Sherlock Holmes als Einbrecher - Arthur Conan Doyle - E-Book

Sherlock Holmes als Einbrecher E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

Sherlock Holmes ist eine vom britischen Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle geschaffene Kunstfigur, die in seinen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert spielenden Romanen als Detektiv tätig ist. Besondere Bedeutung für die Kriminalliteratur erlangte Holmes durch seine neuartige forensische Arbeitsmethode, die ausschließlich auf detailgenauer Beobachtung und nüchterner Schlussfolgerung beruht. Er gilt bis heute weithin als Symbol des erfolgreichen, analytisch-rationalen Denkers und als Stereotyp des Privatdetektivs. Der Kanon um den Detektiv umfasst 56 Kurzgeschichten und vier Romane.

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Sherlock Holmes als Einbrecher

Sherlock Holmes als EinbrecherDie drei StudentenDer vermißte FußballspielerImpressum

Sherlock Holmes als Einbrecher

Obwohl die Vorgänge, von denen ich sprechen will, Jahre zurückliegen, kostet es mich doch noch eine gewisse Ueberwindung, sie jetzt dem Publikum zu erzählen. Vorher freilich würde es auch bei der größten Diskretion und Zurückhaltung einfach unmöglich gewesen sein, sie der Oeffentlichkeit zu übergeben. Aber jetzt, wo die Hauptpersönlichkeit außerhalb des Bereichs des irdischen Gerichtes, und auch unsere Schuld verjährt ist, darf ich es bei der nötigen Vorsicht wagen, die Geschichte mitzuteilen, ohne daß sich jemand verletzt fühlen wird. Sie behandelt ein ganz einzigartiges Erlebnis meines Freundes Sherlock Holmes und meiner selbst, und es wäre mir daher schmerzlich, wenn ich diesen hochinteressanten Fall dem Publikum vorenthalten müßte. Wie schon angedeutet, habe ich die größte Vorsicht zu bewahren, um nicht mehr von der Geschichte in die Oeffentlichkeit gelangen zu lassen, als in meiner Absicht liegt; umsomehr als mein Freund Holmes, der alles Aufsehen tunlichst vermieden wissen will, meine wiederholten Veröffentlichungen seiner interessantesten Fälle nur mit einem gewissen Unbehagen geduldet hat. Daß er gerade seinen Anteil an diesem besonderen Fall nicht vor die breite Oeffentlichkeit bringen lassen wollte, und er mir nur zögernd nachgab, wird jeder begreiflich finden, der diese Geschichte kennt. Der Leser wird deshalb wohl entschuldigen, daß ich das Datum, die Namen und alle sonstigen Angaben weglasse, bezw. abändere, so daß niemand der wirklichen Begebenheit auf die Spur kommen könnte.

Holmes und ich hatten unsern üblichen Abendspaziergang gemacht und waren um sechs Uhr in die Bakerstraße zurückgekehrt; es war ein kalter Wintertag, trüb und nebelig. Als Holmes Licht machte, sahen wir eine Visitenkarte auf dem Tische liegen. Mein Freund warf einen flüchtigen Blick darauf und schleuderte sie verächtlich und unwillig auf den Fußboden. Ich hob sie auf und las:

Charles Augustus Milverton Agent Appledore Towers.       Hampstead.

Wer ist das? fragte ich.

Der schlechteste Kerl in ganz London, antwortete Holmes, als er sich an den Kamin setzte und seine Füße am Feuer wärmte. Steht etwas auf der Rückseite der Karte?

Ich wandte sie um und las:

»Werde um 6.30 vorsprechen. – C. A. M.«

Hm! Dann muß er ja gleich kommen. Kennst du das schleichende, zusammenziehende Gefühl, Watson, wenn man im Zoologischen Garten vor dem Schlangenkäfig steht und die glatten, glänzenden, giftigen Geschöpfe mit den stechenden Augen und den bösartigen, breiten Gesichtern völlig lautlos umhergleiten sieht? Das ist ungefähr der Eindruck, den dieser Milverton auf mich macht. Ich habe in meinem Beruf mit etwa fünfzig Mördern zu tun gehabt, aber auch der schlimmste von ihnen war mir nicht so widerwärtig wie dieser ekle Mensch. Und doch muß ich leider geschäftlich mit ihm verhandeln – er kommt tatsächlich auf meine Einladung hierher.

Was ist denn der Kerl?

Holmes nahm die Karte auf und deutete mit dem Finger auf die zweite Zeile. Agent nennt er sich, aber er ist ein richtiges Reptil.

Und was tut er denn?

