Sherlock Holmes – Der Bund der Rothaarigen und andere Detektivgeschichten - Arthur Conan Doyle - E-Book

Sherlock Holmes – Der Bund der Rothaarigen und andere Detektivgeschichten E-Book

Arthur Conan Doyle

0,0

Beschreibung

Vollständig überarbeitete, korrigierte und illustrierte Fassung Mit 56 Illustrationen Wie kann man Sherlock Holmes nicht kennen? Den berühmtesten Detektiv der Geschichte, der mit seinem messerscharfen Verstand und seiner Ermittlungsart als Vorlage für fast alle kriminalistischen Nachfolger diente. Hier lernen Sie das lesenswerte Original kennen. Dieser Band beinhaltet folgende Kurzgeschichten: - "Ein Skandal in Böhmen" ("A Scandal in Bohemia") Sherlock Holmes muss einen Skandal im europäischen Hochadel verhindern. Dabei macht er die Bekanntschaft mit der berüchtigten Abenteurerin Irene Adler. - "Der Bund der Rothaarigen" ("The Red-Headed League") Der klamme und rothaarige Jabez Wilson antwortet auf eine dubiöse Annonce, in der einem rothaarigen Herrn ein lukrativer Job in Aussicht gestellt wird. - "Der Mord im Tale von Boscombe" ("The Boscombe Valley Mystery") Sherlock Holmes und Dr. Watson brechen auf, um den Mord an Charles McCarthy zu untersuchen. Der Tat verdächtigt wird dessen Sohn James, doch der bestreitet alles. - "Eine sonderbare Anstellung" ("The Stockbroker's Clerk") Holmes und Watson bekommen Besuch in der Baker Street: Hall Pycroft, ein alter Freund, hat ein Problem. - "Der Mann mit der Schramme" ("The Man with the Twisted Lip") Im Hafenviertel verschwindet der angesehene Gentleman Neville St. Clair spurlos. Alle Beweise sprechen für Mord. Aber wo ist die Leiche? - "Die Geschichte des blauen Karfunkels" ("The Blue Carbuncle") Der Kommissionär Peterson gelangt zufällig in den Besitz einer Weihnachtsgans, in der er einen wertvollen Edelstein findet. Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 254

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes – Der Bund der Rothaarigen und andere Detektivgeschichten

Vollständige & Illustrierte Fassung

Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes – Der Bund der Rothaarigen und andere Detektivgeschichten

Vollständige & Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Illustrationen: Sidney Paget EV: Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart, 1938 3. Auflage, ISBN 978-3-954182-10-7

www.null-papier.de/holmes

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Die Sher­lock Hol­mes-Samm­lung

Die ein­zel­nen Ge­schich­ten

Ein­lei­tung

Ein Skan­dal in Böh­men

Der Bund der Rot­haa­ri­gen

Der Mord im Tale von Bos­com­be

Eine son­der­ba­re An­stel­lung

Der Mann mit der Schram­me

Die Ge­schich­te des blau­en Kar­fun­kels

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Die Sherlock Holmes-Sammlung

Al­le Ro­ma­ne, alle Kurz­ge­schich­ten

Ü­ber 400 Zeich­nun­gen

Ju­bi­lä­ums­aus­ga­be: 0,99 €

null-pa­pier.de/371

Die einzelnen Geschichten

Ein­lei­tung

»Ein Skan­dal in Böh­men«, 1891

»Der Bund der Rot­haa­ri­gen«, 1891

»Der Mord im Tale von Bas­com­be«, 1891

»Eine son­der­ba­re An­stel­lung«, 1893

»Der Mann mit der Schram­me«, 1891

»Die Ge­schich­te des blau­en Kar­fun­kels«, 1892

Einleitung

In dem großen, dun­kel ge­tä­fel­ten Wohn­zim­mer Dok­tor Wat­sons sa­ßen die Gäs­te um den Ka­min. Die Tü­ren zum Gar­ten stan­den of­fen, man hör­te das fei­ne gleich­mä­ßi­ge Rie­seln des Re­gens auf den schon herbst­gel­ben Blät­tern. Ein wür­zi­ger Erd­ge­ruch ström­te her­ein. Das Feu­er im Ka­min gab dem halb­dun­keln Raum woh­li­ge Wär­me. Die Schat­ten der Flam­men tanz­ten an den Wän­den, es war wie ein Spiel flüch­ti­ger Ge­stal­ten, die sich im­mer wie­der tren­nen, um sich im­mer aufs neue wie­der zu ver­ei­nen.

Die Ge­sprä­che, die wäh­rend des Abendes­sens so leb­haft ge­führt wur­den, wa­ren ver­stummt. Je­der über­ließ sich für eine Wei­le der Stil­le und Ge­bor­gen­heit die­ser Abend­stun­de, die noch er­höht wur­de durch den lei­se fal­len­den Re­gen drau­ßen und den ei­ge­nen Ge­dan­ken, die wie die Schat­ten an der Wand ka­men und gin­gen, ohne Spu­ren zu hin­ter­las­sen.

»Es ist selt­sam, Dok­tor«, nahm eine jun­ge Frau das Wort und rück­te ih­ren Ses­sel nä­her zum Feu­er, »es ist selt­sam, dass man Ihren Freund, Herrn Hol­mes, ei­gent­lich nie bei Ih­nen an­trifft. Liebt er kei­ne Ge­sell­schaf­ten oder hat er tat­säch­lich kei­ne Zeit da­für?«

Die Frau des Arz­tes lä­chel­te. »Bei­des mag wohl in ge­wis­sem Sinn zu­tref­fen«, sag­te sie. »Wenn Herr Hol­mes bei uns ist, hat er es auch meist sehr ei­lig, wie­der weg­zu­kom­men. Und nicht sel­ten ent­führt er mir bei die­ser Ge­le­gen­heit auch mei­nen Mann«, setz­te sie scher­zend hin­zu.

»Ich habe Herrn Hol­mes stark im Ver­dacht, dass er sich gern über uns Frau­en lus­tig macht«, warf eine leb­haf­te dun­kel­haa­ri­ge Frau ein.

Dok­tor Wat­son blies mit leich­tem Lä­cheln den Rauch sei­ner Zi­ga­ret­te in die Luft. »Es ist nicht ganz so, wie Sie den­ken«, sag­te er. »Frei­lich hat mein Freund im Lau­fe sei­ner Tä­tig­keit schon al­ler­lei Er­fah­run­gen über weib­li­chen Scharf­sinn ge­macht, die – ent­schul­di­gen Sie, wenn ich es so of­fen be­ken­ne – ihn nicht ge­ra­de von der über­ra­gen­den Denk­wei­se der Frau über­zeug­ten, son­dern ihn eher be­lus­tig­ten und sei­nen Spott her­vor­rie­fen. Doch ein­mal hat ihm die Schlau­heit ei­ner Frau auch tat­säch­lich Ach­tung ab­ge­run­gen, ja, sie hat ihm da­durch so­gar das Spot­ten ab­ge­wöhnt.«

»Wirk­lich, Dok­tor?«, frag­te die leb­haf­te klei­ne Frau. Und Ka­pi­tän Ers­well bat: »Er­zäh­len Sie, Dok­tor!«

»Ja, bit­te, er­zäh­len Sie!«, fie­len die üb­ri­gen Gäs­te mit ein.

