Seyfried Schweppermann - Thomas Zenkner - E-Book

Seyfried Schweppermann E-Book

Thomas Zenkner

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Beschreibung

Seyfried Schweppermann alias Seyfried von Hulloch wird in Hillohe bei Lauterhofen 1257 geboren. Da sein Vater früh verstirbt, wächst er unter der Vormundschaft seines Onkels Sieghard, einem Ritterbruder des Deutschen Ordens, auf. Nach dem frühen Tod seiner Mutter wird er durch einen Angriff auf seine Geburtsstätte schon mit knapp dreizehn Jahren in Kampfhandlungen verstrickt und landet kurz darauf als Knappe in der Warberger Burg (Neunburg vorm Wald). Hier erlebt der Leser das Leben in einer mittelalterlichen Grenzburg. Besonders die lebendigen Schilderungen der Festtage und der damals geläufigen Bräuche ziehen in den Bann. Eine diplomatische Mission nach Eger, zum König von Böhmen, oder nach Regensburg, zum gefürchteten Herzog, Ludwig den Gestrengen, sowie der dort miterlebte Brand (1273), bleiben im Gedächtnis eines jeden Lesers. Es folgen weitere Abenteuer beim neuen König in Nürnberg, dem blutigen Angriff der Böhmen auf Warberg, Auseinandersetzungen mit gefährlichen Raubrittern, ein dramatisches Turnier in Regensburg und schließlich die Schwertleite in Wien. Seyfried und seine Gefährten sind Teilnehmer, einer der größten Ritterschlachten des Mittelalters, der Schlacht auf dem Marchfeld (1278). Seyfried überlebt und wird zum Schweppermann ernannt. Ein Amtmann, welcher für Recht und Ordnung sorgt, den Reisenden in Notfällen beispringt, Urkunden bezeugt, Gerichtsvorladungen überbringt oder bei Katastrophen jeder Art hilft. Hier endet das erste Buch. Kriminalisten spricht dieser Roman ebenso an, wie Mittelalter-, Heimat- und Geschichtsfreunde. Die spannend geschilderte Lebensgeschichte dieses Ritters versetzt alle in eine außergewöhnliche Zeit. Straßen, Denkmäler, Brunnen, eine Schule und eine Kaserne sind nach dem bayerischen Ritter benannt. Noch heute finden in Kastl die Schweppermann Spiele im historischen Burghof statt. Die von seiner Familie gestiftete Glocke läutet dazu, wie zu seiner Siegesfeier und Beerdigung vor fast siebenhundert Jahren. Sein Grabstein und seine Ehrentumba befinden sich nahe dem Schrein von Anna, der früh verstorbenen Prinzessin von Kaiser Ludwig dem Bayern. Die Inschrift lautet: "Hier liegt begraben, Seyfried Schweppermann. All sein Tun und Handeln war wohlgetan. Ein Ritter keck und fest, der zu Sündersdorf im Streit sein Bestes gab. Er ist nun tot, dem Gott genot, im Jahr des Herrn 1337".

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Es handelt sich bei diesem Buch um einen historischen Roman, kein Geschichtsbuch. Dennoch versuchte ich, so nah wie möglich die Fiktion in Einklang mit den historischen Tatsachen zu bringen. Eine Art Zeitreise ins 13. und 14. Jahrhundert. Irrtümer des Autors sind nicht auszuschließen. Jede bewiesene Korrektur sei mir willkommen.

Ich bedanke mich bei Wolfgang Braun für seine wunderschönen Burgen Zeichnungen und Bürgermeister Paul Bauer aus Gamelsdorf, welcher mir viele Bücher und Unterlagen sowie einige Bilder zur Verfügung stellte.

Ebenso gilt mein Dank Hans-Peter Ackermann, der mir bei der Verlagssuche half und wertvolle Tipps zum Layout gab, Theo Männer für die zur Verfügung gestellten Dorrer Zeichnungen sowie Karin Kipke für die Layout- und Covergestaltung.

Gleichfalls Dank schulde ich meiner Lektorin Annette Steinmetz, die das Manuskript akribisch mit mir durchlas, Fehler aufspürte und wertvolle Verbesserungsvorschläge machte sowie Regina Graf und Annette Plank für die letzten orthografischen Verbesserungen.

Weiterhin danken möchte ich meinem Vater Otto Zenkner für seine guten Ratschläge und Siegfied Rahner für die erstklassige Coverzeichnung.

Obwohl die Inhalte dieses Buches sorgfältig recherchiert sind, übernehme ich keinerlei Haftung für die Richtigkeit, Aktualität oder Vollständigkeit der Informationen und Bilder.

Wem Band I gefallen hat, dem verspreche ich mit Band II weitere spannende Abenteuer des Schweppermann ´s und eine noch viel größere Lesefreude.

Thomas Zenkner

Inhaltsverzeichnis

Friedrich von Hulloch - Schicksal des Vaters - 1258

Seyfried von Hulloch, genannt der Schweppermann - Kindheit und Jugendjahre - 1257-1270

Sieghard von Hulloch

Schulzeit Seyfrieds in Kastl

Der Überfall

Die Verfolgung

Sulzbach

Der Abschied

Seyfried von Hulloch - Knappe - 1270-1278

Der Faustkampf

Feiertage auf Warberg

Der Besuch

Die Ortenburger Grafenbrüder

Herzog Ludwig der Strenge

Die Befreiungen

Amberg

Gericht

Die überraschende Gefangennahme

Nabburg

Die Gesandtschaft nach Eger

Die Räuberbande

Die Heimkehr

Die wilde Jagd

Der edle Ritter Egbert

Allerhand Neuigkeiten

Regensburg brennt

Verlockungen und Zerstreuung

Auf nach Nürnberg

König Rudolf von Habsburg

Der böhmische Angriff

Ritterfahrt

Die Grafen von Pappenheim

Raubritter

Der Schatz

Das Gottesurteil

Der böhmische Feldzug

Ritter Seyfried von Hulloch - 1278-1280

Die Schlacht auf dem Marchfelde

Prag

Heimkehr

Der besondere Auftrag

Kornburg

Bildnachweis

Friedrich von Hulloch - Schicksal des Vaters - 1258

Vier schwerbewaffnete Reiter traben Anfang Mai 1258 zielstrebig am Flüsschen Trubbach entlang. Es ist die Zeit, in der die Adler die Lüfte am Tage und die Uhus die Nacht beherrschen. Bären, Wölfe und Luchse durch die Mischwälder jagen, Herden an Wildrinder und Elche die verwinkelten Auen und tückischen Sümpfe durchstreifen. Die Natur ist dem Menschen noch keineswegs untertan und die Erdbewohner haben Angst vor den Naturgewalten und den wilden Tieren. In den Wiesen wimmelt es von bunten Schmetterlingen und herumtollenden Hasen, als die kleine Kavalkade diese Idylle stört. Die schon recht warme Sonne bringt die silbernen Rüstungsteile der Gruppe zum Funkeln. Lanzenwimpel wirbeln fröhlich knatternd im Wind. Ihre zerbeulten Helme, zerkratzten Brustpanzer und geflickten Kettenhemden zeigen überall Spuren von geschlagenen Kämpfen. Alles Metallene scheppert laut, bis die Störenfriede an einer kleinen Brücke anhalten. Es sind drei Ritter, welche den Grafen, Hermann von Orlamünde, in diese dünn besiedelte Landschaft begleiten. Die Männer unterhalten sich ungewöhnlich laut, um sich vor der möglichen Gefahr abzulenken. Alle haben ein flaues Magengefühl, denn die Bedrohungen in diesem Krieg lauern überall und nirgends, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ein Friedensgespräch mit ihren Feinden, den Bambergern, soll verabredet werden.

„Nochmals meine Gratulation zu Eurem Sohn, Friedrich von Hulloch. Wie heißt er denn?“, fragt ihn der Graf freundlich.

„Seyfried, werter Herr. Ein Bote überbringt meiner Gemahlin meinen Namenswunsch“, antwortet Friedrich voller Stolz.

„Ein schöner Name. Ich wünsche Euch, dass er ein edler Ritter, vielleicht sogar ein rechter Schweppermann, wie Ihr es seid, wird.“ Der stolze Vater freut sich über die warmen Worte des mächtigen Grafen. Auch die anderen schlachterprobten Ritter, Konrad von Kornburg und Marquard von Gleurast, reichen ihm zur Gratulation die Hand. Die lockere Plauderei endet schon bald, als der Graf über den Friedenswunsch des Bamberger Bischofs sinniert.

„Ich glaube, Berthold von Leiningen ist ein wirklicher Kirchenmann und wünscht den unseligen Streit wegen des Andechs-Meranischen Erbes beizulegen. Trotzdem sichert uns der Nürnberger Burggraf mit seinen besten Streitern ab. Sollte der Bamberger Friedenswunsch nur eine List darstellen, dann erleben diese Schufte ihr blaues Wunder. Die Schäden dieses schon achtjährigen Konfliktes übertreffen längst den Wert dieses unseligen Nachlasses. Es wird Zeit für einen Frieden.“

„Selbst, wenn dieser Krieg friedlich beigelegt wird, werden unsere Feinde weiter lügen, Ränke schmieden oder intrigieren, um an die Erbschaft zu gelangen“, glaubt Marquard von Gleurast zu wissen. Irgendwie beunruhigen sie die Worte. Viel zu lange dauert dieser eigentlich längst geschlichtete Erbfolgekrieg und kostete bereits unzähligen Opfern das Leben.

Die Sonne sticht unangenehm heiß herunter, als endlich aus der Richtung der Burg Regensberg Reiter heran traben. Allesamt tragen glänzende Helme, geschmückt mit Greifen, Drachen und Bärenköpfen, Rossschweifen und Pfauenfedern. Ihre Rüstungen schimmern silbern, darüber flattern ihre bunten Banner und Wimpel.

„Es sind deutlich mehr als die vereinbarten vier Ritter“, merkt Konrad in die grelle Sonne blinzelnd an, blickt nervös um sich und wartet auf eine Reaktion.

„Bleibt besonnen. Wir lassen sie noch etwas herankommen. Ihre Überlegenheit ist unnütz. Nur jeweils zwei Streiter können gleichzeitig über die kleine Brücke gelangen und eine Furt gibt es hier weit und breit nicht. Vertraut mir“, äußert der wenig überzeugende Graf. Der Anblick lässt allen das Blut gefrieren. Es kostet seinen Begleitern eine schier übermenschliche Überwindung, den auf sie zu wälzenden feindlichen Haufen gelassen entgegen zu blicken. Friedrich von Hulloch will seinen mit einem Einhorn geschmückten Helm aufsetzen.

