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Jessica Jung

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Beschreibung

Jessica Jung, K-Pop-Legende und frühere Leadsängerin von Girls Generation, beschreibt in ihrem ersten Roman die bunte und von hartem Wettbewerb bestimmte Welt des K-Pop. Rachel Kim trainiert seit Jahren an der Academy von DB Entertainment in Seoul, um es in eine Girl Group und ganz nach oben zu schaffen. Zusammen mit den anderen unterwirft sie sich dem strengen Regiment und knallharter Konkurrenz: Keine Freizeit, keine Dates, immer im Training. Als sich die Chance bietet, mit DBs Superstar Jason Lee zu singen, weiß Rachel: Das ist ihre Chance, um aufzufallen. Endlich auserwählt zu werden. Das Problem? Jason ist tatsächlich nett, sexy und wahnsinnig talentiert - er ist die Art von Ablenkung, die Rachel sich nicht leisten darf. Und genau die Art von Ablenkung, die sie sich nicht verkneifen kann.

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Seitenzahl: 442

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Jessica Jung

Shine - Love & K-Pop

Roman

Roman

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Lena Kraus

 

Über dieses Buch

 

 

Jessica Jung, K-Pop-Legende und frühere Leadsängerin von Girls Generation, beschreibt in ihrem ersten Roman die bunte und von hartem Wettbewerb bestimmte Welt des K-Pop. Rachel Kim trainiert seit Jahren an der Academy von DB Entertainment in Seoul, um es in eine Girl Group und ganz nach oben zu schaffen. Zusammen mit den anderen unterwirft sie sich dem strengen Regiment und knallharter Konkurrenz: Keine Freizeit, keine Dates, immer im Training. Als sich die Chance bietet, mit DBs Superstar Jason Lee zu singen, weiß Rachel: Das ist ihre Chance, um aufzufallen. Endlich auserwählt zu werden. Das Problem? Jason ist tatsächlich nett, sexy und wahnsinnig talentiert – er ist die Art von Ablenkung, die Rachel sich nicht leisten darf. Und genau die Art von Ablenkung, die sie sich nicht verkneifen kann.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

JESSICA JUNG ist eine koreanisch-amerikanische Sängerin, Schauspielerin, Modedesignerin und international bekannte Influencerin. Sie wurde in San Francisco geboren und wuchs in Südkorea auf, wo sie als K-Pop-Sängerin trainierte und als Mitglied von Girls Generation berühmt wurde. 2014 begann sie eine Solokarriere und gründete das Modelabel Blanc & Eclare. Jessica war auf Magazincovern weltweit und auch in Film und Fernsehen zu sehen. »Shine« ist ihr erster Roman und wurde gleich ein »New York Times«-Bestseller.

 

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Inhalt

Widmung

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Danksagung

Für all meine Goldenen Sterne

Kapitel Eins

Kopf hoch, Beine überkreuzt. Bauch rein, Schultern zurück. Und lächeln, als könntest du die ganze Welt umarmen. Ich wiederhole das Mantra in meinem Kopf, während die Kamera auf mein Gesicht gerichtet wird. Meine Mundwinkel wandern nach oben, das perfekte »Du willst mir doch bestimmt all deine Geheimnisse verraten«-Lächeln in rosa Lipgloss.

Aber das wäre wohl keine gute Idee. Man sagt ja: Drei können ein Geheimnis bewahren, wenn zwei davon tot sind. Na ja, und das könnte in meiner Welt gar nicht treffender sein. Hier schauen alle ständig ganz genau hin, und deine Geheimnisse könnten dich tatsächlich umbringen. Oder zumindest deine Chance zu glänzen zerstören.

»Ihr Mädels müsst begeistert sein!« Der Moderator ist ein Mann mittleren Alters mit ölig nach hinten gekämmtem Haar und auffällig heller Haut. Er würde vielleicht ganz gut aussehen, wenn seine knallpinke Krawatte in Kombination mit dem roten Hemd nicht so ablenken würde. Er beugt sich aufgeregt nach vorne, und seine Augen glänzen, während er die neun Mädchen anlächelt, die vor ihm sitzen, ein Meer aus perfekt zerzausten Beach-Waves und lupenreiner Haut, die nach Jahren des Auftragens aufhellender Gesichtsmasken nur so strahlt. Alles, bis hin zum Winkel unserer überkreuzten Beine, ist genauestens geplant, auch unsere pastellfarbenen Stilettos, die einen perfekt abgestimmten Regenbogen bilden. »Die Nummer eins in allen Musikshows, und das auch noch mit eurem Debütalbum! Es trennt euch nur noch ein einziger Chart vom All-Kill! Wie fühlt ihr euch?«

»Wir könnten gar nicht glücklicher sein«, meldet sich Mina mit einem strahlenden Lächeln zu Wort, bei dem ihre perfekten Zähne aufblitzen. Meine Gesichtsmuskeln schmerzen, während ich versuche, mit ihr mitzuhalten.

»Es ist ein wahr gewordener Traum«, stimmt Eunji zu, bevor sie laut mit ihrem Kaugummi schnalzt und eine riesige Blase macht, die nach Erdbeeren duftet.

»Wir sind so dankbar, dass wir gemeinsam diese Chance bekommen haben«, sagt Lizzie. Ihre Augen leuchten unter lagenweise silberfarbenem Lidschatten.

Der Moderator strahlt noch mehr und legt verschwörerisch den Kopf schief. »Ihr versteht euch also gut miteinander? Ich meine, neun bildhübsche Mädchen in einer Gruppe. Das kann nicht immer so leicht sein.«

Sumin spult ihr leises, müheloses Lachen ab und schürzt die perfekt konturierten, knallroten Lippen. »Nichts ist ›immer so leicht‹«, sagt sie. »Aber wir sind eine Familie. Und Familie geht immer vor.« Sie hakt sich bei Lizzie ein, die neben ihr sitzt. »Wir gehören zusammen.«

Der Moderator hält sich die Hand ans Herz. »Wie reizend! Und was mögt ihr an eurer Zusammenarbeit am liebsten?« Seine Augen wandern über uns hinweg und bleiben an mir hängen. »Rachel?«

Sofort richte ich meinen Blick auf die riesige Kamera hinter ihm. Ich spüre, dass sie mein Gesicht fokussiert. Kopf hoch, Beine überkreuzt. Bauch rein, Schultern zurück. Ich bereite mich seit Jahren auf diesen Moment vor. Ich lächle strahlend und verwandle den Moderator in meinen besten Freund. Und dann ist mein Kopf komplett leer.

Sag was, Rachel. Irgendwas. Das hier ist der Moment, auf den du gewartet hast. Meine Hände sind feucht, und ich spüre, dass die anderen Mädchen besorgt auf ihren Stühlen hin und her rutschen, während mein Schweigen den Raum erfüllt. Die Kamera fühlt sich auf meiner Haut an wie ein Scheinwerfer – heiß und kratzig –, und mein Mund ist ganz trocken, sprechen so gut wie unmöglich.

Endlich seufzt der Moderator und erlöst mich aus meiner Qual. »Ihr habt zusammen so viel durchgemacht – sieben Jahre Training, bis ihr es endlich geschafft habt! Ist alles so, wie ihr es euch vorgestellt habt?« Er lächelt, während er mir diese einfache Frage zuwirft.

»Ja«, krächze ich, das Lächeln immer noch fest auf meinem Gesicht.

Er fährt fort. »Und erzähl mir doch noch ein bisschen mehr darüber, wie das Leben in der Ausbildung war, bevor du Teil der Gruppe geworden bist. Was mochtest du im Nachwuchshaus am liebsten?«

Meine Gedanken drehen sich wild im Kreis, während ich versuche, möglichst schnell eine Antwort zu finden. Unauffällig wische ich meine schweißnassen Hände an meinem Lederstuhl ab. Dann fällt mir etwas ein. »Was wohl?«, sage ich und hebe die Hand und wackle ungeschickt mit meinen perfekt manikürten Fingern, weiß mit lavendelfarbenen Streifen, in Richtung Kamera. »Acht Mädchen machen deine Fingernägel. Es ist wie im Nagelstudio, rund um die Uhr.«

OMG. Was stimmt eigentlich nicht mit mir? Habe ich wirklich gerade gesagt, dass ich an der Ausbildung die kostenlosen Maniküren am besten fand?

