Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch) - Arthur Conan Doyle - E-Book

Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch) E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

Arthur Conan Doyles Buch 'Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung' präsentiert eine faszinierende Sammlung von Detektivgeschichten rund um den berühmten Detektiv Sherlock Holmes. Mit seinem prägnanten und detaillierten Schreibstil taucht Doyle den Leser in einer Reihe von raffinierten Fällen ein, die Holmes und seinem loyalen Begleiter Dr. Watson gegenüberstehen. Die Geschichten sind gekonnt konstruiert und halten den Leser bis zur letzten Seite in Atem. Dieses Buch hebt Doyles Genie als Meister des Krimigenres und als Schöpfer eines der berühmtesten literarischen Figuren aller Zeiten hervor. Die zweisprachige Ausgabe ermöglicht es dem Leser, sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache in die Welt von Sherlock Holmes einzutauchen. Arthur Conan Doyle, ein talentierter Schriftsteller und Arzt, kombinierte seine liebevoll gestalteten Charaktere mit raffinierten Plots, die bis heute Leser aller Altersgruppen faszinieren. Durch seine scharfe Beobachtungsgabe und seinen Sinn für Rätsel schuf Doyle ein Erbe, das weit über sein eigenes Leben hinausgeht. 'Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung' ist ein Muss für Liebhaber des Krimigenres und alle, die sich von geschickten Detektivgeschichten und der zeitlosen Kombination von Intelligenz und Deduktion ansprechen lassen wollen. Dieses Buch verspricht eine fesselnde Lektüre, die den Leser in die Welt von einem der beliebtesten literarischen Helden aller Zeiten entführt.

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Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch)

His Last Bow
 
EAN 8596547737131
DigiCat, 2023 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis - Table of Contents

Seine Abschiedsvorstellung
HIS LAST BOW
Englisch

Seine Abschiedsvorstellung

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Das Geheimnis der Villa Wisteria
I. Die Erlebnisse des Herrn John Scott Eccles
II. Der Tiger von San Pedro
Der rote Kreis
Die gestohlenen Zeichnungen
Der sterbende Sherlock Holmes
Das Verschwinden der Lady Frances Carfax
Das Abenteuer mit dem Teufelsfuß
Englisch

Das Geheimnis der Villa Wisteria

Inhaltsverzeichnis

I. Die Erlebnisse des Herrn John Scott Eccles

Inhaltsverzeichnis

Unter meinen Notizen finde ich die Aufzeichnung, daß es ein frostiger, windiger Tag gegen Ende März war. Holmes hatte ein Telegramm erhalten, während wir beim Frühstück saßen, und hatte schnell einige Worte auf das Rückantwortformular geworfen. Er sprach nicht darüber, aber die Angelegenheit lag ihm im Sinn, denn er stand nach dem Frühstück gedankenverloren vor dem wärmenden Feuer, paffte stark mit seiner Pfeife und warf ab und zu einen Blick auf das Telegramm. Plötzlich wandte er sich mir zu mit einem schelmischen Augenzwinkern.

»Ich glaube, Watson, das schlägt in dein Fach als Schreibersmann und Schriftgelehrter,« sagte er. »Welche Bedeutung gibst du dem Wort ›grotesk‹?«

»Seltsam, – merkwürdig, – auffallend in der Form,« versuchte ich, den Begriff zu umschreiben.

Aber er schüttelte den Kopf dazu.

»In dem Wort liegt noch etwas mehr, als nur das«, sagte er; »da ist noch so eine Andeutung von ›tragisch‹ und ›schrecklich‹. Wenn du deine Gedanken zurücklenkst auf einige deiner Erzählungen, mit denen du ein langmütiges Publikum angeblich unterhalten hast, so wirst du entdecken, daß häufig das Groteske sich zum Kriminellen vertieft hat. Denke nur an die sonderbaren Erlebnisse mit dem Bund der Rothaarigen. Das war grotesk genug im Anfang und endete schließlich mit einem verzweifelten Raubversuch. Oder denke an die mehr als groteske Geschichte von den fünf Apfelsinenkernen, die uns geradenwegs in eine Mordverschwörung führte. Das Wort beunruhigt mich.«

»Steht es da?« fragte ich, auf das Telegramm deutend.

Er las es laut: »Hatte soeben ganz unglaublich groteskes Erlebnis. Darf ich Euren Rat einholen? – Scott Eccles, postlagernd Charing Croß.«

»Mann oder Frau?« fragte ich.

»Oh, ein Mann natürlich. Keine Frau würde ein Telegramm mit bezahlter Antwort geschickt haben, Sie wäre selber gekommen.«

»Willst du den Fall annehmen?«

»Mein lieber Watson, du weißt, wie ich mich gelangweilt habe, seit wir den Oberst Carruthers festnahmen. Mein Geist ist wie eine sausende Maschine, die sich in Stücke reißt, wenn sie nicht mit Arbeitsleistung verkoppelt ist. Das Leben ist einförmig; die Zeitungen langweilig; Kühnheit und Romantik scheinen für immer aus der Welt der Verbrechen geschwunden. Magst du da noch fragen, ob ich Lust habe, mich mit dem Fall des Herrn Eccles zu befassen, wie unbedeutend er auch am Ende sein mag? Aber, hier kommt unser neuer Klient.«

Ein gemessener Schritt wurde auf der Treppe vernehmbar, und kurz darauf wurde ein großer, breiter Mann, mit grauen Bartkoteletten, ein sehr würdiger Herr von einer gewissen feierlichen Ehrwürdigkeit, in unser Zimmer gewiesen. Seine Lebensgeschichte stand deutlich in seinen charakteristischen Gesichtszügen geschrieben und sprach aus seiner ganzen etwas pomphaften Art, sich zu geben. Von seinen Stiefeln bis hinauf zu seiner goldenen Brille war er der Kirchenmann, konservativ, orthodox, ein guter Bürger, konventionell und ehrbar bis zum äußersten. Aber ein unerhörtes Erlebnis hatte seine gemessene Haltung, die ihn sonst nie verließ, erschüttert und seine Spuren zurückgelassen in seinem wirren Haar, seinen geröteten, ärgerlichen Backen und in seinem hastigen, aufgeregten Wesen. Er sprang gleich mit beiden Beinen in seinen »Fall«.

»Ich habe ein höchst eigenartiges und peinliches Erlebnis gehabt, Herr Holmes«, begann er. »All mein Lebtag bin ich noch nicht in einer derartig unerfreulichen Lage gewesen. Es ist höchst verletzend für mich, – einfach ungeheuerlich, und ich muß auf einer Erklärung bestehen.« Er schnaufte und kollerte vor Ärger.

»Bitte, Herr Scott Eccles, setzen Sie sich«, sagte Holmes mit sanfter Stimme. »Darf ich Sie zunächst fragen, was Sie zu mir führt?«

»Ja, Herr Holmes, es schien mir kein Anlaß zu sein, die Geschichte bei der Polizei anzuzeigen, und doch, wenn Sie alle Tatsachen kennen, so werden Sie zugeben, daß ich die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte. Privatdetektivs sind eine Klasse von Menschen, die sich meiner Sympathie in keiner Weise erfreuen, aber trotzdem, nachdem ich Ihren Namen gehört habe –«

»Ganz richtig. Aber sagen Sie mir, bitte, warum sind Sie dann nicht sofort gekommen?«

»Wie soll ich das verstehen?«

Sherlock Holmes sah auf seine Uhr.

»Es ist jetzt ein Viertel nach zwei«, sagte er. »Ihr Telegramm wurde um ein Uhr aufgegeben. Aber niemand kann Sie, Ihren Anzug und Ihre ganze ›Aufmachung‹, wenn ich so sagen darf, überfliegen, ohne zu bemerken, daß Sie schon seit dem Aufwachen sich in jener Lage befanden, die Sie jetzt zu mir trieb.«

Unser Klient fuhr sich mit der Hand über sein ungebürstetes Haar und fühlte nach seinem unrasierten Kinn.

»Sie haben recht, Herr Holmes. Ich hatte keinen Gedanken mehr für meine Toilette. Ich war nur zu froh, ein solches Haus verlassen zu können. Aber ich bin herumgelaufen, um einige Tatsachen aufzuklären, bevor ich zu Ihnen kam. Ich ging zu der Mietsagentur, wissen Sie, und da sagten sie mir, daß Herrn Garcias Miete richtig bezahlt und mit der Villa Wisteria alles ganz in Ordnung sei.«

»Sachte, sachte, mein Herr«, sagte Holmes lachend. »Sie sind ja wie mein Freund Doktor Watson, der die schlechte Gewohnheit hat, seine Geschichten vom verkehrten Ende zu erzählen. Bitte, ordnen Sie Ihre Gedanken und lassen Sie mich genau wissen, in der richtigen Aufeinanderfolge, was für Ereignisse es sind, die Sie ungekämmt, unrasiert, mit falsch zugeknöpfter Weste und in ungeputzten Schuhen zu mir als Hilfesuchenden geführt haben.«

Unser Kunde sah mit einem betrübten Blick an sich hinunter und knöpfte seine Weste richtig.

