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»Von der Sehnsucht, etwas festzuhalten, was unwiederbringlich verloren ist, handelt Julia Schochs kluges, poetisches Buch.« RBB Seitdem sie ihm begegnet ist, bestimmt er ihr Leben. Immer wieder muss sie damit zurechtkommen, dass er von der Bildfläche verschwunden ist. Nun ist Bonaparte, notorischer Spieler und ihr Geliebter, offenbar endgültig weg. Beharrlich denkt sie nach über diese Liebe und das, was sie mit ihm verbunden hat. Während sie ostdeutsche Landschaften fotografiert, erinnert sie sich. Ist mit den gemeinsamen Kasinobesuchen auch ihre Liebesgeschichte zu Ende gegangen? »Dass das Glücksspiel selten Glück bringt, weiß die Literatur spätestens seit Dostojewskis ›Der Spieler‹. Selten ist jedoch so traurig und gleichzeitig unsentimental darüber geschrieben worden wie in ›Selbstporträt mit Bonaparte‹.« Der SPIEGEL
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2025
Über Glücksspiel und die Liebe – klug, klar und tänzerisch erzählt
Seitdem sie ihm begegnet ist, bestimmt er ihr Leben. Immer wieder muss sie damit zurechtkommen, dass er von der Bildfläche verschwunden ist. Nun ist Bonaparte, notorischer Spieler und ihr Geliebter, offenbar endgültig weg. Beharrlich denkt sie nach über diese Liebe und das, was sie mit ihm verbunden hat: Ist mit den gemeinsamen Kasinobesuchen auch ihre Liebesgeschichte zu Ende?
Von Julia Schoch sind bei dtv außerdem erschienen:
Mit der Geschwindigkeit des Sommers
Der Körper des Salamanders
Das Vorkommnis (Biographie einer Frau. Erstes Buch)
Das Liebespaar des Jahrhunderts (Biographie einer Frau. Zweites Buch)
Wild nach einem wilden Traum (Biographie einer Frau. Drittes Buch)
Julia Schoch
Selbstporträt mit Bonaparte
Roman
Für Edgar & Zelda
»Aber die Zeit vergeht, und was passiert eigentlich?«
Steve McQueen zu Astrid Heeren in
Thomas Crown ist nicht zu fassen
Und dann, in jener langen Sekunde, wenn die Kugel noch unterwegs ist, wenn sie sich noch nicht entschieden hat für eine Zahl, ist alle Zeit ausgelöscht. Keine Zukunft, keine Vergangenheit. Für diesen einen Moment kann man beruhigt sein, die Welt, sie wartet noch.
In welch sonderbarer Zeit spielt das, was ich erzähle?
Sechshundertachtundachtzig. Wie mir auf meine Nachfrage am Empfangstresen des Kasinos von P. mitgeteilt wurde, war ich sechshundertachtundachtzig Mal dort zu Gast. Eine gigantische Zahl, kommt es mir rückblickend vor. Riesenhaft, beherrschend, eine Zahl jedenfalls, die mich zutiefst erstaunt. Dabei müsste ich es wissen: Immer wieder finde ich alte Eintrittskarten – in Mantel- und Hosentaschen, ausrangierten Portemonnaies oder Schachteln, zwischen Papieren auf meinem Arbeitstisch oder als Lesezeichen in Büchern. Dass ich sie finde, ist kein Zufall. Ich kann sie nicht wegwerfen. Ich hänge an ihnen. Schon in frühester Zeit ist es mir unmöglich gewesen, mich von Nichtigkeiten zu trennen: Unfähig, den übrig gebliebenen Stumpf eines Apfels aus einem fahrenden Auto zu werfen, einen Kaugummi wegzuspucken oder ein paar ausgekämmte Haare in einem Zugabteil zurückzulassen, zog ich jedes Mal das Unverständnis meiner entnervten Mitmenschen auf mich. Wo sie bloß Reste oder Kleinkram sahen, empfand ich eine regelrechte Qual bei der Trennung von allem, was eben noch ganz und gar zu mir gehört hatte.
