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Drei beste Freunde – doch wer ist verliebt in wen? Ohne Emmas beste Freunde geht gar nichts! Pen wohnt schon fast bei ihr, in Mamas alter Studenten-WG in einem ehemaligen Buchladen. Und Shiva, den dritten im Bunde, kennt sie schon seit dem Kindergarten. Er teilt sogar großzügig seine indische Großmutter mit ihr, zu der Em ein besonderes Verhältnis hat. Doch in letzter Zeit wird alles irgendwie komplizierter – Ems Gefühle für Shiva gehen eindeutig in Richtung »schwer verknallt«. Sind sie vielleicht doch füreinander bestimmt? Oder ist er eigentlich in Pen verliebt? Gefühls-Chaos im Trubel Londons – ein echtes Gute-Laune-Buch!
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Ohne Emmas beste Freunde geht gar nichts! Pen wohnt schon fast bei ihr, in Mamas alter Studenten-WG in einem ehemaligen Buchladen. Und Shiva, den dritten im Bunde, kennt sie schon seit dem Kindergarten. Er teilt sogar großzügig seine Großmutter Amba mit ihr, zu der Em ein besonderes Verhältnis hat. Doch in letzter Zeit wird alles irgendwie komplizierter – Ems Gefühle für Shiva gehen eindeutig in Richtung »schwer verknallt«. Sind sie vielleicht doch füreinander bestimmt? Oder ist er eigentlich in Pen verliebt?
Gefühls-Chaos im Trubel Londons – ein echtes Gute-Laune-Buch!
Buch lesen
Vita
Für Isabell und alle, die diese Worte gerade lesen
VÖLLIG UNNÜTZES WISSEN:
Verliebtsein macht süchtig
Ich bin draußen mit Lampen und suche mich
Emily Dickinson
Natürlich hat es auch seine Vorteile, so klein zu sein wie ich: Wenn meine beste Freundin Pen und ich mal wieder eines der Cafés in Notting Hill für Recherche-Zwecke abklappern, bekomme ich oft einen Cookie mit Smarties drauf geschenkt.
Pen passiert das nie.
Bei Live-Auftritten unserer Schulband Rock Bottom fragt mich Shiva spätestens nach dem dritten Lied, ob er mich auf seine verschwitzten Schultern heben soll.
Und das soll er immer.
Außerdem freuen sich die Mitfahrer meines Bruders Josh jedes Mal riesig, wenn ich in seinem altem Volvo hinter ihnen einsteige. Weil sie den Sitz dann so weit zurückfahren können, dass in ihrem Fußraum noch locker Platz für ein Picknick ihrer Großfamilie ist.
Und laut meiner Mutter gibt es sogar einen Vorteil Nummer vier. Denn es ist ja so: Auch wenn ich fast sechzehn bin, gibt es für jemanden wie mich immer noch passende Jeans in der Kinderabteilung von Marks & Spencer. Und die sind grundsätzlich billiger als die Jeans für Erwachsene.
Aber spätestens da endet sie schon, die Liste der Vorzüge einer Körpergröße von einem Meter vierundfünfzig.
Es dauert nämlich Stunden, bis man die bescheuerten Tier-, Elfen- oder Blumen-Aufnäher von diesen Jeans weggepfriemelt oder mit Pailletten-Stoff übernäht hat.
Aber das ist noch nicht einmal das Allerschlimmste. Das Allerschlimmste ist das Gefühl, wenn man seine neue Marks-&-Spencer-Jeans zum ersten Mal in der Schule trägt. Weil: Dann klebt an einem die große Peinlichkeit wie der Inhalt von Murphys Katzenklo, wenn man wieder mal vergessen hat, nachts das Badezimmerlicht anzumachen. In jeder einzelnen Schulstunde, auf allen Gängen von Klassenzimmer zu Klassenzimmer und natürlich in der Cafeteria. Da besonders.
Und den ganzen Tag über werde ich diesen einen Monster-Gedanken nicht mehr los.
Nicht, während ich schön kuschelig zwischen meinen zwei allerbesten Freunden in der letzten Reihe des Physiksaals auf meine Lieblingslehrerin warte und dabei einen meiner selbst gebackenen Erdbeer-Cupcakes vertilge.
Auch nicht, obwohl ich weiß, dass ich in Physik wahrscheinlich wieder als Einzige den Lösungsweg zu Mrs Malloneys Spezialaufgabe der Woche geknackt habe.
Und nicht einmal, wenn the one and only Shiva Lal – für mich nur Shive, für Pen manchmal auch Shivkens – mich mit seinem Karamellschmelz-Lächeln fragt, ob ich noch schnell die Biologie-Hausaufgaben von ihm abschreiben will.
Dann erst recht nicht.
