Selbstbetrachtungen. Illustriert - Marc Aurel - E-Book

Selbstbetrachtungen. Illustriert E-Book

Marc Aurel

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Beschreibung

"Selbstbetrachtungen" von Marc Aurel ist eine bedeutende Sammlung von Reflexionen und philosophischen Gedanken, die vom römischen Kaiser Marc Aurel selbst verfasst wurden. In diesem illustrierten Band werden die Leser in die tiefgründige Welt der stoischen Philosophie eingeführt, während Marc Aurel seine persönlichen Überlegungen zu Themen wie Ethik, Moral, Tod und das Streben nach innerer Ruhe teilt. Die Illustrationen in dieser Ausgabe ergänzen die Texte und bieten den Lesern eine visuelle Interpretation der zeitlosen Weisheit von Marc Aurel. "Selbstbetrachtungen" ist ein inspirierendes Werk, das auch heute noch Leser aller Altersgruppen dazu anregt, über die Bedeutung des Lebens und die Suche nach persönlicher Erfüllung nachzudenken.

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Marc Aurel

Selbstbetrachtungen

Illustriert 

"Selbstbetrachtungen" von Marc Aurel ist eine bedeutende Sammlung von Reflexionen und philosophischen Gedanken, die vom römischen Kaiser Marc Aurel selbst verfasst wurden. In diesem illustrierten Band werden die Leser in die tiefgründige Welt der stoischen Philosophie eingeführt, während Marc Aurel seine persönlichen Überlegungen zu Themen wie Ethik, Moral, Tod und das Streben nach innerer Ruhe teilt. Die Illustrationen in dieser Ausgabe ergänzen die Texte und bieten den Lesern eine visuelle Interpretation der zeitlosen Weisheit von Marc Aurel. "Selbstbetrachtungen" ist ein inspirierendes Werk, das auch heute noch Leser aller Altersgruppen dazu anregt, über die Bedeutung des Lebens und die Suche nach persönlicher Erfüllung nachzudenken.

Inhaltsverzeichnis
Erstes Buch.
Zweites Buch.
Drittes Buch.
Viertes Buch.
Fünftes Buch.
Sechstes Buch.
Siebentes Buch.
Achtes Buch.
Neuntes Buch.
Zehntes Buch.
Elftes Buch.
Zwölftes Buch.

Erstes Buch.

1.

Mein Großvater Verus gab mir das Beispiel der Milde und Gelassenheit.

2.

Meinem Vater rühmte man nach, er habe einen echt männlichen und dabei bescheidenen Charakter besessen, worin ich ihm nachahmte.

3.

Meine Mutter war mir durch ihre Frömmigkeit und Wohltätigkeit ein Vorbild; ich bestrebte mich, ihr gleichzukommen und das Böse weder zu tun noch auch nur zu denken und wie sie einfach und mäßig zu leben, weit entfernt von dem gewöhnlichen Luxus der Großen.

4.

Meinem Urgroßvater nach dessen Willen ich die öffentlichen Schulen nicht besuchen sollte, verdanke ich es, daß ich zu Hause den Unterricht tüchtiger Lehrer genoß, und ich erkannte, daß man hierin nicht genug tun könne.

5.

Von meinem Erzieher lernte ich, in den Zirkusspielen weder für die Grünen noch für die Blauen, in den Gladiatorengefechten weder für die Rundschilde noch für die Langschilde Partei zu nehmen, wohl aber Anstrengungen zu ertragen, mit wenigem zufrieden zu sein, selbst die Hand ans Werk zu legen, mich nicht in die Angelegenheiten anderer zu mischen und unzugänglich für Angeberei zu sein.

6.

