Seelennarben - Gerlinde Friewald - E-Book
SONDERANGEBOT

Seelennarben E-Book

Gerlinde Friewald

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mörderische Leidenschaft und verborgene Wahrheiten
Der erste Band einer fesselnden Krimi-Reihe, die unter die Haut geht

Der charismatische Profiler Nick Stein hatte eigentlich nie vor, in seine Heimatstadt Mödling zurückzukehren. Doch als eine ehemalige Schulkollegin ermordet aufgefunden wird, ist er gezwungen, sich den düsteren Schatten seiner Vergangenheit zu stellen. Obwohl er eigentlich Distanz wahren sollte, kann er der Anziehung seiner alten, feierlustigen Clique und den schönen Frauen nicht widerstehen. Als plötzlich ein zweiter Mord geschieht und sich nun auch der Bürgermeister einmischt, entfaltet sich ein Netz aus Intrigen, das nicht nur erschütternde Geheimnisse seiner früheren Freunde ans Licht bringt. Hinter der bürgerlichen Fassade lauert das nackte Grauen und Nick muss erkennen, dass sein altes Leben nicht nur persönliche Dämonen, sondern auch eine tödliche Bedrohung birgt …

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Narbenfrau.

Erste Leser:innenstimmen
„Ich war überrascht, welche Wendungen dieser Kriminalfall immer wieder nimmt.“
„Ein Showdown wie ihn ein fesselnder Kriminalroman braucht, spannend bis zum Schluss.“
„Der Plot ist spannend konstruiert und ein Verwirrspiel der Extraklasse nimmt seinen Lauf.“
„Gelungener Krimi mit viel Ermittlerarbeit, einer Prise Leidenschaft und einem packenden Fall.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 328

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses E-Book

Der charismatische Profiler Nick Stein hatte eigentlich nie vor, in seine Heimatstadt Mödling zurückzukehren. Doch als eine ehemalige Schulkollegin ermordet aufgefunden wird, ist er gezwungen, sich den düsteren Schatten seiner Vergangenheit zu stellen. Obwohl er eigentlich Distanz wahren sollte, kann er der Anziehung seiner alten, feierlustigen Clique und den schönen Frauen nicht widerstehen. Als plötzlich ein zweiter Mord geschieht und sich nun auch der Bürgermeister einmischt, entfaltet sich ein Netz aus Intrigen, das nicht nur erschütternde Geheimnisse seiner früheren Freunde ans Licht bringt. Hinter der bürgerlichen Fassade lauert das nackte Grauen und Nick muss erkennen, dass sein altes Leben nicht nur persönliche Dämonen, sondern auch eine tödliche Bedrohung birgt …

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Narbenfrau.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe März 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98998-084-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-088-4 Hörbuch-ISBN: 978-3-98998-095-2

Dies ist eine Neuausgabe des bereits 2020 beim dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Narbenfrau (ISBN 978-3-96817-036-7). Copyright © 2020, dp DIGITAL PUBLISHERS

Copyright © 2009, Sutton Verlag Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2009 bei Sutton Verlag erschienenen Titels Faltenfrei (ISBN: 978-3-95400-214-6).

Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © sommai shutterstock.com: © Kateryna Mostova, © Wilqkuku depositphotos.com: © Lukbar, © denisovd Korrektorat: Katrin Gönnewig

E-Book-Version 19.04.2024, 14:13:30.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier

Website

Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein

Newsletter

Facebook

Instagram

TikTok

YouTube

Seelennarben

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Seelennarben
Gerlinde Friewald
ISBN: 978-3-98998-095-2

Mörderische Leidenschaft und verborgene Wahrheiten Der erste Band einer fesselnden Krimi-Reihe, die unter die Haut geht

Das Hörbuch wird gesprochen von August Thiemann.
Mehr erfahren

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

mit der Neuauflage der Nick Stein–Reihe führte kein Weg daran vorbei, kurz in die Vergangenheit zu reisen und an die Entstehung der Figur Nick Stein zu denken.

Er ist smart.

Er ist arrogant.

Er ist schnöselig.

Er hat einen Markenfetisch.

Er würde am liebsten jede zweite Frau flachlegen (tatsächlich tut er es dann mit jeder dritten). Sehr unkorrekt also.

Was er außerdem ist: ein großartiger Sonderermittler und Profiler, der Herz und Verstand, Logik und Emotion in gleichem Maß benutzt.

Schon bald dringt dezent an die Oberfläche, dass sich Nick eigentlich ein stabileres Privatleben wünscht – und tatsächlich erscheint ein Licht am Horizont, das bereits in Seelennarben zu strahlen beginnt. Später wird es im Übrigen flackern, erlöschen und wieder aufleuchten – heller denn je.

Bis heute weiß ich nicht, ob es richtig war, Nicks Wunsch nach diesem Strahlen, also einer festen Beziehung zu erfüllen. Mein Partner meint tatsächlich, das unvermeidlich Weibliche in mir hätte Nick automatisch in diese Richtung dirigiert (kein Scherz!). Ich hingegen vermute, dass ich damals einfach noch zu vorsichtig und ängstlich war, um mich vor einen eingebildeten (saucoolen) Don Juan zu stellen. Seelennarben hat aber auch wirklich polarisiert. Von »Sexschund« bis »Absolut spitze!« war alles dabei.

An dem »Sexschund« sind jedoch keinesfalls nur Nick und seine amourösen Abenteuer schuld. Schließlich stellt sich bald heraus, dass er bei den Ermittlungen in äußerst bizarre Abgründe eintauchen muss.

Viel Vergnügen beim Lesen!

Gerlinde Friewald

1

Zärtlich strich er ihr über das Haar und lächelte versonnen. „Susi, meine geliebte Susi.“ Seine Finger berührten behutsam ihre Wange, folgten der Linie des Halses und verharrten auf ihrer Brust. Mit langsamen, kreisenden Bewegungen begann er sie zu streicheln, wobei er sich über sie beugte. Endlich fanden seine Lippen die ihren. „Susi“, wiederholte er ihren Namen.

Seine Stimme war so unendlich sanft und liebevoll, dass Susanne ein wohliger Schauer über den Rücken lief. „Nicki, oh Nicki. Du weißt nicht, wie lange ich mir das schon wünsche.“ Ihre Worte waren kaum mehr als ein Hauch.

Er antwortete nicht, doch der glückliche Ausdruck auf seinem ebenmäßigen, ihr so vertrauten Antlitz besagte alles. Seine Hand verließ ihre Brust und strich über ihren Bauch, blieb dort einen Moment lang liegen und glitt tiefer.