Und dieser eine Monster-Gedanke ist folgender: »Ich, Em P. Bennett, bin fast sechzehn Jahre alt, ein verfluchtes Näh-, Back- und Physik-Genie, verliebt in meinen besten Freund, seitdem ich bis zehn zählen kann, und – tataah! – stolze Trägerin einer Jeans für Zwölfjährige!«
»Em, auf welchem Häkel-Planeten weilst du eigentlich gerade?«, fragt Pen, während sie mir ihren Ellbogen in die Rippen schiebt.
»Ich … ähm … auf keinem. Wieso? Hast du mich was gefragt?«
»Ob du die Jeans heute Morgen von Pheebs geklaut hast, wollte ich wissen«, murmelt Pen mit der einen Hälfte ihres Cupcakes noch im Mund. Die andere Hälfte, vielmehr die gesamte Erdbeer-Sahne, ist schön über dem Blatt mit meinem Lösungsweg verteilt.
»Danke auch, Pen«, murmele ich, stoße mit dem Ellbogen zurück und starre auf meine Jeans. Was genau hat mein nagelneues Kleidungsstück denn bitte schön verraten?
Ich seufze. Es ist ja so: Meine beste Freundin Pen kann nicht anders. Sie muss ihre Fragen immer direkt raushauen.
Ich hasse und liebe sie dafür. Und natürlich bringt sie es direkt auf den Punkt.
Meine Schwester Pheebs ist ja tatsächlich die eigentliche Zielgruppe meiner neusten Jeans: zwölf Jahre alt und verknallt in Einhörner jeglicher Art. Auch in Form von mühsam abgepfriemelten Stoff-Aufnähern, wie ich gestern Abend herausfand, by the way.
Ich wische mit einer meiner Blümchenservietten einen Teil der Sahne von meinen Physik-Hausaufgaben. Aber das verschmiert meinen Rechenweg komplett.
»Ups, sorry, Em«, sagt Pen, während sie auf die Schmiererei starrt. »Aber du hast die Lösung ja sowieso im Kopf. So wie immer.«
Ich gebe ein Grunzen von mir. Wenn Pen wüsste, was in Wirklichkeit gerade alles in meinem Kopf herumschwirrt.
»Meiner Meinung nach fehlt in deinem Cupcake nur noch eine Prise von Ambas Masala mit Zimt«, sagt Shive von links und zwinkert mir zu, während er weiterkaut. »Aber sonst echt lecker, Shortbread.«
Ich sehe ihn an. Auch wenn ich weiß, dass es unhöflich ist, jemanden beim Essen anzustarren. Aber ich kann mal wieder nicht anders.
Ob es für Shives und meinen Beziehungsstatus so förderlich ist, dass er mich immer noch Shortbread nennt, bezweifele ich stark. Aber irgendwie habe ich mich an seinen Kosenamen für mich gewöhnt. Schließlich nennt er mich so, seitdem Pen, er und ich im Kindergarten Herzen aus Shortbread-Teig ausgestochen und nach dem Backen mit kunterbunten Jelly Beans verziert haben.
Und auch wenn man es nicht für möglich halten sollte: Das »Short« in Shortbread hat nichts mit meiner Körpergröße zu tun, sondern ist reiner Zufall. Denn mit fünf konnte Shive ja noch nicht wissen, dass er und Pen später so dermaßen in die Höhe schießen würden, dass sie heute zwei Köpfe größer sind als ich.
Erst jetzt bemerke ich, dass Shive sich meinen Physik-Ordner geschnappt hat und gerade die restliche Erdbeer-Sahne runterschleckt. Gut für ihn – schlecht für meinen Lösungsweg.
Den kläglichen Rest, den man davon noch erkennen konnte, schleckt er nämlich mit ab.
»Sag mal, hast du keine Angst vor einer Bleivergiftung, Shiva?«, fragt Pen und verzieht angewidert das Gesicht. »Das war Ems Bleistift-Gekritzel, was du da eben weggeschleckt hast.«
»Das war kein Gekritzel, sondern das Ergebnis der Spezialaufgabe der Woche«, murmele ich. Echt jetzt.
Pen ist so eine Physik-Banausin.
»Was ich nicht alles auf mich nehme für eine von Ems Leckereien. Und übrigens: In jedem deiner geliebten Thunfisch-Sandwiches aus der Cafeteria ist mehr Blei drin als in Ems Rechenweg. Das kannst du mir glauben«, sagt Shive und wischt sich mit dem Handrücken den Sahne-Schnurrbart weg.
Er hätte ja nur fragen müssen. Ich hätte ihm den auch weggeschleckt.
