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Wenn ausgerechnet dein stärkster Gegner zu deinem wichtigsten Verbündeten wird, hast du nur zwei Möglichkeiten: Werde ihn los oder sei besser als er. Tessa war eine gefeierte Sportlerin – bis eine schwere Verletzung ihre Karriere beendet hat. Seitdem fühlt sie sich verloren. Nur die Sportkurse an der Schule, die sie betreut, geben ihr Halt. Doch ausgerechnet diese Kurse sollen Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Tessa versucht verzweifelt, genug Geld aufzutreiben, um die Kurse zu retten. Trotzdem weigert sie sich, die Hilfe ihres ehemaligen Konkurrenten Caleb anzunehmen. In ihren Augen geht es ihm nur um sein eigenes Image als Profisportler, außerdem erinnert Caleb sie an das, was sie nach ihrem Unfall verloren hat. Schlimmer ist nur die Narbe auf ihrem Herzen, die er selbst vor vielen Jahren verursacht hat. Und sein Geheimnis, das Tessa nie erfahren darf … Romantische Rivals to Lover Romance mit Wohlfühl-Kleinstadt Feeling.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
SEASONS IN TRUFFLE FALLS
BUCH DREI
Copyright © 2025 by Lilly Autumn
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
www.lillyautumn.at
Umschlaggestaltung: Nina Hirschlehner
Lektorat&Korrektorat: Diana Steigerwald
Satz: Bettina Pfeiffer
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für alle, die ein wenig Konkurrenzkampf lieben.
Prolog
1. Tessa
2. Caleb
3. Tessa
4. Caleb
5. Tessa
6. Caleb
7. Caleb
8. Tessa
9. Tessa
10. Caleb
11. Tessa
12. Caleb
13. Tessa
14. Caleb
15. Tessa
16. Caleb
17. Tessa
18. Caleb
19. Tessa
20. Caleb
21. Caleb
22. Tessa
23. Caleb
24. Tessa
25. Tessa
26. Caleb
27. Caleb
28. Tessa
29. Caleb
30. Tessa
31. Tessa
32. Caleb
Epilog - Hazel
Danksagung
Hol Dir gleich Band 2!
Kennst Du schon die kostenlose Novelle rund um Mrs Everdeen?
So geht es in Band 2 weiter …
In dieser Reihe erschienen …
Über den Autor
Weitere Bücher
Sie ignorierte den Schmerz in ihren Beinen, das Stechen in ihrer Lunge. Diesmal würde sie gewinnen. Diesmal würde sie den Pokal bekommen. Wochenlang hatte sie trainiert, sogar Bücher darüber gelesen, wie sie schneller laufen konnte. Dieses verfluchte Jahr würde sie die Schnellste sein.
Die Ziellinie kam in Sicht. Die Menschen um sie klatschten und Anfeuerungsrufe hallten durch die Luft. Sie blendete sie aus. Ihre Familie war hier irgendwo, aber sie durfte sich nicht ablenken lassen. Noch ein paar Meter und sie hatte es geschafft.
Das Stechen in ihrer Brust nahm zu, aber sie biss die Zähne zusammen und lief weiter. Dieser Sieg war alles, was sie wollte.
Als sich schon das Hochgefühl in ihrer Brust erhob, bemerkte sie eine Regung aus dem Augenwinkel. Im nächsten Moment stürmte er an ihr vorbei, durchstieß das Band, das im Ziel gespannt war, und riss die Arme mit einem Triumphschrei in die Luft.
Nicht er. Nicht dieser eingebildete Kerl, der in ihre Klasse ging, obwohl er im Jahrgang über ihr sein sollte. Angeblich hatte er wiederholen müssen, weil er zu lange krank gewesen war. Sie bezweifelte das. Er war lediglich faul und ungebildet, deswegen hatte er die Klasse wiederholen müssen. Nur im Sport war er eindeutig besser. Etwas, das sie dringend ändern musste. Denn schon wieder hatte er ihr den Sieg genommen.
»Gut gemacht«, sagte ihre Mutter zu ihr, als sie bei ihrer Familie ankam.
Sie ließ zu, dass ihre Eltern und Geschwister sie umarmten. Besser fühlte sie sich deswegen nicht. Er hatte es erneut getan. Er hatte sie glauben lassen, dass sie gewinnen würde. Es machte ihm Spaß, sie zu quälen. Deswegen hasste sie ihn. Das würde sie immer tun.
Nächstes Mal. Bis zum nächsten Mal würde sie noch mehr trainieren und diesen Kerl dann endlich in die Schranken weisen. In der Zwischenzeit würde sie die besseren Noten bekommen als er. Für sie war nur wichtig, dass sie gegen diesen Jungen gewann. Immer.
Vielen herzlichen Dank für Ihren Beitrag«, sage ich und kleistere mir ein Lächeln ins Gesicht. »Du darfst den Football gern ein Stück verrücken.«
Der kleine Junge vor meinem Verkaufsstand neben der Eingangstür zum Sportsaal sieht mich mit offenem Mund an. Er ist vielleicht drei oder vier Jahre alt und hat offensichtlich nicht verstanden, was ich meine.
»Schatz, auf der Tafel«, wispert seine Mutter, hebt ihn hoch und deutet auf den Football, den ich mit einem kleinen Magneten versehen habe.