Diognetus flößte mir Haß gegen alle nichtigen Befürchtungen ein und Ungläubigkeit gegenüber den Gauklern, Beschwörern, Wahrsagern und dergleichen, hielt mich von der Wachtelpflege und ähnlichem Aberglauben zurück und lehrte mich das freie Wort dulden und mich ganz der Philosophie ergeben. Er ließ mich erst den Bacchius, dann den Tandasis und Marcianus hören, unterwies mich, als Knabe Dialoge zu schreiben, und bewirkte es, daß ich kein anderes Nachtlager als ein Bretterbett und eine Tierhaut begehrte und was sonst zur Lebensart der griechischen Philosophen gehört.

7.

Rusticus machte mir begreiflich, daß ich immer an der Bildung und Besserung meines Charakters zu arbeiten hätte, die falschen Wege der Sophisten vermeiden müßte, keine leeren Theorien aufstellen, keine Reden des Beifalls wegen halten, noch den Mann von großer Wirksamkeit und Mildtätigkeit vor den Augen der Menge spielen sollte. Durch ihn blieb mir jedes rednerische und dichterische Wortgepränge, jede Schönrednerei fremd, sowie jede Eitelkeit in der Kleidung oder sonstiger Luxus. Er riet mir auch, meine Briefe immer ganz einfach zu schreiben, wie er einen solchen von Sinuessa aus an meine Mutter schrieb; mich leicht versöhnlich zu zeigen, jeden Augenblick zum Verzeihen bereit zu sein, sobald diejenigen, die mich beleidigt haben, durch ihre Worte oder ihr Benehmen mir ihr Entgegenkommen zeigen; auf meine Lektüre eine gewisse Sorgfalt zu wenden; mich nicht mit oberflächlichem Wissen zu begnügen, nie den Großsprechern vorschnell meine Zustimmung zu geben. Endlich verdanke ich ihm die Erklärungen des Epictet, die er mir aus seiner Büchersammlung mitteilte.

8.

Von Apollonius lernte ich die freie Denkart, zwar mit Bedachtsamkeit, doch ohne Wankelmut auf nichts Rücksicht zu nehmen als auf die gesunde Vernunft und stete Seelenruhe zu bewahren unter den heftigsten Schmerzen, beim Verlust eines Kindes und in langwierigen Krankheiten. Er war mir ein lebendiges Beispiel, wie man zugleich ernsthaft und doch leutselig sein könne. Er zeigte sich beim Unterrichte nie mürrisch oder ungeduldig und war dabei auf seine Lehrgeschicklichkeit nicht im geringsten eingebildet. Von ihm endlich lernte ich, wie man Wohltaten von Freunden anzunehmen hat, ohne sich weder zu demütigen noch auch unerkenntlich dafür zu sein.

9.

Sextus war mir das Muster des Wohlwollens, das Beispiel eines echten Familienvaters; an ihm lernte ich, was es heißt, nach der Natur leben. Seine Würde hatte nichts Gezwungenes, er wußte zuvorkommend die Wünsche seiner Freunde zu erraten und ertrug geduldig die Unwissenden und diejenigen, die ohne Überlegung urteilen. Er schickte sich in alle Menschen, und so fand man seinen Umgang angenehmer als alle Schmeicheleien, und dabei empfand man gleichzeitig eine tiefe Hochachtung für ihn. Er verstand es, die zur Lebensweisheit erforderlichen Vorschriften klar und regelrecht zu entwickeln und zu verknüpfen. Man bemerkte niemals das geringste Zeichen des Zornes oder irgendeiner andern Leidenschaft an ihm, aber bei aller Leidenschaftslosigkeit war er der liebreichste Mensch. Er hielt auf den guten Ruf, jedoch ohne Aufsehen, er war ein Gelehrter ohne Kleinigkeitskrämerei.

10.

 

 

Von Alexander, dem Grammatiker, sah ich, daß er gegen jedermann nur mit Schonung verfuhr; er machte niemals eine beleidigende Bemerkung wegen eines fremdartigen oder sprachwidrigen Ausdrucks oder wenn sonst jemand fehlerhaft sprach; an dessen Stelle nannte er einfach den richtigen Ausdruck, doch nicht so, daß es eine absichtliche Korrektur schien, sondern als wäre es eine Antwort oder Bestätigung oder um zu untersuchen, nicht etwa das Wort, sondern die fragliche Sache, oder er machte einen andern derartigen Ausweg, den der Unterricht mit sich brachte.