Erstaunt stellte sie fest, dass es ihr nicht unangenehm war, wenn er ihren Körper erforschte. Er durfte sie sehen, ihre Rundungen berühren, sie endlich so lieben, wie sie es sich immer erträumt hatte. Ab nun würde er sich auch nie wieder über sie lustig machen, nie wieder gemeinsam mit den anderen im Chor die schrecklichen Worte hinter ihr herrufen: Rippel – Trippel – Trappel – Kugelrund. Rippel – Trippel – Trappel – Kugelrund.

„Hier stimmt etwas nicht!“, fuhr es ihr plötzlich brutal durch den Kopf, und das Gefühl, Nickis Hand auf ihrer Haut zu spüren, verblasste mit einem Mal. „Nein!“, schrie es in ihr auf. Er durfte nicht aufhören, sollte sie bitte – bitte – bitte wieder und immer wieder küssen, genau, wie er es eben getan hatte. Sie wollte sich nicht von diesem wunderbaren Traum lösen und in die Welt zurückkehren, die für sie so schwer zu bewältigen war und ihr stets viel Kummer bereitete.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich mit einer ungeahnten Kraftanstrengung überwinden konnte, die Lider zu heben. Grelles Licht überflutete ihre Pupillen. Rasch presste sie die Augen wieder zusammen. Warum fiel ihr diese kleine Bewegung dermaßen schwer? Und warum konnte sie sich nicht konzentrieren? Ihre Gedanken lagen wie unter einer Schneelawine begraben. Panik kroch in ihr hoch, und sie versuchte krampfhaft, die Situation zu erfassen. Was sollte dieses gleißende Licht über ihr? Wo befand sie sich überhaupt? Und warum schaffte sie es nicht, Nick, ihre unerfüllte Jugendliebe, aus ihrem Leben zu verbannen?

Mit einer automatischen Geste zogen sich ihre Brauen zusammen.

Komm schon! Denk nach! Wo bist du? Hol dir ein Bild, mit dem du arbeiten kannst. Du weißt doch, wie das funktioniert. Du schaffst es!

Oh ja, sie wusste es genau. Man hatte es ihr in der Therapie beigebracht, und mit der Zeit war sie sogar eine Meisterin darin geworden. Es war lange her, doch hatte sie nichts davon vergessen. Wieder versuchte sie, sich zu konzentrieren. Vor ihrem inneren Auge erschien allmählich das Bild einer Stadt im Nebel.

Ich stehe auf einem erhöhten Aussichtspunkt und schaue in Richtung Norden auf die Stadt. Ich sehe! Ich sehe …

… Wien. Die von wenigen Hochhäusern gekennzeichnete Skyline, schemenhafte Gebäude, rauchende Schornsteine, zur Linken die sanften Hügel der Weinberge. Im Hintergrund, wegen des Nebels nicht sichtbar, doch sehr wohl in ihrer Vorstellung vorhanden: die Weite des Burgenlands, der Neusiedlersee, das Leithagebirge.

Ich sehe!

Tief sog sie die Luft in ihre Lungen und stieß sie mit einem kräftigen Ruck wieder aus. „Schleier, heb dich! Nebel, verschwinde!“, formte sie die auswendig gelernten Worte in ihren Gedanken, und wie durch Zauberhand begann sich der Nebel tatsächlich zu lichten. Die Gebäude traten hervor, das Gebirge erhob sich. Nach und nach wurde alles klarer. Noch einmal atmete sie tief durch und wagte endlich, die Augen erneut zu öffnen.

Zuerst war es nur ein winziger Spalt, durch den die Helligkeit, nun dosiert, auf ihre Pupillen traf. Ihre Lider flatterten. Sie wartete, bis sie sich an das weiße Licht gewöhnt hatte, dann schlug sie die Augen ganz auf. Als Erstes erkannte sie eine Lampe auf einem Schwenkarm genau oberhalb ihres Kopfs. Ihr Blick wanderte nach links. Eine weiße Wand mit einem Regal aus dunklem Holz, auf dem unzählige Bücher säuberlich aufgereiht standen, drei Fotos von auffallend schönen Frauen, daneben einige gerahmte Schriftstücke, die sie aus der Entfernung nicht entziffern konnte. Sie schwenkte nach rechts. Ihre Augen brannten, trotzdem empfing ihr Gehirn klare Signale: wieder eine weiße Wand und davor ein Aluminiumschrank mit Glastüren. In den Fächern befanden sich diverse Gegenstände, die sie nicht genau ausmachen konnte. Das gesamte Mobiliar wirkte elegant, allerdings auch klinisch und nüchtern.

Schleier, heb dich! Nebel, verschwinde!

Ihre Schläfen pochten.

Schleier, heb dich! Nebel, verschwinde!

Angsterfüllt ließ sie ihre Pupillen auf der Suche nach einem Anhaltspunkt weiter kreisen. Noch immer war sie nicht ganz bei Sinnen, erfasste ihr Umfeld nur konfus, wie die Teile eines Puzzles, die jemand achtlos ausgeleert hatte.

Zögerlich blickte sie an sich hinab. Sie lag flach auf einer Liege ausgestreckt. Ihre Arme waren in einem Winkel von neunzig Grad gebogen und ruhten auf einem Gestell. Lederne Schlaufen fixierten ihre Gelenke. Ihre entblößten Beine standen seitlich von ihrem Körper ab. Wie in einem gynäkologischen Stuhl steckten sie angehoben in einer Vorrichtung aus Metall und waren ebenfalls mit Lederriemen befestigt. Und zwischen ihnen stand – ein Mann! Susanne erkannte ein weißes Hemd, unter dessen Kragen eine blaue Krawatte lose herabhing. Sie folgte dem Verlauf der Krawatte. Unter den Enden des Hemds blitzte Haut hervor. Seine Hüften waren nackt. Nackt!

Mit seltsam entrückter Miene stierte der Mann zur Decke, sein Becken bewegte sich rhythmisch vor und zurück, wobei er seine Finger in ihre gefühllosen Schenkel krallte.

Ein eiskalter Schauer durchlief ihren Leib. Einem ersten Instinkt folgend, wollte sie aufschreien, um Hilfe rufen, doch drang kein Laut über ihre Lippen. Ihre Furcht ignorierend, betrachtete sie sein Gesicht. Sie kannte ihn. Doch es war nicht dieses verzerrte, ekstatische Antlitz, das sie in ihrem Gehirn gespeichert hatte. In ihrer Erinnerung war es freundlich und lächelte. Sie verband es mit einem Gefühl von Vertrauen und Sicherheit. Vertrauen, Sicherheit – und Hoffnung! Eine sehnsüchtige, verzweifelte Hoffnung.