„Unvorsichtigkeit ist der Tod eines jeden Ritters“, rechtfertigt er sich.

„Das kommt überhaupt nicht infrage“, protestiert der Graf und ergänzt erklärend:

„Es mag zwar richtig sein, aber wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen und wollen sie auch nicht zum Angriff reizen. Nehmt den Helm ab“, verbietet der Graf scharf und legt dabei besitzergreifend seine Hand auf Friedrichs Schulter. Plötzlich zügeln die Bamberger ihre Rösser. Nur fünf ihrer Streiter nähern sich. Der Heraldik kundige Konrad kennt die Wappen der Gegner und klärt seine Kameraden auf:

„Rechts reiten die streitsüchtigen Lauffenholzer Brüder, Heinrich, Konrad und Ulrich. Der eine ist brutal, der andere fies und der jüngste beides. Die auch Laufamholz genannten, hausen in der Oberbürg, ihrem ererbten Allodgut. Sie verdingen sich wegen ihrer Verschwendungssucht für Sold. Neben ihnen befinden sich die eher besonnenen Ritter, Herdegen von Gründlach und mein Nachbar, der ruhige Heinrich von Tann.“ Es dauert nicht lange und die Heransprengenden nehmen ihnen gegenüber Aufstellung. Bedenklich langsam heben sie ihre Lanzen und nehmen ihre Topfhelme ab. In ihren Augen steht der blanke Hass. Eine gut spürbare Spannung liegt in der Luft. Nach einer kurzen, distanzierten Begrüßung beginnt Konrad von Lauffenholz, ein grobschlächtiger Kerl mit scharfen, vernarbten Gesichtszügen und einer lockigen Frisur, die Unterhaltung mit einer Beleidigung.

„Gut, dass der Wind uns nicht entgegen bläst. Die Herren haben sich vor uns sicher in die Bruche geschissen!“ Sein ihm sehr ähnelnder, jüngerer Bruder Heinrich, dessen Gesichtszüge seine Kaltschnäuzigkeit erkennen lassen, räuspert sich, um zu Wort zu kommen und fügt gehässig grinsend bei:

„Die stinken schlimmer als die Ziegenböcke zu Hause.“ Gleichgültig über diese Unverschämtheit entgegnet der Graf:

„Ihr unbedeutenden Speichellecker habt Recht. Doch eure Herrn Bischöfe sind vor unserem Gestank geflohen. Warum sonst sind diese Feiglinge in den Himmel oder nach Schlesien davon?“ Herdegen von Gründlach wünscht keinen Konflikt und pfeift seine zänkischen Kameraden scharf zurück:

„Fangt keinen Streit an! Wir versuchen nur die Gründe für dieses Treffen zu erfahren!“

„Ihr habt uns um eine Zusammenkunft gebeten? Leidet Ihr an Gedächtnisschwund?“

„Sehr schmeichelhaft Herr Graf. Nun gut! Wenn Ihr es genau wissen wollt, dann sagen wir Euch, was wir erwarten“, schreit nunmehr provozierend Ulrich, der Jüngste und Frechste der Lauffenholzer.

„Ihr dürft uns am Arsch lecken und unsere Füße küssen, sofern Euch danach verlangt. Außerdem sollt ihr dem Herrgott, damit auch unserem ehrenwerten Herrn Bischof huldigen und ihm sein berechtigtes Erbe überlassen.“ Unverschämter Weise hebt er seinen Hintern eine Handbreit aus dem Sattel und lässt einen lauten Furz fahren, um die Schmähungen zu unterstreichen. Ein geringschätziges Lächeln umspielt den Grafen, als er dennoch kühl antwortet:

„Wir erwidern Eure Albernheiten nicht, Ulrich von Laufamholz. Ihr seid allesamt Verräter. Diese ruhen bei mir stets im Loch oder sechs Fuß tief unter der Erde.“ Die Herablassung mit der er den Namen ausspricht, macht deutlich, was er von dem jungen Ritter hält und löst eine Welle des Gelächters auf Seiten der Burggräflichen aus. Es kommt zu einem erbitterten Streit, in dem alte Rivalitäten, ungeklärte Machtansprüche und gekränkte Ehre, statt Vernunft und Vergebung, die Hauptrolle spielen. Beide Seiten tauschen Schimpfwörter, Flüche und Drohgebärden aller Art aus, welche die geschliffenen Manieren jener Tage, nur zu deutlich offenlegen und wegen ihrer Derbheit besser unerwähnt bleiben.

„Schluss mit dem Unsinn! Meine Freunde, die Lauffenholzer sind bekannte Heißsporne, aber auch unsere anerkannt besten Krieger. Kreuzen wir unsere Waffen oder tauschen wir uns friedlich aus?“, versucht der befehlsgewohnte, Heinrich von Tann das Gespräch in ruhigere Bahnen zu lenken. Der beleidigte Graf von Orlamünde setzt eine nachdenkliche Miene auf:

„Wir sprechen nur mit eurem Feldhauptmann, dem Grafen von Henneberg. Euer neuer Bischof wünscht eine friedliche Lösung zu erreichen. Eigentlich besteht bereits seit acht Jahren ein Vertrag, doch niemand von euch Rebellen beachtet diesen.“ Eisiges Schweigen folgt seiner Provokation. Brüskiert glotzen alle starr vor Schreck. Nur Frösche quaken und ein Bussardschrei Hiäh-Hiäh ist über ihnen zu hören. Klar denken scheint in dieser Situation unmöglich. Die unheilvolle Ruhe währt nur kurz und dann bricht die sprichwörtliche Hölle los. Rasch setzen die Lauffenholzer Brüder die Helme auf und los geht es.

„Gebraucht euren Verstand und dann erst die Schwerter, ihr Narren“, appelliert der Tanner vergeblich an ihre Vernunft.

„Zeit, dem Gegner entgegen zu treten“, ruft Friedrich voller Kampfeslust. Nur jeweils ein Paar kann auf der Brücke kämpfen. Ein wildes Hauen und Stechen beginnt. Es ist ein wüstes Gewühl von stampfenden Hufen auf den Eichenbohlen, einschlagende Waffen auf Schilden, begleitet von Keuchen und Fluchen, dem Gewieher der Rösser und dem Funkenflug von aufschlagendem Stahl. Friedrich von Hulloch streitet mit Konrad von Lauffenholz, während dessen Bruder Ulrich mit Konrad von Kornburg kämpft. Niemand der Wackeren gibt nach. Wegen Platzmangel sind alle Übrigen zu Zuschauern degradiert. Heinrich von Tann missfällt der Streit ganz und gar. Er versucht, die unterlegenen Vermittler zu einer Aufgabe zu bewegen und ruft über das Flüsschen:

„Seht ihr nicht, dass wir euch überlegen sind! Haut ab, solange ihr es noch könnt!“ Der Graf schnalzt mit der Zunge und erwidert mit kaltem Lächeln:

„Abtrünniger! Wovon zum Teufel redet Ihr? Ganz im Ernst, dreht Euch mal um.“ Während das Quartett auf der Brücke sich gegenseitig versucht umzubringen, wird es im dichten Wald gegenüber sprichwörtlich lebendig. Überall stürmen Waffen schwingende Gewappnete auf die Bamberger zu und drohen sie einzukreisen. Fassungslos blicken die Bamberger Starrköpfe um sich.

„Verdammt noch mal, lasst uns verschwinden, bevor sie uns in die Zwickmühle nehmen“, ruft der Tanner und gibt Befehl zum Rückzug. Der Graf von Orlamünde schreit vergnügt hinüber:

„Wolltet ihr uns nicht hereinlegen? Wer hat nun wem eine Falle gestellt?“ In schierer Verzweiflung flüchten alle Bamberger, bis auf die abgebrühten Lauffenholz Brüder. Die vier streitlüsternen Ritter haben in ihrem Kampfesseifer und unter ihren, das Sehfeld stark einschränkenden Helmen, nichts mitbekommen. Unbeeindruckt schlagen sie weiter aufeinander ein. Ihre Schwerter tanzen mit äußerster Inbrunst, sämtliche Schilde sind zerhauen und ihre Helme eingedellt, als es völlig unerwartet fürchterlich kracht. Die hölzerne Brücke zerbirst, bricht unter der enormen Belastung entzwei. Alle sehen es als Gottesurteil an, beenden sofort das Ringen. Jede Partei hilft seinen Streitern aus der unglücklichen Lage. Viele Eiserne sind schon in den Flüssen ertrunken. Niemand wünscht den Wassergeistern zum Opfer zu fallen. Schnell vereinbaren die Männer einen Waffenstillstand. Leicht hätten die berechtigten Erben gewinnen können, denn viele der bischöflichen Ritter nehmen blitzartig Reißaus. Friedrich von Hulloch tätschelt patschnass sein Ross, als er zu dem blauäugigen Grafen enttäuscht frotzelt:

„Hoffnung auf Frieden, sieht für mich anders aus!“ Der Graf sagt bestätigend:

„Da habt Ihr Recht. Doch muss dieses gegenseitige Bauernschlachten ein Ende finden.“ Friedrich achtet nicht auf sein Umfeld, als er seinen Fuß in den Steigbügel setzt. Diesen Moment nutzt der zurückgebliebene Konrad von Lauffenholz. Ohne Rücksicht auf die geschlossene Waffenruhe wirft er tückisch seinen Wurfspeer über das Flüsschen. Friedrich trifft das Geschoss im Rücken. Die Wucht des Aufschlages spürt der Hullocher durch Mark und Bein. Fast wäre er vom Pferd wieder heruntergeschleudert worden. Der Speer bleibt im Kettenhemd stecken, schneidet nur geringfügig ins Fleisch. Er sinkt vornüber und ruft nach seinem Freund, Konrad von Kornburg. Der Gerufene fackelt nicht lange. Über den gebrochenen Waffenstillstand brodelt in ihm unbändige Wut auf. Sein Schwert schwingend sprengt er wie ein hungriger Wolf heran. Konrad überwindet zuerst das Dickicht aus Holunder, Haselsträuchern und Brombeerbüschen, zügelt seinen großen Hengst, um in einer halsbrecherischen Kehre zu drehen und mit einem gewaltigen Sprung, einen mittigen Stein nützend, über den schmalen Fluss zu setzen. Sein Dextrarius kommt unmittelbar auf der anderen Seite schnaubend zum Stehen. Auf beiden Seiten des Gewässers bleibt den Zuschauern das Herz stehen. Niemand hätte ihm eine derartige Meisterleistung der Reitkunst zugetraut und noch viel weniger, dass er es mit den drei wortbrüchigen Brüdern gleichzeitig aufnimmt. Der Kornburger ist trotz seiner etwa dreißig Winter bereits ein Veteran und ein Krieger durch und durch. Er hat schon viele Gefechte erlebt und vor allem überlebt, denn an Narben mangelte es dem stämmigen Niederadeligen nicht. Zorn und Entrüstung führen seine Klinge.

