Der kleine Buchladen in den Bergen - Gerlinde Friewald - E-Book
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Der kleine Buchladen in den Bergen E-Book

Gerlinde Friewald

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Beschreibung

Katrins Leben in Berlin scheint festgefahren. Darum kehrt sie zurück in ihre alte Heimat Kirchbergen, ein kleines Dorf in Österreich. Hier fühlt sie sich plötzlich frei und besucht die Orte ihrer Kindheit. So wie den alten kleinen Dorfbuchladen am Marktplatz, in dem sie damals viel Zeit verbracht hat. Doch der Besitzer will den Buchladen aufgeben. Kurzerhand bietet Katrin sich als seine Nachfolgerin an. Doch der Neuanfang in der vertrauten Umgebung ist schwieriger als gedacht: Will sie ihre Zelte in Berlin wirklich für immer abbrechen? Und als plötzlich Alexander - Katrins erste große Liebe - vor ihr steht, ist das Gefühlschaos perfekt ...

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin:

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Epilog

Weitere Titel der Autorin:

Das Schicksal der Medica

Über dieses Buch

Katrins Leben in Berlin scheint festgefahren. Darum kehrt sie zurück in ihre alte Heimat Kirchbergen, ein kleines Dorf in Österreich. Hier fühlt sie sich plötzlich frei und besucht die Orte ihrer Kindheit. So wie den alten kleinen Dorfbuchladen am Marktplatz, in dem sie damals viel Zeit verbracht hat. Doch der Besitzer will den Buchladen aufgeben. Kurzerhand bietet Katrin sich als seine Nachfolgerin an. Doch der Neuanfang in der vertrauten Umgebung ist schwieriger als gedacht: Will sie ihre Zelte in Berlin wirklich für immer abbrechen? Und als plötzlich Alexander – Katrins erste große Liebe – vor ihr steht, ist das Gefühlschaos perfekt …

Über die Autorin

Das Schreiben begleitet Gerlinde Friewald seit ihrer Kindheit und hat sie auch in ihrer langjährigen Tätigkeit in der Werbung nicht losgelassen. Inzwischen schreibt sie vor allem Romane und Literatur für Kinder. Gerlinde Friewald lebt mit ihrer Familie in Mödling, Österreich.

Gerlinde Friewald

Der kleine Buchladenin den Bergen

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung © Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Gettyimages: bluejayphoto | Roman_Sadovnikov | xbrchx | eyewave | 13ree_design | oxinoxi | hawk111 sowie © Adobestock: donatas1205

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-8902-9

be-ebooks.de

lesejury.de

Prolog

Ernst Lindenborg stand vor seinem Buchladen und beobachtete das Treiben am Marktplatz. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen lockten die Einwohner Kirchbergens aus ihren Häusern. Kurz drehte er sich um und musterte die sonnengelbe Fassade seines Ladens. Sie hatte den Winter gut überstanden, dieses Jahr würde er sie nicht streichen lassen müssen.

Eine Gruppe von fünf Mädchen hatte es sich am Rand des Brunnens in der Mitte des Marktplatzes bequem gemacht. Er hörte ihr Lachen bis zu seinem Laden. Zwei Jungen überquerten den Platz und gesellten sich zu ihnen.

Ernst mochte diese jungen Menschen, aber eines der Mädchen lag ihm besonders am Herzen. Sie kam in seinen Buchladen, seit sie lesen konnte. Manche Kinder müssen von ihren Eltern gedrängt werden, einen Buchladen zu betreten, bei der kleinen Katrin war es genau umgekehrt. Bereits mit sieben Jahren hatte sie sich als Belohnung oder zu Anlässen wie Geburtstag und Weihnachten Bücher gewünscht.

Vor einem Monat war Katrin sechzehn Jahre alt geworden, und noch immer besuchte sie seinen Buchladen. Nun kam sie nicht mehr an der Hand ihrer Mutter zu ihm, sondern allein. Oft saßen sie dann ein oder zwei Stunden in der Leseecke und redeten über Bücher. Katrin wollte alles von ihm wissen, was Literatur betraf, und mittlerweile hatte sie bereits ihre eigene Meinung entwickelt. Ernst genoss die Gespräche mit ihr. Es war wunderbar für ihn, ein solch wissbegieriges und bücherbegeistertes Mädchen ein Stück ihres literarischen Weges begleiten zu können. Immerhin war auch er durch und durch von Büchern beseelt.

Ernst sah, wie ein Mädchen und ein Junge sich von der Gruppe entfernten. Hand in Hand schlenderten sie in seine Richtung. Sie blieben stehen und flüsterten miteinander. Der Junge zupfte etwas aus dem Haar des Mädchens und streichelte über ihre Wange, dann wandte er sich ab und ging in die entgegengesetzte Richtung davon.

Das Mädchen blieb einen Augenblick lang stehen, dann lief sie direkt auf ihn zu. Ernst begrüßte sie lächelnd. »Hallo, Katrin.«

»Hallo, Herr Lindenborg. Und, ist es da?«

Er schmunzelte. »Was meinst du denn?«

»Na, den neuen Harry Potter natürlich.«

»Dein Exemplar liegt sicher verwahrt unter dem Ladentisch.«

»Oh fein!« Katrin strahlte. »Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht. Leider komme ich erst am Abend zum Lesen. Alexander musste jetzt nach Hause, aber dann kommt er zu mir und hilft mir bei Mathe.« Sie verdrehte die Augen. »Sie wissen ja, Mathe ist nicht so mein Ding.«

Gemeinsam betraten sie den Laden. Prüfend musterte Ernst sie von der Seite. »Du scheinst Alexander sehr zu mögen.«

Sofort wurden ihre Wangen rot. »Und wie.«

»Und er scheint dich sehr zu mögen.«

»Meinen Sie wirklich?«

Wäre Katrin bereits eine erwachsene Frau, hätte er ihr frei heraus gesagt, dass er in den Augen des jungen Mannes nichts anderes als Liebe sah, so antwortete er nur: »Ja, das tue ich«, und wechselte das Thema. »Hast du deine neue Kurzgeschichte schon fertig?« Vor etwa einem halben Jahr hatte Katrin begonnen, selbst zu schreiben. Und obwohl natürlich noch viel Arbeit vor ihr lag, hatte Ernst ihr Talent auf Anhieb erkannt.

»Noch nicht. Darf ich sie Ihnen wieder zeigen?«

»Aber ja. Ich will sie unbedingt lesen und freue mich schon darauf.« Ernst lächelte. Katrin war wirklich ein erstaunliches Mädchen. Gerne würde er einen Blick in ihre Zukunft erhaschen können.

Kapitel 1

Katrin betrat das Foyer des Wohnhauses. Während sie in der Handtasche nach dem Schlüsselbund kramte, ging sie zum Briefkasten. Obwohl sie bereits einige Jahre mit Thomas zusammen in Berlin Mitte wohnte, erstaunte sie die meterlange und mannshohe Briefkastenreihe noch immer. Sie war auf dem Land in einem Dorf aufgewachsen, wo Häuser mit vier Parteien schon selten gewesen waren. Auch ihre Wohnungen in Wien und später in Berlin hatten in den Randbezirken gelegen und waren in kleinen Wohnhäusern untergebracht gewesen.