Jemand im Raum hustete. Nicht dieser Mann, eine zweite Person.

Schleier, heb dich! Nebel, verschwinde! Helft mir! So helft mir endlich!

Verzweifelt kniff sie abermals die Augen zusammen.

Hör auf zu betteln! Niemand wird dir helfen. Weißt du denn nicht, was gerade mit dir geschieht?

Da hoben sich die letzten Nebelschwaden, lösten sich wie der Morgendunst eines herbstlichen Walds schlagartig in nichts auf und offenbarten ihr die furchtbare Wahrheit. Sie erstarrte. Solange es ihre Lungen gestatteten, wagte sie nicht zu atmen und wünschte sich in einem neuerlichen Anflug von Panik wieder in die blasse Welt der Unwissenheit zurück.

Warum habe ich kein Gefühl in den Beinen? Warum spüre ich ihn nicht? Ich sehe doch, was er tut! Weiß, was er mit mir anstellt! Hilfe! Hilfe! Er vergewaltigt mich!

Das Verlangen, sich endlich aufzubäumen, an ihren Fesseln zu zerren und so laut wie möglich zu schreien, überschwemmte sie unvermittelt und war kaum kontrollierbar. Dessen ungeachtet blieb sie bewegungslos liegen und überwand den schier übermächtigen Drang.

Verhalt dich ruhig! Und denk nach, denk nach! Du weißt genau, was passiert, wenn er sieht, dass du wach bist.

Vorsichtig versuchte sie, ihre linke Hand zu bewegen, doch die Manschette saß fest am Gelenk. Sie probierte es mit der rechten Hand, aber auch diese war festgezurrt. Mit dosierter Kraftanwendung drückte sie die Gelenke langsam nach oben; vielleicht konnte sie die Fesseln auf diese Weise unauffällig lockern. Wie Eisenzangen umklammerten die Riemen jedoch ihre Arme und verschoben sich keinen Millimeter. Als ihre Muskeln zu schmerzen begannen, legte sie eine Pause ein. Erneut versuchte sie es. Ohne Erfolg.

Was würde passieren, wenn ich meine Knie mit einem Ruck zusammenpresse? Meine Beine sind zwar dick, aber in den Schenkeln steckt erstaunlich viel Kraft. Ich habe nicht umsonst tagein, tagaus trainiert.

Die nüchterne Antwort folgte umgehend.

Das habe ich dir doch gesagt: Er würde wissen, dass du wach bist. Meinst du, dass er vor dir auf die Knie fällt, sich entschuldigt und dich bittet, den Mund zu halten?

Etwas in ihr schrie auf.

Aber er wird aufhören! Endlich damit aufhören! Egal, was danach passiert, einen endlosen Augenblick lang hätte ich Ruhe.

Ein fremdartiges Hitzegefühl durchströmte ihren Körper, und mit einem Mal orientierte sich ihr gesamtes Denken an diesem kläglichen Hoffnungsschimmer.

Aufhören! Aufhören! Aufhören!

Tief atmete sie ein und gab die Luft mit einem markerschütternden Schrei wieder von sich. Unter Aufbietung ihrer gesamten Kraft presste sie die Knie zusammen, doch hatte sie dabei, noch immer bewusstseinsumnebelt, nicht an die Fußfesseln gedacht. Verzweifelt riss sie an ihnen, aber auch diese saßen fest, sodass sie es gerade schaffte, seinen Körper zu berühren.

Trotzdem stöhnte er auf, und so, als hätte sie ihn tatsächlich verletzt, fiel er nach vorn und sackte auf ihr zusammen. Unversehens war sein Gesicht dem ihren zum Greifen nah.

Sie starrte ihn an, sah seine überraschte Miene, und für den Bruchteil einer Sekunde war sie glücklich und unendlich dankbar, dass ihre Qual ein Ende hatte. Sie konnte nicht sehen, wie jemand hinter ihr die Hände erhob und mit voller Wucht einen Gegenstand auf ihren Kopf herabsausen ließ. Alles um sie herum wurde schwarz.

2

„Er war ein Punker, und er lebte in der großen Stadt, es war in Wien, war Vienna, wo er alles tat. Er hatte Schulden, denn er trank, doch ihn liebten …“

Bereits bei Vienna war Nick hellwach und aufnahmebereit, allerdings benötigte er eine Weile, bis er in der Dunkelheit den Ton seines Handys lokalisiert hatte. Er kletterte aus dem Bett und zog es aus der Tasche seiner auf dem Boden liegenden Hose. Das Display flammte auf, und Nick drückte die Annahme-Taste. „Ja? Stein.“

„Entschuldigen Sie die nächtliche Störung, Doktor Stein, Code 107“, vermeldete eine leicht schleppende Frauenstimme.

Code 107 – ein Mordfall! Nick seufzte. „Geben Sie mir die Adresse.“

Sie hüstelte und erwiderte stereotyp: „Ort: Mödling, Straße: Brühlerstraße Nummer 19. Genügt Ihnen diese Information, oder wünschen Sie weitere Details?“

„Ja.“

„Sie meinen … ich verstehe nicht?“, erkundigte sich die Stimme mit einem Anflug von Missmut.

„Ja, bitte geben Sie mir weitere Details“, setzte er, umgänglicher, nach. Ihm lag nicht daran, die Nerven dieser armen Nachtdienst-Seele zu strapazieren.

„Die Hausnummer 19 ist die Adresse eines Lokals oder Veranstaltungsorts, wie ich am Bildschirm sehe, Name: Kursalon. Den 107er finden Sie laut Angaben am hinteren Ende des rechts an das Gebäude grenzenden Parkplatzes“, erklärte sie, wieder ganz in die monotone Sprachmelodie verfallend.

„Sagen Sie den Leuten vor Ort, ich bin in einer Stunde bei ihnen.“ Er beendete das Gespräch.

Nackt, das Handy fest umklammert, blieb er einen Moment lang bewegungslos inmitten des fremden Schlafzimmers stehen und versuchte sich zu orientieren. Dabei warf er einen Blick auf das Bett, in dem sich jemand regte. Schemenhaft kam ein Kopf zum Vorschein.

„Warum schaltest du mitten in der Nacht das Radio ein?“, murmelte die Frau verschlafen.

Rasch ließ Nick den gestrigen Abend Revue passieren; ein versonnenes Lächeln umspielte seine Lippen. „Das war nur mein Handy. Amadeus von Falco ist mein Klingelton“, flüsterte er und beschloss, sich bei Gelegenheit eine neutrale Melodie zuzulegen.

