Sein interessantester Fall - Patricia Vandenberg - E-Book

Sein interessantester Fall E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Zuerst war Fee Norden maßlos enttäuscht gewesen, als das kleine alte Haus auf dem Nachbargrundstück abgerissen wurde. Es war ein großes Grundstück und ein kleines Haus, und niemand hatte sich da drüben je blicken lassen während der Zeit, da die Nordens nun in der stillen Villenstraße wohnten. Sie wohnten noch nicht lange genug da, daß sie jeden Nachbarn gekannt hätten. Erst mit der Zeit wurde Dr. Daniel Norden von fast allen konsultiert, und so kam es dann auch zu nachbarschaftlichen Kontakten mit Fee. Als man dann anfing, das kleine Haus abzureißen, hatte Fee erfahren, daß dort eine alte Dame gewohnt hatte, die vor zwei Jahren gestorben war und die das Grundstück ihrem Neffen, dem Professor Henrik Gollong, vererbt hatte. Dieser hatte nun seine Professur an der Sorbonne in Paris aufgegeben und war in die Heimat zurückgekehrt und wollte sich hier niederlassen. »Hoffentlich sind es wenigstens nette Leute, die nicht gleich bei jedem Kindergeschrei murren«, sagte Fee zu ihrem Mann. Dr Daniel Norden lächelte nachsichtig. »Was gehen uns die Leute an, Feelein. Wenn sie murren, überhören wir es, wir haben ja eine hohe Hecke.« Natürlich war es auch ihm lieber, wenn man mit den Nachbarn gut auskam, denn er war ja den ganzen Tag in der Praxis, während Fee mit den beiden Kleinen Danny und Felix die meiste Zeit daheim sein mußte. Nichts wünschte er so sehr, als daß sie unbehelligt blieb. Jetzt verursachte der Bau des neuen Hauses erst einmal Unruhe, und da konnten sie auch nicht murren. Immerhin schaute Danny sehr interessiert zu, was sich da drüben tat, er war damit manchmal Stunden beschäftigt. Es entstand ein schönes Haus, im ähnlichen Stil wie das, das die Nordens bewohnten, und das machte auch Fee die neuen, noch unbekannten Nachbarn sympathischer, denn sie hatte gefürchtet, daß man da solche Prunkvilla hineinsetzen könnte, wie sie am Ende der Straße gebaut worden war. Schnell wuchs das Haus aus dem Boden. Der Krach hörte auf. Danny hatte nicht mehr viel zu schauen und war deswegen betrübt.

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Dr. Norden Aktuell – 11 –

Sein interessantester Fall

Patricia Vandenberg

Zuerst war Fee Norden maßlos enttäuscht gewesen, als das kleine alte Haus auf dem Nachbargrundstück abgerissen wurde. Es war ein großes Grundstück und ein kleines Haus, und niemand hatte sich da drüben je blicken lassen während der Zeit, da die Nordens nun in der stillen Villenstraße wohnten.

Sie wohnten noch nicht lange genug da, daß sie jeden Nachbarn gekannt hätten. Erst mit der Zeit wurde Dr. Daniel Norden von fast allen konsultiert, und so kam es dann auch zu nachbarschaftlichen Kontakten mit Fee.

Als man dann anfing, das kleine Haus abzureißen, hatte Fee erfahren, daß dort eine alte Dame gewohnt hatte, die vor zwei Jahren gestorben war und die das Grundstück ihrem Neffen, dem Professor Henrik Gollong, vererbt hatte. Dieser hatte nun seine Professur an der Sorbonne in Paris aufgegeben und war in die Heimat zurückgekehrt und wollte sich hier niederlassen.

»Hoffentlich sind es wenigstens nette Leute, die nicht gleich bei jedem Kindergeschrei murren«, sagte Fee zu ihrem Mann.

Dr Daniel Norden lächelte nachsichtig. »Was gehen uns die Leute an, Feelein. Wenn sie murren, überhören wir es, wir haben ja eine hohe Hecke.«

Natürlich war es auch ihm lieber, wenn man mit den Nachbarn gut auskam, denn er war ja den ganzen Tag in der Praxis, während Fee mit den beiden Kleinen Danny und Felix die meiste Zeit daheim sein mußte. Nichts wünschte er so sehr, als daß sie unbehelligt blieb.