In diesem Fall allerdings, im Fall der Kasino-Eintrittskarten, habe ich seit Längerem tatsächlich den Eindruck, in ihnen offenbart sich meine wirkliche Existenz. Zumindest zeugen sie von einer Stetigkeit, wie sie in meinem sonstigen Leben nicht vorkommt. Es stimmt zwar, dass auf Wochen und Monate, in denen ich Abend für Abend am Roulettetisch stand, immer eine Zeit folgte, in der ich überhaupt nicht ins Kasino ging, aber das spielt keine Rolle. Denn selbst wenn ich draußen blieb, blieb ich doch in der Nähe. Womöglich faszinierte mich der Geist des Spiels während dieser Zeit sogar noch mehr …, sodass es also durchaus den Tatsachen entspricht, wenn ich behaupte, dass es nie wirklich aus meinem Leben verschwunden war. Aber was heißt: mein Leben? Und was heißt: ich? Habe ich mich, sobald das Gespräch zufällig aufs Roulette und meine Leidenschaft dafür kam, nicht immer beeilt zu betonen, ich würde nicht allein spielen? Ein Hinweis, der ebenfalls der Wahrheit entspricht. Allerdings habe ich ihn immer so vorgebracht, dass das Wesentliche dem Zuhörer entgehen musste, ja in den meisten Fällen vermutlich geradezu entgegengesetzt aufgefasst worden ist – nämlich als ein Einwand. So als könnte ich das Spielen irgendwie und gegen jede Logik kleiner machen, das Ganze abschwächen, wenn ich betonte, ich würde es zu zweit tun. Was man zu zweit tut, kann nicht dem Wahnsinn angehören. Noch nicht oder wenigstens nicht ganz. Vermutlich war diese Abschwächung aber nur meinem Unwillen geschuldet, überhaupt davon zu sprechen (was etwas anderes ist, als es bewusst zu verschweigen), was mir anfangs sogar gelungen ist. In dem Maße, wie die Besuche im Kasino für mich zu einer Normalität geworden sind, habe ich allmählich locker gelassen in dieser Hinsicht, auch weil für mich außerhalb des Roulettes oft gar nichts des Erzählens wert scheint, ja mir jedes andere Thema so gut wie immer an der Hauptsache vorbei erzählt vorkommt … Weshalb dann also trotzdem immer wieder der Versuch, die erstaunten oder interessierten Nachfragen irgendwelcher Zuhörer zu dämpfen, ausgerechnet mit dem kleinen Zusatz: zu zweit, der doch nur als Halbherzigkeit, als ein Ausweichen ins Unverbindliche ausgelegt werden konnte? Wo doch immer das Gegenteil der Fall war.
Das Gegenteil der Fall ist.
Auf den ersten Blick könnte man die Eintrittskarten für eine Art Tagebuch halten. Immerhin ließe sich an ihnen ablesen, wo ich mich an dem betreffenden Tag aufgehalten, womit ich mich befasst habe. Aber die kleinen roten Kärtchen mit dem Datum und der Art des jeweiligen Eintritts darauf (Glückspaket oder Tageskarte) bilden nur scheinbar den Faden einer Erzählung. Selbst wenn ich auf jedem die Einzelheiten des Abends notiert hätte – es ist vollkommen gleichgültig, wann und ob ich das Kasino mit einem Gewinn oder Verlust wieder verlassen habe. In Wahrheit gleichen sie insgesamt und in ihrer ungeheuren Menge einem Beweis. Dem Beweis für eine Art rückwärtiger Existenz, einer Existenz also, auf die es tatsächlich ankommt. (Genau wie in Büchern gerade die Stellen, an denen der Autor Bekenntnisse abgibt und sich scheinbar offenbart, oft die unwesentlichsten sind und es in Wirklichkeit fast immer auf die ankommt, die man als erfundene Zutaten überliest.) Wo herkömmliche Biografien den üblichen Werdegang eines Menschen präsentieren (Geburt, Kindheit, Schulgang, Wohnorte, Liebes- und Arbeitsbeziehungen), enthielte eine rückwärtige Biografie das scheinbar Nebensächliche, eine schnell zu übersehende, aber beständige Manie. Der verführerischen Vorstellung einer Leiter des beruflichen und persönlichen Vorankommens würde sie das ewig Gleiche eines Menschen gegenüberstellen, jene Seite, auf der andere Gesetze gelten. So ließe sich mein Leben zum Beispiel leicht ohne die Leidenschaft fürs Roulette erzählen – dann käme Bonaparte vermutlich an keiner Stelle vor. Wohingegen auf der Rückseite dieser Lebenserzählung von nichts anderem die Rede sein kann.
Bonaparte ist weg.