Auf einem Whiteboard habe ich vertikal ein Footballfeld aufgezeichnet. Jede Yard-Linie steht für einen Teil des Spendenziels, das es zu erreichen gilt. Nur deswegen stehe ich beim Schulabschlussfest mit einem Kuchenstand vor der Sporthalle herum. Nur deswegen lächle ich, obwohl ich lieber mit dem Schulrat streiten möchte, weil er sich gegen mich gestellt hat. Wie es aussieht, ist selbst der Direktor der Meinung, dass wir keine Sportangebote außerhalb des Unterrichts brauchen. Von den wichtigen Sportarten wie Football oder Hockey abgesehen. Ich bin anderer Meinung und habe mich nach reiflicher Überlegung – mithilfe von drei Pro-und-Kontra-Listen – dafür entschieden, etwas dagegen zu unternehmen. Zum Glück unterstützt meine Familie mich dabei, Gelder zu sammeln, um nächstes Schuljahr auch Kurse wie Geräteturnen, Kreativer Tanz oder Leistungsschwimmen anzubieten.
Der Junge bewegt den Football in die Endzone und jubelt. Seine Mutter gibt ihm einen Kuss, die beiden nehmen sich den Apfelkuchen, den sie gekauft haben, verabschieden sich und gehen. Sobald sie außer Sichtweite sind, schnappe ich mir den Football und bringe ihn zurück, in den unteren Bereich des Spielfelds.
Ich brauche knapp vierzigtausend Dollar, um ein Jahr lang die zusätzlichen Angebote zu finanzieren. Da ein Footballfeld hundert Yards plus zwanzig für beide Endzonen hat, ist jede Linie etwas über dreitausend Dollar wert. Ich habe in drei Wochen gerade mal die zweite davon erreicht.
Ohne meine Familie wäre selbst das unmöglich gewesen. Violet hat den gesamten Kuchen für diesen Stand gespendet, Holly und Zane haben mir eine Wagenladung Pralinen für den Verkauf geschenkt. Meine Eltern sammeln Spenden, meine Schwester Hazel hat im Stadtrat eine Sondersitzung zu dem Thema angefragt, mein Bruder und sein Team haben ein Wochenende lang Autos gewaschen. Und trotzdem haben wir gerade einmal sechstausend Dollar eingenommen.
Seufzend nehme ich mir ein Stück Kuchen und werfe zwanzig Dollar in die kleine Spendenbox. Um mich sind alle in bester Stimmung, nur ich stehe hier und blase Trübsal, weil ich keine Ahnung habe, wie ich mein Ziel erreichen soll.
Mit einem weiteren Seufzen ziehe ich das Klemmbrett aus meiner Tasche, auf dessen Seiten ich all meine Ideen für die Rettung der Sportkurse niedergeschrieben habe. Mein letzter Rettungsanker wäre, Violets Freund Hudson um Unterstützung zu bitten. Dafür habe ich sogar eine eigene Pro-und-Kontraliste erstellt. Pro wäre, dass ich mein Spendenziel mit seiner Hilfe binnen Stunden erreichen könnte – denn Hudson ist wohlhabend und sportinteressiert. Würde ich ihn darum bitten, würde er mir bestimmt helfen. Kontra ist aber eindeutig, dass ich das Gefühl hätte zu versagen. Mir ist das Sportprogramm wichtig und ich will die ganze Stadt an die vielen Möglichkeiten und Vorteile erinnern, die es bietet. Außerdem will ich den Kindern ein Vorbild sein und beweisen, dass sie alles erreichen können, wenn sie sich Mühe geben. Damit bleibt Hudson bestenfalls mein allerletzter Ausweg, wenn wirklich alle Stricke reißen. Was ich nicht hoffe. Ich werde kämpfen, solange ich kann.
Ich nicke mir selbst zu und beiße entschlossen von meinem Kuchenstück ab. Es schmeckt köstlich.
Als neue Kundschaft an meinen Stand tritt, lege ich den Kuchen und das Klemmbrett zur Seite, und bediene sie. Dabei ringe ich mir angesichts der dreißig Dollar ein Lächeln ab, von dem ich hoffe, dass es nicht aussieht, als hätte ich gerade einen Schlaganfall. Kurze Zeit später bin ich wieder allein und kann meinen Gedanken nachhängen.
»Wenn das nicht die jüngste Williams-Schwester ist«, erklingt plötzlich eine Stimme, die ich nicht hören will.
Finster sehe ich zu Hans van de Kamp, der auf mich zuschlendert. Er ist Eigentümer einer der beiden Chocolaterien, denen Truffle Falls seinen Namen verdankt. Vor zwei Jahren ist er mit einem dubiosen Geschäftsmann einen Deal eingegangen. Davon wusste lange Zeit niemand etwas, doch in den letzten Monaten kam so einiges ans Licht. Hans hat mehr oder weniger seine Seele verkauft, um seinen Laden komplett zu modernisieren. Dafür hat er geholfen, anderen Läden zu schaden. Wie der Chocolaterie von Zanes Familie, die dank Holly besser läuft als je zuvor. Oder der Konditorei meiner Familie.
Jetzt, da alle über Hans’ Machenschaften Bescheid wissen, ist er in der Stadt nicht mehr gern gesehen. Trotzdem stolziert er durch den Schulgang, als wäre er der Platzhirsch.
»Was willst du?«, frage ich frostig.