Glücklicherweise hallt das Lachen des Moderators laut durch den Raum, und ich spüre, wie die Erleichterung meinen Körper durchflutet. Okay, ich schaffe das. Ich kichere gemeinsam mit ihm, und die anderen Mädels stimmen rasch ein. Er lächelt mich schmierig an. Oh, oh. »Rachel, du hast hohes Lob für deine Arbeit als Leadsängerin bekommen. Inspiriert dein Talent die anderen Mädchen dazu, ihr Bestes zu geben, noch härter zu arbeiten?«

Meine Wangen glühen, und ich fahre mir mit den Händen über das Gesicht, um die aufsteigende Röte zu verdecken. Genau diese Frage habe ich tausendmal geübt, aber jedes Mal, wenn ich vor der Kamera sitze, bekomme ich einen Blackout. Die Scheinwerfer, das Wissen, dass mir da draußen Millionen von Menschen zusehen. Es ist, als würde sich mein Gehirn einfach von meinem Körper abspalten, und egal, wie viel ich übe und mich vorbereite, schaffe ich es nicht, die beiden wieder zusammenzubringen. Ein golfballgroßer Kloß steigt in meiner Kehle auf, und ich bemerke, dass das Lächeln des Moderators immer künstlicher wirkt. Mist! Wie lange wartet er schon auf meine Antwort? »Na ja, ich habe schon Talent …«, platze ich heraus. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Lizzie Sumin einen Blick zuwirft. Beide runzeln die Stirn. Scheiße. »Aber ich habe nicht das meiste Talent. Ich meine, die ganze Gruppe, alle Mädchen. Wir haben alle …«

»Ich glaube, Rachel will sagen, dass wir alle lieben, was wir tun, und dass wir uns jeden Tag gegenseitig inspirieren«, wirft Mina gekonnt ein. »Als Leadtänzerin unserer Gruppe kann ich zum Beispiel sagen, dass ich meine gute Arbeitseinstellung von meinem Vater gelernt habe …«

Das scharfe Klingeln der Schulglocke, das aus dem Lautsprecher schallt, unterbricht sie abrupt. Die Kameras werden ausgeschaltet, und das Lächeln des Moderators welkt auf seinem Gesicht dahin. Langsam zieht er sein Jackett aus, darunter kommen riesige dunkle Schweißflecken auf dem hellen Satin seines Hemdes zum Vorschein. Wir neun – Top-K-Pop-Trainees bei DB Entertainment – warten auf das Ergebnis unserer Probeinterviewprüfung. »Nächste Woche will ich ein bisschen mehr Energie sehen – denkt daran, der einzige Unterschied zwischen DB-Trainee und DB-Star ist, wie sehr ihr es wollt! Eunji …« Sie schaut ihn an, die Augen angstvoll aufgerissen. »Wie oft muss ich es dir noch sagen? Kein Kaugummi in Probeinterviews! Noch ein Mal, und ich schicke dich sofort wieder zurück in den Basiskurs.« Eunjis Gesicht wird blass, und sie lässt den Kopf hängen. »Sumin! Lizzie!« Beide heben ruckartig den Kopf. »Etwas mehr Persönlichkeit von euch beiden! Niemand zahlt 200000 Won für ein K-Pop-Konzert voller Stars, die mit Make-up darüber hinwegtäuschen möchten, dass sie nichts Interessantes zu sagen haben.« Lizzie sieht aus, als wäre sie den Tränen nahe, und Sumins Wangen sind so rot, dass sie fast mit ihrem Lippenstift mithalten können. Dann dreht er sich endlich zu mir um, und seine Stimme klingt fast gelangweilt, als er sagt: »Rachel, wir haben das ja schon wiederholt durchgekaut. Du kannst besser singen und tanzen als viele andere, aber das ist nur ein Teil deines Jobs. Wenn du dich nicht mal in einem Probeinterview verkaufen kannst, wie willst du denn dann jeden Abend vor großem Live-Publikum auftreten? Oder echt Interviews mit echten Zuschauern überstehen? Wir erwarten mehr von dir.« Er nickt uns kurz zu und schüttelt eine Zigarette aus der Packung, bevor er den Klassenraum verlässt.

Ich sacke zusammen, massiere den Wadenkrampf, den ich meinen hohen Absätzen zu verdanken habe, und erlaube mir, mit dem Lächeln aufzuhören. Das alles habe ich schon so oft gehört. Mach es besser, Rachel. Du musst vor der Kamera gelöster sein, Rachel. K-Pop-Stars müssen liebenswert, eloquent und immer perfekt sein, Rachel. Ich stöhne auf vor Schmerz und drehe mich um, um in meine Converse zu schlüpfen. Mina starrt mich böse an.

»Was denn?«, seufze ich.

Sie hebt die Hand und zeigt mir ihre perfekten French Nails. »Acht Mädchen machen dir die Nägel? Ernsthaft? Wir sind nicht deine Bediensteten, Rachel.« Sie verdreht die Augen. Du musst es ja wissen, denke ich. Von allen bei DB ist Mina definitiv diejenige, die zu Hause am ehesten Bedienstete hat. Sie ist die älteste Tochter einer der ältesten und einflussreichsten Jaebeol-Familien Koreas, den Choos, auch bekannt als C-MART-Familie. Im ganzen Land gibt es Tausende orange-weiße C-MART-Geschäfte, die alles von Kimchi und Yakult über frischen Japchae bis hin zu neongelben Sweatshirts mit Sanrio-Figuren, die bescheuerte Sprüche von sich geben, verkaufen. Your Mom is my hamster, zum Beispiel, und ähnlich abwegige Mischungen aus Koreanisch und Englisch. Das bedeutet, dass Mina reicher als reich und unglaublich nervig ist. »Du weißt schon, dass du der Grund dafür bist, dass wir so viel von diesem bescheuerten Medienunterricht haben, oder?« Mir wird ganz heiß. Sie hat recht, das weiß ich. Aber trotzdem möchte ich es nicht von ihr hören. »Kannst du nicht wenigstens versuchen, wie ein K-Pop-Star zu antworten und nicht wie ein von einer Übernachtungsparty überwältigtes kleines Mädchen? Oder verlange ich da zu viel von unserer kleinen koreanisch-amerikanischen Prinzessin?«

Ich erstarre. Es ist kein Geheimnis, dass ich in Amerika aufgewachsen bin (New York City, wenn man es genau nimmt), aber weil mich heute Morgen schon mein Tanzlehrer angeschrien hat, weil ich drei Minuten zu spät gekommen bin, und ich dann auch noch das Interview verhauen habe, habe ich jetzt wirklich nicht die Nerven, mich mit Minas Schwachsinn auseinanderzusetzen. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass der Moderator dich irgendetwas Persönliches gefragt hat, Mina. Vielleicht bist du ja doch nicht so interessant, wie du denkst.«

»Vielleicht muss ich auch einfach nicht mehr üben«, gibt Mina zurück.

Ich seufze. Ich habe heute Morgen nicht gefrühstückt, und um dieses Wortgefecht mit Mina aufrechtzuerhalten, bräuchte ich mindestens eine Mahlzeit, wenn nicht sogar zwei. Ich drehe mich um und stopfe meine High Heels in meine alte, weiße Ledertasche.

»Was, jetzt bist du dir auch noch zu schade, um mit mir zu reden? Hat deine Umma dir keine Manieren beigebracht?«, fragt Mina.

»Was erwartest du von ihr?«, fragt Lizzie, die in ihrem mit ihren Initialen gravierten Spiegel ihre Wimperntusche auffrischt. Sie lässt den Spiegel zuschnappen und wirft mir einen bösen Blick zu. »Die süße kleine Prinzessin Rachel, deren Mom sie keinen Fuß ins Nachwuchshaus setzen lässt. Vielleicht denkt sie ja deshalb, dass wir nichts anderes mit unserer Zeit anzufangen wissen, als uns gegenseitig die Nägel zu machen?«

»Es muss schön sein, Mr. Nohs Lieblingsschülerin zu sein.« Eunji seufzt lautstark. »Weißt du, manche von uns mussten wirklich hart arbeiten, um dorthin zu kommen, wo wir jetzt sind. Uns tut der Boss von DB jedenfalls keine Gefallen.«

»Ich hoffe, du zählst dich nicht selbst zu manche von uns«, schnappt Sumin und dreht sich zu Eunji um. »Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, wann du dich zuletzt genug anstrengen musstest, um einen Schweißtropfen zu produzieren.«

»Wo wir gerade von Schweißtropfen reden, du solltest dich vielleicht ein bisschen frisch machen, Liebling.« Eunji zeichnet mit dem Zeigefinger einen Kreis in die Luft vor ihrem Gesicht. »Du glänzt ein bisschen.«

»Na ja, wenigstens sieht meine Nase nicht aus wie aus Plastik«, schießt Sumin zurück.