11.

Durch Fronto wurde ich belehrt, daß mit der Willkürherrschaft Neid, Ränkesucht und Verstellungskunst verknüpft sind und wie wenig Menschenliebe diejenigen im Herzen tragen, die wir Patrizier nennen.

12.

Von Alexander, dem Platoniker, habe ich gelernt, niemals ohne Not zu sagen oder zu schreiben: Ich habe keine Zeit, und nie ein solches Mittel zu gebrauchen, um unter dem Vorwand dringender Geschäfte die Pflichten, die uns die Freundschaft auferlegt, zurückzuweisen.

13.

Catulus lehrte mich, gegen die Klagen eines Freundes, selbst wenn sie unbegründet wären, nicht gleichgültig zu sein, vielmehr sein volles Vertrauen zu gewinnen, sich immer seiner Lehrer zu rühmen, wie Domitius und Athenodotus getan, und seinen Kindern die reinste Liebe zu erweisen.

14.

Severus war mir ein Beispiel in der Liebe zu unseren Verwandten wie auch in der Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe. Durch ihn wurde ich auf Thraseas, Helvidius, Cato, Dion und Brutus hingewiesen, durch ihn bekam ich einen Begriff, was zu einem freien Staate gehört, wo vollkommene Rechtsgleichheit für alle ohne Unterschied herrscht und nichts höher geachtet wird als die Freiheit der Bürger. Von ihm lernte ich, immer dieselbe sich nie verleugnende Hochachtung für die Philosophie zu bewahren, wohltätig und freigebig zu sein, von meinen Freunden das Beste zu hoffen und auf ihre Liebe zu vertrauen; wenn sie Veranlassung zur Unzufriedenheit gegeben, dies nicht zu verhehlen, so daß sie nicht zu erraten haben, was man will oder nicht will, sondern es ihnen offen vor Augen zu führen.

15.

Beherrsche dich selbst! sagte Maximus, sei fest in den Krankheiten und allen Verdrießlichkeiten, behalte immer die gleiche mit Milde und Würde gepaarte Laune und verrichte die dir obliegenden Geschäfte ohne Widerstreben. Von ihm war jeder überzeugt, daß er so sprach, wie er es meinte, und daß seinen Handlungen ein guter Zweck zugrunde lag. Er zeigte über nichts Verwunderung oder Erstaunen, auch nirgends Übereilung oder Saumseligkeit, war nie verlegen, trostlos oder nur scheinfröhlich, nie war er zornig oder übler Laune. Wohltätig, großmütig und wahrheitsliebend, bot er eher das Bild eines Mannes, der von Natur recht war und keiner Besserung bedurfte. Es konnte sich niemand von ihm verachtet glauben, aber auch ebensowenig sich besser dünken. Im Ernst und Scherz war er voll Anmut und Geist.

16.