Aus dem Bett kam als Antwort ein undefinierbares Grunzen.

„Ich muss weg. Wo ist das Bad?“, fragte er.

„Die nächste Tür rechts. Wieso musst du weg?“, nuschelte sie unter einem langen Gähnen.

„Meine Arbeit. Ich ruf dich später an und erkläre dir alles, okay?“

„Hast du denn überhaupt meine Telefonnummer?“

„Du hast mir in der Bar deine Karte gegeben.“

Wieder ertönte eine Art Grunzen.

Mittlerweile hatte Nick seine Kleidungsstücke eingesammelt. Leise durchquerte er den Raum und zog die Schlafzimmertür geräuschlos hinter sich ins Schloss.

Das Badezimmer war klein, aber sauber und ordentlich aufgeräumt; keine Haare im Waschbecken, keine Schimmelspuren in den Ecken. Er atmete auf und schnappte sich eines der auf einem offenen Regal gestapelten rosafarbenen Handtücher. Das folgende Prozedere war ihm mit der Zeit in Fleisch und Blut übergegangen: nicht länger als eine Minute lauwarm duschen, damit die verschlafenen Glieder in Schwung kamen, dabei das Haar mit den Händen und Wasser in Form bringen, danach Zähne putzen, zur Not, wenn er, so wie jetzt, keine Zahnbürste zur Verfügung hatte, mit dem Zeigefinger der linken Hand und einer doppelten Portion Zahnpasta, ankleiden – fertig. Er fasste in die Innentasche seines Sakkos und griff nach dem Schlüsselbund, dem Portemonnaie sowie der Polizeimarke. Perfekt.

Eilig verließ er die Wohnung, ignorierte den Fahrstuhl und öffnete die Tür zum Treppenhaus. Während er die ersten Stufen nahm, drückte er auf seinem Handy die Kurzwahltaste eins.

Samantha Smith meldete sich nach dem ersten Läuten. „Chief!“ Sie stockte und schien zu lauschen. „You’re not at home! Da sind fremde Geräusche im Hintergrund. Wo bist du?“ Ihr weicher britischer Akzent konnte nicht über den beißenden Hohn in ihren Worten hinwegtäuschen.

„Ich werde dich für die neugierigste Sekretärin der Welt nominieren“, konterte Nick. „Bist du schon im Bild?“

„Yep. Ich habe soeben den Anruf erhalten und bin bereit. Soll ich ins Büro fahren?“

„Nein. Bleib vorerst auf Abruf zu Hause. Sollte ich dich vorzeitig brauchen, melde ich mich.“ Er wusste, dass sie rund um die Uhr für ihn zur Verfügung stand.

„Wo bist du?“, wiederholte sie ungerührt.

„Das geht dich nichts an.“

„Hat es gar mit diesen drei Ladys aus der Bar zu tun?“

Nick ächzte. „Kannst du dich an die sportliche Blondine erinnern?“, gestand er.

„Die sich mit dem verräterischen Augenzwinkern als die schöne Bella, weil doppelt hält besser vorgestellt hat?“, spöttelte Samantha.

„Genau die! Im Übrigen heißt sie mit vollem Namen Isabella. Warum bist du auch so schnell verschwunden, Sam? Du hättest auf mich aufpassen sollen.“

„Auf dich kann niemand aufpassen! Wenn du dich nicht änderst, wirst du in ferner Zukunft als old dodderer auf einer Frau liegend sterben. Das prophezeie ich dir. Hättest du dir einfach noch einen Whisky bestellt und wärst dann nach Hause gefahren!“

Bei der Erinnerung an den zwölf Jahre alten Single Malt und den starken Mokka, den er dazu getrunken hatte, verzog sich sein Mund auch jetzt noch genießerisch. Wie er diese Kombination mochte! Der säuerliche Geschmack, den der Mokka auf der Zunge hinterließ, harmonierte in unvergleichlicher Weise mit der Schärfe des Whiskys. Aber nicht nur der Gedanke an das Whisky-Aroma brachte ihn zum Lächeln. „Ich denke, Isabella ist eine wirklich nette Frau. Vielleicht …“

Mit einem derben Lacher unterbrach Samantha ihn. „Du kennst sie überhaupt nicht, und außerdem war sie betrunken. Lass ein paar Wochen ins Land gehen, schieb hundert Nummern mit ihr, dann sprechen wir weiter.“

„Du bist ordinär.“

„Das nehme ich als Kompliment. Thank you.“ Ohne ein weiteres Wort legte sie auf.

Nick steckte das Handy weg und holte im selben Atemzug seinen Autoschlüssel aus der Tasche. Sein schwarzer Range Rover parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er überquerte zügig die leere Fahrbahn und lauschte dem Klicken des sich entsperrenden Wagens. Voller Tatendrang öffnete er die Autotür, sprang auf den Fahrersitz, drückte den Startknopf und stellte den Schalthebel auf Drive. Mit einem Blick in den Rückspiegel fuhr er los. Seine Augen wanderten zur Uhranzeige. Von dem Anruf aus der Zentrale bis jetzt waren knapp zwanzig Minuten vergangen. Bis nach Mödling benötigte er um diese nachtschlafende Zeit noch einmal so lange. Er lag gut im Rennen, zwar nicht sein Rekord, aber zufriedenstellend.

Tatsächlich war auf den Straßen kaum Verkehr, und die wenigen Nachtschwärmer oder Frühaufsteher, die ebenfalls unterwegs waren, wichen aus, wenn sie ihn im Rückspiegel näher kommen sahen. Nach zehn Minuten passierte er die Stadtgrenze Mödling und bog kurze Zeit später auf den Parkplatz neben dem Kursalon ein.

Er hatte sein Ziel erreicht.

Sofort fiel ihm der silberfarbene Porsche Cayenne Turbo mit dem Kennzeichen W DOC 1 auf, der ohne Rücksicht auf Bodenmarkierungen in Poleposition parkte. „Verdammt!“, entfuhr es Nick, und eine eigentümliche Mixtur aus Erleichterung, Enttäuschung und Widerwillen überkam ihn. So war es immer, wenn er mit dem Besitzer dieses Autos zusammenarbeitete: Doktor Robert Hofer, Facharzt für Rechtsmedizin, einer der unsympathischsten, eitelsten und arrogantesten Menschen, die er jemals kennengelernt hatte – dabei mit Abstand der Beste seines Fachs.

