Sherlock Holmes: Das Zeichen der Vier - Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) - Arthur Conan Doyle - E-Book
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Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

Dieses eBook: "Sherlock Holmes: Sherlock Holmes: Das Zeichen der Vier / Sherlock Holmes: The Sign of the Four - Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) / Bilingual edition (German-English)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Diese Zweisprachige Ausgabe hilft dem Leser Sherlock Holmes besser zu verstehen und zu interpretieren, ist praktisch beim Nachschlagen und sehr nützlich um Englisch / Deutsch als Fremdsprache zu Lernen oder zu Lehren. - This carefully crafted ebook: "Sherlock Holmes: Das Zeichen der Vier / Sherlock Holmes: The Sign of the Four - Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) / Bilingual edition (German-English)" is formatted for your eReader with a functional and detailed table of contents. This bilingual edition helps the reader to understand and to interpret Sherlock Holmes better, is practical for looking up text passages and very useful for learning and teaching German / English language through classic literature. - Zur Inhalt: Sherlock Holmes und Dr. Watson werden von Miss Mary Morstan beauftragt, bei der Suche nach ihrem verschollenen Vater zu helfen. Dieser war Offizier in Indien und verschwand vor zehn Jahren bei seiner Rückkehr nach England. Ein anonymer Brief bringt die drei auf die Spur von Thaddeus Sholto. Von ihm erfahren sie, dass dessen Vater mit dem Gesuchten befreundet war und zusammen mit ihm in Indien in derselben Kompanie gedient hat. Außerdem berichtet er vom Tod der beiden Männer, von einem Schatz, den diese mit aus Indien brachten und wie er und sein Bruder den Schatz entdeckten. - Plot: Sherlock Holmes and Dr. Watson have a new client, Miss Mary Morstan. Her father, British Indian Army Captain Arthur Morstan disappeared ten years ago upon his return to England. Anonymous letter connects them to Thaddeus Sholto who reveals them the story about a stolen treasure and a secret pact.

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Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes: Das Zeichen der Vier / Sherlock Holmes: The Sign of the Four

Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) / Bilingual edition (German-English)

e-artnow, 2014

Inhaltsverzeichnis - Table of Contents

Das Zeichen der Vier
THE SIGN OF FOUR
Englisch

Das Zeichen der Vier

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1. Beobachtung und Schlußfolgerung.
2. Ein rätselhafter Fall.
3. Wohin geht die Fahrt?
4. Die Erzählung des kahlköpfigen Herrn.
5. Das Trauerspiel in Pondicherry-Lodge.
6. Sherlock Holmes hält einen Vortrag.
7. Toby auf der Fährte.
8. Das Freikorps aus der Bakerstraße
9. Unwillkommener Stillstand
10. Das Ende des Insulaners.
11. Der große Agra-Schatz.
12. Jonathan Smalls seltsame Geschichte.
Englisch

1. Beobachtung und Schlußfolgerung.

Inhaltsverzeichnis

Durch seinen Scharfsinn und seine unermüdliche Thatkraft erfüllte mich Sherlock Holmes stets von neuem mit Bewunderung. Wenn er jedoch das Rätsel gelöst hatte, so schien alle Geistesfrische von ihm gewichen, und mein Freund versank in völlige Apathie.

Ihn in diesem Instand zu sehen, war für mich äußerst peinlich, aber noch unleidlicher erschien mir das Mittel, welches er anwandte, um seinen Trübsinn zu verscheuchen.

Auch heute, als wir im Zimmer beisammen saßen, langte Sherlock Holmes die Flasche von der Ecke des Kaminsimses herunter und nahm die Induktionsspritze aus dem sauberen Lederetui. Mit seinen weißen, länglichen Fingern stellte er die seine Nadel ein, und schob seine linke Manschette zurück. Eine kleine Weile ruhten seine Augen gedankenvoll an den zahllosen Narben und Punkten, mit denen sein Handgelenk und der sehnige Vorderarm über und über bedeckt waren. Endlich bohrte er die scharfe Spitze in die Haut, drückte den kleinen Kolben nieder, und sank mit einem Seufzer innigsten Wohlbehagens in seinen samtenen Lehnstuhl zurück.

Seit vielen Monaten hatte ich diesen Hergang täglich dreimal mit angesehen, ohne mich jedoch damit auszusöhnen. Im Gegenteil, Tag für Tag steigerte sich mein Verdruß bei dem Anblick, und in der Nacht ließ mir der Gedanke keine Ruhe, daß ich zu feige war, dagegen einzuschreiten. So oft ich mir aber vornahm, meine Seele von der Last zu befreien, immer wieder erschien mir mein Gefährte, mit der kühlen, nachlässigen Miene, als der letzte Mensch, dem gegenüber man sich Freiheiten herausnehmen dürfe. Seine großen Fähigkeiten, die ganze Art seines Auftretens, die vielen Fälle, in denen er seine außerordentliche Begabung schon vor mir bethätigt hatte – das alles machte mich ihm gegenüber ängstlich und zurückhaltend.

Aber an diesem Nachmittage fühlte ich plötzlich, daß ich es nicht länger aushalten könne. Der starke Wein, den ich beim Frühstück genossen, mochte mir wohl zu Kopfe gestiegen sein, vielleicht hatte mich auch Holmes’ umständliche Manier ganz besonders gereizt.

»Was ist denn heute an der Reihe,« fragte ich kühn entschlossen, »Morphium oder Cocaïn?«

Er erhob die Augen langsam von dem alten Folianten, den er aufgeschlagen hatte.