„Schlag nicht so zaghaft zu, Bruderherz!“, fordert einer der Laufamholzer. Wieder sprühen die Funken. Vor allem den hinterhältigen Konrad nimmt sich der Kornburger vor. Einer seiner Hiebe ist so wuchtig, dass der Ritter benommen zurücksinkt und scheppernd aus den Steigbügeln fällt. Die arg Zusammengehauenen verlässt der Wille weiteren Widerstand zu leisten. Ohne an ihren betäubten Bruder zu denken, geben sie den Pferden die Sporen und reiten als wäre der Teufel hinter ihnen her.

„Feiglinge!“, schreit ihnen Konrad übermütig nach und gibt seinem edlen Ross Schenkeldruck, um ihre Flucht ein wenig zu beschleunigen. Rasch entschwinden die Brüder nach der Bamberger Burg Regensberg, wo ihr bischöflicher Gewalthaufen Unterschlupf findet. Konrad eilt zurück, packt den betäubten, namensgleichen Wüstling, fesselt ihm die Hände und wirft ihn, wie eine erlegte Wildsau verschnürt, über dessen zurückgebliebenes Streitross. Auf der gegenüberliegenden Flussseite herrscht tosender Jubel über den heroischen Sieg, während der auf Frieden bedachte Graf die radikale Lösung gleichgültig hinnimmt. Friedrich wünscht, seinem Freund in nichts nachzustehen. Er reißt den Wurfspeer achtlos aus dem Kettenhemd, wirft die Waffe in den Fluss und ruft voller Übermut:

„Niemand kann mir etwas anhaben! Wir, die Hullocher, sind unverwüstlich!“ Der fragile Frieden wird wegen Abwesenheit der Gegner nicht mehr gebrochen. Konrad braucht diesmal lange, um mit seinem Gefangenen die steile und mit viel Gebüsch versehene Uferseite zu wechseln. Dankbar fällt ihm Friedrich um den Hals. Jeder herzt ihn, obwohl überschwängliche Gefühlsausbrüche unter ihresgleichen als Schwäche verpönt sind. Der Held des Tages gibt sich amüsiert:

„Dein Lauffenholzer Freund kann besser beleidigen als mit seinem Schwert umgehen. Er dürfte wohl länger unter Kopfschmerzen leiden und unser Burggraf wird ihm sicher seine Gastfreundschaft im Nürnberger Loch gewähren. Schmerzt es noch?“ Der auf Ansehen bedachte Friedrich verneint schelmisch, da er als harter Hund gelten möchte.

Erst nach einem Tagesritt erreichen sie das burggräfliche Lager. Überall geht es geschäftig und laut zu. Die Zeltgemeinschaften teilen sich auf. Die Einen zerkleinern Holz, die Anderen kümmern sich um die Rösser und wieder andere haben Wachdienst. Ein junger Wundarzt namens Miro sieht sich die Verletzung von Friedrich an. Dabei fragt er diensteifrig lächelnd:

„Habt Ihr denn gar keine Angst vor dem Sterben, werter Herr Ritter?“

„Vor dem uns ständig begleitenden Sensenmann graust mir nicht, eher vor Verstümmelung. Denn ein Krüppel taugt zu gar nichts mehr.“ Dabei stößt Friedrich ein verächtliches Lachen aus und mustert den Helfer hochnäsig.

„Ich erlaube mir gänzlich anderer Meinung zu sein. Der Tod ist grausam endgültig, während das Leben, auch als Krüppel, voller Möglichkeiten bleibt“, antwortet mit einem Achselzucken der Feldscher und begutachtet den Schmiss.

„Ihr habt viel Blut verloren. Die Verletzung konnte sich durch das Wetzen am scheuernden Kettenhemd nicht schließen und die Schramme eitert. Ihr braucht Ruhe, frische Verbände und müsst viel essen und noch mehr trinken, um den Blutverlust wieder wettzumachen und einen gefährlichen Wundbrand zu entgehen.“

„Richtet Eure Ratschläge dem Teufel aus“, erwidert der ungeduldige Patient patzig und stolziert nach dem erteilten Blutsegen aus dem Zelt. Keiner der gutgemeinten Ratschläge findet bei ihm Beachtung. Der kopfschüttelnde Feldscher Miro sieht dem beratungsresistenten Pflegling lange hinterher.

Ein erschöpfter Herold des feindlichen Bischofs trifft am folgenden Tag ein. Dessen Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Konrad von Kornburg unterrichtet seinen Freund Friedrich hoffnungsfroh:

„Aus Gewinnsucht wurde unser Friedenstreffen von den besoldeten Bamberger Rittern hintertrieben. Der darüber bestürzte Bischof entschuldigt sich und bittet um eine erneute Zusammenkunft. Diesmal sollen ausschließlich gelehrte Diplomaten verhandeln. Unser verehrter Burggraf sucht Freiwillige, welche einen geeigneten Treffpunkt erkunden.“ Friedrich meldet sich sofort und führt das Auskundschaften an. Bereits während des Ritts fällt Friedrich öfter aus dem Sattel. Gleich nach seiner Rückkehr stellt man lebensbedrohliches Wundfieber fest. Der besorgte Burggraf lässt seinen braven Vasallen in das Klosterspital nach Onolzbach, dem heutigen Ansbach bringen. Hier sind seines Erachtens die besten Heiler zu finden. Wird Friedrich von Hulloch wieder genesen?

Seyfried von Hulloch, genannt der Schweppermann - Kindheit und Jugendjahre - 1257-1270

Ein halbes Jahr vor der Verwundung Friedrichs hört man aus seiner Burg Hulloch markerschütterndes Wehklagen. Adelheid krümmt sich, sie liegt in den Wehen. Ihre schrillen Schmerzensschreie vernehmen die besorgten Hörigen im Hof. Wieder durchfährt sie ein Schmerz, als würde sich ihr Kind den Weg aus dem Bauch herausschneiden wollen. Mütter sehen sich dabei mitfühlend an, während sich die Männer bedrückt zurückziehen. Adelheid brüllt, keucht und jammert, aber das Kind zeigt sich nicht. Ihre Glieder zittern unter den stoßweise auftretenden Wehen.

„Pressen, pressen, presst stärker, das Köpfchen kommt!“, ermutigt eine helfende Magd. Die Gebärende schreit gellend vor Pein. Dicke Schweißtropfen perlen von ihrer Stirn.

„Weiter, nicht nachlassen, drücken! Stärker, stärker Pressen! Schreit, wenn es Euch hilft!“ Sie krümmt sich und brüllt bis die Wehe abebbte:

„Mein Kind will raus!“

„Euer Sprössling hat es eilig, scheint mir. Es wird ein starker Bub werden.“ Die werdende Mutter kann sich ein Lächeln trotz ihrer Schmerzen nicht verkneifen. Mit kundigen Händen betastet die Hilfshebamme den hochgewölbten Leib.

„Es kommt, es kommt!“ Eine neue Schmerzwelle erfasst Adelheid. Endlich ist es soweit! Das lange erwartete Kind erblickt an einem kalten, wolkenverhangenen Dezembermorgen 1257 das Licht der Welt. Mit einem kräftigen Schrei verkündet der Säugling seine Ankunft. Die mehrfache Mutter ist durch die Anstrengung leichenblass und verschwitzt. Die angespannten Mienen hellen sich auf.

„Es ist ein kleiner, arg kleiner Junge, aber seine Stimme und sein Temperament ähneln einem jungen Wolf.“ Sanft legt die Geburtshelferin das Kind auf die Brust der Mutter. Überglücklich schließt Adelheid den laut schreienden, strampelnden Buben zum ersten Mal in die Arme und wiegt ihr Kind liebevoll. Niemand ahnt, was der neugeborene Schreihals im Bayernland noch bewirken wird. Burgkaplan Baptist nimmt den kleinen Wurm mit runzeligem Gesicht in seine Hände und hält ihn stolz hoch.

„Ein Junge, ein Stammhalter! Wie soll er heißen?“ fragt der Kaplan bestimmend und legt ihn der Mutter wieder an die Brust, welche ihn krampfhaft festhält.

„Ich warte mit der Namensgebung und der Taufe auf meinen Gemahl. Friedrich dürfte bald heimkehren.“

Da die Kindersterblichkeit zu jener Zeit sehr hoch ist, scheint es eine ungewöhnliche, sehr riskante Vorgehensweise. Das weiß die besorgte Mutter. Sie hatte einst einen Sohn innerhalb von ein paar Tagen nach der Geburt verloren.

Dem Burgkaplan fällt über dieses suspekte Ansinnen die Kinnlade herunter und er protestiert gehörig.

„Euer törichtes Handeln ist selbstsüchtig. Nicht getaufte Kinder kommen in die Hölle“, empört er sich.

„Warum schmort ein nicht getauftes Kind in der Hölle, nur weil es zufällig vor dem Sakrament gestorben ist? Christus liebte die Kinder. Er selbst empfing die Taufe erst als Erwachsener.“ Adelheid hält einen Augenblick inne, um ihre Worte wirken zu lassen.

„Es liegt in meiner Verantwortung und ich dulde keinen Widerspruch“, kontert Adelheid, deren Gefühle sich in einem Zwiespalt befinden. Sie wirft den hochnäsigen Geistlichen dennoch resolut aus ihrer Kemenate. Klein beigebend macht er eine entschuldigende Verbeugung und zieht sich in scheinbarer Gottergebenheit zurück.

„Frauen sind ein Fluch auf dieser Welt“, brummt der gedemütigte Baptist und trampelt über die Zugbrücke hinüber zum Torturm. Adelheid besitzt in seinen Augen ein störrisches, ja geradezu ein dickköpfiges Wesen, welches ihn stets zur Weißglut treibt. Dieses Ausmaß an Eigensinn hat er allerdings noch nie erlebt.