»Entschuldigt, Leute«, versuche ich mich einzubringen, »ihr habt gerade meinen gesamten Lösungsweg …«
»Aber die Idee mit deinem Zimt-Masala ist gar nicht mal so schlecht«, sagt Pen, klemmt ihre Knie hinter unser schmales Pult und knotet währenddessen ihre meterlangen blonden Haare zu einem perfekt unperfekten Bun mitten auf ihrem Kopf. »Mit den Masala-Cupcakes könnte Em in ihrem eigenen Näh-Café später sicher einige Bollywood-Hochzeiten deiner weitverzweigten Großfamilie versorgen. Das wird der Renner in ganz London. Und ich kann irgendwann als Managerin dort mit einsteigen und nebenher meine Artikel schreiben. Shiva, du bist einfach der Beste.«
»Wisst ihr eigentlich, dass ich für diesen Lösungsweg gestern Abend fast drei Stunden …«, versuche ich es noch einmal.
»Theoretisch schon«, sagt Shive und schleckt sich seinen kleinen Finger ab. »Aber meine Schwester und meine 31 Cousinen und Cousins machen sich nicht allzu viel aus dem Heiraten. Ihr kennt die meisten von ihnen doch: Das ist viel zu altmodisch für ihren Geschmack.«
Ich gebe auf.
So ist es immer: Wenn Pen und Shive bei einem Thema Feuer fangen, sitze ich nur auf der Zuschauer-Tribüne und schaue zu, wie meine zwei besten Freunde sich die Bälle zuschmettern. Oder ich führe die Strichliste für den Punktestand bei einer unserer regelmäßigen Mühlespiel-Sessions und koche den Loser-Tee, während die beiden ihre Steine übers Brett schieben.
»Und für deinen Geschmack, Shivkens?«, fragt Pen und malt Herzchen um ihr riesiges Fragezeichen aus winzigen Pistolen. An diesem Kunstwerk arbeitet sie schon seit Anfang des Schuljahres.
Mein Magen zieht sich zusammen und ich lege den Rest meines Cupcakes auf die Blumenserviette auf meinem Schoß ab.
»Für meinen Geschmack … was soll ich sagen? Ich werde wahrscheinlich irgendwann die für mich von den Sternen vorbestimmte Frau heiraten. Allein Amba zuliebe«, flüstert Shive und wischt sich seinen langen, sternklare-Nacht-schwarzen Pony aus der Stirn.
Mein Magen zieht sich zusammen. Wegen dieser Sache mit den Sternen.
Und als Mrs Malloney endlich erscheint und mich sofort für ihre Spezialaufgabe der Woche an die Tafel holt, bin ich mehr als erleichtert. Weil ich mich wenigstens für die nächsten fünfzehn Minuten berechenbareren Dingen als der Zukunft unserer Herzen widmen kann.
VÖLLIG UNNÜTZES WISSEN:
Tintenfische haben drei Herzen
»Übernachtet Penelope heute denn nicht bei uns?«, fragt meine Mutter, während sie im Internet nach einem erschwinglichen Saugroboter sucht. Sie scheint richtig enttäuscht zu sein, schon bevor ich überhaupt geantwortet habe.
Ich sehe ihren Gesichtsausdruck nicht, da der Schreibtisch in unserem WG-Wohnzimmer direkt vor dem ehemaligen Buchladen-Schaufenster steht. Aber ich merke ihr die Enttäuschung an der Stimme an: Meine Mutter versucht sie nämlich immer mit übertriebener Lässigkeit zu überspielen.
Ich pfeffere meine Schultasche in die Ecke, lasse mich in unseren Plüschsessel fallen und langsam einsinken. Dann atme ich tief durch. Zum Glück hat jemand den Kamin schon angeworfen. Und der bollert gerade so dermaßen vor sich hin, dass man sich direkt willkommen fühlt.
»Nein, heute leider nicht, Mum. Hat Pen doch heute Morgen beim Frühstück schon gesagt. Morgen ist dieses wichtige Basketball-Spiel in Bristol. Da fahren Pen und Shive gerade hin«, murmele ich, streife mir die Chucks von den Füßen und ziehe mir eins der Sofakissen vor den Bauch.
Um mir gleich darauf mal wieder richtig ausführlich Sorgen darüber zu machen, ob meine Mutter lieber Pen als mich zur Tochter hätte.
Ich könnte es ja sogar verstehen, wenn sie zu der Art von Müttern gehörte, denen es wichtig ist, welche Chancen ihre Tochter auf dem Heiratsmarkt hat. Und zwar aus folgenden Gründen:
1.) Pen ist mindestens so groß wie Shive. Was bedeutet, dass sie sich nur auf die Zehenspitzen stellen muss, um in den Basketball-Korb spucken zu können. Also, von meiner Perspektive aus auf jeden Fall. Und gleichzeitig bringt sie es auch noch fertig, dabei auszusehen, als käme sie gerade aus der Styling-Lounge einer Topmodel-Show.