»Ich zweifle nicht, – ich sehe recht übel aus, Herr Holmes, und ich darf Ihnen die Versicherung geben, daß mir in meinem ganzen Leben so etwas noch nicht passiert ist. Aber ich werde Ihnen die ganze tolle Geschichte erzählen, und wenn ich damit zu Ende bin, so werden Sie mir gewiß zugeben, daß es mehr als genügend ist, um mich zu entschuldigen.«

Sein Bericht wurde jedoch schon im Keime erstickt. Es wurden draußen Stimmen laut, und Frau Hudson öffnete die Tür, um zwei robuste und beamtenmäßig aussehende Männer hereinzuführen. Der eine war uns gut bekannt als Inspektor Gregson von Scotland Yard, ein energischer, kühner und, innerhalb seiner Grenzen, fähiger Offizier. Er gab Holmes die Hand und stellte seinen Kollegen vor, den Inspektor Baynes von der Konstablerschaft in Surrey.

»Wir sind gemeinsam auf der Fährte, Herr Holmes, und die hat uns hierher zu Ihnen geführt.« Dabei richtete er seine Bulldoggenaugen auf unsern Klienten. »Sind Sie Herr John Scott Eccles, wohnhaft zu Popham House, Lee?«

»Der bin ich.«

»Wir haben Sie den ganzen Morgen schon gesucht.«

»Sein Telegramm hat Sie vermutlich hierher gewiesen, nicht wahr?« fragte Holmes.

»Sie haben es erraten«, erwiderte Inspektor Gregson. »Wir haben die Fährte am Postamt von Charing Croß aufgenommen und sind direkt hierhergekommen.«

»Aber warum verfolgen Sie mich denn, was wollen Sie von mir?«

»Wir wünschen von Ihnen Aufklärung über die Ereignisse, Herr Scott Eccles, die vergangene Nacht den Tod des Herrn Aloysius Garcia, wohnhaft in Villa Wisteria, bei Esher, herbeigeführt haben.«

Unser Klient hatte sich bei diesen Worten steif aufgerichtet, mit starren Augen, und jede Spur von Farbe war aus seinem verblüfften Gesichte gewichen.

»Herr Garcia ist tot, sagen Sie? Tot?«

»Jawohl, er ist tot.«

»Ein Unglücksfall, oder was?«

»Ein Unglücksfall, jawohl, wenn Sie so wollen. Wir nennen es einfach in unserer Polizeisprache einen Mord.«

»Allmächtiger Gott, das ist fürchterlich! Sie haben doch nicht – haben Sie denn etwa auf mich einen Verdacht?«

»Ein Brief von Ihnen ist in der Tasche des Ermordeten gefunden worden. Aus dem Brief erfuhren wir, daß Sie die Absicht hatten, die vergangene Nacht in seiner Villa zuzubringen.«

»Das tat ich auch.«

»Oh, Sie geben das also zu? Aha!«

Gregson zog sein Notizbuch hervor, ganz eifriger Kriminalbeamter.

»Warten Sie noch einen Augenblick, Gregson«, bat Sherlock Holmes. »Alles, was Sie von dem Herrn verlangen, ist eine genaue Mitteilung dessen, was sich gestern nacht in der Villa zutrug, nicht wahr?«

»Und es ist meine Pflicht, Herrn Scott Eccles darauf hinzuweisen, daß alles, was er aussagt, bei Gericht gegen ihn verwendet werden kann.«

»Herr Eccles war gerade im Begriff, uns alles zu erzählen, als Sie eintraten. He Watson, ein Whisky-Soda könnte unserm Klienten nichts schaden. So, mein Herr, nun gebe ich Ihnen den Rat, übersehen Sie einfach diese zwei Herren und fahren Sie fort, mir Ihren Fall vorzutragen, genau so, als ob wir nicht unterbrochen worden wären.«

Herr Eccles hatte das Glas, das ich ihm gereicht, ausgetrunken, und sein Gesicht zeigte wieder etwas Farbe. Mit einem unsicheren Blick auf das Notizbuch des Inspektors begann er von neuem:

»Ich bin Junggeselle, und da ich viel Verkehr liebe, so unterhalte ich zahlreiche Bekanntschaften. Unter diesen ist auch die Familie eines ehemaligen Bierbrauers namens Melville, in Albemarle Mansion, Kensington. In seinem Hause lernte ich vor einigen Wochen einen jungen Mann namens Garcia kennen. Er war, wie ich hörte, von spanischer Herkunft und irgendwie angestellt bei der Gesandtschaft. Er sprach fließend Englisch, war von angenehmen Umgangsformen und machte auf mich einen so guten Eindruck wie nur je ein Mann in meinem Leben.

Zwischen diesem sympathischen jungen Mann und mir entwickelte sich alsbald eine Art Freundschaft. Von Anfang an schien er besonderen Gefallen an mir gefunden zu haben, und schon zwei Tage nach unserer ersten Begegnung besuchte er mich in Lee. Eins ergab sich aus dem andern, und zuletzt lud er mich ein, einige Tage bei ihm in seiner Villa Wisteria zu verweilen. Die Villa liegt zwischen Esher und Orshott. Gestern abend ging ich nach Esher, um seiner Einladung zu folgen.

Er hatte mir sein Hauswesen früher schon beschrieben. Er lebte mit einem treuen Diener, einem Landsmann, der das ganze Haus in Ordnung hielt. Der Diener konnte genügend Englisch. Dann war da noch ein wundervoller Koch, so hatte er mir erzählt, ein Halbeuropäer, den er auf einer seiner Reisen aufgegriffen hatte. Der konnte ganz köstliche Mahlzeiten zubereiten. Ich entsinne mich noch, daß er bemerkte, was das doch für ein sonderbarer Haushalt sei mitten im Herzen von Surrey, und daß ich ihm lachend beipflichtete. Ich fand alles aber noch viel sonderbarer, als ich es mir vorgestellt hatte.

Ich fuhr nach der Villa, ungefähr zwei Meilen südlich von Esher. Das Haus, abseits von der Straße stehend, war ziemlich groß; von der Straße führte eine halbmondförmige Anfahrt zwischen Buchsbaumhecken heran. Es war ein altes, verwahrlostes Gebäude; das Ganze machte einen verkommenen Eindruck. Als mein Wägelchen auf dem mit Gras bewachsenen Kiesweg vor der Haustür hielt, an der die Farbe abgeblättert war, kamen mir Zweifel, ob es richtig von mir war, einem Mann auf seine Einladung zu folgen, von dem ich im Grunde so wenig wußte und der zudem ein Ausländer war. Er öffnete mir selbst die Tür und begrüßte mich mit einer stark zur Schau getragenen Herzlichkeit. Er übergab mich sodann dem Diener, einem melancholischen, dunkelhäutigen Menschen, der meinen Koffer ergriff und mich zu meinem Zimmer geleitete. Alles machte einen niederdrückenden Eindruck auf mich. Unsere Mahlzeit nahmen wir zu zweit ein, und obwohl Herr Garcia sein Möglichstes tat, um mich zu unterhalten, so schienen mir seine Gedanken doch weit weg zu wandern, in mir unbekannte Fernen, und er sprach oft so unklar und wild, daß ich ihn kaum verstehen konnte. Er trommelte fortgesetzt mit den Nägeln auf der Tischplatte, biß sich in den gebogenen Zeigefinger und verriet auch sonst eine hochgespannte Unruhe. Das Essen wurde weder gut serviert, noch war es gut gekocht, und die Anwesenheit des finstern Dieners machte die Mahlzeit nicht heiterer. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß ich wiederholt während des Abends den Wunsch hatte, es möchte mir irgendeine passende Ausrede einfallen, um nach Lee zurückzukehren.

Eine Sache fällt mir da ein –« zu den beiden Kriminalbeamten gewendet –, »die vielleicht von Bedeutung für Sie sein könnte. Ich hatte sie zunächst nicht weiter beachtet. Gegen das Ende unserer Mahlzeit brachte der Diener einen Zettel herein. Nachdem Herr Garcia ihn gelesen, schien er mir noch zerstreuter und sonderbarer in seinem Benehmen als zuvor. Er gab sich gar keine Mühe mehr, die Unterhaltung im Gang zu halten, sondern saß, in seine eigenen Gedanken verloren da, rauchte eine Zigarette auf die andere, machte aber keinerlei Bemerkung über den Inhalt der soeben erhaltenen Botschaft. Um elf Uhr war ich froh, zu Bett gehen zu können. Einige Zeit danach sah Garcia bei mir herein, – es war kein Licht im Zimmer – und fragte mich, ob ich geläutet hätte. Ich erwiderte nein. Er entschuldigte sich wegen der Störung zu so später Nachtzeit und bemerkte, es sei nahe an ein Uhr. Ich schlief dann wieder ein und schlief ungestört die ganze Nacht.