Am nächsten Tag lässt die Burgherrin eine Amme aus dem nahen Lauterhofen herbeiholen. Sie soll den Jungen stillen oder bei Abwesenheit der Mutter betreuen. Ein üblicher Brauch bei Edelleuten. Die Absicht ist, dass hochgeborene Frauen sich schneller erholen und weitere, wichtige Erben gebären. Zudem glaubt man, die Attraktivität der Gebärenden bleibt dadurch erhalten. Eine barbusige, langhaarige, blonde Hörige, namens Anna, erscheint. Die etwa fünfundzwanzigjährige, dennoch viel älter ausschauende Frau, hat bereits vier Mädchen und erst vor wenigen Monaten einen Sohn zur Welt gebracht. Drei der Fräulein sind den üblichen Kinderkrankheiten zum Opfer gefallen. Ihr fast doppelt so alter Mann, der Holzhauer Berthold, hatte einen schweren Arbeitsunfall und verlor dabei beide Beine. Anna sorgt daher für den Unterhalt der Familie. Bisher machte sie sich bei den Hullochern als Kräuterweiberl oder Aushilfsköchin nützlich. Anna wird als fleißige Magd überall in der Umgebung geschätzt. Des Weiteren geht sie ihren Nachbarn bei Erntearbeiten zur Hand. Meist erhält sie nur kargen Lohn, überwiegend Essbares und für ihren Haushalt brauchbare Dinge. Mehr schlecht als recht steht es also um die Familie Schweinacher. Adelheid weiß vom Schicksal der Selbigen. Sie bietet diesen vom Unglück heimgesuchten Hörigen, während der bis zu dreijährigen Stillzeit eine kostenfreie Unterkunft und Nahrung an. Die hübsche Adelheid ist eine fromme, gutmütige Burgherrin, welche Verständnis für die Nöte und Anliegen ihrer Untertanen zeigt. Kaplan Baptist kümmert sich besonders um den mit seinem Schicksal hadernden Berthold.

Die Vasallen der umsichtigen Hullocher hatten kein leichtes Leben. Die hügelige, steinige und mit dichtem Laubgehölz bewaldete Gegend macht die Urbarmachung sehr kraftraubend. In den Stallungen der Burg Hulloch, dem heutigen Hillohe, stehen zwei wertvolle Ochsen und ein Arbeitsross für diese schweren Aufgaben zur Verfügung.

Das beim Kreuzstein gelegene kleine Bollwerk schützt die einst wichtigen Verkehrsverbindungen nach dem karolingischen Königshof Lauterhofen oder in die andere

Abbildung 1 Motte Steinberg bei Kronach ähnlich Hulloch

Richtung nach Neumarkt. Die verwahrloste Verteidigungsanlage besteht aus einem wuchtigen Wohnturm, umringt von einer hohen Mauer mit Wehrgang, sowie einem überdachten Torturm. Die Vorburg hat einen Erdwall und ein breiter vorgelagerter Wassergraben gibt zusätzlichen Schutz. Auf dem ovalen Wall steht eine halb vermoderte, hölzerne Palisade. Diese hat keinen militärischen Nutzen. Nur Raubtieren oder zwielichtigen Durchreisenden ist sie ein Hindernis. In der Vorburg sind kleine strohgedeckte Gebäude und Stallungen. Hier leben das Gesinde und die Reisigen, sowie die Nutztiere. Mit der Familie des Berthold finden etwa drei Dutzend Menschen eine Heimstatt. Die meisten Streiter sind mit dem Burgherrn ausgerückt. Die militärisch veraltete Verteidigungsanlage, auch Motte genannt, ist über vierhundert Jahre alt.

Der Wohnturm ist von Adelheid ein wenig gemütlicher eingerichtet. Wandbehang, Strohblumen und andere, wenig übliche Dekoration in einem Bergfried, zeigen das Werk der Burgherrin. Dennoch sind, wie es sich für eine Ritterburg gehört, überall Jagdtrophäen und zur Verteidigung Waffen an den Wänden. Der Boden ist mit Stroh und Kräutern bedeckt. Zwei Kamine heizen den Wohnturm auf. Der eine ist im flächenmäßig größten Raum im Bergfried, dem Rittersaal. Der düstere Dürnitz wird als großer Gemeinschafts- und Speiseraum genützt. Die zweite Feuerstelle befindet sich in der Küche und dient zum Kochen oder zur Wasseraufbereitung für die Bäder oder für nötige Waschvorgänge der Bekleidung. Beides findet im riesigen Zuber in der warmen Küche statt. Zugang zum Wohnturm kann man nur über eine luftige, durch Eisenketten einziehbare Brücke vom Torturm aus, bekommen. Wenige, hoch über dem Boden befindliche Fenster spenden natürliches Licht in dem überwiegend dunklen, verrauchten Innenraum des Wohnturmes. Die kleinen Öffnungen haben einfache Holzläden und fast durchsichtige Tierhaut zum Schutz vor Kälte und Niederschlag, denn Glas können sich Niederadelige nicht leisten. Das Dach des Wohnturmes ist in einem schlechten Zustand. Durch die Verlotterung ist Wasser eingedrungen und der Dachstuhl morsch. Erst seit dem Verlassen der nahen Thierensteiner Burg wird Hulloch wieder bewohnt, denn Burgenbau ist eine kostspielige und sehr zeitaufwendige Angelegenheit. Die Menschen gehen ihren üblichen Arbeiten nach. Sie sind mit ihrem Leben zufrieden. Eine Hungersnot gab es seit langem nicht mehr und den durch den verringerten Edelmetallgehalt furchtbaren Teuerungen wurde Einhalt geboten.

Abbildung 2 Burg Thierenstein - heute Dietrichstein

Der eher milde Winter und das früh herein gebrochene Frühjahr, vergehen schnell. Obwohl sie unterschiedlichen Standes sind, werden Magd Anna und Burgherrin Adelheid durch viele gemeinsame Aufgaben gute Freundinnen. Hingebungsvoll kümmern sie sich um ihre Kinder, die Vasallen und Leibeigenen.

Im verregneten April bringt ein Bote gute Nachricht, dass Friedrich bald heimkehre und sich über die Geburt seines Sohnes, den er Seyfried nennen möchte, sehr freue. Fünf Wochen später verkündet derselbe Dienstmann des Burggrafen schreckliche Neuigkeiten:

„Lehnsherr und Ritter Friedrich von Hulloch wurde bei einem Gefecht verwundet. Euer tapferer Gatte ist vor zwei Tagen seiner Verletzung erlegen.“ Alle am Tisch bekreuzigen sich. Bleierne Stille folgt der Schreckensnachricht. Die an einem Handstickrahmen arbeitende Adelheid bricht bei dieser traurigen Botschaft zusammen. Die Menschen sind schwer betroffen. Friedrich war ein gerechter Herr. Er sorgte verantwortungsvoll als Berufskrieger und mit der Bewirtschaftung seiner kleinen Landgüter für seine Familie und das Gesinde. Zukunftssorgen machen sich breit. Niemand weiß, wie es weitergeht. Friedrichs jüngerer Bruder Ulrich dient dem Regensburger Bischof als Ritter und dem Herzog als Schweppermann. Dessen älterer Bruder Gottfried ist ein Mönch im Kloster zu Ensdorf. Er arbeitet als angesehener Schreiber im Skriptorium. Beide sind unabkömmlich. Adelheid hat weitere Söhne, den dreijährigen, ältesten, ewig kränkelnden Heinrich, den zweijährigen, etwas zurück gebliebenen Otto und Seyfried, gerade ein halbes Jahr alt. Die beiden fünf und siebenjährigen Schwestern zählen in der Erbfrage zu jener Zeit gar nicht. Aus der ersten Ehe mit der im Kindbett verstorbenen Gemahlin Sieglinde entstammen Conrad und Ulrich. Die Brüder sind nach dem Tode ihrer Mutter als Pagen in die Fremde gezogen. Durch Familienzwistigkeiten ist der Kontakt zu ihnen abgebrochen.

Es ist ein Lehen, welches sie im Namen des Sulzbacher Grafen Hirschberg-Gröglinger bewirtschaften. Dieses kann nun jederzeit an einen anderen verdienten Adeligen vergeben werden. Der Nürnberger Burggraf lässt der Witwe ausrichten, dass er mit dem Herzog über die Bestallung des Gutes gesprochen hat. Er mache sich bereits für die Familieninteressen stark. Ihr Stiefbruder, der fast fünfzigjährige Ordensritter Sieghard, könne das Gut pro forma leiten, bis einer der Jungen von Friedrich das kleine Lehen übernehmen kann. Das sei man dem tapferen Recken und seinem Geschlechte schuldig. Friedrich findet in einer Gruft im Ansbacher Stift seine letzte Ruhe. Die trauernde Witwe besucht die Grablege ihres Gatten und kehrt Anfang September in ihr festes Haus zurück.

Sieghard von Hulloch

Mittlerweile ist der Stiefbruder von Adelheid in Hulloch eingetroffen. Sieghard ist ein deutscher Ordensritter, den Ordensregeln entsprechend unverheiratet und kinderlos. Er ist ein groß gewachsener, hagerer, muskulöser, aber ergrauter Mann. Der Mönchsritter ist rasiert und hat das Kopfhaar in der Mitte geschert. Eine zu dieser Zeit bei allen Mönchen und den meisten Deutschrittern übliche Tonsur. Seine harten Gesichtszüge zeigen überdeutlich sein asketisches Leben. Er trägt ein einfaches Kettenhemd und darüber seinen Ordensmantel, dessen schwarzes Kreuz ihn erhaben wirken lässt. Der Hochmeister persönlich hat den Ritterbruder und zwei als Begleitung fungierende Halbbrüder, so genannte Sarjanten, beurlaubt und mit diesen hierhergeschickt. Sarjanten oder auch Sarjantbrüder sind nichtadlige und etwas geringer bewaffnete, aber bestens ausgebildete Streiter des Ordens. Auch sie unterliegen den strengen Ordensregeln, darunter dem Zölibat. Der deutsche Orden ist auf den bayerischen Herzog und dessen Wohlwollen genauso angewiesen wie auf den Nürnberger Burggrafen. Die Bitte konnte der Hochmeister also keinesfalls ablehnen.

Kaum eingetroffen kümmert Sieghard sich um die Belange des Lehens. Er hilft und leitet die Erntearbeit der Obst- und Gemüsegärten, der Äcker und vor allem der zahlreichen Teiche. Außerdem lässt er Rodungen vornehmen. Er sorgt damit für das nötige Brennholz im Winter und der möglichen Erweiterung des Ackerbaus im kommenden Jahr. Der Ordensritter legt selbst fleißig Hand an und gewinnt mit seiner umgänglichen, nur wenig strengen Art die Herzen der Menschen. Adelheid hat ihren Stiefbruder über zehn Jahre nicht mehr gesehen. Trotz ihrer Trauer ist sie erfreut ihn begrüßen zu können. Sie hat ein gutes Gefühl und wünscht Seyfried unter seiner Obhut aufwachsen zu lassen.