An meinem Vater bemerkte ich Sanftmut, verbunden mit einer strengen Unbeugsamkeit in seinen nach reiflicher Erwägung gewonnenen Urteilen. Er verachtete den eitlen Ruhm, den beanspruchte Ehrenbezeigungen verleihen, liebte die Arbeit und die Ausdauer, hörte bereitwilligst gemeinnützige Vorschläge anderer, behandelte stets jeden nach Verdienst, hatte das richtige Gefühl, wo Strenge oder Nachgiebigkeit angebracht ist, verzichtete auf unnatürliche Liebe und lebte nur dem Staatswohl. Er verlangte nicht, daß seine Freunde immer mit ihm speisten, auch konnte er ihrer auf Reisen entbehren; diejenigen, die ihm aus dringender Ursache nicht folgen konnten, fanden ihn bei seiner Rückkehr unverändert. In den Beratungen versäumte er nichts, um gründlich zu untersuchen; er verwendete hierauf alle denkbare Geduld und begnügte sich nicht mit der Wahrscheinlichkeit. Seine Freunde wußte er sich zu erhalten; er wurde ihrer nie überdrüssig, aber seine Liebe zu ihnen war auch nicht übertrieben. Er war überall zufrieden, auf seinem Antlitz lag immer dieselbe Heiterkeit; er sorgte für die Zukunft und nahm, ohne viel Aufhebens zu machen, selbst auf die unbedeutendste Angelegenheit Bedacht. Das Zujauchzen des Volkes, überhaupt Schmeicheleien jeder Art, wies er zurück. Auf die Staatsbedürfnisse war er unaufhörlich wachsam und sparsam beim Ausgeben öffentlicher Gelder und war nicht ungehalten, daß man ihn deswegen manchmal tadelte. Vor den Göttern hatte er keine abergläubische Furcht, und hinsichtlich der Menschen erstrebte er nicht Beliebtheit durch Gefallsucht oder irgendwelche Künste der Volksverführung, vielmehr war er in allen Dingen behutsam und fest, verstieß nie gegen die Schicklichkeit und zeigte keine Neuerungssucht. Die Güter, die das Leben angenehm machen und die die Natur uns so reichlich bietet, brauchte er mit Freiheit ohne Übermut, indem er das, was er hatte, wohl anwendete und das, was er nicht hatte, auch nicht begehrte. Niemand konnte sagen, er sei ein Sophist, ein Einfältiger, ein Pedant, sondern jeder erkannte in ihm einen reifen und vollkommenen Mann, erhaben über Schmeicheleien, fähig, sowohl seine eigenen Angelegenheiten als die der andern zu besorgen. Dazu ehrte er die wahren Philosophen und zeigte sich nichtsdestoweniger nachsichtig gegen diejenigen, die es nur zum Scheine waren. Im Umgang war er höchst angenehm, er scherzte gern, jedoch ohne Übertreibung. Seinen Körper pflegte er nicht wie jemand, der das Leben liebt oder der sich schön machen möchte; er vernachlässigte aber nichts, so daß er dank dieser Sorgfalt selten nötig hatte, seine Zuflucht zur Arzneikunst mit ihren inneren und äußeren Heilmitteln zu nehmen. Er war groß darin, Männern, die in irgendeiner Fähigkeit, in der Beredsamkeit, Geschichte, Gesetzkunde, Sittenlehre oder sonstwie hervorragten, den Vorrang zu lassen, ihnen sogar zur Erlangung des Ruhmes, der jedem gebührte, behilflich zu sein. Indem er sich in seinem Verhalten immer nach den Beispielen der Vorfahren richtete, prahlte er doch nicht mit der Treue zu den alten Überlieferungen. Er war kein unbeständiger, unruhiger Geist, er gewöhnte sich an die Orte und an die Gegenstände. Er litt oft an Kopfschmerzen, aber kaum waren sie vorüber, so ging er mit der Munterkeit eines Jünglings wieder an seine gewohnten Arbeiten. Er hatte nur sehr wenige Geheimnisse, und diese betrafen einzig und allein die Staatsinteressen. Er bewies Klugheit und Maßhalten bei der Veranstaltung der öffentlichen Schauspiele, bei der Errichtung von Gebäuden und Beschenkungen des Volks und handelte immer wie ein Mann, der nur darauf sieht, was die Pflicht ihm zu tun gebietet, und nicht darauf, was er für Ehre davon haben wird. Er badete nie zur Unzeit, hatte keine übertriebene Baulust, achtete nicht auf Leckerbissen, nicht auf Gewebe und Farbe der Kleider, nicht auf Schönheit seiner Sklaven. In Lorium trug er einen sehr einfachen Anzug, der zu Lanuvium hergestellt war. Wegen des Oberrocks, den er in Tusculum trug, bat er die Gäste um Entschuldigung, und so im übrigen. In ihm war nichts Hartes, nichts Unehrerbietiges, keine Heftigkeit und nichts, wie man sagt, bis aufs Blut, sondern alles war wohl und gleichsam bei guter Muße überlegt, unerschütterlich geordnet, fest und mit sich selbst übereinstimmend. Auf ihn ließ sich trefflich anwenden, was man von Sokrates berichtet, daß er entbehren und genießen konnte, wo viele zum Entbehren zu schwach und im Genusse zu unmäßig gewesen sein würden. Dort aber mutig zu ertragen, hier nüchtern zu bleiben, ist das Kennzeichen eines Mannes von einer starken und unbesiegbaren Seele, und so zeigte er sich während der Krankheit des Maximus.