Und nun komme ich zu dem erstaunlichsten Teil meiner Erzählung. Als ich aufwachte, war es heller Tag. Ich schaute auf meine Uhr, es war fast neun. Ich hatte ausdrücklich gebeten, man möchte mich um acht Uhr wecken, und war daher erstaunt über solche Vergeßlichkeit. Ich sprang aus dem Bett und klingelte dem Diener. Aber kein Mensch kam. Ich klingelte wieder und wieder, mit demselben Mißerfolg. Dann schloß ich, daß die Klingel kaput sein müsse; ich warf mich ärgerlich in meine Kleider und lief die Treppe hinunter, um mir heißes Wasser zu bestellen. Nun denken Sie sich mein Erstaunen, als ich im ganzen Hause niemand fand. Ich rief unten auf der Diele. Keine Antwort. Ich lief von Zimmer zu Zimmer – kein Mensch zu sehen! Herr Garcia hatte mir am Abend gezeigt, wo er schlafe; ich klopfte an, und als ich keine Antwort erhielt, öffnete ich die Tür. Das Zimmer war leer, in dem Bett war nicht geschlafen worden. Er war einfach weg, mit den übrigen. Der Hausherr fort, der Diener fort, der Koch fort – die ganze landfremde Sippschaft war über Nacht verschwunden! Das war das Ende meines Besuches in der Villa Wisteria.«

Sherlock Holmes rieb vergnügt die Handflächen gegeneinander und schmunzelte über diese Bereicherung seiner Sammlung von merkwürdigen Begebenheiten.

»Meines Wissens ist Ihr Erlebnis ganz einzigartig«, sagte er. »Darf ich Sie fragen, was Sie dann taten, als Sie entdeckt hatten, daß Sie allein im Hause waren?«

»Ich war wütend, Herr Holmes. Mein erster Gedanke war, ich sei das Opfer eines sehr schlechten Scherzes. Ich packte meine Sachen zusammen, schlug die Tür hinter mir zu und ging mit dem Koffer in der Hand nach Esher. Unterwegs kam mir ein Gedanke. Ich ging in Esher zu den Gebrüdern Allan, dem Grundstücksbüro am Ort, und erfuhr dort, daß Allans die Villa vermietet hatten. Es schien mir undenkbar, daß Garcia sollte ein Landhaus extra gemietet haben, um mich zum Narren zu machen, und ich kam auf den Gedanken, es handelte sich bei ihm darum, sich um die Miete zu drücken. Wir haben Ende März, also ist die Vierteljahrsmiete demnächst fällig. Aber diese Theorie fiel gleich zusammen. Herr Allan dankte mir für meine Warnung, aber sie war überflüssig, versicherte er, denn die Miete war für das kommende Vierteljahr bereits vorausbezahlt. Dann fuhr ich nach London, zur spanischen Gesandtschaft. Ein Aloysius Garcia war dort nicht bekannt. Das wunderte mich nicht mehr. Darauf ging ich zu Melville, in dessen Haus ich Garcias Bekanntschaft gemacht hatte. Ich erfuhr von ihm nur, daß er noch weniger über ihn wußte, als ich selber. Schließlich, als ich in Charing Croß Ihre Antwort auf mein Telegramm erhielt, kam ich zu Ihnen heraus, denn ich habe gehört, daß Sie in solchen mysteriösen Angelegenheiten manchem schon geholfen haben. Und nun, Herr Inspektor, scheint es mir, daß Sie nach dem, was Sie vorhin gesagt haben, meinen Bericht fortsetzen können und daß ein Verbrechen begangen wurde. Ich versichere Sie, daß jedes Wort, das ich gesagt, die reine Wahrheit ist, und daß ich sonst nichts zu sagen weiß, schlechterdings gar nichts, am wenigsten darüber, was aus Garcia geworden ist, nachdem er die Villa verlassen hat. Mein einziger Wunsch ist jetzt, der Gerechtigkeit und dem Gesetz nach bestem Können, auf jede nur mögliche Weise, bei der Aufklärung des Verbrechens zu dienen.«

»Ich zweifele nicht daran, Herr Scott Eccles, ich zweifele nicht daran«, erwiderte Inspektor Gregson in sehr verbindlichem Tone. »Ich muß Ihnen sagen, daß alles, was Sie gesagt haben, sehr genau zu den Tatsachen paßt, die zu unserer Kenntnis gelangt sind. Zum Beispiel der Zettel, der während des Essens gebracht wurde – haben Sie zufällig beobachtet, wo er hinkam, nachdem Garcia ihn gelesen?«

»Jawohl, Garcia knüllte ihn zusammen und warf ihn ins Kaminfeuer.«

»Was sagen Sie dazu, Herr Kollege Baynes?«

Der Provinzkonstabler war ein korpulenter, etwas aufgeschwemmter rotbackiger Herr, dessen grobes Gesicht jedoch durch zwei auffallend klare Augen, die von Fett und Brauen fast verdeckt waren, etwas Geistiges erhielt. Mit einem breiten Lächeln zog er einen Zettel Papier, beschmutzt und voller Falten, aus seiner Brusttasche.

»Es war ein sehr tiefer Kamin, Herr Holmes, und ein nicht ebenso tiefer Feuerrost. Garcia hat das Papier über das Feuer hinweggeworfen, es ist zwischen der Rückwand und dem Rost niedergefallen, und da habe ich es unversehrt gefunden.«

Holmes lächelte dem Konstabler zu. Ein Lächeln der Anerkennung.

»Sie müssen das Haus sehr sorgfältig durchsucht haben, um solch ein Bällchen Papier zu finden.«

»Sorgfältigkeit ist meine Art, Herr Holmes. – Soll ich es vorlesen, Herr Gregson?«

Der Londoner nickte.

»Der Zettel besteht aus gewöhnlichem Schreibpapier, ohne Wasserzeichen. Es ist ein Quartblatt. Das Papier ist mit zwei Schnitten einer kurzen Schere abgeschnitten. Es wurde dreimal gefaltet und mit rotem Siegellack gesiegelt, ohne Sorgfalt gesiegelt und mit Verwendung eines ovalen flachen Gegenstandes an Stelle eines Petschaftes. Überschrieben ist es an Herrn Garcia, Villa Wisteria. Der Text lautet: ›Unsere eigenen Farben, grün und weiß. Grün offen, weiß geschlossen. Haupttreppe, erster Korridor, siebentes zur Rechten. Grüner Fries. Gott behüte Sie D.« Es ist die Handschrift einer Frau, geschrieben mit einer harten, spitzen Feder; aber die Überschrift ist mit einer anderen Feder geschrieben oder von einer anderen Hand. Die Schriftzüge sind dicker, fester, wie Sie sehen.«

»Eine sehr merkwürdige Mitteilung«, sagte Holmes und betrachtete das Papier und die Schrift. »Ich muß Ihnen mein Kompliment machen, Herr Baynes, zu der so sicher ins einzelne gehenden Untersuchung, die Sie mit diesem Blatt angestellt haben. Einige geringfügige Kleinigkeiten wären vielleicht noch nachzutragen. Der ovale Siegelabdruck: das ist offenbar ein Manschettenknopf – was hätte sonst noch so eine Form? Die Schere hatte, wie Sie richtig bemerkten, nur kurze Klingen; überdies waren sie gebogen – es war eine Nagelschere. Die Krümmung können Sie genau hier an den zwei Schnitten sehen.«

Der Provinzkonstabler ließ ein unterdrücktes Lachen hören.

»Ich glaubte, ich hätte allen Saft herausgepreßt, aber ich sehe jetzt, daß immer noch etwas übrig blieb«, sagte er. »Ich muß Ihnen übrigens noch gestehen, daß mir die Worte nichts verraten, ich kann sie mir nicht deuten, außer natürlich, daß da irgend ‘was geplant war, und daß, wie gewöhnlich, eine Frau dahinter steckt.«

Herr Scott Eccles hatte während dieser Unterhaltung sich unruhig auf seinem Stuhl hin-und hergeschoben.