Jetzt verursachte der Bau des neuen Hauses erst einmal Unruhe, und da konnten sie auch nicht murren. Immerhin schaute Danny sehr interessiert zu, was sich da drüben tat, er war damit manchmal Stunden beschäftigt.

Es entstand ein schönes Haus, im ähnlichen Stil wie das, das die Nordens bewohnten, und das machte auch Fee die neuen, noch unbekannten Nachbarn sympathischer, denn sie hatte gefürchtet, daß man da solche Prunkvilla hineinsetzen könnte, wie sie am Ende der Straße gebaut worden war.

Schnell wuchs das Haus aus dem Boden. Der Krach hörte auf. Danny hatte nicht mehr viel zu schauen und war deswegen betrübt. Als der Herbst kam und der Wind die bunten Blätter von den Bäumen wehte, war das Haus fertiggeworden, und bald darauf zog Professor Henrik Gollong mit seiner Familie dort ein.

Zum ersten Mal ertappte Fee ihren Sohn Danny dabei, daß er sich heimlich auf die Straße schlich, um dabei zu sein, wie die Möbelwagen ausgeladen wurden. Selbst die aufmerksame Lenni hatte es nicht bemerkt, so raffiniert hatte er es angefangen.

Lenni war in der Küche, Fee versorgte den kleinen Felix, und als sie damit fertig war, suchte sie Danny. Sie lief durch den Garten und rief ihn, aber sie entdeckte ihn wirklich erst, als sie eine warme, dunkle Frauenstimme fragen hörte: »Was willst du denn, kleiner Mann?«

»Zuschauen.« Das war Dannys Stimme, und Fee stürzte auf die Straße. Danny war sogleich schuldbewußt, doch die sympathische dunkelhaarige Frau mittleren Alters lächelte Fee beschwichtigend zu.

»Ich hätte schon aufgepaßt, daß er nicht auf die Straße läuft«, sagte sie. »Ich bin Bettina Gollong.«

»Fee Norden«, sagte Fee, »und das ist unser Sohn Danny.«

»Papis und Mamis Sohn«, erklärte Danny.

»Ein neugieriger Sohn«, sagte Fee.

»Welches Kind ist nicht neugierig«, sagte Bettina Gollong. »Unsere sind groß, aber mich freut es, daß wir in der Nachbarschaft liebe kleine Gesellschaft haben.«

Fee fiel ein Stein vom Herzen. Sie schienen Glück zu haben mit den neuen Nachbarn. Danny bezeichnete Frau Gollong dann auch gleich als nette Dame.

Die übrigen Familienmitglieder lernte sie erst später kennen. Drüben war man beschäftigt, das Haus einzurichten. Das Wetter war regnerisch und manchmal sogar stürmisch. Nur kurze Zelt konnte sie die Kinder in den Garten bringen.

Eine scheußliche Grippe kursierte. Dr. Daniel Norden war ständig auf den Beinen, und er wurde auch bald zum ersten Mal in das Nachbarhaus gerufen. Henrike, die zwanzigjährige Tochter von Professor Gollong, war mit hohem Fieber von der Universität nach Hause gekommen.

Der Anruf erreichte Daniel kurz nach dem Mittagessen, doch der Weg war nicht weit, und er war schnell bei der jungen Kranken.

Er hatte ein sehr geschmackvoll eingerichtetes Haus betreten. Nichts war übertrieben, alles verriet höchste Kultur. Professor Gollong war ein jugendlich und sportlich aussehender Mann, hochgewachsen, drahtig, mit einem sehr interessanten, unregelmäßigen Gesicht, das Daniel faszinierte.

Er war sehr besorgt um seine Tochter, die gerade dabei war, ihre Mutter zu trösten, als Dr. Norden ihr Zimmer betrat, das ganz entzückend eingerichtet war.

»Es ist doch nicht so schlimm, Mami«, sagte Henrike Gollong. »Reg dich doch bloß nicht so auf. Fieber kriegt man schnell mal.«

Sie war in keiner Weise wehleidig, aber es hatte sie tüchtig erwischt, und Daniel Norden verordnete strengste Bettruhe zu den Medikamenten.

Er mußte vorsichtig vorgehen, denn Bettina Gollong sagte ihm, daß Henrike auf Penicillin sehr allergisch reagiere.