Zwei Drittel des Parkplatzes waren weitläufig mit einem Polizeiband abgesperrt. Starke Scheinwerfer, die alles in ihrer Umgebung in eine – wie Nick es gern nannte – Operationsraum-Atmosphäre tauchten, standen überall herum, wobei ihr Fokus auf eine aus seiner Position noch nicht einzusehende Stelle im Hintergrund ausgerichtet war. Doch er wusste auch so, worauf die grellen Lichter zeigten. Genau dort verlief das Bett des Mödlingbachs.

Mit einer schwungvollen Bewegung hob er das Absperrband hoch und schlüpfte hindurch. Unwillkürlich wurde er langsamer und sondierte die Lage. Ein paar Gestalten schwirrten in den Lichtkegeln der Lampen hin und her, zwei Personen knieten auf dem Boden. Auf der kleinen Holzbrücke, die den Parkplatz mit der Bachpromenade verband, lehnten drei Polizisten am Geländer und gafften in die Tiefe. Nick blieb stehen, holte tief Luft und blickte zu dem Aquädukt hoch, das den Parkplatz der Länge nach in zwei Hälften teilte. Das Bauwerk wirkte selbst heute noch mächtig und einschüchternd auf ihn; erstaunlich gut konnte er sich daran erinnern, wie er als kleiner Junge Angst gehabt hatte, ein Ziegel könnte sich lösen und auf ihn herabdonnern. Kopfschüttelnd riss er sich aus der Momentaufnahme seiner Vergangenheit los und setzte sich wieder in Bewegung.

Als er in den ersten Lichtkegel trat, wandten die drei Uniformierten wie auf Befehl ihre Köpfe und ließen von der Stelle ab, die sie fixiert hatten. Mit schnellen Schritten näherten sie sich ihm. Nick ließ es auf kein zeitraubendes Frage-Antwort-Spiel ankommen, sondern zog seine Dienstmarke hervor und setzte ein gewinnendes Lächeln auf. „Wie ich sehe, haben Sie alles im Griff. Setzen Sie mich bitte über die Fakten in Kenntnis.“

Der kleinste der drei Männer trat einen Schritt vor und präsentierte eine durchaus überzeugende Pistolero-Miene. „Sie sind …?“ Seine Worte klangen wie Pistolenschüsse.

Unvermittelt drängte sich Nick ein verräterisches Grinsen auf. Diesem Mann reichte eine schnöde Polizeimarke, die man ihm vor die Nase hielt, keineswegs, er wollte auf Nummer sicher gehen. Prinzipiell respektierte Nick diese Einstellung. Die grimmig zusammengezogenen Augenbrauen, die zum Zücken der Waffe bereiten Arme, leicht angewinkelt, und dazu die Ausdrucksweise waren aber doch einen Tick zu viel.

„Nick Stein“, erwiderte er nichtsdestoweniger betont freundlich.

Augenblicklich glättete sich die Stirn des Angesprochenen. Verlegen räusperte er sich. „Ah, Doktor Stein! Wir … ja, wir haben Sie nicht so rasch erwartet.“ Dienstbeflissen fuhr er fort: „Das Opfer liegt unten am Bachufer. Rein äußerlich sind keine größeren Verletzungen zu erkennen. Trotzdem: Ein schrecklicher Anblick, ich muss Sie warnen!“

„Sie waren da unten?“, fragte Nick. Selbstverständlich kannte er die Antwort, doch wollte er sich das Spielchen nicht entgehen lassen. Ein Dämpfer konnte diesem Reserve-Django nicht schaden.

„N-Nein. Aber man kann von hier oben alles recht gut sehen. Es sind ja nur ein paar Meter“, entgegnete der Polizist und strich mit einer nervösen Geste über sein Kinn.

Nick warf einen Blick auf seine beiden Kollegen. Während der Ältere gelangweilt wirkte und keinerlei Gefühlsregungen zeigte, tat sich der andere sichtlich schwer, ernst zu bleiben. Seine Mundwinkel zuckten. – Das war sein Mann!

In nächster Zeit würde Nick erfahrungsgemäß ständig mit den hiesigen Beamten zu tun haben. Neben dem Leiter des Reviers, den er nehmen musste, wie er war, benötigte er ein oder zwei verlässliche Ansprechpartner, an die er sich immer wenden konnte und die er bei Bedarf sogar eigens für sich abstellen ließ.

„Wie heißen Sie?“, sprach Nick diesen dritten Polizisten direkt an.

„Peter Westernschmidt.“ Kurz und bündig, ohne Anzeichen von Ergebenheit.

Zufrieden streckte ihm Nick die Hand entgegen, blieb jedoch so weit auf Distanz, dass sich der Polizist mit mindestens einem Schritt auf ihn zubewegen musste. Als Peter Westernschmidt seine Hand ergriff, zog ihn Nick mit einer unauffälligen Bewegung noch ein Stück zu sich heran und isolierte ihn auf diese Weise von seinen Kollegen.

„Um ein Uhr dreißig erhielten wir den Anruf eines Mannes“, begann Peter Westernschmidt spontan seinen Bericht. Als Nick ihn mit einer einladenden Geste aufforderte, fortzufahren, legte er sofort nach: „Er habe mit seiner Freundin einen Spaziergang unternommen, sich für ein paar Minuten auf der Brücke aufgehalten und dabei die Leiche entdeckt.“

Nick schaute zum Himmel empor. Beinahe Vollmond, keine Wolken. Die Sicht war fraglos ausreichend. „Haben Sie das Paar gesehen, Herr Westernschmidt?“

„Ja. Sie befinden sich auf dem Revier und werden gerade von einer Kollegin befragt. Er ist etwa zwanzig Jahre alt, und dem Mädchen fehlt noch einiges auf die achtzehn. Wenn Sie mich fragen, wollten die beiden alles denkbar andere, als einen Spaziergang unternehmen.“

Nick unterdrückte ein wissendes Lächeln. Der Wald hinter der Brücke war schon in seiner Jugend ein beliebter Ort für mehr oder weniger romantische Schäferstündchen gewesen. „Können Sie mir etwas über das Opfer sagen?“

„Wie mein Kollege bereits erwähnte, weist sie, zumindest aus der Entfernung, keine sichtbaren, größeren Verletzungen auf. Ein paar Kratzer, zerfetzte Kleidung, sonst konnten wir nichts feststellen. Sie liegt mit dem Bauch nach unten. Kopf und Gesicht befinden sich teilweise unter Wasser. Noch wurden keine persönlichen Gegenstände gefunden. Das ist einstweilen leider alles.“

„Eine Frau also.“

Der Polizist nickte und deutete in Richtung Brücke. „Kommen Sie.“

Gemeinsam betraten sie den Übergang und blickten auf das Flussbeet hinab. Das Bild, das sich Nick bot, war natürlich kein ansprechendes, nichts für empfindsame Seelen, doch hatte er in der Vergangenheit weitaus schlimmere Tatorte gesehen.