2.) Sie hat – auch ganz im Gegensatz zu mir – die athletische Figur einer Leistungssportlerin. Was bedeutet, dass sie die Art von Klamotten anziehen kann, bei denen ich nicht einmal weiß, wo oben und unten ist. Oder ob es eigentlich total überteuerte Putzlappen sind.
3.) Pen hat die bad-hair-day-freien blonden Haare eines Shampoo-Models, mit denen sie locker die Hauptrolle in Rapunzel – Neu verföhnt besetzen könnte.
Und deswegen nennt sie jeder außer Shive, meiner Familie und mir meistens Barbie, bewundert sie für ihre göttinnengleiche Erscheinung und will sich mit ihr schmücken.
Wir bewundern sie natürlich auch. Aber hauptsächlich für ihre inneren Werte.
Meiner Mutter sind meine Chancen auf dem Heiratsmarkt allerdings ziemlich egal. Sie hält grundsätzlich nichts davon, sich ein Leben lang und vor allem zu früh »aneinanderzuketten«. Was meiner Meinung nach hauptsächlich damit zusammenhängt, dass sie mit neunzehn, im zweiten Jahr ihres Journalismus-Studiums, meinen Vater heiratete, der ihr Josh, Pheebs und mich einbrockte, bevor er sie mit einem riesigen Wäscheberg und Steuerschulden bis zur IS-Raumstation sitzen ließ (O-Ton meiner Mutter).
Ich finde ja auch, dass ich mir keine Gedanken ums Heiraten machen sollte. Noch nicht jedenfalls. Weil ich verdammt noch mal erst fünfzehndreiviertel bin. Aber ich mache es eben trotzdem. Kann natürlich daran liegen, dass ich in den letzten Monaten sehr viele Jane-Austen-Romane verschlungen habe. Nachdem Pen mich belabert hatte, dass die zum Allgemeinwissen gehören würden. Jedenfalls ist es so, dass es in Jane Austens Romanen immer sehr viel um den Heiratsmarkt geht. Und es war zum Verzweifeln: In wen auch immer die jeweilige Protagonistin verliebt war und wen immer sie auch heiraten wollte, es war immer Shive.
Ich beobachte Josh, wie er frische Petersilie hackt. Schnell wie ein Fernsehkoch. Dem Duft nach gibt es wieder sein neustes Spezialrezept: veganes Bœuf Bourguignon. Abgewandelt aus unser beider Lieblingskochbuch, das Josh seit drei Wochen studiert, als wäre es eines seiner examensrelevanten Bücher über van Gogh.
Mein Bruder teilt nämlich meine Leidenschaft für unseren Herd.
Aber der ist auch ein Prachtstück. Also, der Herd. Älter als unser WG-Mitbewohner Sanders und vollkommen verkrustet. Aber dafür heizt er vor sich hin, dass es eine wahre Freude ist. Und deswegen wird er auch nicht ausgetauscht. Nicht, solange Josh und ich hier wohnen.
Mein Bruder ist natürlich auch schwer in Ordnung. Solange ich meine Herdzeiten im Küchenplan nicht überziehe jedenfalls.
»Machst du dir darüber eigentlich nie Sorgen, Em?«, fragt Josh betont beiläufig.
»Über was genau soll ich mir denn Sorgen machen, Bruderherz?«, frage ich und kraule Murphy, der sich gerade schnurrend auf dem Kissen auf meinem Bauch niedergelassen hat.
»Na, darüber, dass Shive und Pen so viel Zeit miteinander verbringen. Ohne dich. Hast du dir darüber noch nie Gedanken gemacht, Sis? Allein schon das Basketball-Training zweimal die Woche, die ellenlangen Busfahrten zu den Spielen, die ständigen Übernachtungen in irgendwelchen Turnhallen … Jede Menge Möglichkeiten, um … du weißt schon … ich meine, die beiden passen rein äußerlich ja schon perfekt zusammen. Bei meinen Freunden heißen sie ja nicht ohne Grund nur Barbie und Ken«, sagt Josh und löscht sein Gebrutzel mit etwas Zischendem ab.
Ich tippe auf eine von Sanders’ heiligen Bordeaux-Flaschen.
Aber zurück zum Thema: Darüber habe ich mir eigentlich noch nie Sorgen gemacht. Bis gerade eben jedenfalls.
Pen und Shive verbringen wirklich sehr viel Zeit miteinander. Und das auch sehr oft ohne mich. Andererseits verbringe ich auch sehr viel Zeit mit Pen – ohne Shive. Fast unsere gesamte Schlafenszeit zum Beispiel.
Und wenn ich mit Shives Großmutter Amba an ihrer Turbo-Nähmaschine neue Outfits schneidere, ist da meistens auch Shive dabei, ohne – nein, Moment mal, finde den Fehler – meistens mit Pen. Wie konnte ich dieses elementare Detail der Gleichung so lange übersehen?