Sie öffnete ihr Fach und entnahm die Post, dann ging sie zum Fahrstuhl und fuhr hoch in den sechsten Stock. Sie musste sich gehörig ranhalten, um den Zeitplan einhalten zu können. Ein Arbeitskollege von Thomas feierte heute seinen Geburtstag. Die Party fand in einem eleganten Restaurant in Mitte statt.

Thomas und sie bewohnten eine große Wohnung in dem vor etwa zehn Jahren errichteten Hochhaus. Weitläufige Glasfronten vom Boden bis zur Decke, Marmorböden, viele Chromelemente. Die Farben Schwarz, Grau und Weiß herrschten vor und wurden nur von roten Akzenten aufgelockert. Thomas bevorzugte einen modernen, kühlen Einrichtungsstil, der sich in seiner Wohnung bis ins letzte Detail widerspiegelte.

Katrin hatte eine Weile lang gebraucht, um sich an diese kühle Atmosphäre zu gewöhnen. Sie mochte das moderne Interieur durchaus, doch es fehlte ihr ein wenig an Behaglichkeit. Hier eine kuschelige Decke und ein Zierkissen, dort einige Kerzen, und Vorhänge zumindest an den Seiten der vielen Fenster hätten schon gereicht – und vielleicht ein bisschen Unordnung, wie eine aufgeschlagene Zeitung und ein nicht wieder perfekt zurückgerückter Stuhl. Es ging um Kleinigkeiten, die aus ihrer Sicht Leben in die Wohnung gebracht hätten.

Ungeachtet ihres Gefühls hatte sie nie mit Thomas darüber gesprochen. Am Anfang ihrer Beziehung war sie der Meinung gewesen, sie hätte kein Recht darauf. Vorrangig, weil es sich um seine Wohnung handelte, aber auch weil Thomas als erfolgreicher Architekt in ihren Augen bestimmt das bessere Gespür für eine stimmige Einrichtung hatte. Später war es in Thomas′ schnellem Lebensrhythmus, den sie rasch von ihm angenommen hatte, einfach untergegangen. Berlin hatte viel zu bieten: Veranstaltungen, Kunst, Kultur, Partys. Hinzu kamen Thomas′ umfangreiche geschäftliche Verpflichtungen und sein großer Freundeskreis.

Katrin warf einen Blick auf die Armbanduhr und verdrehte die Augen. Eilig hängte sie ihre Jacke an die Garderobe und stellte ihre Schuhe in den Schrank, dann lief sie mit der Post ins Wohnzimmer. So viel Zeit musste noch sein. Es war Monatsanfang, und sie erwartete ihren neuen Artikel. Seit drei Jahren schrieb sie für die Frauenzeitschrift Donna mia eine Kolumne. Und auch wenn die Arbeit längst zur Routine geworden war, freute sie sich auf jede neue Ausgabe.

Die Werbesendungen und Thomas′ Post legte sie beiseite. Die aktuelle Donna mia war noch nicht dabei, aber drei an sie adressierte Briefe und ihr Tiermagazin. Katrin liebte Tiere, vor allem Hunde. Sie war mit Hunden aufgewachsen und wünschte sich nichts sehnlicher, als selbst einmal einen zu besitzen. Während ihres Studiums hatte sie in winzigen Wohnungen gelebt, und ihre momentane Lebenssituation ließ ebenso wenig einen Hund zu, vor allem keinen großen, der viel Auslauf und die Natur brauchte.

Der erste Brief beinhaltete Werbung von ihrer Bank, der zweite den Spielplan eines kleinen Theaters in der Nähe ihrer Wohnung. Bevor sie den dritten Brief öffnete, hielt sie inne und betrachtete den Umschlag. Er war schwarz umrandet, der Poststempel stammte aus ihrem Heimatdorf Kirchbergen in Österreich. Seit vielen Jahren hatte sie dort zu niemandem mehr Kontakt. Wer schickte ihr also eine Todesanzeige? Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit.

Mit zittrigen Fingern öffnete sie den Umschlag, entfaltete das Blatt Papier und erstarrte, als sie den Namen las: Kristina Kleisner.

Fiebrig überflog Katrin den Text.

In inniger Liebe und mit tiefer Trauer nehmen wir Abschied von unserer Tochter Kristina Kleisner, die nach kurzer, schwerer Krankheit am 26. April von uns gegangen ist. Die Beisetzung mit anschließender Trauerfeier findet am 14. Mai um 14.00 Uhr in ihrem Heimatort Kirchbergen statt. Auf Blumenspenden bittet die Familie zu verzichten. Im Sinne der lieben Verstorbenen ersuchen wir um eine Spende für das Paralympische Committee.

Wie hypnotisiert fixierte Katrin den Namen. Kristina Kleisner. Kiki! Das konnte doch nicht möglich sein! Kiki war gestorben? Veronique, Sabrina, Isabella und Kiki waren ihre besten Freundinnen in ihrer Kindheit und Jugend gewesen.

Unvermittelt schossen Bilder aus der Vergangenheit durch ihren Kopf. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihr Geheimversteck in der alten Scheune hinter Sabrinas Elternhaus. Sie hatten im Kreis gesessen und ihre kleinen Geheimnisse ausgetauscht, gespielt und sich Zöpfe geflochten. Später waren sie gemeinsam ausgegangen, hatten miteinander gelernt und sich bei allen Problemen unterstützt. Es war eine wunderbare, innige Freundschaft gewesen.

Der Monat Mai ließ in Katrin die Erinnerung an das traditionelle Maibaumaufstellen im Dorf wach werden. Kiki war die Mutigste von ihnen gewesen. Sie hatte es nicht nur geschafft, jedes Jahr den Maibaum hochzuklettern und den Kranz zu berühren, einmal war sie sogar mit den Jungen mitten in der Nacht ausgezogen, um den Maibaum des Nachbardorfes zu stehlen.

Katrin hatte diesen Brauch immer als gemein und unfair empfunden. Aber er gehörte zum Dorfleben, und jeder hatte einen Riesenspaß dabei. Nicht einmal Alexander war dabei auf sie eingegangen. Wie alle anderen hatte er mit Begeisterung beim alljährlichen Diebstahl mitgemacht. Den eigenen Maibaum in der Nacht zu bewachen, war weniger sein Ding gewesen.

Schnell schob sie die Erinnerung beiseite. Sie wollte nicht an Alexander denken. Selbst nach all den Jahren versetzte ihr der Gedanke an ihn noch immer einen schmerzhaften Stich. Die erste große Liebe vergisst man nicht. In ihrem Fall traf das vollends zu.

Katrin dachte wieder an Kiki und spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Sie presste die flache Hand auf den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen, aber es half nichts. Sie schlang die Arme um ihren Körper, krümmte sich zusammen und ließ den Tränen freien Lauf.

»Warum weinst du?«

Katrin schreckte hoch und blinzelte. Sie hatte Thomas nicht kommen gehört. Wie lange saß sie überhaupt bereits hier und weinte? »Jemand ist gestorben«, brachte sie mit belegter Stimme hervor.

Thomas setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. »Wer ist es? Magda, Volker?«

Die beiden gehörten zu Thomas’ engerem Freundeskreis. Katrin mochte vor allem Magda sehr gerne. Sie war vor einiger Zeit an Brustkrebs erkrankt, und Volker litt an starkem Bluthochdruck, den er wegen seines ungezügelten Lebensstils nicht in den Griff bekam. Die Ärzte warnten ihn seit Jahren vor einem Schlaganfall.