»Cocaïn,« sagte er, »eine Lösung von sieben Prozent. Wünschen Sie’s zu versuchen, Doktor Watson?«

»Wahrhaftig nicht,« antwortete ich ziemlich barsch. »Ich habe die Folgen des afghanischen Feldzugs noch nicht verwunden und kann meiner Konstitution dergleichen nicht zumuten.«

Er lächelte über meine Heftigkeit. »Vielleicht haben Sie recht, der physische Einfluß ist vermutlich kein guter. Ich finde aber die Wirkung auf den Geist so vorzüglich anregend und klärend, daß alles andere dagegen von geringem Belang ist.«

»Aber überlegen Sie doch,« mahnte ich eindringlich, »berechnen Sie die Kosten! Mag auch Ihre Hirnthätigkeit belebt und erregt werden, so ist es doch ein widernatürlicher, krankhafter Vorgang, der einen gesteigerten Stoffwechsel bedingt und zuletzt dauernde Schwäche zurücklassen kann. Auch wissen Sie ja selbst, welche düstere Reaktion Sie jedesmal befällt. Wahrlich, das Spiel kommt Sie zu hoch zu stehen. Um eines flüchtigen Vergnügens willen setzen Sie sich dem Verlust der hervorragenden Fähigkeiten aus, mit denen Sie begabt sind. Ich sage Ihnen das nicht nur als wohlmeinender Kamerad, sondern als Arzt, da ich mich in dieser Eigenschaft gewissermaßen für Ihre Gesundheit verantwortlich fühle. Bedenken Sie das wohl!«

Er schien nicht beleidigt. Seine Ellenbogen auf die Armlehnen des Stuhls stützend, legte er die Fingerspitzen gegeneinander, wie jemand, der sich zu einem Gespräch anschickt.

»Mein Geist,« sagte er, »empört sich gegen den Stillstand. Geben Sie mir ein Problem, eine Arbeit, die schwierigste Geheimschrift zu entziffern, den verwickeltsten Fall zu enträtseln. Dann bin ich im richtigen Fahrwasser und kann jedes künstliche Reizmittel entbehren. Aber ich verabscheue das nackte Einerlei des Daseins; mich verlangt nach geistiger Aufregung. Das ist auch die Ursache, weshalb ich mir einen eigenen, besondern Beruf erwählt oder vielmehr geschaffen habe; denn ich bin der Einzige meiner Art in der Welt.«

»Der einzige, nicht angestellte Detektiv?« – fragte ich mit ungläubiger Miene.

»Der einzige, nicht angestellte, beratende Detektiv,« entgegnete er. »Ich bin die letzte und sicherste Instanz im Detektivfach. Wenn Gregson, oder Lestrade, oder Athelney Jones auf dem Trocknen sind – was, beiläufig gesagt, ihr normaler Zustand ist – so wird mir der Fall vorgelegt. Ich untersuche die Thatsachen als Kenner und gebe den Ausspruch des Spezialisten. Mein Name erscheint in keiner Zeitung, ich beanspruche keinerlei Anerkennung. Die Arbeit an sich, das Vergnügen, ein angemessenes Feld für meine besondere Gabe der Beobachtung und Schlußfolgerung zu finden, ist mein höchster Lohn. – Uebrigens bin ich nicht ganz unbekannt; meine kleinen Schriften werden sogar jetzt ins Französische übertragen.«

»Ihre Schriften?«

»O, wußten Sie es nicht?« rief er lachend. »Sie behandeln lauter technische Gegenstände. – Hier ist z. B. eine Abhandlung ›Ueber die Verschiedenheit der Tabakasche‹. Ich zähle da hundert und vierzig Sorten auf: Rauchtabak, Zigarren und Zigaretten, deren Asche sich unterscheiden läßt, wie Sie aus den beigedruckten, farbigen Tafeln ersehen. Vor Gericht ist das oft von der größten Bedeutung. Wenn man z. B. mit Bestimmtheit sagen kann, daß ein Mord von einem Manne verübt worden ist, der eine indische Lunkah rauchte, so wird dadurch offenbar das Feld der Untersuchung wesentlich beschränkt. Für das geübte Auge unterscheidet sich die schwarze Asche der Trichinopolly-Zigarre von den weißen Fasern des Birds Eye-Tabaks wie ein Kohlkopf von einer Kartoffel.«

»Sie haben ein außerordentliches Genie für kleine Nebendinge,« bemerkte ich.

»Ich erkenne ihre Wichtigkeit. – Hier ist ferner mein Aufsatz über die Erforschung der Fußspuren, mit Anmerkungen über den Gips als Mittel, die Abdrücke zu bewahren. Dies hier ist ein kleines, merkwürdiges Schriftchen über den Einfluß des Handwerks auf die Form der Hand, mit Abbildungen der Hände von Dachdeckern, Schiffern, Zimmerleuten, Schriftsetzern, Webern und Diamantschleifern. Das ist von großem praktischen Interesse für den wissenschaftlichen Detektiv, besonders wo es sich um die Erkennung von Leichen oder um die Vorgeschichte der Verbrecher handelt. – Aber ich langweile Sie mit meinem Steckenpferde.«

»Durchaus nicht,« erwiderte ich eifrig. »Ich interessiere mich sehr dafür, seit ich Gelegenheit hatte, Zeuge seiner praktischen Anwendung zu sein. Sie sprachen soeben von Beobachtung und Schlußfolgerung, sind diese nicht in gewissem Grade gleichbedeutend?«

»Hm – kaum.«

Er lehnte sich behaglich in den Lehnstuhl zurück und blies dichte blaue Wolken aus seiner Pfeife. »Die Beobachtung zeigt mir z. B., daß Sie heute früh in der Wigmorestraße auf der Post gewesen sind, aber die Schlußfolgerung läßt mich wissen, daß Sie dort ein Telegramm aufgegeben haben.«

»Richtig! Beides trifft zu,« rief ich. »Aber wie in aller Welt haben Sie das herausgebracht? Der Gedanke kam mir ganz plötzlich, und ich habe keiner Seele etwas davon gesagt.«

»Das ist lächerlich einfach,« sagte er, vergnügt über mein Erstaunen, »und erklärt sich eigentlich ganz von selbst; es kann jedoch dazu dienen, die Grenzen der Beobachtung und der Schlußfolgerung festzustellen. – Die Beobachtung sagt nur, daß ein kleiner Klumpen rötlicher Erde an Ihrer Fußsohle klebt. – Nun wird aber gerade beim Postamt in der Wigmorestraße das Pflaster ausgebessert, und dabei ist die ausgeworfene Erde vor den Eingang zu liegen gekommen. Diese Erde hat eine absonderliche, rötliche Färbung, wie sie, soviel ich weiß, sonst nirgends in der Umgegend vorkommt. Das ist die Beobachtung. Das übrige ist Schlußfolgerung.«

