Seewölfe Paket 26 - Burt Frederick - E-Book

Seewölfe Paket 26 E-Book

Burt Frederick

0,0

Beschreibung

Hasard junior hatte die Morgenwache, und als sich die Frühnebel zu lichten begannen, bezog er den höher gelegenen Ausguckposten über der Felsgrotte. Mit dem Spektiv begann er den üblichen Rundblick. Nach Westen hin hatten sich die Nebelfelder bereits weitgehend aufgelöst, die Kimm verschwamm aber noch im Dunst. Langsam schwenkte Hasard junior den Kieker nach Nordwesten. Und dann erstarrte er. Was sich da ein wenig dunstverhangen, aber doch deutlich genug im Okular abzeichnete, nannte man in den afrikanischen Wüstenregionen eine Fata Morgana, ein Bild, das den Augen vorgegaukelt wurde, das aber gar nicht existierte. Es war wie ein Schock, und Hasard junior glaubte im ersten Moment an ein Gespensterschiff...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 2264

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.eISBN: 978-3-95439-994-9Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

Inhalt

Nr. 501

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 502

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 503

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 504

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 505

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 506

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Nr. 507

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 508

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 509

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Nr. 510

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 511

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 512

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Nr. 513

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 514

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 515

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 516

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Nr. 517

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 518

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 519

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 520

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Old Donegal Daniel O’Flynn ließ nun schon zum wiederholten Male sein meckerndes Lachen hören. Ed Carberry, der – wie die anderen – hinter einem der Uferfelsen in Deckung hockte, warf dem Alten einen grimmigen Blick zu und schüttelte verständnislos den Kopf.

„Ich sage euch, ich sage euch“, rief Old Donegal halblaut und rieb sich dabei begeistert die Hände, „bei denen da drüben gibt’s jetzt das große Heulen und Zähneklappern!“

„Warte bloß ab“, knurrte Ed Carberry. „Wenn du zu große Sprüche klopfst, heulst und klapperst du bald selber, Donegal. Schadenfreude bringt nämlich Unglück. Wußtest du das nicht?“ Der Profos zwinkerte den anderen kaum merklich mit dem linken Auge zu.

Stenmark, der ihm am nächsten kauerte, mußte sich mächtig anstrengen, um sein Grinsen zu unterdrücken. Einfacher hatte es da schon der Rest der derzeitigen „Empress“-Crew, denn sie waren durch die breiten Rücken des Profos und des blonden Schweden vor den Blicken des alten O’Flynn geschützt und konnten sich ein ausgiebiges Feixen erlauben.

„Da bist du aber im Irrtum, Mister Carberry“, sagte Old Donegal giftig. „Schadenfreude ist die schönste Freude. Aber Unglück bringt sie bestimmt nicht. Das hast du mal wieder in den falschen Hals gekriegt.“

Der Profos der „Isabella“ schluckte ruckhaft und schob das Rammkinn vor.

„Stimmt nicht“, sagte er grollend. „Das habe ich von einer einäugigen Kesselflickerin in Plymouth. Ich traf die Lady um Mitternacht vor dem Friedhofstor. Sie las mir aus der Hand und gab ein paar Lebensweisheiten von sich. Zum Beispiel, daß Schadenfreude Unglück bringe. Jawohl, das hat sie gesagt.“

Old O’Flynn starrte sekundenlang stumm auf die Bucht hinaus. Seine Miene verdüsterte sich dabei, als hätte er auf einmal keine Freude mehr an dem, was sich an diesem Morgen des 8. Juli 1595 soeben abgespielt hatte.

Ein paar Trümmer von der kleinen Jolle der „San Jacinto“ trieben noch auf der Wasseroberfläche. Und drüben auf der Galeone wurden dem einzigen Überlebenden von fünf Bootsgasten vermutlich gerade die Leviten gelesen – wenn dieser verrückte Hund von einem sogenannten Kapitän ihn nicht sogar gleich erschoß. Immerhin hatte er zwei seiner Leute einfach über den Haufen geknallt – aus schierer Wut. Der dritte Tote ging auch auf sein Konto, denn die Kanone, die wegen überhöhter Pulverladung auseinandergeflogen war, hatte er sich zuzuschreiben. Und vier Leute waren jetzt im Kugelhagel der „Empress“-Mannen mit dem kleinen Beiboot zu den Fischen gegangen.

Damit hatte der Verrückte auf der spanischen Galeone nur noch fünfzehn Mann.

Und kein einziges Beiboot mehr.

Dagegen verfügten Old Donegal und seine Gefährten immerhin über drei handfeste Jollen – nämlich zwei von der gegnerischen Galeone, die da vor der Westseite der Bucht lag, und ihre eigene von der verschwundenen „Empress of Sea II.“.

„Wer ist denn hier schadenfroh?“ erkundigte sich der Alte unvermittelt. „Ich doch nicht! Das hast du gesagt, Mister Carberry! Verdammt, du willst mir was unter die Weste jubeln. Behauptest Sachen, die überhaupt keiner nachprüfen kann. Wie willst du denn beweisen, daß ich schadenfroh bin? He, wie denn?“

Ed Carberry sah den alten Zausel noch einen Moment grinsend an. Dann setzte er plötzlich eine überlegene Miene auf und hob das wüste Rammkinn noch ein Stück höher.

„Ich verstehe, Mister O’Flynn. Du gibst es also zu!“

„Was?“ Old Donegal war drauf und dran, hinter seiner Deckung aufzuspringen. Nur mit Mühe bezwang er seinen aufwallenden Zorn. „Was soll ich zugeben?“

„Daß du daran glaubst“, entgegnete Ed Carberry.

„An was, zum Teufel, soll ich glauben?“

„Daran, daß Schadenfreude Unglück bringt – so, wie ein Freitag, der dreizehnte, Unglück bringt, oder ein schwarzes Katzenvieh, das einem …“

„Jetzt reicht es!“ schrie der Alte. „Du willst mir das Wort im Mund umdrehen! Das habe ich nicht gesagt! Nie im Leben! Dafür gibt es schließlich Zeugen. Ich habe genau das Gegenteil erklärt.“

„Hast du nicht. Du hast erklärt, daß man dir die Schadenfreude erst nachweisen müßte. Damit hast du mehr oder weniger zugegeben, vor was du Angst hast. Nämlich davor, daß du dich ins Unglück stürzt, weil du in Wirklichkeit doch schadenfroh bist. Meine einäugige Lady vom Friedhofstor hatte nämlich doch recht. Das weißt du ganz genau. Nur wenn dir einer mal überlegen ist, was die Schwarzseherei angeht, dann kannst du’s nicht ertragen, was, wie?“

„Das ist keine Schwarzseherei“, entgegnete Old Donegal wütend. „Ich habe das Zweite Gesicht. So etwas nennt man einen Seher. Jawohl, ich habe die Fähigkeiten eines Sehers!“

Carberry holte tief Luft, war so richtig in seinem Element und genoß es offenbar, den Alten langsam, aber sicher auf die Palme zu bringen.

Der Kutscher räusperte sich laut und verhinderte, daß der Profos seinen bärbeißigen Kontrahenten erneut aufstachelte.

„Wenn ich die Gentlemen höflichst bitten darf, das neue Diskussionsthema über seherische Fähigkeiten auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben! Ich denke, wir haben im Augenblick höchst realistische Probleme zu bewältigen, bei denen uns ein Zweites Gesicht nicht sehr viel helfen kann. Ich bitte zu bedenken, daß wir uns auf den nächsten Angriff vorbereiten sollten, der mit Sicherheit nicht lange auf sich warten lassen wird. Waffenreinigen, Munitionsvorräte ergänzen und dergleichen. Zu tun gibt es wahrhaftig genug.“

Die anderen brummten beifällig. Nils Larsen und Sven Nyberg hatten bereits begonnen, die Läufe ihrer Musketen mit den Putzstöcken zu bearbeiten. Martin Correa nickte und fing damit an, die Pulverflaschen einzusammeln, um den Inhalt zu ergänzen.

„Unser Pfannenschwenker trifft mal wieder den Belegnagel auf den Kopf“, sagte Carberry anerkennend. „Und wie schön er das ausdrückt! Wußte gar nicht, daß ich so was kann – an einer Diskussion teilnehmen.“

„Bist ja bloß froh“, sagte Old Donegal zischelnd, „daß du dich elegant aus der Affäre ziehen kannst.“ Er hob die Stimme, als der Profos aufbrausen wollte. „Der Kutscher hat recht. Wir richten uns nach seinem Vorschlag. Hasard und Philip, ihr beiden betätigt euch als Pulveraffen.“

Carberry wandte sich zu den Söhnen des Seewolfs um.

„Wenn ihr oben in der Höhle seid, könnt ihr gleich mal nachsehen, wie es dem kleinen Sir John geht. In Ordnung?“

„Kommt nicht in Frage!“ rief Old Donegal bissig. „Die Nebelkrähe ist absolute Nebensache. Laßt euch nicht erwischen, daß ihr mit dem Mistvieh eure Zeit verplempert. Ihr habt Pulver zu holen und sonst nichts!“

Der Kutscher gab den Jungen mit einer Kopfbewegung zu verstehen, einfach loszumarschieren. Old Donegal zeterte ohnehin noch, als sie längst die Jakobsleiter erreicht hatten, die zum Höhleneingang hinaufführte.

