Sherlock Holmes – Das Zeichen der Vier - Arthur Conan Doyle - E-Book

Sherlock Holmes – Das Zeichen der Vier E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

Vollständig neu überarbeitete, korrigierte und illustrierte Fassung Wie kann man Sherlock Holmes nicht kennen? Den berühmtesten Detektiv der Geschichte, der mit seinem messerscharfen Verstand und seiner Ermittlungsart als Vorlage für fast alle kriminalistischen Nachfolger diente. Hier lernen Sie das lesenswerte Original kennen. "Das Zeichen der Vier" ist der zweite Sherlock-Holmes-Roman von Sir Arthur Conan Doyle. Sherlock Holmes und Dr. Watson werden von Miss Mary Morstan beauftragt, bei der Suche nach ihrem verschollenen Vater zu helfen. Dieser war Offizier in Indien und verschwand vor zehn Jahren bei seiner Rückkehr nach England. Ein anonymer Brief bringt die drei auf die Spur des Vermissten und liefert erste Hinweise auf einen geheimnisvollen Schatz. Mit 25 Illustrationen und einem Aufsatz zu Leben und Werk des Autors Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 204

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Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes – Das Zeichen der Vier

Vollständige & Illustrierte Fassung

Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes – Das Zeichen der Vier

Vollständige & Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Illustrationen: Richard GutschmidtÜbersetzung: Margarethe Jacobi EV: Robert Lutz Verlag, Stuttgart, 1894 7. Auflage, ISBN 978-3-954180-10-3

www.null-papier.de/holmes

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Die Sher­lock Hol­mes-Samm­lung

Ar­thur Co­nan Doy­le & Sher­lock Hol­mes

Ers­tes Ka­pi­tel – Beo­b­ach­tung und Schluss­fol­ge­rung

Zwei­tes Ka­pi­tel – Ein rät­sel­haf­ter Fall

Drit­tes Ka­pi­tel – Wo­hin geht die Fahrt?

Vier­tes Ka­pi­tel – Die Er­zäh­lung des kahl­köp­fi­gen Herrn

Fünf­tes Ka­pi­tel – Das Trau­er­spiel in Pon­di­cher­ry Lod­ge

Sechs­tes Ka­pi­tel – Sher­lock Hol­mes hält einen Vor­trag

Sie­ben­tes Ka­pi­tel – Toby auf der Fähr­te

Ach­tes Ka­pi­tel – Das Frei­korps aus der Ba­ker Street

Neun­tes Ka­pi­tel – Un­will­kom­me­ner Still­stand

Zehn­tes Ka­pi­tel – Das Ende des In­su­la­ners

Elf­tes Ka­pi­tel – Der große Agra-Schatz

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Jo­na­than Smalls selt­sa­me Ge­schich­te

Schluss

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Arthur Conan Doyle & Sherlock Holmes

Wo­mög­lich wäre die Li­te­ra­tur heu­te um eine ih­rer schil­lernds­ten De­tek­tiv­ge­stal­ten är­mer, wür­de der am 22. Mai 1859 in Edin­bur­gh ge­bo­re­ne Ar­thur Igna­ti­us Co­nan Doy­le nicht aus­ge­rech­net an der me­di­zi­ni­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät sei­ner Hei­mat­stadt stu­die­ren. Hier näm­lich lehrt der spä­ter als Vor­rei­ter der Fo­ren­sik gel­ten­de Chir­urg Jo­seph Bell. Die Metho­dik des Do­zen­ten, sei­ne Züge und sei­ne ha­ge­re Ge­stalt wird der an­ge­hen­de Au­tor für den der­einst be­rühm­tes­ten De­tek­tiv der Kri­mi­nal­li­te­ra­tur über­neh­men.

Ge­burt und Tod des Hol­mes

Der ers­te Ro­man des seit 1883 in South­sea prak­ti­zie­ren­den Arz­tes teilt das Schick­sal zahl­lo­ser Erst­lin­ge – er bleibt un­voll­en­det in der Schub­la­de. Erst 1887 be­tritt Sher­lock Hol­mes die Büh­ne, als „Ei­ne Stu­die in Schar­lach­rot“ er­scheint. Nach­dem Co­nan Doy­le im Ma­ga­zin The Strand sei­ne Hol­mes-Epi­so­den ver­öf­fent­li­chen darf, ist er als er­folg­rei­cher Au­tor zu be­zeich­nen. The Strand er­öff­net die Rei­he mit „Ein Skan­dal in Böh­men“. Im Jahr 1890 zieht der Schrift­stel­ler nach Lon­don, wo er ein Jahr dar­auf, dank sei­nes li­te­ra­ri­schen Schaf­fens, be­reits sei­ne Fa­mi­lie er­näh­ren kann; seit 1885 ist er mit Loui­se Hawkins ver­hei­ra­tet, die ihm einen Sohn und eine Toch­ter schenkt.

Gin­ge es aus­schließ­lich nach den Le­sern, wäre dem küh­len De­tek­tiv und sei­nem schnauz­bär­ti­gen Mit­be­woh­ner ewi­ges Le­ben be­schie­den. Die Aben­teu­er der bei­den Freun­de neh­men frei­lich, wie ihr Schöp­fer meint, zu viel Zeit in An­spruch; der Au­tor möch­te his­to­ri­sche Ro­ma­ne ver­fas­sen. Des­halb stürzt er 1893 in „Das letz­te Pro­blem“ so­wohl den De­tek­tiv als auch des­sen Wi­der­sa­cher Mo­ri­ar­ty in die Rei­chen­bach­fäl­le. Die Pro­tes­te der ent­täusch­ten Le­ser­schaft fruch­ten nicht – Hol­mes ist tot.