»Wegen euch bekomme ich noch Kopfschmerzen!«, beschwert sich Lizzie bei Mina. »Sunbae, sag ihnen, sie sollen still sein!«

Mina lächelt. »Natürlich, Lizzie-Schatz. Warum machen wir nicht einfach die Kamera wieder an? Dann halten sie ganz schnell die Klappe. Oh, Moment … Das funktioniert ja nur bei Rachel.«

Die anderen lachen haltlos, während mein Gesicht vor Scham und Wut ganz heiß wird. Ich sollte zurückschlagen, aber das tue ich nicht. Das tue ich nie. Ich tue gerne so, als wäre das so, weil ich mir die Ratschläge meiner Mutter zu Herzen nehme – die Klügere gibt nach, lass sie nie deine Angst riechen, steh einfach drüber – die Mantras der starken amerikanischen Feministinnen überall, aber der riesige Kloß, der mir schon wieder im Hals steckt, weiß genau, dass das nicht stimmt. Ich binde meine Schuhe zu und stehe auf. »Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet«, sage ich und schlängele mich aus dem Raum.

»Oh, wir entschuldigen dich nur zu gerne«, sagt Mina unschuldig. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie die anderen Mädchen wild flüsternd zu sich winkt und sich ein Grinsen auf ihren Gesichtern ausbreitet.

Der Campus von DB Entertainment ist genau so wie die K-Pop-Stars, die er regelmäßig ausspuckt: makellos und glitzernd, so sehr, dass es fast unmöglich ist, nicht hinzuschauen. Er besteht aus beeindruckender Architektur in bester Lage von Cheongdam-Dong, der Hauptstadt des K-Pop. Im Sommer versammeln sich die Trainees zu Yoga oder Pilates auf der Dachterrasse und streiten sich um die Plätze unter den Sonnenschirmen – niemand möchte Sonnenmakel davontragen. Drinnen zieren Springbrunnen mit Quellwasser, das direkt aus Seoraksan eingeflogen wird, die Lobbys in Mahagoni- und Marmoroptik. Die DB-Manager behaupten, dass die Brunnen uns helfen, unseren inneren Frieden zu finden und unser volles Potenzial zu entfalten. Aber wir wissen alle, wie lächerlich das ist. Es gibt nur wenige Orte, an denen man weiter vom inneren Frieden entfernt sein könnte.

Vor allem, weil das Jahrbuch einem jeden Tag unter die Nase gerieben wird.

Als Jahrbuch (es heißt so, weil die meisten hier nie die Gelegenheit bekommen, Teil eines echten High-School-Jahrbuchs zu sein) bezeichnen wir die Wände, die den Brunnen in der Hauptlobby umgeben. Sie sind über und über mit den gerahmten Fotos sämtlicher K-Pop-Stars dekoriert, die durch das DB-Nachwuchsprogramm bekannt geworden sind. Das perfekte Lächeln und glänzende Haar auf jedem einzelnen Foto erinnern uns normalsterbliche Trainees daran, was wir erreichen wollen, jeden Tag, wenn wir von Unterrichtsstunde zu Unterrichtsstunde huschen. Und in der Mitte der Wand – dort, wo wir uns alle eines Tages selbst sehen möchten – hängt eine goldene Plakette mit den Namen aller DB-Solo- oder Gruppenstars, die einen #1-Song in den Seoul Music Charts hatten.

Als ich daran vorbeigehe, bleibe ich stehen und lese die Namen, die ich schon seit Jahren auswendig kann. Pyo Yeri, Kwon YoonWoo, Lee Jiyoung … und, als Letztes hinzugefügt: NEXT BOYZ. Ich fühle den wohlbekannten Druck um mein Herz herum, die dem gesamten K-Pop-Nachwuchs nur zu bekannte Mischung aus Stress, Panik und Dehydrierung, und erinnere mich schmerzlich an meine Interviewperformance. Ich verziehe das Gesicht und gehe schneller, direkt zu den Einzelübungsräumen an der Westseite des Gebäudes.

Der ganze Gang ist voller Spielsachen und anderer Requisiten, die bei den weltweiten Konzerten verwendet werden, die nur die Besten der Besten spielen dürfen. Die Hälfte des Zubehörs trägt die Initialen von Electric Flower und Kang Jina (Legende und Leadsängerin der besten K-Pop-Girlgroup aller Zeiten, längst auf der goldenen Plakette verewigt). Sie waren sofort Nummer eins und rutschten nie nach unten. Als ich zu DB kam, verehrte ich diese Mädchen – vor allem Jina. Jetzt, wo ich weiß, was sie durchmachen mussten, um dorthin zu kommen, wo sie jetzt sind, bewundere ich sie noch mehr. Ein Teil von mir fragt sich auch, was aus den Mädchen geworden ist, die zurückgeblieben sind. Die, die es nicht in die Band geschafft haben.

Werde ich eine von denen an der Spitze sein oder eine, die immer im Schatten zurückbleibt?

Ein Bass vibriert durch den Gang. Ich spähe durch einen Türspalt und sehe eine Trainee aus dem zweiten Jahr, die den Tanz zum Kultsong Don’t Give Up on Love von den Blue Pearls übt. Sie versaut die Armbewegungen und sackt zusammen, dann schleppt sie sich zur Anlage, um den Song wieder von vorne laufen zu lassen. Allein vom Zuschauen tut mir mein ganzer Körper weh. Der Schweiß, der ihr von der Stirn tropft, und ihre knallroten Wangen sagen mir, dass sie schon seit Stunden da drin ist – ein ganz normaler Tag für einen jungen Trainee. Am Ende des Ganges halte ich meinen Finger gegen den Touchscreen, der die Belegung der Proberäume verwaltet. Es ist noch ziemlich früh am Samstag, und ich hoffe, dass ich am Nachmittag noch einen Raum bekomme, um meine Schritte zu üben, aber … O Mann, unglaublich. Alles belegt.

Ich spüre, wie mir heiß wird. Meine Hände krampfen sich zusammen. Lizzie hat irgendwie recht – ich bin nicht wie die anderen Trainees, die bis vier Uhr morgens in den Proberäumen singen und tanzen, im Nachwuchshaus schlafen und das Ganze am nächsten Tag wiederholen, jeden Tag. Als ich von DB angeworben wurde, hätte meine Mutter fast nicht erlaubt, dass ich hingehe. Es bedeutete, dass meine Familie von New York nach Seoul zog, meine Schwester ihre Schule und ihren Freundeskreis verlassen musste und meine Eltern neue Jobs finden mussten. Vor allem konnten sie nicht verstehen, wie K-Pop mir so viel bedeuten konnte, und schon gar nicht meinen Lifestyle als Trainee – den Druck, das jahrelange Training, die Skandale um die Schönheits-OPs. Dann, als ich schon drei Wochen lang gebettelt hatte, starb meine Halmoni. Ich weiß noch, wie traurig ich war, wie ich mit meiner Mutter und Leah stundenlang geweint habe. Ich musste daran denken, wie Halmoni mich bei unseren Besuchen jeden Morgen hingesetzt und mir die Haare geflochten hat, mir alte Sagen und Märchen ins Ohr flüsterte und mir sagte, dass ich schön, weise und reich werden würde. Meine Mom ließ nicht zu, dass wir für die Beerdigung Unterricht verpassten, und als sie aus Korea zurückkam, hatte ich mir das Nachwuchsprogramm schon fast abgeschminkt – doch zu meiner Überraschung machte Umma einen Deal mit mir: Wir würden nach Seoul ziehen, und ich würde unter der Woche zur Schule gehen, mir alle Möglichkeiten für die Zukunft und fürs College offenhalten, und jedes Wochenende, Freitagabend bis Sonntag, würde ich trainieren. (Einmal, vor ein paar Jahren, fragte ich sie, warum sie ihre Meinung geändert hatte, als Halmoni starb, aber die Antwort bestand nur aus einem ausdruckslosen Blick und einem Klaps auf den Hinterkopf.)