Das will ich dir sagen, Watson, er ist der erste aller Erpresser. Gott sei dem Aermsten oder noch mehr der Aermsten gnädig, wenn Milverton ihre Geheimnisse in Erfahrung bringt. Mit lächelndem Mund und steinernem Herzen quetscht er sie aus wie eine Zitrone. Der Kerl ist genial in seiner Art und würde sich eine geachtete Stellung im Leben errungen haben, wenn er weniger anrüchige Geschäfte machte. Er geht in folgender Weise vor: Er läßt durchblicken, daß er für Briefe, die für reiche und hochgestellte Persönlichkeiten kompromittierend sind, hohe Summen zu zahlen bereit ist. Er bekommt dieses Material an Schriftstücken nicht nur von verräterischen Dienern und Dienstmädchen, sondern häufig auch von vornehmen Schurken, die in den Salons der feinen Welt verkehren und sich dort die Gunst und Zuneigung vertrauensseliger Weiber erworben haben. Dabei bezahlt er nicht knauserig. Mir ist zufällig ein Fall bekannt, wo er einem Diener für bloße zwei Zeilen siebenhundert Pfund Sterling gegeben hat. Jener Fall endigte daraufhin natürlich mit dem Ruin einer hochangesehenen, alt-englischen Familie. Alles, was in dieser Beziehung vorkommt, gelangt zur Kenntnis von Milverton, und es gibt Hunderte auf dieser Insel, die bei der Nennung seines Namens erblassen. Kein Mensch mit einer sogenannten Vergangenheit oder sonstwie einem dunkeln Punkt in seinem Leben weiß, was ihm noch für Gefahren von diesem Manne drohen, keine unüberlegte Jugendtorheit ist mehr harmlos und vergessen, wenn Milverton davon weiß, denn er ist so reich und so schlau, daß er nicht von der Hand in den Mund arbeitet. Ich sagte bereits, er sei der schlechteste Kerl in ganz London, und ich möchte dich fragen, ob er nicht auch nach deiner Ansicht wirklich viel schlimmer ist als einer, der in der Leidenschaft seinen Gefährten niederschlägt; er, der planmäßig und zum Vergnügen seine Mitmenschen quält und martert,nur, um seine sowieso schon dicken Geldsäcke noch mehr zu füllen?

Holmes zeigte nur ausnahmsweise bei den häufig tragischen Ereignissen, mit denen ihn sein Beruf in Berührung brachte, daß er an einem Fall außer dem Fachinteresse auch noch ein menschliches Interesse nehme. Ich war daher einigermaßen erstaunt, meinen Freund so tiefempfunden sprechen zu hören.

Aber der Kerl muß doch strafrechtlich irgendwie zu fassen sein, sagte ich.

Theoretisch, gewiß; aber praktisch nicht. Was würde es einer Frau zum Beispiel nützen, wenn sie den Vampyr ein paar Monate hinter Schloß und Riegel brächte und sich selbst dabei zugrunde richtete? Seine Opfer können nicht gegen ihn vorgehen. Wenn er jemals einen Unschuldigen bedrückte, dann wollten wir ihn wahrhaftig bald kriegen, aber er ist schlau wie der Teufel. Nein, nein, wir müssen auf andere Mittel und Wege sinnen, um ihm das Handwerk zu legen.

Und weshalb kommt er her?

Weil eine hochstehende Klientin mir ihren bedauerlichen Fall zu regeln übertragen hat. Es ist dies Fräulein Eva Brackwell, die gefeierte, schöne Debütantin der vergangenen Theatersaison. Sie will sich in ungefähr vierzehn Tagen mit dem Grafen von Dovercourt verheiraten. Dieser elende Milverton hat nun einige ziemlich unbesonnene Briefe von ihr in Händen – unbesonnene, Watson, durchaus keine schlimmen – die sie früher an einen armen Verehrer geschrieben hat. Sie würden aber in den Händen Milvertons genügen, um das Verhältnis zu lösen. Milverton will nun diese Schriftstücke dem Grafen zuschicken, wenn ihm nicht alsbald ein hoher Geldbetrag ausgezahlt wird. Ich habe jetzt den Auftrag, mich mit ihm in Verbindung zu setzen und – mit ihm eine möglichst günstige Vereinbarung zu treffen.

In diesem Augenblick hörte ich vor unserm Hause auf der Straße den Hufschlag von Pferden und das Rasseln eines Wagens. Ich ging ans Fenster und sah einen eleganten Wagen mit zwei dampfenden Rappen davor. Ein Diener öffnete den Wagenschlag, und ein kleiner, dicker Mann in einem schweren Pelzmantel trat heraus auf den Fußsteig. In der nächsten Minute stand er uns in unserem Zimmer gegenüber.