»Und wie folgerten Sie das Telegramm?«

»Je nun, ich wußte natürlich, daß Sie keinen Brief geschrieben hatten, da ich den ganzen Morgen Ihnen gegenüber gesessen habe. In ihrem offenen Pult dort liegt auch noch ein Vorrat von Briefmarken und Postkarten. Wozu könnten Sie also auf die Post gegangen sein, außer um eine Depesche abzugeben? – Räumt man alle andern Faktoren fort, so muß der, welcher übrig bleibt, den wahren Sachverhalt zeigen.«

»In diesem Fall trifft das zu,« erwiderte ich nach einigem Bedenken. »Die Lösung war allerdings höchst einfach. Ich möchte jedoch Ihre Theorie einmal einer strengeren Probe unterwerfen, wenn Sie das nicht unbescheiden finden?«

»Im Gegenteil,« versetzte er, »es wäre mir sehr lieb; wenn Sie mir irgend ein Problem zu erforschen geben, brauche ich heute keine zweite Dosis Cocaïn zu nehmen.«

»Ich habe Sie einmal behaupten hören, daß der Mensch den Gegenständen, welche er im täglichen Gebrauch hält, fast ausnahmslos den Stempel seiner Persönlichkeit aufdrückt, so daß ein geübter Beobachter an den Sachen den Charakter ihres Eigentümers zu erkennen vermag. Nun habe ich hier eine Uhr, die mir noch nicht lange gehört. Würden Sie wohl die Güte haben, mir Ihre Meinung über die Eigenschaften und Gewohnheiten des früheren Besitzers zu sagen?«

Ich reichte ihm die Uhr, nicht ohne ein Gefühl innerer Belustigung. Die Aufgabe war nach meinem Bedünken unlösbar; ich wollte ihm damit nur eine kleine Lehre geben wegen des allzu anmaßenden Tones, den er zuweilen annahm. Er wog die Uhr in der Hand, blickte scharf auf das Zifferblatt, öffnete das Gehäuse und untersuchte das Werk; erst mit bloßen Augen, dann durch ein starkes Vergrößerungsglas. Als er endlich mit entmutigtem Gesicht die Uhr wieder zuschnappte und mir zurückgab, konnte ich mich kaum eines Lächelns enthalten.

»Da giebt’s nur wenige Anhaltspunkte,« bemerkte er. »Die Uhr ist neuerdings gereinigt, was mich um die besten Merkmale bringt.«

»Ganz recht.« erwiderte ich. »Sie wurde gereinigt, ehe man sie mir sandte.«

Holmes brauchte diesen schwachen Vorwand offenbar nur, um seine Niederlage zu verdecken. Was für Anhaltspunkte hätte er denn bei einer nicht gereinigten Uhr finden können?

»Die Untersuchung ist zwar unbefriedigend, jedoch nicht ganz erfolglos,« führ er fort, während er mit glanzlosen Augen träumerisch nach der Stubendecke starrte. »Irre ich mich, wenn ich sage, daß die Uhr Ihrem älteren Bruder gehört hat, der sie von Ihrem Vater erbte?«

»Sie schließen das ohne Zweifel aus dem H. W. auf dem Deckel?«

»Ganz recht. Das W. deutet Ihren eigenen Namen an. Das Datum reicht beinahe fünfzig Jahre zurück, und das Monogramm ist so alt wie die Uhr. Sie ist also für die vorige Generation gemacht worden. Wertsachen pflegen auf den ältesten Sohn überzugehen, der auch meistens den Namen seines Vaters trägt. Da Ihr Vater, soviel ich weiß, seit vielen Jahren tot ist, hat Ihr ältester Bruder die Uhr seitdem in Händen gehabt.«

»Soweit richtig,« sagte ich. »Und was wissen Sie sonst noch?«

»Er war sehr liederlich in seinen Gewohnheiten – liederlich und nachlässig. Er kam in den Besitz eines schönen Vermögens, brachte jedoch alles durch und lebte in Dürftigkeit. Zuweilen verbesserte sich seine Lage auf kurze Zeit, bis er endlich dem Trunk verfiel. Das ist alles, was ich ersehen kann.«

Ich sprang heftig erregt vom Stuhl auf, und ging im Zimmer auf und ab.

»Das ist Ihrer unwürdig, Holmes!« rief ich, um meiner Erbitterung Luft zu machen. »So etwas hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Sie haben Erkundigungen eingezogen über die Geschichte meines unglücklichen Bruders und geben jetzt vor, Ihre Kenntnis auf irgend eine abenteuerliche Weise erlangt zu haben. Sie können mir unmöglich zumuten, daß ich glauben soll, Sie hätten dies alles aus der alten Uhr gelesen! Ihr Benehmen ist höchst rücksichtslos und streift, gerade herausgesagt, an Gaukelei.«

»Entschuldigen Sie mich, bitte, lieber Doktor,« erwiderte er freundlich. »Ich habe die Sache nur als ein abstraktes Problem, angesehen und darüber vergessen, daß dieselbe Sie persönlich angeht und Ihnen peinlich sein könnte, Ich versichere Sie, ehe Sie mir die Uhr reichten, wußte ich nicht einmal, daß Sie einen Bruder hatten.«

»Aber wie in aller Welt sind Sie denn zu diesen Thatsachen gekommen, die durchaus richtig sind – in allen Einzelheiten?«

»Wirklich! Nun, das ist zum Teil nichts als Glück. Ich hielt mich an die Wahrscheinlichkeit und erwartete durchaus nicht, es so genau zu treffen.«

»Aber Sie haben doch nicht bloß auf gut Glück geraten?«

»Nein, nein; ich rate nie. Das ist eine widerwärtige Gewohnheit, die jede logische Fähigkeit zerstört. Die Sache erscheint Ihnen nur sonderbar, weil Sie weder meinem Gedankengang folgen, noch die kleinen Anzeichen beobachten, die zu großen Schlußfolgerungen führen können. Wie bin ich zum Beispiel zu der Ansicht gelangt, daß Ihr Bruder nachlässig war? – Betrachten Sie einmal den Deckel der Uhr genau. Sie werden bemerken, daß er nicht allein unten an zwei Stellen eingedrückt ist, sondern auch voller Schrammen und Kratzer – eine Folge der Gewohnheit, andere harte Gegenstände, wie Münzen oder Schlüssel, in derselben Tasche zu tragen. Wer aber eine so kostbare Uhr auf solche Weise behandelt, muß ein nachlässiger Mensch sein. Um das zu erkennen, bedarf es keines großen Scharfsinns. Ebensowenig ist es ein weither geholter Schluß, daß der Erbe eines so wertvollen Gegenstandes auch im übrigen in ziemlich guter Lage ist.«

Ich nickte, um zu zeigen, daß ich seiner Auseinandersetzung folgte.