Er lacht gekünstelt. »Bist du zu jedem so garstig?« Mit dem Kinn deutet er zu meiner Spendentafel. »Kein Wunder, dass du kaum Geld für deine Initiative bekommst.«
Unter dem Tresen balle ich die Hände zu Fäusten. »Ich wiederhole mich ungern, aber: Was willst du?«
Sein Lächeln ist so schmierig wie sein hellbraunes Haar, das er mit Gel in Form gebracht hat. »Zusehen, wie die gefallene Spitzensportlerin Kuchen verkauft, um von ihrem miserablen Leben abzulenken.«
»Du bist ein Kotzbrocken«, fauche ich. »Verschwinde, bevor mir übel wird.«
Wieder lacht er. »Und wenn ich etwas kaufen will, um dich zu unterstützen?«
»Ich schaffe das auch ohne deine Spende.«
Zwar könnte ich jeden Cent gebrauchen, aber von Hans will ich keine Hilfe. Der Kerl ist so ekelhaft, dass mir gleich das Stück Kuchen von vorhin hochkommt.
»Tja, wenn du meinst.« Er wippt auf den Fußballen vor und zurück. »Statt Kuchen solltest du vielleicht dich verkaufen.«
»Was hast du gesagt?«, zische ich.
Seine Augen werden groß und er hebt abwehrend die Hände. »Nicht so, wie du denkst. In anderen Städten werden Dates für gute Zwecke versteigert. Habe ich gehört. Das könntest du beim Sommerfest versuchen.«
»Wer sollte schon auf mich bieten?«
Sein Blick gleitet über mich. »Ich würde mitbieten.«
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder würgen soll. Also atme ich tief durch und sehe Hans noch frostiger an.
»Geh jetzt«, presse ich zwischen den Zähnen hervor.
»Wieso so unterkühlt?«, fragt er mit unschuldiger Miene.
»Weil ich dich nicht leiden kann«, sage ich. Ich habe Hans nie gemocht. Aber nach allem, was er getan hat, um sich selbst zu bereichern, mag ich ihn noch weniger. »Du denkst immer nur an deinen eigenen Vorteil. Deine Art ist ekelhaft und ich will nicht, dass du die herrlichen Kuchen und Pralinen meiner Familie damit verdirbst. Also hau ab.«
Hans öffnet den Mund zu einer Erwiderung, da kommt ihm jemand zuvor.
»Du hast sie gehört«, meint Mrs Everdeen, die sich an Hans vorbeischiebt. »Kauf etwas oder mach echter Kundschaft Platz.«
Ich war der alten Dame, die in Truffle Falls beinahe die Polizei ersetzt, noch nie so dankbar. Mrs Everdeen kann manchmal eine ganz schöne Klatschtante sein, doch sie hat ein gutes Herz, das sie oft hinter Zynismus und Ehrgeiz versteckt. Ich bin sicher, dass Holly und Zane ohne sie nicht zusammengefunden hätten. Oder Violet und ihr Freund Hudson. Mrs Everdeen spielt gerne Kupplerin. Seit Jahren redet sie auf meine Schwester Hazel ein, sie solle die Augen öffnen, dann würde sie erkennen, wer sie glücklich macht. Hätte Hazel mal auf sie gehört. Vor etwas mehr als einem halben Jahr hat sie nämlich herausgefunden, dass ihr Verlobter sie betrogen hat. Seitdem ist Hazel nicht mehr sie selbst und das … tut mir in der Seele weh. Wenn ich schon nicht glücklich bin seit meinem Unfall vor vier Jahren, dann sollen es zumindest meine Geschwister sein.
»Ich will ja etwas kaufen«, knurrt Hans. »Tessa weigert sich nur, mir etwas zu geben.«
Schnaubend greife ich nach einem mit Schokolade gefüllten Croissant und halte es Hans hin. Der blinzelt, zieht einen Geldschein aus seiner Börse und tauscht ihn gegen das Gebäckstück aus.
»Hoffentlich erstickst du dran«, nuschle ich, während ich das Geld in die Box werfe.
»Den Gefallen tue ich dir nicht«, erwidert er, beißt hinein und zieht selbstgefällig grinsend ab.
Geräuschvoll lässt Mrs Everdeen den Atem entweichen. »Ich weiß nicht, was bei ihm schiefgelaufen ist. Sein Vater war so ein aufrichtiger Kerl. Und Hans … na ja.« Sie schüttelt den Kopf und sieht mich an. »Wie läuft das Geschäft denn?«
»Prächtig«, sage ich mit falschem Lächeln. Meine Stimme klingt dabei viel zu hoch. Wer mich kennt, weiß, dass ich gerade geschwindelt habe.
Mrs Everdeen runzelt die Stirn. Natürlich erkennt sie meine Lüge. »Und jetzt die Wahrheit.«
Einen Moment betrachte ich sie in ihrem rosafarbenen Kostüm, das mich an Zuckerwatte erinnert und zu dem ihr Lippenstift perfekt passt. Mrs Everdeen ist dafür bekannt, ihr Make-up an ihr Outfit anzupassen. Ihre weißen Haare trägt sie immer zu einem Dutt aufgesteckt, ihr Schmuck besteht stets aus Perlenohrringen und einer passenden Kette mit einem kitschigen Kamee-Anhänger.
Als Mrs Everdeen sich räuspert, lasse ich die Schultern sinken. »Na ja, an dem Whiteboard sehen Sie ja, wie viel ich bisher geschafft habe. Also, seit ich mit der Aktion begonnen habe.«
Mrs Everdeen wirft einen kurzen Blick auf die Tafel, hebt eine Augenbraue und sieht mich an.