»Es erleichtert mich außerordentlich, daß Sie den Zettel gefunden haben«, sagt er, »denn er bestätigt Ihnen in diesem Punkt die Richtigkeit meiner Angaben. Aber darf ich Sie daran erinnern, daß ich noch nichts weiter davon gehört habe, was Herrn Garcia zugestoßen ist und was aus seinen Leuten wurde?«

»Was Garcia anlangt«, erwiderte Gregson, »so ist die Frage leicht beantwortet. Man hat ihn heute morgen tot aufgefunden, etwa eine Meile von Villa Wisteria. Der ganze Kopf ist ihm zu Brei geschlagen, mit irgendeinem stumpfen Gegenstand, der außen vielleicht weich sein dürfte, denn offene Wunden sind kaum vorhanden. Nasser Sandsack vielleicht. Es ist eine einsame Gegend dort, Orshotter Gebiet, kein Haus in der Nähe auf eine Viertelmeile. Allem Anschein nach ist er von hinten niedergeschlagen worden, aber sein Angreifer hat dann fortgefahren, auf den Kopf loszuhämmern, lange nachdem Garcia schon tot war. Es ist eine fürchterliche Untat, grausig! Von dem Mörder fehlt jede Spur. Kein Fußabdruck, nichts.«

»Beraubt?«

»Nein, soweit wir feststellen konnten.«

»Das ist alles so schrecklich, so schrecklich und furchtbar«, sprach Herr Scott Eccles mit klagender Stimme; »und für mich ist es ganz ungewöhnlich hart. Ich habe nicht das mindeste damit zu tun, daß Herr Garcia in der Nacht irgend etwas unternahm und er ein so schreckliches Ende dabei fand. Wieso werde ich denn mit diesem Mord in Verbindung gebracht?«

»Sehr einfach«, erwiderte Inspektor Baynes. »Das einzige Schriftstück, das man bei dem Toten fand, ist ein Brief von Ihnen, der besagt, daß Sie in derselben Nacht bei ihm sein wollten, in der er ermordet wurde. Nur aus dem Umschlag Ihres Briefes haben wir Namen und Wohnort des Toten erfahren. Nach zehn Uhr heute früh kamen wir zu der Villa und fanden sie leer. Ich telegraphierte an Herrn Gregson, er solle Sie in London festnehmen, während ich die Villa zunächst untersuchte. Dann fuhr auch ich nach London, traf mich mit Herrn Gregson, und so sind wir hier vor Ihnen erschienen.«

Gregson erhob sich.

»Ich denke, wir geben der ganzen Sache jetzt die richtige amtliche Form. Kommen Sie, bitte, mit uns auf die Kriminalabteilung, Herr Scott Eccles, und geben Sie Ihre Aussagen dort zu Protokoll.«

»Gewiß, ich gehe sofort mit«, stimmte unser Kunde bei. »Aber ich halte mich Ihrer Dienste versichert, Herr Holmes. Ich wünsche, daß Sie keine Kosten sparen und keine Mühe scheuen, um der Sache auf den Grund zu kommen.«

Mein Freund wandte sich an Herrn Baynes.

»Ich darf wohl annehmen, daß Sie nichts dagegen haben, wenn ich mit Ihnen zusammen arbeite, wie Herr Scott Eccles es wünscht.«

»Ist mir eine große Ehre, Herr Holmes.« Und der Inspektor verbeugte sich etwas ungelenk.

»Sie sind in allem, wie mir scheint, sehr zielbewußt und sachgemäß vorgegangen. Ist irgendein Anhalt da für den Zeitpunkt, zu dem der Ermordete seinen Tod fand?«

»Er muß seit ein Uhr morgens dagelegen haben. Um diese Zeit fing es an zu regnen, und sein Tod hat ihn sicher vor Eintritt des Regens ereilt.«

»Aber das ist ja ganz unmöglich, Herr Baynes«, rief unser Klient. »Garcias Stimme ist nicht zu verkennen, ich kann es beschwören, daß es seine Stimme war, die eben um ein Uhr in meinem Schlafzimmer zu mir sprach.«

»Merkwürdig – aber nicht unmöglich«, sagte Holmes lächelnd.

»Haben Sie schon eine Erklärung?« fragte Gregson.

»Obenhin betrachtet ist der Fall nicht sehr schwierig, obwohl er einige neue und interessante Züge aufweist. Eine weitere Kenntnis der Tatsachen ist jedoch notwendig, ehe ich eine bestimmte, abschließende Meinung äußern kann. Haben Sie übrigens, Herr Baynes, außer dem Zettel irgend etwas Bemerkenswertes in dem Hause entdeckt?«

Der Konstabler sah meinen Freund mit einem sehr sonderbaren Blick an.

»Ich habe da allerdings ein paar ganz kuriose Dinge gefunden, Herr Holmes. Wenn wir auf der Kriminalabteilung fertig sind, und Sie sich für die Sachen interessieren, dann fahren Sie vielleicht mit mir zur Villa hinaus und lassen mich Ihre Ansicht darüber wissen.«

»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung«, antwortete Holmes freundlich und klingelte. »Frau Hudson, führen Sie, bitte, die Herren hinaus und schicken Sie einen Jungen mit diesem Telegramm weg; ja? Rückantwort mit fünf Schilling zu bezahlen!« –

Wir saßen, nachdem die anderen uns verlassen, eine Zeitlang schweigend da. Holmes rauchte stark, die Brauen über seinen Augen zusammengezogen, und den Kopf vorgestreckt, in der eigentümlichen Art, die er an sich hatte: wie ein Geier.

»Nun, Watson«, wandte er sich plötzlich an mich, »was machst du aus der Sache?«

»Ich kann mir keinen Vers auf diese Mystifikation des Herrn Scott Eccles machen.«

»Aber der Mord?«

»Wenn ich berücksichtige, daß seine beiden Hausgenossen verschwunden sind, so muß ich annehmen, daß sie auf irgendeine Art mit dem Mord in Verbindung stehen und sich durch die Flucht der Gerechtigkeit entziehen.«

»Das ist sicherlich eine der möglichen Erklärungen. Aber schon die eine Überlegung wird dir die Unwahrscheinlichkeit deiner Annahme zeigen, nämlich die: wie sonderbar es von den beiden Hausgenossen Garcias sein müßte, daß sie ihm nach dem Leben trachten und ihn dann ausgerechnet in der Nacht überfallen, wo er einen Gast im Hause hat. Jede andere Nacht der ganzen Woche waren sie allein mit ihm in der Villa und hatten freiere Hand.«

»Warum sind sie dann geflohen?«

»Ganz richtig, warum sind sie geflohen? Hier haben wir die schwerwiegende Tatsache ihrer Flucht. Eine ebenso schwerwiegende Tatsache ist das, was unser Scott Eccles berichtet hat. Und nun, mein lieber Watson: ist es zu viel für menschliche Geisteskräfte, eine Erklärung zu finden, die diesen beiden schwerwiegenden Tatsachen gerecht wird? Wenn diese Erklärung auch noch Raum ließe für die geheimnisvolle Zettelbotschaft mit ihrem merkwürdig versteckten Inhalt, ja, dann könnten wir sie als eine vorläufige Annahme gelten lassen. Wenn dann die neuen Tatsachen, die noch zu unserer Kenntnis gelangen werden, alle in den Rahmen unserer Annahme passen, dann kann diese nach und nach zu einer Lösung des Rätsels führen.«

»Und was hast du für eine Annahme?«

Holmes lehnte sich mit halbgeschlossenen Augen in seinen Sessel zurück.

»Du mußt zunächst zugeben, mein alter Watson, daß der Gedanke eines schlechten Scherzes einfach unmöglich ist. Wie sich später herausstellte, ging es hier um Leben und Tod, und daß Scott Eccles in die Villa gelockt wurde, das hängt damit zusammen.«

»Aber wie hängt das zusammen?«

»Gehen wir Schritt für Schritt vor! Da ist zunächst nicht ganz natürlich, sondern im Gegenteil auffallend, wie der junge Spanier und unser Klient sich so rasch befreundeten. Der Spanier gab dabei das Tempo an. Er machte gleich zwei Tage, nachdem er Scott Eccles kennengelernt, diesem einen Besuch am andern Ende von London, und er blieb in enger Verbindung mit ihm, bis er ihn nach Esher brachte. Frage: Was hatte er mit Eccles vor? Was konnte Eccles ihm bieten? Ich habe keinerlei Reize an dem Mann entdecken können. Er ist nicht besonders intelligent – kein Mann, der einem temperamentvollen, lebhaften Romanen irgendwie verwandt wäre. Warum also hat Garcia gerade ihn als für seine Zwecke besonders geeignet unter all den Leuten gewählt, mit denen er bekannt war? Hat er irgendwelche hervorstechende Eigenschaften? Ich sage ja! Er ist der typische Vertreter der konventionellen englischen Ehrbarkeit und der richtige Mann, um als Zeuge vor Gericht jedem andern Engländer einen Eindruck zu machen. Du hast es ja soeben selbst gesehen, wie keiner von den beiden Polizeileuten auch nur im geringsten seine Aussagen in Frage stellte, so ungewöhnlich, ja fast unwahrscheinlich alles klang.«

»Aber was soll er als Zeuge bestätigen?«

»Nichts, so wie die Dinge verlaufen sind. Aber alles hing von ihm ab, wenn die Ereignisse programmäßig sich entwickelten. So sehe ich die Sache an.«