»Schön«, sag­te Dok­tor Wat­son. Er streck­te sich be­hag­lich in sei­nem Ses­sel aus, zün­de­te sich eine neue Zi­ga­ret­te an und be­gann.

Ein Skandal in Böhmen

I.

Ich war da­mals erst kurz ver­hei­ra­tet und hat­te dar­um eine Zeit lang nur we­nig von mei­nem Freun­de Sher­lock Hol­mes ge­se­hen. Mein ei­ge­nes Glück und mei­ne häus­li­chen In­ter­es­sen nah­men mich völ­lig ge­fan­gen, wie es wohl je­dem Mann er­ge­hen wird, der sich ein ei­ge­nes Heim ge­grün­det hat, wäh­rend Hol­mes, sei­ner Zi­geu­ner­na­tur ent­spre­chend, je­der Art von Ge­sel­lig­keit aus dem Wege ging. Er wohn­te noch im­mer in un­se­rem al­ten Lo­gis in der Ba­ker Street, be­grub sich un­ter sei­nen al­ten Bü­chern und wech­sel­te zwi­schen Ko­kain und Ehr­geiz, zwi­schen künst­li­cher Er­schlaf­fung und der auf­flam­men­den Ener­gie sei­ner scharf­sin­ni­gen Na­tur. Noch im­mer wand­te er dem Ver­bre­cher­stu­di­um sein gan­zes In­ter­es­se zu, und sei­ne be­deu­ten­den Fä­hig­kei­ten, so­wie sei­ne un­ge­wöhn­li­che Beo­b­ach­tungs­ga­be lie­ßen ihn den Schlüs­sel zu Ge­heim­nis­sen fin­den, wel­che die Po­li­zei längst als hoff­nungs­los auf­ge­ge­ben hat­te. Von Zeit zu Zeit drang ir­gend ein un­be­stimm­tes Gerücht über sei­ne Tä­tig­keit zu mir. Ich hör­te von sei­ner Be­ru­fung nach Odes­sa we­gen der Mor­daf­fä­re Tre­poff, von sei­ner Auf­klä­rung der ein­zig da­ste­hen­den Tra­gö­die der Ge­brü­der At­kin­son in Trin­co­ma­lee und schließ­lich von der Mis­si­on, die er im Auf­tra­ge des hol­län­di­schen Herr­scher­hau­ses so takt­voll und er­folg­reich zu Ende ge­führt hat­te. Sonst wuss­te ich von mei­nem al­ten Freund und Ge­fähr­ten we­nig mehr als alle Le­ser der täg­li­chen Zei­tun­gen.

Ei­nes Abends, es war der 20. März 1888, führ­te mich mein Weg durch die Ba­ker Street; ich kam ge­ra­de von ei­ner Kon­sul­ta­ti­on her, da ich wie­der mei­ne Pri­vat­pra­xis auf­ge­nom­men hat­te. Als ich mich der wohl­be­kann­ten Tür nä­her­te, er­griff mich der un­wi­der­steh­li­che Drang, Hol­mes auf­zu­su­chen, um zu er­fah­ren, wel­cher An­ge­le­gen­heit er au­gen­blick­lich sein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Ta­lent wid­me­te. Sei­ne Zim­mer wa­ren glän­zend er­leuch­tet, und beim Hin­auf­se­hen ge­wahr­te ich den Schat­ten sei­ner großen, ma­ge­ren Ge­stalt. Den Kopf auf die Brust ge­senkt und die Hän­de auf dem Rücken, durch­maß er schnell und eif­rig das Zim­mer. Ich kann­te sei­ne Stim­mun­gen und An­ge­wohn­hei­ten viel zu ge­nau, um nicht so­fort zu wis­sen, dass er wie­der in vol­ler Tä­tig­keit war. Er hat­te sich aus sei­nen künst­lich er­zeug­ten Träu­men em­por­ge­rafft und war nun ei­nem neu­en Rät­sel auf der Spur. Ich läu­te­te so­fort und wur­de in das Zim­mer ge­führt, das ich frü­her mit ihm ge­teilt hat­te.

Sein Be­neh­men war nicht über­mä­ßig herz­lich zu nen­nen. Das war bei ihm über­haupt sel­ten der Fall, und doch hat­te ich das Ge­fühl, dass er sich freu­te, mich zu se­hen. Er sprach kaum ein Wort, aber nö­tig­te mich mit freund­li­chem Ge­sicht in einen Lehn­stuhl, reich­te mir sei­nen Zi­gar­ren­kas­ten her­über und zeig­te auf ein Li­kör­schränk­chen in der Ecke. Dann stell­te er sich vor das Feu­er und be­trach­te­te mich in sei­ner son­der­bar for­schen­den Ma­nier.

»Die Ehe be­kommt dir, Wat­son«, be­merk­te er. »Ich glau­be, du hast sie­ben­ein­halb Pfund zu­ge­nom­men, seit ich dich zu­letzt sah.«

»Sie­ben«, ant­wor­te­te ich.

»Wirk­lich? Ich hät­te es für et­was mehr ge­hal­ten. Nur eine Klei­nig­keit mehr, Wat­son. Und du prak­ti­zierst wie­der, wie ich be­mer­ke; du er­zähl­test mir nichts von dei­ner Ab­sicht, wie­der ins Joch ge­hen zu wol­len.«

»Wo­her weißt du es denn?«

»Ich sehe es, ich fol­ge­re es eben. Ich weiß auch, dass du kürz­lich in ei­nem tüch­ti­gen Un­wet­ter drau­ßen ge­we­sen bist, und dass du ein sehr un­ge­schick­tes, nach­läs­si­ges Dienst­mäd­chen ha­ben musst.«

»Mein lie­ber Hol­mes«, sag­te ich, »nun hör’ auf; vor ei­ni­gen Jahr­hun­der­ten wür­den sie dich wahr­schein­lich ver­brannt ha­ben. Ich habe al­ler­dings am vo­ri­gen Don­ners­tag eine Land­tour ge­macht und kam furcht­bar durch­nässt und be­schmutzt nach Hau­se, aber wor­aus du das schlie­ßen willst, weiß ich doch nicht, da ich ja so­fort mei­ne Klei­der wech­sel­te. Und un­ser Mäd­chen ist wirk­lich un­ver­bes­ser­lich, mei­ne Frau hat ihr schon den Dienst ge­kün­digt, aber um al­les in der Welt, wie kannst du das wis­sen?«

Er lach­te in sich hin­ein und rieb sei­ne schma­len, ner­vö­sen Hän­de.