»Ich glaube, da muss ich mir keine Sorgen machen«, sage ich halb zu mir, halb zu meinem Bruder. »Ich habe das Gefühl, Shive fühlt sich verpflichtet, sich in jemanden aus einer Familie mit indischen Wurzeln zu verlieben. Vielleicht hat er das aber auch schon … oder will das selbst auch … oder … wie auch immer … also, heiraten wird er auf jeden Fall eine Frau, die … wegen Großmutter Amba. Ich weiß es doch auch nicht … es ist kompliziert … Jedenfalls sind ich und Pen da raus. Glaube ich jedenfalls …«
Plötzlich wird mir ein bisschen kalt. Und das, obwohl Murphy dafür gesorgt hat, dass ich das Kissen etwas zur Seite schiebe, und er sich jetzt schnurrend direkt auf meinem Schoß ausgebreitet hat.
»Also echt, irgendwas habe ich bei eurer Erziehung falsch gemacht«, sagt meine Mutter von ihrem Computerplatz aus, ohne sich umzudrehen. »Meine fünfzehnjährige Tochter spricht die ganze Zeit vom Heiraten, als ob es nichts Wichtigeres auf diesem Planeten gäbe, backt Cupcakes und bindet sich die Kochschürzen ihrer Großmutter um. Und mein Sohn denkt, Paare müssten »rein äußerlich« gut zusammenpassen. So wie Penelope und Shiva. Also, was ist das denn bitte für ein Weltbild?« Während sie spricht, tippt meine Mutter weiter wie wild auf ihre Tastatur ein. Und dafür bewundere ich sie schon sehr. Dass sie gleichzeitig reden und tippen kann. Mit allen zehn Fingern. Das muss man erst mal hinbekommen.
»So habe ich das doch gar nicht gemeint, Mum«, sagt Josh und wirft meiner Mutter einen wütenden Blick zu. Dann zerstampft er den frischen Rosmarin im Mörser. »Natürlich müssen Paare rein äußerlich nicht zusammenpassen. Jeder darf mit jedem zusammen sein. Aber bei Barbie und Ken ist es so auffallend, dass sie …«
»Und außerdem«, unterbricht ihn meine Mutter, »warum sollte es eigentlich ein Problem für Em sein, wenn sich ihre beiden besten Freunde ineinander verlieben?«
Joshs hört auf mit dem Mörsern, sieht mich an, schüttelt den Kopf und lächelt mir dann zu.
Ich kraule weiter Murphys flauschigen Nacken, verdrehe die Augen und versuche zurückzulächeln.
Meine Mutter tippt immer noch wie wild vor sich hin. Der Staubsauger-Roboter muss wahnsinnig interessant sein. »Dass ihr beide so fixiert seid auf konventionelle Paarbeziehungen … Aber wahrscheinlich ist das auch wieder meine Schuld. Am Ende hat es nämlich immer die Mutter verbockt. Darüber sind sich Nelle und Sanders übrigens einig. Und auch darüber, dass ihr beiden mit euren Heiratsfantasien den frühen Verlust einer Vaterfigur kompensiert. Nelle und Sanders müssen es wissen. Die haben schließlich beide mal Psychologie studiert.« Meine Mutter hämmert mittlerweile so dermaßen fest in die Computer-Tasten, dass ich mir schon Sorgen um das Ü und das X mache. Die wackeln seit ein paar Wochen nämlich bedenklich.
»Könntet du, Sanders und Nelle bitte endlich damit aufhören, bei euren Wein-Gelagen unser Verhalten zu analysieren? Wenigstens so lange, bis ein Zimmer im Studentenwohnheim frei wird und ich mir diesen Schwachsinn nicht mehr anhören muss?«, fragt Josh, während er den Kartoffelbrei mit dem Schneebesen verdrischt.
»Außerdem hatten wir doch immer schon Sanders, Mum«, komme ich meinem Bruderherz zu Hilfe. »Er war immer eine klasse Vater-Figur für uns. Und Nelle taugt auch ganz gut als Tanten-Imitat. Und Murphy. Murphy haben wir auch. Und der eignet sich für alle möglichen Rollen.« Ich küsse unser schnurrendes Lieblings-Familienmitglied auf die Stirn und ziehe den Physik-Ordner aus meiner Schultasche.
Mrs Malloney hat schließlich aufgabentechnisch schon wieder mächtig einen draufgelegt.
»Sanders und Vaterfigur – dass ich nicht lache«, murmelt Mum. »Sanders mag vielleicht sonntags gute Rosinen-Scones backen. Und zugegeben: UNO spielen kann er auch ganz passabel. Aber das wars dann auch schon mit seinem Talent zum Vatersein.« Sie kramt ihre Kreditkarte aus dem Portemonnaie. Jetzt macht sie Ernst mit der langfristigen Entstaubung unseres WG-Hauses.