Abbildung 3 Ritterbrüder und Sarjanten des Deutschen Ordens im Angriff

Die Taufe findet in der vom mächtigen Sulzbacher Grafen Berengar erbauten St. Michael Kirche in Lauterhofen statt. Die umliegende Bevölkerung erscheint zu diesem Ereignis. Im vorderen Bereich der Kirche stehen die befreundeten Edelleute. Die Zeremonie in der Wehrkirche beginnt mit lautem, weithin hörbarem Glockenläuten, welches aus dem breiten Kirchturm erschallt und die schreienden Dohlen aufschreckt. Eine Prise Salz wird dem Täufling in den Mund gelegt, mit Katechumenöl das Köpfchen gesalbt und das Taufwasser geweiht, in das man Seyfried dreimal kreuzförmig taucht. Die Messe zelebriert der Eichstätter Bischof Heinrich, eine besondere Ehre für den kleinen Ort und die Familie der Hullocher. Der alte Bischof ist gesundheitlich angeschlagen. Daher hilft ihm beim Taufakt der reiche, sehr dicke Abt von Ensdorf Konrad Heroldus. Er ist wegen der Krankheit seines Namensvetters aus Adertshausen auch von Kastl der Klostervorsteher und damit einer der mächtigsten Männer im Nordgau.

„Ist er nicht ein Prachtbursche“, ruft der stolze Taufpate Sieghard und hält den stämmigen Winzling in die Höhe. Das Kleinkind schaut ihn mit leuchtend großen Augen an, lächelt und freut sich über seine Zuwendung. Neben einer uralten Dorflinde findet wegen der Trauer um Friedrich ein eher ruhiges Fest statt. Der Eichstätter Bischof lässt sich danach eine Quelle in der Nähe des Dorfes zeigen. Er erfrischt sich und weiht ein hier aufgestelltes eisernes Kreuz. Das Quellwasser habe heilende Wirkung, erzählen die Dörfler und schenken ihm ein damit gefülltes Fass. Auch ihre Spezialität, die geräucherten oder eingesalzenen Forellen, nimmt er als Dankesgabe gerne an. Früh am Abend verlässt er in seiner mit Heiligenfiguren geschmückten, gut gepolsterten und mit samtenen Wollteppichen umschlossenen Sänfte Lauterhofen. Nur der Abt und der Bruder Friedrichs, der Mönch Gottfried, übernachten in der heruntergekommenen Hullocher Burg. Schnell freunden sich die Gäste mit Sieghard, mit dessen Stiefschwester Adelheid und mit dem Burgkaplan Baptist an. Vor allem die brutale Eifersuchtstat des bayerischen Herzogs Ludwig, der nach dieser Untat auch „der Strenge“ genannt wird, beschäftigt, obwohl über zwei Jahre her, die Gäste. Eifrig diskutiert man über dieses Verbrechen.

„Unser Ludwig heiratete Maria von Brabant in Landshut und ließ sie zu Unrecht nach nur eineinhalb Jahre Ehe in der Burg Mangoldstein hinrichten. Er tötete mit eigener Hand den Überbringer des missverständlichen Briefes und ritt mitten in einer Winternacht zum Aufenthaltsort seiner vermeintlichen Ehebrecherin. Seine falschen Ratgeber hetzten den Herzog unterwegs weiter auf. Das nächste Opfer war eine Anstandsdame, welche ihn mit einer Kerze zu seiner Gemahlin bringen wollte. Die zweite Gesellschafterin der Herzogin war Augenzeuge des Mordes. Ludwig trieb sie mit blutigem Schwert ängstigend vor sich her und zum Sprung aus einem Fenster. Sie starb beim Aufschlag im Burghof. Der Bruder des Feldhauptmannes von Pappenheim eilte den bedrängten Frauen zur Hilfe und verlor ebenfalls seinen Kopf. Die Verwechslung einer doppeldeutigen Nachricht an einen befreundeten Ritter der Herzogin, waren der Auslöser für die blutige Katastrophe.“ Nur das Knistern der Scheite im Kamin ist zu hören. Die vom Abt vorgetragenen Fakten sind allen bekannt. Sieghard bricht das Schweigen und zieht die Eifersuchtstat im Affekt in Zweifel, argwöhnt offen:

„Ich vermute eher einen Streit zwischen der engeren Verwandtschaft von Maria mit Ludwig als den eigentlichen Hintergrund für diese Bluttat.“ Adelheid schüttelt den Kopf.

„Man sagt, unser Herzog ist wahnsinnig, grausam und unberechenbar, ein wahres Ungeheuer. Ich glaube, dass unser sehr kleiner Herzog es einfach allen Mal richtig zeigen wollte und im bösartigen Jähzorn die Morde vollbrachte.“ Abt Heroldus lässt die Burgherrin nicht ausreden, geht schroff dazwischen und spricht im Ton wachsamer Höflichkeit:

„Ich weiß mehr als Ihr ahnen mögt. Ich bin ein Freund des Amtskollegen Friedrich, in dessen Kloster heilig Kreuz in Werd die enthauptete, etwa dreißigjährige Herzogin, Maria von Brabant, in einer Gruft beigesetzt ruht. Friedrich war ein Augenzeuge, wie auch der geistliche Beistand der Herzogin. Von ihm wurde ich bestens informiert und deshalb glaube ich an keinen Vorwand für diese Verbrechen. Ich bin fest überzeugt, dass die Eifersucht, schlechte Ratgeber und die Bildung der Herzogin an diesen Untaten Schuld tragen. Zudem dürfte mit einer vom Papst geforderten Stiftung des Herzogs, eines Klosters in Fürstenfeld, alles endgültig gesühnt sein.“

Diese Meinung teilen seine Gastgeber mitnichten. Sie äußern ihre Bedenken vorsichtig, da der einflussreiche Kleriker mit ausgedehnten Gütern im Osten ihres Lehens ausgestattet ist, darunter die große Klosterburg Kastl. Außerdem weiß jeder, dass seine Münzsäckel genauso voll und drall gefüllt sind, wie wohlbeleibt er ist. Der Sulzbacher Graf und der Eichstätter Bischof sind Schuldner des als äußerst gierig wie geizig geltenden Ensdorfer Abtes mit Einfluss auf den hohen Klerus und Hochadels.

„Kann man Mord und Totschlag mit einer Klosterstiftung sühnen. Ist das Gottes Gerechtigkeit? Muss man sich da wundern, dass das Volk jeden Respekt vor Amt, Würden und vor allem den Glauben verliert?“, fragt Sieghard kühn in die Runde. Adelheid versteht den Zusammenhang zwischen der Bildung der Herzogin mit ihrem tragischen Ende keinesfalls und fragt den Abt offen danach.

„Frauen müssen nicht lesen und schreiben können. Sie würden nur unzüchtige Briefe abfassen oder beantworten. Die haarsträubenden Konsequenzen kann man hier ersehen.“ Die Gastgeberin gähnt laut und zeigt deutlich ihren Widerwillen. Auch die Männer schütteln den Kopf über diese Vorurteile. Heroldus gibt den Gegenargumenten nur zögerlich nach. Er lenkt mit Fragen wie:

„Warum sehnen sich Menschen nach Liebe und bringen Leid und Tod? Woher kommen Furcht, Liebesunfähigkeit und Todesneigung, die Eifersucht, Gewalt und Mordlust hervorrufen?“, ins Philosophische ab und sein Hinweis, dass Gottes Wege unergründlich seien, sorgt auch nicht wirklich für Klärung. Ein Streit wird dennoch vermieden. Die Jagd und die Fischzucht sind weitere Themen, welche die gemütlich beieinandersitzenden Menschen beschäftigt. Bevor sich der Abt zur Ruhe begibt, bittet er um Seyfrieds geistliche Laufbahn.

„Ich möchte den Jungen, sobald er sieben Jahre alt ist, im Kloster unterrichten lassen und einen tüchtigen Cellerar, Prior oder sogar einen Abt aus ihm machen. Bei uns macht man Karriere, welche ansonsten undenkbar sind. Harte körperliche Arbeit und Kontemplation, Askese und Abgeschiedenheit prägen allerdings unseren Alltag und unsere Regeln sind streng, vor allem während des Noviziats.“ Während der Stiefbruder Sieghard, der Burgkaplan Baptist und auch der Onkel Gottfried mit den aufgezeigten Zukunftsplänen sofort einverstanden sind, lehnt die Mutter ab.

„Ich wünsche mir für meinen Seyfried eine Ritterlaufbahn. Vielleicht wird er ein Schweppermann wie sein Vater. Eine kurze Zeit um den Glauben, das Schreiben, das Lateinische, Rhetorik und Arithmetik zu lernen, kann er freilich ins Kloster nach Ensdorf oder besser ins nahe Kastl geschickt werden. Ich erhoffe mir, einen tüchtigen Nachfolger für das Lehen zu bekommen.“ Die drei Geistlichen ziehen sich enttäuscht über die Abweisung stumm zurück. Adelheid und Sieghard geraten in Streit. Der vor Wut schäumende Ritterbruder sieht das Angebot des Abtes für seinen Paten höherwertiger als den beschwerlichen, kostspieligen und vor allem, wie sich auch zeigte, sehr gefährlichen Weg seines Schwagers.

„Das Ritterdasein wird immer schwieriger. Sommer für Sommer ziehen sie ins Gefecht, nach dem immer gleichen Rhythmus von Gier und Vergeltung. Sorgen über Sorgen plagen sie, schlimmer als einen Bauern. Der Ritterstand verarmt. Wer will sich das noch antun?“ Sieghards Argumente dringen bei Adelheid nicht durch. Die Witwe fordert, dem vermeintlichen Willen ihres geliebten Mannes zu folgen und verharrt in ihrer Meinung. Zornig begibt sich der Ritterbruder zur Ruhe.

Seyfried wächst gemeinsam mit seinen Geschwistern und den Kindern der Amme, dem nur ein halbes Jahr älteren, jedoch deutlich größeren Heinrich und dessen zwei Jahre älteren Schwester Gudrun auf. Ihre ausgelassene Kindheit ist durch Fang, Tanz, Versteck-, Rollen- und Ballspiele geprägt. Sie haben einen Jagdhund Welpen namens Lux und einen etwas in die Jahre gekommen Schafsbock namens Rudi als Spielkameraden gefunden. Viele lustige Abenteuer erleben die Freunde in und im Umfeld der heimatlichen Burg. Abends erzählt man sich am Kamin viele Märchen, Sagen und Legenden. Die Kinder sind stets die aufmerksamsten Zuhörer. Mit fünf Jahren nimmt ihn sein Vormund Sieghard zum ersten Mal mit zum Fischen. Schnell entwickelt der Junge eine neue Leidenschaft. Seyfried lernt es, nur mit den Händen Forellen in den nahen Bächen zu fangen. Der Junge steht an einer seichten Stelle, ruhig wie stilles Wasser. Es nähern sich mehrere Fische, schwimmen um ihn herum, picken an seinen Füßen. Blitzschnell wie ein Hecht packt Seyfried zu und wirft die größte Forelle aus dem Schwarm ans Ufer. Sein Geschick, die glitschigen Fische aus dem Bachlauf zu holen, ist außergewöhnlich.