»Das ist doch so ein­fach«, mein­te er; »mei­ne Au­gen se­hen deut­lich, dass auf der In­nen­sei­te dei­nes lin­ken Stie­fels, die ge­ra­de jetzt vom Licht er­hellt wird, das Le­der durch sechs ne­ben­ein­an­der lau­fen­de Schnit­te be­schä­digt ist. Das kann nur je­mand ge­tan ha­ben, der sehr acht­los den ge­trock­ne­ten Schmutz von den Rän­dern der Soh­le ab­krat­zen woll­te. Da­her mei­ne dop­pel­te Ver­mu­tung, dass du ers­tens bei schlech­tem Wet­ter aus­ge­gan­gen bist, und zwei­tens, ein be­son­ders nichts­wür­di­ges, stie­fe­lauf­schlit­zen­des Exem­plar der Lon­do­ner Dienst­bo­ten­welt hast. Und was nun dei­ne Pra­xis be­trifft, so müss­te ich doch wirk­lich schwach­köp­fig sein, wenn ich einen Herrn, der nach Jo­do­form riecht, auf des­sen rech­tem Zei­ge­fin­ger ein schwar­zer Fleck von Höl­len­stein prangt, wäh­rend die Er­hö­hung sei­ner lin­ken Brust­ta­sche deut­lich das Ver­steck sei­nes Stetho­skops ver­rät, nicht auf der Stel­le für einen prak­ti­schen Arzt hal­ten wür­de.«

Ich muss­te la­chen, mit wel­cher Leich­tig­keit er die­se Fol­ge­run­gen ent­wi­ckel­te. »Wenn ich dei­ne lo­gi­schen Schlüs­se an­hö­re, er­scheint mir die Sa­che lä­cher­lich ein­fach, und ich glau­be es eben­so gut zu kön­nen«, be­merk­te ich. »Und doch über­rascht mich je­der Be­weis dei­nes Scharf­sin­nes aufs neue, bis du mir den gan­zen Vor­gang er­klärt hast. Nichts­de­sto­we­ni­ger sehe ich ge­nau so gut wie du.«

»Sehr rich­tig«, ent­geg­ne­te er, steck­te sich eine Zi­ga­ret­te an und warf sich in den Lehn­stuhl. »Du siehst wohl, aber du be­ob­ach­test nicht. Der Un­ter­schied ist ganz klar. Du hast z.B. häu­fig die Stu­fen ge­se­hen, die vom Flur in dies Zim­mer hin­auf­füh­ren.«

»Sehr häu­fig.«

»Wie oft?«

»Nun si­cher ei­ni­ge hun­dert­mal.«

»Dann wirst du mir wohl auch sa­gen kön­nen, wie viel es sind?«

»Wie viel? Nein, da­von hab’ ich kei­ne Ah­nung.«

»Siehst du wohl, du hast zwar ge­se­hen, aber nicht be­ob­ach­tet. Das mei­ne ich ja eben. Ich weiß ganz ge­nau, dass die Trep­pe sieb­zehn Stu­fen hat, weil ich nicht nur ge­se­hen, son­dern auch be­ob­ach­tet habe. – A pro­pos, da ich dein In­ter­es­se für mei­ne klei­nen Kri­mi­nal­fäl­le ken­ne, – du hat­test so­gar die Güte, eine oder zwei mei­ner ge­rin­gen Er­fah­run­gen auf­zu­zeich­nen, – wird dich ver­mut­lich auch dies in­ter­es­sie­ren.« Er reich­te mir einen Bo­gen di­cken, ro­sen­far­be­nen Brief­pa­piers, der ge­öff­net auf dem Tisch lag. »Dies Schrei­ben kam mit der letz­ten Post an, bit­te lies vor.«

Der Brief, der we­der Da­tum noch Un­ter­schrift und Adres­se trug, lau­te­te: »Ein Herr, der Sie in ei­ner sehr be­deu­tungs­vol­len An­ge­le­gen­heit zu spre­chen wünscht, wird Sie heu­te Abend um drei­vier­tel acht auf­su­chen. Die Diens­te, die Sie un­längst ei­nem re­gie­ren­den eu­ro­päi­schen Hau­se er­wie­sen, ge­ben den Be­weis, dass man Ih­nen Din­ge von al­ler­höchs­ter Wich­tig­keit an­ver­trau­en kann. Dies Ur­teil wur­de uns von al­len Sei­ten be­stä­tigt. Bit­te also zur be­zeich­ne­ten Zeit zu Hau­se zu sein und es nicht falsch zu deu­ten, wenn Ihr Be­su­cher eine Mas­ke trägt.«

»Da­hin­ter steckt ein Ge­heim­nis«, be­merk­te ich. »Kannst du dir das er­klä­ren?«

»Bis jetzt habe ich noch kei­ne An­halts­punk­te. Es ist aber ein Haupt­feh­ler, ohne die­sel­ben Ver­mu­tun­gen auf­zu­stel­len. Un­merk­lich kommt man so der Theo­rie zu­lie­be zum Kon­stru­ie­ren von Tat­sa­chen, statt es um­ge­kehrt zu ma­chen. Doch was schließt du aus dem Brief selbst?«

Ich prüf­te sorg­fäl­tig Schrift und Pa­pier.

»Der Schrei­ber lebt au­gen­schein­lich in gu­ten Ver­hält­nis­sen«, mein­te ich, be­müht, das Ver­fah­ren mei­nes Freun­des so ge­treu als mög­lich zu ko­pie­ren. »Das Pa­pier ist si­cher kost­spie­lig, es ist ganz be­son­ders stark und steif.«

»Ganz rich­tig be­merkt«, sag­te Hol­mes. »Auf kei­nen Fall ist es eng­li­sches Fa­bri­kat. Hal­te es mal ge­gen das Licht.«

Ich tat es und sah links als Was­ser­zei­chen ein großes E. und C. und auf der rech­ten Sei­te ein fremd­ar­tig aus­se­hen­des Wap­pen in das Pa­pier ge­stem­pelt. »Nun, was schließt du dar­aus?«, frag­te Hol­mes.

»Links ist der Na­mens­zug des Fa­bri­kan­ten.«

»Gut, aber rechts?«

»Ein Wap­pen als Fa­brik­zei­chen, ich ken­ne es je­den­falls nicht«, ant­wor­te­te ich.

»Dank mei­ner he­ral­di­schen Lieb­ha­be­rei, kann ich es dir ver­ra­ten«, sag­te Hol­mes. »Es ist das Wap­pen des Fürs­ten­tums O.«

»Dann ist der Fa­bri­kant viel­leicht Hof­lie­fe­rant«, mein­te ich.