Als Dr. Norden sich dann noch mit Professor Gollong unterhielt, dem wohl niemand auf Anhieb angesehen hätte, daß er ein nüchterner Mathematiker war, kam ein junger Mann ins Haus gestürmt.

»Was ist mit Ricky.« rief er erregt aus. »Ich habe gehört, daß sie heimgebracht werden mußte.«

»Immer mit der Ruhe, Ja«, sagte Professor Gollong. »Das ist Dr. Norden, unser Nachbar. Er hat Ricky schon verarztet. Oh, Verzeihung«, sagte er dann zu Daniel gewandt, »dieser ungestüme junge Mann ist unser Sohn Jan.«

Er hätte das nicht zu sagen brauchen. Jan war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, genauso groß und fast schon so interessant wie er, während Henrike anscheinend ganz der Mutter nachgeriet.

Daniel Norden gewann jedenfalls den Eindruck, daß es sich um eine sehr harmonische Familie handelte, um Eltern, die sehr besorgt waren, um Geschwister, die sich innig zugetan waren.

Das konnte er Fee berichten, die ein bißchen neugierig war.

Eine Woche lang ging er jeden Tag zweimal hinüber ins Nachbarhaus. Morgens, bevor er in die Praxis fuhr, obgleich das noch sehr früh war. Doch Bettina Gollong hatte ihm versichert, daß sie ohnehin Frühaufsteher wären, und sie war glücklich, daß ihre Henrike so fürsorglich von Dr. Norden betreut wurde. Abends kam er dafür manchmal um so später, aber auch das war den Gollongs recht, die ihn bald genauso schätzten wie seine anderen Patienten, für die ›ihr‹ Dr. Norden überhaupt ›der‹ Arzt war.

Henrike erholte sich langsam, aber das war auf ihre sehr zarte Konstitution zurückzuführen. Dr. Norden erklärte, daß etwas getan werden müsse, um ihre Abwehrkräfte zu mobilisieren.

»Sie mutet sich einfach zuviel zu«, meinte Bettina Gollong.

»Sie will immer Schritt halten mit Jan«, sagte der Professor, »aber er ist ein zäher Bursche und sie halt ein zartes Mädchen.«

Äußerlich waren sich die Geschwister wirklich nicht ähnlich, doch dafür hingen sie mit inniger Liebe aneinander. Daran sollten sich die Nordens noch oft freuen können.

Es entwickelte sich zwischen ihnen jedenfalls ein sehr herzlicher nachbarschaftlicher Kontakt, als Henrike dann wieder gesund war und dank der guten Mittel, die Daniel ihr verschrieben hatte, auch gekräftigt.

Bettina kam eines Vormittags zu Fee herüber und sagte, daß nun eigentlich ein Einstand bei ihnen fällig sei, und da sie wüßten, wie beschäftigt Dr. Norden wäre, würden sie sich mit dem Termin ganz nach ihnen richten. Diesen Termin legten sie dann auf Daniels nächsten freien Samstag fest.

Daniel war nicht mal abgeneigt. »Es sind nette Leute«, meinte er. »Ein großer Rummel wird es bestimmt nicht.«

Es wurde kein großer Rummel. Sie waren die einzigen Gäste, aber Bettina hatte alles sehr festlich gestaltet.

Sie saßen sich an einem runden Tisch gegenüber, auf dem silberne, wunderbar ziselierte Leuchter standen, es gab ein französisches Essen, und Fee und Daniel lief schon beim Anblick und dem Duft das Wasser im Munde zusammen.

Die Gollongs waren Menschen, mit denen man vergnügt plaudern und sich ernsthaft unterhalten konnte. Henrike war ein entzückendes Mädchen. Sie neckte ihren Bruder gern. Er ging darauf ein, doch er blieb Kavalier.

Daniel und Fee brauchten es nicht zu bereuen, den Abend mit den Gollongs verbracht zu haben, wenn sie sonst auch lieber jede freie Stunde allein blieben, denn knapp genug waren die in diesen wechselhaften Herbstwochen, die alle möglichen Krankheiten mit sich brachten.

»Ein tolles Paar sind die Nordens«, sagte Henrike. »Sie ist ja hinreißend schön.«

»Sag nur nicht, daß dir Dr. Norden nicht gefällt«, warf Jan ein.