Katrin schüttelte den Kopf. »Nein, es ist Kiki.«

»Wer ist Kiki?«

Katrin wischte sich die Tränen von den Wangen und atmete mehrmals tief durch. Endlich beruhigte sie sich ein wenig. »Eine meiner besten Jugendfreundinnen. Ich habe dir ein paarmal von ihr und den anderen erzählt.«

»Die Französin?«

»Die Draufgängerische.«

»Ich kann mich erinnern. Was ist passiert?«

»Ich weiß nicht. Ich habe sie vor zwölf Jahren das letzte Mal gesehen. Es steht nach kurzer, schwerer Krankheit in der Todesanzeige.« Wieder lösten sich einige Tränen aus den Augenwinkeln.

»Das tut mir leid.« Thomas musterte sie etwas befremdet. »Ich verstehe natürlich, dass du traurig bist, aber wie du selbst sagst, hast du sie seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen.«

Thomas’ Aussage verletzte Katrin. Empathie zählte wahrlich nicht zu seinen Stärken. Sie kannte seine nüchterne, pragmatische Art und hatte sich längst darauf eingestellt, aber manches Mal fiel es ihr noch immer extrem schwer, seine Gedankengänge zu verstehen. Gerade in Augenblicken wie diesem, wo sie anstatt Unverständnis einfach nur eine Umarmung gebraucht hätte. Es machte aber auch keinen Sinn, ihm ihre momentanen Gefühle zu erklären. Oft genug hatte sie es versucht und damit jedes Mal eine Diskussion heraufbeschworen. Seit einiger Zeit gab es ohnehin schon genug Unstimmigkeiten zwischen ihnen. Also sagte sie: »Ich werde zum Begräbnis fliegen. Kannst du mich vielleicht begleiten?«

Er warf einen Blick auf die Todesanzeige, die vor Katrin auf dem Couchtisch lag. »Vierzehnter Mai … Es tut mir leid, das schaffe ich nicht. Das Großprojekt Prenzlauer Berg steckt mitten in einer heißen Phase. Außerdem …« – er verzog den Mund zu einem verlegenen Grinsen – »du weißt, auf dem Land fühle ich mich nicht besonders wohl. Der Golfplatz ist mein absolutes Maß an Natur.«

Katrin war sich nicht sicher, ob sie auf sein unangebrachtes Grinsen oder den Seitenhieb auf ihre Heimat reagierte. Bevor sie eingehend darüber nachdachte, sprudelte es schon aus ihr heraus: »Ich könnte einen Urlaub anhängen. Zwei Wochen oder so. Vielleicht tut uns etwas Abstand sogar gut.«

Thomas zog die Brauen hoch. »Wenn du es so siehst, mach das! Ja, warum nicht? Ich finde die Idee in Ordnung.« Er stand auf. »Du solltest dich jetzt umziehen. Sonst kommen wir zu spät.«

Katrin sah irritiert zu ihm hoch. Zwei Menschen konnten nicht unterschiedlicher sein als sie und Thomas. »Ich wäre kein unterhaltsamer Gast heute. Stört es dich, wenn ich zu Hause bleibe?«

»Ich gehe zwar nicht gern allein, aber wenn du es nicht schaffst, bleib hier.«

Kapitel 2

Katrin sah dem Taxi nach, bis es vom Marktplatz in eine Seitenstraße bog und außer Sichtweite geriet. Ihr Blick schwenkte zum Hoteleingang. Immer wieder hatte sie sich in den letzten Tagen gefragt, ob es tatsächlich eine so gute Idee gewesen war, aus dem Nichts heraus zwei Wochen in Kirchbergen zu verbringen. Sie war ein besonnener Mensch, und eigentlich sahen ihr solche spontanen Aktionen gar nicht ähnlich. Aber sie hatte es ausgesprochen, und Thomas war unverzüglich darauf eingestiegen, damit war die Entscheidung gefallen. Mit einem Seufzer griff sie nach dem Bügel des Koffers und betrat das Hotel zur Post.

Die Frau hinter der kleinen Rezeption begrüßte sie freundlich: »Herzlich Willkommen im wunderschönen Kirchbergen im Waldviertel. Haben Sie reserviert?«

Am liebsten hätte Katrin sofort wieder kehrtgemacht. Die Rezeptionistin schätzte sie ohne Zweifel als Touristin ein. Aber was sollte die Frau sonst annehmen? Und im Grunde war sie es ja auch, nicht mehr als eine Touristin, eine Fremde in der eigenen Heimat. »Ja. Katrin Schreiber ist mein Name.«

Die Frau tippte auf der Tastatur ihres Computers und blickte wieder auf. »Zwei Wochen ein besonders schönes Zimmer mit Blick nach vorn auf unseren Marktplatz.« Sie legte das Anmeldeformular und einen Kugelschreiber auf den Tresen. »Darf ich Sie bitten …?«

Während Katrin das Formular ausfüllte, richtete die Frau die Zimmerkarte und einige Prospekte her. »Sie haben das Zimmer Nummer fünfundzwanzig im zweiten Stock. Und hier sind Informationen über das Waldviertel. Wenn Sie Ausflüge machen wollen, helfe ich Ihnen gerne weiter. Sind Sie Naturliebhaberin? Dann kann ich Ihnen die Blockheide mit den berühmten Wackelsteinen und das Heidenreichsteiner Moor empfehlen. Ein Tipp, wenn Sie dort sind, versäumen Sie keinesfalls die Wasserburg Heidenreichstein.«

»Danke, aber ich kenne die Gegend.«

Die Frau sah sie fragend an, und Katrin fühlte sich bemüßigt zu antworten: »Ich bin in Kirchbergen aufgewachsen.«

»Oh, dann kommen Sie zur …?«

»Ja, ich komme zur Beerdigung.«

»Es ist schrecklich. Auf so etwas ist man nie vorbereitet. Haben Sie sie besser gekannt?«

Katrin spürte den Knoten in ihrem Hals und schluckte. »Wir waren Jugendfreundinnen.«

»Ich kannte Frau Kleisner nur vom Grüß-Gott-Sagen.«

Wann hatte Katrin den Ausdruck vom Grüß-Gott-Sagen zuletzt gehört? Ihre Eltern hatten noch gelebt. Sie versuchte ein Lächeln. »Ich werde auf mein Zimmer gehen. Zweiter Stock?«

»Ja, im zweiten, Nummer fünfundzwanzig«, wiederholte die Frau. »Trotz der Umstände wünsche ich Ihnen einen schönen Aufenthalt in Kirchbergen.«

Katrin murmelte ein »Danke« und ging bereits in Richtung der Treppe, als die Frau ihr nachrief: »Wir haben jetzt einen Aufzug.« Sie zeigte auf eine Tür im hinteren Bereich des Foyers. »Sie müssen da durch.«

Noch einmal bedankte Katrin sich und trat durch die Tür. Wo früher ein kleiner Innenhof gewesen war, hatte man einen gläsernen Liftschacht eingebaut. Sie fuhr in den zweiten Stock hinauf und ging zu ihrem Zimmer. Die Schlüsselkarte funktionierte auf Anhieb.