»So ist’s. Doch der Schrei­ber die­ses Brie­fes ist ein Deut­scher. Fiel dir nicht der ei­gen­tüm­li­che Satz­bau auf? ›This ac­count of you we have from all quar­ters re­cei­ved.‹ Ein Fran­zo­se oder Rus­se kann das nicht ge­schrie­ben ha­ben, nur der Deut­sche ist so un­höf­lich ge­gen sei­ne Ver­ben. Ha, ha, mein Jun­ge, was sagst du dazu?«

Sei­ne Au­gen fun­kel­ten, und aus sei­ner Zi­ga­ret­te blies er große, blaue Tri­um­phwol­ken.

»Nun müs­sen wir noch her­aus­fin­den, was die­ser Deut­sche wünscht, der auf die­sem fremd­ar­ti­gen Pa­pier schreibt und es vor­zieht, sich un­ter der Mas­ke vor­zu­stel­len. Wenn ich nicht irre, kommt er jetzt selbst, um den Schlei­er des Ge­heim­nis­ses zu lüf­ten.«

Der schar­fe Ton von Pfer­de­hu­fen und das knir­schen­de Geräusch von Rä­dern ließ sich hö­ren, dann wur­de drau­ßen sehr stark ge­läu­tet. Hol­mes pfiff. »Das klingt ja, als wä­ren es zwei Pfer­de«, sag­te er. Er blick­te aus dem Fens­ter. »Ja«, fuhr er fort, »ein hüb­scher Broug­ham1 und ein Paar Pracht­gäu­le, je­der min­des­tens sei­ne hun­dert­und­fünf­zig Gui­ne­en wert. Na, Wat­son, wenn auch sonst nichts an der Sa­che ist, je­den­falls ist da Geld zu ho­len.«

»Ich glau­be, es ist wohl bes­ser, ich gehe jetzt.«

»Auf kei­nen Fall, Dok­tor, du bleibst, wo du bist; was soll­te ich wohl ohne dich an­fan­gen? Au­ßer­dem ver­spricht die Ge­schich­te in­ter­essant zu wer­den, und warum willst du dir das ent­ge­hen las­sen?«

»Aber dein Kli­ent?«

»Dar­über mach’ dir kei­ne Skru­pel. Vi­el­leicht brau­chen wir bei­de wirk­lich dei­ne Hil­fe. Er kommt jetzt. Setz’ dich ru­hig in den Lehn­stuhl und pass auf.«

Ein lang­sa­mer, schwe­rer Tritt, den man auf der Trep­pe und dem Gang ge­hört hat­te, hielt plötz­lich vor der Tür an. Gleich dar­auf wur­de laut und ener­gisch ge­klopft.

»He­rein!«, sag­te Hol­mes.

Ein Mann trat ins Zim­mer, des­sen Grö­ße wohl sechs Fuß sechs Zoll be­tra­gen moch­te, er hat­te die Brust und die Glie­der ei­nes Her­ku­les. Sei­ne Klei­dung war auf­fal­lend reich, aber kein fei­ner Eng­län­der hät­te sie für ge­schmack­voll ge­hal­ten. Brei­te Strei­fen von Astra­chan schmück­ten die Är­mel und den Kra­gen sei­nes dop­pel­rei­hi­gen Rockes, der tief­blaue Man­tel, den er über die Schul­tern ge­wor­fen hat­te, war mit flam­mend­ro­ter Sei­de ge­füt­tert und wur­de am Hal­se durch einen fun­keln­den Be­ryll zu­sam­men­ge­hal­ten. Sei­ne Stie­fel reich­ten bis zur hal­b­en Wade und wa­ren oben mit rei­chem brau­nem Pelz­werk be­setzt; sie ver­voll­stän­dig­ten den Ein­druck fremd­ar­ti­ger Pracht, den sei­ne gan­ze Er­schei­nung her­vor­brach­te. Er trug einen breit­krem­pi­gen Hut in der Hand; die schwar­ze Halb­mas­ke, die den obe­ren Teil sei­nes Ge­sich­tes be­deck­te, muss­te wohl eben erst an­ge­legt sein, denn sei­ne Hand hielt sie noch beim Ein­tritt ge­fasst. Die star­ke, et­was vor­ste­hen­de Un­ter­lip­pe und das lan­ge, ge­ra­de Kinn spra­chen von Ent­schlos­sen­heit, wenn nicht Ei­gen­sinn.

»Sie ha­ben mei­nen Brief er­hal­ten?«, frag­te er mit tiefer, rau­er Stim­me und aus­ge­prägt deut­schem Ak­zent. »Ich habe Sie auf mein Er­schei­nen vor­be­rei­tet« – er blick­te un­ge­wiss von ei­nem zum an­de­ren.

»Bit­te, neh­men Sie Platz«, sag­te Hol­mes. »Dies ist mein Freund und Kol­le­ge Dr. Wat­son, der die Güte hat, mir ge­le­gent­lich bei schwie­ri­gen Fäl­len zu hel­fen. Mit wem habe ich die Ehre?«

»Nen­nen Sie mich Graf von Kramm – aus X.2 Ich neh­me an, dass ich in Ihrem Freun­de einen Mann von Ehre und Dis­kre­ti­on vor mir habe, dem ich eine Sa­che von höchs­ter Wich­tig­keit an­ver­trau­en darf. Sonst wür­de ich es vor­zie­hen, mit Ih­nen al­lein zu ver­han­deln.«

Ich er­hob mich so­fort, um das Zim­mer zu ver­las­sen, doch Hol­mes er­griff mich am Hand­ge­lenk und drück­te mich auf mei­nen Sitz nie­der. »Ent­we­der bei­de oder kei­ner«, er­klär­te er fest. »Was Sie mir zu sa­gen ha­ben, darf die­ser Herr eben­so gut an­hö­ren.«

Der Graf zuck­te sei­ne brei­ten Schul­tern. »Dann muss ich Sie bei­de auf zwei Jah­re zu ab­so­lu­tem Schwei­gen ver­pflich­ten. Spä­ter hat die Sa­che bis auf mei­nen Na­men kei­ne Be­deu­tung mehr. Es ist aber nicht zu viel ge­sagt, wenn ich be­haup­te, dass au­gen­blick­lich die be­tref­fen­de An­ge­le­gen­heit im­stan­de wäre, einen Ein­fluss auf die eu­ro­päi­sche Ge­schich­te aus­zuü­ben.«

»Ich ver­pflich­te mich zu schwei­gen«, sag­te Hol­mes.

»Ich eben­falls.«

»Sie ent­schul­di­gen die­se Mas­ke«, fuhr un­ser selt­sa­mer Be­su­cher fort, »doch ist es der Wunsch der ho­hen Per­sön­lich­keit, in de­ren Auf­trag ich hand­le, dass sein Agent Ih­nen un­be­kannt blei­be. Gleich­zei­tig muss ich be­ken­nen, dass ich mich un­ter falschem Na­men ein­ge­führt habe.«

»Das wuss­te ich«, sag­te Hol­mes tro­cken.

