sendet er von sich?»
Er versucht entweder einfühlsam und verständnisvoll die Stimmung des Senders wahrzunehmen: «Könnte es sein, dass Sie (genervt, gestresst, empört) sind?» Oder er nimmt diagnostizierend-entlarvend wahr: «Unter Stress sind Sie wie ein Pulverfass. Sie können sich dann nicht mehr kontrollieren und explodieren bei jeder Kleinigkeit!»
Steht hinter der einfühlsam-verständnisvollen Reaktion des Selbstkundgabeohres die fragende Haltung «Ich bin mir nicht sicher, aber meine Wahrnehmung sagt mir, dass du … Könnte das sein? Stimmt das vielleicht?», so steht hinter der diagnostizierend-entlarvenden Variante im Tonfall schnell ein Rufzeichen und eine bestimmende Haltung: «Dein Verhalten hat folgenden psychischen Hintergrund … Da du das selbst nicht bemerkst, muss ich es dir ja wohl sagen!»
Als guter Zuhörer sollte die Wahrnehmung des Selbstkundgabeohres besonders geschult sein. So können wir differenziert die Tonlage und Stimmgeschwindigkeit, die gezeigte oder zurückgehaltene Gestik und Mimik, die gesamte Körperhaltung und -ausstrahlung, die emotionale Färbung der Worte und den unterschiedlichen Ausdruck des Blickkontaktes wahrnehmen. Wir bemerken, dass die Faust geballt ist, während der Sender scheinbar gelassen und ruhig von einem kränkenden Vorfall berichtet, und registrieren die Randbemerkungen, welche die Inhalte begleiten. Wir überprüfen so die emotionale Bedeutung für den Sender. Verbunden mit Respekt und Wertschätzung führt diese Haltung letztlich zum «aktiven Zuhören».
Da Sie erkennen, dass Sie nicht der Grund, sondern nur der Auslöser sind, können Sie in der obigen Situation antworten: «Sie scheinen unter Stress zu stehen und gerade keine Zeit für dieses Problem zu haben.» Vielleicht antwortet der Vorgesetzte: «Ja wirklich. Heute wollen aber auch alle etwas von mir. Zuerst der Vorstand und dann auch noch die Revision. Und alles ist eilig und dringend. Außerdem ist überhaupt keine Systematik in diesen Akten. Wie soll man denn da etwas finden!» Durch Ihre Antwort haben Sie ihm die Möglichkeiten gegeben, seinen Ärger auszusprechen. Vielleicht schießt der Vorgesetzte noch einen kleinen Satz hinterher: «Und da kommen Sie gerade jetzt mit so einer Lappalie!» Als kommunikationspsychologisch geschulter Mensch hören Sie vielleicht diesen Zusatz mit dem Appellohr.
Die vierte Möglichkeit reagiert mit dem Appellohr und hört heraus, dass man gerade jetzt stört und es etwas später noch einmal versuchen soll.
Allgemein: Mit dem Appellohr hört der Empfänger die Aufforderung heraus, die er an sich gerichtet spürt, und den Druck, unter den er sich gesetzt fühlt. Bei Überspezialisierung ist dieser Empfänger immer auf «Appell-Sprung», da er es allen Menschen recht machen will. Er nimmt die Wünsche anderer überwertig wahr und verliert dadurch schnell den Kontakt zu sich selbst. Seine Wahrnehmungsantennen sind bei den Bedürfnissen anderer, nicht bei seinen eigenen. Durch seinen Wunsch, es allen recht machen zu wollen, ist im Lauf der Zeit die Fähigkeit, seine eigenen Wünsche und Anliegen wahrzunehmen und zu artikulieren, verschüttet worden. Er übergeht sich selbst. Dies kann zum Beispiel zu einer bedrängenden Gastgeberhaltung mit Stress, Unruhe und Hektik führen («Wollen Sie noch etwas trinken? Saft oder Wasser … oder lieber beides … ein paar Nüsse … ein paar Chips … etwas Süßes?») und die Selbstlosigkeit einer ständigen Helferhaltung kann in ein Burnout-Syndrom münden. Schwierig ist also nicht, dass wir den Wunsch des Gesprächspartners heraushören, schwierig wird es dann, wenn die innere prüfende Zwischeninstanz fehlt, welche überprüft, ob wir dem herausgehörten Appell auch gehorchen wollen.
Vielleicht hört Ihr Appellohr auch heraus, dass Ihr Vorgesetzter wünscht, dass Sie allein mit dem Kunden die Vertragsbedingungen gestalten, aber so, wie er es selbst getan hätte. Damit bringt er Sie in eine schwierige Rolle. Der widersprüchliche Doppelappell lautet jetzt: Entscheide selbstständig! – und – Entscheide, wie ich es für richtig halten würde! Um aus diesem Dilemma herauszukommen, könnten Sie zum Beispiel überprüfen, ob Ihr Appellohr auch wirklich das gehört hat, was Ihr Vorgesetzter an Appellen gemeint hat: «Ich bin jetzt etwas verunsichert. Wollen Sie, dass ich das selbst entscheide? oder wollen Sie, dass ich in Ihrem Sinne entscheide? Im zweiten Fall müssen Sie sich den Fall etwas genauer anschauen.»