Spätestens seit dem ersten Licht dieses neuen Tages gab es für die Dons an Bord der „San Jacinto“ ein Rätsel weniger. Die Jakobsleiter, die da aus der vier Yards hohen Höhlenöffnung in der Steilwand baumelte, war die Lösung all dessen, worüber sich die Goldgierigen in den letzten Stunden vermutlich den Kopf zerbrochen hatten.

Und trotzdem war ein weiteres Rätsel noch immer ungelöst: Woher, in aller Welt, nahmen die Unbekannten, denen der zweisprachige Papagei gehörte, bloß ihre Energie? Wie hatten sie die unvorstellbare Strapaze bewältigt, eine ganze Schiffsladung von Goldkisten in diese winzige Höhlenöffnung zu wuchten, die noch dazu so hoch über dem Erdboden lag?

„Ein bißchen mulmig ist mir doch“, sagte Hasard junior, als er mit seinem Bruder das untere Ende der Jakobsleiter erreichte. Die Felswand über ihnen war wie ein vorspringendes Dach, denn der Überhang hoch über der Grottenöffnung neigte sich ein beträchtliches Stück nach vorn, der Bucht zu.

„Wieso?“ fragte Philip begriffsstutzig. „Meinst du, Sir John ist in seiner Kiste erstickt?“

„Unsinn! Ich rede von den Spaniern.“ Hasard deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Die haben doch bestimmt Stielaugen, seit sie sehen, was es mit der Jakobsleiter auf sich hat. Stell dir vor, die versuchen es mit einer weittragenden Muskete, wenn wir auf entern.“

Philip wandte sich um und blickte zu der Galeone, die vor den westlichen Riffs ankerte.

„Die Amigos werden sich hüten, sage ich. Die haben noch genüg von der Kanone, die ihnen um die Ohren geflogen ist. Ich würde jedenfalls keine Muskete abfeuern, die eine zu starke Ladung im Rohr hat. Außerdem werden sie sich jetzt erst mal zusammenreimen, was sich hier abgespielt hat.“

Hasard nickte. „Hoffen wir, daß du recht hast.“

„Los, beeil dich“, drängte sein Bruder. „Mister O’Flynn bringt es fertig, uns höchstpersönlich Dampf unter dem Hintern zu machen, wenn wir nicht schnell genug sind. Und dann haben wir nicht genug Zeit für Sir John.“

Hasard brummte zustimmend und begann, aufzuentern. Jeden Moment rechnete er mit einer Kugel, die haarscharf neben ihm auf den Felsen prallte, sich abplattete und als handtellergroßer Bleipfannkuchen in den Sand fiel. Doch nichts dergleichen geschah.

Gefahrlos bewältigte Hasard junior als erster den Aufstieg zum Felsenloch. Sein Bruder folgte ihm mit zügig-kraftvollen Bewegungen.

Die beiden Jungen waren sich voll und ganz der Tatsache bewußt, was sie den Spaniern an Bord der „San Jacinto“ verdeutlichten. Eben jenen Umstand nämlich, der seit Tagesanbruch offenkundig geworden war. In der Nacht hatten die „Räuber“ des Goldschatzes ihre sichere Höhle verlassen und sich bis an die Zähne bewaffnet hinter den Uferfelsen postiert.

Philip junior erreichte gleichfalls den Grotteneingang. Einen Moment blickten die Brüder zum Strand hinunter, wo die Männer vom Bund der Korsaren in Deckung lagen und die Galeone aufmerksam beobachteten.

Es war die logische Folgerung gewesen, die Höhle zu verlassen und dort unten in Stellung zu gehen. Nachdem man die beiden großen Jollen der „San Jacinto“ gekapert hatte, waren die Voraussetzungen für die Dons ungleich schlechter geworden. Und wenn sie es dennoch mit der kleinen Jolle versuchten, konnte man ihnen nur vom Strand aus einen gebührenden heißen Empfang auf breiter Front bereiten – wie geschehen.

Auf die Heimlichtuerei hatte man so oder so verzichten können. Denn die Voraussetzungen für die Verteidigung waren ungleich besser geworden. Dieser hirnrissige Bursche von einem Kapitän mußte sich schon etwas einfallen lassen, wenn er mit seinen fünfzehn Mann noch etwas ausrichten wollte.

„Hurtig, hurtig“, sagte Hasard und ahmte dabei den Tonfall des Profos nach. „Bewegen wir uns, sonst erstickt der arme Sir John womöglich noch.“

Philip nickte nur. Gemeinsam eilten sie los, in den hinteren, sich erweiternden Bereich der Grotte, wo die Goldkisten, die Proviantvorräte und die Ausrüstungsgegenstände von der „Viento Este“ lagerten. Die beiden Jungen arbeiteten rasch und zielstrebig. Innerhalb von wenigen Minuten hatten sie sechs Pulverfäßchen und ein Dutzend lederne Kugelbeutel zur Felsenöffnung geschleppt.

Hasard deutete auf das gestapelte Segeltuch und die Taurollen.

„Den Ladebaum haben wir zwar nicht mehr zur Verfügung, aber ich denke, wir kriegen den ganzen Kram trotzdem auf einmal nach unten.“

„Eine Persenning und ein Tau“, entgegnete Philip und nickte. Dann hieb er seinem Bruder begeistert auf die Schulter. „Klar! Damit haben wir noch mehr Zeit gewonnen.“

Gemeinsam schleppten sie in aller Eile einen Tuchballen und eine Taurolle nach vorn. Dann kehrten sie in den hinteren Bereich zurück, wo auf einem Felsvorsprung eine einsam blakende Laterne stand.

Behutsam zogen sie die Proviantkiste, in der Ed Carberry den vorlauten Vogel verstaut hatte, zwischen den Goldkisten hervor. Die Jungen runzelten die Stirn, als sie die Kiste auf den Boden stellten und begannen, die seitlichen Verzurrungen zu öffnen. Zwar war es einerseits vorteilhaft, daß Sir John in seinem Verlies kein freudiges Gezeter anstimmte – was letzten Endes verräterisch gewesen wäre. Andererseits war die totale Stille in der Kiste aber auch besorgniserregend.

„Vielleicht ist er beleidigt“, sagte Hasard, als er den Kistendeckel öffnete.

„Zuzutrauen wär’s ihm.“

Im nächsten Moment erstarrten die Brüder und rissen den Mund vor Schreck weit auf.

Der karmesinrote Papagei lag auf der Seite, regungslos, die Knopfaugen weit geöffnet und stumpf.

„Um Himmels willen!“ hauchte Hasard. „Vorhin haben wir gespottet, und jetzt ist es tatsächlich passiert!“

„Der arme Kerl“, flüsterte Philip und strich über die Schwingenfedern Sir Johns. Tränen standen in den Augen des Jungen. „Das hat er nun wirklich nicht verdient.“

„Nein, das nicht“, sagte Hasard mit erstickter Stimme. „Wir hätten an Luftlöcher denken sollen.“

„In der Eile? Wir mußten doch aufpassen, daß Mister O’Flynn nichts mitkriegt.“

„Was im Grunde keine Entschuldigung ist.“

„Nein, du hast recht.“ Philip seufzte. „Und wir können uns auch nicht damit herausreden, daß ihn Mister Carberry in die Kiste gepackt hat. Er hätte ja an die Luftlöcher denken müssen.“

„Es ändert nichts. Am besten nehmen wir den armen Kerl gleich mit nach unten und begraben ihn.“

„Begraben? Meinst du nicht, daß er eine Seebestattung verdient hat? Schließlich war er ebenso Seemann wie wir alle.“

„Sicher“, sagte Hasard und preßte die Lippen zusammen. Auch seine Augen waren jetzt feucht. Die Vorstellung, die Sprüche und das Gezeter des munteren roten Burschen missen zu müssen, war einfach unerträglich. „Mister O’Flynn wird nichts dagegen haben, wenn wir Sir John einen würdigen Abschied von dieser Welt bereiten.“

„Der alte O’Flynn?“ Philip schniefte. „Der wird doch froh sein! Du kennst ihn!“

Hasard nickte bedächtig und mit Leichenbittermiene. Er hob den reglosen Papagei aus der Kiste, legte ihn in eine Felsmulde und half seinem Bruder die Kiste wieder zu verschließen und zurück in den Hohlraum zwischen den Goldkisten zu schieben. Sie wandten sich um, bereit, sich ihrer traurigen Pflicht zu entledigen.

Es war, als wären sie gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen.

Die Mulde, in der sie Sir John zur vorübergehenden Ruhe gebettet hatten, war leer.

Fassungslos sahen sie sich um und suchten mit Blicken jeden Quadratinch ab. Doch die Laterne erhellte nur einen kleinen Teil der Grotte.

Ein Krächzen ließ die Jungen zusammenzucken. Es klang wie ein Räuspern.

„Affenärsche!“ tönte es im nächsten Moment schnarrend aus dem dunklen Teil der Grotte. „Haut in Streifen! Rrrrübenschweine! Backbrassen!“ Es folgte ein Meckern, das wie von einem Ziegenbock klang, aber zweifellos von Old Donegal stammte. Sein triumphierendes Meckern nach dem Untergang der kleinen Jolle der „San Jacinto“ mußte bis hier herauf zu hören gewesen sein – durch einen geschlossenen Kistendeckel hindurch.

Hasard und Philip wechselten einen entgeisterten Blick.

„Dieser schlitzohrige Geier!“ zischte Hasard. „Weißt du, was der mit uns gemacht hat?“

„Klar“, antwortete Philip. „Dieses Suppenhuhn hat sich tot gestellt und uns an der Nase herumgeführt.“

Wie zur Bestätigung endete das Meckern in der Dunkelheit, und ein plötzliches Flügelklatschen war zu hören.