»Nun, da geht noch mehr«, meint sie. »Ich bin sicher, dass du es schaffen kannst. Allerdings fürchte ich, ohne Hilfe wird es schwer.«
»Meine Familie unterstützt mich, wo sie kann.«
»Das weiß ich und das meine ich nicht. Du wirst mehr Hilfe brauchen. Vielleicht von einem internationalen Star?«
Betreten lache ich auf. »Meine Cousine Jas ist zu beschäftigt für so etwas.«
Jas – also eigentlich Jasmine, Maries jüngere Schwester – hat geschafft, was kaum jemand für möglich gehalten hat: Sie hat landesweite Berühmtheit durch eine Serienrolle erlangt. Das wiederum hat ihr kleine Auftritte in großen Hollywoodfilmen eingebracht. Wenn sie mir helfen würde, hätte ich die sechzigtausend Dollar vermutlich schnell beisammen. Aber sie steckt gerade mitten im Dreh und diese Sache ist ihr sicher nicht wichtig genug. Deswegen habe ich sie auch gar nicht als möglichen Rettungsanker berücksichtigt.
»Ich dachte da eigentlich an jemand anderen.« Mrs Everdeen grinst schief.
Ehe ich fragen kann, von wem sie spricht, höre ich Gekreische auf dem Gang. Es wird immer lauter und einen Augenblick später erkenne ich den Grund dafür. Mein Herz setzt einen Schlag aus, bevor es vor Zorn rast. Ausgerechnet der Mensch, den ich noch weniger leiden kann als Hans van de Kamp, hat soeben den Korridor betreten: Caleb Andrews.
Mit einem Lächeln, das mir sämtliche Willenskraft abverlangt, betrete ich das Schulgebäude. An diesem Ort habe ich ein paar meiner schönsten Stunden verbracht – und ein paar meiner schlimmsten. Lange Zeit dachte ich, dass ich die Stadt, aus der ich stamme, abschütteln und hinter mir lassen könnte. Tja, falsch gedacht.
»Lächle breiter«, flüstert Joe, den mein Sponsor als meinen persönlichen Kameramann eingestellt hat.
Er hält ein Smartphone auf mich gerichtet, weil ich gerade live auf Instagram bin, um Werbung zu machen.
»Na, mach schon«, wispert Joe.
So gut ich kann, hebe ich die Mundwinkel höher, schreibe Autogramme auf Zeitschriften, die vor der Schule ausgeteilt worden sind, bevor ich aus dem Wagen gestiegen bin. Auf Social Media soll es so aussehen, als würde mich überall und jederzeit eine Fantraube erwarten. Die traurige Wahrheit ist, dass mich ausschließlich die Leute aus Truffle Falls auf der Straße erkennen. In der Großstadt bin ich nur ein gut aussehender Typ mit einem durchtrainierten Körper. Kaum jemand weiß außerhalb von Social Media, wer ich bin. Aber die Leute von Truffle Falls wissen es. Immerhin bin ich so was wie ein lokaler Superstar.
»Caleb!«, kreischt eine Frau in meinem Alter. Vermutlich waren wir gemeinsam in einer Klasse. Sie strahlt mich an und umarmt mich stürmisch. »So schön, dich zu sehen«, säuselt sie und steckt mir einen Zettel zu.
Ich bin sicher, das ist ihre Nummer. Zwinkernd schiebe ich das Papierstück in meine Hosentasche. Ich habe keine Ahnung, wer diese Frau ist, aber sie ist hübsch und ich habe frei, sobald ich diesen peinlichen Auftritt hinter mich gebracht habe.
»Hey allerseits«, rufe ich und hoffe, es klingt fröhlich.
Dieses aufgesetzte Lächeln tut nämlich weh, aber da muss ich durch. Der Auftritt bringt mir eine Menge Geld. Und das kann ich gebrauchen.
Eine weitere traurige Wahrheit ist, dass von den Preisgeldern, die ich während meiner Profikarriere als Schwimmer verdient habe, nichts mehr übrig ist. Mein Manager – auch bekannt als der schlimmste Vater, den ich mir vorstellen kann – hat das Geld nämlich ausgegeben, statt es zu investieren. Das habe ich leider erst begriffen, nachdem ich meine Karriere beendet habe. Daher bin ich auf das verfluchte Sponsoring angewiesen, das ich selbst aufgetan habe. Und dazu gehört, dass ich in der Kleinstadt, aus der ich komme, medienwirksame Auftritte hinlege. Um mein Image zu pflegen, wie mein Ansprechpartner bei der großen Molkereikette betont hat. Weil ich aufgrund meiner wechselnden Liebschaften eigentlich nicht der Werbeträger sei, den sie sich für ihre Produkte wünschen. Die verkaufen Milch, Herrgott. Das Calcium darin stärkt die Knochen, ich bin ein attraktiver Ex-Profisportler. Was ich privat mache, sollte ihnen egal sein. Ist es aber nicht, weswegen ich mich auf diese Auftritte in Truffle Falls einlassen musste, um meine Bodenständigkeit und meine Volksnähe zu beweisen.
»Ey Mann.« Joe deutet mit der freien Hand auf seinen Mundwinkel.
Ich lächle breiter. Hoffentlich sieht es nicht aus, als würde ich gerade den Verstand verlieren. Wo ist der Direktor, damit ich ihm live mitteilen kann, dass mein Sponsor die Kantine ein Jahr lang kostenlos beliefern wird? Ich will hier weg und herausfinden, ob die Kleine von vorhin mir wirklich ihre Nummer gegeben hat.