»Die Pfandverleiher in England pflegen bekanntlich bei versetzten Uhren die Nummer des Pfandzettels auf der Innenseite des Gehäuses einzukratzen,« fuhr Holmes fort. »Nun sind nicht weniger als vier solcher Nummern durch mein Glas erkennbar, ein Beweis, daß Ihr Bruder oft in Verlegenheit war, doch muß er dazwischen in seinen Verhältnissen empor gekommen sein, sonst hatte er das Pfand nicht wieder einlösen können. – Betrachten Sie nun noch den inneren Deckel der Uhr. Sehen Sie die tausend Schrammen rund um das Schlüsselloch – Spuren, wo der Schlüssel ausgeglitten ist? Bei der Uhr eines nüchternen Mannes kommen solche Kratzer nicht vor; auf der Uhr eines Trinkers findet man sie regelmäßig. Er zieht sie nachts auf und hinterläßt diesen Beweis von der Unsicherheit seiner Hand. Wo ist in alledem ein Geheimnis?«

»Es ist so klar wie der Tag,« antwortete ich. »Verzeihen Sie, daß ich Ihnen unrecht that. Ich hätte mehr Vertrauen in Ihre wunderbare Begabung setzen sollen. Darf ich fragen, ob Sie gegenwärtig in Ihrem Beruf irgend einen Fall zu enträtseln haben?«

»Keinen! – daher das Cocaïn. Ich kann nicht leben ohne Kopfarbeit. Was soll man auch sonst thun? Hier am Fenster stehen? Die Welt sieht gar zu gräßlich, trübselig und abstoßend aus! Sehen Sie nur, wie der gelbe Nebel herabsinkt und sich auf die schwärzlichen Häuser lagert! Wie hoffnungslos, elend und prosaisch erscheint alles! Was nützen dem Menschen seine Gaben, Doktor, wenn er kein Feld hat, sie in Anwendung zu bringen? Das Verbrechen ist alltäglich, das Dasein ist alltäglich und nur für alltägliche Fähigkeiten giebt es etwas zu thun auf der Welt.«

Ich wollte eben den Mund zu einer Entgegnung öffnen, als es rasch an die Thür klopfte und unsere Hauswirtin eintrat.

»Eine junge Dame wünscht Sie zu sprechen, Herr Holmes,« sagte sie, meinem Gefährten eine Karte reichend.

»Miß Mary Morstan,« las er. »Hm – der Name ist mir nicht bekannt. Bitten Sie das Fräulein, sich herauf zu bemühen, Frau Hudson. Gehen Sie nicht fort, Doktor. Es wäre mir wirklich lieber, Sie blieben hier.« –

Englisch

2. Ein rätselhafter Fall.

Inhaltsverzeichnis

Fräulein Morstan, eine blonde junge Dame, betrat das Zimmer mit festem Schritt und äußerlich ruhiger Haltung. Sie war klein und zierlich, geschmackvoll gekleidet und trug tadellose Handschuhe. Dennoch ließ der Anzug in seiner Schmucklosigkeit und Einfachheit auf Beschränktheit in den Mitteln schließen. Ihr dunkelgrünes Wollenkleid hatte weder Besatz noch sonstige Verzierung, und ihre kleine Kopfbedeckung von derselben matten Farbe war nur an der Seite durch einen winzigen weißen Federstutz gehoben. Zwar besaß sie weder regelmäßige Züge, noch schöne Formen, doch war der Ausdruck des Gesichts höchst liebenswürdig und anziehend; aus ihren großen, blauen Augen sprach Geist und Leben. Ich hatte die Frauen vieler Nationen in drei verschiedenen Weltteilen gesehen, aber niemals war mir ein Gesicht vorgekommen, in welchem sich so deutlich eine empfängliche, edle Natur ausprägte. Es entging mir nicht, daß, als sie den Sitz annahm, den Holmes ihr darbot, ihre Lippe zitterte und ihre Hand bebte; in ihrem ganzen Wesen sprach sich eine tiefe innere Erregung aus.

»Ich komme zu Ihnen, Herr Holmes,« sagte sie, »weil sie der Dame, in deren Familie ich lebe, Frau Cäcilie Forrester, einmal behilflich gewesen sind, eine kleine häusliche Verwickelung aufzuklären. Die Güte und Geschicklichkeit, welche Sie damals bewiesen, hat großen Eindruck auf sie gemacht.«

»Frau Cäcilie Forrester« – wiederholte er nachdenklich. »Ja, ja, ich erinnere mich, ich hatte Gelegenheit, ihr einen kleinen Gefallen zu thun. Es war eine höchst einfache Sache.«

»Sie hielt sie damals durchaus nicht dafür. Von meinem Fall werden Sie indessen schwerlich dasselbe sagen. Ich kann mir kaum etwas vorstellen, das noch sonderbarer und unerklärlicher wäre, als die Lage, in der ich mich eben jetzt befinde.« Holmes rieb sich die Hände, seine Augen glänzten. Er saß weit vorgebeugt da; aus seinen scharfgeschnittenen, falkenartigen Zügen sprach die gespannteste Aufmerksamkeit.

»Teilen Sie mir Ihren Fall mit,« sagte er in kurzem Geschäftston.

Ich befand mich in peinlicher Verlegenheit.

»Sie werden entschuldigen,« murmelte ich, mich von meinem Platz erhebend.

Allein, zu meiner Ueberraschung machte die junge Dame eine Bewegung, wie um mich zurückzuhalten.

»Wenn Ihr Freund die Güte hätte, zu bleiben,« rief sie, »so könnte er mir einen unschätzbaren Dienst leisten.«

Ich sank in meinen Stuhl zurück.