Nicht nur ein Lift war errichtet worden und die Türschlösser modernisiert. Auch die Zimmer sahen frisch renoviert aus. Trotz des großen Bettes, eines Schreibtisches und zweier Polstersessel mit Armlehnen fühlte man sich nicht beengt, was vorrangig an der geschickten Positionierung der Möbel lag. Katrin fühlte sich auf Anhieb wohl. Hier würde sie es problemlos zwei Wochen aushalten.

Vielleicht brachte ihr impulsiver Entschluss doch Positives mit sich. Wären da nicht diese drei ungewissen Faktoren: Würde sie der Kummer über den Tod ihrer Eltern wieder einholen? Wie reagierten ihre Jugendfreundinnen auf sie? Was war mit Alexander?

Nach dem Autounfall ihrer Eltern hatte sie der Heimat den Rücken gekehrt. Sie war regelrecht geflohen vor den schmerzlichen Erinnerungen und hatte jeglichen Kontakt abgebrochen. Selbst die Anrufe und Nachrichten ihrer besten Freundinnen hatte sie nur spärlich beantwortet und später komplett ignoriert, bis sie schließlich aufgehört hatten, sich zu melden.

Katrin ging zum Fenster und sah auf den Marktplatz hinunter. Obwohl sich einiges verändert hatte, war ihr der Anblick zutiefst vertraut – die gedrungen wirkenden alten Häuser mit ihren recht schnörkellosen Fassaden, in der Mitte die liebevoll gestaltete Grünanlage mit den noch leeren Blumenbeeten, der Brunnen und die Holzbänke rundherum, der gepflasterte Bereich, wo sicherlich auch jetzt noch jeden Samstag der Markt stattfand. Gegenwärtig zierte ein Maibaum mit einem riesigen Kranz an der Spitze und wehenden bunten Schleifen den Platz.

Der schmale Weg zur Dorfkirche, die auf einer Anhöhe stand, war verbreitert worden und mit Blumenkästen gesäumt. Auf einem Haus prangte ein nicht zu übersehender Dachausbau aus Glas und Metall. Thomas hätte dafür bestimmt eine abfällige Bemerkung parat. Die Disharmonie zwischen der alten Bausubstanz und dem Ausbau fiel selbst ihr auf. Thomas war ein ausgezeichneter Architekt. Nicht umsonst arbeitete er für eines der renommiertesten Architekturbüros in Berlin. Seine Befähigung war ihm durchaus bewusst, mit weniger talentierten Kollegen ging er hart ins Gericht.

Was wohl aus dem Buchladen geworden war? Sie war schon immer eine eifrige Leserin gewesen, und sie hatte viel Zeit im Buchladen von Herrn Lindenborg verbracht. Ihre Begeisterung für Literatur hatte sie nicht zuletzt ihm zu verdanken. Stets hatte er sich für sie Zeit genommen, ihr bestimmte Bücher ans Herz gelegt und sich danach mit ihr darüber unterhalten. Ihre vielen Fragen hatte er mit Geduld beantwortet, und später waren aus ihren Gesprächen oft richtige Fachdiskussionen geworden. Herr Lindenborg war es auch gewesen, der sie darauf gebracht hatte, Germanistik zu studieren. Damals hätte sie den Begriff zwar nicht verwendet, aber aus heutiger Sicht war er ihr Mentor gewesen.

Katrin presste die Lippen aufeinander. Ihren großen Traum hatte sie allerdings nicht verwirklichen können. Dabei hatte sie sich so sehr gewünscht, Schriftstellerin zu werden. Anstatt Romane zu schreiben, verfasste sie Lifestyle-Artikel. Aber sie wollte auch nicht undankbar sein, der Job machte ihr Spaß und war gut bezahlt.

Wie kam sie jetzt überhaupt darauf? Bereits vor Jahren hatte sie das Thema abgehakt. Es brachte nichts, der Vergangenheit nachzuweinen – nicht einem unerreichten Traumberuf, nicht der verlorenen großen Liebe, nicht dem Erlebten oder Versäumten. Es galt, nach vorn zu blicken und das Unveränderbare anzunehmen.

Sie trat zurück vom Fenster und sah sich noch einmal im Zimmer um. Wie sollte sie den restlichen Nachmittag verbringen? So ansprechend das Zimmer war, wollte sie sich doch nicht einschließen. Ein Spaziergang würde ihr sicherlich guttun, überlegte sie, aber erst wollte sie den Koffer auspacken.

Kapitel 3

Nachdem Katrin ihre Kleidung im Schrank verstaut hatte, duschte sie und zog sich um. Sie war froh, genug Freizeitkleidung eingepackt zu haben. Mit ihrer Berliner Standardgarderobe würde sie sich hier fühlen wie ein bunter Hund. Dank ihres Jobs bekam sie oft Designerware zu einem günstigen Preis oder sogar umsonst; perfekt für das Flanieren im Zentrum einer Großstadt, völlig übertrieben für einen Spaziergang im Waldviertel. Dementsprechend wählte sie Jeans, einen leichten Pulli und Stiefeletten mit flachem Absatz.

Nach einer prüfenden Drehung vor dem mannshohen Spiegel im Eingangsbereich verließ sie das Hotelzimmer. Sie nahm die Treppe und winkte der Frau an der Rezeption beim Vorbeigehen zu. Nicht noch einmal wollte sie in ein Gespräch verwickelt werden, aber doch höflich sein.

Vor dem Hoteleingang blieb sie stehen, schloss kurz die Augen und sprach sich Mut zu. Sie befand sich in der Gegenwart, der Autounfall ihrer Eltern war vor zwölf Jahren geschehen. Hinter jedem Stein Kirchbergens eine Erinnerung hervorzuziehen und daran zu verzweifeln, war der falsche Weg. Sie musste es schaffen, diese Erinnerungen als Andenken zu sehen. Nicht zu vergessen war gut, deshalb ewig zu leiden war schlecht. Es handelte sich um eine einfache Formel, die rundum Sinn machte.

Katrin schlenderte am Brunnen vorbei, und eine andere Erinnerung schob sich in den Vordergrund. Dort hatte Alexander sie zum ersten Mal geküsst. Es war Sommer gewesen, und sie hatte am Brunnenrand gesessen. Während die anderen schon zum Weiher gegangen waren, um zu baden, hatten sie sich unterhalten, gelacht und sich gegenseitig mit dem Wasser aus dem Brunnen nassgespritzt. Alexander hatte ihr eine volle Ladung mitten ins Gesicht verpasst. Schuldbewusst hatte er versucht, sie mit seinen nassen Händen abzutrocknen. Nie würde sie das Gefühl vergessen, als er mit seinen Fingerspitzen über ihre Wangen gestrichen hatte. Dann war sein Gesicht immer näher gekommen und schließlich hatte sie seine Lippen auf ihren gespürt. Es war kein Erwachsenenkuss gewesen, vielmehr ein vorsichtiges Herantasten in eine neue, unbekannte Welt.

Was wohl aus ihm geworden war? Welchen Beruf hatte er ergriffen? War er verheiratet und hatte Kinder? Wo lebte er? Nach dem Abitur waren Alexander und sie getrennte Wege gegangen und hatten einander nie mehr wiedergesehen. Nicht einmal zum Begräbnis ihrer Eltern war er gekommen. Wahrscheinlich hatte er gerade den Mount Everest bestiegen oder war im Indischen Ozean geschwommen. Katrin spürte, wie die alte Wut in ihr hochstieg.