»Die Um­stän­de er­for­dern das äu­ßers­te Zart­ge­fühl. Ein großer Skan­dal muss un­ter al­len Um­stän­den von ei­nem fürst­li­chen Hau­se ab­ge­wen­det wer­den, der es ernst­lich kom­pro­mit­tie­ren könn­te. Of­fen ge­stan­den, die An­ge­le­gen­heit be­trifft das er­lauch­te Ge­schlecht der…, das re­gie­ren­de Haus in O.«

Hol­mes lehn­te sich be­quem in den Lehn­stuhl zu­rück und schloss die Au­gen. »Das wusst’ ich auch schon«, mur­mel­te er.

An­schei­nend über­rascht blick­te der Frem­de auf die läs­sig hin­ge­streck­te Ge­stalt des ge­schick­tes­ten und tat­kräf­tigs­ten Po­li­zei­agen­ten Eu­ro­pas: Hol­mes hob lang­sam die Li­der und sah un­ge­dul­dig zu sei­nem hü­nen­haf­ten Kli­en­ten auf.

»Wenn Eure Ho­heit nur ge­ru­hen woll­ten, mir den Fall zu er­zäh­len«, be­merk­te er, »ich wäre dann viel bes­ser im­stan­de, einen Rat zu er­tei­len.«

Der Mann sprang von sei­nem Stuh­le auf und schritt er­regt im Zim­mer auf und ab. Zu­letzt riss er mit ei­ner Ge­bär­de der Verzweif­lung die Mas­ke vom Ge­sicht und warf sie zu Bo­den. »Sie ha­ben recht«, rief er, »Ich bin der Fürst. Wa­rum soll ich es zu ver­ber­gen su­chen?«

»Ja, warum ei­gent­lich?«, mur­mel­te Hol­mes. »Be­vor Eure Ho­heit ein Wort äu­ßer­ten, wuss­te ich, mit wem ich die Ehre hat­te, zu un­ter­han­deln.«

Un­ser son­der­ba­rer Be­su­cher nahm wie­der Platz und strich mit der Hand über sei­ne hohe, wei­ße Stirn. »Aber Sie ver­ste­hen, Sie müs­sen ver­ste­hen, dass ich nicht ge­wöhnt bin, mich per­sön­lich mit sol­chen Din­gen zu be­fas­sen. Und doch konn­te ich die­se de­li­ka­te An­ge­le­gen­heit kei­nem Ver­mitt­ler an­ver­trau­en, ohne mich gänz­lich in sei­ne Hand zu ge­ben. In der Hoff­nung auf Ihren Rat bin ich in­ko­gni­to nach Lon­don ge­kom­men.«

»Dann spre­chen Sie bit­te«, sag­te Hol­mes, wie­der die Au­gen schlie­ßend.

»Die Tat­sa­chen sind in Kür­ze fol­gen­de: Vor fünf Jah­ren mach­te ich wäh­rend ei­nes län­ge­ren Auf­ent­hal­tes in War­schau die Be­kannt­schaft ei­ner wohl­be­kann­ten Aben­teu­re­rin: Ire­ne Ad­ler. Der Name wird Ih­nen wahr­schein­lich nicht fremd sein.«

»Sei doch so gut, Dok­tor, und schla­ge in mei­nem Ver­zeich­nis nach«, sag­te Hol­mes, ohne die Au­gen zu öff­nen. Schon vor Jah­ren hat­te er an­ge­fan­gen, al­les ihm wich­tig Er­schei­nen­de, moch­te es nun Men­schen oder Din­ge be­tref­fen, sys­te­ma­tisch ein­zu­tra­gen, so­dass man kaum eine Per­son oder Sa­che er­wäh­nen konn­te, von der er nichts Nä­he­res zu be­rich­ten wuss­te. Dies­mal fand ich die ge­such­te Bio­gra­fie zwi­schen der ei­nes Rab­bi­ners und der ei­nes Kon­ter­ad­mi­rals, des Ver­fas­sers ei­ner Ab­hand­lung über die Tief­see­fi­sche.

»Nun wol­len wir mal se­hen«, mein­te Hol­mes. »Hm! Ge­bo­ren in New-Jer­sey. Alt­stim­me hm, La Sca­la, hm! Pri­ma­don­na an der kai­ser­li­chen Oper in War­schau – ja! Von der Büh­ne zu­rück­ge­tre­ten – aha. Lebt in Lon­don – ganz recht! Eure Ho­heit knüpf­ten nun mit die­ser jun­gen Per­son Be­zie­hun­gen an und schrie­ben ihr ei­ni­ge kom­pro­mit­tie­ren­de Brie­fe, de­ren Rück­ga­be jetzt wün­schens­wert wäre. Ist’s nicht so?«

»Ganz ge­nau so – aber wie –«

»Hat eine heim­li­che Ehe statt­ge­fun­den?«

»Nein.«

»Es exis­tie­ren auch kei­ne Ver­trä­ge oder Ab­ma­chun­gen?«

»Kei­ne.«

»Dann be­grei­fe ich Eure Ho­heit nicht recht. Wenn die­se jun­ge Per­son die frag­li­chen Brie­fe be­hufs Er­pres­sung oder zu an­de­ren Zwe­cken be­nut­zen woll­te, wie ver­möch­te sie dann de­ren Echt­heit zu be­wei­sen?«

»Aber die Hand­schrift?«

»Pah! Fäl­schung!«

»Doch mein be­son­de­res Brief­pa­pier?«

»Ist ge­stoh­len.«

»Mein Sie­gel?«

»Nach­ge­ahmt.«

»Mei­ne Fo­to­gra­fie?«

»Ge­kauft.«

»Aber wir sind ja bei­de zu­sam­men auf dem Bil­de.«

»O weh! Das ist sehr bös. Da­mit ha­ben Ho­heit al­ler­dings eine Un­vor­sich­tig­keit be­gan­gen.«

»Ich war ver­rückt – von Sin­nen.«

»Eure Ho­heit ha­ben sich ernst­lich kom­pro­mit­tiert.«

»Ich war da­mals noch sehr jung und nicht an der Re­gie­rung. Ich zäh­le jetzt erst drei­ßig.«

»Das Bild muss wie­der her­bei­ge­schafft wer­den.«

»Bis jetzt war al­les ver­ge­bens.«

»Ha­ben Sie es mit Geld ver­sucht?«

»Sie gibt es um kei­nen Preis her.«

»Na, dann wird es ge­stoh­len.«

»Das ist schon fünf­mal ver­sucht wor­den. Zwei­mal ließ ich in ih­rer Woh­nung ein­bre­chen, ein­mal wur­de ihr Ge­päck auf ei­ner Rei­se durch­stö­bert. Zwei­mal wur­de sie über­fal­len. Al­les um­sonst.«

»Kei­ne Spur da­von?«

»Nicht die ge­rings­te.«

Hol­mes lach­te. »Die klei­ne Ge­schich­te ist ja recht nett.«

»Aber für mich ist sie ver­teu­felt ernst«, mein­te der Fürst vor­wurfs­voll.