»Die Thatsachen,« fuhr sie fort, »sind kurz folgende: Mein Vater war Offizier in einem indischen Regiment und schickte mich als kleines Kind in die Heimat. Meine Mutter war gestorben, und da ich keine Verwandten in England hatte, ward ich in einer guten Pension in Edinburg untergebracht, wo ich bis zu meinem siebzehnten Jahre blieb. Im Jahre 1878 erhielt mein Vater, als ältester Hauptmann seines Regiments, einen zwölfmonatlichen Urlaub und kehrte heim. Er telegraphierte mir von London aus, daß er dort glücklich angekommen sei, und gab mir ›Langham-Hotel‹ als seine Adresse an, wo ich ihn sogleich aufsuchen sollte. Die Botschaft war, wie ich mich erinnere, voller Liebe und Güte. Ich folgte seiner Anweisung, erfuhr jedoch im Langham-Hotel, daß Hauptmann Morstan zwar daselbst abgestiegen, aber am vorigen Abend ausgegangen und nicht wiedergekommen sei. Ich wartete den ganzen Tag, ohne Nachricht zu erhalten. Um Abend riet mir der Hotel-Direktor, mich in Verbindung mit der Polizei zu setzen. Wir machten nun Anzeigen in allen Zeitungen, allein unsere Nachforschungen blieben ohne Erfolg; von jenem Tage an bis heute hat man nie mehr ein Wort von meinem unglücklichen Vater gehört. Er kam in die Heimat mit sehnsüchtigem Herzen, er hoffte Frieden und Behagen zu finden, – statt dessen –«

Sie brach ab; Schluchzen erstickte ihre Stimme.

»Das Datum?« fragte Holmes, sein Notizbuch öffnend.

»Er verschwand am 3. Dezember 1878 – vor fast zehn Jahren.«

»Sein Gepäck?«

»War im Hotel geblieben, verschaffte uns aber keinen Aufschluß. Außer Kleidern und Büchern fand sich nur eine ansehnliche Sammlung von Seltenheiten von den Andamanen-Inseln vor. Mein Vater war einer der kommandierenden Offiziere des Wachtpostens der dortigen Verbrecherkolonie gewesen.«

»Hatte er irgend einen Freund in der Stadt?«

»Nur einen unseres Wissens – Major Scholto von seinem Regiment, dem 34. der Bombay-Infanterie. Der Major hatte kurz zuvor den Abschied genommen und wohnte in Ober-Norwood. Natürlich setzten wir uns mit ihm in Verbindung; aber er wußte nicht einmal, daß sein früherer Kamerad in England sei.«

»Ein sonderbarer Fall,« bemerkte Holmes.

»Das Seltsamste muß ich Ihnen erst noch mitteilen. Vor ungefähr sechs Jahren, oder um ganz genau zu berichten, am 4. Mai 1882 – erschien in der ›Times‹ eine Aufforderung an Fräulein Mary Morstan, ihre Adresse anzugeben, mit dem Bemerken, daß es nicht ohne Nutzen für sie sein würde. Weder Name noch Ort war beigefügt. Ich hatte gerade zu der Zeit die Stelle als Erzieherin im Hause der Frau Forrester angetreten, und auf ihren Rat ließ ich meine Adresse in die Zeitung rücken. Noch am selben Tage kam mit der Post eine kleine Pappschachtel für mich an, welche eine sehr große, glänzende Perle enthielt. Kein geschriebenes Wort war beigefügt. Seitdem ist mir jedes Jahr am gleichen Datum eine solche Schachtel mit einer Perle zugekommen, immer ohne irgend welchen Aufschluß über den Absender. Die Perlen sind nach dem Urteil eines Kenners von seltener Gattung und bedeutendem Wert. Sie können sich selbst überzeugen, daß sie schön sind.«

Sie öffnete eine flache Schachtel, in der sechs der schönsten Perlen lagen, die ich je gesehen hatte.

»Ihre Mitteilung ist höchst interessant,« sagte Holmes. »Hat sich sonst noch etwas ereignet?«

»Ja, und zwar erst heute. Deshalb bin ich hier. Diesen Morgen erhielt ich einen Brief – bitte lesen Sie!«

»Besten Dank! Auch das Couvert, wenn ich bitten darf! Poststempel London SW Datum 17. Juli. Hm! Auf der Ecke der Abdruck eines Mannsdaumens – vermutlich des Briefträgers – Papier von der besten Sorte, Couvert desgleichen. Der Mann ist wählerisch in Schreibmaterialien. Keine Anrede. ›Stellen Sie sich heute abend um sieben Uhr vor dem Lyceum-Theater ein. Wenn Sie Mißtrauen hegen, bringen Sie zwei Freunde mit. Es ist Ihnen Unrecht geschehen und Sie sollen Ihr Recht haben. Bringen Sie niemand von der Polizei. Thun Sie das, so ist alles vergebens. Ihr unbekannter Freund.‹ – Wahrhaftig ein interessantes, kleines Geheimnis! Was gedenken Sie zu thun, Fräulein Morstan?«

»Darüber wollte ich eben Ihren Rat hören.«

»Nun, dann werden wir sicherlich hingehen – Sie und ich und – jawohl – Doktor Watson ist gerade der richtige Mann. Der Brief sagt, zwei Freunde. Wir haben schon früher einmal zusammen gearbeitet, er und ich.«

»Würde er aber auch mitkommen wollen?« fragte sie mit bittender Gebärde.

»Ich werde stolz und glücklich sein, wenn ich mich nützlich machen kann,« rief ich lebhaft.

»Sie sind beide sehr gütig,« erwiderte sie. »Ich habe ein zurückgezogenes Leben geführt, und wüßte keinen Freund, an den ich mich wenden könnte. Wird es früh genug sein, wenn ich um sechs Uhr hier bin?«

»Kommen Sie ja nicht später,« sagte Holmes. »Noch eine Frage: Ist dies die nämliche Handschrift, wie auf den Adressen der Perlschachteln?«

»Sehen Sie selbst,« antwortete sie, ihm ein halbes Dutzend Papierschnitzel vorzeigend.