Alexander hatte vor einem Studium unbedingt die Welt erkunden wollen, sie hingegen hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als sofort mit dem Germanistikstudium zu beginnen. Ihre Ziele waren unterschiedlich gewesen, eine Trennung demnach unvermeidlich. So viel zur sachlichen Seite, die emotionale war eine gänzlich andere gewesen. Sie hatten unzählige Diskussionen geführt, und bis heute konnte sie ihm seine Sturheit und das Unverständnis für ihre Wünsche nicht verzeihen.

Bereits mit sechzehn Jahren hatte sie gewusst, was sie wollte, und dementsprechend darauf hingearbeitet. Ins Blaue zu leben war einfach nicht ihr Ding. Von jeher liebte sie Ordnung, und dazu gehörten eine angemessene Planung genauso wie eine strukturierte Vorgehensweise. Nur weil Alexander keine Ahnung gehabt hatte, was er studieren und überhaupt aus seinem Leben machen wollte, hätte sie alles über den Haufen werfen sollen? Ihr Plan war zwei Jahre lang gediehen, und er hatte jede ihrer Überlegungen hautnah miterlebt. Sein Geistesblitz hingegen war drei Monate vor dem Abschluss aus dem Nichts gekommen. Wie hätte sie anders reagieren sollen?

Katrins Gedanken glitten weiter. Der Brunnen war vor allem im Sommer auch ein Treffpunkt ihrer Freundinnen gewesen. Über sie wusste sie genauso viel wie über Alexander: nämlich nichts. Waren Veronique und Stephan noch ein Paar? Hatten Sabrina und Tobias geheiratet und ihre drei Kinder bekommen? Bestimmt, dachte Katrin, wenn eine Beziehung gehalten hatte, dann diese. Die beiden waren schon damals ein Herz und eine Seele gewesen. Und welchen Weg hatte Isabella beschritten? Ihr größter Wunsch war es gewesen, einmal im Ausland zu leben. Ob in Singapur oder Miami war ihr egal gewesen, das Ziel hatte nur weit weg liegen müssen.

Die Einzige, deren Schicksal sie kannte, war Kiki.

Katrin erschauerte. Lag es an der traurigen Endgültigkeit dieses Gedankens oder an der Wolke, die sich soeben vor die Sonne geschoben hatte?

So oder so, sie musste endlich in die Gänge kommen. Sie war gerade einmal ein paar Meter gegangen. Auf diese Weise würde sie nicht zu ihrem Spaziergang kommen. Sie wollte den Bach entlang zur alten Mühle marschieren. Es war ein schöner Weg, und sie würde in etwa einer Stunde wieder zurück sein. Vorher musste sie aber unbedingt ihre Neugierde befriedigen und nachsehen, ob es den Buchladen noch gab. Sie hatte wenig Hoffnung, Herr Lindenborg war damals schon nicht mehr jung gewesen.

Zügig überquerte sie den Marktplatz; der Buchladen war genau am anderen Ende in einem Haus mit sonnengelber Fassade untergebracht gewesen. Auf die sonnengelbe Farbe hatte Herr Lindenborg bestanden. »Ein Buchladen ist ein Ort der Fröhlichkeit und Inspiration. Dementsprechend muss er strahlen«, hatte er immer zu sagen gepflegt.

Aus dem Augenwinkel nahm Katrin die einladende Auslage eines für sie neuen Ladens wahr. La boulangerie und darunter französische Bäckerei stand in geschwungener Schrift über dem Eingang. Katrin hatte heute noch nichts gegessen. Die Vorstellung, nach dem Spaziergang mit Croissants und einem Film im Hotelzimmer auszuspannen, gefiel ihr. Nun hatte sie bereits drei Vorhaben.

Sie sah das Schaufenster und die Aufschrift Lindenborgs Bücher schon von Weitem. Auf den ersten Blick hatte sich nichts verändert. Die sonnengelbe Fassade des Gebäudes strahlte ihr entgegen, das Schaufenster war voller Bücher, die weiße Tür mit dem geschwungenen Metallgriff lud zum Öffnen ein. Ein freudiges Kribbeln machte sich in Katrins Magengegend breit. Automatisch beschleunigte sie ihre Schritte. Auf einmal konnte sie es nicht mehr erwarten, an ihr Ziel zu gelangen.

Energisch zog sie an der Tür, spürte den leichten Widerstand und vernahm das ihr noch immer vertraute Klack. Sie trat ein. Sofort drang ihr der altbekannte Duft von Weihrauch in die Nase. Früher hatte Herr Lindenborg auf dem Kassenpult in einem orientalisch anmutenden Gefäß immer Weihrauchstäbchen verbrannt. Offenbar tat er das noch heute. »Weihrauch vertreibt schlechte Energie. Neid, Hass und Gram haben in einem Buchgeschäft nichts verloren. Hier lesen wir nur über diese Gemütszustände«, hatte er Katrin seinerzeit erklärt. Seitdem war der Duft von Weihrauch für sie untrennbar mit diesem Buchladen und seiner positiven Energie verbunden.

»Ich komme gleich zu Ihnen, bitte einen Moment Geduld«, rief jemand hinter einem Regal.

Katrin erkannte Herrn Lindenborgs Stimme sofort wieder. Sie hörte ein Rascheln und Schritte. Er kam auf sie zu. Sein Haar war gänzlich weiß und schütter geworden, aber nach wie vor hatte er es im Nacken zu einem Zopf gebunden. Er trug dieselbe runde Brillenform, und seine hellblauen Augen strahlten. Vielleicht ging er ein wenig gebückter als früher. Auf jeden Fall hatte er kein Kilo zugenommen.

Herr Lindenborg verharrte und starrte Katrin an. »Du liebe Güte! Ich glaub es nicht, die kleine Katrin.« Er machte einige große Schritte auf sie zu, ergriff ihre Hand und drückte sie herzlich. »Richtig erwachsen bist du geworden. Und, als alter Mann darf ich das sagen, eine schöne Frau noch dazu. Deine Haare sind heller, färbst du sie?«

Katrin lachte auf. »Herr Lindenborg, ich freue mich so sehr, Sie zu sehen. Und ja, ich färbe meine Haare.« Sie freute sich wirklich über alle Maßen. Welch wunderbare und besondere Erinnerungen sie mit Herrn Lindenborg und dem Buchladen verband!

»Komm, Katrin, setzen wir uns in die Leseecke. Magst du einen Tee oder Kaffee?« Er legte den Kopf schief und lächelte. »Wie alt bist du jetzt?«

»Zweiunddreißig.«

»Dann verträgst du auch ein Glas Weißwein um diese Uhrzeit.«

»Allemal.«

Er verschwand in den hinteren Bereich des Geschäftes, wo sich, wie Katrin wusste, der Aufenthaltsraum mit einer kleinen Küche befand. Sie nahm in der Leseecke Platz und wartete.