Segelnd schwebte Sir John im nächsten Moment aus der Finsternis und landete mit elegantem Schwung hoch oben auf dem Stapel der Goldkisten. Dort trippelte er bis an den Kistenrand, beugte sich vor, legte den Kopf schief und blickte interessiert mit einem Auge auf die Jungen hinunter.

Ein tiefes Rollen drang aus dem nun aufgeplusterten Leib des Aras. Er ging in einen energischen Befehlston über.

„Klar Deck überall!“

Abermals sahen die Jungen sich an. Sie brauchten es nicht auszusprechen: Wenn Old Donegal mitkriegte, was sich hier abspielte, würde er seine Drohung doch noch in die Tat umsetzen. Und das bedeutete, daß Sir John endgültig schlachtreif war.

Hasard blickte zu dem Vogel hoch, der jetzt leise brabbelte und sich von einem Bein auf das andere wiegte.

„Fang nur an, dich über uns lustig zu machen!“ warnte der Junge.

Philip stieß ihn mit dem Ellenbogen an.

„Um Himmels willen, reize ihn nicht noch! Wir müssen jetzt besonders freundlich zu ihm sein. Denke daran, was er hinter sich hat. Stundenlange Dunkelheit. Wir können froh sein, wenn er nicht sofort rausfliegt.“

Hasard preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte.

„Er hat Hunger und Durst. Davon können wir ausgehen. Und damit läßt sich bestimmt was anfangen.“

„Sprich es nicht aus“, sagte Philip eindringlich. „Du weißt, was für ein gerissener Kerl er ist.“

Hasard nickte nur. In der Tat durften sie nicht sagen, daß sie Sir John natürlich wieder einfangen mußten. In seinem eigenen Interesse zwar, aber das änderte nichts. Er würde es spitzkriegen, wenn sie es laut aussprachen, und dann war er auf und davon. Vielleicht flog er sogar wieder zu den Spaniern, um sich an Bord der „San Jacinto“ wichtigtuerisch aufzuplustern.

Ein geltungsbedürftiger kleiner Geier war er schon immer gewesen.

„Der arme Sir John“, sagte Hasard daher voller Mitgefühl, „er hat bestimmt einen fürchterlichen Durst. Bleib du hier, Philip, und gib ihm was zu fressen. Ich gehe mal schnell nach vorn und hole ein bißchen Wasser.“

„Ja, tu das“, sagte Philip eifrig. „Ich gebe ihm inzwischen etwas Hartbrot und ein paar von den roten Bohnen, die er so gern mag. Er muß ja einen wahnsinnigen Hunger haben!“

Eilends schafften die Zwillinge das Notwendige heran, um Sir Johns Appetit zu wecken. Hasard holte Trinkwasser in einer Muck, während Phillip Hartbrot zerbröselte und die Krumen zusammen mit den Bohnen auf eine Proviantkiste streute, die er in den Lichtkreis der Laterne gestellt hatte. Hasard stellte die Muck daneben, und dann wandten sie sich erwartungsvoll zur Seite, um die Reaktion des Papageis zu beobachten.

„Rrrrübenschweine“, schnarrte Sir John und fuhr fort, sich am Kistenrand zu wiegen.

„Der macht sich wirklich über uns lustig“, flüsterte Hasard ergrimmt. „Glaubst du nicht, daß er genau weiß, was wir wollen?“

„Wir wollten ihm ein bißchen Bewegungsfreiheit verschaffen“, entgegnete Philip erbittert. „Daß er das gleich so schamlos ausnutzt, konnte natürlich kein Mensch ahnen.“

„Keine Vorwürfe“, sagte Hasard leise. „Du weißt, wie empfindlich er auf diesem Ohr ist.“

Philip nickte, atmete tief durch und nahm ein paar Krumen und Bohnen in die Hand. In der offenen Handfläche hielt er sie dem roten Vogel entgegen.

„Sieh mal, Sir John, ist das nicht lecker? Dir muß doch der Magen knurren – nach der langen Schutzhaft. Und ist dir nicht die Kehle trocken geworden? Also, Wasser ist auch da, alter Freund. Und nun sieh endlich ein, daß wir dich nur vor Mister O’Flynn gerettet haben.“

„So redet ein Landmann mit seiner kranken Kuh“, sagte Hasard leise kichernd. „Das behauptet jedenfalls der Kutscher immer, und der muß es ja wissen.“

Philip forderte ihn mit einer ärgerlichen Handbewegung auf, zu schweigen. In der Tat vollzog sich mit Sir John eine sichtbare Wandlung. Die freundlichen Worte und der Anblick der schmackhaften Nahrung schienen endlich ihre Wirkung erzielt zu haben. Er hob den Kopf, richtete sich für einen Moment hoch auf und duckte sich dann wieder, wobei er auf und ab wippte. Die unverkennbaren Anzeichen für den bevorstehenden Abflug, wie die Zwillinge wußten.

Und er stürzte sich wahrhaftig von oben hinunter, rauschte mit ausgebreiteten Schwingen an Philips lockender Handfläche vorbei und landete auf der Kiste mit dem Hauptangebot an Fressen.

„Mißtrauischer Halunke!“ fluchte Philip unterdrückt.

Hasard näherte sich mit beiden Händen unterdessen lautlos dem Freßplatz, um blitzschnell zuzupacken.

Sir John nahm ein paar rasche Schlucke aus der Muck, schaufelte sich Krumen und Bohnen in den Krummschnabel und entwischte den zuschnappenden Händen des Jungen mit elegantem Anlauf. Im nächsten Augenblick klatschten seine Flügel bereits wieder in der Weite der Grotte, und er drehte eine Runde nach der anderen über den Köpfen der Jungen.

Ihnen brach der Schweiß aus. Jeden Moment konnte Old Donegal unten am Strand nach ihnen brüllen. Und was sollte dann aus Sir John werden? Der verrückte Vogel flog entweder hinüber zu den Dons und wurde dort von dem nicht weniger verrückten Anführer massakriert, oder er blieb hier, in einer trügerischen Freiheit, und wurde von Old Donegal geschlachtet und in den Suppentopf gesteckt.

Zuzutrauen war es dem alten Griesgram wirklich – und wenn er es nur tat, um die Papageienbrühe hinterher wegzuschütten.

„Himmel noch mal, Sir John“, sagte Philip flehentlich. „Wenn du jetzt nicht zurückkommst, mußt du die Konsequenzen tragen.“

„Dann können wir dir nicht mehr helfen“, fügte Hasard voller Bitterkeit hinzu, „dann ist es aus mit dir.“

Noch minutenlang blieb den Söhnen des Seewolfs nichts anderes übrig, als mit bangen Blicken den Kreisflug des roten Papageis zu beobachten. Aber wie durch ein Wunder schienen ihre Worte schließlich doch zu wirken.

Sir John ließ sich auf seinem ursprünglichen Platz nieder, oben auf den Kisten, und dann, plötzlich, sauste er zur Freßstelle. Richtig genußvoll sah er aus, wie er aus der Muck nippelte und Krumen und Bohnen knabbernd verzehrte. Schließlich glaubte Hasard zu träumen, als es sich der Bursche gefallen ließ, gestreichelt zu werden.

Und dann, tatsächlich, konnte er ihn von der Kiste wegnehmen und wieder in den Sicherheitsbehälter stecken, den Philip inzwischen geöffnet hatte. Diesmal schoben sie ein paar Holzspäne zwischen Deckel und Kistenrand, bevor sie die Verzurrungen wieder anbrachten.

Aufatmend wischten sich die Jungen den Schweiß von der Stirn.

„Mann o Mann“, sagte Hasard stöhnend, „das hätte verdammt ins Auge gehen können.“

„Jetzt aber Beeilung“, entgegnete Philip, „sonst wird der Alte doch noch mißtrauisch und riecht den Braten.“

Sie liefen zur Felsenöffnung, schlugen Pulverfässer und Kugelbeutel in der Persenning ein und verknoteten das Tau oben an dem Riesenbeutel. Vorsichtig hoben sie die Last über den Rand der Öffnung und stemmten sich in ausreichendem Abstand gegen das Tau, das sie langsam durch ihre kräftigen Hände gleiten ließen.

„Gute Arbeit!“ lobte der alte O’Flynn die beiden, als sie die ersten Pulverfässer in die Deckungen schleppten. „So kann man sich die Schufterei erleichtern, wenn man seinen Kopf gebraucht, nicht wahr?“

Die Zwillinge wechselten einen verstohlenen Blick, als sie zurückliefen, um die nächsten Fässer zu holen. Manchmal wußte man bei dem Alten wirklich nicht, woran man war. Vielleicht hatte er den aus Sicherheitsgründen eingesperrten Vogel ja auch schon vergessen.

Und wenn man es genau betrachtete, brauchte Sir John ohnehin nicht mehr unter Verschluß gehalten zu werden. Denn man versteckte sich nicht mehr vor den goldgierigen Spaniern. Folglich war die Heimlichtuerei überflüssig.

Old Donegal mußte nur noch davon überzeugt werden.

2.

Sabado, der einzige Überlebende von der kleinen Jolle der „San Jacinto“, hockte schnatternd und zähneklappernd auf einer Taurolle vor der Steuerbordverschanzung. Die Kleidung klebte ihm klitschnaß am Körper, sein Entermesser hatte er verloren. Nichts war ihm geblieben als das erbärmliche bißchen Leben. Und selbst das war ihm nicht sicher, denn Julio Acosta, der stiernackige Mann mit dem pechschwarzen Bart und den hart funkelnden Augen, war unberechenbar.