Als ich in den Gang einbiege, der zum Sportsaal führt, wird das Kreischen noch lauter. Ein paar Frauen rennen auf mich zu und rufen Worte, die ich nicht verstehe. Lächelnd schüttle ich Hände und bahne mir einen Weg zu den Saaltüren.
Dabei fällt mein Blick auf Tessa, die hinter einem Kuchenstand steht und mich so finster betrachtet, als wäre ich der Teufel persönlich.
Natürlich erkenne ich sie sofort. Wie könnte ich nicht? Tessa Williams war – nach mir – die Beste in der Schwimmmannschaft aus Truffle Falls. Sie hatte eine beeindruckende Karriere, die viel zu schnell zu Ende war.
Ein seltsamer Druck legt sich auf meine Brust. Tessa hätte olympisches Gold holen können. Sie hätte so viel erreichen können. Hat sie aber nicht. Und daran trage ich eine Mitschuld.
»Wenn das nicht Caleb Andrews ist«, sagt eine Frau mit weißen Haaren vor dem Kuchenstand.
Auch bei ihr muss ich nicht lange überlegen, wen ich vor mir habe.
»Mrs Everdeen.« Diesmal ist mein Lächeln echt. »Sie haben sich kein bisschen verändert.«
Joe umrundet uns und hält mir das Smartphone dicht ans Gesicht, als ich die alte Dame umarme.
»Deine Fans wollen wissen, ob sie eifersüchtig sein müssen.« Joe bezieht sich vermutlich auf einen der Kommentare.
»Keine Sorge, Mrs Everdeen ist so etwas wie die Großmutter der Stadt«, sage ich in die Kamera.
»Muss ich dir die Ohren lang ziehen, Junge?« Mrs Everdeen stemmt die Hände in die Hüften. »Ich bin höchstens so etwas wie die Tante der Stadt. So alt, wie du tust, bin ich nicht.«
Ich lache und zum ersten Mal seit vielen Wochen ist es ein von Herzen kommendes, lockeres Lachen. Kein aufgesetztes für eine Kamera oder irgendwelche wichtigen Leute, die ich kennenlernen muss.
»Sie haben natürlich recht«, sage ich und sehe zu Tessa.
Ihr Blick wirkt immer noch so feindselig, als wollte sie mich damit töten. Seit ich zurückdenken kann, waren wir Konkurrenten, egal ob es um Schulnoten ging oder um Siege für das Schwimmteam. Es gab zwar eine Zeit, da dachte ich, sie würde mich mögen. Aber das war Einbildung. Tessa hat mich immer nur als Gegner gesehen.
»Hey, Tess«, sage ich schmunzelnd.
»Nenn mich nicht so«, erwidert sie frostig. »Was willst du hier?«
Ich schiebe die Hände in die Hosentaschen. »Ich dachte, ich schaue mal in der Stadt vorbei, der ich meine Karriere verdanke«, antworte ich. »Und du? Was machst du? Bist du in die Konditorei deiner Familie eingestiegen?«
»Nein.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust.
Niemandem wird auffallen, dass sie ihre linke Schulter dabei verkrampft hält. Niemandem, außer mir.
»Wieso verkaufst du dann Kuchen?«, frage ich.
Keine Ahnung, wieso ich mit ihr spreche. Vermutlich liegt es an meinem schlechten Gewissen. Tessa könnte dort sein, wo ich war, wenn das Schicksal anders verlaufen wäre.
»Kann dir doch egal sein«, zischt sie.
»Die Leute wollen wissen, was hier angeboten wird, weil die Kuchen köstlich aussehen«, sagt Joe. »Und was das für Pralinen sind.«
Ich nicke. »Ja, Tess, erzähl den Leuten bitte von der Konditorei Williams. Nutz meine Plattform, um etwas Werbung für euch zu machen.«
Falls es möglich ist, wird ihr Blick noch finsterer. Tessa ist eine hübsche Frau mit ihren glatten, hellbraunen Haaren, die sie schon zu Schulzeiten fast immer zusammengebunden getragen hat, und ihren grünen Augen, die mich an Sommertage am Pool erinnern. Mir gegenüber trug sie schon damals diese verschlossene, zornige Miene. Dass sie anders kann, weiß ich, weil ich gesehen habe, wie sie mit anderen umgeht. Tja, sie hasst mich wohl. Dabei weiß sie gar nicht, was ich ihr angetan habe. Zumindest gehe ich davon aus.
Mit vorgerecktem Kinn schweigt Tessa. Weil Joe mir mit einer hektischen Handbewegung bedeutet, etwas zu unternehmen, greife ich nach einer Praline.
»Sind die von de Bruin oder van de Kamp?«, frage ich.
Sie schnaubt. »Von Zane und Holly. Sie führen die Chocolaterie.«
»Ah, also machst du Werbung für sie und deine Familie?«
»Nein. Würdest du jetzt bitte einfach weitergehen, Caleb?«
»Aber meine Fans wollen wissen, was das hier«, ich hebe die Praline aus weißer Schokolade mit einer roten Kirsche darauf in die Kamera, »ist. Es sieht köstlich aus.«
»Oh ja, wirklich köstlich«, wispert Joe.
Das scheint Tessa nur noch zorniger zu machen. Ihre Augenbraue zuckt und wenn ich mich recht erinnere, ist das ein Zeichen dafür, dass sie innerlich kocht.
»Film mal die Kuchen«, schlage ich Joe vor.