»Sie sind ja eine wahre Muster-Klientin. Sie haben das richtige Verständnis. Das ist schön!« Er breitete die Zettel auf dem Tisch aus, und sein rascher, scharfer Blick wanderte von einem zum andern. »Der Schreiber hat seine Hand verstellt, ausgenommen bei dem Brief, darüber kann kein Zweifel bestehen. Sehen Sie, wie das griechische ε überall durchbrechen will, und hier den Schnörkel am Schluß. Sie stammen unzweifelhaft von derselben Person. Ich möchte keine falschen Hoffnungen erregen, Fräulein Morstan, aber – besteht irgend eine Aehnlichkeit zwischen dieser Handschrift und derjenigen Ihres Vaters?« –

»Nicht die geringste.«

»Das dachte ich mir wohl. Also um sechs Uhr werden wir Sie erwarten. Erlauben Sie mir, die Papiere zu behalten, ich kann vielleicht vorher noch etwas in der Sache thun. Es ist erst halb vier. Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen,« sagte die junge Dame in heiterm Ton, steckte die Perlschachtel wieder ein und eilte mit freundlichem Gruße fort. Vom Fenster aus sah ich sie schnellen Schrittes die Straße hinuntergehen, bis das graue Hütchen mit der weißen Feder nur noch ein Punkt in der dunklen Menschenmenge war.

»Ein höchst anziehendes Mädchen,« sagte ich zu meinem Gefährten gewandt.

Holmes hatte seine Pfeife wieder angezündet und sich mit halbgeschlossenen Augen in den Stuhl zurückgelehnt. »So?« sagte er langsam – »ist mir nicht aufgefallen.«

»Sie sind wirklich ein Automat – eine Rechenmaschine!« rief ich. »Zu Zeiten ist gar kein menschliches Leben in Ihnen.«

»Man darf sein Urteil nie von persönlichen Eigenschaften beeinflussen lassen,« entgegnete er mit mattem Lächeln, »das ist von der größten Wichtigkeit. Für mich ist ein Klient nichts als eine Figur, ein Faktor in einem Problem. Gefühle sind dem klaren Denken feindlich. Der Schein trügt nur zu oft. Das liebreizendste Frauenzimmer, das mir vorgekommen ist, wurde gehängt, weil sie drei kleine Kinder um ihrer Lebensversicherung willen vergiftet hatte, und der allerabstoßendste Mann meiner Bekanntschaft ist ein Menschenfreund, der beinahe eine Viertelmillion für die Armen Londons verwendet hat.«

»In diesem Fall indessen –«

»Ich mache niemals Ausnahmen. Eine Ausnahme stößt die Regel um. Haben Sie jemals versucht, den Charakter aus der Handschrift zu bestimmen? Wie urteilen Sie über diesen Menschen nach seinem Geschreibsel?«

»Es ist leserlich und regelrecht. Ein Geschäftsmann, nicht ohne Charakterstärke, sollte ich meinen.«

Holmes schüttelte den Kopf. »Sehen Sie seine langen Buchstaben an; sie erheben sich kaum über die kleinen. Dieses d könnte ein a sein, und das s ein l. Bei charaktervollen Menschen unterscheiden sich die langen Buchstaben immer, mögen sie sonst noch so unleserlich schreiben. Aus diesen Anfangsbuchstaben spricht Selbstbewußtsein, und die k‘s verraten Schwanken und Unsicherheit. – Jetzt gehe ich aus; ich habe noch einige Erkundigungen einzuziehen. In einer Stunde bin ich wieder da.«

Ich saß am Fenster, ein Buch in der Hand, aber lesen konnte ich nicht. Meine Gedanken waren noch ganz und gar von unserem Besuch eingenommen – ihr Lächeln, die tiefen, vollen Töne ihrer Stimme, das sonderbare Geheimnis, das über ihrem Leben schwebte, beschäftigte mich. Wenn sie, als ihr Vater verschwand, siebzehn Jahre alt war, so mußte sie jetzt siebenundzwanzig sein – ein angenehmes Alter, wenn die Jugend ihre Selbstüberhebung abgeworfen hat, und etwas durch die Erfahrung ernüchtert ist.

Lange saß ich da und sann, bis so gefährliche Gedanken mir in den Kopf kamen, daß ich eiligst an meinen Schreibtisch ging und mich in die neueste Abhandlung über Pathologie vertiefte. – Wie konnte ich, ein Militärarzt mit einem schwachen Arm und noch schwächerem Bank-Depot, es wagen, an solche Dinge auch nur zu denken? Sie war eine Figur, ein Faktor, sonst nichts für mich. Wenn mein Geschick düster war, so ziemte es sich wahrlich besser, der Zukunft wie ein Mann entgegen zu gehen, statt zu versuchen, sie durch phantastische Irrlichter aufzuhellen. –

Englisch

3. Wohin geht die Fahrt?

Inhaltsverzeichnis

Erst um halb sechs Uhr kam Holmes zurück. Er war heiter, lebhaft, überhaupt in vortrefflicher Stimmung.

»Es ist kein großes Geheimnis bei der Angelegenheit,« sagte er, wahrend ich ihm eine Tasse Thee eingoß. »Mir scheint, die Thatsachen lassen nur eine mögliche Erklärung zu.«

»Was! Sie haben schon die Lösung gefunden?«

»Nicht doch, das wäre zu viel gesagt. Ich habe nur ein Faktum entdeckt, das mich auf eine Vermutung führt, welche viel für sich hat. Alle Einzelheiten schien mir noch. Ich habe nämlich eben die Register der Times durchgesehen und dabei gefunden, daß Major Scholto von Ober-Norwood, ehemals im 34. Regiment der Bombay-Infanterie, am 28. April 1882 gestorben ist.«

»Ich muß wohl sehr schwer von Begriffen sein, Holmes, denn ich sehe durchaus nicht, wie das mit dem Fall zusammenhängen kann.«

»Nicht? Das wundert mich. Betrachten Sie es einmal von folgendem Gesichtspunkt: Hauptmann Morstan verschwindet. Die einzige Person in London, die er aufgesucht haben könnte, ist Major Scholto, aber der Major leugnet, etwas von seiner Anwesenheit in London gewußt zu haben. Vier Jahre später stirbt Scholto. Eine Woche nach seinem Tode erhält Hauptmann Morstans Tochter ein wertvolles Geschenk. Die Sendung wiederholt sich von Jahr zu Jahr und jetzt kommt noch ein Brief, welcher ausspricht, daß ihr Unrecht geschehen ist. Welches andre Unrecht kann damit gemeint sein, als daß man ihr den Vater geraubt hat? Warum sollten die Geschenke unmittelbar nach Scholtos Tode anfangen, wenn nicht, weil der Erbe Scholtos das Geheimnis kennt und die Tochter zu entschädigen wünscht? Wissen Sie irgend eine andere Art und Weise, wie sich die Thatsachen deuten lassen?«