Seit einem oder hundert Tagen. Zum ersten oder hundertsten Mal haben sich unsere Wege getrennt. Während ich die Zahl der Kasinobesuche genau kenne, habe ich die Abwesenheiten, Bonapartes oder meine, die Längen, Tage und Wochen unseres Getrenntseins nie gezählt. Äußerlich betrachtet, ist mein Leben in diesen Zeiten immer verlaufen wie sonst auch: Wenn ich nicht selbst unterwegs war, habe ich mich mit Fotografen oder Malern getroffen, für deren Ausstellungen oder Kataloge ich Texte verfasse, habe ich einen Film im Kino gesehen oder meinen gemütskranken Vater besucht. Allerdings bekommen diese Handlungen auf diese Weise eine Bedeutsamkeit, die unangemessen ist. Anstatt ein Vorspiel zu sein, bilden sie plötzlich das Zentrum der Tage, die, obwohl gefüllt, auf nichts hinauslaufen. Jede Tätigkeit in Wirklichkeit ein Herumzappeln, nur dazu da, die Zeit auszufüllen, bis wir uns wiedersehen. Oder wiederhören.
Soweit ich mich erinnere, haben seine Anrufe immer Erschrecken und Freude bei mir ausgelöst. In dieser Reihenfolge. Dabei bin ich jedes Mal aus den Gedanken an ihn hochgeschreckt, kommt es mir vor. Vielleicht liegt es an seiner Angewohnheit, sich auch nach Jahren noch mit seinem vollständigen Namen zu melden, dieser Art, sich zu räuspern und seinen Namen zu nennen, als sei er mit irgendeinem Amt zur Klärung eines Sachverhalts verbunden. Als wolle er mir mitteilen, dass seine Liebe zu mir nun endgültig, ein für alle Mal erloschen sei. Befürchtungen, die sich natürlich als haltlos erweisen, da es genauso seine Art ist, zwei Minuten nach dem Anruf mit einem Päckchen Tee oder einer Flasche Martini bei mir aufzutauchen, nach Tagen, Wochen, Jahrhunderten der Abwesenheit plötzlich die Türen aufzureißen und übergangslos, jedenfalls ohne großartiges Wiedersehenszeremoniell, da zu sein …
Keiner fällt heute mehr aus der Welt. Weggehen heißt Wiederkommen.
Sätze, die aus meinem Kopf stammen. Aber da wir nie darüber gesprochen haben, ist es gut möglich, dass für Bonaparte eine andere Zeitrechnung gilt, dass er seine Abwesenheit nicht als Zwischenzeit betrachtet, nie betrachtet hat. Genauso wie es möglich ist, dass sich seine Biografie für ihn nicht in eine Vorder- und Rückseite aufklappen lässt. Und selbst wenn sie es täte, wäre es vermutlich nicht sicher, zu welcher der beiden Seiten ich gehöre.
Als Bonaparte zum ersten Mal in meinem Schaukelstuhl saß, fiel sein Blick auf die kleine Trittleiter, die vor meinem Bücherregal stand. Offenbar schien ihm dieser Verwendungszweck vollkommen unverständlich, denn er sprang sofort auf und stellte sie vor das Dachfenster, von dem aus man auf ein kleines Eisengitter gelangt. Im Falle eines Brandes soll die Feuerwehr dort andocken. Bonaparte hatte darauf bestanden, dass die Leiter dort stehen bleibt, und wir waren beide aufs Dach gestiegen. Ich habe sie tatsächlich dort gelassen. Manchmal klettere ich hinaus und lehne wie an der Reling eines sehr hohen Schiffes. Auf dem Gitter nebenan liegt der Hund des Nachbarn, ein großer schwarzer Pudel, vielleicht auch ein Schnauzermischling. Er ist alt und so gut wie taub. Der Nachbar lässt ihn dort, weil er einen furchtbaren Geruch verströmt, wie er sagt. Sein Anblick stimmt mich traurig, was aber vor allem daran liegt, dass er Nord heißt.
Obwohl man von hier oben außer einem Bahndamm nichts Besonderes sieht, glaube ich, dass mir an dieser Reling zum ersten Mal die Idee gekommen ist, über mich und Bonaparte zu schreiben.