»Natürlich gefällt er mir, aber doch nicht so, wie du gemeint hast«, erwiderte Henrike, »Er sieht schon phantastisch aus, aber ich habe einen schicken Vater und einen schicken Bruder.«

»Danke, Häschen«, sagte Professor Gollong lächelnd. »Und du wirst uns ganz sicher auch mal einen schicken Ehemann ins Haus bringen.« Er machte gern solche Scherze, aber darauf war Jan gar nicht gut zu sprechen.

»Ricky ist noch viel zu jung. Sie soll lieber aufpassen, daß sie nicht an solchen falschen Fuffziger gerät, wie sie heute zu Hunderten herumlungern.«

Solche Themen liebte Bettina gar nicht. Aber Henrike lachte nur.

»Bis jetzt hast du noch jeden vertrieben, der mir nachgestiegen ist, Brüderchen, und bevor ich an einen solchen Schlawiner gerate, werde ich wohl eher eine alte Jungfer. Aber wie ist es bei dir? Rennen dir nicht auch genug Mädchen nach, bei denen man nie weiß, was sie eigentlich wollen? Oder wollen sie dich immer gleich mit Haut und Haaren?«

»Ich habe gar keine Zeit dafür«, brummte Jan. »Du Naseweis«, sagte er dann mit einem zärtlichen Unterton zu Ricky und fuhr ihr mit seiner schmalen Hand durch das volle, seidige Haar. »Wenn man eine so hübsche Schwester hat, zieht man immer Vergleiche, und da schneiden die anderen schlecht ab, ganz davon abgesehen, daß du auch noch Hirn hast, was bei den meisten fehlt.«

So wurde bei den Gollongs geredet, und es gab keine Tabus, die nicht angeschnitten werden konnten, wenn Bettina sich daran auch erst hatte gewöhnen müssen. Aber es war herrlich, daß sie sich so gut verstanden, und da sie nun auch so sympathische Nachbarn hatten, war sie genauso zufrieden wie Fee Norden jetzt auch. Am meisten hatte sie sich ja davor gefürchtet, daß so eine Klatschtante dort einziehen würde, die man nicht wieder loswerden konnte, wie es den Leitners ging, die zu ihren besten Freunden gehörten.

Daniel Norden, Dr. Dieter Behnisch und Dr. Hans Georg Leitner waren schon auf der Universität Freunde gewesen. Dann hatten sie erst ihren eigenen Weg einschlagen müssen, Daniel als Arzt für Allgemeinmedizin, Dieter Behnisch als Chirurg und Schorsch Leitner als Gynäkologe. Das Schicksal hatte es gewollt, daß sie nun dicht beisammen wohnten in einem Stadtviertel und auch Hand in Hand arbeiteten, wenn ein Fall für einen von ihnen nicht ganz klar war.

Schorsch war der letzte gewesen, der geheiratet hatte. Ein ewiger Junggeselle war er geannt worden, aber mit seiner reizenden Frau Claudia, die früher Krankenschwester gewesen war, hatte er das große Glück nach einigen lrrwegen auch gefunden.

Leider hatten sie kürzlich Nachbarn bekommen, die ihnen gewaltig auf die Nerven gingen, vor allem die Frau, die keine Kinder, keinen Beruf und viel Zeit hatte. Als Claudia am nächsten Nachmittag auf eine Stippvisite vorbeikam, weil Schorsch in der Klinik zu tun hatte, konnte sie wieder ein Klagelied über die Hubers singen.

»Die Frau hat doch an allem etwas auszusetzen«, stöhnte sie. »Jetzt stören sie unsere Sträucher, weil sie angeblich zuviel Schatten werfen.«

»Oder weil sie so schlecht über den Zaun gucken kann«, sagte Fee jetzt etwas spöttisch. »Du liebe Güte, wir gehen auf den Winter zu, da wird sie sich doch nicht in den Garten legen wollen. Sag ihr doch bitte ordentlich die Meinung, dann läßt sie dich schon in Ruhe, Claudia.«

Aber Claudia war nicht so eine, die ihre Meinung sagen konnte. Und Fee war es eigentlich auch nicht, wie Daniel nun bemerkte.

