Sera: Verborgene Macht - Rebecca L. Knippen - E-Book
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Rebecca L. Knippen

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Beschreibung

»Wo gehöre ich hin?« Die Insel Maaron wird von der obersten Familie, den Kengori, regiert und die Bewohner folgen gehorsam. Geordnet. Diszipliniert. Vorbestimmt. Seras Leben ist gezeichnet von dem Verlust ihrer leiblichen Eltern. Sie wünscht sich eine Zugehörigkeit, die sie auf der Insel nicht findet und sehnt sich danach, ein Teil der Wächter zu sein, untern denen sie aufgewachsen ist. Hoffnungslos. Verachtet und belächelt bewältigt sie ihren Alltag, bis ein Ereignis das nächste jagt. Als ein Fremder auftaucht, ändert sich auf einmal alles, was sie zu wissen glaubte, und zwei Wege liegen vor ihr. Ihre Reise beginnt. In »Sera - Verborgene Macht« geht es um eine junge Frau. Sie lebt in einem System, welches seit geraumer Zeit so funktioniert. Doch sie passt nicht hinein. Als sie jedoch immer weiter in die Angelegenheiten der obersten Familie hineingezogen wird und ein Ereignis das nächste auf der Insel jagt, dazu noch ein Fremder auftaucht, stellt sich ihre Welt auf den Kopf. Jeder, der in eine neue Welt abtauchen, den Alltag vergessen und hinein in eine Geschichte aus Freundschaften, Familie, Selbstfindung und Magie will, sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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N E U N U N D Z W A N Z I G
D R E I S S I G

 

 

Rebecca L. Knippen

 

 

 

 

 

Sera - Verborgene Macht

Highfantasy-Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2024 Rebecca L. Knippen

Lektorat & Korrektorat: Rieke Conzen

Covergestaltung: Jana Stehr

Ornament und Buchsatz: Rebecca L. Knippen

Impressum: Rebecca L. Knippen

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

D-65817 Eppstein

Social Media: r.l.knippen_books

eMail: [email protected]

 

Veröffentlicht über tolino media

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Weil du mich geprägt, geliebt und jeden Scheiß mit mir gemacht hast.«

 

P. S.

 

Du bist in meinem Herzen und wirst es immer sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Information zum Inhalt:

Diese Geschichte entstand in meinem Kopf – ihre Schauplätze, ihre Charaktere, ihre Wesen.

Die Ideen und die unbegrenzten Möglichkeiten, die das Genre bietet, haben mich nicht mehr losgelassen, deshalb hältst du nun dieses Buch in deinen Händen.

 

Dass du hier angekommen bist, bedeutet, dass dich der Umschlag neugierig gemacht hat – was mich sehr freut!

Ich möchte, dass du diese Reise beginnst, ohne zu wissen, was auf dich zukommt. Das macht für mich ein gutes Buch aus.

 

Daher werde ich auf Stichwörter, die den Inhalt des Buches vorwegnehmen, verzichten.

In diesem Buch findest du viele Situationen, die auch das wirkliche Leben mit sich bringt. Es werden Themen behandelt, die ich bewusst, aber auch unbewusst eingebaut habe, verpackt in einer fantasievollen Hülle.

Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen und Eintauchen in meine Welt!

 

 

 

 

 

 

 

E I N S

 

 

Vor ihr thronte der steinerne Riese.

Allein, hilflos und klein kam sie sich vor. Bedrohlich und lauernd ragte er in den Himmel. Selbst der Mond wagte es nicht, über ihm zu verweilen. Sein silbernes Licht hüllte die Umgebung in einen mystischen Schein.

Ehrfürchtig sah sie hinauf.

Das Mädchen hatte ein weißes Nachthemd an, mit nackten Füßen stand sie auf dem Weg aus Kies und Schutt. Ihr blondes Haar wiegte sich im seichten Wind.

Unzählige Windungen und Treppen führten zur Spitze des Berges.

Dort liegt mein Ziel.

Bevor sie einen Schritt tat, setzte es ein.

Ein Flüstern.

Sie spürte es bis in die Knochen. Die Stimme rief nach ihr, zog an jeder Faser ihres Körpers.

Ihr Blick blieb an einer kleinen Öffnung, weit oben haften. Dort würde sie den Ursprung finden. Entschlossen setzte sie einen Fuß vor den anderen, die Kieselsteine kitzelten sie, bohrten sich schmerzhaft in ihre Sohlen.

Das Knirschen unter ihren Füßen begleitete sie, umspielte die Geräusche des Windes.

Ich komme.

Gänsehaut breitete sich auf ihrem Rücken aus. Sie musste dorthin. Ein erwartungsvolles Funkeln lag in ihren Augen. Immer weiter folgte das Mädchen dem Weg. Mit jedem Höhenmeter, den sie zurücklegte, stieg die Vorfreude auf das, was auf sie wartete.

Begleitet von Wind und Geflüster wanderte sie höher und höher. Es waren keine Worte, nur einzelne Silben. Sie vernahm sie deutlich, verstand sie aber nicht.

Sie eilte über eine Plattform und ihr Fuß berührte die nächste Stufe, da legte sich Stille über die Nacht.

Irritiert sah sich das Mädchen um, suchte die Ursache.

Nichts.

Zögernd schritt sie weiter voran. Der Wind beherrschte die Blätter und Halme, doch kein Laut drang an ihr Ohr. Verwirrt und traurig schüttelte das Mädchen den Kopf, fixierte die Stufen zu ihren Füßen und lief weiter.

Ein Geräusch, so zart wie das Aneinanderreiben zweier Finger, nistete sich in ihrem Kopf ein. Sie richtete ihre volle Konzentration darauf und es wurde lauter.

Immer lauter.

Der Weg vor ihr ging in eine weitaus flachere, breite Treppe über. Unbeirrt folgte sie dem Aufstieg. Stufe um Stufe erklomm das kleine Mädchen den steinernen Riesen.

Sie kam auf ein größeres Plateau, ihre Hände waren feucht, ihr Atem beschleunigte sich. Sie ließ ihren Blick über die Plattform schweifen, ihre Haut kribbelte. Am äußersten Rande der Abgrenzung wuchsen zierliche Blumen, die den Übergang in ein kleines Waldstück markierten. Entgegengesetzt zum Pfad erhoben sich Büsche, die in Bäume übergingen.

Vorbei an den Pflänzchen wanderte ihr Blick den Berg hinauf.

Ich habe es fast geschafft.

Sie balancierte auf der niedrigen Abgrenzung, wagte einen Blick hinunter und hüpfte über den Spalt, der einen Weg in den Wald zierte. Die vielfältige Vegetation am Fuße des Berges bettete das Gestein in eine grüne Landschaft aus Bäumen, Sträuchern und Blumen ein.

Ihre Konzentration lag wieder auf dem Flüstern. Mit zügigen Schritten überquerte sie die Plattform und folgte dem Weg.

Am Rande der Treppe blühten dunkle Kelchblumen mit grellgelben Blütenstängeln. Wie kleine Laternen strahlten die Blütenschirme mit den Sternen um die Wette und wiesen ihr den Weg.

Mit gleichmäßigen Schritten marschierte sie weiter, immer weiter. Ihr Herz gewann an Kraft, klopfte, polterte, sprang gegen ihren Brustkorb.

Vorfreude.

Erwartung.

Begeisterung.

Das Rauschen ihres Blutes und der Klang ihres Atems legten sich harmonisch unter das Flüstern in ihrem Kopf.

Obwohl das kleine Mädchen sich in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte, als dort oben zu sein, dem gegenüberzustehen, der nach ihr rief, wurden ihre Beine schwerer. Quälend langsam kam sie voran, jede weitere Stufe glich einer Hürde, die unüberwindbar schien. Außer Atem stützte sie sich auf ihren Knien ab und ließ den Kopf hängen. Lange, tiefe Atemzüge schenkten ihr neue Kraft. Die Landschaft zu ihren Füßen ruhte, sammelte genauso wie sie Energie für den anbrechenden Tag. Die Sterne rekelten sich auf einem wolkenlosen Himmel, umspielten den Mond und begleiteten ihn auf seiner Reise. So wie die Kelchblumen hier unten leuchteten, flackerten und schimmerten die Himmelskörper. Der Mondschein ließ Umrisse erkennen.

Den Sumpf.

Den Wald der Faldes.

Die Stadt Criene, inmitten der Bezirke.

Das Mädchen beschloss weiterzugehen, lauschte dem angenehmen Flüstern und setzte sich in Bewegung.

Aus dem Nichts verwandelte sich das Geräusch in ihrem Kopf in ein lautes, schrilles Krächzen. Sie presste die Hände auf ihre Ohren. Ihr Kopf dröhnte, sie schrie dagegen an, doch kein Ton verließ ihre Kehle. Schwer atmend suchte sie nach einem Ausweg, drehte sich um ihre eigene Achse.

Aussichtslos.

Der Schmerz breitete sich aus, beschlagnahmte ihren Körper, lähmte ihn. Stiche, tausend Stiche überschwemmten ihre Zehenspitzen, arbeiteten sich ihre Beine hinauf.

Es war unerträglich.

Ihre Knie gaben nach, der Boden hieß sie hart willkommen.