Charles Augustus Milverton war ein Mann von etwa fünfzig Jahren. Er hatte einen großen, klugen Kopf, ein rundes, bartloses Gesicht, ein stetes, eisiges Lächeln und zwei kühne, graue Augen, die hinter einer großen goldenen Brille hervorleuchteten. In seiner ganzen Erscheinung lag ein gewisses Wohlwollen, das nur durch das erzwungene Lächeln und das Funkeln der unruhigen, durchbohrenden Augen beeinträchtigt wurde. Seine Stimme war ebenso sanft und süß wie sein Gesicht, als er uns seine kleine fleischige Hand reichte und seinem Bedauern darüber Ausdruck gab, daß er uns bei seinem ersten Besuch nicht getroffen habe. Holmes tat, als ob er die ausgestreckte Hand nicht sähe, und blickte ihm mit eisiger Kälte ins Gesicht. Milvertons Lächeln wurde noch breiter; er zuckte mit der Schulter, zog seinen Pelzmantel aus, legte ihn, sorgfältig zusammengeschlagen, auf eine Stuhllehne und nahm dann Platz.

Wer ist dieser Herr hier? sagte er auf mich zeigend. Ist er diskret? Ist er zuverlässig?

Dr. Watson, mein Freund und Teilhaber.

Herr Milverton verneigte sich.

Schon gut, Herr Holmes. Ich fragte ja nur im Interesse unserer Klientin. Die Angelegenheit ist sehr delikat –

Dr. Watson kennt sie bereits.

Ah so! Nun, dann können wir gleich miteinander verhandeln. Wie Sie sagen, sind Sie der Vertreter des Fräuleins Eva. Haben Sie von ihr die Ermächtigung, meine Bedingungen anzunehmen?

Holmes zuckte mit den Achseln.

Welches sind Ihre Bedingungen?

Siebentausend Pfund.

Und sonst?

Mein verehrter Herr, es ist mir peinlich, mich darüber auszulassen; wenn aber das Geld bis zum vierzehnten nicht ausgezahlt ist, wird am achtzehnten die Hochzeit nicht stattfinden.

Sein unleidliches Lächeln war noch höflicher als gewöhnlich. Holmes überlegte einen Moment. Dann sagte er, indem er den Gegner mit einem überlegenen Lächeln ansah: Sie scheinen mir dieses Geschäft doch als etwas zu sicher zu betrachten. Ich bin selbstverständlich über den Inhalt der fraglichen Briefe genau unterrichtet, und meine Klientin wird gewiß tun, was ich ihr rate. Ich werde ihr den denkbar besten Vorschlag machen, nämlich die ganze Sache ihrem zukünftigen Gatten vorzustellen und seiner Großmut zu vertrauen.

Milverton fing laut zu lachen an.

Sie kennen den Grafen offenbar nicht, sagte er.

An meines Freundes fast unmerklich enttäuschtem Gesicht konnte ich sehen, daß er ihn wohl kannte.

Was steht denn überhaupt Schlimmes in diesen Briefen drin? fragte er.

Sie sind launig, diese Briefe – sehr launig, versetzte Milverton. Die Dame war eine reizende Korrespondentin. Aber ich kann Ihnen versichern, daß der Graf sehr wenig Verständnis dafür zeigen würde. Doch, wenn Sie anderer Meinung sind, haben wir ja nichts mehr miteinander zu tun. Es ist eine rein geschäftliche Angelegenheit. Wenn Sie wirklich glauben, daß es Ihrer Schutzbefohlenen weiter nichts schadet, wenn die Briefe dem Grafen eingehändigt werden, so würde es natürlich töricht sein, so viel Geld für ihre Rückgabe zu zahlen.

Er stand auf und nahm seinen Mantel. Holmes war grau und grün vor Aerger und Entrüstung.

Warten Sie noch ein bißchen, sagte er. Sie haben es wohl nicht so eilig. Wir würden sicher gerne alles mögliche tun, um jeden Skandal in einer so persönlichen Sache zu vermeiden.

Milverton setzte sich wieder in seinen Stuhl, während seine lächelnde Miene für einen Augenblick einen triumphierenden Ausdruck annahm.

Ich nahm bestimmt an, daß Sie's von dieser Seite betrachten würden, sagte er gedehnt.