»Er hätte ein Alibi nachweisen können und –«

»Eben darum dreht es sich, Watson! Er hätte ein Alibi nachweisen können. Wir wollen einmal unterstellen, daß die drei Hausbewohner der Wisteria Verbündete sind. Das Unternehmen, was immer es sein mochte, sollte vor ein Uhr in der Nacht vor sich gehen, so wollen wir ferner annehmen. Es ist möglich, daß Scott Eccles mit falsch gestellten Hausuhren schon früher zu Bett geschickt wurde, als er selbst glaubte; auf jeden Fall aber ist es wahrscheinlich, daß, als Garcia zu ihm ins Zimmer trat, um ihm zu sagen, es sei ein Uhr, es in Wirklichkeit vielleicht spätestens Mitternacht war. Wenn also Garcia das, was er zu tun beabsichtigte, zwischen zwölf und ein Uhr ausführen und bis ein Uhr zurück sein konnte, so hatte er offenbar eine wirksame Erwiderung auf jede Anklage. Denn hier war dieser ehrbare, einwandfreie Engländer bereit, seinen Eid darauf zu schwören, daß er mit dem Angeklagten zu der fraglichen Zeit unter einem Dache weilte. Gegen das Schlimmste hatte Garcia sich damit gesichert.«

»Ja, ja, das sehe ich ein. Aber was hat es mit dem Verschwinden der anderen auf sich?«

»Ich habe noch nicht alle Tatsachen beisammen, aber ich glaube nicht, daß es da noch unüberwindliche Schwierigkeiten gibt. Immerhin wäre es verkehrt, jetzt auf Grund der bisherigen Tatsachen weitergehende Folgerungen zu ziehen. Man biegt zu leicht alles ganz unmerklich so zurecht, daß es zu der vorgefaßten Meinung paßt.«

»Und die mysteriöse Botschaft?«

»Wie lauten die Worte? ›Unsere eigenen Farben, grün und weiß.‹ Erinnert an Pferderennen. ›Grün offen, weiß geschlossen.‹ Das bedeutet offenbar ein Signal. ›Haupttreppe, erster Korridor, siebentes zur Rechten. Grüner Fries.‹ Das ist Wegweisung. Hinter der ganzen Sache könnte man einen eifersüchtigen Gatten vermuten. Sicher verlangte die Botschaft etwas Gefährliches. Die Schreiberin würde sonst nicht geschlossen haben mit ›Gott behüte Sie.‹ Mit dem ›D.‹ ist vorläufig nichts anzufangen.«

»Der Mann war Spanier. Wir könnten annehmen, daß ›D.‹ für Dolores steht, ein sehr gebräuchlicher Name in Spanien.«

»Brav, Watson, sehr brav! Aber völlig auf dem Holzweg. Eine Spanierin würde einem Spanier spanisch geschrieben haben. Die Schreiberin ist aber offenbar Engländerin. Schau’ doch nur die Handschrift an! Nein, wir müssen uns in Geduld fassen, bis der Inspektor zurückkommt. Inzwischen können wir unserm gütigen Geschick danken, daß es uns für einige Stunden von dieser unerträglichen Qual des Nichtstuns befreit.« –

Noch ehe unser Surreykonstabler zurückkam, war eine Antwort auf Holmes’ Telegramm eingelaufen. Mein Freund las sie und war eben im Begriff, das Blatt in seine Brieftasche zu stecken, als er meinen gespannt neugierigen Blick auffing. Er schob mir das Telegramm lachend zu.

»Wir bewegen uns in den besten Kreisen«, sagte er.

Das Telegramm enthielt folgende Namen und Adressen: »Lord Harringby auf Dingle. Sir George Ffolliott, Oxshott Towers. Hynes Hynes, J.P. Purdey Place. James Baker, Williams Forton Old Hall. Henderson, High Gable. Rev. Joshua Stone, Nether Walsling.«

»Das ist die gegebene Methode, unser Operationsgebiet abzugrenzen«, sagte Holmes. »Ohne Zweifel hat Baynes, bei seiner methodischen Art, bereits einen ähnlichen Plan angenommen.«

»Ich werde nicht recht klug daraus.«

»Mein lieber Watson, wir sind doch schon zu der Überzeugung gelangt, daß die Botschaft, die Garcia während des Essens erhielt, eine Zusammenkunft bedeutet, ein Rendez-vous vielleicht. Wenn also der Sinn der Worte richtig von uns erfaßt ist, so sollte Garcia eine Haupttreppe hinaufsteigen – also gab es noch eine zweite mindestens – und er sollte das siebente Zimmer auf der rechten Seite des Korridors aufsuchen – da ist es doch vollkommen klar, daß es sich nur um ein sehr großes Haus handeln kann. Ebenso klar ist es, daß dieses Haus höchstens eine Meile oder zwei von Oxshott entfernt liegen muß, denn Garcia war in der Richtung auf Oxshott zu gegangen, und nach meiner Auffassung der Dinge wollte er auf der Villa Wisteria so zeitig wieder eintreffen, um sein Alibi nachweisen zu können. Also bis spätestens ein Uhr. Da die Zahl der ganz großen Häuser um Oxshott begrenzt sein muß, so telegraphierte ich an die Immobilien-Agentur der Gebrüder Allan, wo Scott Eccles sich schon erkundigt hatte, und erhielt von diesen die Liste. In diesem Telegramm hier stehen alle die Orte verzeichnet, an deren einem das andere Ende unseres verwirrten Knäuels zu finden sein muß.« –

Es war fast sechs Uhr, eh wir in dem hübschen Surreydorf Esher ankamen, in Begleitung des Inspektors Baynes, der uns in der Bakerstraße abgeholt hatte. Holmes und ich hatten Sachen für die Nacht mitgenommen, und wir fanden gute Unterkunft im »Admiral Nelson«. Schließlich machten wir uns mit Baynes auf den Weg zur Villa Wisteria. Es war ein kalter, dunkler Märzabend, Regen und Wind fuhren uns ins Gesicht, und gespenstisch sahen die kahlen Bäume am Wege aus, wenn der Wind sie schüttelte.

Englisch

II. Der Tiger von San Pedro

Inhaltsverzeichnis

Ein unangenehmer Marsch von einigen Meilen brachte uns zu einem hohen hölzernen Tor, das sich gegen eine Kastanienallee öffnete; die Anfahrt zwischen Buchsbaumhecken führte uns zu dem Haus, das sich tintenschwarz von dem schiefergrauen Himmel abhob. Links von der Eingangstür war ein Fenster schwach beleuchtet.

»Einer von meinen Leuten hält hier Wache«, sagte Baynes. »Ich will ans Fenster klopfen.« Er schritt über den Rasen und pochte an den Fensterrahmen. Durch das trübe Glas sah ich einen Mann von einem Stuhl neben dem Kaminfeuer hochspringen und hörte gleichzeitig einen scharfen Schrei in dem Zimmer. Kurze Zeit darauf öffnete ein schwer atmender Konstabler, schreckensbleich und so zittrig, daß die Kerze, die er in der Hand hielt, flackerte, die Eingangstür. »Was ist los mit Ihnen?« fragte Baynes streng.

Der Mann wischte sich die Stirn mit dem Taschentuch und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

»Ich bin so froh, daß Sie gekommen sind, Herr Inspektor. Die Wache ist mir sehr lang geworden, und meine Nerven sind nicht mehr das, was sie einmal waren.«

»Ihre Nerven, Walters? Ich hätte nicht gedacht, daß Sie in Ihrem Leib einen einzigen Nerv haben.«

»Ja, Herr Inspektor, das kommt von dem einsamen verlassenen Haus und dem sonderbaren Ding in der Küche. Wie Sie ans Fenster klopften, glaubte ich, er sei wiedergekommen.«

»Wer sei wiedergekommen?«

»Der Teufel, Herr Inspektor! Etwas anderes kann es kaum gewesen sein. Es war am Fenster.«

»Was war da am Fenster, und wann?«

»Ungefähr vor zwei Stunden. Es war schon dämmerig. Ich saß da auf dem Stuhl und las. Ich weiß nicht, was mich veranlaßte, aufzuschauen, aber da war ein Gesicht unten am Fenster, das mich ansah. Mein Gott, war das ein Gesicht! Ich werde davon träumen.«

»Na, na, Walters, so spricht doch kein Konstabler!«

»Ich weiß, Herr Inspektor, ich weiß; aber es hat mich richtig geschüttelt, und es hätte keinen Sinn, das zu leugnen. Es war nicht schwarz, noch war es weiß – überhaupt keine Farbe, die ich kenne. Es war wie ein Schatten, ganz sonderbar, wie – wie Tonerde mit einem Klecks Milch darauf. Und dann der Umfang, Herr Inspektor! Zweimal so groß wie Ihr Gesicht. Und der Blick, den es hatte, so große, starre Glotzaugen, und eine Reihe weiße Zähne wie ein hungriges Raubtier. Ich versichere Sie, Herr Inspektor, ich konnte keinen Finger rühren, noch Atem holen, bis es weghuschte und verschwunden war. Dann lief ich hinaus und durch das Buschwerk, aber dem Himmel sei Dank, es war niemand da.«