Die Manager von DB fanden Ummas Deal anfangs gar nicht toll, aber aus irgendeinem Grund beschloss Mr. Noh, für mich die Regeln etwas zu dehnen. Umma glaubt, dass es an ihrem »amerikanischen weiblichen Selbstbewusstsein« liegt (so nennt sie das jedenfalls), aber ich weiß, dass ich einfach eine der wenigen Glücklichen bin, die Mr. Noh am liebsten mag – eine derjenigen, die er aus der Dunkelheit des Nachwuchsprogrammes holt, um ihnen zusätzliche Aufmerksamkeit zu schenken. (Auch wenn im Nachwuchsprogramm mehr Aufmerksamkeit auch mehr Druck bedeutet.) Trotzdem war meine Situation so ungewöhnlich, dass es nicht lange dauerte, bis mich alle als »Prinzessin Rachel« kannten, die Koreanerin, deren amerikanischer Pass (und amerikanische Einstellung und amerikanische Abneigung gegen Dosenfleisch …) einen Abstand zwischen mich und die anderen Trainees brachte, der größer ist als der Pazifische Ozean. Jetzt, sieben Jahre später, obwohl ich schon länger dort bin als viele der anderen, existiert dieser Spitzname noch immer.

Man sollte meinen, dass sie mich danach beurteilen, wie hart ich trainiere. Wie ich jedes Wochenende schufte, wenn ich im Hauptquartier von DB bin. Danach, dass ich unter der Woche nur vier Stunden schlafe, weil ich nach den Hausaufgaben noch stundenlang trainiere. Dass ich meine Schule angefleht habe, mich in Musik alleine lernen zu lassen, damit ich jeden Tag fünfzig Minuten alleine in einem Proberaum habe, um Tonleitern zu üben, damit ich am Ball bleibe. Stattdessen verurteilen sie mich für meine sauberen Kleider, mein ordentlich gebürstetes Haar und dafür, dass ich nachts in meinem eigenen Bett schlafen darf.

Und das Schlimmste daran? Sie haben recht. Jede Einzelne von ihnen investiert vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Die meisten leben im Nachwuchshaus und können nur einmal im Monat nach Hause (wenn überhaupt). Sie essen, schlafen und atmen K-Pop. Wie man es auch dreht, da kann ich nicht mithalten. Aber genau das muss ich irgendwie schaffen.

Ich presse mir die Handballen gegen die Stirn und versuche, tief und ruhig zu atmen. Als ich langsam aber sicher alt genug für mein Debüt wurde, habe ich Mom wieder und wieder angefleht, mich Vollzeit trainieren zu lassen, allerdings habe ich dafür nie mehr bekommen als denselben leeren Blick. Wie soll ich meiner Mutter klarmachen, dass noch nie jemand in einer Girlgroup debütiert hat, wenn sie keine Teenagerin mehr war? Wie kann ich ihr erklären, dass es nur noch zwei Jahre dauert, bis ich meine besten Jahre hinter mir habe? Es ist jetzt fast sieben Jahre her, dass DB Electric Flower zusammengestellt hat, kurz vor der letzten großen DB-Family-Tour. Seitdem haben sie keine Girlgroup mehr gehabt. Seit Monaten gibt es Gerüchte, dass es wieder passieren soll, und zwar bald, und ich kann es mir nicht leisten, weitere sieben Jahre zu warten. Ich kann es mir nicht leisten, auch nur weitere sieben Monate zu warten. Dann wäre es für mich zu spät. Mein Debüt ist alles, worauf ich hingearbeitet habe, und ich werde nicht zulassen, dass man mich übergeht. Egal, was Umma sagt.

»Rachel!«

Ich nehme die Hände vom Gesicht und setze einen komplett neutralen Gesichtsausdruck auf, während ich mich innerlich auf eine weitere Konfrontation mit Mina vorbereite. Aber ich atme erleichtert auf und lächele, als ich sehe, wie Akari den Gang entlang auf mich zu läuft, ihr dicker, schwarzer Pferdeschwanz schwingt wild hin und her.

Akari Masuda ist mit ihren Eltern nach Seoul gezogen, als sie zehn Jahre alt war und ihr Vater, ein japanisches Technikgenie, von der Osan-Air-Force-Basis rekrutiert wurde. Sie stand damals bei L-star Records, einem riesigen J-Pop-Label in Tokyo, auf der Auswahlliste, aber ihre Eltern wollten nicht, dass sie so jung schon ganz alleine lebt. Stattdessen hat ihr Dad ein paar Kontakte eingesetzt, damit sie von DB genommen wurde. Vielleicht liegt es daran, dass wir beide wissen, wie es ist, in Seoul eine Außenseiterin zu sein, aber wir verstanden uns von Anfang an super. Es ist nicht leicht, Freundschaften zu schließen, weil hier immer alles ein Wettbewerb ist, aber Akari ist einer der wenigen Menschen bei DB, die ich wirklich mag und denen ich vertraue.

»Wo warst du denn?«, fragt sie und hakt sich bei mir unter. Sie hat die natürliche Eleganz einer Tänzerin, sie macht Ballett, seit sie vier ist.

»Medientraining«, antworte ich leichthin. Akari mustert meine dunklen Augenringe und mein rotes, fleckiges Gesicht und zieht mich sanft von den Proberäumen weg.

»Na ja, ich habe dich jedenfalls überall gesucht. Ich hatte Sorge, du verpasst die Verbeugungszeremonie für die Neuen.«

Ich stöhne und bleibe wie angewurzelt stehen. »O nein, bitte schlepp mich nicht da hin. Du weißt doch, dass ich das hasse!«

»Du kannst es hassen, so viel du willst, ›die Verbeugungszeremonie steht für Familie, und Familie ist bei DB das Wichtigste‹.« Akari kichert und verzieht ihr Gesicht so, dass sie Mr. Noh, dem Eigentümer von DB Entertainment, oder, wie er sich gerne selbst bezeichnet, dem Familienoberhaupt von DB, verblüffend ähnlich sieht. Ha. Sie wackelt mit den Augenbrauen. »Außerdem habe ich gehört, dass es was zu essen geben soll.«

Beim Gedanken an Essen knurrt mein Magen lautstark, und mir fällt ein, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. »Wieso sagst du das nicht gleich?« Ich lasse zu, dass sie mich mit sich zieht. »Du weißt doch: Zu kostenlosem Essen sage ich niemals nein.«

»Wer macht das schon?«, ruft Akari, als wir die Hauptlobby betreten. Es wimmelt nur so von Menschen. Trainees auf dem Weg zu ihren Unterrichtsstunden und Angestellte, die zwischen den Büros hin und her hasten und das große Girls-Forever-Konzert vorbereiten, das nächstes Wochenende in Busan stattfindet. Wir kommen an der Cafeteria vorbei, die dafür berühmt ist, die einzige Cafeteria mit Michelinsternen in ganz Asien zu sein. Selbst internationale Superstars wie Joe Jonas und Sophie Turner sind schon hergekommen, um hier zu essen. Schade nur, dass es an den meisten Trainees und den Stars, die von DB vertreten werden, wirklich verschwendet ist – wir werden jede Woche peinlich genau gewogen. Wir können es uns nicht leisten, auf der Bühne aus unseren Kostümen zu platzen.

Die Aula ist einer meiner Lieblingsplätze auf dem Campus, mit all dem glänzenden, hellen Holz und den schicken Kronleuchtern im industriellen Stil, die großzügig an der Decke verteilt sind. Die Bühne erhebt sich dramatisch in der Mitte des Raumes (um die Erfahrung einer Stadiontour so originalgetreu wie möglich nachzuempfinden, natürlich) und ist umgeben von gemütlichen, samtbezogenen Sitzen.

Mr. Noh steht schon mit den Neuen hinter sich aufgereiht auf der Bühne, als wir uns in die erste Reihe schieben. Ich schaue mir die Kinder auf der Bühne an, wie sie aufgeregt herumzappeln und nervös lächeln, wie andere Kinder vielleicht an ihrem ersten Schultag. Mr. Noh, wie gewohnt kitschig von Kopf bis Fuß in Prada gekleidet, sieht aus wie immer: gerunzelte Stirn, kritisch zusammengekniffene Augen hinter seiner verspiegelten Sonnenbrille, mit denen er einen Trainee, der sich nicht genug Mühe gibt, aus einer Meile sehen kann, aber mit Händen, die er, in einem fehlgeschlagenen Versuch, väterlich zu wirken, sanft auf die Schultern der nächsten Neuen gelegt hat.