Immerhin müssen Sie aber bedenken, daß Fräulein Eva über keine großen Mittel verfügt, fuhr Holmes fort. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ihr zweitausend Pfund zu zahlen schon schwerfallen würde, und daß die Summe, die Sie fordern, ihre Kräfte bei weitem übersteigt. Ich bitte Sie also, Ihre Forderung zu ermäßigen und die Briefe für den Betrag, den ich genannt habe, zurückzugeben. Es ist, wie ich Ihnen nochmals versichere, das Höchste, was Sie bekommen können.

Milvertons Mund verzog sich zu einem breiteren Lächeln, und er zwinkerte vergnügt mit den Augen.

Ich weiß wohl, daß das, was Sie über die Vermögensverhältnisse der Dame sagen, auf Wahrheit beruht, antwortete er. Sie müssen aber zugeben, daß sich bei einer solchen Gelegenheit, wie es die Verheiratung einer Dame ist, auch ihre Freunde und Verwandten etwas zu ihren Gunsten anstrengen dürfen. Sie können's ihr als passendes Hochzeitsgeschenk verehren. Ich bin fest überzeugt, daß ihr dieses kleine Bündelchen Briefe mehr Freude bereiten würde, als sämtliche Armleuchter und Butterdosen in ganz London.

Es geht nicht, sagte Holmes.

Je nun, rief Milverton, und nahm eine umfangreiche Brieftasche heraus. Das ist natürlich schlimm, wenn es nicht geht. Ich finde nur, daß Damen in solchen Fällen sehr verkehrt beraten sind, wenn Sie nicht alles aufbieten. Sehen Sie hier! – ein kleines Briefchen emporhaltend, mit einem Wappen auf dem Umschlag. Das ist von – nun, vielleicht ist's nicht schön, den Namen vor morgen früh zu verraten. Aber um diese Zeit wird der kleine Brief in den Händen des Gemahls der Dame sein. Und warum? Nur, weil sie den armseligen Betrag nicht aufbringen können will, den sie innerhalb einer Stunde für ihre Diamanten haben könnte. Es ist ein Jammer, so etwas. Ferner: erinnern Sie sich noch der plötzlichen Aufhebung der Verlobung zwischen dem Fräulein Miles und dem Obersten Dorking? Nur zwei Tage vor der Hochzeit stand in der »Morning Post« die Anzeige, daß alles aus sei. Und warum? Es klingt fast unglaublich; aber die lächerliche Summe von zwölfhundert Pfund würde die ganze Geschichte in Ordnung gebracht haben. Ist das nicht traurig? Und jetzt wollen nun Sie, ein vernünftiger Mann,über die Höhe des Preises feilschen, wo doch die Zukunft und die Ehre Ihrer Klientin auf dem Spiel stehen? Das wundert mich von Ihnen, Herr Holmes.

Ich sage die Wahrheit, antwortete Holmes. Das Geld kann nicht beschafft werden. Und es ist für Sie entschieden besser, die angebotene Summe zu nehmen, als diesem Weibe die ganze Zukunft zu verderben, wovon Sie rein gar nichts haben.

Da irren Sie sich, Herr Holmes. Eine solche Bloßstellung würde mir indirekt sehr viel nützen. Unendlich viel! Ich habe acht oder zehn ähnliche Fälle in Händen. Wenn die Beteiligten erführen, daß ich an Fräulein Eva ein Beispiel statuiert hätte, würden Sie alle eher geneigt sein, Vernunft anzunehmen. Verstehen Sie meinen Standpunkt?

Holmes sprang vom Stuhl auf.

Hinter ihn, Watson! Laß ihn nicht zur Tür 'naus! Nun, Herr, jetzt wollen wir den Inhalt dieser Brieftasche sehen.

Milverton war geschwind wie eine Maus von seinem Platz fortgehuscht und stand mit dem Rücken an der Wand.

Herr Holmes, Herr Holmes, sagte er, indem er seinen Rock aufmachte und den Lauf eines großen Revolvers sehen ließ, der aus der inneren Tasche herausguckte. Ich hatte erwartet, daß Sie etwas Besonderes versuchen würden. Aber das ist schon so häufig geschehen, und was hat's bisher genützt? Ich bin bis an die Zähne bewaffnet und auch vollkommen entschlossen, meine Waffen zu gebrauchen, weil ich weiß, daß ich's gesetzlich darf. Uebrigens ist Ihre Vermutung, daß ich die Briefe in meinem Notizbuch hierher bringen würde, sehr irrig. So töricht bin ich nicht. Und nun, meine Herren, ich habe heute abend noch ein paar Zusammenkünfte, und es ist eine lange Fahrt bis Hampstead.