Zusammengerollt stürzte sie all die Stufen hinunter, die sie so mühselig erklommen hatte. Steinerne Kanten bohrten sich in ihre Schulter, kleine Steine hinterließen Löcher in ihrem Nachthemd. Staub wirbelte auf, bedeckte das Mädchen von Kopf bis Fuß. Dutzende Male überschlug sie sich.

Unverändert dröhnte das Krächzen in ihrem Schädel, als ihr Körper endlich zum Erliegen kam. Selbst die Schmerzen vertrieben das Geräusch nicht.

Ich muss hinauf, jemand wartet auf mich.

Dieser Gedanke hielt sie wach, hielt sie am Rande des Bewusstseins. Der Sturz hatte eine gefühlte Ewigkeit gedauert. Sie hatte die Augen fest geschlossen, ihre Wangen waren malträtiert von den Steinchen. Wimmernd setzte sie sich auf, die Tränen bahnten sich einen Weg, hinterließen reine Spuren auf ihrer Haut.

Das Krächzen verschwamm, wurde leiser und verstummte.

Stille.

Schluchzend rappelte sich das Mädchen auf, klopfte den Dreck ab, doch es half nicht. Sämtliche Gliedmaßen schmerzten, unzählige Schürfwunden bedeckten ihre Haut. Sie sah den Weg hinauf, rieb ihre schmerzenden Arme und Sehnsucht zerrte an ihrem Körper. Sie stand wieder auf dem Plateau, welches das kleine Waldstück vom restlichen Gestein trennte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und verschwommener Sicht suchte sie die Öffnung oben am Berg.

Knacken.

Eine Druckwelle, lediglich sichtbar durch den aufgewirbelten Dreck, raste auf sie zu, gefolgt von einem markerschütternden Knall.

Panik schnürte ihre Kehle zu.

Sie rannte los. Ihre Beine trugen sie so schnell, dass die Umgebung unschärfer wurde, unbeholfen sprang sie über die kleine Abgrenzung und verlor den Halt. Äste knackten, Laub flog umher und Steine rollten den Hang hinunter. Die Natur zerrte an ihrem Kleid, ihrem Haar und hinterließ Spuren auf der so jungen Haut.

Alles drehte sich.

Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Rücken, als sie kurz vor einem Baumriesen stoppte.

Schwummrig.

Unscharf.

Beängstigend.

Das Mädchen suchte nach einem Punkt, um sich zu konzentrieren, die Übelkeit zu verbannen und ihre Gedanken zu klären. Außer Atem lag sie da, unfähig, sich zu bewegen.

Einatmen.

Ausatmen.

Die Strapazen des Aufstiegs und des plötzlichen Abstiegs hatten deutliche Spuren hinterlassen. Vorsichtig stützte sie sich ab. Bedacht berührte sie ihren Kopf und eine kleine Welle von Erleichterung durchfuhr ihre Adern.

Kein Knall.

Kein Geräusch.

Kein Flüstern.

Jede Faser schrie sie an, wegzulaufen. Achtsam befreite sie sich von den Ästen, die sich in ihrem Nachthemd und in den Haaren verfangen hatten. Neugierig begutachtete sie ihre Umgebung. Der Wald umzingelte sie, legte ihr nur einen schmalen Pfad zu Füßen.

Hier hatte die Stille ihre Fänge ausgebreitet und verschluckte sämtliche Geräusche. Dunkle Kelchblumen säumten hier ebenso den Weg, doch diese ließen die Köpfchen hängen, was das kleine Mädchen nicht verstand. Sie richtete einen der Kelche auf und aus dem Inneren drangen unzählige Lichtkugeln hervor. Im nächsten Augenblick reckten sich die anderen Blumen und gaben ebenfalls kleine Kügelchen frei. Gemeinsam wiesen sie ihr den Weg. In sich gekehrt und schweigend sah sie zurück, Kälte breitete sich aus.

Nein.

Sie kehrte dem steinernen Riesen den Rücken zu, zu tief waren die Wunden, egal wie groß die Sehnsucht nach der Person weit oben am Berg auch wahr. Der Weg führte sie in die andere Richtung, hinein in den Wald. Begeistert sprang ihr Blick von einer Lichtkugel zur nächsten und sie folgte ihnen, bis sich die Baumriesen lichteten. Durch das Blätterdach kündigte sich die Morgendämmerung an. Immer weniger Stämme standen zwischen ihr und der Lichtung dahinter.

Die Hochebene.

Saftiges Gras, Moosteppiche dominierten das Gebiet und verdrängten die Bäume und Sträucher. Sie schritt durch die letzten schützenden Pflanzen und in ihr stieg erneut ein mulmiges Gefühl auf. Unruhig zupfte sie an ihrem Kleid, kaute auf der Unterlippe. Im Schatten der pflanzlichen Riesen fühlte sie sich sicher, geborgen. Zögerlich setzte sie ihre Füße voreinander, beäugte ihre Umgebung genau.

Nichts war zu sehen, nur die aufgehende Sonne schickte ihre ersten Strahlen über die Klippen. Geblendet von dem Feuerball hielt sie sich den Arm vors Gesicht und bewunderte die Natur. Viele Trümmerhaufen waren auf der Ebene verteilt, die Natur hatte sich ihr Eigentum zurückgeholt. Ein Gebäude war jedoch verschont geblieben. Vorbei an den Überresten der Häuser schritt sie auf den Pavillon am Rande der Klippe zu, der Sonne entgegen.

Unvorbereitet vernahm sie das Flüstern wieder, es hatte seinen Ursprung hinter den tadellosen Mauern des Gebildes.

Wie wild hämmerte ihr Herz gegen ihre Rippen, ihr Atem beschleunigte sich und das Mädchen konnte es kaum erwarten. Wenige Schritte und sie sah ins Innere …

 

Ein Tropfen traf auf aalglattes Wasser.

 

***

 

Sera schreckte aus ihrem Bett hoch.

Orientierungslos.

Panisch.

Müde.

Sie sah sich um. Es dauerte, bis sich ihr Geist wieder sammelte.

Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich zurück ins Kissen fallen. Sie war in ihrer Wohnung, nicht an den Klippen.

»Es war nur dieser Traum«, murmelte sie.

Immer wieder besuchte sie in den Nächten den großen Berg und die Hochebene.

Der Wassertropfen hallte in ihrem Kopf nach. Er hatte rein gar nichts mit all dem zu tun und doch tauchte er vor ihrem Erwachen immer auf.

Frustriert raufte sie sich die Haare und zog sich die Decke über den Kopf.

Ein energisches Klopfen.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«

Langsam lugte sie unter der Bettdecke hervor, starrte auf das Fenster am Ende des Bettes. Mit all ihren Sinnen konzentrierte sie sich auf das Geräusch und die kleine Silhouette, die durch das Fenster ersichtlich war.

Niedergeschlagen, aber auch erleichtert über die willkommene Ablenkung, öffnete sie es. Blitzschnell flog eine Brieflibelle herein.

Sera sah, wie das kleine Wesen energisch mit seinen freien Füßchen gestikulierte, während es sie in seiner eigenen Sprache beschimpfte. Langsam ließ sich das Geschöpf auf ihrem Bettpfosten nieder. Verglichen mit einer Sumpflibelle war dieses Exemplar deutlich größer. Es dauerte einige Momente, bis sich der Briefübermittler beruhigt hatte und sich von der kleinen Pergamentrolle befreite.

Sera beobachtete aufmerksam, wie er das anstellte, und beugte sich zu dem Wesen. Fast wäre ihre Nase mit seinem Kopf zusammengestoßen, da erschrak der Briefträger und sprang hoch, fiel rücklings hinunter.

Hektisch schlug sie sich die Hände vor den Mund, doch im nächsten Augenblick flog das kleine Wesen wieder hervor und summte wütend vor sich hin, bevor es die Wohnung durch das offene Fenster verließ.

Der Traum zerrte an Sera, klammerte sich an ihre Gedanken und wollte nicht verschwinden. Sie griff nach dem Stück Pergament, drehte es einige Male und erkannte den Absender.

Die oberste Familie.

Regelmäßig kamen neue Berichte der Herrscher und bald würde sie irgendwie ein Teil davon sein, wenn auch nur weit entfernt. Sie legte den Brief auf den Nachttisch.

Ihre Gedanken schweiften wieder zurück zu dem Traum. Sie kannte seine Bedeutung nicht. Auch nach all den Nächten. Es sind zwei Jahre vergangen, seitdem sie das erste Mal von dem großen Berg geträumt hatte, und mit der Zeit wurde der Traum immer länger und grausamer. Jedes Gefühl, jede Wunde, jeder Schmerz wurde intensiver.

Ich brauche eine Dusche.

Gemächlich rappelte sie sich auf, schlenderte ins Bad und stellte das Wasser an.

Wie eine leichte Massage trafen die Tropfen auf ihren Körper. Nach und nach fiel die Müdigkeit von ihr ab und erfrischt drehte Sera den Wasserhahn zu. Sie holte ein Handtuch, wickelte sich ein und trat vor den großen runden Spiegel über ihrem Waschbecken. Mit fließenden Bewegungen befreite sie ihn von der anhaftenden Feuchtigkeit.

Eine junge Frau starrte sie daraus an. Die nassen Haare lagen nur knapp auf ihren Schultern. Durch die Nässe wirkten sie eher rot statt blond. Einzelne Wasserperlen rannen ihre Stirn hinunter, Sera wischte sie weg und lenkte ihren Blick wieder auf ihr Spiegelbild.

Die Augen sind die Tore zur Seele.