Dann sind nur noch die Rührgeräusche von Joshs Kochlöffel im Bräter, das Kamin-Geknacke und Murphys tiefes Schnurren auf meinem Bauch zu hören. Doch in Wirklichkeit wabern mal wieder all die ungesagten Sätze zwischen uns herum wie Wespen-Schwärme.
Und genau das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir alle so froh sind, wenn Pen bei uns ist. Die unsagbaren Dinge werden endlich beim Namen genannt. Sogar wenn es sich um richtig brenzlige Themen handelt. Pen findet immer einen Weg, diesen Dingen eine witzige Wendung zu geben.
Und weil sich dann alle im lila Haus besser benehmen. Sogar Murphy scheint weniger oft auf den Flurteppich zu pinkeln, wenn Pen bei uns übernachtet.
Außerdem hat meine Mutter in Pen jemanden, der genauso leidenschaftlich wie sie für etwas brennt. Und zwar dafür, über die Missstände unserer Welt zu schreiben.
Meine Mutter schreibt für eine Online-Zeitung, bei der sie so viel verdient, dass wir nie mehr wochenlang ausschließlich Baked Beans mit Toast essen müssen.
Während Murphy beschließt, seine Liegestellung zu wechseln und mir dabei seinen Hintern zuzustrecken, frage ich mich, warum man sich in meiner Familie nicht einfach mal ganz normal unterhalten kann. Ruhig, gesittet und konstruktiv zum Beispiel. Ohne dass man sich anzickt oder gegenseitig analysiert oder dem anderen seine Sorgen einpflanzt.
Zum Beispiel die Sorge, dass Shive und Pen in diesem Moment in einem Bus nach Bristol sitzen. Wahrscheinlich nebeneinander. Wie immer eben. Knie und Arme aneinandergepresst. Zunächst aus reinem Platzmangel natürlich.
Aber wie ich Pen kenne, die sich in ihrem Körper so wohlfühlt, als wäre es genau der richtige für sie, hat sie sicher längst ihre Beine über die von Shive gestreckt. Und in dieser Yoga-Pose futtern die beiden Salz-und-Essig-Chips aus einer Familienpackung, bis sie high sind. Wenn man das Ganze so betrachtet, fehlt wirklich nicht viel und …
»Wer hat eigentlich Pheebs vom Tanz-Training abgeholt?«, ruft Sanders von der offenen Eingangstür her und zieht seine Kapitänskappe ab. »Die Einhorn-Stiefel sind jedenfalls nicht da.«
Ich blicke zu meiner Mutter, die Josh ansieht, der wahrscheinlich mich anschaut. Ich kann es nur vermuten, denn ich starre mittlerweile wieder zur Tür.
Erst jetzt entdecke ich Nelle, die in ihrer vollen Blümchen-Regenmantel-Montur hinter Sanders steht und sich das Wasser von den Ärmeln streift.
»Wer war denn heute dran mit Pheebs-Abholen?«, fragt Josh.
»Ich finde ja sowieso, dass es Pheebs überhaupt nicht guttut, wenn wir sie mit ihren zehn Jahren immer noch von überall abholen, als wäre sie fünf«, sagt meine Mutter. »Pheebs kann schon viel besser auf sich aufpassen als ihr alle zusammen.«
»Das mag ja sein«, murmelt Sanders in seinen Bart und schüttelt dabei so schwungvoll den Kopf, dass es ein paar Regentropfen sogar bis zu meiner Nase schaffen. »Aber das sollte man ihr wenigstens vorher sagen und sie nicht im Regen auf einen von uns warten lassen.«
Meine Mutter steht seufzend von ihrem Stuhl auf.
»Bleib sitzen, Liz«, murmelt Sanders und setzt sich seine Kapitänskappe wieder auf. »Du hast schon genug um die Ohren mit deinem Abgabetermin. Wir holen sie.«
Er dreht sich wieder um und nickt Nelle zu.
Und Nelle nickt zurück.
»Wartet«, rufe ich, springe auf und setze den jaulenden Murphy auf den Sessel. »Ich komme mit. Ich brauche sowieso gerade dringend frische Luft.«
Während ich in meine Gummistiefel schlüpfe, schaue ich auf mein Handy. Eben kam nämlich mit unpassend viel Plingpling eine neue Nachricht rein.
Und obwohl meine Stimmung ohnehin schon im Keller ist, geht es offensichtlich immer noch ein Stockwerk tiefer.
Pen hat mir nämlich ein Bild geschickt – von sich und Shive im Basketballer-Bus. Pens Beine sind über die von Shive geschlungen. Ihre Köpfe lehnen so dicht aneinander, dass kein einziger Salz-und-Essig-Chip mehr dazwischenpassen würde.
Mit zwei ihrer vier Hände bilden sie gemeinsam ein großes Herz. Und das halten sie fett in die Kamera.