Wie von Peter Westernschmidt angekündigt, lag die Frau mit dem Bauch nach unten schräg zum Bachverlauf. Ihre Beine hatten sich in einem Busch verfangen und wirkten seltsam verdreht. Der Kopf war etwa zur Hälfte im Wasser verschwunden, wobei ihre langen, blonden Haare in wellenförmigen Bewegungen der Strömung folgten; ein sanft anmutendes Detail, das in groteskem Gegensatz zur tragischen Wirklichkeit stand. Das weiße Licht der Scheinwerfer ließ den femininen, rundlichen Körper wie eine überdimensionierte Puppe erscheinen, die ein Kind achtlos zur Seite geworfen hatte und deren Glieder an einem Stein zerbrochen waren. Konzentriert versuchte Nick, weitere Einzelheiten auszumachen, doch auch er war nicht imstande, aus der Entfernung explizite Spuren von Gewalteinwirkung festzustellen. Aber das musste noch lange nichts bedeuten. Unter all dem Schmutz, der auf dem Körper klebte, konnte sich leicht ein Einschussloch oder ein Messereinstich verbergen.

Neben der Leiche kniete ein Mann: Doktor Robert Hofer. Nick beugte sich über das Geländer. „Robert, alter Freund!“ Niemand, auch nicht der Angesprochene selbst, bemerkte den unterschwelligen Zynismus.

Der Arzt hob den Kopf und anschließend die Hand zum Gruß. „Nick Stein! Zieh dir etwas Hübsches über, und komm zu mir herunter.“

„Ich bin sofort bei dir“, antwortete Nick. „Ich brauche einen Schutzanzug“, wandte er sich wie selbstverständlich an Peter Westernschmidt.

Der Polizist tippte mit dem Zeigefinger an seine Kappe und entfernte sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Es dauerte nicht lange, und er kehrte mit einem Mitarbeiter der Spurensuche im Schlepptau zurück.

„Nick, schön, dich zu sehen, seit unserem letzten Zusammentreffen sind Wochen vergangen“, rief der Spurensucher bereits aus einiger Entfernung. Als er vor Nick zum Stehen kam, hielt er ihm einen weißen Anzug sowie Überzieher für die Schuhe entgegen. „Hier, dein Ganzkörperkondom.“

„Hallo, Freddy! Ja, es muss mindestens fünf oder sechs Wochen her sein. Ich dachte schon, du hast einen besseren Job gefunden; vielleicht einen Bestseller zum Thema Fingerabdrücke geschrieben – oder gar eine Ode über die Unendlichkeit der DNS.“ Nick zwinkerte und deutete ein ironisches Lächeln an. Er mochte diesen besonnenen Mann mit seinem trockenen Humor, von dem er wusste, dass er ein leidenschaftlicher Verfasser lyrischer Texte war. Im Gegensatz zu Doktor Robert Hofer arbeitete er mit dem Spurenermittler sehr gern zusammen. Nicht nur, weil Freddy ebenfalls einer der Besten seines Fachs war.

„Nichts dergleichen. Flitterwochen auf den Malediven. Ein wahr gewordener Traum! Die Sonne scheint ohne Unterlass, und der Sandstrand hat die Farbe einer Piña colada, dazu das türkisfarbene Meer.“ Er schloss genießerisch die Augen. „Aber ich muss dich enttäuschen, Nick, für dich ist dieser wunderbare Ort definitiv kein geeignetes Urlaubsziel. In deinem Fall würde es sich wohl eher um einen wahr gewordenen Albtraum handeln. Nick Stein, gefangen auf einer winzig kleinen Insel, umgeben von zwanzig verliebten Paaren.“ Der Spurenermittler lachte. „Und du müsstest mit der einen Frau auskommen, die du mitgenommen hast.“

Nick hob die Arme. „Du sagst es! Sollte ich allerdings einmal die Richtige finden, werde ich den Namen dieser Malediven-Insel von dir einfordern.“

„Tu das. Die Malediven könnten allerdings bis dahin im Meer versunken sein“, entgegnete Freddy und drückte Nick endgültig die Kleidung in die Hand. „Rein in das Ding! Und ruinier mir da unten nichts, wir sind noch lange nicht fertig. Wie du weißt, geht es für uns erst richtig los, wenn die Leiche abtransportiert worden ist.“

Nick verdrehte die Augen und schlüpfte in das Gewand. „Habt ihr etwas Verwertbares gefunden?“, erkundigte er sich nebenbei.

Der Spurenermittler verzog sein Gesicht zu einer unzufriedenen Grimasse. „Bis jetzt Fehlanzeige bei Fußspuren und Reifenabdrücken. Keine Handtasche, kein Handy, kein Ausweis. Wir werden das Gebiet natürlich großräumig absuchen, aber ich muss dir nicht erklären, wie rasch sich die Chance verringert, etwas zu entdecken, wenn es sich nicht in unmittelbarer Nähe befindet.“

„Ja, leider. Das rote Notizbuch mit dem Namen des Mörders hinter dem Haus der Großcousine unter einem Stein gibt es nur im Kino“, erwiderte Nick und gab einen höhnischen Lacher von sich.

Freddy stimmte in das Gelächter ein und entfernte sich winkend. Kurz blickte ihm Nick versonnen hinterher, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Vom Brückengeländer aus konnte er gut in beide Richtungen sehen. Ein Stück stromaufwärts führte ein asphaltierter Spazierweg zum Bachbett hinunter. Sofort setzte er sich in Bewegung. Wegen des ersten Herbstlaubs, das bereits von den Bäumen fiel, war der Abgang feucht und rutschig. Mit seinen nicht gerade geländegängigen Hugo Boss-Schnürschuhen aus Kalbsleder kam er nur mühsam voran. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, bis er endlich das Ufer erreichte. Er bewegte sich unter der Brücke hindurch und streifte sich wenige Meter vor dem Tatort den Fußschutz über. Achtsam machte er die letzten Schritte. An seinem Ziel angelangt, kniete er sich neben dem Rechtsmediziner hin. „Berichte!“

„Sie ist tot.“ Der Arzt grinste.