Schlagartig fiel ihr der Brief ein, etwas neugierig war sie schon. Mit festgezurrtem Handtuch stapfte sie zurück zu ihrem Bett. Kleine Wassertropfen fielen von ihrem Haar auf das Pergament und benetzten es.

 

Sera, bitte vergiss die Zeremonie nicht.

Treffpunkt vor dem Bezirk um 11 Uhr!

Aria

 

 

Z W E I

 

»Ach herrje«, stieß Sera hervor. Ein Blick auf die Uhr verriet, wie viel Zeit sie noch hatte. Keine.

Wie konnte ich das nur vergessen?

Gestern Abend hatte sie mit ihrer Schwester darüber gescherzt und jetzt war sie viel zu spät. Eilig schmiss sie das Handtuch aufs Bett, streifte sich die nächstbesten Kleidungsstücke über und eilte hinaus.

Die Hitze schlug ihr unsanft entgegen, auf den Straßen tummelten sich unzählige Menschen.

Lebhafte Unterhaltungen.

Spielende Kinder.

Umherlaufende Tiere.

Wochen, Monate hatten die Angriffe der Faldes wie ein unsichtbares Tuch über den Bewohnern von Maaron gelegen. Es war das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, dass die Menschen lachten und unbeschwert waren. Jeder hoffte, dass die Attacken aufhörten.

Zielstrebig bahnte sie sich einen Weg durch die Menschenmasse. Es dauerte nicht lang, bis sie am Rande von Bezirk 7 angekommen war. Unzählige Bewohner drängelten sich aneinander vorbei, um die beste Sicht auf die künftigen Wächter zu ergattern.

Neue Wächter. Das bedeutet mehr Sicherheit für die Inselbewohner.

Sera verdrehte bei dem Gedanken die Augen.

Geflüsterte Mutmaßungen, empörtes Getratsche und verschwörerisches Tuscheln erfüllten die Luft. Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet und durch die Menschenansammlung wurde der Staub der Straße zu neuen Höchstständen aufgewirbelt.

Ihre Augen eilten von einem schwarzhaarigen Hinterkopf zum nächsten. Auf Zehenspitzen versuchte sie, Aria zu erspähen. Die Hitze trieb Sera den Schweiß aus den Poren, sie wischte sich ihre feuchten Hände an der Hose ab. Ihre große Schwester hatte ihr deutlich gemacht, was sie davon hielt, wenn sie zu spät kam.

Endlich!

Mit dem Pferdeschwanz und dem neunzackigen Stern im Haar stach Aria heraus.

Sera drängelte sich durch die Menge, murmelte Entschuldigungen und jeder zweite Satz begann mit den Worten: »Darf ich mal bitte?« Es schlugen ihr Verärgerung, Missbilligung und Ärger entgegen.

Kein Wunder.

Alle auf Maaron kannten sie, sie war die Waise. Diejenige, die vor ihren Adoptiveltern kriechen sollte, die dankbar sein sollte. Es gab keine Beleidigung, die ihr die Bewohner nicht schon an den Kopf geworfen hatten. Mittlerweile war sie die Blicke und die Sprüche gewöhnt, es gehörte zu ihrem Tag wie der Aufgang der Sonne, dennoch traf es sie.

Der Geruch von Körperausdünstungen und Fäkalien schlug ihr entgegen. Angewidert rümpfte sie die Nase, die Kombination verpasste ihren Geruchsnerven einen Schock.

Immer wieder schob sie ihre Hände zwischen zwei Körper und versuchte, sie vorsichtig auseinanderzuschieben.

»Pass doch auf, Waise! Wir wollen alle die neuen Wächter sehen!«

Ein üppiger Mann blaffte sie von rechts an. Sera erkannte ihn, er war ein Trinker und Taugenichts. Beschwichtigend hielt sie die Hände hoch. Seine Gestalt war von einem süßlichen Geruch umgeben. Während sie ihn von oben bis unten unauffällig beäugte, schubste er die Leute um sich herum weg und würgte. Dann beförderte er seinen Mageninhalt auf die Straße.

Igitt. Aber das ist meine Chance!

Alle Augen im Umkreis waren auf den Mann und sein Erbrochenes gerichtet. Sie bahnte sich ihren Weg und kam deutlich schneller voran. Doch selbst nachdem sie einige Reihen hinter sich gelassen hatte, blieb ihr der Geruch in der Nase hängen.

Ungeduldig zupfte sie an der Naht ihrer Hose herum, Sera hatte Aria aus den Augen verloren. Da entdeckte sie ihre Schwester, sie stand nur wenige Reihen entfernt, direkt am Weg.

»Aria!«

Die langen schwarzblauen Haare waren streng nach hinten zusammengebunden. Elegant drehte sie sich um. Aria war so groß wie sie, aber jede ihrer Bewegungen war so anmutig, wie Sera es bei niemandem sonst kannte. Ihr blieb diese Eleganz verwehrt. Sie war froh, wenn sie sich nicht wieder einen neuen blauen Fleck holte.

Arias Pony lag sorgfältig auf ihrer Stirn, leider verdeckte er das genervte Funkeln in ihren Augen nicht. Sera biss die Zähne zusammen, presste die Lippen aufeinander. Ihre ältere Schwester baute sich vor ihr auf.

»Na endlich!« Mit verschränkten Armen und vorwurfsvollem Blick musterte sie Sera.

»Entschuldige, ich habe verschlafen.« Zerknirscht sah sie Aria an.

Ihre Schwester schnaubte und ihr Blick verfinsterte sich. »Wieso machen wir überhaupt etwas aus, wenn du eh nicht pünktlich bist?«

Sera legte behutsam einen Arm um sie und lächelte unschuldig. »Ach, komm schon. So schlimm ist das jetzt auch nicht. Die neuen Wächter sind noch gar nicht vorbeigekommen und wir haben noch nichts verpasst!«

Einen kurzen Augenblick erkannte Sera den inneren Kampf in Arias Augen. Disziplin, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit waren für sie wichtig. Aria duldete Abweichungen davon weder bei ihren Wächtern noch bei ihrer Familie, dennoch versuchte sie es nicht allzu streng zu sehen. Es dauerte einige Momente, in denen Sera den abschätzigen Blick ihrer Schwester ertrug, dann änderte sich Arias Körperhaltung. Wo eben noch Verärgerung und Enttäuschung waren, schlugen ihr nun Neugier und Besorgnis entgegen.

Puh – Glück gehabt.

»Wie lange warst du gestern Abend noch mit den anderen und Regon unterwegs?«

»Als du weg warst, haben wir noch eine Runde bestellt und sind dann auch gegangen.«

Sera ahnte, worauf Aria hinauswollte. Ihre Augen verrieten sie. Zwar würde sie es nie zugeben, aber Aria versuchte seit ewigen Zeiten, ihr Regon schmackhaft zu machen.

»Und von wem wurdest du nach Hause gebracht?« Arias Lippen verzogen sich zu einem schrägen Grinsen und ihre rechte Augenbraue wanderte ein ganzes Stück nach oben.

»Ich bin allein nach Hause gegangen«, sagte Sera beiläufig. »Ich brauche niemanden, der mich nach Hause bringt.«

Schnell zog Aria ihre Schwester in eine zu feste Umarmung. »Ich will nur nicht, dass dir etwas passiert! Die Faldes werden in letzter Zeit immer häufiger in der Nähe von den Bezirken gesichtet.« Aufrichtige Sorge schwang in Arias Worten mit.

»Du kennst mich! Ich kann auf mich aufpassen und außerdem hast du mir immer gesagt …« Sera legte eine dramatische Pause ein, ein verschmitztes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Wenn du einen Faldes siehst, musst du dich schnell verstecken oder in einem Haus Schutz suchen!«, ahmte sie ihre ältere Schwester nach.

Augenblicklich fingen beide an zu lachen.

Die Zeit mit Aria war so kostbar. Zwar waren die Treffen meist mit ihren Pflichten verbunden, doch sonst würde Sera sie nur einmal alle paar Wochen sehen.

Beide beruhigten sich wieder und in dem Moment brach der Jubel aus. Glückwünsche wurden gerufen, Namen erfüllten die Luft. Frauen und Kinder standen in der ersten Reihe, hielten Blumensträuße in den Händen. Es war Brauch, selbstgepflückte Blumen auf den Weg der zukünftigen Wächter zu werfen, wenn sie vorbeikamen.

Aus der Ferne entbrannte ein Raunen, das sich wie ein Lauffeuer zu ihnen ausbreitete.

Der Zeremonienzug.

Sera drehte sich dem Lärm entgegen, sie und ihre Schwester fingen an zu klatschen und zu jubeln.

Auf dem Weg vor Legon Kengori, dem obersten Herrscher, Monaris, seinem Berater, und Janorinos Kengori, dem Erstgeborenen, lagen bereits unzählige Blumen. Die drei bildeten die Spitze, sie schritten mit erhobenem Haupt voran. Hinter ihnen waren einige Ratsmitglieder, die man an ihren bodenlangen Roben erkannte, da der Rest des Zuges graue Einteiler trug.

Bei dem Anblick verschwand Seras Freude. Doch nach außen jubelte und applaudierte sie. Immer wieder flogen ihre Hände monoton gegeneinander, behielten den Rhythmus bei.