Die Wie­der­au­fer­ste­hung des Hol­mes

Ob­wohl sich der Schrift­stel­ler mitt­ler­wei­le der Ver­gan­gen­heit und dem Mys­ti­zis­mus wid­met, bleibt sein In­ter­es­se an Po­li­tik und rea­len Her­aus­for­de­run­gen doch un­ge­bro­chen. Den Zwei­ten Bu­ren­krieg er­lebt Co­nan Doy­le seit 1896 an der Front in Süd­afri­ka. Aus sei­nen Ein­drücken und po­li­ti­schen An­sich­ten re­sul­tie­ren zwei nach 1900 pu­bli­zier­te pro­pa­gan­dis­ti­sche Wer­ke, wo­für ihn Queen Vic­to­ria zum Rit­ter schlägt.

Eben zu je­ner Zeit weilt Sir Ar­thur zur Er­ho­lung in Nor­folk, was Hol­mes zu neu­en Ehren ver­hel­fen wird. Der Li­te­rat hört dort von ei­nem Geis­ter­hund, der in Dart­moor eine Fa­mi­lie ver­fol­gen soll. Um das Mys­te­ri­um auf­zu­klä­ren, re­ani­miert Co­nan Doy­le sei­nen ex­zen­tri­schen Ana­ly­ti­ker: 1903 er­scheint „Der Hund der Bas­ker­vil­les“. Zeit­lich noch vor dem Tod des De­tek­tivs in der Schweiz an­ge­sie­delt, er­fährt das Buch enor­men Zu­spruch, wes­halb der Au­tor das Ge­nie 1905 in „Das lee­re Haus“ end­gül­tig wie­der­be­lebt.

Das un­wi­der­ruf­li­che Ende des Hol­mes

Nach dem Tod sei­ner ers­ten Frau im Jahr 1906 und der Hei­rat mit der, wie Co­nan Doy­le glaubt, me­di­al be­gab­ten Jean Le­ckie be­fasst sich der Pri­vat­mann mit Spi­ri­tis­mus. Sein li­te­ra­ri­sches Schaf­fen kon­zen­triert sich zu­neh­mend auf Zu­kunfts­ro­ma­ne, de­ren be­kann­tes­ter Pro­tago­nist der Ex­zen­tri­ker Pro­fes­sor Chal­len­ger ist. Als po­pu­lärs­ter Chal­len­ger-Ro­man gilt die 1912 ver­öf­fent­lich­te und be­reits 1925 ver­film­te Ge­schich­te „Die ver­ges­se­ne Welt“, die Co­nan Doy­le zu ei­nem Witz ver­hilft: Der durch­aus schlitz­oh­ri­ge Schrift­stel­ler zeigt im klei­nen Kreis ei­ner Spi­ri­tis­ten­sit­zung Film­auf­nah­men ver­meint­lich le­ben­der Sau­ri­er, ohne zu er­wäh­nen, dass es sich um Ma­te­ri­al der ers­ten Ro­man­ver­fil­mung han­delt.

Die spä­te Freund­schaft des Li­te­ra­ten mit Hou­di­ni zer­bricht am Spi­ri­tis­mus-Streit, denn der un­char­man­te Zau­ber­künst­ler ent­larvt zahl­rei­che Be­trü­ger, wäh­rend der Schrift­stel­ler von der Exis­tenz des Über­na­tür­li­chen über­zeugt ist. Co­nan Doy­les Geis­ter­glau­be er­hält Auf­trieb, als sein äl­tes­ter Sohn Kings­ley wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs an der Front fällt.

Noch bis 1927 be­dient der Au­tor das Pub­li­kum mit Kurz­ge­schich­ten um Hol­mes und Wat­son; zu­letzt er­scheint „Das Buch der Fäl­le“. Als Sir Ar­thur Co­nan Doy­le am 7. Juli 1930 stirbt, trau­ern Fa­mi­lie und Le­ser­schaft glei­cher­ma­ßen, denn dies­mal ist Hol­mes wirk­lich tot.

Von der Be­deu­tung ei­nes Ge­schöp­fes

Oder viel­mehr ist Hol­mes ein ewi­ger Wie­der­gän­ger, der im Ge­dächt­nis des Pub­li­kums fort­lebt. Nicht we­ni­ge Le­ser hiel­ten und hal­ten den De­tek­tiv für eine exis­ten­te Per­son, was nicht zu­letzt Co­nan Doy­les er­zäh­le­ri­schem Ge­schick und dem Rea­li­täts­be­zug der Ge­schich­ten zu ver­dan­ken sein dürf­te. Tat­säch­lich kam man im 20. Jahr­hun­dert dem Be­dürf­nis nach et­was Hand­fes­tem nach, in­dem ein Haus in der Lon­do­ner Ba­ker Street die Num­mer 221 b er­hielt. Dort be­fin­det sich das Sher­lock-Hol­mes-Mu­se­um.

Co­nan Doy­les zeit­ge­nös­si­scher Schrift­stel­ler­kol­le­ge Gil­bert Keith Che­s­ter­ton, geis­ti­ger Va­ter des kri­mi­na­lis­ti­schen Pa­ter Brown, brach­te das li­te­ra­ri­sche Ver­dienst sei­nes Lands­manns auf den Punkt: Sinn­ge­mäß sag­te er, dass es nie bes­se­re De­tek­tiv­ge­schich­ten ge­ge­ben habe und dass Hol­mes mög­li­cher­wei­se die ein­zi­ge volks­tüm­li­che Le­gen­de der Mo­der­ne sei, de­ren Ur­he­ber man gleich­wohl nie ge­nug ge­dankt habe.