Herr Lindenborg kam mit zwei gut gefüllten Weingläsern zurück und setzte sich neben Katrin. Ohne Umschweife fragte er: »Erzähl mir, wie ist es dir ergangen? Als du nach Berlin gezogen bist, habe ich weitgehend den Faden verloren. Deine Mutter hat mich zwar oft besucht und mir von deinen Erfolgen beim Studium erzählt, aber als sie dann kurz darauf … Entschuldige, wie unpassend von mir. Das wollte ich nicht. Es liegt an der Aufregung, dich wiederzusehen.«

»Es ist in Ordnung. Wirklich.« Kurz schwieg sie. »Ich lebe noch immer in Berlin.«

»Soso, noch immer Berlin«, wiederholte er versonnen. »Du bist wegen Kristina hier, nehme ich an.«

Katrin nickte. »Ja. Die Nachricht hat mich sehr getroffen.«

»Alle im Ort. Ich habe sie nicht sonderlich gut gekannt. Sie war keine große Leserin. Aber stirbt ein junger Mensch, ist es immer besonders tragisch.«

»Ich kann es mir gar nicht vorstellen. Sie war so alt wie ich, wir sind in dieselbe Klasse gegangen.«

»Ich weiß.« Herr Lindenborg tätschelte Katrins Hand. »Schreibst du noch? Nach Die roten Rosen der Mary Ann habe ich eine Zeit lang immer wieder nachgesehen, ob dein Name gelistet ist, aber nichts von dir entdeckt.«

Die roten Rosen der Mary Ann war ihr erster und zugleich letzter Roman gewesen. Vorhin im Hotelzimmer hatte sie die Erinnerung daran noch erfolgreich verdrängen können, jetzt allerdings kam sie ungebremst zurück.

Noch in ihrem ersten Studienjahr hatte sie den Roman geschrieben, der auch tatsächlich verlegt worden war. Sie hatte ihr Glück nicht fassen können und unbedingt Schriftstellerin werden wollen. Dieser Traum, dem sie voller Enthusiasmus sehr viel Zeit geopfert hatte, war wenige Jahre später endgültig geplatzt, als sie keinen Verlag für ein zweites Buch gefunden hatte.

»Ich schreibe Artikel für eine Zeitschrift.«

Herr Lindenborg nickte bedächtig. »Schön, dass du noch immer schreibst, schade allerdings, dass es keine Romane sind. Du bist ein Naturtalent. Nur wenige Menschen verfügen über diese Gabe.« Er wischte die Bemerkung mit einer Handbewegung fort. »Was für Artikel schreibst du denn?«

»Sie dürfen aber nicht lachen … für eine Frauenzeitschrift, ein richtiges Boulevardblatt, über Lifestyle und alle möglichen sonstigen Frauenthemen.«

»Ich lache keineswegs. Gefällt dir die Arbeit?« Er schenkte Katrin seinen typischen prüfenden Blick. Auch an ihn erinnerte sie sich gut.

»Sie ernährt mich. Ich bin zufrieden, weil ich versuche, das Maximum herauszuholen. Ich recherchiere eingehend und liefere den Leserinnen fundierte Informationen, sei es bei Mode oder Gesundheitsthemen. Es ist nicht mehr, aber auch nicht weniger.« Katrin wollte ihn nicht anlügen. Der Job machte ihr zwar Spaß, jedoch erfüllte er sie nicht.

»Und die Liebe?«

»Ich lebe mit einem Architekten zusammen. Er heißt Thomas.«

»Bei der Beschreibung deiner Arbeit habe ich noch einen Funken Euphorie wahrnehmen können. Aber nun …?«

Katrin hob die Schultern. »Ach, wissen Sie –«

Herr Lindenborg hob sein Glas und prostete ihr zu. »Du musst mir nichts erklären.« Er nahm einen kräftigen Schluck und stellte das Glas ab.

Katrin lächelte. Herr Lindenborg hatte sich wirklich nicht verändert. Er stellte interessiert Fragen, drang jedoch nie weiter vor, als man es wünschte. Seine Feinfühligkeit hatte sie bereits früher beeindruckt.

Nach einem Moment der Stille sagte Herr Lindenborg leise: »Es wird Zeit für mich, die Welt der Bücher zu verlassen, dafür öfter durch den Wald zu spazieren.« Katrin spürte die Verzagtheit in seinen Worten.

»Ich habe so sehr gehofft, dass es Ihren Buchladen noch gibt. Mein erster Weg war zu Ihnen.«

»Ach Kindchen, vieles hat sich verändert. Das Rad dreht sich immer schneller, und die Geschäfte gehen zusehends schlechter. Es ist längst Zeit für den verdienten Ruhestand. Ich bin zweiundsiebzig Jahre alt.«

Katrin verkniff sich eine Antwort und nippte an ihrem Glas. Auch sie wollte im Gegenzug nicht nachbohren, zumal sie seine Beweggründe verstehen konnte.

Kapitel 4

Nach einem weiteren Glas Wein verließ Katrin durchaus beschwingt den Buchladen. Das Wiedersehen mit Herrn Lindenborg stimmte sie trotz der Umstände fröhlich, und der Alkohol tat das seine dazu, sie in schönen Erinnerungen schwelgen zu lassen.

Den Gedanken an den Spaziergang verwarf sie spontan, die französische Bäckerei war einfach zu verlockend. Zielstrebig schritt sie auf das Geschäft zu.

Die Tür stand einen Spaltbreit offen; Katrin zog sie auf und betrat den Laden. Sofort stieg ihr der typische Geruch frischen Gebäcks gepaart mit einem Hauch von Süße in die Nase. Es duftete wunderbar, überhaupt alles hier in Kirchbergen roch fantastisch: die Natur, der Weihrauch im Buchladen und nun das Gebäck.

Eine Frau stand mit dem Rücken zu ihr hinter der Theke. Sie trug ein einfaches schwarzes Shirt, ihr schwarzes Haar war zu einem Pagenkopf geschnitten. »Bonjour! Was kann ich für Sie–« Noch in der Drehung hielt die Frau inne. »Mein Gott, du?«

Katrin brauchte ebenfalls einen Moment, um sich zu fassen. »Veronique!«

Die Frau machte einen Schritt zur Seite, als wollte sie den Tresen umrunden, blieb dann jedoch abrupt stehen und sagte: »Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst.«

Sofort registrierte Katrin die Reserviertheit. Aber natürlich, was hatte sie anderes erwartet? Dass man sie mit offenen Armen empfing? Trotzdem hätte sie Veronique am liebsten umarmt. »Natürlich bin ich hier. Es geht um Kiki.« Katrin empfand ihre Antwort als dürftig. Aber was hätte sie sonst erwidern können?