»Ah«, stieß Aria aus, als Jano vorbeiging. Seitdem die beiden ein Paar waren, nannte jeder in der Familie den künftigen Herrscher so. Sein vollständiger Name war zu kompliziert. Sera rollte mit den Augen und ohrfeigte sich innerlich dafür.

Sie beobachtete weiter den Zug. Es waren die Menschen, die sie nicht aufgenommen hatten. Die, die ihr ein Leben im Rat verwehrten. Ihre Gesichtsmuskeln erschlafften, sie drehte sich von ihrer Schwester weg. Es war Aria wichtig, die neuen Wächter zu begrüßen, bald würde sie mit Jano den Zug anführen.

Nach außen fröhlich und munter.

Im Inneren wütend und traurig.

Sera würde es nie zugeben, aber sie beneidete die Wächter um ihre Fähigkeiten. In ihrer Kindheit hatte sie nie verstanden, warum ihre große Schwester ohne sie auf die Wächterschule gegangen war. Sie waren unzertrennlich, hatten alles zusammen unternommen, doch schnell hatte sie zu spüren bekommen, wer zu den Wächtern gehörte und wer nicht.

Die neuen Behüter der Insel, gerade einmal sechzehn Jahre alt, kamen immer näher und die Menschen schlossen sich dem Zug an, liefen hinter ihnen her. Unaufhörlich riefen die Bewohner Glückwünsche, die Ausgelassenheit war spürbar. Sera beobachtete das Treiben, wie der Zug immer weiter in die Richtung zog, die sie heute Nacht besucht hatte.

Es dauerte, bis sich der Trubel wieder legte und Ruhe einkehrte.

Reiß dich zusammen, du hast ein wunderbares Leben und diese Fähigkeiten sind eben nur besonderen Personen vorbehalten.

Der Zug bewegte sich weiter auf den großen Berg zu und verschwand allmählich in der Ferne. Immer mehr Menschen verließen den Schauplatz, manche säuberten die Straße und gingen ihrer Wege. Ein angenehmer, sanfter Geruch von frisch gemähtem Gras und Blumen schlängelte sich durch die Luft, als kaum noch Bewohner um Sera und ihre Schwester standen.

Ruhe.

Erleichterung.

Selbstverachtung.

Ein Ruck raste durch Seras Brust. Sie kontrollierte ihren Neid, doch immer wenn junge Wächter auf dem Weg zu ihren Fähigkeiten waren, zehrte das an ihrer Beherrschung.

Sie kannte die Zeremonie, bei der die Wächter aus der Regenbogenmuschel tranken und hinab in ein Becken tauchten, all die Lektionen, die die Fähigkeiten festigten, kannte sie, wie die Wächter zu ihren Begleitwesen kamen und welches Punktesystem darüber entschied, wie gut man bereits war. Aria hatte ihr damals alles erzählt.

Jeden Tag.

Jede Woche.

Von Anfang an.

Die damalige Zeit war auch für Sera aufregend, weil sie durch die Erzählungen immer das Gefühl gehabt hatte, nicht ausgeschlossen zu werden. Doch sie war niemals ein Teil der Gruppe, sie war keine Wächterin. Ihre Schwestern hingegen schon, sie stammten aus einer Blutlinie des 7. Bezirks, der den Wächterfamilien vorbehalten war. Ihnen stand das Recht der Fähigkeiten zu. Aria war die geborene Anführerin, und das nicht nur, weil sie mit Jano liiert war.

Nach der inoffiziellen Verlobung hatte ihre Schwester Schwierigkeiten, sich in die neue Rolle und an die damit einhergehende Macht zu gewöhnen, doch an der Seite des künftigen Herrschers von Maaron blühte sie regelrecht auf.

»Warum hattest du heute eigentlich nicht Patrouille?«, fragte Sera, um sich von ihren Gedanken abzulenken.

Aria führte sie zu den großen Toren der Stadt.

»Ich hatte das bei der letzten Zeremonie übernommen und Keno wollte Jola alles zeigen, worauf sie achten muss.« Aria verdrehte die Augen. »Sie weiß ganz genau, wie der Ablauf ist und wo wer aus der Truppe zu stehen hat, aber wenn sie Zeit mit ihm verbringen kann, nutzt sie das aus!«

Jola war die Neue in der Wächtertruppe von Kenorion, dem zweitgeborenen Sohn. Er hatte nichts mit seinem netten, offenen und freundlichen Bruder Jano gemeinsam. Aria mutmaßte schon lange, warum Jola in seine Gruppe gekommen war. Die Wächterin himmelte den Zweitgeborenen an, vergötterte ihn regelrecht und passte hervorragend in das Schema, das der obersten Herrscherin gefiel.

Wächterin.

Hörig.

Unterwürfig.

»Musst du dann heute gar nichts machen?« Unglauben schwang in Seras Stimme mit.

Aria strahlte sie an. »Nein, ich habe heute den ganzen Tag frei und ich habe Ilian versprochen, dass wir ihn besuchen. Es ist schon eine Ewigkeit her, dass wir gemeinsam bei ihm waren!«

Ein breites Lächeln bildete sich auf Seras Lippen, Aria tat es ihr gleich. Sie hatte der Palastküche schon lange keinen Besuch mehr abgestattet. Jede Unterhaltung mit Ilian war eine Wohltat für ihre Seele und ihren Magen.

»Bevor ihr euch nach Criene begebt, musst du doch noch etwas erledigen.«

Ein eiskalter Schauer jagte ihren Nacken hinunter.

Wir hätten nicht über ihn sprechen sollen.

Langsam drehte sie sich um. Sie sah, dass Aria die Arme vor der Brust verschränkte, ihre Schwester war genauso wenig begeistert wie sie. Der Unterschied war nur, dass Aria ihre Meinung deutlich zeigte.

Sera wagte einen kurzen Blick zum Zweitgeborenen.

Er stand wie eine Statue vor ihnen.

Keine Regung.

Keine Gefühle.

Nur Pflichtbewusstsein.

Sie hielt den Blick starr nach unten gerichtet. Das Geräusch knirschender Steine kündigte eine weitere Person an. Mit aller Kraft unterdrückte sie den Impuls, hinter Aria zu verschwinden.

»Als künftige Frau meines Bruders kannst du dir diesen Luxus nicht mehr leisten, Aria.« Kenos Stimme war pures Gift.

»Da muss ich Kenorion recht geben«, stimmte die junge Wächterin zu.

Hab ichʼs mir doch gedacht – Jola.

»Dein freier Tag wurde gestrichen, du musst jeden Tag deiner Pflicht nachgehen.« Der herablassende Ton verdeutlichte, wie wenig er von Vergnügungen hielt, vor allem nach all den Vorkommnissen. Für ihn stand die Pflicht immer an erster Stelle.

Sera kam sich klein und unwichtig vor.

Aria pustete gereizt ihren Pony aus der Stirn.

Wind.

In kleinen, böigen Schüben zog er auf und umgab ihre Schwester. Es war unabdingbar, dass die Behüter der Insel ihre Emotionen im Griff hatten, denn sonst passierte genau das. Die Fähigkeiten spielten verrückt.

»Aria, komm, lass gut sein. Wir können ein andermal zu …«

»Nein!« Die Stimme ihrer Schwester war schärfer als maaronisches Stahl.

Sera bewunderte ihre Selbstsicherheit, sie würde sich das niemals trauen. Langsam hob sie den Blick. Keno schritt auf seine künftige Schwägerin zu, bedrohlich baute er sich vor ihr auf. Sera schluckte schwer und wich zurück, jegliche Alarmglocken setzten ein, als er die Distanz verringerte.

Sie beobachtete, wie sich Aria und Keno ein stilles, aber dennoch intensives Duell lieferten. Sie ließ sich von seinem Einschüchterungsversuch nicht beeindrucken.

Der Wind wurde stärker. Kieselsteine trafen Sera am Knöchel, ihre Haare flogen unkontrolliert herum. Ihr Atem beschleunigte sich. Fest biss sie sich auf die Unterlippe.

Aus den Augenwinkeln sah Sera den Gesichtsausdruck der jungen Wächterin.

Schockiert.

Missbilligend.

Ängstlich.

»In Ordnung, was soll ich machen?« Arias Stimme drang glasklar durch die aufbrausende Windhose.

Mit einem Schlag legte sich Stille über die vier. Kenos Lippen zierte ein zufriedenes, überhebliches Lächeln.

»Regon und Mo haben hinter deinem Bezirk wieder Faldes gesichtet. Sie können Unterstützung gebrauchen, vor allem aber wäre Mori von Nutzen für diese Aufgabe.«

Kenos steife Haltung und der befehlerische Ton verliehen ihm eine Autorität, die Sera nur von der obersten Familie kannte. Sie fand es abstoßend, dass er so mit einer Gleichrangigen umging, aber Aria ließ sich nichts anmerken.

»Natürlich werde ich den beiden helfen.« Ihre Stimmfarbe hatte sich verändert. Bittersüß. »Doch du solltest dich besser als Vorbild präsentieren. Es macht keinen guten Eindruck, wenn du die Autorität eines gleichgestellten Mitglieds der Wächter untergräbst«, spuckte Aria ihm im Befehlston entgegen.

Sie reckte ihr Kinn und fixierte Jola für einen Moment. Obwohl Keno um eineinhalb Köpfe größer war, strahlte Aria eine Aura von Ruhe aus und wirkte keineswegs eingeschüchtert.