Während er über die Herausforderungen redet, die diese neue Gruppe zukünftiger K-Pop-Stars erwartet, wandert mein Blick zum Buffet am Rand des Auditoriums. Ein luxuriöses, westlich anmutendes Festmahl aus Prosciutto und Feigenbrötchen, Rosenwasserdonuts und Obstplatten mit Mango und Lychees. Eine kleine Gruppe von DB-Managern und Trainern haben sich schon an den Esstischen niedergelassen und stopfen sich voll. Ich erspähe vertrautes neonpinkes Haar und winke Chung Yujin zu, Cheftrainerin von DB. Yujin war diejenige, die mich gescoutet hat, als ich in einem Noraebang in Myeong-Dong »Style« gesungen habe. Ich war elf, und Leah und ich waren den Sommer über bei unserer Halmoni in Seoul. Jetzt bin ich achtzehn, und Yujin ist immer noch diejenige, zu der ich bei DB am meisten aufschaue. Sie ist meine Mentorin, meine Unni. Niemand außer Akari weiß etwas über unsere gemeinsame Geschichte, und wie nahe wir uns wirklich stehen. Yujin sagt immer, dass mein Leben als K-Pop-Trainee schon hart genug ist (wegen Mr. Noh und meinem Spezialstundenplan). Sie möchte es nicht noch schlimmer machen, indem sie allen sagt, dass ich ihre Lieblingsschülerin bin. Sie winkt unauffällig zurück und tut so, als höre sie interessiert einem faltigen, alten Manager zu, der nach ihrem Arm gegriffen hat und ihr von der Seite ins Ohr quasselt. Sie erwidert meinen Blick und bewegt lautlos die Lippen: »Hilfe!«

Ich kichere, und mein Blick fällt auf ein großes, orangeweißes Schild auf dem Tisch: »Im Namen von Suk Mina und ihrem Vater, wir sind stolz, Teil der DB-Familie zu sein. Bon Appétit!« Das wischt mir das Grinsen vom Gesicht. Vielleicht kann ich doch nein zu kostenlosem Essen sagen.

»Ich glaube, mir ist der Appetit vergangen«, sage ich tonlos.

Akari folgt meinem Blick zu dem Schild. »Oh«, sagt sie. Sie lacht und versucht, mich aufzuheitern. »Komm schon, so schlimm ist Mina nicht.«

»Weißt du noch, was bei meiner Verbeugungszeremonie passiert ist?«

Akari lächelt, um ihre Augen bilden sich kleine Fältchen. »Ooohh ja, ich liebe diese Geschichte.«

An meinem ersten Tag als Neue bei DB hatte ich keine Ahnung, dass ich mich bei dieser Zeremonie vor den älteren Künstlern verbeugen sollte. Ich war gerade aus dem Flugzeug aus New York City gestiegen, und, obwohl meine Eltern beide aus Korea kommen, gehören die Verbeugungen in den USA einfach nicht zum Leben dazu. Als ich ein Kind war, mussten wir uns nur verbeugen, wenn wir im neuen Jahr die Freunde meiner Eltern aus der Kirche besuchten, aber das war dann die richtig formelle koreanische Verbeugung (und die hat sich auch gelohnt, für den druckfrischen Zwanzig-Dollar-Schein, der uns danach immer zugesteckt wurde). Ich dachte, die Zeremonie sei nur eine Willkommensveranstaltung, eine Gelegenheit, die restlichen Trainees kennenzulernen. Yujin-Unni, die wusste, dass ich keinen Schimmer hatte, flüsterte mir ins Ohr, dass ich mich vor den anderen verbeugen sollte. Also tat ich das, vor den älteren Mädchen, die vor mir in der Reihe standen, aber als ich bei Mina ankam, einem Mädchen in meinem Alter, streckte ich nur die Hand aus, um ihre zu schütteln. Ich dachte, das sei das Richtige, und vor allem höflich. Doch der Wutanfall, den sie hatte, wäre auch angemessen gewesen, wenn ich ihr in den Bauch getreten und ins Haar gespuckt hätte.

Inzwischen hat Akari die Geschichte übernommen und spielt Minas Ausraster nach. »Was glaubt diese Bitch eigentlich, wer sie ist?« Sie kräht vor Lachen. »Sie denkt, sie ist irgendeine Aufsteigerin, nur weil sie aus Amerika kommt? Dir sollte erst mal irgendwer Manieren beibringen, Newbie.« Ich verdrehe die Augen, als ich mich daran erinnere, wie sie mich sofort bei Mr. Noh verpetzt hat. Sie verlangte, dass ich für meinen mangelnden Respekt vor einer Sunbae (einfach irgendeinem Menschen mit mehr Erfahrung als ich, auch wenn diese Person gleich alt oder sogar jünger ist) bestraft werde. Glücklicherweise hat Yujin das verhindert. Mina hingegen hat es seitdem zu ihrem größten Ziel gemacht, mir das Leben schwerzumachen.

»O Mann, dieses Temperament!«

»Aber du hast dich trotzdem nicht verbeugt, oder?«, fragt Akari.

»Da braucht es schon mehr als irgendeine reiche, verwöhnte Zicke mit Gottkomplex, um mich dazu zu bringen, mich vor Mina zu verbeugen.«

»So ist es richtig.« Akari klopft mir auf die Schulter. »Die junge Rachel wäre so stolz auf dich.«

Ich lächele ihr kurz zu, aber ich habe trotzdem ein komisches Gefühl. Wenn ich in der Zeit zurückreisen könnte und die Konventionen kennen würde, würde ich es wirklich genauso machen? Ich würde gerne ja sagen, dass ich Mina auf ihren Platz verwiesen hätte, aber ich weiß nicht, ob ich da ganz ehrlich zu mir selbst bin. Ich denke daran zurück, wie ich heute Morgen aus dem Proberaum geflüchtet bin, daran, wie ich jeder Auseinandersetzung mit den anderen Trainees aus dem Weg gehe – Yujin sagt mir immer, ich soll darüberstehen, mich auf mein Training konzentrieren, und ich sage mir diese Worte selbst immer wieder. Aber … wäre die elfjährige Rachel stolz auf mich? Oder würde sie mich einen Feigling schimpfen?

Akari und ich gehen auf die Bühne und stellen uns mit den anderen älteren Trainees in eine Reihe, damit die neuen sich vor uns verbeugen können.

»Entschuldigung?!«, fährt Lizzie uns an. »Stell dich hinten an, Prinzessin, und nimm deine Zofe gleich mit.« Die Mädchen um uns herum schnappen entsetzt nach Luft.

Neben mir wirbelt Akari herum und stellt sich ihr gegenüber. »Entschuldige du gefälligst«, gibt sie zurück. »Wir sind älter als du, wir gehen nirgendwohin.«

Lizzies Blick flackert kurz zu Mina hinüber, die uns mit einem selbstgefälligen Lächeln beobachtet. Aber es gibt nichts, was sie sagen könnte – sie wissen beide, dass Akari recht hat. »Macht doch, was ihr wollt«, schnaubt sie. Wir haben klar gewonnen. »Ihr seid trotzdem Ausländerinnen.« Um uns herum fangen alle an zu kichern. Mir reicht’s.

»Komm schon, Akari«, murmele ich. Meine Wangen sind ganz heiß. »Das ist es nicht wert.«

Ich weiß genau, wie wütend Akari ist, als wir losgehen. Ihr Rücken ist gerade und steif, aber sie tut, was ich sage. Es ist es nicht wert, sage ich auch mir selbst. Es ist unprofessionell, auf der Zeremonie für die Neuen eine Szene zu machen. Ich bin nicht Mina.

Stattdessen setzen wir uns an die große, festlich gedeckte Tafel. Yujin nimmt meine Hand und drückt sie fest. »Alles gut da oben?«, fragt sie. »Es sah … sehr angespannt aus.«

Ich lächele steif. »Alles gut, kein Grund zur Sorge.« Ich ignoriere ihre gerunzelte Stirn und nehme mir einen Teller. Abwesend strecke ich die Hand nach einem Sandwich aus. Es wird sich gut anfühlen, diese Spirale der Scham, die in meinem Magen ihren Anfang zu nehmen droht, einfach aufzuessen. Akari zieht meine Hand zurück und schüttelt den Kopf.