17.

Ich danke den Göttern, daß ich rechtschaffene Großeltern, rechtschaffene Eltern, eine rechtschaffene Schwester, rechtschaffene Lehrer, rechtschaffene Hausgenossen, Verwandte, Freunde, ja fast durchweg rechtschaffene Menschen um mich gehabt habe, daß ich gegen keinen von ihnen mich aus Übereilung vergangen, wozu ich sogar meiner Anlage nach leicht geneigt gewesen wäre. Doch die Huld der Götter hat es nicht zugelassen, daß eine Gelegenheit, in solchen Fehler zu verfallen, sich darbot. Außerdem verdanke ich es den Göttern, daß ich nicht zu lange meine Erziehung bei der Geliebten meines Großvaters erhielt, daß ich meine Jugendunschuld bewahrte, die Manneskraft nicht vor der Zeit verschwendete, sondern bis in ein reiferes Alter keusch blieb; daß ich unter einem Fürsten und Vater stand, der jeden Keim des Hochmuts in mir unterdrückte und mich überzeugte, daß man selbst am Hofe ohne Leibgarde, ohne Prachtkleider, ohne Fackeln und Ehrensäulen und sonstigen Aufwand leben und sich fast wie ein einfacher Privatmann einschränken kann, ohne darum in seinen Verrichtungen als Staatsoberhaupt weniger Würde und Kraft zu beweisen. Den Göttern verdanke ich auch, daß mir ein Bruder beschieden ward, der mich durch sein Betragen ermunterte, über mich selbst zu wachen, und der durch seine Achtung und Liebe mein Herz erfreute; daß mir Kinder geboren wurden, deren Geist nicht stumpf und deren Körper nicht verkrüppelt war. Weiter danke ich den Göttern, daß ich nicht zu große Fortschritte in der Rede- und Dichtkunst gemacht habe, noch auch in andern solchen Wissenschaften, die mich sonst leicht gänzlich gefesselt haben könnten; daß ich mich beeilt habe, diejenigen, die für meine Erziehung gesorgt haben, zu solchen Ehrenstellen, die mir das Ziel ihrer Wünsche schienen, emporzuheben, und daß ich sie nicht mit der Hoffnung abspeiste, daß ich später an sie denken würde; daß ich den Apollonius, den Rusticus und Maximus kennen lernte; daß ich mich über die Art und Weise eines naturgemäßen Lebens lebhaft und oft in Gedanken beschäftigte; daß mir durch die Gaben, Hilfeleistungen und Eingebungen der Götter nichts gefehlt hat, der Natur gemäß zu leben, und wenn ich noch vom Ziel entfernt bin, so ist es meine Schuld, daß ich die göttlichen Mahnungen, fast möchte ich sagen Offenbarungen, schlecht befolgt habe. Der göttlichen Güte schreibe ich es auch zu, daß mein schwächlicher Körper so viele Beschwerden des Lebens hat ertragen können, daß ich keine Gemeinschaft mit der Benedikta oder dem Theodotus gehabt, sondern unreine Leidenschaften überwunden habe; daß ich bei dem öfteren Unwillen gegen den Rusticus nie eine Handlung gegen ihn begangen, die mich jetzt gereuen könnte; daß meine Mutter, wiewohl sie jung sterben mußte, dennoch ihre letzten Jahre bei mir zubringen konnte, daß, sooft ich einem Dürftigen oder sonst Leidenden helfen wollte, ich nie zu sagen brauchte, ich hätte nicht die Mittel dazu, daß ich auch selbst nie in die Notwendigkeit geriet, etwas von anderen annehmen zu müssen; daß ich eine Gattin von gefälligem, hingebendem und einfachem Charakter erhielt; daß ich für meine Kinder geschickte Erzieher gefunden habe; daß mir in Träumen verschiedene Arzneimittel, besonders gegen Blutspeien und Schwindel, angegeben wurden, namentlich zu Cajuta wie durch ein Orakel; daß ich bei meiner Neigung zur Weltweisheit nicht in die Hände der Sophisten geriet, daß ich meine Zeit nicht durch Lesen ihrer Schriften, Verwicklung in Trugschlüsse oder Untersuchungen über die Geheimnisse des Himmels vergeudete. Ja dies alles war nur durch den Beistand der Götter und ein günstiges Geschick möglich.