Sein Kiefermuskel spannte sich an. »Du kannst froh sein, dass Jano –«

Ihre Schwester schnitt ihm das Wort ab: »Das hier hat nichts mit Jano zu tun! Ich bin dir gleichgestellt, also verhalte dich auch so!« Ihre Stimme war nicht laut, aber dennoch scharf wie eine Sense.

Aria nahm Seras Hand und marschierte mit ihr davon.

»Dreh dich nicht um«, presste ihre große Schwester zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Die Genugtuung will ich ihm nicht geben!«

Die Schweißperlen auf Seras Stirn folgten dem Weg ihrer Gesichtsproportionen nach unten. Ihr Körper zwängte sie ein, wie ein zu enges Haus, aus dem sie einen Ausweg suchte. Sie konnte sich nur ansatzweise vorstellen, welcher Sturm in Aria tobte, wie sehr sie sich kontrollierten musste, um nicht umzudrehen und das zu beenden, was Keno angefangen hatte.

Steif lief sie neben ihrer Schwester, spürte den Blick der beiden Wächter im Nacken. Jedes Härchen stellte sich auf, schickte schaurige Wellen durch ihren Körper. Aria stapfte vorwärts. Kein Wort verließ ihre Lippen.

Ohne das Tempo zu drosseln, obwohl sie bereits außerhalb von Kenos Sichtfeld waren, marschierte Aria vorbei an dem Eingang zu Bezirk 7 und hinein in die Felder. Erst jetzt nahm Sera die prächtig geschmückten Außenfassaden der Häuser wahr, die im Eingangsbereich standen. Riesige Flaggen der obersten Familie, die den neunzackigen, silbernen Stern auf olivgrünem Untergrund zeigten, und etliche Girlanden hingen zwischen den Häusern und an den Fensterbänken. Die bunten Blumen verströmten ihren angenehmen Geruch, die satten Farben zierten die leergefegte Straße.

Die Zeremonie der Wächter war das Ereignis auf Maaron. Immer wenn die Jahreszeiten ihren Höhepunkt erreichten, wurde sie abgehalten. Jeder, der aus einer Wächterfamilie stammte und sein sechzehntes Lebensjahr vollendet hatte, war verpflichtet, daran teilzunehmen.

An jenem Tag, an dem ihre Schwester der Zeremonie beigewohnt hatte, hatte Aria sie gedrängt, auch zu kommen und Blumen auf den Weg zu werfen. Es war einer der schlimmsten Tage in Seras Leben. Zerfressen von Selbsthass, weil sie neidisch auf ihre Schwester war. Sera war damals erst am nächsten Morgen nach Hause gekommen, sie war durch die Nacht gelaufen, um ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

Gekrächze holte sie aus der Erinnerung in die Gegenwart, sie zuckte zusammen.

Mori.

Der riesige Valintu von Aria war wie aus dem Nichts neben ihr erschienen. Für seine Rasse war er sehr groß gewachsen, mindestens zwei Meter. Die langen Beine, die scharfen Krallen und das angriffslustige Glimmen in seinen Augen ließen ihn alles andere als freundlich wirken. Doch Valintus waren treue und liebenswerte Wesen, wenn sie einen akzeptierten und in ihren Schwarm aufnahmen. Moris graues Gefieder bekam durch die Sonne einen silbrigen Schimmer, die Spitzen leuchteten strahlend blau.

Vor Schreck hatte Sera die Hand ihrer Schwester fest gedrückt.

»Wo warst du schon wieder mit deinen Gedanken? So leise ist Mori nun auch nicht!«

»Entschuldigung! Ich musste nur gerade an deine Zeremonie denken«, verteidigte sich Sera mit bedrückter Stimme.

Ihre große Schwester sagte nichts, doch in ihren Augen sah Sera deutlich, dass auch sie an die damals schwierige Situation zurückdachte. Aria nickte ihr zu und Sera war dankbar, dass sie nicht weiter auf das Thema einging.

Schweigend liefen sie durch die Felder. Die Gerstenhalme wiegten sich sanft im Wind, hin und wieder schnappte Mori nach einem Grashüpfer, der versuchte zu flüchten. Der Begleiter strahlte eine Schwerelosigkeit aus, die Sera an manchen Tagen vermisste. Amüsiert sah sie dem riesigen vogelähnlichen Wesen zu. Für einen Moment vergaß sie alles.

Den Traum.

Den Neid.

Die Sorgen.

Sie hätte ihm eine Ewigkeit zusehen können. Aber genauso schnell, wie Mori sie in diesen Zustand der Unbeschwertheit katapultiert hatte, nahm er ihn ihr wieder. Wie vom Blitz getroffen drehte sich der Valintu um, machte einen gewaltigen Satz und schoss davon.

Sera suchte den Blick ihrer Schwester. Ohne ein Wort zu verlieren, rannten beide los. Sie war schnell außer Atem, die langen Stiele des Getreides schlugen gegen ihren Körper. Es war nicht leicht, den Valintu einzuholen.

Wenn ein Begleiter so reagierte, waren die Faldes nicht weit weg. Es war immer riskant, die ungeplante Konfrontation mit ihnen zu suchen.

Regon und Mo sind da, wir haben eine gute Chance.

Was genau die Faldes waren, wusste niemand, nicht einmal Monaris, der eigentlich allwissend war. Sie wurden Geister, Wesen im Nebel oder Gestaltlose genannt. Kindern erzählte man viele ausgeschmückte Geschichten über sie, damit sie gehorchten und artig blieben. Für Sera waren es körperlose, stimmlose Wesen, eingehüllt in Nebel. Die Faldes lebten in dem Wald, der hinter Seras Bezirk anfing, sich bis zum Fuße des Bergs erstreckte und von niemandem betreten wurde. Es war verboten.

Die Wesen waren unberechenbar und scheuten die Bezirke nicht mehr. Sie griffen immer häufiger an.

Obwohl ihre Schwester sie stets davor warnte und alles in ihrer Macht Stehende tat, um sie von solchen Situationen fernzuhalten, sagte sie jetzt nichts. Aria hatte sie überholt und stieg in die Luft. Mithilfe einer Windhose flog sie der Gefahr entgegen. Genau dafür war sie ausgebildet.

Außer Atem blieb Sera auf einem kleinen Hügel zurück.

Sie sah sie, über den Ähren der Felder.

Die Faldes.

Es waren keine wirklichen Wesen. Die Erzählungen wurden dem nicht gerecht, was sie vor sich sah. Fünf dicke graue Rauchschwaden, die unförmig zusammengesetzt waren, lieferten sich ein Gefecht mit Mo und Regon. Manche wirkten klein und zierlich, andere riesig. Seltsame Geräusche drangen an ihre Ohren, bei jedem Versuch der Faldes, die Wächter zu attackieren.

Sera hatte nie zuvor ein Wesen aus dem Wald gesehen. Sie stand wie gebannt da, unfähig sich zu bewegen. Ihr Herz schlug kräftig, die Lunge pumpte unregelmäßig Sauerstoff in ihren Körper.

Alles passierte so schnell.

Mori hielt zwei in Schach, durch seine Schnelligkeit war es für die Wesen unmöglich, einen Treffer zu landen. Regon und Mo kämpften mit einem riesigen Faldes, ihre beiden Begleiter waren nicht zu sehen. Aria versuchte, die anderen zwei Kleineren mithilfe von Windböen und Erdkugeln zurück in den Wald zu drängen.

Die seltsamen Geräusche vermischten sich mit dem Lärm der Auseinandersetzungen. Wie eine unsichtbare Glocke legten sich die Laute um Seras Körper. Unerträglich drang die Lautstärke an ihre Trommelfelle. Mit ganzer Kraft drückte sie sich beide Hände auf die Ohren. Sie versuchte, das Geschehen durch zusammengekniffene Augen weiter zu verfolgen, doch es gelang ihr nicht. Der Krach raubte ihr jegliche Konzentration.

Sie fühlte sich hilflos – schon wieder.

Jeder Muskel verkrampfte sich.

Ihre Knie schlugen auf dem Boden auf.

Sie versank im Getreide.

Immer mehr verschwamm die Umgebung, der Lärm nahm ab.

Benommen hob sie den Kopf und erblickte grauen Nebel.

 

 

 

D R E I

Es dauerte, bis Sera realisierte, was sich vor ihr aufgebaut hatte. Nur spärlich sickerten die Informationen, die ihre Augen aufnahmen, in ihr Bewusstsein.

Ein Faldes. Mindestens doppelt so groß wie sie selbst.

Sie hätte in Panik ausbrechen müssen, doch die gleichmäßige, ruhige Bewegung des Gestaltlosen besänftigte sie auf eine unerklärliche Weise. Sera nahm ihre Hände herunter, starrte gebannt auf die Grauschattierungen des Wesens. Bei genauerer Betrachtung erkannte sie verspielte Muster im Nebel.

»Daaa!« Regons Stimme hallte über die Felder.

Willkürlich zog sich das Wesen zusammen, bäumte sich ein letztes Mal auf und jagte davon. Sie verfolgte die undefinierte Gestalt mit ihren Augen, bis diese zwischen den dichten Baumreihen des Faldes-Walds verschwand.