»Gurke«, sagt sie und zeigt auf das Schild.

»Ekelhaft.« Ich schaudere und nehme stattdessen eine Pizza mit Schinken und Käse. »Danke. Du hast mir das Leben gerettet.«

»Dazu sind Freunde schließlich da.« Sie lächelt. »Außerdem werde ich nicht zulassen, dass sich die schreckliche Gurkenkatastrophe von 2017 wiederholt. Ich habe immer noch Albträume davon, wie du nach einer winzigen Gabel voll Gurkensalat die ganze Cafeteria vollgekotzt hast.«

»Ich kann nichts dafür! Gurken sind die Laufübungen der Gemüsewelt! Die Leute tun so, als würden sie sie mögen, weil sie angeblich gesund sind, dabei sind sie eigentlich das Schlimmste überhaupt. Und sie haben einen furchtbaren Nachgeschmack. Und sie gehören verboten.«

»Tut mir leid, aber ich glaube, Gurken sind streng genommen eine Frucht?« Akari lacht, und ich werfe ihr eine zusammengeknüllte Serviette ins Gesicht.

Wo man auch ist, eine K-Pop-Trainingsgruppe besteht aus den talentiertesten Teenagern der Welt – routinierte Tänzerinnen und Tänzer, perfekte Sängerinnen und Sänger und natürlich unvergleichliche Lästermäuler.

»Ich habe gehört, er hat sich die Haare orange gefärbt«, sagt Eunji.

»Nicht irgendein Orange, sondern genau denselben handgemischten Ton, den Romeo von BigM$ney trägt«, meldet sich einer aus dem ersten Jahr zu Wort. Man hört seiner Stimme an, dass er kaum die Pubertät hinter sich hat.

Sieht aus, als wäre der Unterricht in vollem Gang.

Der Tratsch dreht sich natürlich vor allem um eines: Jason Lee, der neueste K-Pop-Star von DB und der neueste Name auf der begehrten Plakette auf dem Jahrbuch, nachdem seine Gruppe NEXT BOYZ mit ihrer Single »True Love« als #1-Hit debütiert hat. Man konnte auf dem Campus keinen einzigen Schritt machen – oder eigentlich nirgendwo in Seoul –, ohne Jason in seinem nachdenklichen Tenor über die einzig wahre Liebe singen zu hören. Mr. Noh war nie glücklicher gewesen. Doch jetzt haben der süße, bescheidene Jason und das Management scheinbar Streit, und niemand weiß, warum. Ich schlürfe aus einer Dose Milkis. Es tut gut, von den Theorien, die nur so um mich herumschwirren, abgelenkt zu werden und nicht mehr über meinen schrecklichen Tag nachzudenken.

»Ich habe gehört, er hat Mr. Noh eine Schallplatte geklaut«, flüstert eine dritte Stimme, die sich hinter einem dicken, rotbraunen Pony versteckt.

»Angel Boy? Etwas gestohlen? Das würde er nie machen!«

»Würde es Mr. Noh überhaupt auffallen? Er hat bestimmt über tausend Platten.«

»Ist das dein Ernst? Er ist total verrückt nach diesen Platten.«

»Wen interessiert es, ob er klaut? Er ist viel zu süß, um rausgeschmissen zu werden.« Ein halbes Dutzend Jugendliche nickt zustimmend.

Ich schüttle ungläubig den Kopf. Geklaute Platten und gefärbtes Haar? Das ist das Schlimmste, das sich die Klatschpresse von DB ausdenken kann? Vor ein paar Monaten wurde ein Trainee, Suzy Choi, mitten in einer Trainingsrunde rausgeschmissen. Die Gerüchteküche brodelte nur so, es wurde behauptet, dass sie Drogen nahm und dass sie ihren Dealern Tausende von Dollar schuldete und dass diese sie jetzt an eines dieser koreanischen Restaurants in Kambodscha verkauft hatten. (Akari hingegen behauptete, dass sie Suzy mit einem wirklich süßen Jungen auf der Straße Händchen halten gesehen hatte, aber das glaube ich nicht. Suzy hätte die strikte »Keine Dates«-Regel von DB niemals gebrochen. In unserem Business sind illegale Drogen viel wahrscheinlicher als illegale Beziehungen.) Einmal, im letzten Jahr, mussten Mom und Dad sonntags arbeiten und baten mich, Leah mit zum Training zu nehmen – danach kursierte das Gerücht, dass sie mein uneheliches Kind wäre, um das ich mich unter der Woche kümmere, und dass das der Grund wäre, weshalb ich nur am Wochenende da bin. Die Leute haben es immer noch nicht ganz vergessen. Dass sie nur fünf Jahre jünger ist als ich, schien niemanden zu stören.

»Wir sollten uns wirklich darauf konzentrieren, härter zu trainieren. Das ist wichtiger als dieser Tratsch«, sagt Mina spitz, steht auf und streckt sich, wobei sie zu Mr. Noh hinüberschaut. Ich widerstehe dem Drang, die Augen zu verdrehen. Könnte sie es überhaupt noch offensichtlicher machen?

Jetzt schaut sie zu mir und lächelt überfreundlich. Sie schaut auf meinen Teller. »Rachel. Tut mir wirklich leid, dass du nicht an der Verbeugungszeremonie teilnehmen konntest. Andererseits sollte man das wohl ohnehin besser denen von uns überlassen, die wissen, was sie tun, findest du nicht auch? Aber ich hoffe, das Essen schmeckt dir wenigstens?«

Das war’s. Ich hab für heute wirklich genug von Mina. »Ja«, sage ich fröhlich, picke ein Stück Schinken von meinem Teller, stecke es mir in den Mund und kaue genüsslich. »Ich habe wirklich großes Glück, dass ich von Natur aus so dünn bin, dass ich mir keine Gedanken darum machen muss, was ich esse.« Ich schaue lange auf den Haufen Sellerie und Dotori-muk auf ihrem Teller. Eine Gruppe Anfängerinnen dreht sich kichernd zu uns um.

Mina runzelt schockiert und verärgert die Stirn. Sie ist es nicht gewohnt, dass ich zurückschlage. Dafür werde ich sicher später noch bezahlen. Sie hebt die Stimme um mehrere Dezibel: »Wenn du und Akari heute Abend Zeit habt, könnt ihr ja zu den Gesangsproben ins Nachwuchshaus kommen. Wir machen das jeden Samstagabend, und ich würde nicht wollen, dass ihr zurückbleibt.«

Das Nachwuchshaus. Ja klar. Umma würde mich nie gehen lassen, und Mina weiß das ganz genau.

Bevor ich antworten kann, kommt Mr. Noh zu uns herübergeschlendert. Minas laute Stimme hat sich offensichtlich ausgezahlt. Wenigstens hat sie was von all den zusätzlichen Gesangsstunden: Sie weiß definitiv, wie sie ihre Stimme einsetzen muss.

»Was höre ich da über zusätzliche Proben spätnachts?« Seine Augen wandern über unsere Gruppe und bleiben an mir hängen. »Rachel, war das deine Idee?«, fragt er lächelnd. »Unsere fleißigste Nachwuchskünstlerin!« Er hat mich fest im Blick, während die anderen um uns herum schweigen und sich so gerade wie möglich hinsetzen. Sie sind fest entschlossen, Mr. Noh zu beeindrucken, falls sie die Chance dazu bekommen.

Neben mir kocht Mina nur so vor Wut, weil Mr. Noh mir mal wieder mehr Beachtung schenkt als ihr. Ich zwinge mich zu einem Lächeln und öffne den Mund, aber Mina kommt mir zuvor. »Ich bin dabei, Sir!« Sie schreit geradezu, und ein Stück Sellerie fliegt von ihrem Teller.