»Wenn ich Sie nicht als einen tüchtigen Beamten kennte, Walters, würde ich Ihnen dafür eine schlechte Note geben. Und wenn es der leibhaftige Teufel wäre, ein Konstabler auf Wache und im Dienst sollte niemals dem Himmel danken, daß er ihn nicht festnehmen konnte. Das Ganze ist doch nicht etwa nur eine Sinnestäuschung? Haben Ihnen Ihre Nerven keinen Streich gespielt?«

»Das wenigstens ist sehr leicht festzustellen«, sagte Holmes, indem er seine Taschenlaterne ansteckte. »Ja«, rief er, nach einer kurzen Besichtigung der Grasnarbe; »Schuhnummer zwölf schätze ich. Wenn der ganze Mann im Verhältnis zu seinen Füßen gewachsen ist, dann muß er wahrhaftig ein Riese sein.«

»Was ist aus ihm geworden?«

»Er scheint durch das Buschwerk gedrungen zu sein, um die Straße zu gewinnen.«

»Gut«, sagte Baynes mit ernstem, gedankenvollem Gesicht, »wer es auch gewesen sein mag und was seine Absichten hier gewesen sein mögen, er ist fort, und wir haben vorläufig dringendere Aufgaben zu erfüllen. Herr Holmes, wenn Sie einverstanden sind, so führe ich Sie jetzt durch das Haus.«

Die verschiedenen Wohn-und Schlafzimmer waren schnell untersucht. Die letzten Bewohner hatten offenbar fast nichts Eigenes mitgebracht, und die ganze Einrichtung, bis zum kleinsten Stück, war mit dem Haus gemietet worden. Jedoch fanden wir eine Anzahl Kleider mit der Marke von Marx und Comp. High Holborn, die offenbar Garcia zurückgelassen hatte. Telegraphisch hatte Baynes bei der Firma bereits angefragt; man wußte dort nichts Näheres über den Kunden, außer daß er ein pünktlicher Zahler sei. Allerlei Kleinigkeiten, ein paar Tabakspfeifen, ein paar Romane, davon zwei spanische, ein altmodischer Revolver mit Pistolfeuerung und eine Gitarre waren unter dem persönlichen Besitz.

»Alles ohne Bedeutung«, sagte Baynes und schritt, die Kerze in der Hand, von Zimmer zu Zimmer. »Aber jetzt, Herr Holmes, schenken Sie, bitte, Ihre ganze Aufmerksamkeit der Küche.«

Es war ein düsterer hoher Raum auf der Rückseite des Hauses, mit einer Strohmatte in einer Ecke, die offenbar dem Koch als Bett diente. Der Tisch stand voll halb abgegessener Platten und schmutzigen Geschirrs, den Überresten der gestrigen Mahlzeit.

»Sehen Sie das da?« sagte Baynes. »Für was halten Sie das?«

Er beleuchtete einen ungewöhnlichen Gegenstand, der hinter der Anrichte stand. Er war so voller Falten, zusammengesunken und welk, daß es nicht leicht war, seine ursprüngliche Form zu erkennen. Man konnte nur feststellen, daß er schwarz war, anscheinend von Leder, und daß er einige Ähnlichkeit mit einem zwerghaften Menschen hatte. Bei der näheren Untersuchung glaubte ich zuerst, es sei die Mumie eines Negerkindes, dann aber schien es mir ein sehr entstellter Affe zu sein. Schließlich blieb ich im Zweifel, ob ich etwas Tierisches oder Menschliches vor mir hatte. Um die Mitte war ihm eine doppelte Schnur weißer Perlen geschlungen.

»Sehr interessant – wirklich höchst interessant!« rief Holmes und betrachtete dieses unheimliche Überbleibsel des Garciahaushaltes. »Sonst noch etwas?«

Stillschweigend führte Baynes uns an den Ausguß. Körper und Glieder eines großen weißen Vogels, der mitsamt den Federn auf eine wüste Art in Stücke zerrissen war, lagen hier herum. Holmes wies auf die roten Lappen an dem abgetrennten Kopf.

»Ein weißer Hahn«, sagte er. »Sehr interessant, – das ist wirklich ein sehr merkwürdiger Fall.«

Aber Herr Baynes hatte sein merkwürdigstes Schaustück bis zuletzt aufbehalten. Unter dem Ausguß hervor langte er einen Zinknapf, der mit Blut gefüllt war. Dann holte er vom Tisch herüber eine Schüssel, gehäuft voll kleiner Stückchen verkohlter Knochen.

»Hier ist etwas getötet worden. Wir haben die Knochen da alle aus dem Feuer herausgestochert. Heute früh hatten wir einen Arzt mit dabei, und der sagte, das seien keine Menschenknochen.«

Holmes lächelte und rieb sich die Hände.

»Ich muß Sie beglückwünschen, Herr Baynes, zu der umfassenden, gründlichen Art, mit der Sie solch einen Fall behandeln. Ihre Fähigkeiten, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen, scheinen mir im Mißverhältnis zu stehen zu Ihren Möglichkeiten, sie zur Anwendung zu bringen.«

Des Inspektors kleine Augen funkelten vor Behagen.

»Sie haben recht, Herr Holmes, wir verkümmern hier draußen in der Provinz. Aber ein Fall wie dieser gibt unsereinem einmal eine Gelegenheit, und ich habe sie ergriffen. Was halten Sie von den Knochen?«

»Ein Lamm, meine ich, oder ein Kitzchen.«

»Und der weiße Hahn?«

»Merkwürdig, Herr Baynes, sehr merkwürdig. Ja, beinahe einzigartig, könnte man sagen.«

»Jawohl, Herr Holmes, in diesem Haus müssen sonderbare Leute mit ganz sonderbaren Gewohnheiten gelebt haben. Einer von ihnen ist tot. Sind seine zwei Diener ihm nachgegangen und haben sie ihn getötet? Wenn sie es waren, dann werden wir sie nicht entwischen lassen, denn jeder Hafen wird überwacht. Aber meine eigene Ansicht bewegt sich in ganz anderer Richtung. Ja, Herr Holmes, in ganz anderer Richtung!«

»Sie haben also eine bestimmte Ansicht über den Mordfall?«

»Und ich werde den Mordfall allein weiter verfolgen, Herr Holmes. Das bin ich mir einfach schuldig. Ihr Name ist gemacht, aber meinen muß ich mir erst noch machen. Es wäre mir eine besondere Genugtuung, mir später sagen zu können, daß ich den Fall ganz allein bewältigt habe, und ohne Ihre Hilfe.«

Holmes lachte vergnügt.

»Schön, schön, Herr Inspektor«, sagte er. »Sie gehen also Ihren eigenen Weg, und ich gehe den meinigen. Meine Ergebnisse stelle ich Ihnen jederzeit gern zur Verfügung, falls Sie trotzdem einmal Wert darauf legen sollten, sie kennen zu lernen. Ich glaube, ich habe hier alles gesehen, was für mich von Belang sein könnte, und ich kann meine Zeit jetzt anderswo besser anwenden. Auf Wiedersehen, Herr Baynes, und Hals-und Beinbruch!«

Aus verschiedenen kleinen Anzeichen, die ein anderer als ich kaum hätte beachtet haben können, merkte ich, daß Holmes eine Spur gefunden hatte. So äußerlich ruhig er auch jedem erscheinen mußte, der ihn weniger genau kannte, – der Glanz seiner Augen und seine straffere Haltung, kurz seine ganze Art verrieten mir die starke innere Spannung, von der er erfüllt war, und daß der Kampf begonnen hatte. Nach seiner Gewohnheit sagte er nichts, und ich, nach meiner Gewohnheit, stellte keine Fragen. Mir genügte es, mit dabei zu sein und meine geringe Hilfe betätigen zu können, ohne die Arbeit dieses ungewöhnlichen Gehirns mit überflüssigen Unterbrechungen zu stören. Am Ende würde ich schon alles erfahren, das wußte ich ja.

Ich wartete daher, und zu meinem wachsenden Erstaunen wartete ich umsonst. Tag um Tag verging, und mein Freund tat keinen Schritt weiter. Es blieb alles beim Alten. Einen Vormittag verbrachte er in London, und aus einer beiläufigen Bemerkung erfuhr ich, daß er im Britischen Museum gewesen war. Aber von dieser einen Ausnahme abgesehen verbrachte er seine Tage mit langen und oft einsamen Spaziergängen oder in Plaudereien mit einigen gesprächigen Ortseinwohnern, deren Bekanntschaft er pflegte.