Die Fallenjagd und den Umgang mit einem kleinen Bogen, sowie einer Zwistel eignet er sich ein halbes Jahr später an. All diese Eigenschaften zeigt er seinen Freunden in Unkenntnis der Tatsache, dass Nichtadelige gar nicht jagen dürfen. Mit der Genehmigung der Herrschaft ist ihnen ausschließlich während Notzeiten die Jagd auf Niederwild mit Fallen und das Fischen auf Friedfisch gestattet. Die begeisterte Gudrun lernt sehr schnell, wie der Hecht mit dem Speer, die Schnepfe mit dem Wurfnetz, Wasser und Waldvögel im Fluge geschossen werden. Sie entwickelt dafür heimlich eine Leidenschaft. Gerade mit ihrer Steinschleuder ist das Mädchen außergewöhnlich treffsicher. Anfangs Fliegen und Mäuse, später Kaninchen und Hasen bereuen ihr Geschick sehr. Ihre Beute schenkt sie vertrauenswürdigen Armen. Diese müssen ihr aber vorher ihre Verschwiegenheit versichern. Wilderei ist ein Verbrechen und wird schwer bestraft.

Mit sechs Jahren erlernt Seyfried auf einem Fohlen das Reiten, das Klettern in Felswänden und in den nahen Teichen das Schwimmen. Auch die notwendige Versorgung der für den kleinen Jungen riesigen Rösser wird ihm vom Pferdehirten gezeigt und bald erwartet. Der Rossknecht Klef erklärt augenzwinkernd:

„Nimm dich vor Sieghards Blitz in Acht. Solange das gut durchtrainierte Schlachtross im Stall steht ist es lammfromm, aber wehe, der Rappe hört Kampfgeschrei oder das Aufeinanderschlagen von Eisen, dann verwandelt er sich in einen fürchterlichen Lindwurm. Deshalb kümmert sich nur der Ritterbruder um sein Riesenvieh. Sieghards sündhaft teurer Dextrarius kann schließlich für euren Onkel zu einem kampfentscheidenden oder lebensrettenden Faktor werden.“ Wild rollt der schwarze Hengst mit den Augen als er seine Nüstern bläht, laut wiehert, seine Muskeln an den Flanken zittern und mit den Hinterhufen bearbeitet Blitz die Holzbalken seines Verschlages. Es ist, als hätte das Untier jedes Wort verstanden. Seyfried bekommt Gänsehaut vor Ehrfurcht. Sieghard ist begeistert über Seyfrieds schnelle Auffassungsgabe, seinen Fleiß und seine Intelligenz. Die Geschwister und die Kinder der Amme unterrichtet man gleichfalls, was ihnen dieselben Fähigkeiten beschert. In ihrer Freizeit wirbeln die Kinder durch die Scheunen, den Burghof und in der näheren Umgebung herum. Sie üben mit Stecken den Schwertkampf, rodeln im Winter den Hügel hinab oder gleiten auf Kufen über die zugefrorenen Teiche. Sie schreien, lachen und weinen manchmal. Wenn sie sich unbeobachtet glauben, dann spielen sie Helden, Ungetüme oder andere Sagengestalten nach. Häufig endet die Geschichte anders als an den Kaminabenden erzählt. Die Natur ist ihr Abenteuerspielplatz. Die Rasselbande verdrückt sich lieber in den Wald und auf die von Bächen durchzogenen Wiesen, als bei der Feldarbeit zu helfen. Sie fangen Fische, Krebse, Frösche, Salamander und Eidechsen. Ermahnt lässt der kleine kecke Seyfried stets den gutmütigen Onkel wissen:

„Der Ackerbau ist eine Arbeit für Mägde und Knechte, nichts für eine angehende Ritterschaft.“ Sieghard nimmt es brummelnd hin.

Der erste Schnee fällt in geisterhafter Stille, deckt alles unter seinem weißen, eisig kalten Mantel zu. Sieghards Schritte klingen daher gedämpft, unwirklich, als er mit seinen Schützlingen nach draußen tritt. Sie bauen gemeinsam eine riesige Schneeburg, mit allem Drum und Dran. Türme, Tore, Unterkünfte, Stallungen, Handwerksgebäude, Herrenhaus und Bergfried entstehen über den Tag hinweg. Der Ritterbruder erklärt ihnen dabei sowohl den Sinn und die Funktionsweise aller Gebäude und Einrichtungen, als auch die Wehrhaftigkeit einer üblichen Verteidigungsanlage. Jeden Tag bauen sie daran und lernen, bis ihnen der Regen ihren geliebten Spielplatz nimmt. Traurig nehmen sie das Ende ihrer Schneeburg zur Kenntnis.

Sieghard überrascht die Kinder an Weihnachten mit einem besonderen Geschenk. Vier ausgewachsene Männer tragen eine große hölzerne Burganlage in den Saal. Diese besitzt zwei voll funktionsfähige Zugbrücken, Tore und Fenster, welche sich öffnen lassen und sogar tönerne Spielfiguren dazu. Der Palas und der Bergfried sind an der Seite zu öffnen, so dass sie auch in den spärlich möblierten Räumen spielen können. Die Kinderaugen leuchten vor Freude.

Schulzeit Seyfrieds in Kastl

Mit sieben Jahren lässt ihn der Abt Heroldus ins nahe Kloster nach Kastl holen. Dort ist eine Schule für überwiegend Adelige, Geistliche oder reiche Kaufleute untergebracht. Die Klosterschule dient vorrangig den Interessen der Kirche, indem sie die Jungen auf eine geistliche Laufbahn vorbereitet. Laien, wie Seyfried, unterrichtet man eher schlecht als recht. Im Kloster ist alles streng geregelt. Jede Abweichung wird sogleich geahndet und meist hart bestraft. Die stete Litanei an Psalmen, Lesungen aus der Heiligen Schrift, Fürbitten und Tagesgebete ermüden Seyfried. Ihn plagt zudem sehr starkes Heimweh. Außerdem hänselt man ihn wegen seiner Kleinwüchsigkeit und seiner abgetragenen, häufig geflickten Kleidung. Er verschafft sich durch seine Fäuste Respekt und bläut seinen größeren Schulkameraden ein, besser einen Hullocher zu respektieren. Durch die räumliche Nähe bekommt er fast an jedem Sonntag Besuch. Seine Freunde, seine Mutter, seine Geschwister und Sieghard schenken ihm Naschereien oder kleine hölzerne Spielsachen. Seine größte Freude ist es, wenn der Jagdhund Lux sie begleitet. Zum Missfallen der Mönche, denn das Gebell stört die klösterliche Stille. Wenn es das Wetter zulässt, macht die Gruppe mit Seyfried kleinere Ausflüge. Dabei erfahren sie vieles über das karge Klosterleben und die Härten des Schuldaseins. Während die Novizen den Namen eines Heiligen annehmen müssen, bleibt die Namensablegung den weltlichen Scholaren erspart. Seine Zeit ist genau eingeteilt. Jeder Tag beginnt zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens mit der Matutin, der Morgenfeier. Es folgt eine stille Meditation bis zum nächsten Chorgesang, der Laudes, bei Tagesanbruch. Während sich die Mönche der Feld-Garten- und Hausarbeit, der geistlichen Lesung oder der Arbeit im Skriptorium zuwenden, werden die Buben in ihren Fächern gelehrt. Allerdings wiederum unterbrochen von fünf weiteren Gebeten und je nach Jahreszeit von ein bis zwei gemeinsamen Mahlzeiten im Speisesaal, dem Refektorium. Nach dem Abendessen folgt das Komplet, das Abendgebet. Geschlafen wird im Schlafsaal, dem Dormitorium.

Schon früh erkennen die Mönche Seyfrieds rasche Auffassungsgabe und fördern diese nach Kräften. Nur durch seine schlechten Leistungen in Latein erhält der Junge häufig übertriebene Züchtigungen. Doch schlimmer als die Prügel empfindet der kleine Seyfried die Demütigung vor seinen Klassenkameraden. Sieghard hat infolgedessen eine kurze Aussprache mit dem prügelnden und stets böse lächelnden Lateinlehrer, dem rüden Praeceptor. Dieser ist ein grausamer, halsstarriger Mönch und ein miserabler Lehrer. Sieghards Argumente sind wörtlich genommen schlagkräftig. Die heftige Unterredung endet für den Praeceptor mit einem gut sichtbaren blauen Auge. Der kleine Seyfried erhält danach keine blutigen Striemen mehr am Rücken und auch seine Mitschüler bleiben fortan von diesem unberechenbaren Geistlichen unbehelligt. Die Wege Gottes sind unergründlich, denn das Schicksal meint es bereits in den ersten Wochen im Kloster gut mit ihm.

Abbildung 4 Der noch stehende Kastler Turm

Ein Gewitter mit Unheil drohenden schwarzen Wolken nähert sich vom Westen. Das Vogelgezwitscher verstummt und eine unheilvolle Ruhe liegt über dem Lauterachtal. Die Klosterschüler sitzen beim Unterricht als der erste grelle Blitz sich entlädt und krachend in einem Baumwipfel einschlägt. Wie üblich läutet man die Glocken im Kloster um die umliegenden Menschen zu warnen und die Klosterbewohner zum Gebet zu rufen. Beruhigend redet der Novizenmeister auf die Schüler ein und bittet sie, ihm zur nahen Kirche zu folgen. Kaum ist das Donnergrollen verstummt, als der nächste grelle Blitz aufleuchtet und krachend in die Erde schlägt. Die Gebete scheinen Wirkung zu zeigen, denn das Gewitter streift nur Kastl. Seyfried, der als letzter der Gruppe die Kirche durch das Paradies verlässt, sieht erschreckt zurück, weil sich im Turm rasch große Risse bilden. Ein markerschütterndes Knirschen und Kratzen kündigt gut hörbar die Katastrophe an. Noch während dem Glockenläuten krachen schwere Gesteinstrümmer in die Sakristei. Verschreckt eilt die Gruppe ins Freie und starrt auf den in sich zusammenfallenden Glockenturm, welcher mit ohrenbetäubenden Lärm in einer Drecksäule verschwindet. Beim heftigen Aufschlag gibt die zerspringende Glocke einen letzten Sterbelaut von sich. Trotz des noch herunterprasselnden Starkregens steigt eine gewaltige Staubwolke gen Himmel. War es ein Erdstoß, ein Blitzschlag eines eben vorüberziehenden Gewitters, schlechte Bauweise oder schlicht Gottes Fügung, es bleibt ungeklärt. Ebenso ungeklärt wie das Schicksal des vermissten Baumeisters. Seyfried und seine Kameraden kommen mit einem gehörigen Schrecken davon. Ein kleiner Moment früher und die Jungschüler wären von den schweren Gesteinsbrocken beim Gebet erschlagen worden. Der Unglücksturm wird nicht mehr aufgebaut.