Schon lange, vielleicht aber auch erst, seitdem er länger als gewöhnlich fort ist, frage ich mich, ob es wichtig ist, wo und wie etwas seinen Anfang nimmt. Ist es zum Beispiel von Bedeutung, dass meine Liebe zu ihm mit dem neuen Jahrtausend begonnen hat, mit dem, was damals alle Welt feierte wie eine niemals wiederkehrende Chance auf Erlösung? Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nur deshalb an das Jahr, weil ich kurz zuvor meine Stelle an der Universität aufgegeben hatte, um mich ganz dem Schreiben zu widmen, was die meisten Menschen um mich herum als kompletten Wahnsinn, zumindest als unvernünftig bezeichneten. Aber diese Entscheidung hat nichts zu tun mit Bonaparte, den ich zudem auch nicht auf irgendeinem Silvesterball kennengelernt habe, sondern im Mai, als der Gedanke an den Jahrhundertwechsel, diese letzte Hoffnung auf Veränderung in Friedenszeiten, längst schon wieder vergessen war.
Und auch was das Roulette angeht, bin ich nicht sicher, ob es hilft zu wissen, dass die Anfänge sich in eine gänzlich andere Zeit zurückverfolgen lassen. Nützt es etwas, dass ich an dieser Stelle sagen könnte: Ich bin mit dem Roulette groß geworden? Einem Spielzeugroulette, wie es auch heute in manchen Kinderzimmern zu finden ist: ein Plastikkessel, ein mit Zahlen bedrucktes Gummituch (ja, Gummi!) und eine Menge grellbunter Jetons. Nur so viel: Abgesehen davon, dass die Kugel anders als beim wirklichen Roulette in dem Plastikkessel laut scheppernd herumschlug, weswegen sich das Spiel in der vorgeschriebenen Ruhe der Samstage und Sonntage ohnehin nie benutzen ließ, hat mich vor allem die Vorstellung fasziniert, die sich mit dem Spiel verband. Roulette – das war der Inbegriff einer gänzlich anderen Welt, und alles, was gänzlich anders war als mein Leben in einer verschlafenen Kleinstadt am äußersten Rand eines verriegelten Landes, war verheißungsvoll. Wenn ich in ausländischen Filmen Menschen im Kasino sah, wurde ich sehnsüchtig. Dabei interessierte mich der Reichtum nur am Rande. Dass der tolpatschige Held einer französischen Komödie achtlos einen Berg Jetons auf dem Spieltisch vor sich ablegt, worauf sogleich die Stimme des Croupiers ertönt: Sie haben gewonnen, Monsieur!, gehörte vielleicht mit zu dieser Sehnsucht. Das Wesentliche jedoch lag weiter weg, im Hintergrund. Das Wesentliche war das Meer, an dem im Film beinahe alle Kasinos lagen, und zwar an Meeren, die größer waren als mein heimatliches, die Ostsee, größer als sämtliche Gewässer, an die ich gereist war und vor allem: jemals reisen würde. Eine Zeitlang dachte ich, das Roulette sei nichts weiter als ein Symbol für die Freiheit, nach der ich mich sehnte. Eine Freiheit, bei der man sich unspektakulär durch die Welten würde bewegen können. Bei der die Welt selbst unspektakulär würde (und man selber dadurch ruhig). Inzwischen allerdings glaube ich nicht mehr daran, dass dieser Griff zurück durch die Zeiten taugt: Irgendwann erfüllte sich der Wunsch, unverhofft und ohne jede Anstrengung meinerseits, und ich sah beinahe jedes Meer auf der Welt. Allerdings änderte dieser Umstand nichts an meiner Faszination. Es könnte also durchaus stimmen, was mir Bonaparte später einmal vorgelesen hat, dass das Roulette wie jedes ernsthafte Spiel erhaben ist über die Form der Gesellschaft, ja über den Lauf der Geschichte selbst. Allerdings hat er gelächelt dabei, sein leises Lächeln, wie um mich auf die Probe zu stellen. Um zu sehen, wie weit ich zu glauben bereit bin, was aus seinem Mund kommt. Mich aus der Reserve locken, ein kleines Wortgefecht, nur so zum Schein.
Als ob es darauf ankommt.
Oder damit das, was wirklich stimmt, nicht ausgesprochen werden muss. Dass meine Liebe zum Roulette mit der Liebe zu Bonaparte ganz einfach in eins fällt. Mir selbst erscheint es merkwürdig, aber vermutlich handelt es sich bloß um einen Zufall: Die allererste Eintrittskarte habe ich verloren. Ausgerechnet. Verloren oder ganz einfach nicht aufgehoben. Vielleicht ist es mir zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich egal gewesen, im Rausch des sogenannten entscheidenden Moments, des ersten Mals, das es doch immer gibt, immer gibt es ein erstes Mal!, eine Tür, durch die ein Spieler für ein Mal hindurch muss, in die ewige Gegenwart des Spiels hinein. Und ich habe, nicht ahnend, an welchem Punkt ich mich befand, die Karte im Hochgefühl des Gewinnens achtlos in dem Hotelzimmer zurückgelassen, in dem ich mich für einige Tage aufhielt.