Der runzelt zwar die Stirn, folgt meinem Vorschlag aber und kommentiert lautstark, um welche Sorten es sich seiner Vermutung nach handeln könnte. Ich trete so nah wie möglich an den Stand heran, schenke Mrs Everdeen ein entschuldigendes Lächeln und lehne mich näher an Tessa heran.
»Hör zu, spiel einfach ein bisschen mit, dann bin ich weg«, flüstere ich.
»Ich soll mitspielen?«, erwidert sie viel zu laut. »Bei was? Deiner Ego-Tour?«
»Pssst«, mache ich und werfe Joe, der in seinem Redeschwall innegehalten hat, einen flehenden Blick zu. Als er weiterspricht, senke ich meine Stimme noch mehr. »Ich bin auch nicht scharf drauf, hier zu sein und die Kreationen deiner Familie zu kommentieren. Leider muss ich da jetzt durch. Wenn du mir hilfst, haben wir es schneller hinter uns.«
Ehe Tessa antworten kann, tippt Joe mir auf die Schulter. Ich ringe mir ein Lächeln ab und drehe mich zur Kamera zurück.
»Also, Tessa, du sammelst Spenden.« Ich rede drauf los, obwohl ich keine Ahnung habe, ob meine Vermutung stimmt. Das Whiteboard sieht aus, als würde sie messen, wie viel Geld sie bereits eingenommen hat. »Verrätst du uns, wofür?«, frage ich und sehe sie an.
Sie verzieht den Mund. »Die zusätzlichen Sportangebote an der Schule wurden gestrichen. Ich versuche, Geld zu sammeln, um das zu ändern.«
»Ah, verstehe.« Bedächtig nickend schaue ich in die Kamera zurück. »In Kleinstädten ist der Zusammenhalt für gewöhnlich groß, ich bin sicher, Tessa wird das Geld zusammenbekommen. Besonders, wenn sie so köstliche Kuchen wie diese hier verkauft.«
Joe reicht mir ein Stück, das ich in die Kamera halte.
»Verrate uns, was für eine Sorte das ist, Tessa.«
»Kirsche«, brummt sie.
Ich nehme einen Bissen und gebe ein genüssliches Mhmmm von mir. »Die Kirschkuchen der Familie Williams sind die besten, die ich je gegessen habe«, verkünde ich und stelle den Kuchen zurück.
Demonstrativ hole ich einen fünfzig Dollarschein aus meinem Portemonnaie und werfe ihn in die Spendenbox.
»Danke«, zischt Tessa.
»Für dich immer.«
Ich begehe den Fehler, ihr zuzuzwinkern. Das scheint sie als Kriegserklärung aufzufassen, denn sie presst die Lippen fest zusammen, während ihre Wangen sich so rot färben wie die Kirschfüllung im Kuchen.
»War schön, dich zu sehen«, sage ich zum Abschied und mache, dass ich wegkomme, bevor der kleine Vulkan explodiert.
Mit Tessa konnte ich mich ständig streiten. Wir waren irgendwie nie auf einer Wellenlänge. Tja, und jetzt weiß ich etwas, das sie noch viel zorniger machen wird, wenn sie es erfährt. Und das sollte sie. Tessa verdient die Wahrheit. Allerdings werde ich ihr erst alles gestehen, wenn ich dieses Nest verlasse.
Schnell schiebe ich den Gedanken fort, zwinge mir ein Werbelächeln auf die Lippen und schreite auf den Direktor zu. Ich muss laut Vereinbarung mit meinem Sponsor vier Wochen in dieser Stadt aushalten. Vier Wochen, in denen ich Tessa aus dem Weg gehen werde. Und nach meinem Geständnis ihr gegenüber werde ich nie wieder herkommen. Denn die Vergangenheit soll genau dort bleiben, wo ich sie zurückgelassen habe: weit hinter mir.
Erst als Caleb im Sportsaal verschwindet, wird mir leichter in der Brust. Doch kaum sehe ich zu Mrs Everdeen, die mich mit finsterem Blick mustert, schnürt sich meine Kehle zu.
»Musstest du so abweisend sein?«, fragt die alte Dame. »Hättest du diesen Moment nicht nutzen können, um für deine Sache zu werben? Caleb hätte einen Aufruf machen können und …«
Abwehrend hebe ich die Hände. »Ich will seine Hilfe nicht.«
Mrs Everdeen legt den Kopf schief. »Wieso?«
»Muss ich das wirklich erklären?« Da sie nickt, seufze ich und reibe mir mit den Fingerspitzen über die Stirn. »Caleb ist meine persönliche Nemesis. Seit wir in dieselbe Klasse gekommen sind, war er mein erbittertster Gegner. Ich kann ihn nicht leiden und sein Star-Gehabe finde ich anstrengend.«
Ich schlucke gegen die Trockenheit in meinem Mund an. Es gab eine Zeit, da dachte ich, Caleb wäre doch nicht der aufgeblasene Gockel, für den ich ihn gehalten habe. Einen Sommer, in dem wir im selben Camp waren und er sich so anders verhalten hat als in der Schule. Doch kaum hatte der Unterricht wieder begonnen, hat er mir gezeigt, dass diese zwei Monate bloß eine Lüge waren. Seitdem war mein einziges Ziel, noch besser zu sein als er.
»Nur seid ihr schon lange keine Gegner mehr«, meint Mrs Everdeen.