Wie schnell er seine Wut an einem Hilflosen ausließ und ihn kurzerhand ins Jenseits beförderte, hatte er in der jüngsten Vergangenheit mehrfach bewiesen.

Deshalb bibberte Sabado nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Angst, wie er jämmerlich auf der Taurolle hockte und den wütend-schweigsamen Acosta im Halbkreis der Gefährten vor sich sah.

Aber da war etwas anderes, was dem Überlebenden auffiel. Seine Kumpane hatten sich irgendwie verändert. Da war etwas in ihren Gesichtern, das er vorher nicht bemerkt hatte. Auch ihre Blicke, die sie dem Schwarzbärtigen von der Seite her zuwarfen, hatten einen veränderten Ausdruck.

Sabado konnte es sich nicht auf Anhieb erklären, aber er sollte innerhalb der nächsten Minuten erfahren, worin diese auffällige Veränderung begründet war.

„Ein Bild des Jammers“, sagte Acosta verächtlich und durch die Mundwinkel gepreßt. „Ein Häufchen Elend bist du, Sabado. Andere Worte kann ich für dich nicht finden, du Jammerlappen. Und wenn du auch noch Mitleid erwartest, dann hättest du nicht erst an Bord zurückkehren sollen. Feiglinge wie du sind an Bord meines Schiffes überflüssig.“

Sabado, der zur ursprünglichen Crew der „Viento Este“ gehörte, zitterte heftiger. Seine Augen begannen zu flackern und richteten sich flehentlich auf Acosta, der ein halbes Dutzend geladene Pistolen unter dem Gurt trug. Der Schwarzbärtige wußte sehr wohl, daß er es zunehmend schwerer hatte, sich durchzusetzen.

Der zitternde und frierende Decksmann begann sich schuldig zu fühlen – dafür, daß er noch am Leben war.

Doch plötzlich erhielt er unerwartete Hilfe.

„Sabado ist kein Feigling“, meldete sich eine rauhe Stimme. Es war Prado, der Bootsmann der „Viento Este“, der sich da laut und vernehmlich Gehör verschaffte. „Er kann nämlich nichts dafür, daß die kleine Jolle versenkt wurde.“

Acosta ruckte herum und fixierte den stämmigen Bootsmann aus zusammengekniffenen Augen.

„Wie willst du das beurteilen können!“ brüllte er. „Die Kerle hatten den eindeutigen Auftrag, am Strand einen Brückenkopf zu bilden. Den Auftrag haben sie nicht ausgeführt. Das ist ein klarer Fall. Sabado gehörte dazu. Also muß er bestraft werden. Die anderen sind für ihre Dämlichkeit ja schon vom Feind bestraft worden.“ Acosta wollte zu einer seiner Pistolen greifen, doch sein Arm erstarrte mitten in der Bewegung.

Prado hatte sich mit einem halben Seitwärtsschritt aus dem Halbkreis gelöst, und seine drohende Haltung war unmißverständlich.

„Hier wird niemand mehr abgeknallt“, sagte er eisig. „Ab sofort reden wir ein Wörtchen mit. Wir sehen nämlich beim besten Willen nicht mehr ein, daß einer nach dem anderen wegen irgendwelcher dämlicher Kleinigkeiten krepieren muß. Wir waren mal zweiundzwanzig Leute. Jetzt sind wir nur noch fünfzehn. Die sieben, die tot sind, könnten noch am Leben sein. Deshalb haben wir jetzt endgültig genug, Acosta.“

Der Schwarzbärtige nickte, grinste jovial und legte die Hände auf den Rücken, als hätte er nie eine andere Bewegung als diese vorgehabt.

„Natürlich wird Sabado nicht zum Tode verurteilt“, sagte er in gönnerhaftem Ton. „Seine Strafe besteht lediglich in einer ernsten Verwarnung. Durch den Schreck hat er schließlich schon genug gelitten. Wenden wir uns also den vordringlichen Dingen zu.“ Er deutete mit einer knappen Kopfbewegung zum Strand. „Diese verdammten Bastarde haben uns ganz schön hereingelegt. Wenn sie uns nicht die beiden großen Jollen geklaut hätten, säßen wir jetzt nicht in der Klemme.“

„Wenn, wenn, wenn!“ rief Prado angriffslustig. „Es war eben alles falsch.“

Einen Moment hatte es den Anschein, als brause Acosta erneut auf. Doch er beherrschte sich und blieb ruhig.

„Dann machen wir eben ab sofort alles richtig“, sagte er mit einem überlegenen Grinsen. „Ich habe schon alles im Kopf. Es wird folgendermaßen ablaufen …“ Er legte eine bedeutungsschwere Pause ein.

Die Kerle starrten ihn an.

„Wir haben kein einziges Boot mehr. Davon müssen wir ausgehen, das läßt sich nicht ändern. Wir wollen aber zur Insel, weil wir unser Gold zurückholen wollen. Soweit gut?“

Die Kerle nickten – gereizt, jedoch zustimmend.

„Also gut“, sagte Acosta. „Unsere Möglichkeiten sind natürlich begrenzt. Schwimmen scheidet aus, weil wir unser Pulver nicht trockenhalten könnten. Ohne Musketen und Pistolen können wir aber nichts ausrichten, weil die Bastarde da drüben sämtliche Waffen und sämtliche Munitionsvorräte von der ‚Viento Este‘ haben.“

„Genau das ist es“, sagte Prado wütend. „Die schießen uns zusammen, bevor wir das Ufer erreichen. Wenn es nicht so wäre, hätten sie auch die kleine Jolle nicht auf Grund geschickt.“

„Mein neuer Plan hat so ein Risiko nicht“, sagte Acosta prahlerisch. „Es gibt da nämlich eine hervorragende Möglichkeit, auf die man nur kommen muß: Wir bauen Flöße als Ersatz! Holz genug haben wir an Bord. Außerdem hat so ein Floß noch den Vorteil, daß es mit Musketenfeuer nicht versenkt werden kann.“ Beifallheischend blickte er in die Runde.

Prado und die anderen sahen ihn an und kriegten den Mund nicht wieder zu. Selbst Sabado vergaß sein Zittern und Frieren und konnte nur noch ungläubig blinzeln.

Prado gewann seine Fassung als erster wieder.

„Hast du noch alle Mucks im Schapp, Acosta?“ rief er höhnisch. „Fein, wenn Flöße mit Musketenkugeln nicht versenkt werden können. Wirklich fein. Aber es gibt ja wohl einen Haken an der Sache, einen winzigen kleinen Haken – für dich wohl nicht der Rede wert.“

„So?“ schnappte Acosta. „Was für einen Haken?“

Die Kerle starrten ihren Anführer jetzt an, als hätten sie einen Irren vor sich.

„So eine Floßbesatzung“, sagte Prado mit beißendem Spott, „besteht bekanntlich nicht aus Holz und ist daher höchst verwundbar. Selbst wenn wir unser Pulver trocken hinüberbringen, nutzt uns das herzlich wenig, weil sie uns nämlich vorher von dem Floß putzen wie bei einem Vergnügungsschießen für hochwohlgeborene Señores.“

„Was willst du damit sagen?“ fragte Acosta scharf.

Der Bootsmann der „Viento Este“ grinste verächtlich.

„Brauchst du noch eine Extraerklärung? Die Leute auf deinen feinen Flößen hätten keinerlei Deckung und nicht den geringsten Schutz. Ich denke jedenfalls nicht daran, Selbstmord zu begehen. Als Leiche hätte ich nämlich nichts von dem Gold.“

Die Kerle brüllten lauthals Beifall. Selbst Sabado, der vor zwei Minuten noch um sein Leben gefürchtet hatte, stimmte mit ein.

„Das ist Meuterei!“ schrie Acosta.

„Nenne es, wie du willst!“ schrie ein dürrer Kerl zurück, dessen Name Morro war. „Wir spielen jedenfalls nicht mit.“

Der Schwarzbärtige sperrte den Mund auf und schnappte nach Luft. Dabei sah er aus wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er brachte keinen Ton mehr hervor.

Die Meute bedachte die Worte des Dürren mit grimmig geäußerter Zustimmung. Prado nickte ihm aufmunternd zu.

„Im übrigen“, fuhr Morro fort, nachdem die anderen ruhiger geworden waren, „lassen wir unserem sehr verehrten Kapitän beim Landen herzlich gern den Vortritt. Ich habe mal von Kapitänen und Offizieren gehört, die von ihren Leuten nichts verlangen, was sie ihnen nicht selbst vorexerziert haben. Aber wir haben ja so ein Musterexemplar von Kapitän, das es vorzieht, an Bord zu bleiben und die Crew loszuschicken, damit sie für ihn die Kastanien aus dem Feuer holt.“

„Sehr richtig!“ grölte einer aus dem Halbkreis.

Sofort setzte erneuter gejohlter Beifall ein.

Morro brachte die Kerle mit einer Handbewegung zur Ruhe, sah Acostas Fassungslosigkeit und war nun erst richtig in seinem Element.

„Und wem diese Prozedur nicht paßt“, schrie er, „dem jagt unser sehr verehrter Kapitän eine Kugel in den Bauch und schickt ihn zu den Fischen! Allerdings schneidet er sich ins eigene Fleisch, dieser blitzgescheite Capitán. Wenn er nämlich einen nach dem anderen von uns abschießt“, der Dürre hielt inne und kicherte höhnisch, „dann ist schon jetzt der Zeitpunkt absehbar, an dem er überhaupt keine Mannschaft mehr hat. Und was tut er dann, unser schlauer Kapitän? Ja, dann wird er wohl allein zusehen müssen, wie er sich das Gold holt.“

Abermals johlte die Horde lautstark Beifall.