Zu leben ist so verblüffend,
dass für alles andere nur wenig Zeit bleibt
Emily Dickinson
Wenn ich Ambas Nähzimmer im Haus von Shives Familie betrete, fühle ich mich immer direkt wie in einem Palast aus dem Märchen. Von einer Sekunde auf die nächste. Und das, obwohl das Zimmer höchstens 15 Quadratmeter groß ist. Aber es fühlt sich größer an. Vielleicht, weil an allen Wänden Wandbehänge mit kleinen Spiegelchen und goldenen Borten angebracht sind oder weil es einfach so viele Sitzmöglichkeiten gibt.
Und dann fühle ich mich auch immer direkt wie in einem Bollywood-Film.
Obwohl Shive immer die Augen verdreht, wenn ich – oder irgendjemand sonst – mit so einem blöden Klischee um die Ecke komme.
Und das kann man ja auch verstehen.
Aber ich liebe Bollywood-Filme nun mal. Und es gibt keinen Ort, an dem ich mich wohler fühle als in Ambas Nähzimmer.
Das restliche Haus der Lals sieht komplett anders aus und die Einrichtung ist eher »Büro trifft auf Schöner Wohnen der Zukunft«.
Das ist nicht meine Beschreibung, sondern die von Shive.
Von dem fehlt heute leider in der Portobello Road Nr. 77 jede Spur, da er ja mit Pen beim Basketball-Turnier in Bristol ist. Und wahrscheinlich versenkt er dort gerade wieder den Basketball mit einem seiner extra-spektakulären Dunks im Korb, während alle ihn dafür feiern und die Cheerleader mit ihren Pompons wedeln.
Während ich den heimeligen Wohnungsduft aus Curry, Masala Chai, gebackenen Papadams und Putzmittel mit Rosenduft inhaliere, versuche ich, den Knoten in den Schnürsenkeln meines linken Chucks zu öffnen. Irgendwie hat sich der über die letzten Wochen zu einem festen Klumpen zusammengezurrt, wie ich ihn sonst nur morgens von meinem Hinterkopf kenne, wenn ich mal wieder bescheuert genug war, mit nassen Locken ins Bett zu gehen.
Ich muss meine Lieblingsschuhe heute nämlich noch mal flicken. Zum ungefähr 135. Mal. Weil die einfach so perfekt eingelaufen sind.
Während Großmutter Amba mir geduldig zusieht und dabei einen ihrer geliebten Wrigley’s Spearmints kaut, bereue ich zutiefst, nicht zu den Cheerleadern der London Lions zu gehören. Dann wäre ich nämlich wenigstens mitgefahren. Nicht dass sie mich je gefragt hätten. Im Gegenteil.
Pens Ansage im Sportunterricht letztens, dass ich mit meiner 1-Meter-54-Körpergröße doch der ideale Flyer wäre, wurde von Trish Thomson, selbst Gründungsmitglied der London Lions Cheerleader, mit der Bemerkung abgeschmettert: »Aber da denken ja alle, die aus der sechsten Klasse dürften bei uns neuerdings auch mitmachen!«
Als Trish bemerkte, dass alle anderen Mädchen sie mit offenem Mund anstarrten, schob sie leise nach: »Okay, meine Cousine Iris aus Leicester ist sechzehn und auch nicht größer als Em. Aber wir haben doch schon einen Flyer.« Das übliche »Ich-hab-es-nicht-so-gemeint-wie-ich-es-gesagt-habe«-Geschwafel eben.
Warum man nicht gleich die Klappe hält, wenn man es eigentlich nicht so meint, was man gerade für alle deutlich hörbar sagt, geht mir ja nicht in den Kopf.
»Meinst du nicht, es ist jetzt mal Zeit für ein paar neue Schuhe?«, fragt Großmutter Amba schließlich, während sie lächelnd und kauend den Kopf in Zeitlupe hin- und herwiegt. »Ich meine, die gibt es doch immer noch in den Läden, deine geliebten Jacks.«
Ich lächele vor mich hin. Wenn Großmutter Amba Jacks – mit sehr langem Ä – statt Chucks sagt und mir dabei zuzwinkert, als wäre das unser geheimes Gang-Codewort, kitzelt mich das immer in der Magengegend.
Ich halte mich am Fernseher fest und bücke mich, um eine Sticknadel aus Ambas Nähkissen zu ziehen, das auf dem Boden liegt.
Die Tatsache, dass ich mich dabei festhalten muss, beweist es mal wieder: Ich bin akrobatisch ungefähr so begabt wie die Queen-Victoria-Statue im Kensington Garden. Und genau deswegen bin ich auch kein Flyer bei den London Lions Cheerleadern. Aber wenn, dann könnte ich während der ganzen Rumhopserei wenigstens sehen, was sich zwischen Shive und Pen bei dem Basketball-Turnier gerade wirklich abspielt. Also, außerhalb meines Kopfkinos.