Ein Hotel in einem Badeörtchen an der See, in das mir Bonaparte damals gefolgt ist.
Wenige Tage zuvor war ich ihm auf einer Konferenz in Berlin begegnet, einer Konferenz für Historiker, die den Titel trug Ansichten der Vergangenheit oder Vergangene Ansichten, vielleicht auch Angesichts des Vergangenen. Ich war dort, um im Rahmen des Abendprogramms etwas zu Geschichte und Prosa zu sagen. Von den Vorträgen, in denen es sämtlich um die Revolution (1989) ging, ist mir nichts in Erinnerung geblieben. Auch, worüber genau Bonaparte gesprochen hat, weiß ich nicht mehr, ja es kann sein, dass ich schon im Moment des Zuhörens nicht darauf geachtet habe. Allerdings ließ mich sein Ton aufhorchen. Im Gegensatz zu den anderen Wissenschaftlern, die sich ins Zeug legten, verströmte er beim Reden eine merkwürdige Gleichgültigkeit. Eine Gleichgültigkeit, die sich in falschen Betonungen und Pausen ausdrückte, darin, dass er das Wesentliche eines Satzes verschluckte oder übersprang. Es wirkte, als sei er gezwungen zu reden. Sein Auftritt stand in seltsamem Kontrast zu dem eifernden Gehabe seiner Kollegen, deren Bemerkungen er in der anschließenden Diskussion kaum ausführlicher als mit einem Ja oder Nein beantwortete. Ich hatte den Eindruck, er könne angesichts ihrer Fragen und Berichtigungen jeden Moment zu lachen anfangen, wenigstens aber die Augen verdrehen. Nur am Ende beugte er sich vor und antwortete in beinahe beschwörendem Ton auf eine provokative Behauptung, es könne doch nicht darum gehen, ob einem Geschichte gefiele.
Später, beim Empfang, auf dem sich herausstellte, dass beinahe sämtliche Teilnehmer der Tagung wie ich aus P. kamen, von einem Institut, an dem auch Bonaparte arbeitete, hatte ich ihm von meiner Absicht erzählt, an die Ostsee zu fahren. Ich wollte dort einen Aufsatz über die Arbeiten eines Malers schreiben, der sich mit der Versteppung von Landstrichen befasste. (Offenbar hatte sie also damals schon begonnen, die Zeit der Texte, Texte für Kataloge, Broschüren, Ausstellungen, Bild- und Fotobände. Und war es demnach bereits vorbei gewesen mit dem sogenannten literarischen Schreiben.) Er malte die Umrisse von Gebäuden, aus denen die Menschen verschwunden waren, Gehäuse, Geisterstädte, die überall dort auf der Welt zurückblieben, wo eine bestimmte Epoche beendet war. Es ist tatsächlich seltsam: Im Licht einer bestimmten Zeit entsteht ein Ort, wächst und bewegt sich, doch sobald der Scheinwerfer der Geschichte ausgeknipst wird, holt sich die Natur alles zurück, was der Mensch mit großem Brimborium in sie hineingestellt hat.
Bonaparte (den ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht Bonaparte genannt habe) kannte das Seebad, in das ich wollte, als Kind hatte er in einer staatlichen Ferienkolonie ein paarmal den Sommer dort verbracht. Wir schwiegen. Schließlich fragte ich ihn. Nach der seltsamen Art seines Auftritts. Hatte er eine Rechnung mit seinen Kollegen offen, wollte er sie verunsichern? Bonaparte lehnte sich zurück. Die Finger der einen Hand am Mund, als rauche er eine Zigarre, sah er mich lange an. Dann beugte er sich vor, blies mir imaginären Rauch ins Gesicht und sagte statt einer Antwort bloß: Wozu das Ganze?
Ich weiß nicht, ob ein Satz reicht, um einen Menschen für ungewöhnlich zu halten. Ihm zu verfallen. Ein Satz, eine Geste, ein Kuss. Es muss an dem plötzlichen Ernst gelegen haben, mit dem er