Morro sorgte erneut mit einer energischen Handbewegung für Ruhe. Dann wandte er sich wieder dem Schwarzbärtigen zu.

„So geht das also beim besten Willen nicht, Acosta“, sagte er gelassen. „Als Kapitän mußt du dir schon was anderes einfallen lassen, als bloß deine Crew zu verheizen. Wohin das führt, mußt du wohl langsam einsehen.“

Julio Acosta schluckte, und sein Adamsapfel ruckte dabei heftig auf und ab. Er mußte begreifen, daß er dieses Mal rein gar nichts tun konnte, obwohl es ihm mächtig in den Fingern juckte. Aber es hatte keinen Sinn. Denn die Strolche waren samt und sonders bewaffnet. Und sie lauerten nur darauf, daß er seine Pistole herausriß.

Sicherlich hätte er sich Geltung verschaffen können, indem er beispielsweise Prado über den Haufen knallte.

Oder etwa nicht?

Er sah die Kerle an, und Zweifel keimten in ihm auf. Verdammt, ja, sie warteten nur darauf, daß er ihnen einen Grund gab, ihre Waffen zu ziehen. Prado und Morro, diese Aufwiegler, hatten ihren einfältigen Hirnen den richtigen Weg gewiesen. Wenn sie ihn töteten, dann war es eben einer weniger, mit dem sie das Gold teilen mußten. Von der Seite konnte man die Sache zweifellos auch betrachten.

Acosta sah die grinsenden Gesichter von Prado und Morro und hatte das Gefühl, an seiner Wut ersticken zu müssen. Er wußte jedoch, daß er innerhalb von Sekunden ein toter Mann sein würde, wenn er jetzt falsch reagierte. Deshalb beschloß er, einzulenken, wenngleich es ihm höllisch schwerfiel.

„Vielleicht haben die Herren Klugscheißer Prado und Morro ja einen besseren Vorschlag“, sagte er ruhig und in der Gewißheit, daß es praktisch keinen besseren Vorschlag gab als den seinen. Er wußte allerdings, daß insbesondere Morro zu den wenigen zählte, die sich durch ein wenig Grips von den anderen abhoben. Man durfte ihn und den Bootsmann also auch nicht unterschätzen.

„Sicher haben wir einen Vorschlag“, sagte Morro mit kaltem Grinsen. „Das mit dem Floß läßt sich nur dann durchführen, wenn es Feuerschutz erhält. Nur dann kann man einigermaßen sicher landen. Und den Feuerschutz können natürlich nur die Kanonen übernehmen.“

„Verdammter Idiot!“ brüllte Acosta. „Merkst du denn nicht selber, was für einen Unsinn du da verzapfst? Hast du vergessen, was passiert ist?“

„Das haben wir keineswegs vergessen“, sagte Morro mit drohendem Unterton. „Dabei wurde nämlich auf völlig sinnlose Weise ebenfalls einer von uns geopfert. Du hättest wissen müssen, daß die Bronzerohre unserer Kartonen nicht dafür taugen, eine erhöhte Pulvermenge zu verkraften. Zwei Leute wurden außerdem verletzt.“

„Eben drum!“ schrie der Schwarzbärtige. „Ich denke doch nicht daran, so etwas zu wiederholen. Den Vorschlag dieses Idioten kann man doch nicht ernst nehmen!“

Vergeblich suchte er in der Runde Zustimmung.

Morro betastete wie zufällig den Griff seiner Pistole und fixierte Acosta voller Hohn.

„Der Idiot bist du“, sagte der Dürre mit höhnischer Stimme. „Statt die Pulverladung zu erhöhen, gibt es nämlich auch noch die Möglichkeit, die Schußweite zu verringern. Und zwar dadurch, daß man die ‚San Jacinto‘ näher ans Ufer legt.“

„Wir liegen schon nahe genug an den Riffs“, entgegnete Acosta lahm und spürte selbst, wie wenig Gewicht sein Argument hatte.

Morro zerstreute es mit wenigen Worten.

„Selbst in den schlimmsten Riffzonen gibt es für eine Galeone meist noch Möglichkeiten, näher an Land zu verholen. Und zwar dadurch, daß man durch Lotungen feststellt, wo das Wasser tief genug ist.“

Julio Acosta preßte die Lippen aufeinander, daß sie einen blutleeren Strich bildeten. Er wußte nicht mehr, was er entgegnen sollte, und das war ihm bislang höchst selten passiert.

Was, zum Teufel, sollte er sich jetzt einfallen lassen, um den Kerlen zu verklaren, daß noch immer er es war, der den Ton angab?

Ihm fiel nichts ein, buchstäblich nichts.

Unter dem Strich blieb nichts als das Niederschmetternde an der ganzen Geschichte: Auf die im Grunde praktikable Idee hätte er selbst auch kommen müssen. Er hatte diese Idee aber nicht gehabt und mußte sich demzufolge vor versammelter Mannschaft von einem einfachen Decksmann belehren lassen.

Und es brachte das Blut in seinen Adern zum Kochen, das überhebliche Grinsen des Dürren ansehen zu müssen.

„Also gut“, sagte Morro schließlich und nickte zufrieden. „Damit wäre dann alles geklärt. Wir verfahren so, wie ich vorgeschlagen habe. Unser Kapitän hat keine Einwände erhoben.“

Beifallsgebrüll setzte ein. Es fehlte nicht viel, so stellte Acosta zähneknirschend fest, und sie hoben den Dürren auch noch begeistert in die Luft.

„Wenn die Idee schlecht wäre, hätte ich es schon gesagt!“ schrie Acosta. „Außerdem hatte ich selbst natürlich schon vorher daran gedacht. Wollte nur die Galeone nicht zu sehr gefährden.“ Seine Stimme ging im Gebrüll unter, und es achtete ohnehin niemand auf ihn.

„Dann mal los, Freunde!“ rief Morro und reckte die Faust hoch. „An die Arbeit! Habt ihr vergessen, daß da drüben auf der Insel ein Goldschatz auf uns wartet?“

Wieder johlten sie, und voller Begeisterung folgten sie dem Dürren zur vorderen Grätingsluke. Den Schwarzbärtigen, der für sich beanspruchte, ihr Kapitän zu sein, ließen sie einfach stehen. Nur Sabado zögerte, sich von seiner Taurolle zu erheben. Er schnatterte wieder vor Kälte, und seine Furcht, daß Acosta seine Wut an ihm auslassen würde, wenn er vorbeizuschleichen versuchte, rührte schließlich aus schlechten Erfahrungen her.

Doch Prado, der Bootsmann, behielt trotz allen Trubels den Überblick.

„He, Sabado!“ rief er, indem er sich im Pulk der anderen umdrehte. „Auf was wartest du noch? Schwenk deine müden Knochen! Zieh dir was Trockenes an und dann an die Arbeit! Wir brauchen jede Hand.“

„Jawohl, Señor!“ erwiderte Sabado grinsend, sprang auf und flitzte los wie eine Ratte, der man auf den Schwanz getreten hat.

Julio Acosta stand da und ließ die Arme hängen. Er fühlte sich so erschlafft und kraftlos wie einer, der zwölf Stunden in einer Silbermine geschuftet hat. Und er fühlte sich so einsam wie nie zuvor in seinem Leben.

Nicht beachtet zu werden, so fand er in diesem Moment heraus, war schlimmer, als Meuterer in den Griff zu kriegen. Er empfand grenzenlose Hilflosigkeit, während er beobachtete, wie sie mit Feuereifer schufteten. Die Aussicht auf den Goldsegen entfesselte ihre Gier, und die Gier spornte sie zu enormer Leistungskraft an.

Morro und Prado gaben die Anweisungen. Als erstes wurden jene Rundhölzer aus den Laderäumen geholt, die sich für den Fall eines Mastbruches stets als Reserve an Bord befanden. Insgesamt acht Hölzer von durchschnittlich einem Fuß Durchmesser wurden an Deck geschleppt. Die Kerle richteten sie auf den Planken neben der Steuerbordverschanzung aus, bildeten dann im Handumdrehen eine Kette bis hinunter in den Schiffsbauch und holten auf diese Weise in Windeseile ein Dutzend Spieren als Verstrebungen herauf.

Danach wurde das benötigte Werkzeug an Deck geschafft. Sabado erschien in trockener Kleidung. Morro suchte sich die Leute aus, die unter seiner Anleitung mit Hämmern und geschmiedeten Nägeln zu Werke gingen. Prado kümmerte sich mit dem Rest der Leute um Verzurrungen und das Absägen überschüssiger Enden.

Julio Acosta stand immer noch am selben Fleck und verglich sich mit den Spierenenden, die über das entstehende Floß hinausragten und von den scharfen Sägezähnen einfach weggewischt wurden. Er war nicht nur einsam und hilflos, er war auch völlig überflüssig. Er ließ sich von einer Welle des Selbstmitleids überrollen und war drauf und dran, sich in seine Kammer zurückzuziehen, um seinen Kummer in einer Flasche Rotwein zu ertränken.