Mr. Noh reißt erschrocken die Augen auf, erholt sich aber rasch. »Eine wirklich tolle Einstellung. Das freut mich wirklich für sie, Miss … ähm …«

»Choo. Choo Mina. Mein Vater ist Choo Minhee …« Mina sieht enttäuscht aus. »Sie sind alte Freunde …«

»Aber ja, aber natürlich, Minhees Tochter!« Mr. Noh kichert erleichtert. »Vielen Dank für die Erinnerung.«

Mina strahlt. »Ich danke Ihnen, Mr. Noh«, säuselt sie. »Werden Sie sich denn bald wieder mit ihm treffen? Vater spricht oft davon, wie sehr er sich immer freut, Sie auf der Choo-Firmen-Weihnachtsfeier zu sehen …«

»Ja, ja, ich werde ihn anrufen.« Er lacht leise, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder mir zuwendet. »Und was für einen guten Geschmack du hast, was Freundschaften angeht, Rachel! Du und Mina seid das beste Vorbild für den restlichen Nachwuchs. Ihr solltet dieser Abendprobe die höchste Priorität beimessen.« Mr. Noh schaut mir genau in die Augen, und ich sehe mein Spiegelbild in seiner Brille. »Vor allem diejenigen von euch, die bald debütieren möchten.«

Mein Inneres steht in Flammen, aber ich wende den Blick nicht ab. Ich spüre, wie Minas selbstgefälliger Blick mir geradezu ein Loch in die Schläfe brennt, aber ich trinke einfach einen weiteren Schluck Milkis und lächle.

»Ich bin dabei«, sage ich. Mr. Noh nickt zufrieden, und ich hebe meine Getränkedose, als würde ich mit ihm anstoßen. Auf die Familie, und darauf, dass ich komplett in der Tinte sitze. »Ich freue mich schon.«

Kapitel Zwei

Schweiß tropft mir von der Stirn, als ich wieder und wieder auf den schlaffen Boxsack einschlage, der vor mir von der Decke hängt. Wumm. Minas selbstgefälliges Lächeln. Zack. Ummas strenge Regeln. Rumms. Ich, wie ich vor den Mädchen im Medientraining fliehe, statt für mich einzustehen. Wumm. Ich schlage das alles zu Brei, alles, was mich nervt, alle, die mir im Weg stehen, selbst wenn ich es selbst bin.

Appa, der den Boxsack festhält, schnauft, während ich schlage und schlage, immer wieder. »Du musst mich wirklich bewundern«, sagt er.

»Warum sagst du das?«, frage ich. Ich keuche vor Anstrengung.

»Offensichtlich versuchst du, in meine Fußstapfen zu treten.« Er lacht leise. Appa war früher Profiboxer. »Warum sollte meine siebzehnjährige Tochter sonst diesen Boxsack so quälen?«

»Achtzehn, Appa. In Korea bin ich achtzehn.« In Korea ist man ein Jahr alt, wenn man zur Welt kommt, man ist dort also immer ein Jahr älter als in Amerika. Ein Jahr näher am Ende meiner besten Jahre. Ein Jahr näher an zu alt fürs Debüt. Ich schlage wieder zu.

»Sorry, Tochter«, seufzt Appa.

Ich schlage ein letztes Mal zu und trete dann schweratmend zurück. Mein Pferdeschwanz klebt an meinem verschwitzten Nacken fest. Wenn ich bei DB wäre, wäre mir das peinlich: Die Trainer hassen es, wenn die Trainees schwitzen, selbst nach stundenlangem Training. Sie sagen, es sieht unprofessionell und schlampig aus. Außerdem tragen die meisten Mädchen ständig Make-up, und zerlaufene Wimperntusche sieht einfach nicht gut aus. In der Boxhalle genieße ich jede Minute. Das Training gibt mir das Gefühl, als hätte ich gerade jemandem in den Arsch getreten – wenn auch nur in meiner Vorstellung.

Appa schaut mich nachdenklich an. »Ist alles in Ordnung?«

Er nickt zum anderen Ende der Halle, wo Akari und die Cho-Zwillinge in Helmen und Handschuhen kämpfen. Sie begleiten mich ab und zu, wenn ich Appa in der Boxhalle besuche; Appa erzählt Geschichten aus den guten alten Zeiten, und wir bekommen das nötige Ausdauertraining.

»Ja, alles in Ordnung«, sage ich. So cool Appa auch ist, ich weiß genau, dass alles, was ich ihm erzähle, irgendwann doch bei Umma landet. Nicht, dass Appa keine Geheimnisse bewahren könnte. Im Gegenteil, er hat selbst ein ganz schön großes Geheimnis vor Umma. »Wie läuft es eigentlich mit dem Unterricht?«

Er schaut sich um, als würde er erwarten, dass Umma sich hinter dem Boxsack versteckt. Aber außer mir und meinen Freunden ist niemand da. Wie immer. »Gut … gut.« Er räuspert sich. »Du hast es immer noch nicht deiner Mutter oder Leah erzählt, oder?«

Ich schüttle den Kopf. Ich weiß sowieso nur von Appas Geheimnis, weil ich ein Jurabuch in seinem Büro entdeckt habe, als ich ihn zum Boxen besucht habe. Als ich ihn darauf ansprach, wurde er ganz nervös und versuchte, so zu tun, als würde er es einfach in seiner Freizeit lesen. Irgendwann hat er dann aber doch zugegeben, dass er heimlich einen Abendkurs in Jura besucht, und ich musste ihm versprechen, es nicht Umma oder Leah zu erzählen. »Nein, aber du gehst jetzt schon seit … wie lange ist es jetzt? Seit fast zwei Jahren hin? Meinst du nicht, es wird langsam Zeit, es ihnen zu sagen? Ich meine, du machst bald deinen Abschluss.«

»Ich will ihnen keine falschen Hoffnungen machen«, sagt er, genau wie damals, als ich das Buch gefunden habe. »Wir wissen alle, dass die Boxhalle nicht besonders gut läuft. Es ist nicht mehr wie früher, als …« Er hält inne, und auch ich denke über das Leben in New York nach. Appa war nach seiner Boxkarriere halbwegs berühmt, und das Studio, das er in unserem Viertel im West Village leitete, war immer voll. Umma war kurz davor, als Professorin für Englische Literaturwissenschaft an der NYU ernannt zu werden. Alle waren beschäftigt, aber irgendwie waren wir immer zusammen. Nach der Schule saßen Leah und ich hinten in Ummas Vorlesungen und malten Mandalas und machten unsere Hausaufgaben. Am Wochenende liefen wir in Appas Studio herum und reichten den Leuten Wasserbecher und Handtücher, und Umma half im Büro aus, machte die Trainingspläne und nahm Lieferungen entgegen. Danach aßen wir immer zusammen ein Eis und gingen mit Leah zu dem Mann, der im Washington Square Park riesige Seifenblasen machte.

Jetzt ist alles anders. Umma arbeitet doppelt so hart, um wieder eine befristete Professur zu bekommen, und das könnte noch Jahre dauern. Leah ist nach der Schule jeden Tag stundenlang allein, während unsere Eltern arbeiten und ich Hausaufgaben mache oder versuche, das verpasste Training aufzuholen. Und Appas Boxhalle … Na ja, er hat das Studio ein Jahr, nachdem wir nach Seoul gezogen sind, gekauft, aber es ist nie so richtig in Schwung gekommen. Manchmal sind meine Freunde und ich wochenlang die einzigen Besucher.

Zum dritten Mal heute spüre ich, wie sich ein Kloß in meiner Kehle bildet. Ich weiß, dass Appa sich für mich freut und mir mein Leben als K-Pop-Trainee gönnt, aber ich fühle mich trotzdem schuldig, wegen all der Träume, die sie aufgegeben haben, damit ich meine verfolgen kann. Appa schüttelt den Kopf und lächelt. »Ich liebe dieses Studio, aber ich liebe dich und Leah und Umma so viel mehr. Ihr drei seid das, was wirklich zählt, und als Anwalt könnte ich dafür sorgen, dass wir finanziell abgesichert sind. Aber ich … ich will sie einfach nicht enttäuschen. Vor allem Leah nicht. Sie ist erst zw… dreizehn, und du weißt ja, wie sie ist. Sie kann so viel Vorfreude entwickeln. Warten wir noch ein bisschen, bis ich wirklich weiß, ob ich überhaupt eine Chance habe.«

Ich nicke zustimmend. Der Gedanke, meine Familie zu enttäuschen – die Menschen, die so viel aufgegeben haben, damit ich bei DB trainieren kann, um ein Star zu werden –, verfolgt mich, wohin ich auch gehe. Aber genau deswegen stellt sich mir auch nie die Frage, ob ich ein Star werde, sondern nur wann. Für mich gibt es keine Alternative zum Erfolg.