»Eine Woche Landaufenthalt wird für dich von unermeßlichem Wert sein, Watson«, sagte er mir einmal. »Es ist entzückend, die ersten grünen Triebe an den Hecken kommen zu sehen und zu beobachten, wie auf der Sommerseite wieder einmal die Haselsträucher sich mit Kätzchen behängen. Mit einem Pflanzenstecher, einer Botanisiertrommel und einem kleinen Botanisierbuch kann man jetzt lehrreiche Tage verbringen.« Er strich auch wirklich mit solchen Dingen in der Gegend umher, was er aber dann des Abends mit heimbrachte, dünkte mich eine recht bescheidene botanische Beute.

Einmal stießen wir bei einem gemeinsamen Spaziergang auf Inspektor Baynes. Sein dickes rotes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, und seine Äuglein glitzerten, als er Holmes begrüßte. Er sprach nur wenig von der Mordsache, aber aus dem Wenigen schlossen wir, daß er mit der Entwickelung der Dinge zufrieden war. Ich muß jedoch gestehen, daß ich überrascht war, als ich fünf Tage nach dem Verbrechen die Morgenzeitung auffaltete und mein Blick auf die fettgedruckte Überschrift fiel: »Der Mord bei Oxshott aufgeklärt. Verhaftung des mutmaßlichen Täters.«

Holmes fuhr von seinem Sitz auf, als sei er gestochen worden, wie ich ihm diese Überschrift vorlas.

»Donnerwetter!« rief er. »Du glaubst doch nicht, daß Baynes ihn gefaßt hat?«

»Offenbar ist es so«, erwiderte ich, und las ihm den folgenden Bericht vor:

»In Esher und Umgegend rief es große Erregung hervor, als spät in vergangener Nacht bekannt wurde, daß in Verbindung mit dem Oxshott-Mord eine Verhaftung erfolgt sei. Wie erinnerlich, wurde Herr Garcia, wohnhaft in der Villa Wisteria, auf der Oxshotter Markung tot aufgefunden, und seine Leiche wies sehr schwere Verletzungen am Kopfe auf. Gleichzeitig hatte man entdeckt, daß seine einzigen Hausgenossen, ein Diener und ein Koch, geflohen waren, woraus man auf ihre Täterschaft oder Mittäterschaft schloß. Man hatte behauptet, was aber nie nachgewiesen wurde, daß der Verstorbene Wertsachen in der Villa hatte, und daß die Mordtat ihretwegen geschah. Inspektor Baynes, in dessen Händen die Untersuchung liegt, hat keine Mühe gescheut, den Aufenthaltsort der Flüchtigen ausfindig zu machen, und er hatte hinreichenden Grund zu der Annahme, daß die Gesuchten nicht weit fort sein könnten, sondern sich in einem vorher schon bereiteten Versteck in der Nähe aufhielten. Von allem Anfang an war es übrigens so gut wie sicher, daß der Koch über kurz oder lang entdeckt werden würde, denn er ist eine sehr auffällige Erscheinung, ein riesengroßer, häßlicher Mulatte mit gelbem Gesicht und ausgesprochenen Negerzügen. Nach der Mordtat ist dieser Koch noch einmal gesehen worden, und zwar von Konstabler Walters, der ihn am Abend nach dem Mord im Garten der Villa Wisteria erblickte, freilich ohne daß er ihn festzunehmen vermocht hätte. Inspektor Baynes schloß zutreffend, daß der Mulatte zu einem bestimmten Zweck zur Villa zurückgekehrt sei und – da der Koch von Konstabler Walters vertrieben worden war – daß er nochmals dahin zurückkommen werde. Er entfernte daher den Wachposten aus dem Haus und legte dafür im Gebüsch des Gartens einen Hinterhalt. Der Mulatte ging in die Falle und wurde vergangene Nacht gefangen, wobei ein heftiger Kampf sich entspann, in dessen Verlauf Konstabler Downing von dem Halbwilden eine erhebliche Bißwunde davontrug.«

»Da muß ich aber sofort zu Baynes«, rief Holmes und griff nach seinem Hut. »Wir werden ihn gerade noch treffen, ehe er nach London fährt.« Wir liefen die Straße hinunter und fanden ihn, wie Holmes erwartete, gerade unter seiner Haustür.

»Haben Sie es gelesen, Herr Holmes?« fragte er und zog eine Zeitung aus der Tasche.

»Deshalb komme ich ja her. Bitte, fassen Sie es nicht als unerwünschte Einmischung auf, wenn ich Ihnen einen freundschaftlichen Rat gebe, das heißt, es ist eine Warnung.«

»Eine Warnung wollen Sie mir geben?«

»Ich habe mich in diesen Fall sehr sorgfältig eingearbeitet, Herr Baynes, und ich bin nicht ganz überzeugt davon, daß Sie auf dem richtigen Wege sind. Es täte mir leid, wenn Sie in Ihrer eingeschlagenen Richtung noch weiter gingen – es sei denn natürlich, daß Sie Ihrer Sache ganz sicher sind.«

»Sie sind sehr gütig, Herr Holmes.«

»Ich versichere Sie, ich meine es nur gut mit Ihnen.«

Es schien mir so, als ob Herr Baynes mit einem Auge etwas zwinkerte.

»Wir sind übereingekommen, daß jeder seine eigenen Wege gehe, Herr Holmes. Das tue ich für meinen Teil.«

»Ganz wie Sie es wünschen«, sagte Holmes. »Nehmen Sie mir, bitte, meine guten Absichten nicht übel.«

»Durchaus nicht! Ich bin überzeugt, daß Sie es gut mit mir meinen. Aber wir befolgen jeder ein eigenes System, Herr Holmes. Sie haben das Ihrige, und ich wahrscheinlich ein anderes.«

»Reden wir nicht mehr davon!«

»Was ich Neues in Erfahrung bringe, steht Ihnen jederzeit zur Verfügung. Dieser Koch ist ein richtiger Wilder, stark wie ein Lastpferd und unbändig wie der Teufel. Er hat Downings Daumen fast abgebissen, bevor wir seiner Herr werden konnten. Er kann kaum ein Wort Englisch, und was wir bis jetzt aus ihm herausbrachten, ist nichts als ein Grunzen.«

»Und Sie glauben, den Beweis dafür zu haben, daß er seinen Herrn ermordet hat?«

»Das habe ich nicht gesagt, Herr Holmes; kein Wort davon. Wir haben jeder so seine kleinen Listen. Sie versuchen es so, ich anders. Das ist so zwischen uns abgemacht, nicht wahr?«

Holmes zuckte mit den Schultern, als wir fortgingen. »Ich kann aus dem Mann nicht klug werden. Mir scheint er auf einen Abgrund zuzureiten. Nun, es muß jeder seinen eigenen Weg gehen und sehen, wie weit er damit kommt. Aber da ist etwas an dem Inspektor Baynes, das ich nicht recht verstehen kann.«

Als wir wieder in Esher im »Admiral Nelson« auf unserm Zimmer waren, drückte Holmes mich in einen Sessel. »Setz’ dich einmal, Watson«, sagte er. »Ich muß dir die Situation erklären, da ich heute nacht vielleicht deine Hilfe nötig habe. Soweit ich den Fall aufgeklärt habe, möchte ich dir darlegen, wie er sich für mich entwickelt hat. So einfach er in seinen Hauptzügen ist, so haben sich der Festnahme des Schuldigen doch ganz überraschende Schwierigkeiten entgegengesetzt. In dieser Richtung klaffen noch einige Risse, die erst noch zu überbrücken sind.

Gehen wir zurück bis zu der Botschaft, die Garcia am Abend seines Todes erhielt. Wir können die Auffassung Baynes’, als seien die zwei Bediensteten Garcias in die Mordsache verstrickt, gleich von vornherein ausschalten. Der Richtigkeitsbeweis dafür liegt darin, daß Garcia es war, der seines ›Freundes‹ Scott Eccles Anwesenheit in der Villa herbeiführte, was nur zum Zwecke eines Alibis geschehen sein kann. Also war es Garcia, der etwas im Schilde führte, und zwar allem Anschein nach etwas Verbrecherisches, das er für eben die Nacht plante, wo er dann seinen Tod fand. Ich sage, er hatte etwas Verbrecherisches im Sinn, denn nur ein Mann mit einem verbrecherischen Vorhaben wünscht ein Alibi aufzustellen. Wer hat nun aller Wahrscheinlichkeit nach den Todesstreich gegen Garcia geführt? Sicher die Person, gegen die Garcias verbrecherischer Anschlag sich richtete. So weit scheinen wir auf festem Grund zu stehen.