Doch dann siegte der Rest von Stolz, den er noch in sich hatte. So durften sie nicht ungestraft mit ihm umgehen – so nicht! Den Lohn für ihre Unverschämtheit würden sie eines Tages noch empfangen. Im Augenblick war es geboten, diplomatisch vorzugehen, um nicht zu riskieren, kurzerhand über den Haufen geknallt zu werden.

Er brauchte Minuten, um mit seinem aufwallendem Zorn fertig zuwerden. Er hatte ihnen alles ermöglicht, diesen Hurensöhnen! Wenn sie jetzt so kurz vor dem Ziel standen, dann hatten sie es nur einem zu verdanken – ihm. Als sie mit den Booten der „Viento Este“ mit Kurs auf Floridas Ostküste gesegelt waren, hatte er die Dinge in die Hand genommen und die weitere Marschroute festgelegt. Seine Idee war es gewesen, Capitán Juan de Molina und die restlichen Kerle in den beiden anderen Booten zu beseitigen.

Jawohl, dachte Acosta und straffte seine Haltung, ohne mich hättet ihr Bastarde das alles nicht geschafft. Ihr wärt nicht einmal auf die Idee verfallen. Und dann, in St. Augustine, hatten sein sicheres Auftreten und sein guter Eindruck letzten Endes bewirkt, daß sie die Heuer auf der „San Jacinto“ erhielten. Dieses Schlitzohr von einem Kapitän, Andrés de Llebre, hatte er, Acosta, außer Gefecht gesetzt. Desgleichen den Bootsmann, Pedro Rovira. Verdammt, ja, diese Mistkerle, die da wie besessen an ihrem Floß herumhämmerten und sägten, hatten ihm eigentlich alles zu verdanken …

Rangmäßig hatte es ihm zugestanden, sich beim Vorrücken auf die Insel ein wenig zurückzuhalten. Er konnte seinen wertvollen Körper nicht ständig in vorderster Linie dem Kugelhagel und tödlichen Klingen aussetzen. Nein, sie brauchten seine Führungskraft, diese Narren. Das hatten sie offenbar völlig vergessen.

Acosta beschloß, seinen Führungsanspruch wieder zu untermauern. Sicheres Auftreten war dazu eine unabdingbare – und die beste – Voraussetzung. Er gab sich einen Ruck und stelzte auf die Schuftenden zu, die Hände gravitätisch auf den Rücken gelegt.

Er umrundete den Schauplatz hektischer Arbeit, enterte über den Niedergang zur Back auf und stützte sich auf die Balustrade. Mit gönnerhafter Miene beobachtete er das Geschehen.

Die meisten der Kerle beachteten ihn noch immer nicht. Aber er sah, wie sich Prado und auch Morro ein paarmal verstohlen umwandten, um zu sehen, was er tat. Immerhin trug er sechs Pistolen im Gurt, eine davon eine Doppelläufige, und sie hielten ihn für unberechenbar. Gut so.

Noch hatte er die Möglichkeit, die Macht mit Gewalt wieder an sich zu reißen. Aber das wäre unklug gewesen. Mit einer noch mehr dezimierten Crew sank die Chance, die verfluchten Goldräuber auf der Insel zu überwältigen.

Nein, er mußte seine geistige Überlegenheit ausspielen. Immerhin hatte er mehr Grips als diese fünfzehn Einfaltspinsel zusammen.

„Mal herhören“, sagte er in freundlichem Ton. „Kurze Pause!“

Sechs oder sieben Kerle, denen der Schweiß in Strömen über das Gesicht rann, ließen aus purer Gewohnheit Hämmer und Sägen sinken und richteten sich auf – dankbar für die Möglichkeit zum Verschnaufen. Die anderen folgten ihrem Beispiel. Prado und Morro registrierten es mit sichtlichem Unwillen.

„Trinkwasser austeilen!“ befahl Acosta energisch. In übertrieben gespieltem Unmut schüttelte er den Kopf. „Himmel noch mal, muß man euch denn alles vorbeten? Seine Arbeitskraft erhält man sich nicht durch unsinnige Schinderei. Seinen Körper darf man bei allem Eifer nicht vernachlässigen. Klar?“ Prado und Morro starrten mit offenem Mund zu ihm hin. „Sabado“, sagte Acosta und brachte sogar ein Lächeln zustande, „nun hol schon Trinkwasser aus der Kombüse!“

Der Überlebende der kleinen Jolle erkannte das Versöhnungsangebot, das aus Acostas Worten klang, und sofort rannte er los. Eine Minute später umringten die Kerle die Pütz, die Sabado geholt hatte, und auch Prado und Morro griffen bereitwillig zu, als die Muck mit dem erfrischenden Naß die Runde machte.

„Seht ihr“, sagte der Schwarzbärtige aus seiner erhöhten Position, „gleich geht es schon viel besser. Und dann werden die verdammten Bastarde da drüben am Strand ihr blaues Wunder erleben, das schwöre ich euch. Wir müssen es nur klug genug anstellen.“

Prado richtete den Blick zu Acosta hinauf.

„Was soll das schon wieder heißen? Glaubst du, wir wissen nicht, was wir zu tun haben?“

Der Schwarzbärtige zog die Schultern hoch.

„Nun gut, wie stark gedenkt ihr denn euer Floß zu bemannen? Das ist nur eine Frage, aus reinem Interesse.“

„Mit allem, was wir haben“, erwiderte Prado gereizt. „Wie denn sonst?“

Acosta lächelte mild.

„Das habe ich mir gedacht. Ihr würdet wertvolle Zeit verschwenden, weil ihr nämlich erst mal mitsamt Pulver und Waffen absaufen würdet. Dieses sonst gut gebaute Floß“, er deutete auf das fast fertige Wasserfahrzeug, „trägt nicht mehr als vier Mann und ein bißchen Ausrüstung.“

Die Decksleute starrten ihn an.

„Woher willst du denn das wissen?“ zischte Morro.

„So was kann ich ausrechnen“, behauptete Acosta. „Aus der Länge und dem Durchmesser der Hölzer, malgenommen mit der Gesamtzahl von acht, ergibt sich die Tragfähigkeit. Ihr könnt es ausprobieren, und ihr werdet sehen, daß ich recht habe.“

Ehrfurcht zeichnete sich in den meisten der Gesichter ab. Nur Prado und Morro blieben verächtlich.

„Weitermachen“, sagte Prado.

„Eins würde ich euch noch empfehlen!“ rief Acosta. „Rundet die Hölzer vorn und achtern ein wenig ab! Dann erreicht ihr bei dem plumpen Ding immerhin etwas mehr Schiffigkeit.“

Wieder hatte Acosta Land gewonnen, denn Prado und Morro konnten diesem Vorschlag nur zustimmen, dagegen gab es beim besten Willen nichts einzuwenden.

Die Äxte wirbelten mit blitzenden Klingen, und sehr bald hatte das Floß vorn und achtern sauber gerundete Hölzer. Mittschiffs achtern wurde eine Dolle zum Wriggen mit einem Riemen angebracht. Danach stand dem Fieren mittels der Großrah nichts mehr im Wege. Voller Stolz beobachteten die Kerle, wie ihr Bauwerk längsseits unter der Jakobsleiter dümpelte.

„Jetzt die Belastungsprobe!“ rief Prado. „Erst mal zehn Mann!“

„Doch vorsichtig geworden?“ sagte Acosta grinsend, als die Kerle schon zur Pforte im Schanzkleid liefen. „Ich behaupte, das Ding geht trotzdem unter. Vielleicht wäre es besser, deine sogenannte Belastungsprobe an Backbord durchzuführen, wo’s die Kerle vom Strand aus nicht sehen. Möglich, daß sie sich sonst totlachen.“

Prado wischte mit einer ärgerlichen Handbewegung durch die Luft. Morro knurrte nur unwillig, und gemeinsam mit den drei anderen, die noch an Bord geblieben waren, beugten sie sich über die Verschanzung und spähten nach unten, wo einer nach dem anderen das Floß betrat.

Auch Acosta verfolgte das Geschehen und sah voller Genugtuung, daß sich die obere Hälfte der Rundhölzer schon beim fünften und sechsten Mann bedrohlich der Wasserlinie näherte. Als sich der siebente auf das Floß wagte, standen sie gleich darauf bereits bis zu den Knöcheln im Wasser.

„Ihr müßt euch besser verteilen!“ brüllte Prado. „Dann klappt es auch!“

„Irrtum“, sagte Acosta triumphierend. „Vier Mann, wie ich berechnet habe. Das ist die beste Auslastung für euer feines Floß.“

Prado und Morro mußten zähneknirschend einsehen, daß der Schwarzbärtige recht behielt. Auch die Gewichtsverlagerung nutzte nichts. Mit vier Mann war die Tragfähigkeit gerade so weit ausgenutzt, daß sich das Floß noch gefahrlos manövrieren ließ.

Acosta übernahm wieder das Kommando, und der Bootsmann und der Dürre hatten nichts mehr einzuwenden. Wenn Acosta nicht verrückt spielte, war er immer noch ein verdammt brauchbarer Bursche. Den vier Kerlen, die gleich nach der „Belastungsprobe“ das Floß bemannten, erteilte der Schwarzbärtige genau festgelegte Aufgaben. Einer begab sich zum Loten nach vorn, zwei Musketenschützen postierten sich mittschiffs, und der vierte Mann übernahm achtern den Wriggriemen.

Er legte den Kopf in den Nacken und blickte fragend zur Verschanzung der Galeone hoch.

„Welchen Kurs?“

Es war nun wieder selbstverständlich, daß Acosta antwortete und damit den Befehl erteilte.