Verwirrt schweifte ihr Blick über die Umgebung, zurück zu der Stelle vor ihr. Der Kampf hatte seine Spuren auf den Feldern hinterlassen. Ein riesiger Bereich der Ernte war zertreten, kleinere und größere Krater sprenkelten die Wiese, Getreidestaub hatte sich wie Sand zwischen den grünen Halmen auf die angrenzende Graswiese gelegt. Es war bekannt, dass die Sichtungen zunahmen, doch mit so etwas hatte Sera nicht gerechnet.

Völlig außer Atem kamen ihre Schwester und die beiden Wächter vor ihr zum Stehen.

»Bist du verletzt?«, fragte Regon zwischen zwei tiefen Atemzügen.

Ihr Körper war erschöpft, doch Schmerzen vernahm sie nicht. Sera schüttelte den Kopf, ihre Stimmbänder versagten.

»Bleib erst mal sitzen und ruh dich aus«, forderte Aria. Besorgnis und Erleichterung zeichneten sich auf ihren Zügen ab.

Sera unterließ den Versuch aufzustehen und lauschte dem Gespräch der Wächter. Sie saß im Schneidersitz da, fixierte den Boden vor ihr und zählte die Atemzüge.

Warum hat es mich nicht angegriffen?

Das war die eine Frage, die sich immer wieder in den Vordergrund drängte.

Ihr Kopf dröhnte.

»Jetzt kann die oberste Familie nicht mehr nichts tun. Sie müssen handeln, sonst kommen die Faldes noch in die Bezirke und wir wissen alle, wozu das führen kann.«

Blicke bohrten sich in ihren Hinterkopf.

»Regon, beruhige dich. Wir haben alles im Griff.«

Langsam hob sie den Blick. Sera beobachtete, wie ihre ältere Schwester beiden Wächtern beschwichtigend eine Hand auf die Schulter legte. Zu Mori hatten sich die Begleitwesen von Mo und Regon gesellt.

»Ich werde mit Legon und Kriana sprechen. Wir werden eine Lösung für dieses Problem finden.«

Mo streichelte Moris Kopf und Regon zog seine Augenbrauen zusammen, finster funkelte er Aria an.

Legon Kengori und Kriana Kengori waren die Herrscher. Aria sah zu Kriana auf, sie war ihr Vorbild, natürlich würde sie die Herrscherin um Rat fragen.

Vorsichtig rappelte Sera sich auf und schwankte auf die Wächter zu. Sie wurde erst bemerkt, als sie direkt neben Regon ankam.

»Schau, ihr geht es gut.«

Sofort schloss Aria sie in eine feste Umarmung. »Dem Himmel sei Dank, dir geht es gut!«

Sera löste sich, ihre Schwester hielt sie dennoch an den Schultern.

»Es ist alles in Ordnung.« Sie hatte Mühe, die Worte überzeugend auszusprechen. Sie war eine miserable Lügnerin und Aria kannte die Anzeichen, wenn sie nicht die Wahrheit sagte.

In ihr war nichts in Ordnung.

Fragen über Fragen schwirrten durch ihren Kopf.

Angst.

Neugier.

Unsicherheit.

Jede Faser ihres Körpers war mit Adrenalin überflutet. Sämtliche Sinne hingen an dem Bild des Faldes, der nicht weiter weg gestanden hatte als Regon jetzt. Einen kurzen Augenblick war es still und Sera hoffte, dass ihre Schwester nichts bemerkte.

Aria entspannte sich schlagartig, ging einige Schritte zurück und schaute in die verdutzten Gesichter der anderen beiden. Mo und Regon war die Verwunderung in die Gesichtszüge gemeißelt. Es war äußerst selten, dass sich die Verlobte des erstgeborenen Sohns so leicht abspeisen ließ.

»Wir müssen alles melden. Enimer und Monaris sollten über die Anzahl, die Größe und die Angriffstaktiken informiert werden. Und da ich heute eigentlich frei habe, übernehmt ihr zwei das!« Die Wächter standen immer noch perplex da und regten sich nicht. »Habt ihr verstanden?« Mit Nachdruck scheuchte Aria die beiden auf, doch die beiden starrten sie immer noch an.

Enimer war Janos Onkel, er koordinierte die Aufgaben der Wächter und war Leiter der Ausbildung. Es war eine kluge Entscheidung von ihrer Schwester, die beiden loszuschicken, denn je mehr Informationen die oberste Familie bekam, desto schneller würde sie etwas gegen die Faldes unternehmen.

»Das ist ein Befehl – los!«, brüllte Aria nun mit geballten Fäusten.

Jeder im Umkreis von hundert Metern musste sie gehört haben. Erst jetzt erwachten die Wächter aus ihrer Starre. Stumm hasteten sie mit ihren Begleitwesen davon.

Ein Pienia und ein Tuningas.

Die Flügel des Pienias sausten auf und ab. Es war ein eidechsenähnliches Wesen mit dürren, ledrigen Flügeln. Optisch war es nur Haut und Knochen, bei jeder Bewegung stach das Skelett der Echse hervor. Pienias waren winzig, aber imstande, schwere Lasten zu transportieren. Mos Begleitwesen war korallfarben mit grünen und blauen Mustern. Der schmale und lange Körper raste hinter den beiden Wächtern her. Die riesigen Glubschaugen und sein kleines Maul ließen es harmloser aussehen, als es war. Entlang des Halses verlief ein hauchdünner Kragen, den die Tiere beim Fliegen oder im Kampf einsetzten. Die Flügel waren anatomisch wie die einer Fledermaus, aber die dünne Haut zwischen den Knochen erinnerte wegen der Farbe eher an die einer Libelle, ein unverwechselbares Mosaik zeichnete sich darauf ab.

Sera war Aria für das ganze Wissen über die Begleiter und die Fähigkeiten unendlich dankbar. Sie war wissbegierig und hatte damals alles aus ihrer Schwester herausgequetscht.

Der Tuningas, ein luchsartiges Wesen, lief lautlos durch das hohe Getreide. Die Spezies wurde etwas größer als eine gewöhnliche Straßenkatze. Dieses Exemplar gehörte zu Regon. Trotz des Aussehens sollte man sie nicht unterschätzen. Statt weichem Fell hatte diese Gattung eine schmierige, glitschige und schuppige Haut, ähnlich wie bei einem Frosch oder einem Fisch. Meist waren die Schuppen bläulich, doch ab und an auch rötlich. Das Gesicht ähnelte dem einer großen Wildkatze, mit dunklen eingebetteten Augen, die von langen feinen Wimpern umrandet wurden, einer dreieckigen Nase und unzähligen Schnurrhaaren, die an beiden Seiten der Schnauze und an den Ohren abstanden. Ein Tuningas war der perfekte Jäger. Die extreme Schnelligkeit und Sprungkraft kombiniert mit dem unvergleichlichen Witterungsinstinkt und den messerscharfen, dreireihigen kleinen Zähnen rüsteten ihn bestens für die Jagd. Seine Vorder- und Hinterbeine waren muskulös und der Körper des Tieres endete mit einem Stummelschwänzchen.

Verträumt sah sie den beiden Wächtern hinterher.

»Maaron an Sera. Können wir jetzt los?«

Arias Hand fuchtelte vor ihrem Gesicht herum. Irritiert blinzelte Sera einige Male und nickte ihrer Schwester verlegen zu.

Wieder an der Straße angekommen, die nach Criene führte, bogen sie diesmal links ab. Es war Seras Arbeitsweg. Sechs Tage hintereinander lief sie hierher zur Bibliothek, sie war ihr Rückzugsort, ihr zweiter Lieblingsplatz auf der Insel. Danach hatte sie einen Tag frei und dann ging es von vorne los.

Die Straße verlief parallel zur großen Stadtmauer einmal im Kreis. Es gab nur diesen einen Weg hinein und hinaus. Die Bezirke um die Stadt waren wie ein neunzackiger Stern angeordnet.

Bezirk 1, der Nahrungsbezirk, lag im Norden, die Bewohner hatten den weitesten Weg in die Stadt. Sie waren für die Erzeugung und Lieferung jeglicher Nahrungsmittel verantwortlich. Reihum verliefen die Bezirke nach Osten weiter. Jeder Bezirk hatte seine Aufgabe. Der 2. Bezirk war für die Errichtung der Bauten verantwortlich. Seltene Rohstoffe wie Metalle wurden ausschließlich von den Bewohnern des 3. Bezirks abgebaut und gewonnen. Bezirk 4 kümmerte sich um die Herstellung, Reparatur und Verwertung von Kleidungsstücken. Im Süden, in der Nähe des Stadttors, lagen Bezirk 5, der Bezirk der Heiler, und Bezirk 6 für die Ratsmitglieder. Von dort war es ein Katzensprung zur Stadt. Der 7. Bezirk beherbergte die Wächter und in Bezirk 8 trainierten sie ihre Fähigkeiten und absolvierten die Ausbildung. Was genau im 9. Bezirk war, wusste Sera nicht, lediglich die beiden Herrscher und Monaris hatten Zutritt. Auf die Frage, was sich hinter der riesigen Steinkuppel befand, bekam sie keine Antwort.

Zwischen dem Weg und der Stadtmauer waren Dutzende Schutzzauber vom obersten Berater errichtet worden. Das war geheim und Sera war nur in den Genuss dieses Wissens gekommen, weil Aria es nicht für sich behalten hatte. Sie hatte ihrer großen Schwester versprochen, niemandem davon zu erzählen.

Die Vegetation war auf der ganzen Insel saftig grün und üppig. Sie war übersät von bunten Blumen, Gräsern und Sträuchern, riesigen Bäumen und zierlichen Stauden.