Nick seufzte. „Robert! Es ist drei Uhr nachts. Nerv mich nicht mit solchen Sprüchen. Hast du etwas Interessantes für mich oder nicht?“

„Ist ja gut, ich verstehe dich. Aber du musst dich wegen eines kleinen Scherzes nicht gleich so aufregen“, beschwichtigte ihn Robert Hofer und deutete mit dem Kinn auf das Opfer. „Sie liegt noch nicht lange hier, maximal seit ein paar Stunden; die aktuelle Umgebungstemperatur beträgt knapp elf Grad, und die Totenstarre hat eben erst begonnen einzusetzen. Konkretes zum Todeszeitpunkt kann ich dir nach der Untersuchung sagen.“ Er wies auf ihren Kopf. „Hier an der Schläfe hat sie eine größere Verletzung.“

Nick beugte sich über die Leiche und hob das Haar sachte an. Die Haut war am Haaransatz aufgeplatzt und zeigte das darunterliegende Fleisch; ein Stück weißer Knochen blitzte hervor. „Die Todesursache?“

Robert schüttelte abwehrend die Hände. „Was willst du von mir hören? Du weißt doch, dass ich nicht irgendwelche obskuren Vermutungen äußern werde. Warte die Autopsie ab, dann bekommst du Fakten, mit denen du etwas anfangen kannst.“

Nick senkte den Kopf. Warum versuchte er es immer wieder! „Okay. Wenn es in dieser Position sonst nichts mehr zu sehen gibt, drehen wir sie um“, antwortete er resigniert.

Robert Hofer nickte zustimmend und erhob sich. Vorsichtig fassten sie den Körper seitlich an und legten ihn sanft auf den Rücken, wobei sie darauf achteten, dass der Kopf nicht wieder im Wasser landete. Instinktiv trat Nick einen Schritt zurück. Fassungslos starrte er auf das Gesicht des Opfers. Er kannte dieses herzförmige, hübsche Antlitz mit der kleinen, ein wenig zu breiten Nase und den großen, wasserblauen Augen, die sich nun für immer hinter geschlossenen Lidern verbargen.

„Ich kenne sie“, flüsterte Nick tonlos und mehr zu sich selbst.

„Was?“ Robert blickte ihn überrascht an.

„Susanne Rippel. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen. Eine Schulkollegin aus alten Zeiten.“ Nick presste die Lippen zusammen. Sie war vom Teenager zur Frau gereift. Um die Augen herum befanden sich nun winzige Lachfalten, und ihr Haar war länger als früher. Aber sie war es, da gab es keinen Zweifel.

Ohne weiteren Kommentar griff er nach seinem Handy und wählte eine Kurzrufnummer. Als am anderen Ende der Leitung eine Stimme erklang, diktierte er, vermeintlich emotionslos, folgende Meldung: „Nick Stein. Vorfall Mödling, Parkplatz Kursalon. Code 107. Name des Opfers: Susanne Rippel. Letzte bekannte Adresse: Wien, siebenter Bezirk, Mariahilfer Straße, keine Hausnummer.“

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Die Aktualität der Adresse liegt allerdings zehn Jahre zurück.“ Erneute Pause. „Ja, ich bin jederzeit erreichbar.“

Betont gelassen steckte Nick sein Handy wieder weg. Unvermutet kam ihm ein alter Reim in den Sinn, den er in seinem Unterbewusstsein vergraben und lange nicht mehr gehört hatte: Rippel – Trippel – Trappel – Kugelrund. Rippel – Trippel – Trappel – Kugelrund.

3

„Möchten Sie einen Kaffee, Herr Doktor Stein?“, fragte Peter Westernschmidt, kaum, dass sie den Vorraum des Polizeireviers Mödling betreten hatten. Seine beiden Kollegen, der Kleine und der Alte, waren am Tatort geblieben und warteten auf ihre Ablösung.

„Danke, gern. Ein Kaffee wäre jetzt genau das Richtige“, erwiderte Nick und folgte dem Beamten in einen nüchtern ausgestatteten Aufenthaltsraum mit einer kleinen Küche.

„Ich weiß, nicht gerade ein Highlight des guten Geschmacks, aber es fehlt an nichts.“ Entschuldigend deutete der Polizist auf einen modernen Mikrowellenherd sowie eine glänzende Kaffeemaschine.

„Eine Jura-Maschine! Sie verstehen es, meine Vorfreude zu schüren!“

„Dieses wunderbare Stück haben wir uns vor einem Jahr geleistet“, erklärte Peter Westernschmidt mit unverhohlenem Stolz.

„Vortreffliche Investition“, entgegnete Nick mit einem so ernsten Gesichtsausdruck, als ginge es um einen Millionendeal.

„Fürwahr! Wie möchten Sie Ihren Kaffee?“

„Nach dieser Nacht? Schwarz und sehr stark mit viel Zucker. Kann sie das?“

Peter nahm seine Kappe ab und fuhr sich durch das dichte Haar. „Unser Prachtstück kann nur eines nicht: Tango tanzen.“ Dabei lachte er herzlich, fischte eine weiße Kaffeetasse aus einem schmalen Schrank, stellte das Gefäß unter den Auslauf, drehte einen Schalter und drückte auf einen Knopf. Zunächst ertönte ein dumpfes Brummen, gefolgt von einem metallischen Knacken, dann wieder ein Brummen, und schließlich lief dampfender, herrlich duftender Kaffee in die Tasse. Fast unmittelbar erfüllte den Raum ein unvergleichliches Aroma. Während die letzten Tropfen in die Tasse perlten, stellte er eine Zuckerdose auf den Tisch und bereitete eine Untertasse vor, auf die er die Kaffeeschale platzierte. „Bitte, Herr Doktor Stein.“

Nick schaufelte reichlich Zucker in den Kaffee, rührte um, nahm einen Schluck und gab ein bewunderndes „Ah“ von sich.

Der Polizist holte eine weitere Tasse aus dem Schrank. Von ihren Ausmaßen her hätte sie als Teetasse durchgehen können. „Ich bin der Milchkaffee-Typ.“

Wenn auch nur so dahingesagt, passte diese knappe Selbsteinschätzung doch erstaunlich gut, fand Nick. Peter Westernschmidt war groß und trotz eines Bauchansatzes noch als schlank zu bezeichnen, er hatte dunkelblonde Haare und eine helle Haut. Obwohl in Nicks Alter, wirkte er jungenhaft und strahlte Sanftmut und Gelassenheit aus. Ja, er war ganz und gar der Milchkaffee-Typ!

„Nun, jedem das Seine.“ Nick grinste breit und streckte dem Mann zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit die Hand entgegen. „Ich bin Nick.“

Peter Westernschmidt ergriff Nicks Hand und erwiderte die Geste mit einem wohldosierten Gegendruck. „Peter.“

Für eine Weile herrschte einhelliges Schweigen. Sie tranken ihren Kaffee und erholten sich von den letzten Stunden.