Schnaubend schnappe ich mir das Kuchenstück, das Caleb angebissen und dann abgelegt hat. Ich verziehe den Mund, als würden gefährliche Bakterien an dem Gebäck kleben, und werfe es in den Müll.
»Richtig, weil ich im Gegensatz zu ihm nicht mehr schwimmen konnte«, sage ich, ehe ich mich davon abhalten kann.
Der Ausdruck auf Mrs Everdeens Gesicht wird mit einem Mal weich und mitfühlend. Toll, genau das, was ich nicht brauche.
»Lassen Sie es bitte«, sage ich, bevor sie beteuern kann, wie leid es ihr tut.
»Okay«, murmelt sie zu meiner Überraschung. »Aber lass mich dir einen Ratschlag geben. So unter Frauen, die wissen, was sie wollen.«
Ich nicke und lehne mich näher an sie heran, als sie mir bedeutet, es zu tun.
»Du solltest dir dennoch von ihm helfen lassen«, flüstert Mrs Everdeen mir ins Ohr. »Es ist Ende Juni und du hast noch nicht mal ein Viertel der Summe, die du bis August brauchst, zusammen. Dabei ist das Schulabschlussfest deine beste Möglichkeit, an Geld zu kommen. Du hast also eigentlich nur eine Wahl: Lass Caleb Werbung für dich und deine Sache machen.«
In meinem Kopf gehe ich bereits die Kontra-Argumente für diese Idee durch, halte aber schnell inne. Eine Zusammenarbeit mit Caleb ist ohnehin ausgeschlossen.
Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Na, jetzt ist er weg und sicher zu beschäftigt, um noch einmal mit mir zu sprechen.«
»Ich kann ihn holen«, säuselt Mrs Everdeen mit zuckersüßem Lächeln.
»Lieber nicht.« Ich schüttle den Kopf. »Caleb Andrews ist ein egoistischer Mensch. Wenn er mir hilft, muss etwas für ihn dabei herausspringen. Und ich bezweifle, dass ich ihn mit der Aussicht, das Jugendschwimmteam zu coachen, locken könnte. Denn das wäre alles, was ich ihm dafür bieten kann.«
»Das und ein Date mit dir.«
Lautstark pruste ich los. »Ein Date?«, quietsche ich. »Caleb und ich? Das ist ein Scherz.«
»Ihr habt viel gemeinsam …«
»Von dem Sport, den wir beide ausgeübt haben, abgesehen? Nicht wirklich.«
»Wenn du dich da mal nicht irrst.«
»Mrs Everdeen, bevor ich mit Caleb ausgehe, frage ich Hans van de Kamp, ob er auf ein Date mit mir Lust hat. Oder ich trinke Phosphorsäure.«
»Die bekommt dir nicht gut.«
»Die bekommt niemandem gut.«
Die ältere Dame seufzt theatralisch. »Die jungen Leute von heute muss man scheinbar mit Gewalt zu ihrem Glück zwingen.«
»Sie denken doch nicht ernsthaft, dass ich mit Caleb mein Glück finden würde?« Wieder lache ich lautstark auf. »Mal abgesehen davon bezweifle ich, dass er an einem Date mit mir Interesse hätte. Und wenn, dann nur aus einem Grund.«
Vielsagend sehe ich die Witwe an. Die schmunzelt.
»Und daran hast du wohl kein Interesse oder wie darf ich das verstehen?«
Da ich unsicher bin, ob sie verstanden hat, dass ich auf einen One-Night-Stand hinauswill, nach dem Caleb und ich uns vermutlich noch mehr hassen würden, kontrolliere ich die Kuchen.
»Oh, das war der letzte mit Kirsche«, sage ich und streiche ihn von meiner Liste. »Immerhin hat mir das Stück fünfzig Dollar gebracht. Ich muss dann mal die Spendentafel anpassen.«
Belustigt gluckst Mrs Everdeen. »Mach das. Ich werde inzwischen sehen, was es bei der diesjährigen Tombola zu gewinnen gibt.« Sie tätschelt meinen Arm. »Denk darüber nach, Caleb um Hilfe zu bitten. Vielleicht überrascht er dich und unterstützt dich gern.«
Ich verkneife mir eine Antwort, da ich nicht diskutieren will. Meine Meinung von Caleb Andrews steht felsenfest. Ich habe noch nie erlebt, dass er jemandem einfach so geholfen hat. Außerdem will ich keine Zeit mit ihm verbringen. Ich hoffe, er reist bald wieder ab.
* * *
»Wie viel hast du bei dem Fest eingenommen?«, fragt Holly, während sie ihren Stuhl gerade rückt.
Ich bin bei ihr im Laden, der herrlich süß nach Schokolade, Zucker und einer fruchtigen Note riecht. Zane bereitet uns gerade ein Spezialgetränk zu, wie er sagen würde. Ich nenne es einfach heiße Schokolade mit einer Kugel Vanilleeis und Streusel.
»Nicht so viel wie erhofft.« Geräuschvoll atme ich aus und schiebe ihr das Klemmbrett mit meinen Notizen hin. »Mit den Einnahmen vom Fest und den Spenden davor habe ich zehntausend Dollar zusammengebracht.«
»Das ist doch gut«, meint Violet, die ebenfalls hier ist. Hudson hütet inzwischen die Konditorei, die direkt neben der Chocolaterie liegt.
Auch Hazel sitzt bei uns, ebenso wie Noel. Wir fünf Geschwister sind – neben meinen Eltern – die Einzigen, die sich wirklich bemühen, das außerschulische Sportprogramm zu retten.