Dass der De­tek­tiv sein sons­ti­ges Schaf­fen der­ma­ßen über­la­gern konn­te, war Co­nan Doy­le selbst nie­mals recht. Er hielt sei­ne his­to­ri­schen, po­li­ti­schen und spä­ter sei­ne mys­ti­zis­tisch-spi­ri­tis­ti­schen Ar­bei­ten für wert­vol­ler, wäh­rend die Kurz­ge­schich­ten dem blo­ßen Brot­er­werb dienten. Ver­mut­lich über­sah er bei der Selb­st­ein­schät­zung sei­ner ver­meint­li­chen Tri­vi­al­li­te­ra­tur de­ren enor­me Wir­kung, die weit über ih­ren ho­hen Un­ter­hal­tungs­wert hin­aus­ging.

So wie Jo­seph Bell, Co­nan Doy­les Do­zent an der Uni­ver­si­tät, durch prä­zi­se Beo­b­ach­tung auf die Er­kran­kun­gen sei­ner Pa­ti­en­ten schlie­ßen konn­te, soll­te Sher­lock Hol­mes an Kri­mi­nal­fäl­le her­an­ge­hen, die so­wohl sei­nen Kli­en­ten als auch der Po­li­zei un­er­klär­lich schie­nen. Bells streng wis­sen­schaft­li­ches Vor­ge­hen stand Pate für De­duk­ti­on und fo­ren­si­sche Metho­dik in den vier Ro­ma­nen und 56 Kurz­ge­schich­ten um den ha­ge­ren Gent­le­man-De­tek­tiv. Pro­fes­sor Bell be­riet die Po­li­zei bei der Ver­bre­chensauf­klä­rung, ohne in den of­fi­zi­el­len Be­rich­ten oder in den Zei­tun­gen er­wähnt wer­den zu wol­len. Die Ähn­lich­keit zu Hol­mes ist au­gen­fäl­lig. Wirk­lich war in den Ge­schich­ten die Fik­ti­on der Rea­li­tät vor­aus, denn wis­sen­schaft­li­che Ar­beits­wei­se, ge­naue Ta­tort­un­ter­su­chung und ana­ly­tisch-ra­tio­na­les Vor­ge­hen wa­ren der Kri­mi­na­lis­tik je­ner Tage neu. Man ur­teil­te nach Au­gen­schein und ent­warf Theo­ri­en, wo­bei die Be­weis­füh­rung nicht er­geb­ni­sof­fen ge­führt wur­de, son­dern le­dig­lich jene Theo­ri­en be­le­gen soll­te. Zwei­fel­los hat die Po­pu­la­ri­tät der Er­leb­nis­se von Hol­mes und Wat­son den Auf­stieg der rea­len Fo­ren­sik in der Ver­bre­chensauf­klä­rung un­ter­stützt.

Ein wei­te­rer in­ter­essan­ter Aspekt der Er­zäh­lun­gen be­trifft Co­nan Doy­les Nei­gung, sei­ne ei­ge­nen An­sich­ten ein­zu­ar­bei­ten. Zwar be­vor­zug­te er zu die­sem Zweck an­de­re Schaf­fens­zwei­ge, aber es fin­den sich ge­sell­schaft­li­che und mo­ra­li­sche Mei­nun­gen, wenn Hol­mes etwa Ver­bre­cher ent­kom­men lässt, weil er meint, dass eine Tat ge­recht ge­we­sen oder je­mand be­reits durch sein Schick­sal ge­nug ge­straft sei. Ge­le­gent­lich ist da­bei fest­zu­stel­len, dass er An­ge­hö­ri­ge nied­ri­ger Stän­de gleich­gül­ti­ger be­han­delt als die Ver­tre­ter der „gu­ten Ge­sell­schaft“.

Fik­ti­ve Bio­gra­fi­en des De­tek­tivs, Büh­nen­stücke, Ver­fil­mun­gen und zahl­lo­se Nach­ah­mun­gen, dar­un­ter nicht sel­ten Sa­ti­ren, von de­nen Co­nan Doy­le mit „Wie Wat­son den Trick lern­te“ 1923 selbst eine ver­fass­te, kün­den von der un­ge­bro­che­nen Be­liebt­heit des kri­mi­na­lis­ti­schen Duos, ohne das die Welt­li­te­ra­tur we­ni­ger span­nend wäre.

Erstes Kapitel – Beobachtung und Schlussfolgerung

Durch sei­nen Scharf­sinn und sei­ne un­er­müd­li­che Tat­kraft er­füll­te mich Sher­lock Hol­mes stets von neu­em mit Be­wun­de­rung. Wenn er je­doch das Rät­sel ge­löst hat­te, so schi­en alle Geis­tes­fri­sche von ihm ge­wi­chen, und mein Freund ver­sank in völ­li­ge Apa­thie.

Ihn in die­sem Zu­stand zu se­hen, war für mich äu­ßerst pein­lich, aber noch un­leid­li­cher er­schi­en mir das Mit­tel, wel­ches er an­wand­te, um sei­nen Trüb­sinn zu ver­scheu­chen.

Auch heu­te, als wir im Zim­mer bei­sam­men sa­ßen, lang­te Sher­lock Hol­mes die Fla­sche von der Ecke des Ka­min­sim­ses her­un­ter und nahm die In­duk­ti­onss­prit­ze aus dem sau­be­ren Le­de­re­tui. Mit sei­nen wei­ßen, läng­li­chen Fin­gern stell­te er sei­ne Na­del ein, und schob sei­ne lin­ke Man­schet­te zu­rück. Eine klei­ne Wei­le ruh­ten sei­ne Au­gen ge­dan­ken­voll an den zahl­lo­sen Nar­ben und Punk­ten, mit de­nen sein Hand­ge­lenk und der seh­ni­ge Vor­der­arm über und über be­deckt wa­ren. End­lich bohr­te er die schar­fe Spit­ze in die Haut, drück­te den klei­nen Kol­ben nie­der, und sank mit ei­nem Seuf­zer in­nigs­ten Wohl­be­ha­gens in sei­nen sam­te­nen Lehn­stuhl zu­rück.