Veroniques Mundwinkel begannen sofort zu zucken. »Es ist furchtbar. Ich kann es noch immer nicht fassen.«

»Mir geht es genauso. Als ich die Todesanzeige erhalten habe, war ich wie …« Katrin zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Dafür die richtigen Worte zu finden, war fast unmöglich. »Wie geht es ihren Eltern?«

»Ihre Mutter ist sehr gläubig, wie du dich vielleicht erinnern kannst. Sie dürfte viel Zeit in der Kirche verbringen, zumindest sehe ich sie von hier aus oft hingehen. Der Vater wirkt traurig, aber gefasst. Du kennst ja den alten Männerschlag. Die zeigen ihre Gefühle nicht offen.«

Katrin nickte. Ja, sie kannte diesen alten Schlag. Ihr Vater war genauso gewesen. Er hatte alles für seine Familie getan und war ein herzensguter Mann gewesen, aber nach außen hin hatte er keine Emotionen verraten. Wenn etwa ein Hund gestorben war, war er stundenlang spazieren gegangen, um für sich allein zu sein. »Darf ich dich fragen, was Kiki genau hatte? Ich meine, woran sie … gestorben ist?«

»Sie hatte eine seltene Form eines Gehirntumors. Es nennt sich Glioblastom. Von der Diagnose bis zu ihrem Tod hat es gerade mal sechs Monate gedauert.«

»Hat sie starke Schmerzen gehabt?«

»Anfänglich hat sie nur über Kopfweh in der Nacht geklagt, normale Schmerzmittel haben ihr aber nicht geholfen. Deshalb ist sie auch zum Arzt gegangen. Dann ist es rasant schlimmer geworden. Dieses Glioblastom wächst extrem schnell. Im Krankenhaus haben sie uns erklärt, dass sich ihr Gehirn nicht so rasch an die Druckverhältnisse anpassen kann. Am Schluss war sie dann gar nicht mehr bei Sinnen. Sie mussten ihr sehr starke Medikamente geben. So hart es klingt, das Ende war eine Erlösung für sie.« Veronique griff sich an die Schläfe. »Reden wir von etwas anderem. Wie geht es dir? Was tut sich in Berlin? Du lebst doch noch dort?«

Katrin nahm die schlagartige Veränderung in Veroniques Verhalten wahr. Als würde die Jugendfreundin in jeder Hinsicht einen Schritt zurück machen. »Ja, nach wie vor. Gut. Alles fein.« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war verunsichert. Veronique erweckte nicht den Eindruck, als wäre sie an einer ausführlichen Antwort interessiert. »Und … wie geht es dir?« Sie versuchte das Gespräch am Laufen zu halten.

»Auch gut.«

»Ist das dein Geschäft?«

Endlich zeigte sich ein Lächeln auf Veroniques Gesicht. »Ja, ich habe mir meinen Traum erfüllt. Wie gefällt es dir?«

»Ich finde es toll. Gleich nachdem ich angekommen war, wollte ich nachsehen, ob es den Buchladen noch gibt. Beim Vorbeigehen ist mir dein Laden sofort aufgefallen. Ich habe sogar meinen geplanten Spaziergang zur Mühle verschoben, um Croissants zu kaufen. Na ja, ein bisschen ist Herr Lindenborg auch daran schuld. Wir haben uns verquatscht.«

»Ich habe ganz frische, und die Minibaguettes sind noch warm, falls du welche willst.«

»Dann nehme ich vier Croissants und ein Minibaguette.«

Während Veronique eine Papiertüte öffnete und die Croissants darin verstaute, fragte Katrin: »Weißt du etwas von Sabrina und Isabella?«

Veronique griff nach einer zweiten Tüte und steckte ein Baguette hinein. »Sie leben beide noch hier. Du bist die Einzige, die fortgezogen ist.«

Schwang ein Vorwurf oder gar ein Funken Neid in ihrer Stimme mit? Katrin beschloss, den Unterton zu überhören. »Wie geht es den beiden?«

»Sabrina hat Tobias geheiratet. Er führt ein kleines Bauunternehmen, sie hilft ihm im Büro.«

»Ach, wie schön. Sie waren schon damals ein Traumpaar. Haben sie Kinder? Ich weiß noch, sie haben sich drei gewünscht.«

»Noch nicht«, entgegnete Veronique ausweichend.

Katrin fragte nicht weiter. Offenkundig wollte Veronique keine Details preisgeben. »Und Isabella? Sie ist also doch nicht ins Ausland gegangen.«

»Das hat sich anders ergeben. Sie ist Lehrerin in Kirchbergen.«

»Lehrerin! Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Hat sie einen Freund oder ist verheiratet?«

»Weder, noch. Isabella lebt … ihr Leben.«

Auch hier stieß Katrin auf eine Mauer. Sie versuchte einen dritten Anlauf. Er fiel ihr besonders schwer. »Hast du vielleicht etwas … von Alexander gehört?«, fragte sie leise und zögerlich.

Diesmal lächelte Veronique. »Du hast keine Ahnung, oder?«

»Ich habe ewig nichts von ihm oder über ihn gehört.«

Veronique neigte den Kopf, als würde sie überlegen, dann sagte sie: »Wenn du Lust hast, mache ich uns zwei Café au Lait und wir setzen uns.« Sie deutete zuerst auf einen kleinen Stehtisch mit vier Barhockern im vorderen Teil des Ladens und dann auf eine riesige Kaffeemaschine, die die komplette Breitseite vom Tresen bis zur Wand einnahm.

»Oh ja, liebend gern. Herr Lindenborg hat mir auf nüchternen Magen zwei Gläser Wein eingeflößt. Ein Kaffee ist da genau das Richtige.«

Während Veronique den Kaffee zubereitete, setzte Katrin sich und wartete. Erst als Veronique mit zwei dampfenden Kaffeetassen in der Hand ebenfalls Platz genommen hatte und ihr eine Tasse zuschob, sagte sie: »Nachdem Alexander damals nach London geflogen ist, haben wir uns noch ein paar Nachrichten geschrieben, dann ist der Kontakt eingeschlafen. Einfach so.« Einfach so war es natürlich ganz und gar nicht passiert. Seine fröhlichen Mitteilungen hatten sie verletzt und geärgert. Um dieser Endlosschleife aus Schmerz und Zorn zu entkommen, hatte sie den Kontakt bewusst abgebrochen. »Es ist vierzehn Jahre her und ich weiß es noch wie heute. Verrückt, nicht wahr?«, fügte Katrin hinzu.

»Ich überlege gerade, in welchem Jahr Alexander zurückgekommen ist … auf jeden Fall war es nach seinem Studium.« Veronique trommelte mit dem Zeigefinger auf ihre Lippen.

»Hierher, nach Kirchbergen?« Die Information bescherte Katrin eine Bandbreite an widersprüchlichen Gefühlen, von Angst bis Hoffnung.

Veronique nickte. »Er ist ein äußerst erfolgreicher Unternehmer.«

»Was macht er?« Katrin spürte, wie sich alles in ihr anspannte.

»Er hat eine kleine erfolgreiche Whisky-Brennerei. Ständig gewinnt er Preise und beliefert Toprestaurants und Whisky-Liebhaber auf der ganzen Welt.« Veronique schob die Unterlippe vor. »Ich kann die Qualität nicht beurteilen, Whisky ist weniger mein Ding. Ich habe lieber ein Schlückchen Pastis.«

Katrin war bereits am Wort Whisky-Brennerei hängen geblieben. »Eine Whisky-Brennerei? Hier im Waldviertel? Wie ist er bloß darauf gekommen?«

»Alexander hat eine Zeit lang in Schottland gelebt und dort in einer Whisky-Brennerei gearbeitet.«

»Auf seiner Weltreise?«

Veronique zog die Brauen hoch. »Seine große Weltreise war in Schottland zu Ende. Genau die zweite Station nach London. Der Besitzer der Brennerei hat ihn wohl wie einen Sohn aufgenommen und ihm alles beigebracht.« Unvermittelt erschien Veroniques Zornesfalte zwischen den Brauen. »Stephan hat mir damals einiges darüber erzählt. Er und Alexander sind nach wie vor dicke Freunde.«

Einen Moment lang hielt Katrin den Atem an. Schon wieder stiegen diese alten Gefühle in ihr hoch: Schmerz und Zorn. Sie runzelte die Stirn und presste die Lippen aufeinander. Für sie hatte Alexander seine Pläne nicht aufgegeben, offenkundig aber für Whisky.