»Das stimmt. Was be­ab­sich­tigt sie nur mit der Fo­to­gra­fie?«

»Sie will mich ins Un­glück stür­zen.«

»Wie das?«

»Ich ste­he im Be­grif­fe, mich zu ver­hei­ra­ten.«

»Ich hör­te da­von.«

»Und zwar mit Klo­til­de, der zwei­ten Toch­ter des Kö­nigs von…3 Sie ken­nen wahr­schein­lich die star­ren Grund­sät­ze die­ser Fa­mi­lie, die Prin­zes­sin selbst ist die per­so­ni­fi­zier­te Emp­find­sam­keit. Fie­le der lei­ses­te Schat­ten auf mich, wür­de man den Plan so­fort auf­ge­ben.«

»Und Ire­ne Ad­ler?«

»Droht ih­nen das Bild zu schi­cken. Sie tut es auch, ich weiß, dass sie es tut; Sie ken­nen ih­ren ei­ser­nen Wil­len nicht. Ach, ihr lieb­li­ches Ma­don­nen­ant­litz ver­rät ja lei­der nichts da­von. Es gibt nichts, des­sen sie nicht fä­hig wäre, um die­se Hei­rat zu ver­hin­dern, ab­so­lut nichts!«

»Es ist ge­wiss, dass sich das Bild noch in ih­rem Be­sitz be­fin­det?«

»Si­cher.«

»Wo­her wis­sen Sie’s?«

»Sie hat ge­schwo­ren, es erst am Tage der Be­kannt­ma­chung der Ver­lo­bung ab­zu­schi­cken. Der ist am nächs­ten Mon­tag.«

»O, dann ha­ben wir noch drei Tage vor uns«, sag­te Hol­mes ge­müt­lich. »Das trifft sich ja sehr glück­lich, denn jetzt muss ich mich noch ein oder zwei wich­ti­gen An­ge­le­gen­hei­ten wid­men. Ho­heit blei­ben doch fürs ers­te in Lon­don?«

»Ge­wiss. Sie fin­den mich bei Lang­ham un­ter dem Na­men des Gra­fen v. Kramm.«

»Dann wer­de ich also dort­hin über un­sern Er­folg be­rich­ten.«

»Ich bit­te dar­um. Sie kön­nen sich mei­ne Auf­re­gung vor­stel­len.«

»Nun bleibt noch die Geld­fra­ge zu er­le­di­gen.«

»Sie ha­ben Voll­macht.«

»Voll­stän­dig?«

»Ei­nes mei­ner Sch­lös­ser wäre mir nicht zu viel für das Bild.«

»Und die au­gen­blick­li­chen Aus­ga­ben?«

Der Fürst zog eine di­cke Geld­ta­sche un­ter dem Man­tel her­vor und leg­te sie auf den Tisch.

»Hier sind drei­hun­dert Pfund in Gold und sie­ben­hun­dert in Pa­pier«, sag­te er.

Hol­mes krit­zel­te eine Empfangs­be­schei­ni­gung auf ein Blatt sei­nes No­tiz­bu­ches und über­reich­te es ihm.

»Die Adres­se der Dame?«

»Ist Briony Lod­ge, Ser­pen­ti­ne Ave­nue, St. John’s Wood.«

Hol­mes no­tier­te sie sich. »Noch eine an­de­re Fra­ge: war es ein Ka­bi­nett­bild?«

»Al­ler­dings.«

»Nun gute Nacht, Ho­heit, und ich darf wohl die Hoff­nung aus­spre­chen, bald güns­ti­ge Nach­rich­ten sen­den zu kön­nen. Gute Nacht auch, Wat­son«, füg­te er hin­zu, als die Rä­der des fürst­li­chen Wa­gens die Stra­ße hin­a­b­roll­ten. »Ich wür­de mich sehr freu­en, wenn du mich mor­gen Nach­mit­tag um drei Uhr auf­su­chen wür­dest, ich möch­te gern mit dir über die Sa­che plau­dern.«

II.

Pünkt­lich um drei Uhr er­schi­en ich in der Ba­ker Street, aber Hol­mes war noch nicht heim­ge­kehrt. Die Wir­tin er­zähl­te mir, er wäre kurz vor acht Uhr mor­gens fort­ge­gan­gen. Ich setz­te mich mit der fes­ten Ab­sicht an den Ka­min, ihn un­ter al­len Um­stän­den zu er­war­ten. Der vor­lie­gen­de Fall er­reg­te mein höchs­tes In­ter­es­se, und wenn er auch nicht den schreck­li­chen, selt­sa­men Cha­rak­ter trug, wie die bei­den Ver­bre­chen, die ich schon frü­her auf­zeich­ne­te, so gab ihm doch die Na­tur der Sa­che und die er­lauch­te Per­sön­lich­keit des Kli­en­ten ein ganz ei­gen­ar­ti­ges Ge­prä­ge. Ne­ben­bei ge­währ­te es mir stets aufs neue ein Ver­gnü­gen, die kla­re, schla­gen­de Lo­gik mei­nes Freun­des zu be­ob­ach­ten und den meis­ter­haf­ten Griff, mit dem er eine Si­tua­ti­on er­fass­te. Ich war an das be­stän­di­ge Ge­lin­gen sei­ner Auf­ga­ben so ge­wöhnt, dass mir die Mög­lich­keit ei­nes Mis­ser­fol­ges über­haupt nie in den Sinn kam. Kurz vor vier Uhr wur­de die Tür von ei­nem an­ge­trun­ken aus­se­hen­den Reit­knecht mit schlecht­ge­kämm­tem Haar und Ba­cken­bart ge­öff­net, das ge­röte­te Ge­sicht und die nach­läs­si­ge Klei­dung mach­ten ent­schie­den einen her­un­ter­ge­kom­me­nen Ein­druck. Trotz­dem ich die auf­fal­len­de Ge­schick­lich­keit mei­nes Freun­des in Ver­klei­dun­gen kann­te, dau­er­te es doch ge­rau­me Zeit, bis ich si­cher war, ihn vor mir zu ha­ben. Mit ei­nem leich­ten Kopf­ni­cken ver­schwand er im Schlaf­zim­mer und er­schi­en nach fünf Mi­nu­ten ele­gant ge­klei­det und ta­del­los wie im­mer. Die Hän­de in den Ta­schen streck­te er sich be­hag­lich vor dem Ka­min aus und fing herz­lich an zu la­chen.