»Du hast doch auch eine höllische Angst vor den neuen Nachbarn gehabt, mein Schatz. Und dabei sind sie so nett.«

»Wir haben Glück gehabt, aber Claudia tut mir leid«, meinte Fee. »Es ist wirklich lästig, wenn man so eine neugierige Person im Nacken hat.«

»Laßt eine Mauer ziehen«, schlug Daniel vor. »Und zeig ihr die Zähne.«

»Und dann werden wir ausgerichtet. Es gibt ja immer ein paar Gleichgesinnte. Aber ich will euch nichts vorjammern. Ich gehe jetzt wieder. Schorsch wird ja hoffentlich bald heimkommen.«

»Die Huber ist wirklich eine Nervensäge«, sagte Daniel, als sie gegangen war. »Neulich war sie bei mir. Dem Himmel sei Dank, daß wir nicht so was nebenan haben.«

»Wenn du das schon sagst, muß ich Claudia noch mehr bedauern«, sagte Fee. »Was sind denn das nur für Leute?«

»Madame Neureich, die immer bevorzugt behandelt werden möchte. Mit Loni hat sie sich auch schon angelegt.«

»Und was fehlt ihr?«

»Alles. Typische Hypochondrie. Dabei habe ich selten so was organisch Gesundes gesehen. Wahrscheinlich wird sie mich verschonen, weil ich gesagt habe, daß ich ihr nichts verschreiben kann.«

Diesbezüglich war er ganz konsequent. Er wußte genau, daß Tablettensucht Gesunde krank machen konnte, aber manche Menschen nahmen ja jedwede Tabletten in purer Einbildung. Welche zum Schlafen, dann wieder welche zum Munterwerden, und all dies aus innerer Unzufriedenheit oder gar, um ihre Umgebung zu schikanieren.

Zu jenen gehörte nun Bettina Gollong gewiß nicht. Immer war sie freundlich, ausgeglichen, und ganz bestimrnt litt sie nicht unter Langeweils.

Um so erschrockener war Fee, als sich dies nach einigen Wochen völlig änderte. Als sie Bettina auf der Straße traf, machte sie einen kranken, gehetzten Eindruck. Und das stimmte Fee sehr nachdenklich.

*

Tatsächlich herrschte bei den Gollongs eine unterschwellige Spannung Obgleich Henrike sich keiner Schuld bewußt war, hatte sie diese ausgelöst.

Eines Tages war sie nach der Vorlesung nocb in die Stadt gegangen, um sich einen Ledermantel zu kaufen. Sie wollte sich dazu mit ihrer Mutter treffen, und als Teffpunkt hatten sie ein italienisches Spezialitätenrestaurant vereinbart.

Henrike war weit vor der Zeit dort, da ihre Uhr mal wieder beträchtlich vorging. Immerhin war das ganz gut, denn sie fand gerade noch einen freien Tisch.

Am Nebentisch saß ein Mann mittleren Alters, recht gutaussehend, aber ein Typ, den Henrike eigentlich gar nicht mochte. Da er sie immer wieder anstarrte, wartete sie sehnlichst auf das Erscheinen ihrer Mutter. statt dessen wurde sie ans Telefon gerufen.

Sie bekam einen furchtbaren Schrecken, als sie ihren Namen hörte. Mami wird doch nichts passiert sein, war ihr erster Gedanke, doch Bettina wollte ihre Tochter nur henachrichtigen, daß sie erst später kommen könne, weil der Mechaniker, der die Waschmaschine reparieren sollte, erst spät gekommen sei.

Nun mußte Henrike noch länger warten, und der Mann am Nebentisch machte keine Anstalten zu gehen, obgleich er längst gegessen hatte.

Dann kam Bettina, ziemlich abgehetzt, nicht rechts noch links schauend und sich gleich mit dem Rücken zu diesem Mann setzend.

Henrike hatte ohnehin keine Notiz mehr von ihm nehmen wollen.

»Du hättest dich nicht so abhetzen müssen, Mami«, sagte sie. »Wir hätten auch ein andermal einkaufen gehen können.«

Während Bettina die Speisekarte studierte, nahm Henrike nebenbei wahr, daß der Mann vom Nebentisch ging. Sie hatte keine Ahnung, welche dramatischen Folgen diese Begegnung haben sollte und atmete erleichtert auf.