Seit vie­len Mo­na­ten hat­te ich die­sen Her­gang täg­lich drei­mal mit an­ge­se­hen, ohne mich je­doch da­mit aus­zu­söh­nen. Im Ge­gen­teil, Tag für Tag stei­ger­te sich mein Ver­druss bei dem An­blick, und in der Nacht ließ mir der Ge­dan­ke kei­ne Ruhe, dass ich zu fei­ge war, da­ge­gen ein­zu­schrei­ten. So oft ich mir aber vor­nahm, mei­ne See­le von der Last zu be­frei­en, im­mer wie­der er­schi­en mir mein Ge­fähr­te, mit der küh­len, nach­läs­si­gen Mie­ne, als der letz­te Mensch, dem ge­gen­über man sich Frei­hei­ten her­aus­neh­men dür­fe. Sei­ne großen Fä­hig­kei­ten, die gan­ze Art sei­nes Auf­tre­tens, die vie­len Fäl­le, in de­nen er sei­ne au­ßer­or­dent­li­che Be­ga­bung schon vor mir be­tä­tigt hat­te – das al­les mach­te mich ihm ge­gen­über ängst­lich und zu­rück­hal­tend.

Aber an die­sem Nach­mit­tage fühl­te ich plötz­lich, dass ich es nicht län­ger aus­hal­ten kön­ne. Der star­ke Wein, den ich beim Früh­stück ge­nos­sen, moch­te mir wohl zu Kop­fe ge­stie­gen sein, viel­leicht hat­te mich auch Hol­mes’ um­ständ­li­che Ma­nier ganz be­son­ders ge­reizt.

»Was ist denn heu­te an der Rei­he«, frag­te ich kühn ent­schlos­sen, »Mor­phi­um oder Ko­kain?«

Er er­hob die Au­gen lang­sam von dem al­ten Fo­li­an­ten, den er auf­ge­schla­gen hat­te.

»Ko­kain«, sag­te er, »eine Lö­sung von sie­ben Pro­zent. Wün­schen Sie’s zu ver­su­chen, Dok­tor Wat­son?«

»Wahr­haf­tig nicht«, ant­wor­te­te ich ziem­lich barsch. »Ich habe die Fol­gen des af­gha­ni­schen Feld­zugs noch nicht ver­wun­den und kann mei­ner Kon­sti­tu­ti­on der­glei­chen nicht zu­mu­ten.«

Er lä­chel­te über mei­ne Hef­tig­keit. »Vi­el­leicht ha­ben Sie recht, der phy­si­sche Ein­fluss ist ver­mut­lich kein gu­ter. Ich fin­de aber die Wir­kung auf den Geist so vor­züg­lich an­re­gend und klä­rend, dass al­les an­de­re da­ge­gen von ge­rin­gem Be­lang ist.«

»Aber über­le­gen Sie doch«, mahn­te ich ein­dring­lich, »be­rech­nen Sie die Kos­ten! Mag auch Ihre Hirn­tä­tig­keit be­lebt und er­regt wer­den, so ist es doch ein wi­der­na­tür­li­cher, krank­haf­ter Vor­gang, der einen ge­stei­ger­ten Stoff­wech­sel be­dingt und zu­letzt dau­ern­de Schwä­che zu­rück­las­sen kann. Auch wis­sen Sie ja selbst, wel­che düs­te­re Re­ak­ti­on Sie je­des Mal be­fällt. Wahr­lich, das Spiel kommt Sie zu hoch zu ste­hen. Um ei­nes flüch­ti­gen Ver­gnü­gens wil­len set­zen Sie sich dem Ver­lust der her­vor­ra­gen­den Fä­hig­kei­ten aus, mit de­nen Sie be­gabt sind. Ich sage Ih­nen das nicht nur als wohl­mei­nen­der Ka­me­rad, son­dern als Arzt, da ich mich in die­ser Ei­gen­schaft ge­wis­ser­ma­ßen für Ihre Ge­sund­heit ver­ant­wort­lich füh­le. Be­den­ken Sie das wohl!«

Er schi­en nicht be­lei­digt. Sei­ne El­len­bo­gen auf die Arm­leh­nen des Stuhls stüt­zend, leg­te er die Fin­ger­spit­zen ge­gen­ein­an­der, wie je­mand, der sich zu ei­nem Ge­spräch an­schickt.

»Mein Geist«, sag­te er, »em­pört sich ge­gen den Still­stand. Ge­ben, Sie mir ein Pro­blem, eine Ar­beit, die schwie­rigs­te Ge­heim­schrift zu ent­zif­fern, den ver­wi­ckelts­ten Fall zu ent­rät­seln. Dann bin ich im rich­ti­gen Fahr­was­ser und kann je­des künst­li­che Reiz­mit­tel ent­beh­ren. Aber ich ver­ab­scheue das nack­te Ei­ner­lei des Da­seins; mich ver­langt nach geis­ti­ger Auf­re­gung. Das ist auch die Ur­sa­che, wes­halb ich mir einen ei­ge­nen, be­son­dern Be­ruf er­wählt oder viel­mehr ge­schaf­fen habe; denn ich bin der Ein­zi­ge mei­ner Art in der Welt.«

»Der ein­zi­ge, nicht an­ge­stell­te De­tek­tiv?« – frag­te ich mit un­gläu­bi­ger Mie­ne.