Geschrieben bei den Quaden um Granua.

Zweites Buch.

1.

Sage zu dir in der Morgenstunde: Heute werde ich mit einem unbedachtsamen, undankbaren, unverschämten, betrügerischen, neidischen, ungeselligen Menschen zusammentreffen. Alle diese Fehler sind Folgen ihrer Unwissenheit hinsichtlich des Guten und des Bösen. Ich aber habe klar erkannt, daß das Gute seinem Wesen nach schön und das Böse häßlich ist, daß der Mensch, der gegen mich fehlt, in Wirklichkeit mir verwandt ist, nicht weil wir von demselben Blut, derselben Abkunft wären, sondern wir haben gleichen Anteil an der Vernunft, der göttlichen Bestimmung. Keiner kann mir Schaden zufügen, denn ich lasse mich nicht zu einem Laster verführen. Ebensowenig kann ich dem, der mir verwandt ist, zürnen oder ihn hassen; denn wir sind zur gemeinschaftlichen Wirksamkeit geschaffen, wie die Füße, die Hände, die Augenlider, wie die obere und untere Kinnlade. Darum ist die Feindschaft der Menschen untereinander wider die Natur; Unwillen aber und Abscheu in sich fühlen ist eine Feindseligkeit.

2.

Was ich auch immer sein mag, es ist doch nur ein wenig Fleisch, ein schwacher Lebenshauch und die leitende Vernunft. Laß die Bücher, die Zerstreuung, es fehlt dir die Zeit. Betrachte dich als einen, der im Begriff ist zu sterben, verachte dieses Fleisch: Blut, Knochen, ein zerbrechliches Gewebe, aus Nerven, Puls- und Blutadern zusammengeflochten. Betrachte diesen Lebenshauch selbst; was ist er? Nur Wind, und nicht einmal immer derselbe, sondern jeden Augenblick ausgeatmet und wieder eingeatmet. Das Dritte ist die gebietende Vernunft. Auf folgendes mußt du bedacht sein: Du bist alt; gib nicht mehr zu, daß sie eine Sklavin sei, daß sie durch einen wilden Trieb dahingerissen werde oder gegen das jetzige Geschick murre oder durch das künftige erschüttert werde.

3.

Alles ist voll von Spuren göttlicher Vorsehung. Auch die zufälligen Ereignisse sind nichts Unnatürliches, sind abhängig von dem Zusammenwirken und der Verkettung der von der Vorsehung gelenkten Ursachen. Alles geht von der Vorsehung aus. Hiermit verknüpft sich sowohl die Notwendigkeit als auch das, was zur Harmonie des Weltganzen nützlich ist, wovon du ein Teil bist. Was mit dem großen Ganzen übereinstimmt und was zur Erhaltung des Weltplanes dient, das ist für jeden Teil der Natur gut. Die Harmonie der Welt wird erhalten sowohl durch die Veränderungen der Grundstoffe als auch der daraus bestehenden Körper. Das genüge dir, das möge dir stets zur Lehre dienen. Den Bücherdurst vertreibe, damit du nicht murrend sterbest, sondern mit wahrem Seelenfrieden und dankbarem Herzen gegen die Götter.