„Nach Süden!“ tönte die energische Stimme des Schwarzbärtigen, und die Männer auf dem Floß warteten nicht erst ab, ob Prado und Morro dazu noch etwas zu bemerken hatten.

Der Mann am Wriggriemen brachte das Floß in Fahrt, nachdem die drei anderen mitgeholfen hatten, es von der Bordwand der „San Jacinto“ abzustoßen. Der Ankerplatz der Galeone befand sich etwa in der Mitte vor der Westseite der langgestreckten Insel, die in Nordsüdrichtung verlief.

Die Ostseite der Insel war wegen der geringen Wassertiefe für Schiffe des Galeonen-Typs nicht erreichbar. Dort erwies sich die Große Bahama Bank als alles beeinflussendes Hindernis. Dagegen lag die Cat Cays mit ihrer Westseite fast unmittelbar an der tiefen Florida-Straße. Nur von Westen her konnte man sich also der Inselgruppe nähern, und dabei galt es, die vorgelagerten Riffs genau zu beachten.

3.

„Schade“, sagte Old Donegal enttäuscht. „Wirklich schade, daß sie sich nicht gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben.“

Ed Carberrys Miene spiegelte Entrüstung.

„Schade nennst du das? Ein Glück, sage ich! So bleibt uns wenigstens das Vergnügen, ihnen was auf die Nuß zu klopfen.“

Die Männer lachten glucksend.

„Langsam reicht’s mir!“ fauchte der alte O’Flynn. „Deine ewigen Widerworte gehen mir verdammt auf den Nerv, Mister Carberry. Du treibst es noch so weit, daß ich dir Redeverbot erteilen muß.“

Der Profos spielte den Erschrockenen, schlug sich mit der flachen Hand vor den Mund und sperrte die Augen weit auf.

„Ach du liebe Güte“, sagte er in gekünsteltem Respekt. „Das würde mir aber gar nicht gefallen, den ganzen Tag das Schott halten zu müssen.“

„Eben drum“, sagte Old Donegal, dem der Spott nicht aufging. „Deshalb wär’s ja auch die passende Strafe für dich. Dabei solltest du als Profos eigentlich am besten wissen, was Disziplin ist und was nicht.“

„Langsam werde ich ganz klein und häßlich“, sagte Ed Carberry offenbar geknickt. „Da kann man mal sehen, daß man selbst als Profos noch aufpassen muß, wenn man unter einem gestrengen Kapitän fährt.“

Old O’Flynn faßte das als Kompliment auf und grinste in seiner Felsendeckung vor sich hin.

Wieder war es der Kutscher, der die Aufmerksamkeit der „Empress“-Mannen in naheliegende Bahnen lenkte.

„Darf ich die Gentlemen Kapitän und Profos höflichst darauf hinweisen, daß sich bei der Galeone etwas Entscheidendes tut? Wenn mich meine Augen nicht täuschen, ist das Floß auf südlichen Kurs gegangen. Noch etwas erscheint mir wesentlich: Der Mann, der ganz vorn hockt, hat soeben begonnen, zu loten.“

Old Donegal kniff die Augen zusammen und spähte angespannt auf die Bucht hinaus.

„Verdammt“, sagte er, „die haben doch tatsächlich vor, ihren Pott näher ans Ufer zu legen.“

Carberry konnte ausnahmsweise nicht widersprechen.

„Was das bedeutet, dürfte ja wohl klar sein“, sagte er. „Die wollen ihre Kanonen einsetzen, damit eine Gruppe im Feuerschutz landen kann.“

„Vier Kanonen an Backbord“, sagte Stenmark wegwerfend, „und nur noch drei an Steuerbord, weil ihnen die eine auseinandergeflogen ist. Das ist ja nun nicht gerade ein überwältigender Feuerschutz.“

„Wenn wir uns entsprechend verteilen und laufend die Deckungen wechseln“, fügte Martin Correa hinzu, „dann werden wir damit fertig.“

Die anderen nickten zustimmend.

Unvermittelt ertönte von dem Floß der Spanier wildes, begeistertes Gebrüll Deutlich war immer wieder ein triumphierendes „Hurra“ herauszuhören.

„Sehen wir uns die Sache mal aus der Nähe an“, entschied Old Donegal kurzerhand. „Die Amigos sind ja vor Freude völlig aus dem. Häuschen.“

Im Schutz der Uferfelsen und des Gestrüpps drangen sie gut gedeckt in südlicher Richtung vor und verharrten kurz darauf auf gleicher Höhe mit dem Floß.

Es zeigte sich, daß die vier Floßfahrer fündig geworden waren. Ungefähr fünfzig Yards südlich des Ankerplatzes der „San Jacinto“ hatten sie eine Stelle gefunden, die dem Ufer fast dreißig Yards näher war als die derzeitige Position der Galeone. Und eifrig loteten die Strolche des verrückten Kapitäns weiter und stießen von Minute zu Minute näher ans Ufer vor.

Ein Krächzen tönte plötzlich durch die sonst stille Bucht. Erstaunt hoben die Mannen von der verschwundenen „Empress of Sea II.“ den Kopf.

Was da flügelklatschend über sie hinwegsauste, war knallrot und pfeilförmig mit seinen ausgebreiteten Flügeln.

„Der elende Geier!“ flüsterte Old Donegal. „Schon wieder!“

Carberry sandte einen fragenden Blick zu den Zwillingen, ballte hinter dem Rücken des alten O’Flynn die Hände zu Fäusten und schüttelte mißbilligend und fassungslos den Kopf.

Die Söhne des Seewolfs konnten nur die Schultern hochziehen. Für alle anderen, die in die Sicherungsverwahrung des roten Vogels nicht eingeweiht gewesen waren, bestand ja ohnehin nur die Tatsache, daß der Papagei unverhofft aus einem selbstgewählten Versteck wieder aufgetaucht war.

Philip und Hasard konnten es sich indessen nur so erklären, daß Sir John den Öffnungsspalt des Kistendeckels genutzt haben mußte, um sich zu befreien. Irgendwie mußte es ihm gelungen sein, mit seinem starken Schnabel die Verzurrungen zu erreichen und sie durchzubeißen.

Was die Jungen sich bereits ausgemalt hatten, geschah tatsächlich.

Sir John flatterte im Direktkurs auf die „San Jacinto“ zu, stieg bis über die Höhe der Masttoppen auf und drehte zwei Ehrenrunden. Da ihm aber niemand Aufmerksamkeit schenkte, weder durch einen Pistolenschuß noch durch einen gebrüllten Fluch, nahm er sich das Floß als Ziel vor, zu dem alle an Bord der Galeone neugierig hinüberstarrten.

Die Kerle, die wie gebannt auf das Loten achteten, bemerkten den Papagei nicht sofort. Doch nach der ersten Runde, hoch über ihren Köpfen, ließ er sich mit schriller Stimme vernehmen.

„Culos de mono!“ Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger als: „Affenärsche!“

Die Kerle auf dem Floß zuckten zusammen, und der Lotgast vergaß für den Moment sogar seine wichtige Tätigkeit. Entgeistert spähten sie hoch und sahen den kreisenden Papagei, der sie schon auf der Insel der „Viento Este“ so sehr verblüfft hatte.

Abermals schleuderte der Vogel ein „Affenärsche!“ in spanischer Sprache auf sie nieder.

„Jetzt reicht’s“, zischte einer der beiden Musketenschützen, ließ seine Langwaffe sinken und riß die Pistole aus dem Gurt.

„Hol es vom Himmel, das verdammte Flattervieh!“ rief der Mann am Wriggriemen.

Der Pistolenschuß krachte, und Sir John stieß ein schrilles Zetern aus, das nicht enden wollte. Nach einer Tirade von Schimpfwörtern, die allesamt aus dem Sprachschatz Ed Carberrys stammten, ergriff er mit Kurs auf den Strand die Flucht – gerade noch rechtzeitig, um auch der zweiten Pistolenkugel zu entgehen.

„Die schießen auf unseren Sir John!“ rief der alte O’Flynn grollend. „Das geht zu weit!“

Während der Papagei pfeilschnell in der Höhlenöffnung verschwand, erholte sich Stenmark als erster von der Überraschung über den plötzlichen Sinneswandel Old Donegals.

Die Kerle auf dem Floß hatten sich fast bis auf Musketenschußweite genähert.

Kurz entschlossen brachte der blonde Schwede seine Muskete in Anschlag und versuchte es mit einem Steilschuß. Krachend entlud sich die Langwaffe, und die Männer in der Felsendeckung hielten den Atem an.

Im nächsten Moment war vom Floß wildes Geschrei zu hören.

Old Donegal und seine Gefährten riskierten einen Blick. Der Lotgast preßte beide Hände auf den linken Oberschenkel und jammerte. Die anderen brüllten vor Schreck und vor panischer Angst, ebenfalls getroffen zu werden. Der Wrigger wendete in fliegender Hast und trieb das Floß zurück. Einer der beiden Musketenschützen war noch geistesgegenwärtig genug, eine Markierungsboje als Ansteuerungspunkt für die Galeone außenbords zu werfen.

„Alle Achtung“, sagte Old O’Flynn mit einem anerkennenden Seitenblick zu Stenmark, „auch wenn’s ein Zufallstreffer war.“

„Stimmt nicht“, widersprach der Schwede. „Ich habe gefeuert, um zu treffen. Und ich habe getroffen. Die Kugel streifte den Mann am linken Oberschenkel und schlug dann in ein Rundholz.“

„Und haargenau so hast du’s natürlich vorgehabt“, erwiderte Old Donegal grinsend.