»Genug Alte-Männer-Geschichten«, sagt Appa. Sein Tonfall ist betont locker. »Na los, hab noch ein bisschen Spaß mit deinen Freunden.«

Akari hält jetzt den Boxsack für die Zwillinge, und diese wechseln sich mit Flanken und Stoßen ab. Cho Hyeri und Cho Juhyun sind meine besten Freundinnen von der Seoul International School, seit meinem ersten Tag in der vierten Klasse, als die Schulleiterin sie zu meinem offiziellen Willkommenskomitee erklärte. Ich machte mir solche Sorgen darüber, was alle über mein K-Pop-Training denken würden – würden sie mich seltsam finden oder für verwöhnt halten? Vielleicht würden sie auch verlangen, dass ich mich vor ihnen verbeuge, so wie Mina? Aber Hyeri und Juhyun winkten nur ab, nahmen mich bei der Hand, bevor ich mich überhaupt rühren oder auch nur ein Wort sagen konnte, und liefen mit mir durch die Schule. Für die glitzernden Aufnäher an meinen Converse interessierten sie sich deutlich mehr als für K-Pop – und dafür, wie es gewesen war, fußläufig von Soho und den Zelten im Bryant Park während der Fashion Week aufzuwachsen – allerdings hatte ich zu beidem enttäuschend wenig zu sagen. Sie sind beide sehr schlank, haben hohe Wangenknochen und seidiges, braunes Haar, das ihnen in – wie sie jedenfalls behaupten – natürlichen Wellen auf die Schultern fällt. Sie könnten Models sein, wenn sie wollten, und als Erbinnen der Molly-Folly-Make-up-Corporation hätten sie auch die nötigen Beziehungen, um es zu schaffen. Doch das Einzige, was Hyeri am Familien-Schönheits-Unternehmen interessiert, ist allerdings, das gesamte Ingenieurwesen und die Designabteilung zu revolutionieren. Sie redet ständig über die chemischen Reaktionen, die nötig sind, um einen Eyeliner herzustellen, der im Dunkeln leuchtet, oder macht mit glühendem Eifer Experimente, um hundert Prozent biologisch abbaubare Verpackungsmaterialien für die neue Lidschattenpalette zu entwerfen. Juhyun hingegen ist praktisch schon berühmt durch ihren YouTube-Channel. Selbst wenn sie hier im Studio schwitzt, ist ihr Make-up perfekt, vom matten Lippenstift bis hin zu ihren perfekt geschwungenen Wimpern.

»Trinkpause?«, schlage ich vor und ziehe meine Boxhandschuhe aus.

»Oh, ja, bitte«, stöhnt Hyeri und schlägt ein letztes Mal auf den Boxsack ein. »Ich glaube, irgendwer hat auch was von Eis und Hotteok gesagt?«

»Du hast was von Eis gesagt«, gibt Juhyun zurück.

»So?« Hyeri grinst und schlägt ihrer Schwester sanft auf die Schulter. »Und du hast gesagt: ›Wer zum Teufel isst bitte Eis ohne Hotteok?‹«

Juhyun schnaubt belustigt. »Na ja, das stimmt ja wohl auch.«

Akari lässt den Boxsack los, der quietschend an der Deckenhalterung hin und her schwingt. Wir nehmen alle unsere Wasserflaschen und trinken durstig, Akari spritzt sich noch etwas davon ins Gesicht.

»Alles ok, Rachel?«, fragt Juhyun und wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Du hast heute besonders hart zugeschlagen.«

»Denkst du immer noch über Mina nach?«, fragt Akari besorgt.

»Ay, Shibal! Was hat diese Ziege denn jetzt schon wieder gemacht?«, stöhnt Hyeri.

Ich erzähle den Zwillingen davon, wie Mina mich vor Mr. Noh zu den späten Proben im Nachwuchshaus eingeladen hat. Sie nicken verständnisvoll. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich bei ihnen über DB und vor allem über Mina beschwere.

»Sie hat das mit Absicht getan!« Mein Gesicht wird rot, als ich daran denke, was ich zu Mina gesagt habe. Ich seufze laut. Ich hätte nie sagen sollen, dass ich essen kann, was immer ich will. »Meine Mom lässt mich niemals ins Nachwuchshaus, und ihr wisst ja genauso gut wie ich, dass Mr. Noh es sofort erfährt, wenn ich heute Abend nicht dort auftauche. Und dann kann ich mich von meiner Zukunft verabschieden.« Bei diesem Gedanken durchfährt mich ein panisches Kribbeln.

»Dann geh hin«, sagt Akari. »Geh hin und zeig ihr und den anderen, dass du es ganz genauso verdient hast wie sie.«

»Und du? Dich hat sie doch auch eingeladen.«

Sie zuckt die Schultern. »Heute ist Familienabend auf der Basis, und da ist Anwesenheitspflicht. Ich würde kommen, wenn ich könnte, aber eigentlich ist es auch völlig egal. Ich bin jetzt seit fünf Jahren bei DB, und ich glaube nicht, dass Mr. Noh überhaupt weiß, wer ich bin. Wenn Yujin-Unni nicht wäre, wäre ich garantiert schon weg.«

Ich verziehe das Gesicht. Obwohl sie mit ihrer Familie in der Basis lebt, ist sie jeden Tag bei DB und trainiert mit Mina und den anderen. Und Akari kann unglaublich gut tanzen – Yujin sagt sogar, dass sie Frankie von Red Hot blass aussehen lässt, die objektiv gesehen die beste K-Pop-Tänzerin im Business ist. Trotzdem wissen wir alle, dass beim K-Pop-Training Talent nicht alles ist. Deshalb tun wir auch alle, was wir nur können, um von Mr. Noh und dem Rest des Managements beachtet zu werden. Denn alle dreißig Tage versammeln sich alle Trainees in der Halle vor dem gesamten Management und werden bewertet und beurteilt. Dort wird entschieden, ob man gut genug ist, um zu bleiben, oder ob man gehen muss. Nach sieben Jahren ständiger Bewertung ist das fast zur Routine geworden, doch vor ein paar Monaten wurde Akari nach dem Bewertungstag in Mr. Nohs Büro gerufen – ein sicheres Zeichen, dass sie gehen muss, dass sie nicht genug getan hatte, um aufzufallen. Ich weiß nicht, was Yujin gesagt oder getan hat, aber am nächsten Tag war Akari wieder da, ein bisschen still und niedergeschlagen, aber immerhin da. Sie hat die Sache seitdem nicht erwähnt. Ich werfe einen Blick zu den Zwillingen, die mit den Schultern zucken und genau wie ich nicht wissen, was sie sagen sollen.

»Schon okay, ich sage das nicht, um euer Mitleid zu bekommen.« Sie lächelt und wechselt schnell das Thema. »Es ist nur ein Abend. Und hier geht es schließlich um deine Zukunft.«

»Da stimme ich Akari zu«, sagt Hyeri und macht ihre Wasserflasche zu. »Du willst das mehr als alles andere, oder? Wenn eine späte Probe im Nachwuchshaus dazu beitragen kann, dann musst du eben hin.«

Ich werfe einen Blick zu Appa hinüber. Er ist am anderen Ende der Halle und vernichtet einen der Boxsäcke. Schweißtropfen fliegen nach allen Seiten. Er ist in seinem Element. »Ich weiß nicht«, sage ich. »Meine Mom würde ausrasten.«

Juhyun legt den Kopf schief. »Ist es das wert?«

Ich wische mir den Schweiß vom Gesicht. Ist es das wert? Das ist eine Frage, die ich mir jeden Tag stelle. Das ganze Training, all die verlorenen Wochenenden, die Opfer, die meine Familie bringt. Das Gefühl, nie wirklich dort hinzugehören, wo ich unbedingt sein will. Alles, um mir meinen Traum zu erfüllen, ein K-Pop-Star zu werden. Ich denke an die elfjährige Rachel. Das kleine Mädchen, das immer und überall zu spät kam, weil sie es nicht lassen konnte, zwischen den Unterrichtsstunden auf dem Klo K-Pop-Videos anzuschauen. Irgendwie hat sich gar nicht so viel verändert. Andererseits hat sich alles verändert.

»Es bedeutet mir alles.«

»Na also«, sagt Akari.

Juhyuns Augen glänzen unter dem Neonlicht. »Mina unterschätzt dich jedenfalls, Prinzessin Rachel.« Sie zieht ihre Boxhandschuhe aus. Ihre Bandagen und die perfekt manikürten Nägel mit blassrosa und dunkelblauem Blumenmuster kommen zum Vorschein. »Jetzt geh und zeig dieser Kuh, wer hier die Chefin ist.«