Wir können nun die Ursache dafür erkennen, daß Garcias ganzer Haushalt verschwunden ist. Sie waren alle Verbündete zu demselben uns unbekannten verbrecherischen Zweck. Sobald die Tat ruchbar wurde, würde die Zeugenschaft Scott Eccles jeden Verdacht von Garcia abgelenkt haben – wenn Garcia zurückkehrte. Aber es handelte sich hier um ein gefahrvolles Unternehmen, und wenn Garcia innerhalb einer gewissen Zeit nicht wiederkam, wurde es wahrscheinlich, daß er sein eigenes Leben hatte opfern müssen. Für diesen Fall war daher verabredet worden, daß seine zwei Leute sich an einen im voraus hierzu eingerichteten Ort begaben, wo sie vor der Verfolgung sicher waren und von wo aus sie später ihre Sache erneut versuchen konnten. Das dürfte alle Tatsachen erklären, denke ich.«

Das ganze verworrene Gewebe schien sich auf einmal vor meinen Augen klar auszubreiten. Wie immer wunderte ich mich, daß ich die Zusammenhänge nicht früher, von selber, erkannt hatte.

»Aber der Koch ist doch zur Villa zurückgekommen!«

»Wir können uns das vorläufig so erklären, daß bei der hastigen Flucht etwas im Hause zurückblieb, etwas Wertvolles, etwas, das zurückzulassen der Koch einfach nicht ertragen konnte. Das ist kein zwingender Schluß, aber er hat eine große Wahrscheinlichkeit für sich, nicht wahr?«

»Und was ist nun der nächste Punkt?«

»Der nächste Punkt ist die Meldung, die Garcia abends erhielt. Sie beweist einen weiteren Verbündeten, einen auf der anderen Seite. Wo ist aber diese andere Seite? Ich habe dir bereits gesagt, daß es sich um ein sehr großes Haus handeln muß und daß die Zahl solch großer Häuser begrenzt ist. Meine erste Zeit hier draußen brachte ich damit zu, auf meinen botanischen Ausflügen diese Häuser ein wenig zu rekognoszieren und die Familiengeschichte ihrer Bewohner etwas zu erkunden. Ein einziges Haus nur fesselte mein Interesse. Es ist das alte Herrenhaus High Gable, ein spätgotischer Bau, eine Meile jenseits Oxshott, und weniger als eine halbe Meile von der Stelle, wo Garcia gefunden wurde. Alle die andern Häuser gehören prosaischen biederen Leuten, die weit abseits jeder Romantik leben. Aber Herr Henderson auf High Gable ist in jeder Hinsicht eine merkwürdige Persönlichkeit, die merkwürdige Abenteuer wohl erleben könnte. Ich konzentrierte daher meine Beobachtungen auf ihn und sein Hauswesen.

Sehr ungewöhnliche Leute, Watson – der Hausherr selbst der sonderbarste von allen. Ich brachte es fertig, ihn unter einem guten Vorwand zu besuchen, aber seine tiefliegenden dunkeln, mißtrauischen Augen verrieten mir, daß er sich über den wahren Zweck meines Besuches nicht im unklaren war. Henderson ist ein Mann von fünfzig Jahren, lebhaft, kräftig, mit grauem Haar, großen buschigen, schwarzen Brauen, mit dem Schritt eines Hirschs und der Miene eines Kaisers. Ein herrischer, stolzer Mann mit einem glühenden Temperament hinter einer pergamentenen Maske. Er ist entweder Ausländer, oder er hat lange in den Tropen gelebt, denn er ist gelb und wie vertrocknet, aber zäh wie Kupferdraht. Sein Freund und Sekretär, ein Herr Lucas, ist zweifelsohne Ausländer, braun wie Schokolade, verschlagen, glatt und katzenartig, mit einer giftigen Sanftheit der Sprache. Du siehst, Watson, wir sind schon auf zwei Gruppen von Ausländern gestoßen, eine in Villa Wisteria und eine auf High Gable – so rundet sich alles schon ein wenig ab.

Die beiden Männer, enge vertraute Freunde, bilden den Mittelpunkt der Haushaltung. Aber da ist noch eine Person, die für unsere augenblicklichen Zwecke vielleicht noch wichtiger ist. Henderson hat zwei Kinder, Mädchen von zwölf und dreizehn. Ihre Gouvernante ist ein Fräulein Burnett, eine Engländerin von ungefähr vierzig Jahren. Dann ist da noch ein vertrauenerweckender Diener. Diese kleine Gruppe bildet die eigentliche Familie, denn sie reisen zusammen, und Henderson reist viel, ist immer unterwegs. Erst in den letzten Wochen ist er zurückgekommen, nachdem er länger als ein Jahr von High Gable abwesend war. Ich kann noch hinzufügen, daß er ungeheuer reich ist, und jede Laune kann er sich befriedigen. Im übrigen ist sein Haus voll Dienerschaft, die übliche überfütterte, unterbeschäftigte Gesellschaft von Hauspersonal, das zu einem großen englischen Landsitz gehört.

Das erfuhr ich teils von meinen neuen Bekannten hier, teils aus eigener Beobachtung. Es gibt keine besseren und zugänglicheren Helfershelfer, als entlassene Bedienstete, die einen Groll gegen ihre frühere Herrschaft haben, und ich hatte das Glück, einen zu finden. Ich nenne es Glück, aber es ist mir nicht einfach in den Schoß gefallen, sondern ich habe es gesucht. Wie Baynes sagte, jeder von uns befolgt sein eigenes System. Mein System hat mich zu John Warner geführt, ehemals Gärtner auf High Gable und in einem Augenblick schlechter Laune von seinem kaiserhaften Herrn entlassen. Er wiederum hat seine Freunde unter dem Hauspersonal, die ihren Herrn ebenso fürchten und die gleiche Abneigung gegen ihn haben. So habe ich meinen Draht ins Innere des Hauses.

Sonderbare Leute, Watson. Ich behaupte ja nicht, daß ich alles schon richtig erfaßt und durchschaut habe, aber ganz sonderbare Leute habe ich festgestellt. Es ist ein Bau mit zwei Flügeln, die Dienerschaft wohnt im einen, die Familie im anderen. Es besteht kein Verkehr zwischen beiden, außer für Hendersons persönlichen Diener, der bei den Familienmahlzeiten serviert. Alles wird an eine bestimmte Tür gebracht, die die Verbindung herstellt. Die Gouvernante und die Kinder gehen kaum einmal aus, es sei denn in den Garten. Henderson geht unter keinen Umständen allein aus. Sein schwarzer Sekretär ist wie sein Schatten. Die Dienerschaft redet davon, daß ihr Herr vor irgend etwas eine furchtbare Angst habe. ›Er hat dem Teufel seine Seele um Geld verkauft‹, sagt Warner, ›und erwartet jetzt, daß der Gläubiger komme, um sich das Seine zu holen.‹ Woher sie gekommen, wer und was sie sind – kein Mensch weiß es. Sie sind von heftiger, gewalttätiger Art. Zweimal hat Henderson mit der Hundepeitsche auf die Leute eingeschlagen, und nur mit großen Geldzahlungen konnte er seine gerichtliche Verfolgung abwenden.

Soweit die Hendersons. Und nun, Watson, wollen wir die alte Lage mit diesen neuen Kenntnissen in Verbindung bringen. Wir können annehmen, daß der Zettel aus diesem sonderbaren Hause kam und der Inhalt Garcia aufforderte, etwas auszuführen, das bereits fest geplant war. Wer hat den Zettel geschrieben? Irgend jemand innerhalb der Festung, und zwar eine Frau. Wer also kann das gewesen sein außer der Gouvernante, Fräulein Burnett? Alle Überlegungen führen zu diesem Schluß; auf jeden Fall können wir es einmal als Behauptung aufstellen und wollen sehen, welche Folgerungen sich daraus ergeben. Bemerken will ich noch, daß Fräulein Burnetts Alter und Charakter meine ursprüngliche Vermutung, es handle sich um eine Liebesangelegenheit, ausschließen.

Wenn sie den Zettel geschrieben hat, dann war sie allem nach befreundet mit Garcia und seine Verbündete. Was können wir nun erwarten, daß sie auf die Nachricht von Garcias Tod tun würde? Wenn er den Tod bei einem verbrecherischen Unternehmen fand, dann würde sie natürlich schweigen. Aber im Herzen mußte sie einen großen Haß und heftige Bitterkeit empfinden gegen die, die ihn getötet hatten. Sie würde wahrscheinlich mit allen Mitteln helfen, seinen Tod zu rächen. Also überlegte ich, wie ich mit ihr in Verbindung treten könnte, um sie mir nutzbar zu machen. Das war mein erster Gedanke. Nun aber stieß ich auf eine besorgniserregende Tatsache. Seit der Mordnacht hat kein menschliches Auge mehr etwas gesehen von ihr. Seit jenem Abend ist sie völlig verschwunden. Lebt sie noch? Hat sie in derselben Nacht ihr Ende gefunden, wie ihr Verbündeter Garcia, den sie zu einer dunkeln Tat aufgefordert hatte? Oder ist sie nur eine Gefangene? Hierüber müssen wir uns erst noch Gewißheit verschaffen.