»Das ist wirk­lich gut«, rief er und brach wie­der in sein an­hal­ten­des La­chen aus, bis er atem­los und er­schöpft in­ne­hal­ten muss­te.

»Was ist denn los?«

»Es ist zu ko­misch. Du er­rätst si­cher nicht, wo­mit ich mich heu­te be­schäf­tigt habe, und wie ich mei­ne Tä­tig­keit be­schloss.«

»Kei­ne Ah­nung. Ver­mut­lich hast du Haus und Ge­wohn­hei­ten von Fräu­lein Ire­ne be­ob­ach­tet?«

»Ganz recht, und ich habe al­ler­lei Merk­wür­di­ges er­lebt. Lass dir er­zäh­len. Ich ver­ließ also als stel­len­lo­ser Knecht heu­te früh mei­ne Woh­nung. Ich sage dir un­ter die­sen Pfer­de­men­schen herrscht eine wun­der­ba­re Ka­me­rad­schaft. Ge­hö­re zu ih­nen, und du er­fährst al­les, was du wis­sen willst. Ich fand denn auch bald die Woh­nung. Die zwei­stö­cki­ge Vil­la ist wirk­lich ein bi­jou, hin­ten dehnt sich ein Gar­ten aus, wäh­rend die Vor­der­sei­te des Hau­ses bis dicht an die Stra­ße grenzt. Rech­ter Hand be­fin­det sich ein ge­räu­mi­ges, schön aus­ge­stat­te­tes Wohn­zim­mer, mit großen, fast zum Bo­den rei­chen­den Fens­tern und je­nem dum­men eng­li­schen Fens­ter­ver­schluss, den je­des Kind öff­nen kann. Sonst war nichts Be­mer­kens­wer­tes zu ent­de­cken, höchs­tens die Mög­lich­keit, vom Dach des Kut­scher­hau­ses in das Flur­fens­ter zu ge­lan­gen. Ich schlen­der­te die Stra­ße hin­ab und fand rich­tig mei­ne Er­war­tun­gen nicht ge­täuscht; in ei­nem Gäss­chen, das sich an ei­ner der Gar­ten­mau­ern ent­lang zog, lag ein Pfer­de­stall. Ich half den Stall­knech­ten beim Abrei­ben ih­rer Pfer­de und ver­dien­te da­mit ein Trink­geld, ein Glas Bier und so viel Aus­kunft über Fräu­lein Ad­ler, als ich nur wünsch­te. Na­tür­lich muss­te ich da­für die Bio­gra­fi­en von min­des­tens zwölf Leu­ten aus der Nach­bar­schaft, die mich nicht im ge­rings­ten in­ter­es­sier­ten, mit in Kauf neh­men.«

»Nun und Ire­ne Ad­ler?«, frag­te ich.

»Oh, sie hat al­len Män­nern im gan­zen Stadt­teil die Köp­fe ver­dreht. Sie ist das ent­zückends­te Ge­schöpf un­ter der Son­ne, dar­über herrscht nur eine Stim­me in den Pfer­de­stäl­len der Ser­pen­ti­ne Ave­nue. Sie lebt sehr zu­rück­ge­zo­gen, singt in Kon­zer­ten und fährt täg­lich um fünf Uhr aus, um sie­ben kehrt sie dann zum Es­sen zu­rück. Zu an­de­rer Ta­ges­zeit ver­lässt sie sel­ten das Haus. Sie emp­fängt nur die häu­fi­gen Be­su­che ei­nes brü­net­ten und auf­fal­lend hüb­schen Herrn. Er kommt täg­lich ein-, ja auch zwei­mal und ist ein Herr God­frey Nor­ton aus dem ›In­ner Tem­ple‹. Da siehst du, welch einen Vor­teil es bringt, Kut­scher zu Ver­trau­ten zu ha­ben! Sie hat­ten ihn min­des­tens ein dut­zend­mal nach Hau­se ge­fah­ren und wa­ren ge­nau über ihn ori­en­tiert. Als ihr Re­de­fluss ver­siegt war, wan­der­te ich lang­sam in der Nähe auf und ab und ent­warf mei­nen Feld­zugs­plan.

Die­ser Herr Nor­ton war ent­schie­den ein nicht zu un­ter­schät­zen­der Fak­tor in die­ser An­ge­le­gen­heit. Er ist Ju­rist, das klang fa­tal. Wel­che Be­zie­hun­gen be­stan­den zwi­schen die­sen bei­den und wel­chen Grund hat­te er zu sei­nen häu­fi­gen Be­su­chen? War sie sei­ne Kli­en­tin, Freun­din oder sei­ne Ge­lieb­te? Im ers­te­ren Fal­le hat­te sie ihm wahr­schein­lich das Bild in Ver­wah­rung ge­ge­ben, im letz­te­ren war das we­ni­ger zu be­fürch­ten. Hier­von hing es aber doch ab, ob ich in der Vil­la mei­ne Nach­for­schun­gen fort­set­zen oder das Feld mei­ner Tä­tig­keit in die Woh­nung des Herrn ver­le­gen muss­te. Das war ein sehr kniff­li­cher Punkt und mach­te die gan­ze Sa­che weit ver­wi­ckel­ter. Ich fürch­te, die­se De­tails lang­wei­len dich, aber zum wei­te­ren Ver­ständ­nis der Si­tua­ti­on sind sie durch­aus not­wen­dig.«

»Ich fol­ge dir sehr auf­merk­sam«, ant­wor­te­te ich.

»Ich war mit der Ge­schich­te noch nicht im kla­ren, als ein Wa­gen sich nä­her­te und vor der Vil­la hielt. Ein auf­fal­lend hüb­scher Mann, mit ei­ner Ad­ler­na­se in sei­nem bär­ti­gen Ge­sicht, sprang her­aus, zwei­fel­los der­sel­be, der mir be­schrie­ben wur­de. Er schi­en große Eile zu ha­ben, be­fahl dem Fah­rer zu war­ten und eil­te an dem öff­nen­den Mäd­chen mit der Mie­ne ei­nes Man­nes vor­über, der sich völ­lig zu Hau­se fühlt. Sein Auf­ent­halt dau­er­te un­ge­fähr eine hal­be Stun­de, ich konn­te ihn zu­wei­len durch das Fens­ter des Wohn­zim­mers er­bli­cken, in dem er er­regt spre­chend und leb­haft ges­ti­ku­lie­rend auf und nie­der schritt. Von ihr war kei­ne Spur zu ent­de­cken. Plötz­lich kam er in ver­stärk­ter Auf­re­gung wie­der her­aus. Be­vor er ein­stieg, warf er einen Blick auf sei­ne Uhr. ›Fah­ren Sie wie der Teu­fel‹, be­fahl er, ›zu­erst zu Groß und Han­key in Re­gents Street und dann nach der Kir­che St. Mo­ni­ca in Ed­ge­wa­re Road. Eine hal­be Gui­nee,4 wenn die Fahrt nur sie­ben Mi­nu­ten dau­ert!‹

Fort ging es, und ich über­leg­te eben, ob ich ih­nen nicht fol­gen soll­te, als ich einen hüb­schen, klei­nen Vier­sit­zer das Gäss­chen her­auf­kom­men sah. Der Fah­rer hat­te kaum vor der Türe ge­hal­ten und war noch nicht da­mit fer­tig, die Knöp­fe sei­nes Rockes zu schlie­ßen, als sie schon ei­lig aus der Haus­tür schlüpf­te und selbst den Schlag auf­riss. ›Nach der Kir­che St. Mo­ni­ca, John‹, rief sie, ›und einen hal­b­en So­ver­eign, wenn du in sie­ben Mi­nu­ten dort bist‹.