»Der ein­zi­ge, nicht an­ge­stell­te, be­ra­ten­de De­tek­tiv«, ent­geg­ne­te er. »Ich bin die letz­te und si­chers­te In­stanz im De­tek­tiv­fach. Wenn Gregson, oder Le­stra­de, oder Athel­ney Jo­nes auf dem Trock­nen sind – was, bei­läu­fig ge­sagt, ihr nor­ma­ler Zu­stand ist – so wird mir der Fall vor­ge­legt. Ich un­ter­su­che die Tat­sa­chen als Ken­ner und gebe den Auss­pruch des Spe­zia­lis­ten. Mein Name er­scheint in kei­ner Zei­tung, ich be­an­spru­che kei­ner­lei Aner­ken­nung. Die Ar­beit an sich, das Ver­gnü­gen, ein an­ge­mes­se­nes Feld für mei­ne be­son­de­re Gabe der Beo­b­ach­tung und Schluss­fol­ge­rung zu fin­den, ist mein höchs­ter Lohn. – Üb­ri­gens bin ich nicht ganz un­be­kannt; mei­ne klei­nen Schrif­ten wer­den so­gar jetzt ins Fran­zö­si­sche über­tra­gen.«

»Ihre Schrif­ten?«

»O, wuss­ten Sie es nicht?«, rief er la­chend. »Sie be­han­deln lau­ter tech­ni­sche Ge­gen­stän­de. – Hier ist z.B. eine Ab­hand­lung ›Ü­ber die Ver­schie­den­heit der Ta­ba­ka­sche‹. Ich zäh­le da hun­dert und vier­zig Sor­ten auf: Rauch­ta­bak, Zi­gar­ren und Zi­ga­ret­ten, de­ren Asche sich un­ter­schei­den lässt, wie Sie aus den bei­ge­druck­ten, far­bi­gen Ta­feln er­se­hen. Vor Ge­richt ist das oft von der größ­ten Be­deu­tung. Wenn man z.B. mit Be­stimmt­heit sa­gen kann, dass ein Mord von ei­nem Man­ne ver­übt wor­den ist, der eine in­di­sche Lun­kah rauch­te, so wird da­durch of­fen­bar das Feld der Un­ter­su­chung we­sent­lich be­schränkt. Für das ge­üb­te Auge un­ter­schei­det sich die schwar­ze Asche der Tri­chi­no­pol­ly-Zi­gar­re1 von den wei­ßen Fa­sern des Birds Eye-Ta­baks wie ein Kohl­kopf von ei­ner Kar­tof­fel.«

»Sie ha­ben ein au­ßer­or­dent­li­ches Ge­nie für klei­ne Ne­ben­din­ge«, be­merk­te ich.

»Ich er­ken­ne ihre Wich­tig­keit. – Hier ist fer­ner mein Auf­satz über die Er­for­schung der Fuß­spu­ren, mit An­mer­kun­gen über den Gips als Mit­tel, die Ab­drücke zu be­wah­ren. Dies hier ist ein klei­nes, merk­wür­di­ges Schrift­chen über den Ein­fluss des Hand­werks auf die Form der Hand, mit Ab­bil­dun­gen der Hän­de von Dach­de­ckern, Schif­fern, Zim­mer­leu­ten, Schrift­set­zern, We­bern und Dia­mant­schlei­fern. Das ist von großem prak­ti­schen In­ter­es­se für den wis­sen­schaft­li­chen De­tek­tiv, be­son­ders wo es sich um die Er­ken­nung von Lei­chen oder um die Vor­ge­schich­te der Ver­bre­cher han­delt. – Aber ich lang­wei­le Sie mit mei­nem Ste­cken­pfer­de.«

»Durchaus nicht«, er­wi­der­te ich eif­rig. »Ich in­ter­es­sie­re mich sehr da­für, seit ich Ge­le­gen­heit hat­te, Zeu­ge sei­ner prak­ti­schen An­wen­dung zu sein. Sie spra­chen so­eben von Beo­b­ach­tung und Schluss­fol­ge­rung, sind die­se nicht in ge­wis­sem Gra­de gleich­be­deu­tend?«

»Hm – kaum.«

Er lehn­te sich be­hag­lich in den Lehn­stuhl zu­rück und blies dich­te blaue Wol­ken aus sei­ner Pfei­fe. »Die Beo­b­ach­tung zeigt mir z.B., dass Sie heu­te Früh in der Wig­mo­re Street auf der Post ge­we­sen sind, aber die Schluss­fol­ge­rung lässt mich wis­sen, dass Sie dort ein Te­le­gramm auf­ge­ge­ben ha­ben.«

»Rich­tig! Bei­des trifft zu«, rief ich. »Aber wie in al­ler Welt ha­ben Sie das her­aus­ge­bracht? Der Ge­dan­ke kam mir ganz plötz­lich, und ich habe kei­ner See­le et­was da­von ge­sagt.«

»Das ist lä­cher­lich ein­fach«, sag­te er, ver­gnügt über mein Er­stau­nen, »und er­klärt sich ei­gent­lich ganz von selbst; es kann je­doch dazu die­nen, die Gren­zen der Beo­b­ach­tung und der Schluss­fol­ge­rung fest­zu­stel­len. – Die Beo­b­ach­tung sagt nur, dass ein klei­ner Klum­pen röt­li­cher Erde an Ih­rer Fuß­soh­le klebt. – Nun wird aber ge­ra­de beim Post­amt in der Wig­mo­re Street das Pflas­ter aus­ge­bes­sert, und da­bei ist die aus­ge­wor­fe­ne Erde vor den Ein­gang zu lie­gen ge­kom­men. Die­se Erde hat eine ab­son­der­li­che, röt­li­che Fär­bung, wie sie, so­viel ich weiß, sonst nir­gends in der Um­ge­gend vor­kommt. Das ist die Beo­b­ach­tung. Das üb­ri­ge ist Schluss­fol­ge­rung.«