„Es ist sicherlich nicht ganz einfach, wenn man das Opfer gekannt hat“, durchbrach Peter die Stille. Natürlich hatte am Tatort jeder mitbekommen, dass die Tote für Nick keine Fremde gewesen war.

Nick warf einen prüfenden Blick auf den Beamten, der ihn offen und ohne übertriebene Neugierde ansah. „Ich habe sie seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Sie war nur eine Schulkollegin.“ – Eine Schulkollegin, die ich verspottet und missachtet habe, obwohl sie ihr junges Herz an mich verloren hatte, fügte Nick in Gedanken hinzu.

„Kann das zu Komplikationen führen?“

„Du meinst Schwierigkeiten bei der Leitung der offiziellen Ermittlungen?“

Als Antwort zog Peter nur die Augenbrauen hoch. Entweder verfügte dieser Mann tatsächlich über ein außerordentliches Feingefühl, oder er verbarg seine Neugierde gekonnt hinter einer mitfühlenden Fassade.

„Ich muss es auf jeden Fall melden. Solange es für mich persönlich aber kein Problem darstellt, handelt es sich um eine Pro-forma-Angelegenheit.“ Nick streckte sich, er hatte genug preisgegeben. „Wir sollten jetzt weitermachen.“

Wie auf ein Stichwort steckte eine junge Polizistin den Kopf durch die Tür. „Da bist du ja, Peter, ich habe dich überall gesucht! Wie ich hörte, hast du Doktor …“ Als sie den Kriminalpsychologen registrierte, hielt sie mitten im Satz inne. Unwillkürlich fuhr sie sich mit der Hand durch ihr dunkles Haar und straffte die Schultern. Ihr Gesicht präsentierte ein kokettes Lächeln. „Doktor Stein?“, schnurrte sie.

Nick reichte auch ihr seine Hand und erwiderte das Lächeln.

Sie schmolz förmlich dahin. Er war ein attraktiver Mann, ohne Zweifel, besaß Charisma sowie eine ungekünstelte Eleganz. Für die Polizistin machte ihn jedoch erst die Tatsache unwiderstehlich, dass er in Polizeikreisen als lebende Legende galt. Seit Beginn seiner Karriere war er an der Aufklärung einiger medienwirksamer und vieler vornehmlich innerbetrieblich bemerkenswerter Fälle maßgeblich beteiligt gewesen. Sein Ruf als herausragender Ermittler und Analytiker war weit über die Grenzen hinaus bekannt. Die Medien hatten ihn im Laufe der Zeit mit Namen wie österreichischer Grissom oder Mister Profiler tituliert, und obwohl Nick mit diesen von Fernsehserien inspirierten Bezeichnungen nichts anzufangen wusste, umgaben sie ihn automatisch mit einem Hauch von Magie. In der Vergangenheit hatte ihm dieses Image drei Liebesabenteuer mit Damen aus den eigenen Reihen eingebracht, die alle ein glückloses Ende gefunden hatten und auf die er keineswegs mit Stolz zurückblickte. Danach hatte er sich geschworen, fortan nach einem Leitsatz zu leben, den er sich anlässlich eines USA-Aufenthalts eingeprägt hatte: You don’t shit where you eat.

Die Polizistin kicherte verhalten. „Wie gut, dass ich Sie gefunden habe, Herr Doktor Stein!“ Sie legte den Kopf schief und fuhr sich abermals durchs Haar. „Franz Mayerhofer, unser Chef, möchte mit Ihnen sprechen. Er erwartet Sie in seinem Büro.“

„Ich bin in zehn Minuten bei ihm. Könnten Sie ihm das bitte ausrichten?“, entgegnete Nick und ermahnte sich, auf Distanz zu bleiben, egal, wie verlockend ihre Stimme klang und wie hübsch ihr Körper war. Ihre langen Beine und die schlanken Hüften in der dunkelblauen Uniformhose waren ihm nicht entgangen.

„Selbstverständlich, das erledige ich gern … für Sie!“ Kurz blieb sie noch, scheinbar unentschlossen, im Türrahmen stehen und entfernte sich dann widerstrebend.

„Interessante Reaktion“, bemerkte Peter und deutete mit dem Kinn in die Richtung, wo die Polizistin gestanden hatte.

Nick zuckte mit den Schultern, blieb jedoch eine Antwort schuldig. Er kannte den Beamten nicht gut genug, um sich offen, vonMann zu Mann, zu äußern.

Den Polizisten schien das nicht zu stören. „Trink in Ruhe deinen Kaffee aus. Danach begleite ich dich zu unserem Chef“, fuhr er ungerührt fort und stellte seine Kaffeetasse im Ausguss ab.

Nick kippte den letzten Schluck hinunter, platzierte seine Tasse ebenfalls in der Spüle und folgte Peter auf den Gang hinaus. Vor der hintersten Tür blieb der Uniformierte stehen, klopfte einmal kräftig dagegen und öffnete sie, ohne abzuwarten. Dabei vollführte er eine einladende Handbewegung. „Bitte!“

Nick dankte ihm mit einem knappen Nicken und betrat den Raum.

Hinter einem Holzschreibtisch mit zerkratzter Platte und ramponierten Ecken saß ein etwa fünfzigjähriger Mann. Um seine blauen Augen drängten sich Lachfalten. Sein meliertes Haar hätte einen neuen Schnitt vertragen. Er erhob seinen fülligen Körper und umrundete den Schreibtisch, wobei er eine erstaunliche Geschmeidigkeit an den Tag legte. „Herr Doktor Stein! Ich freue mich aufrichtig, Sie kennenzulernen.“ Er streckte Nick seine Hand entgegen und deutete mit der anderen auf einen kleinen Besprechungstisch. „Setzen wir uns!“

Nick drückte die Hand des Revierleiters und nahm auf einem dem Fenster abgewandten Sessel Platz. Franz Mayerhofer setzte sich vis-à-vis und nahm auf diese Weise in Kauf, von den ersten herbstlichen Sonnenstrahlen, die durch das Fenster in den Raum fielen, geblendet zu werden. Neugierig, wie und ob der Mann darauf reagieren würde, ließ Nick ihn nicht aus den Augen. Seine Geduld wurde nicht lange auf die Probe gestellt. Franz Mayerhofer verzog seinen Mund, sprang auf und marschierte zügig auf das Fenster zu. Mit einer resoluten Geste schnappte er sich die Vorhangenden und zog sie ruckartig zu. „So, besser.“ Zufrieden ließ er sich wieder auf den Sessel fallen.