Ich sah sie nur ganz flüch­tig, doch es ge­nüg­te, um jede Tor­heit ei­nes Man­nes be­greif­lich zu fin­den. – Die Ge­le­gen­heit durf­te ich mir nicht ent­ge­hen las­sen, Wat­son. Glück­li­cher­wei­se fand ich ein Fahr­zeug in der Nähe, das mich al­ler Zwei­fel ent­hob, auf wel­che Wei­se ich das­sel­be Ziel er­rei­chen konn­te. Der Fah­rer wuss­te nicht recht, was er aus sei­nem schä­bi­gen Fahr­gast ma­chen soll­te, aber, ehe er noch Zeit zu ir­gend­wel­chen Ein­wen­dun­gen fand, saß ich schon im Wa­gen. ›Ein hal­ber So­ver­eign, wenn Sie die Kir­che von St. Mo­ni­ca in sie­ben Mi­nu­ten er­rei­chen!‹ Es feh­len noch zehn und eine hal­be Mi­nu­te an zwölf Uhr, und es lag klar auf der Hand, was vor sich ge­hen soll­te. Mein Wa­gen fuhr sehr rasch, aber sie wa­ren doch frü­her zur Stel­le. Als ich an­kam, hiel­ten die bei­den Wa­gen schon vor der Kirch­tür. Ich be­zahl­te mei­nen Fah­rer und ging schnell hin­ein. Au­ßer den bei­den Ge­such­ten und ei­nem sehr be­stürzt aus­se­hen­den Geist­li­chen, der eif­rig auf sie ein­sprach, war kei­ne See­le wei­ter dort zu se­hen. Alle drei stan­den in ei­ner dich­ten Grup­pe vor dem Al­tar. Ich schlen­der­te mit der Mie­ne ei­nes Mü­ßig­gän­gers, der zu­fäl­lig in eine Kir­che ge­ra­ten ist, durch das Sei­ten­schiff. Zu mei­ner großen Über­ra­schung rich­te­ten plötz­lich die drei ihre Auf­merk­sam­keit auf mich, und God­frey Nor­ton schritt rasch auf mich zu.

›Gott sei Dank‹, rief er, ›Sie kön­nen uns einen sehr großen Dienst er­wei­sen. Kom­men Sie schnell, schnell!‹

›Was soll ich denn?‹, frag­te ich.

›Kom­men Sie nur, kom­men Sie nur, es feh­len nur noch zwei Mi­nu­ten, sonst ist die Sa­che un­gül­tig.‹

Ich wur­de halb zum Al­tar ge­schleppt, und be­vor ich recht wuss­te, was ge­sch­ah, hör­te ich mich Ant­wor­ten mur­meln, die in mein Ohr ge­flüs­tert wur­den, und Din­ge be­zeu­gen, von de­nen ich kei­ne Ah­nung hat­te, kurz­um ich as­sis­tier­te bei der fei­er­li­chen Ver­bin­dung von Jung­frau Ire­ne Ad­ler mit dem Jung­ge­sel­len God­frey Nor­ton. Im Au­gen­blick war al­les vor­über, und dann dank­te mir ein Herr rechts und eine Dame links, wäh­rend mir der Pre­di­ger von vorn sei­ne Zufrie­den­heit aus­drück­te. Ich sage dir, ich habe mich nie in ei­ner al­ber­ne­ren Lage be­fun­den, und es war die Erin­ne­rung dar­an, die mich vor­hin so zum La­chen brach­te. Mit dem Trau­schein hat­te es si­cher einen Ha­ken, und der Geist­li­che wei­ger­te sich au­ßer­dem ganz ent­schie­den, die Ze­re­mo­nie ohne Zeu­gen vor­zu­neh­men. Wäre ich nicht zu­fäl­lig dort ge­we­sen, so hät­te sich der Bräu­ti­gam sei­nen Trau­zeu­gen von der Stra­ße ho­len müs­sen. Die Braut schenk­te mir einen So­ver­eign, den ich zum An­den­ken an mei­ner Uhr­ket­te tra­gen wer­de.«

»Das ist ja eine sehr un­er­war­te­te Wen­dung«, sag­te ich. »Was nun?«

»Ja, mein Vor­ha­ben wur­de jetzt ernst­lich be­droht. Es hat­te den An­schein, als woll­te das Paar so­fort ab­rei­sen, und da galt es mei­ner­seits die schnells­ten und ener­gischs­ten Maß­re­geln zu tref­fen. Doch an der Kir­chen­tür trenn­ten sie sich, er fuhr nach dem ›Tem­ple‹ und sie nach ih­rer Woh­nung. ›Um fünf Uhr fah­re ich wie ge­wöhn­lich in den Park‹, rief sie ihm zu. Mehr hör­te ich nicht. Sie ent­fern­ten sich nach ver­schie­de­nen Rich­tun­gen, und ich mach­te mich auf den Weg, um mich mei­nen ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten zu wid­men.«

»Und die sind?«

»Et­was kal­tes Roast­beef und ein Glas Bier dazu«, ant­wor­te­te er, in­dem er klin­gel­te. »Ich habe bis jetzt kei­ne Zeit ge­habt, an Es­sen und Trin­ken zu den­ken, und der Abend wird mir wahr­schein­lich noch mehr Ar­beit brin­gen. Ich möch­te üb­ri­gens um dei­ne Un­ter­stüt­zung bit­ten, Dok­tor.«

»Mit Ver­gnü­gen.«

»Du hast doch kei­ne Angst, einen Ver­stoß ge­gen das Ge­setz zu be­ge­hen?«

»Nicht im ge­rings­ten.«

»Eben­so­we­nig fürch­test du dich, ge­ge­be­nen­falls ein­ge­steckt zu wer­den?«

»Für eine gute Sa­che nie.«

»Oh, die Sa­che ist vor­treff­lich.«

»Also be­stim­me über mich.«

»Ich wuss­te, dass ich mich auf dich ver­las­sen könn­te.«

»Was hast du denn vor?«