»Und wie fol­ger­ten Sie das Te­le­gramm?«

»Ja nun, ich wuss­te na­tür­lich, dass Sie kei­nen Brief ge­schrie­ben hat­ten, da ich den gan­zen Mor­gen Ih­nen ge­gen­über ge­ses­sen habe. In ih­rem of­fe­nen Pult dort liegt auch noch ein Vor­rat von Brief­mar­ken und Post­kar­ten. Wozu könn­ten Sie also auf die Post ge­gan­gen sein, au­ßer um eine De­pe­sche ab­zu­ge­ben? – Räumt man alle an­de­ren Fak­to­ren fort, so muss der, wel­cher üb­rig bleibt, den wah­ren Sach­ver­halt zei­gen.«

»In die­sem Fall trifft das zu«, er­wi­der­te ich nach ei­ni­gem Be­den­ken. »Die Lö­sung war al­ler­dings höchst ein­fach. Ich möch­te je­doch Ihre Theo­rie ein­mal ei­ner stren­ge­ren Pro­be un­ter­wer­fen, wenn Sie das nicht un­be­schei­den fin­den?«

»Im Ge­gen­teil«, ver­setz­te er, »es wäre mir sehr lieb, wenn Sie mir ir­gend ein Pro­blem zu er­for­schen ge­ben, brau­che ich heu­te kei­ne zwei­te Do­sis Ko­kain zu neh­men.«

»Ich habe Sie ein­mal be­haup­ten hö­ren, dass der Mensch den Ge­gen­stän­den, wel­che er im täg­li­chen Ge­brauch hält, fast aus­nahms­los den Stem­pel sei­ner Per­sön­lich­keit auf­drückt, so­dass ein ge­üb­ter Beo­b­ach­ter an den Sa­chen den Cha­rak­ter ih­res Ei­gen­tü­mers zu er­ken­nen ver­mag. Nun habe ich hier eine Uhr, die mir noch nicht lan­ge ge­hört. Wür­den Sie wohl die Güte ha­ben, mir Ihre Mei­nung über die Ei­gen­schaf­ten und Ge­wohn­hei­ten des frü­he­ren Be­sit­zers zu sa­gen?«

Ich reich­te ihm die Uhr, nicht ohne ein Ge­fühl in­ne­rer Be­lus­ti­gung. Die Auf­ga­be war nach mei­nem Be­dün­ken un­lös­bar; ich woll­te ihm da­mit nur eine klei­ne Leh­re ge­ben we­gen des all­zu an­ma­ßen­den To­nes, den er zu­wei­len an­nahm. Er wog die Uhr in der Hand, blick­te scharf auf das Zif­fer­blatt, öff­ne­te das Ge­häu­se und un­ter­such­te das Werk; erst mit blo­ßen Au­gen, dann durch ein star­kes Ver­grö­ße­rungs­glas. Als er end­lich mit ent­mu­tig­tem Ge­sicht die Uhr wie­der zu­schnapp­te und mir zu­rück­gab, konn­te ich mich kaum ei­nes Lä­chelns ent­hal­ten.

»Da gib­t’s nur we­ni­ge An­halts­punk­te«, be­merk­te er. »Die Uhr ist neu­er­dings ge­rei­nigt, was mich um die bes­ten Merk­ma­le bringt.«

»Ganz recht«, er­wi­der­te ich. »Sie wur­de ge­rei­nigt, ehe man sie mir sand­te.«

Hol­mes brauch­te die­sen schwa­chen Vor­wand of­fen­bar nur, um sei­ne Nie­der­la­ge zu ver­de­cken. Was für An­halts­punk­te hät­te er denn bei ei­ner nicht ge­rei­nig­ten Uhr fin­den kön­nen?

»Die Un­ter­su­chung ist zwar un­be­frie­di­gend, je­doch nicht ganz er­folg­los«, fuhr er fort, wäh­rend er mit glanz­lo­sen Au­gen träu­me­risch nach der Stu­ben­de­cke starr­te. »Irre ich mich, wenn ich sage, dass die Uhr Ihrem äl­te­ren Bru­der ge­hört hat, der sie von Ihrem Va­ter erb­te?«

»Sie schlie­ßen das ohne Zwei­fel aus dem H.W. auf dem De­ckel?«

»Ganz recht. Das W deu­tet Ihren ei­ge­nen Na­men an. Das Da­tum reicht bei­na­he fünf­zig Jah­re zu­rück, und das Mo­no­gramm ist so alt wie die Uhr. Sie ist also für die vo­ri­ge Ge­ne­ra­ti­on ge­macht wor­den. Wert­sa­chen pfle­gen auf den äl­tes­ten Sohn über­zu­ge­hen, der auch meis­tens den Na­men sei­nes Va­ters trägt. Da Ihr Va­ter, so­viel ich weiß, seit vie­len Jah­ren tot ist, hat Ihr äl­tes­ter Bru­der die Uhr seit­dem in Hän­den ge­habt.«

»So­weit rich­tig«, sag­te ich. »Und was wis­sen Sie sonst noch?«

»Er war sehr lie­der­lich in sei­nen Ge­wohn­hei­ten – lie­der­lich und nach­läs­sig. Er kam in den Be­sitz ei­nes schö­nen Ver­mö­gens, brach­te je­doch al­les durch und leb­te in Dürf­tig­keit. Zu­wei­len ver­bes­ser­te sich fei­ne Lage auf kur­ze Zeit, bis er end­lich dem Trunk ver­fiel. Das ist al­les, was ich er­se­hen kann.«

Ich sprang hef­tig er­regt vom Stuhl auf, und ging im Zim­mer auf und ab.