Vor seinem elften Geburtstag holt ihn Sieghard zurück zur elterlichen Burg. Seyfried ist froh, dem ewigen frommen Singsang im Kloster zu entkommen, zudem glaubt er nicht an den ganzen Heilgenkram. Nur der Abschied von seinem Novizenmeister und einigen Schulkameraden fällt ihm schwer. Der Novizenmeister belehrt seinen Schüler nochmals:

„Wir haben nur die Wahl, uns für den guten oder schlechten Weg zu entscheiden. Setze du deinen Weg fort, denn der war bisher ein gottgefälliger. Die Welt da draußen ist schmutzig. Gott möge dir dein reines Gewissen erhalten. Leb wohl mein Kleiner.“ Seyfried kann mit diesem warnenden Ratschlag noch wenig anfangen. Seine Mutter Adelheid ist unheilbar erkrankt. Eine heilkundige Wanderbaderin gibt ihr keine zwei Wochen mehr zu leben. Seyfried kann es gar nicht glauben. Er versucht seine Mutter gesund zu pflegen. Unterstützt wird er von seiner ehemaligen Amme, Anna. Zwischen ihnen entsteht dabei ein besonderes Band, eine ungewöhnlich tiefe Verbindung, welche später schicksalhafte Folgen hat.

Adelheid atmet röchelnd, Hustenkrämpfe schütteln ihren Körper. Sie nimmt nichts zu sich und es plagen sie schlimme Fieberkrämpfe. Seyfried tritt an das Kopfende des Bettes seiner Mutter und beugt sich zu ihr. Trotz seiner Traurigkeit bilden seine leuchtenden Augen einen schmerzhaften Gegensatz zu seiner ausgezehrten Mutter unter der Decke. Der kleine Bub singt ihr leise Lieder vor und hält dabei ihre nasskalte Hand. Das Luftholen wird dadurch gleichmäßiger und der Gesang wirkt auf die Patientin beruhigend. Doch alles hilft nichts. Seine Mutter stirbt mit sechsunddreißig Jahren an einer Lungenentzündung. Der geschockte Junge betritt anfänglich zaudernd, doch dann aufrechten Ganges die im goldenen Kerzenlicht schimmernde Kemenate. Neugierig mustert er seine verstorbene Mutter. Adelheid von Hulloch liegt blass, jedoch mit einem Lächeln um die Lippen auf ihrem Bett. Wut und Verzweiflung steigen in ihm auf. Lange starrt Seyfried sie an, kann ihr Dahinscheiden gar nicht fassen und lässt seinem Herzeleid freien Lauf. Schweren Herzens, aber um Jahre gereift, kommt er am Abend aus der Stube. Ergriffen schluchzen die Burgsassen und halten ihre Hände vors tränende Gesicht. Ihre Körper werden geschüttelt von Trauer und Ergriffenheit.

In der nahen Lauterhofener Kirche findet die gütige Burgherrin ihre letzte Ruhestätte.

„Ihr Leben war sehr harmonisch und von großer Zuneigung zu ihrer Familie und den Menschen geprägt“, hört man die Trauernden flüstern. Die Zeremonie der Messe übernimmt der neue Bischof von Eichstätt, Hildebrand von Möhren. Dieser hochangesehene, sehr asketisch lebende, aus Schwaben stammende Kirchenmann ist das gerade Gegenteil seiner beiden Vorgänger. Der Anhänger vom heiligen Benedikt und dem heiligen Franziskus ist nicht nur ein Förderer deren Bettelorden, sondern lebt nach ihren Grundsätzen. In seiner Diözese bekämpft er die Armut und die soziale Ungerechtigkeit. Er häuft keine Reichtümer an, schwelgt nicht im üblichen Luxusleben der Oberschicht und betreibt sehr erfolgreich Ablasshandel, um die Klöster zu unterstützen. Weitgehend Reiche kaufen, um dem quälenden Fegefeuer zu entkommen, diese Freibriefe. Hildebrand ist für einen Bischof sehr armselig gekleidet. Auf seinen schlichten Gewändern trägt er sein Wappen, eine weiße Gans auf blauem Grund. Der redselige Fürstbischof bleibt überraschend über Nacht. Durch seine Geschichten über das Paradies und die Engel im Himmel findet er vor allem bei den Kleinen schnell Zugang. Den trauernden Kindern spendet er so Tröstung. Nach einem Gespräch mit Hildebrand sieht der kleine Seyfried zu den Sternen, um dort Zwiesprache mit seiner geliebten Mutter zu suchen. Auch den Freunden Seyfrieds hilft er den Tod ihres prügelnden Vaters Berthold zu verkraften. Der Ritterbruder Sieghard ist froh, diesen ehrsamen Bischof kennen und schätzen zu lernen.

Hildebrand trägt mit schwäbischem Akzent und ihm eigenen, hintersinnigem Humor, spannende Ereignisse vor:

„Der reiche Erzbischof und mächtige Kurfürst, Engelbert von Falkenburg ist aus seinem Köln vertrieben worden. Ein ungeheuerlicher Vorgang, der aber durch das äußerst weltliche Leben, der Verschwendungssucht und dem Despotismus dieses Kirchenfürsten klar erklärlich ist. Die Kölner Wutbürger haben ihr Oberhaupt gefangen genommen. Erst nach einigen Wochen Haft warfen sie Engelbert im Büßergewand aus dem Hahnentor hinaus. Wie wohl diese Rebellion endet, ist ungewiss. Der Falkenburger und mit Sicherheit seine Nachfolger werden alles daran setzen ihre reiche Stadt wieder in ihre Fänge zu bekommen. Der Konflikt löst sich keinesfalls unblutig. Die einfachen Hörigen sind zwar alle sehr gläubig, doch auch sie begehren immer öfter gegen die heilige katholische Kirche, deren Obrigkeit und ihrer göttlichen Ordnung auf. Deshalb brodelt es auch in anderen Städten und Landstrichen.“ Sieghard mischt sich ein:

„Wer trägt an diesem Debakel Schuld? Unsere unfreien Bauern müssen Steuern zusätzlich zur geleisteten Fronarbeit bezahlen. Ein Zehnt geht an uns, die Ministerialen und ein weiteres Zehnt an euch, die Kirche. Rücksichtslos treibt man die Abgaben ein. Egal, ob den Bauern noch genügend bleibt, um unsere langen Winter zu überleben. Dazu kommt, dass die kleinen und großen Tyrannen, welche sich um Gesetze gar nicht scheren, ungestraft die schlimmsten Verbrechen begehen. Unsere führungslose Zeit trifft wieder einmal die unteren Stände.“ Hildebrand wünscht mehr Einzelheiten zu erfahren.

„Die überwiegend arme Bevölkerung zahlt weitgehend in Naturalien. Wir verkaufen die Naturprodukte auf den nahen Märkten. Sieben Achtel der Einnahmen erhält hier der Sulzbacher Graf. Das Verbliebene reicht uns kaum. Alleine die Rüstung, Waffen und Schlachtross haben den Wert von sechzig Kühen und zehn Ackerpferden. Selbst die Versorgung der Burgbewohner ist bei einer schlechten Ernte gefährdet. Hungersnöte treten häufig in der kalten Jahreszeit auf und kosten viele Menschenleben. Um ihren Stand zu bewahren, werden Ritter zu Rapturis, gemeinhin: Wegelagerer. Jeder muss sich einen zusätzlichen Verdienst suchen oder hungern. Niederadelige können sich die Ritterschaft gar nicht mehr leisten. Sie bleiben Edelknechte im Dienste eines zahlenden Herrn und dies sind beständig mehr Kaufleute in den reichen Städten. Die übrigen Land besitzenden Edelleute beuten ihre Bauern noch mehr aus und drangsalieren diese bis aufs Blut. Schlimme Zeiten!“

„Das ist ein kaum zu durchbrechender Teufelskreis, der sich meines Erachtens weiter verschlimmern wird. Wie sagt doch mein Freund, der Franziskanermönch und berühmteste Prediger unserer Zeit, Berthold aus Regensburg: Die armen Leute müssen alles erarbeiten, was die Welt braucht und ihnen selbst bleibt kaum so viel, wie ihre Schweine fressen. Ob sich daran in der Zukunft etwas ändert? Unser früherer Weggenosse, der hochverehrte Franziskaner und Rechtsgelehrte, David von Augsburg, bezweifelt dies. Ich predige stets, dass die Kirche weniger für Gebäude, Prahlerei und Blendwerk ausgeben dürfe und stattdessen die Armut bekämpfen sollte. Dabei stoße ich meist auf taube Ohren der führenden Kleriker, welche überwiegend aus dem verwöhnten Hochadel stammen.“

Abbildung 5 Berthold von Regensburg

Des Bischofs entwaffnende Offenheit überrascht und die aufmerksam lauschenden Burgbewohner sind erstaunt über die wohlklingenden Ansichten. Nur der Pastor schüttelt immer wieder seinen Kopf. Er ist nicht mit allem einverstanden. Findet aber außer den Worten, „Weltlicher Besitz ist vergänglicher Tand“ oder „die Gesellschaftsordnung ist gottgewollt“, keine Gegenargumente.

Am Morgen reist der Bischof mit kleinem Gefolge weiter nach Sulzbach. Der nette Bischof klärt die Hullocher kurz auf, bevor er sich für die erwiesene Gastfreundschaft freundlich dankend verabschiedet:

„Der Herzog bat mich, einen lange andauernden Konflikt zwischen den Ambergern und Sulzbachern zu schlichten. Es geht um die Erzschürfrechte und dem frühen Pfarrrechte.

Während Amberg durch den Salzhandel aufsteigt, fällt das privilegierte Sulzbach durch Misswirtschaft und der Lethargie des Grafen. Die Amberger verlangen dieselben Privilegien, weswegen es ständig heftigen Streit gibt. Bisher kam es nur zu kleinen Ausschreitungen, Prügeleien und eher als Schabernack zu bezeichnenden Streichen. Eine blutige Fehde gilt es von vorneherein zu verhindern.“ Vorläufig ist das zur Grafschaft Sulzbach gehörende Hullocher Gut überraschend nicht in diesen Streit hineingezogen worden. Durch die Worte des Bischofs aufgerüttelt, muss Sieghard die Verteidigungsfähigkeit der Burg verbessern.