»Was schnaufst du denn so?« fragte Bettina amüsiert, denn nun hatte sie sich schon wieder erholt.

»Ach, da saß so ein Mann am Nebentisch, der mich dauernd angestarrt hat«, erwiderte Henrike. »Einfach unverschämt.«

»Das wird dir noch öfter passieren«, sagte Bettina arglos. Dieser Nachmittag sollte noch ganz ungetrübt verlaufen. Henrike erstand einen bildschönen Mantel, und auch sonst kauften sie Sachen, die ihnen sehr gefielen. Die beiden Männer wurden auch nicht vergessen, und am Abend fand sich die ganze Familie wieder fröhlich zusammen. Es sollte der letzte Tag sein, den Bettina Gollong sorglos verbrachte, denn am nächsten Vormittag bekam sie einen Anruf, der sie in tiefste Verzweiflung stürzte.

»Hallo«, sagte eine Männerstimme.

»Wer spricht da?« fragte sie.

»Dreimal darfst du raten, Bettina, aber ich habe deine Stimme gleich erkannt.«

Nun wußte auch sie, um wen es sich handelte. Ihr wurde übel, und schnell legte sie den Hörer auf. Das Telefon läutete noch ein paarmal, doch Bettina nahm nicht ab.

Längst vergessene Vergangenheit war lebendig geworden. Sie hielt es im Haus nicht mehr aus. Das Telefon war plötzlich zu einem Feind geworden. Sie lief stundenlang draußen herum, und dabei traf sie dann Fee Norden. Sie war unfähig, ein paar freundliche Worte mit der liebgewonnenen Nachbarin zu sprechen.

Henrike war schon daheim. »Wo warst du denn, Mami?« fragte sie überrascht und betroffen. »Wie siehst du denn aus? Bist du krank?«

»Es war mir nicht gut, und da bin ich ein bißchen herumgelaufen.«

»Du solltest dich lieber hinlegen. Soll ich Dr. Norden anrufen?« fragte Henrike besorgt.

»Nein, es wird schon besser werden. Ich habe nur Kopfweh«, redete sich Bettina heraus.

Da läutete das Telefon wieder. »Geh nicht hin«, sagte Bettina erregt.

»Aber warum denn nicht? Es wird Papi sein«, erwiderte Henrike und hatte schon den Hörer am Ohr.

Bettina beobachtete sie. Henrikes Mienenspiel wechselte.

»Unterlassen Sie das bitte«, sagte sie scharf. Dann knallte sie den Hörer auf.

»So eine Unverschämtheit. Das war der Kerl aus dem Lokal. Er muß meine Adresse herausgebracht haben, als ich ans Telefon gerufen wurde. Laut genug hat dieser komische Ober meinen Namen ja gesagt. Manche Männer schrecken doch vor nichts zurück.«

»Was will er von dir?« fragte Bettina bebend.

»Er müsse mich unbedingt wiedersehen. Unglaublich, dabei könnte er mein Vater sein.«

Eine dahingesagte Bemerkung. Bettina rannen kalte Schauer über den Rücken.

»Es war also schon ein älterer Mann«, sagte sie gequält.

»So ungefähr in Papis Alter, aber Papi sieht viel besser aus«, erwiderte Henrike. Hat er heute etwa schon mal angerufen, Mami?« fragte sie dann forschend. »Hast du dich deswegen aufgeregt?«

»Es hat jemand angerufen, aber als ich mich meldete, gleich wieder den Hörer aufgelegt«, log Bettina. Sie mußte einfach lügen.

»Und du hast dir gleich wieder weiß Gott was für Gedanken gemacht«, meinte Henrike nachsichtig. »Das brauchst du doch nicht. Ihr wißt genau, daß ich keine Heimlichkeiten vor euch habe. Wenn mir ein Mann wirklich mal gefällt, lernt ihr ihn sofort kennen, damit ihr euer Werturteil abgeben könnt.«

Ganz sorglos war sie und ahnte nicht, was in ihrer Mutter vor sich ging.

Als Bettina dann aber einen Schwächeanfall erlitt, war Henrike so erschrocken, daß sie doch nach Dr. Norden rief. Sie fand keine andere Erklärung, als daß ihre Mutter doch eine Krankheit in sich trüge. Und sie schob es darauf, daß sie sich am gestrigen Tag so abgehetzt hatte.