4.

Erinnere dich, seit wie lange du die Ausführung verschiebst und wie oft dir die Götter günstige Gelegenheit gegeben haben, die du unbenutzt gelassen. Du solltest es doch einmal empfinden, von welcher Welt du ein Teil bist und von welchem Herrn der Welt dein Dasein seinen Ursprung hat, daß die Zeit für dich schon abgegrenzt ist; und wenn du sie nicht auf die Seelenheiterkeit verwendest, so schwindet sie dahin, und du schwindest selbst dahin, und sie kehrt nie zurück.

5.

Denke zu jeder Tageszeit daran, in deinen Handlungen einen festen Charakter zu zeigen, wie er einem Römer und einem Mann geziemt, einen ungekünstelten, sich nie verleugnenden Ernst, ein Herz voll Freiheits- und Gerechtigkeitsliebe. Verscheuche jeden anderen Gedanken, und das wirst du können, wenn du jede deiner Handlungen als die letzte deines Lebens betrachtest, frei von Überstürzung, ohne irgendeine Leidenschaft, die der Vernunft ihre Herrschaft entzieht, ohne Heuchelei, ohne Eigenliebe und mit Ergebung in den Willen des Schicksals. Du siehst, wie wenig zu beobachten ist, um ein friedliches, von den Göttern beglücktes Leben zu führen. Die Befolgung dieser Lehre ist ja alles, was die Götter von uns verlangen.

6.

Schmähe dich, ja schmähe dich, Seele! Dich zu ehren, wirst du keine Zeit mehr haben. Unser Leben ist flüchtig, das deinige ist fast schon am Ziele, und du hast keine Achtung vor dir, denn du suchst deine Glückseligkeit in den Seelen anderer.

7.

Warum dich durch die Außendinge zerstreuen? Nimm dir Zeit, etwas Gutes zu lernen und höre auf, dich wie im Wirbelwind umhertreiben zu lassen. Hüte dich noch vor einer andern Verirrung, denn es ist auch Torheit, sich das Leben durch zwecklose Handlungen schwer zu machen; man muß ein Ziel haben, auf das sich alle unsere Wünsche, alle unsere Gedanken richten.

8.

Es ist noch nie jemand unglücklich geworden, weil er sich nicht um das, was in der Seele eines andern vorgeht, gekümmert hat; aber diejenigen, die nicht mit Aufmerksamkeit den Bewegungen ihrer eigenen Seele folgen, geraten notwendig ins Unglück.

9.

Halte dir immer gegenwärtig, welches die Natur des Weltalls und welches die deinige ist, welche Beziehungen diese zu jener hat und welch einen Teil von welchem Ganzen du ausmachst, und dann, daß niemand es dir verwehren kann, dasjenige zu tun oder zu sagen, was mit der Natur, von der du selbst ein Teil bist, übereinstimmt.

10.

 

 

Theophrast sagt bei der Vergleichung der Vergehungen, insofern man nach den gewöhnlichen Begriffen eine solche anstellen mag, mit Recht, daß die Übertretungen aus Begierden schwerer seien als die aus Zorn. In der Tat entfernt sich der Zornige mit einer gewissen Mißstimmung, mit einem heimlichen Verdruß von der Vernunft; aber derjenige, der aus Begierde sündigt, von der Wollust überwältigt, zeigt sozusagen in seinen Fehlern mehr Unmäßigkeit, mehr unmännliche Schwäche. Es ist daher ein richtiges Wort, würdig der Philosophie, daß aus böser Lust sündigen strafbarer sei, als aus Mißstimmung. Gewiß, der Zürnende stellt sich mehr als ein Mensch dar, dem vorher Unrecht geschah und der durch Schmerz zum Zorn fortgerissen wird; der andere hingegen neigt sich aus freien Stücken zur Ungerechtigkeit, fortgerissen zur Befriedigung seiner Begierden.