Nur der große Berg ragte kahl gen Himmel. Bei dem Gedanken an den steinernen Riesen überzog sie erneut eine Gänsehaut und die Erinnerungen an den Traum kamen zurück.

Allein.

Hilflos.

Klein.

»Ist wirklich alles in Ordnung?«, fragte Aria leise.

Sera bemerkte ihren prüfenden Blick auf sich. »Ähm … ja, ich …« Ihr fielen nicht die richtigen Worte ein. Ihre Schwester spielte auf die Begegnung mit dem Faldes an, dessen war sie sich sicher. Doch wie erklärte sie Aria diese widersprüchlichen Empfindungen?

»Ja, es ist alles in Ordnung. Ich war überfordert, doch mit dir, Regon und Mo in meiner Nähe wusste ich, dass mir nichts passieren würde.«

Hoffentlich bemerkt sie die Lüge nicht.

Sera schluckte schwer, sie sah Aria in die Augen und war froh, als sie nicht weiter darauf einging, sondern erleichtert wirkte. Auf dem restlichen Weg bis zum Stadttor erzählte ihre Schwester von den bevorstehenden organisatorischen Ereignissen, bevor die eigentliche Hochzeit mit Jano geplant werden würde.

Vor dem Tor hatte sich eine lange Menschenschlange gebildet. Jeder, der Einlass in die Stadt ersuchte, wurde registriert und der Grund des Besuchs wurde jeweils vermerkt. An manchen Tagen war es für Sera lästig, sich immer und immer wieder vorzustellen, obwohl sie hier jeder kannte.

Nur die Wächter waren von dieser Pflicht ausgenommen, sie erkannte man an der grauen Uniform. Aria und Sera stellten sich in die Reihe. Mori, der die ganze Zeit über heiter neben ihnen hergelaufen war, drängelte sich zwischen die beiden und forderte seine Streicheleinheiten ein.

Wie sehr Sera diesen großen Vogel mochte! Er war Teil der Familie, obwohl Atirion sie immer wieder ermahnte, dass er kein Haustier sei, sondern eine lebendige Waffe. Bei dem Gedanken daran, wie ihr Vater sie vor den Begleitern warnte, schmunzelte sie. Nach all den Büchern und den Abenden mit Arias Wächtertruppe vertraute sie ihrer Erfahrung mehr als den alten Erzählungen.

Langsam bewegte sich die Menschenschlange vorwärts. Das gigantische Tor baute sich immer weiter vor Sera auf.

»Glaubst du, ich werde die Ratsmitglieder davon überzeugen können, eine gute Herrscherin zu sein?« Die sonst fest entschlossene Stimme klang leise, zittrig.

Sera ahnte nicht einmal ansatzweiße, welcher Druck auf Aria lastete. Oft hatten sie darüber gesprochen, Ideen festgehalten, wie ihre Schwester mit ihren künftigen Aufgaben umgehen könnte, doch es endgültig zu planen, war etwas völlig anders.

Mit einem Blick war ihr klar, dass die Selbstzweifel drohten, Aria aufzufressen.

»Natürlich! Du bist die einzige Wächterin, die ich kenne, die sich freiwillig das Geschwätz des Rats einmal in der Woche anhört und danach noch mit den Ratsmitgliedern diskutiert und gemeinsam isst. Was, glaubst du, werden sie tun, wenn du offiziell als zukünftige Herrscherin anerkannt wirst?«, munterte sie Aria auf.

Mit einer hochgezogenen Braue musterte Sera ihre Schwester. Alle möglichen Gedanken rasten hinter Arias Augen durch ihren Kopf. Überzeugt sah sie aber nicht aus.

Einerseits verstand Sera, was Selbstzweifel in einem anrichteten. Die Frage, ob man gut genug, akzeptabel war, zerriss einen von innen. Aber andererseits war Aria die netteste, einfühlsamste, intelligenteste und gerissenste Frau auf ganz Maaron.

»Du machst dir zu viele Gedanken! Die Besprechung der Ratsmitglieder und der obersten Familie findet morgen statt, oder? Dann hast du es überstanden! Und mit einer Abweisung brauchst du nicht rechnen, sonst hätten sie die Verlobung auch nicht akzeptiert.«

Arias Körperhaltung entspannte sich, in ihren Augen loderte ein kleiner Funke Hoffnung auf. »Danke. Ich weiß, dass ich mir eigentlich keine Sorgen machen sollte, das sagt Jano auch die ganze Zeit. Aber wenn man ständig nur begutachtet und eher als Sache wahrgenommen wird, nicht als Person, bekommt man … Zweifel.«

Das liebte sie an ihrer großen Schwester! Sie war trotz des öffentlichen Status ein bodenständiger, normaler Mensch geblieben. Nur ihre Selbstzweifel waren seit der Verlobung wesentlich häufiger zur Sprache gekommen, vor einigen Jahren hatte sie so was nicht einmal gekannt.

Mittlerweile hatten sie den Großteil der Schlange hinter sich gelassen. Jetzt waren sie an der Reihe.

»Name und Grund des Aufenthalts«, sagte der Wächter, der auf der linken Seite des Durchgangs stand, monoton. Er und seine Kollegin lehnten lässig an der Mauer und hielten es nicht für nötig, den Menschen, die in die Stadt kamen, freundlich zu begegnen.

Aria schlüpfte wieder in ihre Rolle – Schultern nach hinten, gerade Haltung, gerecktes Kinn.

»Anscheinend wird die Arbeit hier am Tor nicht sonderlich ernst genommen.«

Das hat gesessen.

Vor Schreck nahmen die beiden untergeordneten Wächter Haltung an.

»Hallo Phylo«, sagte Aria, schaute ihn durchdringend an, dann drehte sie ihren Kopf in die andere Richtung. »Hallo Rica.« Beide Augenpaare starrten ihre große Schwester an. Stocksteif standen die Wächter vor ihrer Vorgesetzten. »Ihr wisst schon, dass ich heute nicht im Dienst bin, oder?«

Arias Stimme hatte diesen herausfordernden Klang, Sera kannte ihn zu Genüge. Ihre Schwester wusste, wo ihr Platz war, was zu tolerieren war und was nicht. Wächter, die ihre Aufgabe nicht ernst nahmen, sah sie nicht sonderlich hoch an und das brachte sie bei den wöchentlichen Besprechungen zur Sprache. In einem waren Aria und Keno sich einig: Die Arbeit kam vor dem Vergnügen, doch der Interpretationsspielraum driftete weit auseinander.

Zusatzaufgaben.

Dienste in der Schmiede.

Häufige Patrouillen.

Sera kannte Arias Repertoire.

Ihre Schwester hatte ein Netzwerk um sich gespannt, das sie informierte, wodurch ihr nichts entging. Kein Wächter wagte es, sich gegen die künftige Herrscherin zu stellen, die Angst vor Konsequenzen war zu groß.

Zurückhaltend starrte Rica auf den Boden vor Arias Füßen, brachte nur gestotterte, zittrige Worte hervor.

»Es wird nie wieder vorkommen! Wir werden uns selbst bei Enimer für eine zusätzliche Wachschicht bei der Schmiede zur Verfügung stellen. Du musst uns nicht melden!«

Phylos Stimme klang fest, aber ebenfalls wackelig.

Den jungen Mann kannte Sera nur aus Erzählungen. Er gehörte zur Wächtergruppe von Nath und Nath war ein Macho, der sich zu viel auf sich selbst einbildete. Laut ihrer jüngeren Schwester Anija, gab es aber genügend Mädchen, die auf seine Masche reinfielen, obwohl ihm sein Ruf meilenweit vorauseilte. Phylo war nur sein Mitläufer und wirkte intelligenter und freundlicher als sein Truppenführer. Kaum vorstellbar, dass er sich mit jemandem wie Nath verstand.

Das Mädchen hatte den Blick immer noch gesenkt, man sah ihr an, wie miserabel sie sich fühlte. Sera hatte ein wenig Mitleid mit ihr. Der männliche Wächter hingegen versuchte, Schadensbegrenzung zu beitreiben.

»In Ordnung«, sagte ihre ältere Schwester. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf ihren Lippen. Ohne sich in das Buch einzutragen, zog Aria Sera mit sich.

Gemeinsam schritten sie durch das gewaltige Stadttor.

Aria schickte Mori zu den anderen Begleitern in deren Unterkünfte. Es waren kleine Höhlen in der Stadtmauer, die zwischen dem Volkssaal und der Lagerhalle verlief. Dort war ihr Schlafplatz, ihr Rückzugsort, ihre Erholungsstätte. Es gehörte ebenfalls zum Aufgabenbereich der Wächter, für das Wohlergehen der Begleiter zu sorgen.

Sie schritten an den prächtig angelegten Grünflächen vorbei, die entlang der runden Stadtmauer verliefen. Im Inneren der Mauer hatte Sera immer das Gefühl, als wäre sie in einem Käfig. Nur mit Erlaubnis war es gestattet einzutreten und jede Bewegung, jeder Fußtritt wurde bewacht. Mit dem Eintragen des Namens legte sich ein Zauber um den Besucher. Eine Art unsichtbares Band schlang sich, kaum merklich, um den Hals. Sobald der Zweck des Aufenthalts in Criene erfüllt war, war es ratsam, die Stadt zu verlassen. Erst war es ein leichtes Ziehen, das man ignorieren konnte. Je länger man aber wartete, desto schmerzhafter wurde es. Erleichtert stellte Sera fest, dass sich kein Band um ihren Hals geschlungen hatte.