„Klar doch“, behauptete Stenmark, ohne mit der Wimper zu zucken.

Das Floß war längsseits gegangen, und die drei Unverletzten hatten dem Mann mit der Beinschußwunde geholfen, über die Jakobsleiter aufzuentern.

Julio Acosta hatte seine erhöhte Kapitänsposition auf dem Achterdeck eingenommen und beobachtete das Geschehen auf der Kuhl. Er hatte ein Fäßchen Rotwein als Extraration an Deck schaffen lassen. Nach dem dürftigen Mittagsmahl, das aus gesottenen roten Bohnen mit Speck und Pökelfleisch bestand, sollte der Wein die Nerven der Kerle entspannen. Es war den gemeinsamen Zielen absolut nicht förderlich, wenn sie sich in gereizter Stimmung befanden.

Prado und Morro hatten es persönlich übernommen, die Beinwunde des Lotgasten zu versorgen. Natürlich, überlegte Acosta, mußten sich die beiden Schlitzohren wieder wichtig machen. Sie ließen einfach nicht locker damit, ihren Einfluß bei der Mannschaft auszubauen.

Acosta hatte verfügt, daß nach dem Backen und Banken zunächst eine einstündige Pause eingelegt wurde, bevor man begann, die „San Jacinto“ an die von der Floßbesatzung entdeckte Position zu verholen. Der Schwarzbärtige brauchte diese Ruhefrist auch für sich selbst, um einen klaren Kopf zu kriegen.

Es gab nun einmal gewisse Probleme, die er nicht einfach dadurch vom Tisch fegen konnte, daß er seine Vorgesetztenfunktion als unantastbar betrachtete. Damit gaukelte er sich nur selbst etwas vor. Das mußte er zugeben, wenn er ehrlich zu sich selbst war.

Seine Autorität war erheblich angeknackst, und der Grund lag in den Fehlern, die er begangen hatte. Es war unklug und unbeherrscht gewesen, voll einsatzfähige Männer einfach über die Klinge springen zu lassen.

Die Idee, mittels der kleinen Jolle am Strand einen Brückenkopf bilden zu lassen, war auch nicht gerade eine geistige Glanzleistung gewesen. Das Ergebnis hatte es bewiesen.

Alles in allem hatte er sich beträchtliche Sympathien verscherzt – ja, er mußte ehrlicherweise zugeben, daß er sich im Grunde alles selbst eingebrockt hatte, woran er jetzt zu kauen hatte.

Angefangen hatte es mit dem verrückten Papagei, der jetzt schon wieder aufgetaucht war – wie, um ihn zu verhöhnen. Das sprachgewandte Vieh mußte mit dem Teufel im Bunde stehen, da es sich nicht mit einer Pistolenkugel aus der Luft holen ließ.

Verdammt, ja, das war es! Der Gehörnte hatte den Papagei geschickt. Zwar war das ein höchst brauchbarer Fingerzeig auf den Verbleib des Goldes gewesen, aber es war auch von dem betreffenden Augenblick an alles schiefgelaufen.

Die Erklärung genügte Acosta, um sich damit vor sich selbst zu rechtfertigen. Der Höllenfürst hatte ihm das Hirn umnebelt, denn anderenfalls hätte er sich niemals dazu hinreißen lassen, eigene Leute ins Jenseits zu befördern. Jawohl, so und nicht anders mußte es gewesen sein.

Jetzt brauchte er nur eine geeignete Methode, um bei den Kerlen wieder volles Vertrauen und unumstößliche Autorität zu genießen.

Minutenlang beobachtete er die Kerle, wie sie auf der Kuhl ihren Rotwein schlürften und mit den üblichen unflätigen Lauten kundtaten, daß sie sich hemmungslos vollgefressen hatten.

Die Idee entsprang seinen suchenden Gedanken ohne Ankündigung, und er beglückwünschte sich insgeheim dafür. Noch vor wenigen Stunden wäre er nicht einmal im Traum auf eine solche Idee verfallen. Jetzt aber erschien sie ihm als die ideale Methode zur Beseitigung aller Schwierigkeiten.

Man mußte den Einfaltspinseln den kleinen Finger geben und sie in dem Glauben wiegen, daß sie die ganze Hand erhalten hatten.

„Prado und Morro zu mir“, sagte Acosta energisch und übertönte das Stimmengemurmel auf der Kuhl. „Lagebesprechung!“

Schlagartig wurde es still. Alle Blicke richteten sich zum Achterdeck. Der Bootsmann der „Viento Este“ blinzelte ungläubig, und sein dürrer Gefährte legte die Stirn in ein Wellenmuster von Falten.

„Was soll denn das nun wieder heißen?“ entgegnete Prado mit der nach Acostas Meinung plumpen Direktheit des einfachen Mannes, der weder Fingerspitzengefühl noch Anstand kannte.

Der Schwarzbärtige bewahrte dennoch seine deutlich zur Schau gestellte Überlegenheit.

„Ich will keine eigenen Entscheidungen mehr treffen“, sagte er rundheraus. „Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, daß dabei nichts Gutes herauskommt. Also noch mal: In fünf Minuten Lagebesprechung in der Kapitänskammer.“

Es verfehlte seine Wirkung nicht. Während er über den Backbord-Niedergang abenterte und würdevoll in Richtung Achterdeckskammern schritt, sah er an den Mienen Prados und Morros, daß sie sich geschmeichelt fühlten.

Genau das hatte er erreichen wollen. Indem er sie zu seinen Vertrauten ernannte, brachte er sie in eine Distanz von den Decksleuten und näher an sich heran. Die Gefahr einer offenen Meuterei gegen ihn wurde damit geringer.

Er betrat die Kapitänskammer, in der ihn sein Vorgänger auf der „San Jacinto“, de Llebre, so hinterhältig hatte aushorchen wollen. Er war froh, daß er seinerzeit richtig reagiert und den Spieß kurzerhand umgedreht hatte. Jene Umsicht und jene zielsichere Tatkraft, die er dabei an den Tag gelegt hatte, mußte nun auch wieder bestimmend für sein Verhalten als Kommandant dieses Schiffes sein.

Zum Teufel, mit einer fünfzehnköpfigen Crew war die Galeone bereits hoffnungslos unterbemannt. Auf ein Seegefecht durfte er sich mit so einem winzigen Haufen niemals einlassen, und wenn sie in einen Sturm geraten sollten, dann hing ihr Leben buchstäblich an dem so oft erwähnten dünnen Faden.

Nein, er durfte sich auf keinen Fall zu weiteren Wutausbrüchen hinreißen lassen. Und er mußte die Kerle unter Kontrolle halten, indem Prado und Morro seine Vertrauenspersonen wurden. Jedem Vordecksaffen, dem man ein bißchen Kompetenz gab, schwoll erfahrungsgemäß vor Stolz die Brust.

Er entkorkte eine Flasche Rum aus de Llebres Vorräten, karibischer Rum von der besten Sorte. Zusammen mit drei Bechern stellte er sie auf den Tisch. Dann zog er den bequemen Stuhl seines Vorgängers heran und setzte sich ans Kopfende des Tisches.

Die Schritte der beiden Männer polterten pünktlich heran. Ihre Bewegungen waren tapsig, als sie eintraten. Acosta beobachtete es und ließ sich nicht anmerken, wie er sich insgeheim darüber amüsierte.

Die Kapitänskammer war eine ihnen fremde Umgebung, in der sie sich unbehaglich fühlten. Damit hatte er einen klaren Vorteil: Sie würden es als etwas Besonderes betrachten, wenn er sich mit ihnen auf eine Stufe stellte.

„Setzt euch und genießt einen edlen Tropfen mit mir“, sagte er mit einer einladenden Handbewegung. „Was wir als nächstes unternehmen, will genau und in aller Ruhe bedacht werden.“

Prado und Morro setzten sich linkisch. Acosta füllte die Becher jeweils zur Hälfte mit dem hochprozentigen Rum und prostete den beiden Teilnehmern seiner Lagebesprechung zu.

Er trank einen Schluck und ließ seinen Becher mit einem wohligen Laut wieder sinken.

„Wir wollen die Vergangenheit auf sich beruhen lassen“, sagte er mit jener Betonung, wie er sie bei feierlichen Ansprachen gehört hatte. „In der Vergangenheit hat es Fehler gegeben, die nicht wieder geschehen dürfen. Wir müssen mit aller Kraft bestrebt sein, jetzt ans Ziel zu gelangen.“

„Die Fehler haben nicht wir begangen“, sagte Prado über den Rand seines Bechers hinweg. Er hatte dabei das „Wir“ betont.

Acosta verzog unwillig das Gesicht. Da war sie wieder, diese plumpe Direktheit, von der er gern Abstand halten wollte, je mehr er sich mit seinem selbstgewählten Kapitänsrang identifizierte.

„Darüber bin ich mir im klaren“, sagte er versöhnlich. „Eben deshalb habe ich euch ja auch zu dieser Lagebesprechung gebeten. Natürlich kann ich nicht jede Einzelheit mit jedem erörtern. Was ich brauche, sind zuverlässige Gewährsleute, die die Crew vertreten. Über Offiziersränge und dergleichen können wir später reden, wenn wir unsere wichtigste Aufgabe bewältigt haben und eine vollständige Mannschaft in Heuer nehmen.“

In den Augen des Bootsmanns und des dürren Decksmanns entstand ein Funkeln. Sie hatten den Köder angenommen. Acosta bemerkte es mit Genugtuung.