»Das ist Ih­rer un­wür­dig, Hol­mes!« rief ich, um mei­ner Er­bit­te­rung Luft zu ma­chen. »So et­was hät­te ich Ih­nen nicht zu­ge­traut. Sie ha­ben Er­kun­di­gun­gen ein­ge­zo­gen über die Ge­schich­te mei­nes un­glück­li­chen Bru­ders und ge­ben jetzt vor, Ihre Kennt­nis auf ir­gend eine aben­teu­er­li­che Wei­se er­langt zu ha­ben. Sie kön­nen mir un­mög­lich zu­mu­ten, dass ich glau­ben soll, Sie hät­ten dies al­les aus der al­ten Uhr ge­le­sen! Ihr Be­neh­men ist höchst rück­sichts­los und streift, ge­ra­de her­aus­ge­sagt, an Gau­ke­lei.«

»Ent­schul­di­gen Sie mich, bit­te, lie­ber Dok­tor«, er­wi­der­te er freund­lich. »Ich habe die Sa­che nur als ein ab­strak­tes Pro­blem, an­ge­se­hen und dar­über ver­ges­sen, dass die­sel­be Sie per­sön­lich an­geht und Ih­nen pein­lich sein könn­te, Ich ver­si­che­re Ih­nen, ehe Sie mir die Uhr reich­ten, wuss­te ich nicht ein­mal, dass Sie einen Bru­der hat­ten.«

»Aber wie in al­ler Welt sind Sie denn zu die­sen Tat­sa­chen ge­kom­men, die durch­aus rich­tig sind – in al­len Ein­zel­hei­ten?«

»Wirk­lich! Nun, das ist zum Teil nichts als Glück. Ich hielt mich an die Wahr­schein­lich­keit und er­war­te­te durch­aus nicht, es so ge­nau zu tref­fen.«

»Aber Sie ha­ben doch nicht bloß auf gut Glück ge­ra­ten?«

»Nein, nein: ich rate nie. Das ist eine wi­der­wär­ti­ge Ge­wohn­heit, die jede lo­gi­sche Fä­hig­keit zer­stört. Die Sa­che er­scheint Ih­nen nur son­der­bar, weil Sie we­der mei­nem Ge­dan­ken­gang fol­gen, noch die klei­nen An­zei­chen be­ob­ach­ten, die zu großen Schluss­fol­ge­run­gen füh­ren kön­nen. Wie bin ich zum Bei­spiel zu der An­sicht ge­langt, dass Ihr Bru­der nach­läs­sig war? – Be­trach­ten Sie ein­mal den De­ckel der Uhr ge­nau. Sie wer­den be­mer­ken, dass er nicht al­lein un­ten an zwei Stel­len ein­ge­drückt ist, son­dern auch vol­ler Schram­men und Krät­zer – eine Fol­ge der Ge­wohn­heit, an­de­re har­te Ge­gen­stän­de, wie Mün­zen oder Schlüs­sel, in der­sel­ben Ta­sche zu tra­gen. Wer aber eine so kost­ba­re Uhr auf sol­che Wei­se be­han­delt, muss ein nach­läs­si­ger Mensch sein. Um das zu er­ken­nen, be­darf es kei­nes großen Scharf­sinns. Eben­so we­nig ist es ein weit her­ge­hol­ter Schluss, dass der Erbe ei­nes so wert­vol­len Ge­gen­stan­des auch im üb­ri­gen in ziem­lich gu­ter Lage ist.«

Ich nick­te, um zu zei­gen, dass ich sei­ner Aus­ein­an­der­set­zung folg­te.

»Die Pfand­ver­lei­her in Eng­land pfle­gen be­kannt­lich bei ver­setz­ten Uhren die Num­mer des Pfand­zet­tels auf der In­nen­sei­te des Ge­häu­ses ein­zu­krat­zen«, fuhr Hol­mes fort. »Nun sind nicht we­ni­ger als vier sol­cher Num­mern durch mein Glas er­kenn­bar, ein Be­weis, dass Ihr Bru­der oft in Ver­le­gen­heit war, doch muss er da­zwi­schen in sei­nen Ver­hält­nis­sen em­por ge­kom­men sein, sonst hat­te er das Pfand nicht wie­der ein­lö­sen kön­nen. – Be­trach­ten Sie nun noch den in­ne­ren De­ckel der Uhr. Se­hen Sie die tau­send Schram­men rund um das Schlüs­sel­loch – Spu­ren, wo der Schlüs­sel aus­ge­glit­ten ist? Bei der Uhr ei­nes nüch­ter­nen Man­nes kom­men sol­che Krat­zer nicht vor; auf der Uhr ei­nes Trin­kers fin­det man sie re­gel­mä­ßig. Er zieht sie nachts auf und hin­ter­lässt die­sen Be­weis von der Un­si­cher­heit sei­ner Hand. Wo ist in al­le­dem ein Ge­heim­nis?«

»Es ist so klar wie der Tag«, ant­wor­te­te ich. »Ver­zei­hen Sie, dass ich Ih­nen un­recht tat. Ich hät­te mehr Ver­trau­en in Ihre wun­der­ba­re Be­ga­bung set­zen sol­len. Darf ich fra­gen, ob Sie ge­gen­wär­tig in Ihrem Be­ruf ir­gend einen Fall zu ent­rät­seln ha­ben?«