Zum Glück habe ich Aria dabei.

Nur dank ihr war es heute ein erträglicher Aufenthalt in Criene. Jeder auf Maaron hatte sich daran gewöhnt und wusste genau, wie er damit umzugehen hatte. Niemandem missfiel diese Maßnahme. Es war so und es war richtig so!

Marik hatte ihr zu Beginn ihrer Tätigkeit in der Bibliothek Bücher gezeigt, in denen die Beschwerden aus früheren Zeiten aufgezeichnet und die Bestrafungen dokumentiert worden waren. Es war grausam!

Wächtern, Ratsmitgliedern oder Gästen der Herrscherfamilie stand es frei, sich zu bewegen. Aufgrund der Verbindung zwischen Aria und Jano war ihre Familie lediglich unter Beobachtung, sie waren nicht an den Zauber gebunden, dennoch legte sich um Seras Hals ein hauchdünnes Fädchen, sobald sie die Stadt betrat.

Ein beklemmendes Gefühl herrschte in ihrer Brust.

Immer.

Wie die Bezirke war Criene ebenfalls wie ein Stern aufgebaut, aber nur mit fünf anstatt neun Zacken. Im Zentrum von allem stand der Palast. Umrundet wurde er von den Wächterunterkünften, die ihn wie eine zweite Mauer schützten. Die Ausläufer des Sterns bildeten die Bibliothek, direkt rechts neben dem Stadttor, die Lagerhalle, der Volkssaal, die Waffenschmiede und der Marktplatz.

Die Stadt war übersät mit Bürgern, die ihren Erledigungen nachgingen. Eine kleine Gruppe von Ratsmitgliedern schlenderte an Sera und ihrer Schwester vorbei. Alle lächelten Aria an, grüßten sie. Sobald der Blick auf Sera fiel, wandten sie sich schnell ab und eilten weiter.

»Mach dir nichts draus. Das machen sie bei vielen anderen auch.«

Ihr ist es nicht entgangen.

Traurigkeit.

Verletztheit.

Wut.

Die Mitglieder des Rats behandelten Sera wie eine Abtrünnige, eine Krankheit, der man nicht zu nahe treten durfte. Fürsorglich legte Aria ihr die Hand auf den Unterarm. Sera verdrehte die Augen.

»Ich weiß, warum sie mich so ansehen. Sie sind froh, dass nicht eine von ihren Familien mich aufnehmen musste. Wer möchte schon eine Waise in seinem Haus?«, sagte Sera mit angewiderter Miene.

Verletzt, aber mitfühlend sah ihre große Schwester sie an. »Ich weiß, wie schwer es für dich ist. Sobald ich Herrscherin bin, wird sich alles ändern. Auch für dich.«

Sie hatte bei jedem einzelnen Wort in Arias hellbraune Augen gesehen, dort war kein Platz für Zweifel. Nur Zuversicht.

»Dann glaub ich dir«, murmelte Sera und zog ihre Schwester weiter voran.

Zügig bahnten sie sich den Weg zum Palast. Zwischen den vielen Menschen waren vereinzelt Wächterpaare zu sehen, die patrouillierten.

»Ilian wartet sicher schon auf uns«, verkündete Aria freudestrahlend und beschleunigte ihre Schritte.

Sera sah, wie sich die Wangen ihrer Schwester rosa färbten.

Sie verheimlicht doch etwas.

»Okay, was hast du noch vor?«

Die wildesten Ideen schossen ihr durch den Kopf. Aria hakte sich bei Sera ein. Mit großen Schritten näherten sie sich dem Durchgangstor zum Palast.

»Du weißt doch, dass die Zuteilung noch stattfindet, oder?«

Bittersüß waren die Worte aus dem Mund ihrer Schwester gekommen. Sera gewann diesen höchst förmlichen Anlässen nichts ab. Nur ein einziges Mal würde sie freiwillig den Volkssaal besuchen, und zwar, wenn Anija die Zeremonie hatte.

Sie kamen den Wächterunterkünften immer näher. Majestätisch thronte dahinter der Palast.

Er war so hoch, dass Sera ihren Kopf weit in den Nacken legte, um von hier unten die Spitze zu sehen. Ein Meisterwerk aus Glas, das zig Meter in den Himmel ragte. Durch die Sonne tanzte darauf ein unvergessliches Farbenspiel.

Wunderschön.

Atemberaubend.

Ein Mysterium.

Gemeinsam mit Aria hatte sie vor einigen Jahren den ebenerdigen Bereich des Palasts erkundet, bis Enimer sie nachdrücklich aufgefordert hatte hinauszugehen. Zum Schluss war er es, der sie hinausbegleitet hatte. Damals waren Jano und Aria noch nicht lange zusammen und sein Onkel hatte alle Fremden aus dem Palast verscheucht.

Vorbei an den gigantischen Glastüren, die mit feinstem Mosaik verziert waren, über den riesigen olivgrünen Teppich, der im ganzen Gebilde ausgelegt war, zweimal nach links abbiegen und hin zu der letzten Tür, die zur Palastküche führte.

Je näher sie der Tür kamen, desto intensiver vernahm Sera den Duft des delikaten Essens. Angebratene Zwiebeln, gepaart mit einem scharfen Essiggeruch. Eine honigsüße Note, umspielt von Schokolade. Es war ein Geruchserlebnis, das seinesgleichen suchte.

Vor der Tür angekommen, fielen ihr zum ersten Mal die riesigen Griffe auf. Sie waren dreimal so groß wie normale Klinken, aber alles im Palast war überdimensioniert. Selbst die Blumentöpfe, Skulpturen und Bilder waren eine Zurschaustellung des Reichtums der obersten Familie.

»Findest du nicht auch, dass das alles ein bisschen protzig ist?«

Aria war dabei, nach dem Türgriff zu greifen. Sie hielt mitten in der Bewegung inne.

»Sera …« Sie drehte sich um, Verständnis lag in Arias Blick. »Natürlich finde ich es nicht gut und auch nicht schön. Aber es war schon immer so.«

War ja klar. Wenn es schon immer so war, muss ich es nicht hinterfragen oder ändern.

»Wir kommen aus einfachen Verhältnissen, da ist es nur verständlich, wenn wir das hier alles …«, sie vollführte eine ausladende Bewegung, »… als zu viel empfinden. Das ist ganz normal!«

Aria schenkte ihr ein freundliches Lächeln und wandte sich wieder der Küchentür zu.

Sie sah immer das Beste in den Menschen, weshalb sie jeder sofort ins Herz schloss. Niemals verlor sie ein böses Wort über jemanden oder zog ihn ins Lächerliche.

Aria war die Frau, von der jeder träumte.

Ehefrau.

Freundin.

Tochter und Schwiegertochter.

Dampf und weitere Gerüche überschwemmten Seras Sinne, drangen durch die Schlitze der Tür.

»Valle, mach ein Fenster auf!«, rief Ilian hinter der Tür.

Gemeinsam stemmte sie sich mit Aria gegen die Tür und graue Rauchschwaden schlugen ihnen entgegen. Mit zusammengekniffenen Augen, die Hand vor Mund und Nase gedrückt, betraten sie die Küche.

»Ilian, wie kannst du hier nur arbeiten?«, fragte Sera hustend.

»Der Dampf ist gut für die Poren und so muss ich nicht immer jeden meiner Angestellten sehen«, witzelte der Koch.

Schritte hallten durch die Küche von links nach rechts, mit einem typischen Klacken wurde ein Fenster geöffnet. Langsam zog der dichte Dampf hinaus, legte den Raum frei, er war riesig.

Feinster Stahl.

Bestes Holz.

Filigranstes Porzellan.

»Es ist schön, euch beide endlich mal wieder hier zu haben.«

Fröhlich gelaunt, freudestrahlend, ganz in seinem Element, stand Ilian mit ausgebreiteten Armen auf der anderen Seite des Raumes.

Zunächst liefen sie vorbei an Töpfen und Tellerstapeln, Servierwagen mit frischem Geschirr und Servietten, Hängeregalen, gefüllt mit Schüsseln und kleineren Gefäßen, sowie der Vorratskammer, dann hatten sie ihn erreicht. Er schloss seine Arme um sie.

Ilian war groß, korpulent gebaut, hatte immer ein Lächeln im Gesicht und verteilte großzügig sarkastische Kommentare. Eine wohltuende, beruhigende Wärme breitete sich in Seras Bauch aus. Diese Umarmung hatte sie gebraucht, mehr als sie sich selbst eingestand.

»Schön, dass ihr da seid! Ich habe auch eine Kleinigkeit vorbereitet.«

Der vordere Teil der Küche war für die Zubereitung der Speisen ausgelegt. Dort wurde gekocht, gebacken, neue Kreationen wurden entwickelt, Teller dekoriert und Gerichte drapiert. Der hintere Bereich war für die Küchenbelegschaft vorgesehen. Hier verbrachten sie ihre Pause, waren aber trotzdem anwesend und sofort zur Stelle, wenn Hilfe benötigt wurde.

Seit ihrem ersten Besuch war Ilian der Küchenchef und für alle Speisen verantwortlich, die im Palast serviert wurden.

---ENDE DER LESEPROBE---