Am nächsten Tag gibt er den Befehl die Ochsen anzuspannen, um von der nahen, seit über fünfzig Jahren unbewohnten Burg Thierenstein, heute Dietrichstein, Steine zu holen. Die löchrige Holzpalisade gilt es durch eine Mauer zu ersetzen. Er lässt zu dieser schweren Arbeit die umliegende Bevölkerung holen.

Leibeigene müssen jederzeit Frondienste leisten. Hierzu gehören zum Beispiel: Holz- und Erntearbeiten, ebenso als Treiber bei der Jagd zu helfen, eine Burg zu reparieren oder als Handlanger beim Bau eines Gebäudes mitzuhelfen. Die umliegenden Hörigen sehen diesmal die Arbeit für sich selbst von Nutzen.

Abbildung 6 Das übernommene Wappen der Schweppermänner im Kastler Kloster

Bei einem Überfall können sie in eine wohl befestigte Burg fliehen. Der Ritter ist verpflichtet, sein ihm anvertrautes Volk zu beschützen und wenn nötig, bei einem Angriff zu verpflegen.

Bei der ehemaligen Thierensteiner Burg kommt es überraschend zu Streitigkeiten mit Abt Heroldus Knechten. Diese brechen aus der Ruine billiges Baumaterial für die zu erweiternde Klosterburg Kastl. Noch fliegen nicht die Steinhämmer. Es bleibt bei einem Wortgefecht mit zahlreichen Drohungen auf beiden Seiten. Erst, als auf seinem gewaltigen Streitross und in voller Bewaffnung Sieghard erscheint, geben die dreisten Eindringlinge Fersengeld. Mit nicht einmal halb gefülltem Ochsengespann hauen sie schimpfend, drohend und wild gestikulierend ab.

„Ächtung und Verdammnis sollen euch Drecksteufel treffen“, fluchen die Kastler gotteslästerlich. Der Ritterbruder deutet ihnen kommentarlos einen Vogel. Auf der Burg lebten einst die Vorgänger der Hullocher, das ausgestorbene Geschlecht der Thiersteiner. Das Hullocher Wappen, ein rotes Einhorn auf zwei grünen Hügeln stehend, stammt von ihnen. Bereits vor dem Aussterben der Thiersteiner ist die renovierungsbedürftige Burg verlassen worden. Nicht nur das Lehen und Wappen, sondern auch die Aufgabe als Gerichtsbote, Meldereiter, Beschützer und Wahrer des Rechts, den sogenannten Schweppermännern, übernahmen die Hullocher von ihnen. Das Amt brachte Ansehen und dringend notwendige Einnahmen. Die Drohungen, dem mächtigen Abt Heroldus von dem harschen Vorgehen zu berichten, muss Sieghard ernst nehmen. Deshalb schickt er einen Boten nach dem Kloster Ensdorf. Dieser hat eine schriftliche Beschwerde über den Diebstahl dabei. Am Abend ist der erschöpfte Reiter zurück und meldet:

„Unser Graf hat dem Abt wegen der Nichtbezahlung seiner Schuld als Zins die Ausbeutung der Ruine zugebilligt. Scheinbar hat der Hirschberg-Gröglinger vergessen Euch über diese Entscheidung zu informieren. Er bitte darum, auch seinen Knechten den Abbau der Steine zu ermöglichen.“ Da der Graf in seinem weit entfernten Pitztal weilt, eine schwer zu überprüfende Angelegenheit.

Seyfried erlernt die wichtige Pflege des Schwertes, des Kettenhemdes, dann des Harnischs und des Helmes, sowie der übrigen Rüstungsteile. Mit einem Fässchen Kleie und einem mit Öl getränktem Leinen reinigt er das Metall, um Rost und andere Ablagerungen zu verhindern. Seyfried soll in den Ritterstand gelangen. Hierzu gehört das Erlernen des Waffenhandwerkes. Das Schreiben, Rechnen und die im Kloster angeeigneten Dinge sind wenig nützlich. Einzig, der Glaube und die Geschichte des Landes spielen eine Rolle im weiteren Leben eines Ritters, genauso die Heraldik, auch Wappenkunde genannt. Seyfrieds erlangte Fähigkeiten im Kloster erleichtern ihm sein Fortkommen dennoch. Ein Holzschwert und einen Schild, beides seiner kleinen Körpergröße angepasst, schenkt ihm sein Vormund, um den Zweikampf zu üben. Ausdauernd bearbeitet der Junge mit seinem kleinen hölzernen Schwert einen Pfosten. Angriffe und Paraden werden stets geübt. Seyfried glaubt am Ende des Tages, dass er nie wieder seine Arme heben kann.

Am folgenden Tag hat er einen schweren Muskelkater. Vor allem das gezielte Werfen des für den Jungen sehr schweren Wurfspeeres braucht seine Zeit. Das Auf- und Absteigen von den übergroßen Rössern und das sich im Sattel Halten bei schneller Gangart bereitet ihm große Schwierigkeiten. Zudem bekommt er dabei häufig Nasenbluten.

„Seyfried, besteig dein Pferd bewaffnet und versuche fest aufzusitzen. Es ist egal, ob man zur Jagd, auf die Reise, zum Stechen oder in die Schlacht reitet; Pferd und Reiter müssen eins sein! Ein Ritter lenkt im Kampf sein Reittier ohne Zügel, allein dadurch, dass er das Gewicht verlagert oder durch seinen Schenkeldruck. Seine Hände braucht er frei, damit er eine Waffe und notfalls einen Schild führen kann“, lehrt Sieghard. Der Waffendrill in der Hitze dieses Sommers kostet viel Schweiß, denn Seyfried übt dick gepolstert. Es sieht fast so aus, als hätte er ein Bett um sich geschlungen.

Eines Nachmittags üben Gudrun, Heinrich und Seyfried unter den Augen Sieghards das Bogenschießen. Während Gudrun aus jeder Entfernung trifft, tun sich Heinrich und besonders Seyfried schwer. Die zuschauenden Hörigen lassen es sich nicht nehmen, die stümperhaften Versuche lautstark und mit viel Gelächter zu bewerten. Vor allem den kleinen Seyfried ziehen sie dabei auf. Dieser packt zornig den Bogen und versucht es unter der Anleitung seines Ziehvaters erneut.

„Bleib ruhig, sorge für einen geraden Stand, zieh richtig durch und fasse das Ziel scharf ins Auge. Erst beim Ausatmen lass die Sehne los. Zeig ihnen, aus welchem Holz du geschnitzt bist.“ Seyfried, dem vor Aufregung heiß und kalt wird, reißt den Bogen hoch, zielt nur kurz. Der Pfeil löst sich wie von selbst und schwirrt mit großer Wucht auf die Strohscheibe zu, wo er zitternd stecken bleibt. Den neugierigen Zuschauern fällt zuerst die Kinnlade runter, bevor sie johlend applaudieren.

„Ausgezeichnet, du kannst es jetzt“, lobt Sieghard und zollt für den Meisterschuss Respekt. Der Ritterbruder nutzt den Ehrgeiz seines Schützlings und beteiligt nunmehr Heinrich und die begeisterte Gudrun an sämtlichen Übungen. In der Vorburg trainieren die drei Schüler mit Holzschwertern. „Klack, klack, klack“ scheppert es, zwischendurch mit einem „wamm“ oder „wumm“ und einem darauffolgenden Schmerzensschrei. Sieghard umrundet sie, feuert sie an, zeigt ihnen Finten, Paraden und Ausfälle, zwischendurch schimpft oder nörgelt er, mustert sie abschätzig, wenn er glaubt sie befolgen seine Anweisungen zu wenig. Besonders stolz sind die Schweinacher darauf, dass sie als nicht Hochgeborene den Umgang mit dem Schwert, der Waffe eines Ritters, lernen dürfen.

„Unsere Übungen sind die eine Sache, das Töten auf einem Schlachtfeld eine ganz andere. Es kostet viel Überwindung, jemandem in die Augen zu sehen, wenn man ihn absticht. Ich kannte viele Knappen, welche schnell und geschickt waren und vor allem Kraft hatten, jedoch in der Schlacht einen Moment zu lange zögerten, ihrem Gegner den Garaus zu machen. Ein halber Herzschlag kann über Leben und Tod entscheiden. Merkt euch das!“ Zweifelnd hören sie zu. Um die Jugend abzuhärten lässt ihnen der Ritterbruder Gockel, Ferkel, Zicklein und Hasen schlachten, ausnehmen, rupfen oder häuten. Vor allem Seyfried hat anfangs Probleme zu töten. Ständig stehen ihm Tränen in den Augen und die sich windenden Tiere können sich seinem Griff entziehen. Vor allem ein Kapraun macht es ihm besonders schwer. Erst am Abend erwischt der an den Armen und im Gesicht zerkratzte Seyfried den wehrhaften Herrscher des Misthaufens. Obwohl kopflos, flattert der Hahn über die Holzpalisade und in Richtung Wald davon. Eine schnell durchgeführte Suche nach dem Gockel bleibt erfolglos. Die Lektion des Tötens setzt dem kleinen Seyfried besonders hart zu. Nachts verfolgen ihn die Tiere und halten Gericht über ihn.

Sieghard nimmt vor allem den noch zwölfjährigen Neffen hart ran, damit er einmal das Lehen übernehmen kann. Seine älteren Brüder, der ewig kränkelnde Heinrich, bleibt im Kloster Ensdorf bei seinem Onkel Gottfried und Otto ist weder der einen, noch der anderen Aufgabe gewachsen. Trotz seiner Bärenkräfte spielt er fortwährend mit viel jüngeren Kindern und wird von ihnen häufig gehänselt. Meist ist er der Unhold, der die Jüngeren um den Turm jagt und diese fangen muss. Kinder können die grausamsten Wesen der Welt sein. Niemand nimmt Otto ernst. Der fürsorgliche Burgkaplan Baptist kümmert sich um ihn. Er verweigert den Wunsch Sieghards, Otto in ein Siechenhaus zu geben. Otto fügt sich manchmal selbst Wunden bei, um mehr Mitgefühl zu bekommen. Auch die siebzehnjährige Schwester Ulrike hat diese Krankheit. Sie ist wie Seyfried sehr kleingewachsen und lebt in sich zurückgezogen. Trotzdem macht sie sich durch Spinnen oder Weben nützlich und isst nicht wie Otto für drei Personen. Die neunzehnjährige Adelheid leidet unter dem Verlust der Mutter. Es ist schwer an sie heranzukommen, denn sie spricht ebenso wenig wie Ulrike. Kein Mensch kann ihre Gedanken erraten. Sie ist schlank, hochgewachsen und besitzt seltsam verklärte Augen. Es scheint so, als wäre sie schrecklich erzürnt, überhaupt gebo