Sie musterte Veronique. Auch die Miene ihrer Jugendfreundin hatte sich verändert. Bei Stephans Erwähnung war nicht nur die steile Falte erschienen, ihr ganzer Ausdruck hatte sich verhärtet, und die Stimme war tiefer geworden.

Katrin räusperte sich und fragte leise: »Seid ihr noch zusammen, du und Stephan?«

Veronique stieß einen missbilligenden Laut aus. »Wir sind Geschichte. Stephan hat sich voll und ganz in die Politik gestürzt. Ich habe diesen Zirkus einfach nicht ausgehalten. Er ist übrigens Bürgermeister von Kirchbergen.«

»Bürgermeister? Echt jetzt? Ich kann es nicht glauben!«

»Ich auch nicht, obwohl ich es hautnah miterlebt habe. Zu seiner Ehrenrettung muss ich sagen, er tut viel für Kirchbergen und ist sehr beliebt. Wie übrigens auch Alexander. Sie sind beinahe so etwas wie Vorzeigebürger. Vielleicht werden sogar einmal Statuen von ihnen errichtet. Mit meinem Glück steht Stephans dann genau vor meiner Ladentür.«

Kurz schwieg Katrin. Noch war sie mit den neuen Informationen zu beschäftigt, um passend auf Veroniques sarkastische Äußerung reagieren zu können. Schließlich fragte sie: »Würdest du mir von Kiki erzählen? Ich meine, bevor sie krank geworden ist.«

Veronique seufzte. »Kiki … Ach, weißt du, sie hatte sich nicht großartig verändert. Schneller, höher, weiter. Wie meine maman immer gesagt hat: An ihr ist ein wilder Junge verloren gegangen. Sie hat ziemlich auf der Überholspur gelebt. Schon vor Jahren ist sie nach Waidhofen gezogen, um näher an ihrem Arbeitsplatz zu sein. Sie hat in einer Werbeagentur gearbeitet. Ich glaube, sie hat aber auch rausgewollt aus Kirchbergen. Auf jeden Fall haben wir uns deshalb nicht mehr so oft gesehen.«

»Hatte sie Familie?«

»Einen Freund, aber nichts wirklich Ernsthaftes. Im Job war sie total engagiert, und ihre karge Freizeit hat sie mit Rafting, Klettern und anderen waghalsigen Sportarten gefüllt. Seit ihrem Umzug war es ein bisschen wie aus den Augen, aus dem Sinn. Weißt du, was ich meine?«

Katrin senkte den Kopf. »Ja. Ich habe es nicht anders gemacht.«

»Das stimmt wohl.« Veronique blinzelte eine Träne fort.

Katrin spürte, wie auch ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie rutschte vom Barhocker und zeigte auf die beiden Papiertüten. »Ich werde mal zurück ins Hotel gehen und mich etwas hinlegen. Das ist alles ganz schön viel für mich. Was bekommst du?«

»Nichts. Es ist ein kleines Willkommensgeschenk. Lass es dir schmecken. Und probiere auf jeden Fall das Baguette, solang es ganz frisch ist. Es ist eines meiner Spezialitäten.«

»Das ist lieb. Danke. Wir sehen uns morgen um vierzehn Uhr?«

Veroniques Augen glänzten schon wieder verdächtig, sie konnte nur noch nicken.

Kapitel 5

Katrin durchquerte das Hotelzimmer mit großen Schritten, warf die beiden Papiertüten von Veronique achtlos auf den Schreibtisch und ließ sich aufs Bett fallen. Endlich konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen. Erst rannen sie einzeln über ihre Wangen, dann bildeten sich Rinnsale und tropften auf ihren Pulli. Seit Jahren hatte sie nicht mehr so geweint. Selbst als sie Kikis Todesanzeige bekommen hatte, war es nicht so schlimm gewesen. Doch nun weinte sie um Kiki, um ihre Eltern, wegen Thomas, wegen all der versäumten Jahre mit ihren Freundinnen und um Alexander. Alles kam zusammen.

Als die Tränen schließlich versiegten, fühlte sie sich schwach, aber deutlich besser. Sie schaltete den Fernseher ein und blieb gleich beim ersten Sender hängen. Es ging nur um eine Geräuschkulisse. Sie konnte sich sowieso nicht darauf konzentrieren. Die letzten Stunden hatten sie zu sehr bewegt. Das Wiedersehen mit Herrn Lindenborg war voller Herzlichkeit verlaufen, deutlich zurückhaltender die Begegnung mit Veronique. Obwohl sie beide während des Gesprächs etwas aufgetaut waren, lagen Lichtjahre zwischen der früheren Innigkeit und heute.

Wie wohl die anderen auf sie reagieren würden? Sie hatte so vieles im Leben ihrer Freundinnen verpasst. Mit Sabrinas Familienplanung stimmte offensichtlich etwas nicht. Auch bei Isabella schien einiges nicht in Ordnung zu sein. Veronique und Stephan lebten getrennt, und er war Bürgermeister geworden. Alexander besaß eine Whisky-Brennerei … Und schon wieder blieben ihre Gedanken bei ihm hängen. Sie ärgerte sich über sich selbst.

Alexander und sie waren ineinander verliebt gewesen, wie zwei Menschen es nur sein konnten. Dann hatte er sie verlassen für einen Weg, den er, wie sie eben hatte erfahren müssen, nie gegangen war. Oder hatte in Wahrheit sie ihn verlassen? Es tat nichts zur Sache. Er hatte ihren Plan lange gekannt und war aus heiterem Himmel mit der Weltreiseidee dahergekommen. Hätte sie alles über den Haufen werfen sollen für solch ein Hirngespinst? Katrin stöhnte laut auf. Sie drehte sich ständig im Kreis. Das musste aufhören. Sie durfte sich nicht andauernd dieselben Fragen stellen. Vierzehn lange Jahre waren vergangen. Es konnte doch nicht möglich sein, dass das alles noch immer ihr Leben beeinflusste.

Plötzlich verkrampfte sich ihr Magen. Katrin schluchzte auf und krümmte sich zusammen. Sie atmete langsam und flach, bis der Krampf sich löste.

Mit einem Stöhnen ließ sie sich in das Kissen zurückfallen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht zurückzukommen? In Berlin wusste sie wenigstens, was sie erwartete. Thomas baute keine Luftschlösser und stand mit beiden Beinen fest im Leben. Er war ein durch und durch rationaler Mensch. Romantik und liebevolle Gesten waren nicht so seins. Selbst in ihrer gemeinsamen Anfangszeit hatte es weder eine Wolke sieben noch Schmetterlinge im Bauch gegeben. Dafür konnte sie sich auf ihn verlassen. Er bot ihr ein schönes Leben und würde sich nie freiwillig von ihr trennen. Aber konnte sie ihm auch vertrauen?