»Aber was für eine sonderbare Entschädigung! Und wie wunderlich ausgeführt! Warum hat er den Brief erst jetzt geschrieben und nicht schon vor sechs Jahren? Zudem sagt er, daß sie zu ihrem Recht kommen werde. Soll das etwa heißen, daß ihr Vater noch lebt? Schwerlich. Von einer andern Ungerechtigkeit wissen wir aber in ihrem Fall nichts.«

»Natürlich ist noch vieles unaufgeklärt,« sagte Holmes nachdenklich; »aber die Zusammenkunft heute abend wird alle Schwierigkeiten beseitigen. Ah! da fährt eine Kutsche vor und Fräulein Morstan ist darin. Sind Sie ganz fertig? Gut, dann kommen Sie hinunter; wir haben keine Zeit zu versäumen.«

Ich ergriff meinen Hut und meinen schwersten Stock, bemerkte aber zugleich, daß Holmes seinen Revolver aus dem Schubfach nahm und in die Tasche gleiten ließ. Offenbar erwartete er, daß es bei unserm Abendgeschäft ernsthaft zugehen könne.

Fräulein Morstan hatte sich in einen dunkeln Mantel gehüllt, ihr ausdrucksvolles Gesicht war gefaßt, aber bleich. Sie hätte kein Weib sein müssen, wenn sie frei von Unruhe geblieben wäre bei dem sonderbaren Abenteuer, auf welches wir auszogen; aber ihre Selbstbeherrschung war vollkommen, und sie beantwortete alle Fragen, die Sherlock Holmes noch an sie richtete, ohne Zögern.

»Major Scholto war ein sehr vertrauter Freund meines Vaters. Er erwähnte ihn häufig in seinen Briefen. Der Major und Papa befehligten die Truppen auf den Andamanen, das brachte sie natürlich in die engste Berührung miteinander. O – da fällt mir ein, es fand sich in Papas Pult ein seltsames Papier vor, welches niemand verstehen konnte. Ich glaube zwar nicht, daß es irgend welche Wichtigkeit haben kann, aber für den Fall, daß Sie es zu sehen wünschen, habe ich es mitgebracht. Da ist es.«

Holmes entfaltete das Papier sorgfältig, glättete es auf dem Knie und untersuchte es gründlich von allen Seiten unter seiner Lupe.

»Das ist ein echt indisches Fabrikat,« bemerkte er. »Das Papier muß früher einmal mit Nadeln auf ein Brett gesteckt worden sein. Es zeigt den Grundriß eines großen Gebäudes mit vielen Hallen und Gängen. An einer Stelle ist ein kleines Kreuz mit roter Tinte gezogen, darüber steht ›3. 37 von links‹ in verwischter Bleistiftschrift. Hier in der linken Ecke sieht man eine kuriose Hieroglyphe: vier Kreuze in einer Reihe, deren Arme zusammenstoßen. Daneben steht in sehr roher, ungelenker Schrift: ›Das Zeichen der Vier – Jonathan Small, Mahomet Singh, Abdullah Khan, Dost Akbar.‹ – Nun, welche Beziehung das auf unsere Angelegenheit haben könnte, weiß ich nicht. Doch ist es augenscheinlich ein Dokument von Wichtigkeit. Es muß sorgfältig in einem Taschenbuch aufbewahrt worden sein; denn die eine Seite ist so rein wie die andere.«

»Wir fanden es in seiner Brieftasche.«

»Bewahren Sie es wohl, Fräulein Morstan; wer weiß, wann es uns noch nützen kann! Ich fange an zu vermuten, daß es sich hier doch um eine weit verwickeltere Sache handelt, als ich zuerst glaubte. Ich muß meine Schlüsse von neuem ziehen.«

Er lehnte sich im Wagen zurück. Daß er scharf nachdachte, sah ich an seinen zusammengezogenen Brauen und seinem abwesenden Blick. Auch bewahrte er ein unverbrüchliches Schweigen bis an das Ende der Fahrt, während Fräulein Morstan und ich in gedämpftem Ton miteinander über die möglichen Ergebnisse unseres Unternehmens plauderten.

Es war ein trüber Septemberabend; dichter, feuchter Nebel hing über der großen Stadt und lagerte sich in schmutzig-farbenen Wolken auf den schlammigen Straßen. Die Lampen längs dem ›Strand‹ tauchten aus dem Dunkel nur als matte Lichtflecken auf, die ihren schwachen, kreisrunden Schimmer auf das nasse Pflaster warfen. Durch die dunstige Luft schoß der gelbe Schein aus den Ladenfenstern einen bald helleren, bald dunkleren Strahl quer über die menschenbelebte Hauptstraße. Es hatte etwas Unheimliches, Geisterhaftes, alle die Gesichter in endloser Reihe über diesen schmalen Lichtstreifen huschen zu sehen – traurige und fröhliche Gesichter, abgehärmte und lustige. Wie in der Menschheit Geschlecht auf Geschlecht, so glitten sie aus dem Dunkel ins Licht und wieder zurück ins Dunkel. Sonst macht dergleichen nicht leicht einen Eindruck auf mich, aber der düstere Abend und unser seltsames Unternehmen mochten wohl dazu beitragen, mein Gemüt trüber zu stimmen; auch merkte ich, daß Fräulein Morstan unter ähnlichen Gefühlen litt. Holmes allein war über solche äußere Einflüsse erhaben. Er hielt sein offenes Notizbuch auf dem Knie und schrieb von Zeit zu Zeit allerlei Zahlen und Bemerkungen beim Schein seiner Taschenlaterne nieder.

An den Seitenthüren des Lyceum-Theaters standen die Menschen schon dicht gedrängt, während bei dem Haupteingang Droschken und Kutschen in langer Reihe vorfuhren und sich ihrer Insassen entledigten. Dort stiegen feingekleidete Herren aus und in Shawls gehüllte, von Diamanten strahlende Damen. Als wir die dritte Säule, den Ort unseres Stelldicheins, erreicht hatten, redete uns ein kleiner, schwarzer Mann in Kutschertracht an: »Sind Sie die Personen, welche Fräulein Morstan begleiten?« fragte er. »Fräulein Morstan bin ich, und diese beiden Herren sind meine Freunde,« erwiderte sie. Er richtete sein forschendes Augenpaar mit scharfem durchdringendem Blick aus uns.