»Es wäre gut, wenn dieses Schulfest nicht die Veranstaltung gewesen wäre, bei der ich die Hälfte der Gesamtsumme hätte sammeln müssen«, murmle ich. »Ich verstehe nicht, wieso niemand bereit ist, für die Kurse zu spenden. Wenn jede Bewohnerin und jeder Bewohner von Truffle Falls zwanzig Dollar geben würden, hätte ich mehr als genug Geld zusammen.«
Hazel zuckt mit den Schultern, »Na ja, nicht jeder interessiert sich für Sport.«
»Oder hat ein Kind an der Schule«, sagt Noel.
Ich sehe meinen kleinen Bruder an. Manchmal vergesse ich, dass er erst siebzehn ist. Er benimmt sich so viel reifer als ich in seinem Alter.
»Trotzdem«, nuschle ich und verschränke die Arme vor der Brust. »Es ist so frustrierend …«
Holly tätschelt meine Hand. Meine älteste Schwester war immer die Besonnenste von uns. Lange Zeit habe ich geglaubt, dass ich sie verloren hätte, weil sie zwei Jahre lang fort von zu Hause war. Doch jetzt ist sie zurück, glücklich mit Zane verheiratet und der Fels in der Brandung, den ich im Moment brauche.
»Wir kriegen das hin«, meint sie. »Zane und ich arbeiten an einer speziellen Praline, die wir bei der Sommerfeier nächstes Wochenende verkaufen werden. Der Erlös geht an dein Projekt.«
»Und wir könnten eine eigene Tombola anbieten.« Violet strahlt. »Hudson meinte sogar, wir könnten an der diesjährigen Auktion teilnehmen. Mit speziellen Torten, Pralinen oder …«
»Dates«, meint Hazel mit schiefem Grinsen. »Hat zumindest Mrs Everdeen vorgeschlagen, die unser Gespräch in der Konditorei mitgehört hat.«
Ich verdrehe die Augen. »Diese Idee hat sich wohl in ihren Gedanken festgesetzt. Sie hat mir vorgeschlagen, ich solle Caleb Andrews um Hilfe bitten und ihm dafür ein Date bieten.«
Ich erwarte, dass meine Geschwister lachen. Doch alle schweigen. Erst als Zane das Tablett mit den Milchshakes auf den Tisch stellt, räuspert Hazel sich.
»Wieso machst du es nicht?«, fragt sie.
Blinzelnd sehe ich sie an. »Auf ein Date mit Caleb gehen?«
»Ihn um Hilfe bitten.«
Verbittert lache ich. »Du weißt, wieso ich das nie tun würde.«
Hazel war immerhin diejenige, die mich nach den Sommerferien weinend in meinem Zimmer gefunden hat, von Kopf bis Fuß mit klebrigem Glitzer überzogen, den Calebs Freundin über mich gegossen hat. Ich habe nach dem Schwimmtraining auf Caleb gewartet, in der Hoffnung, dass wir gemeinsam etwas unternehmen. Wir waren uns im Sommer so nah, hätten uns fast geküsst. Ich hatte richtige Schmetterlinge im Bauch. Und dann ist dieses Mädchen bei der Halle aufgetaucht, hat sich über mich lustig gemacht und mich mit einer Flasche Glitzerkleber bedeckt. Was hat Caleb gemacht, als er rauskam und es sah? Er hat sich krummgelacht, statt mir zu helfen. Da wusste ich es. Er hatte mir etwas bedeutet, aber ich ihm nie. Obendrein hatte er diese Freundin nie erwähnt … Seitdem ist er bei mir unten durch.
»Das ist Jahre her«, meint Hazel sanft.
»Es ändert nichts an meinen Gefühlen ihm gegenüber.« Räuspernd stehe ich auf. »Hiermit verkünde ich hochfeierlich, dass ich niemals, ich wiederhole, niemals, Caleb Andrews’ Hilfe bei irgendetwas annehmen und ihn erst recht nicht darum bitten werde.«
»Das ist schade«, antwortet ausgerechnet Caleb.
Keuchend wirble ich herum und blicke in sein sonnengebräuntes Gesicht. Ein breites Grinsen umspielt seine Lippen und seine honiggoldenen Augen funkeln angriffslustig.
Er steht in der Ladentür, der Inbegriff von Lässigkeit in seinen ausgewaschenen Jeans und dem weißen T-Shirt, das sich an seine trainierte Brust schmiegt. Hätte die verdammte Glocke nicht bimmeln müssen, als er die Tür geöffnet hat?
»Was machst du hier?«, blaffe ich ihn an.
Er schnaubt belustigt, tritt tiefer in den Laden und schließt die Tür hinter sich. »Ich habe nach dir gesucht, Tess.«
»Wieso?«
Das Funkeln in seinen Augen wird intensiver. Dicht vor mir bleibt er stehen. Sein Duft nach Minze und Sonnenöl dringt in meine Nase. So hat er damals auch gerochen. Wie ein verführerischer Sommercocktail.
Als er sich nach vorn lehnt, erkenne ich die Goldsprenkel in seinen hellbraunen Augen. Und die winzige Narbe an seiner Nase, für die er sich früher geschämt hat.
»Glaub es oder glaub es nicht«, sagt er immer noch breit grinsend. »Ich bin gekommen, um dir meine Hilfe anzubieten.«
Vielleicht ist es nicht meine beste Idee, Tessa anzugrinsen.