»Kei­nen! – da­her das Ko­kain. Ich kann nicht le­ben ohne Kopf­ar­beit. Was soll man auch sonst tun? Hier am Fens­ter ste­hen? Die Welt sieht gar zu gräss­lich, trüb­se­lig und ab­sto­ßend aus! Se­hen Sie nur, wie der gel­be Ne­bel her­ab­sinkt und sich auf die schwärz­li­chen Häu­ser la­gert! Wie hoff­nungs­los, elend und pro­sa­isch er­scheint al­les! Was nüt­zen dem Men­schen sei­ne Ga­ben, Dok­tor, wenn er kein Feld hat, sie in An­wen­dung zu brin­gen? Das Ver­bre­chen ist all­täg­lich, das Da­sein ist all­täg­lich und nur für all­täg­li­che Fä­hig­kei­ten gibt es et­was zu tun auf der Welt.«

Ich woll­te eben den Mund zu ei­ner Ent­geg­nung öff­nen, als es rasch an die Tür klopf­te und un­se­re Haus­wir­tin ein­trat.

»Eine jun­ge Dame wünscht Sie zu spre­chen, Herr Hol­mes«, sag­te sie, mei­nem Ge­fähr­ten eine Kar­te rei­chend.

»Miss Mary Mors­tan«, las er. »Hm – der Name ist mir nicht be­kannt. Bit­ten Sie das Fräu­lein, sich her­auf zu be­mü­hen, Frau Hud­son. Ge­hen Sie nicht fort, Dok­tor. Es wäre mir wirk­lich lie­ber, Sie blie­ben hier.«

Tri­chi­no­pol­ly: Eine Stadt im südin­di­schen Bun­des­staat Ta­mil Nadu.  <<<

Zweites Kapitel – Ein rätselhafter Fall

Fräu­lein Mors­tan, eine blon­de jun­ge Dame, be­trat das Zim­mer mit fes­tem Schritt und äu­ßer­lich ru­hi­ger Hal­tung. Sie war klein und zier­lich, ge­schmack­voll ge­klei­det und trug ta­del­lo­se Hand­schu­he. Den­noch ließ der An­zug in sei­ner Schmuck­lo­sig­keit und Ein­fach­heit auf Be­schränkt­heit in den Mit­teln schlie­ßen. Ihr dun­kel­grü­nes Wol­len­kleid hat­te we­der Be­satz noch sons­ti­ge Ver­zie­rung, und ihre klei­ne Kopf­be­de­ckung von der­sel­ben mat­ten Far­be war nur an der Sei­te durch einen win­zi­gen wei­ßen Fe­der­stutz ge­ho­ben. Zwar be­saß sie we­der re­gel­mä­ßi­ge Züge, noch schö­ne For­men, doch war der Aus­druck des Ge­sichts höchst lie­bens­wür­dig und an­zie­hend; aus ih­ren großen, blau­en Au­gen sprach Geist und Le­ben. Ich hat­te die Frau­en vie­ler Na­tio­nen in drei ver­schie­de­nen Welt­tei­len ge­se­hen, aber nie­mals war mir ein Ge­sicht vor­ge­kom­men, in wel­chem sich so deut­lich eine emp­fäng­li­che, edle Na­tur aus­präg­te. Es ent­ging mir nicht, dass, als sie den Sitz an­nahm, den Hol­mes ihr dar­bot, ihre Lip­pe zit­ter­te und ihre Hand beb­te; in ih­rem gan­zen We­sen sprach sich eine tie­fe in­ne­re Er­re­gung aus.

»Ich kom­me zu Ih­nen, Herr Hol­mes«, sag­te sie, »weil sie der Dame, in de­ren Fa­mi­lie ich lebe, Frau Ce­cil For­res­ter, ein­mal be­hilf­lich ge­we­sen sind, eine klei­ne häus­li­che Ver­wi­cke­lung auf­zu­klä­ren. Die Güte und Ge­schick­lich­keit, wel­che Sie da­mals be­wie­sen, hat großen Ein­druck auf sie ge­macht.«

»Frau Ce­cil For­res­ter« – wie­der­hol­te er nach­denk­lich. »Ja, ja, ich er­in­ne­re mich, ich hat­te Ge­le­gen­heit, ihr einen klei­nen Ge­fal­len zu tun. Es war eine höchst ein­fa­che Sa­che.«

»Sie hielt sie da­mals durch­aus nicht da­für. Von mei­nem Fall wer­den Sie in­des­sen schwer­lich das­sel­be sa­gen. Ich kann mir kaum et­was vor­stel­len, das noch son­der­ba­rer und un­er­klär­li­cher wäre, als die Lage, in der ich mich eben jetzt be­fin­de.« Hol­mes rieb sich die Hän­de, sei­ne Au­gen glänz­ten. Er saß weit vor­ge­beugt da; aus sei­nen scharf ge­schnit­te­nen, fal­ken­ar­ti­gen Zü­gen sprach die ge­spann­tes­te Auf­merk­sam­keit.

»Tei­len Sie mir Ihren Fall mit«, sag­te er in kur­z­em Ge­schäftston.

Ich be­fand mich in pein­li­cher Ver­le­gen­heit.

»Sie wer­den ent­schul­di­gen«, mur­mel­te ich, mich von mei­nem Platz er­he­bend.

Al­lein, zu mei­ner Über­ra­schung mach­te die jun­ge Dame eine Be­we­gung, wie um mich zu­rück­zu­hal­ten.

»Wenn Ihr Freund die Güte hät­te, zu blei­ben«, rief sie, »so könn­te er mir einen un­schätz­ba­ren Dienst leis­ten.«

Ich sank in mei­nen Stuhl zu­rück.