11.

All dein Tun und Denken sei so beschaffen, als solltest du möglicherweise im Augenblick aus diesem Leben scheiden. Aus der Mitte der Menschen zu scheiden, hat nichts Schreckliches, wenn es Götter gibt, denn sie werden dich nicht dem Unglück preisgeben; gibt es hingegen keine Götter oder kümmern sie sich nicht um die menschlichen Angelegenheiten, was liegt dann daran, in einer Welt ohne Götter und ohne Vorsehung zu leben? Doch es gibt Götter, und sie sorgen für die Menschen. Sie haben dem Menschen die Macht gegeben, nicht in die wirklichen Übel zu verfallen. Es gibt kein denkbares Übel, bei dem die Götter nicht vorgesorgt hätten, daß der Mensch die Macht habe, sich davor zu hüten. Wie aber sollte das, was den Menschen selbst nicht unglücklicher macht, des Menschen Leben unglücklicher machen können? Die Allnatur hätte weder unwissentlich noch wissentlich, indem sie nämlich unfähig gewesen wäre, so etwas zu verhüten oder wieder gutzumachen, einer solchen Nachlässigkeit sich schuldig gemacht, und ebensowenig aus Unvermögen oder Ungeschicklichkeit ein so großes Versehen begangen, guten und bösen Menschen Güter und Übel in gleichem Maße ohne Unterschied zukommen zu lassen. Tod und Leben, Ehre und Unehre, Schmerz und Vergnügen, Reichtum und Armut, alle diese Dinge mögen den Bösen wie den Guten ohne Unterschied zuteil werden, denn sie sind an sich weder ehrbar noch schändlich, sind also in Wahrheit weder ein Gut noch ein Übel.

12.

Wie schnell doch alles verschwindet! In der Welt die Menschen selbst, in der Zeit ihr Andenken! Was ist alles Sinnliche, besonders das, was uns durch Wollust reizt oder durch Schmerz erschreckt, endlich das, was uns durch Scheingröße Rufe der Bewunderung entlockt: wie unbedeutend und verächtlich, wie niedrig, hinfällig und tot! Dies zu erwägen, geziemt dem denkenden Menschen. Wer sind selbst diejenigen, deren Meinungen und Reden Ruhm verleihen? Was ist der Tod? Wenn man ihn für sich allein betrachtet und in Gedanken das davon absondert, was in der Einbildung damit verbunden ist, so wird man darin nichts anderes erblicken als eine Wirkung der Natur. Wer sich aber vor einer Naturwirkung fürchtet, ist ein Kind. Noch mehr, der Tod ist nicht bloß eine Wirkung der Natur, sondern eine für die Natur heilsame Wirkung. Betrachte endlich, wie und durch welchen Teil seines Wesens der Mensch mit Gott in Berührung steht und in welchem Zustande er sich dann befindet, wenn dieses Körperteilchen zerstäubt ist.

13.

Nichts ist jämmerlicher als ein Mensch, der alles ergründen will, der die Tiefen der Erde, wie jener Dichter sagt, durchforscht und, was in der Seele seines Nebenmenschen vorgeht, zu erraten sucht, ohne zu bedenken, daß er sich genügen lassen sollte, mit dem Genius, den er in sich hat, zu verkehren und diesem aufrichtig zu dienen. Dieser Dienst aber besteht darin, ihn vor jeder Leidenschaft, Eitelkeit und Unzufriedenheit mit dem Tun der Götter und Menschen zu bewahren. Denn was von den Göttern kommt, verdient unsere Ehrerbietung wegen der Vortrefflichkeit, und was von den Menschen kommt, unsere Liebe wegen der Verwandtschaft, die zwischen uns besteht, manchmal verdient es eine Art Mitleid wegen ihrer Unkenntnis des Guten und Bösen; sie sind wie Blinde oder so, wie wenn jemand Weiß und Schwarz voneinander nicht zu unterscheiden vermag.

14.