»Entschuldigen Sie, Fräulein,« sagte er in mürrischem Ton, »aber ich soll mir von Ihnen die Versicherung ausbitten, daß keiner Ihrer Begleiter ein Polizeibeamter ist.«

»Darauf kann ich Ihnen mein Wort geben,« lautete ihre Antwort. Er ließ nun einen scharfen Pfiff hören, worauf eine Kutsche angefahren kam. Ein Mann führte das Pferd am Zügel und öffnete uns den Schlag. Wir nahmen unsere Plätze im Wagen ein, der fremde Kutscher stieg auf den Bock, schwang die Peitsche und fuhr mit uns in rasender Eile dahin durch die nebligen Straßen. Mir war seltsam zu Mute. Es ging einem unbekannten Ziel entgegen, zu einem unbekannten Zweck. Entweder stellte sich die Aufforderung als ein grober Betrug heraus – was sich nicht wohl annehmen ließ – oder wir durften mit gutem Grund erwarten, daß es sich um wichtige Enthüllungen handelte. Fräulein Morstans Verhalten während der Fahrt war entschlossen und gefaßt wie immer. Ich versuchte zwar, sie durch die Erzählung meiner Abenteuer in Afghanistan zu erheitern und zu zerstreuen, muß aber gestehen, daß ich selbst viel zu aufgeregt war und gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten, um einen klaren Bericht zu erstatten. Noch heute behauptet sie, ich hätte ihr eine rührende Anekdote von einem Schießgewehr erzählt, das mitten in der Nacht in mein Zelt guckte, worauf ich mit einer doppelläufigen Tigerkatze danach geschossen hätte. Zuerst konnte ich noch einigermaßen die Richtung verfolgen, in welcher wir fuhren, aber – mochte nun die Schnelligkeit unserer Bewegung schuld sein, oder der Nebel – ich verlor bei meiner ohnehin beschränkten Kenntnis von London bald gänzlich den Faden und wußte nur noch, daß wir einen sehr langen Weg zu fahren schienen. Sherlock Holmes dagegen geriet niemals in Zweifel. Während das Fuhrwerk über verschiedene Plätze und durch zahllose Querstraßen und enge Gassen dahinstürmte, murmelte er die Straßennamen:

»Rochester Row, nun Vincent Square; jetzt kommen wir zur Brückenstraße. Es scheint, wir fahren nach der Surrey-Seite hinüber. Richtig, das dachte ich doch! Nun sind wir auf der Vauxhall-Brücke. Sehen Sie, dort flimmert der Fluß durch!« Einen Augenblick sahen wir wirklich das breite, stille Wasser der Themse im Laternenlicht glänzen; aber unsere Kutsche rasselte weiter und bald steckten wir wieder in einem Straßenlabyrinth auf der andern Seite.

»Wordsworth-Road,« sagte mein Gefährte. »Priory Road, die Larkhall-Gasse. Unser Abenteuer scheint uns nicht gerade in vornehme Stadtteile zu führen.« Wir hatten in der That eine sehr abgelegene, wenig anziehende Gegend erreicht. Erst kamen lange Reihen einförmiger Backsteingebäude, in welche nur die grell erleuchteten Wirtshäuser an den Ecken mit ihrem trödelhaften Aufputz einige Abwechslung brachten. Dann folgten zweistöckige Landhäuser mit winzigen Vordergärtchen und dann wieder endlose Reihen von nagelneuen Ziegelbauten – die Riesenfühlhörner, welche die ungeheure Stadt aufs Land hinaus streckte.

Endlich hielt der Wagen am dritten Hause einer neu angelegten Straße. Es sah ebenso dunkel und unbewohnt aus wie die Nachbarhäuser; nur aus dem Küchenfenster kam ein matter Lichtschein. Auf unser Klopfen wurde jedoch die Thür augenblicklich von einem indischen Diener geöffnet, der einen gelben Turban, weite, faltige Gewänder und eine gelbe Schärpe trug. Die Gestalt des Orientalen nahm sich höchst wunderbar aus im Rahmen der Hausthüre dieser Vorstadtwohnung dritter Klasse.

»Der Sahib erwartet Sie,« sagte er.

Während er noch sprach, rief drinnen eine hohe, dünne Stimme:

»Führe sie zu mir herein, Kithmutgar, bringe sie gleich zu mir ins Zimmer.«

Englisch

4. Die Erzählung des kahlköpfigen Herrn.

Inhaltsverzeichnis

Wir folgten dem Inder durch den unsaubern, schlecht erleuchteten Gang, bis er eine Thür zur Rechten aufstieß. Ein Strahl gelben Lichtes strömte uns entgegen und umleuchtete einen kleinen Mann, der mitten im Zimmer stand. Sein ungewöhnlich hoher Kopf war von einem Kranz borstiger, roter Haare umgeben, aus denen eine kahle, glänzende Glatze hervorragte, wie ein Berggipfel aus Tannenbäumen. Ohne sich vom Platz zu rühren, wand er die Hände krampfhaft ineinander, und in seinen Gesichtszügen zuckte es unaufhörlich; bald kam ein Lächeln zum Vorschein, bald ein mürrischer Ausdruck, aber in Ruhe blieben sie keinen Augenblick. Die Natur hatte ihm eine Hängelippe verliehen und eine allzu sichtbare Reihe unregelmäßiger, gelber Zähne, welche er vergebens zu verbergen trachtete, indem er sich fortwährend mit der Hand über den untern Gesichtsteil fuhr. Trotz seiner auffallenden Glatze machte er einen noch jugendlichen Eindruck. Er hatte auch wirklich erst das dreißigste Jahr zurückgelegt.

»Ergebenster Diener, Fräulein Morstan,« wiederholte er mehrmals mit seiner dünnen, schrillen Stimme. »Ihr Diener, meine Herren. Bitte, treten Sie in mein kleines Heiligtum. Ein enger Raum, aber nach meinem Geschmack eingerichtet: eine Oase der Kunst in der furchtbaren Wüste des südlichen Londons.«