Ob die beiden sich nur schwitzend den Ball zupassen oder ob ihre Herzen wie wild drauflosdribbeln, sobald ihre Blicke sich treffen.
Genau genommen könnte ich das mit ihren Herzen nicht sehen. Aber fühlen. Fühlen könnte ich es durchaus.
»Wo hast du nur wieder deine Gedanken, mein Herzchen? Nur beim Mond oder schon bei den Sternen? Setz dich doch aufs Sofa. Wenn dus nicht schaffst, kümmere ich mich gleich um deinen Knoten. Ich hole nur noch unseren Chai und die Papadams«, sagt Großmutter Amba und verschwindet runter in Richtung Küche. »Ich habe heute Morgen doch extra dein Lieblings-Chutney gekocht! Das mit grünem Koriander«, ruft sie mir noch zu. »Nähen macht doch hungrig!«
Ich setze mich an Ambas Nähmaschine gegenüber ihrem kleinen Fernseher, streiche über unseren halb fertigen Tagebuch-Quilt, der dort liegt, und beschließe, dass ich mich um meine Chucks auch noch später kümmern kann. Und dann denke ich, dass mich Nähen gar nicht hungrig macht. Dass Essen ausnahmsweise mal das Letzte ist, woran ich denke, während ich Zeit mit Shives Großmutter verbringe. Weil ich mich immer so wohlfühle beim Zusammenfügen dieser einsamen Stoffquadrate. Und satt von Ambas Fürsorge, die mich umhüllt wie eine warme Decke aus Pusteblumen-Flaum.
Seit wann Amba und ich an unserem Tagebuch-Quilt nähen und dabei Stoffe aus allen Phasen meines Lebens zusammenfügen, kann ich nicht genau sagen. Wahrscheinlich haben wir damit begonnen, als ich anfing, sehr viel Zeit bei den Lals zu verbringen. Also vor ungefähr siebeneinhalb Jahren.
Nachdem Mum and Dad über Nacht den Stoff zerschnitten haben, der meine Familie bis dahin zusammengehalten hatte. Ich nenne das immer »die Nacht der große Schere«.
Dabei hatte Mum sich eigentlich schon einige Zeit vor dieser Nacht von Dad getrennt. Bevor Dad mit einem einzigen Koffer mit regenbogenfarbenem Koffergurt und zwei großen Pappkartons von Tesco auszog.
Und ein paar Jahre später tauchte dann Amanda Buckley auf.
Ich nenne sie eigentlich nur Amanda.
Meine Mutter nicht. Meine Mutter hat erst vor ein paar Wochen einen neuen Lieblingsnamen für sie erfunden: die »IQ-minus-150-Tussi«. Davor hatte meine Mum schon alle möglichen Namen für sie: »sein Blondchen«, »sein Midlife-Crisis-Pflästerchen« oder »diese großbusige Frust-Kompensation«.
Ich habe Amanda und Dad in den sieben Jahren ihrer Beziehung nur ungefähr drei Mal getroffen. Aber ich muss sagen – sie ist weder noch: weder besonders blond noch großbusig.
Außerdem ist sie mir gegenüber immer total nett und aufmerksam und hat sich sogar schon nach unserem ersten Zusammentreffen in Harrods Tea Salon gemerkt, dass ich Earl Grey nur mit geschlagener Sahne und auf keinen Fall mit flüssiger trinke.
Das hat meine Mutter bis heute noch nicht geschafft.
Und außerdem hat Amanda Buckley einen Biochemie-Doktortitel aus Oxford. Nur damit das mit dem IQ auch gleich geklärt ist.
»Gibst du mir bitte mal eure alte Tischdecke, Kleines?«, fragt Amba, während die gesamte Bollywood-Hochzeitsgesellschaft im Mini-Fernseher spontan eine absolut perfekte Tanzeinlage hinlegt.
Ich starre wie hypnotisiert auf den Bildschirm und unterbreche meinen Nähflow an Ambas Turbo-Nähmaschine für einen Moment. Irgendwie macht mich diese fröhliche Szene im Fernsehen ein bisschen traurig.
Unsere Lila-Haus-WG ist sogar schon überfordert, wenn Pheebs uns nur einen einzigen Hip-Hop-Move ihrer Tanzgruppe beibringen will.
An einen gemeinsamen Tanz bei einer Hochzeit, zusammen mit Mum, Dad, Amanda, Josh, Pheebs, Nelle, Sanders und meiner Wenigkeit, ist gar nicht zu denken.
Ich reiche Amba unsere alte Blumen-Tischdecke, an der Mum, Dad und ich früher sonntags Muffins mit salziger Butter und Granny Smith’s selbst gemachter Spezial-Orangenmarmelade gefrühstückt haben.
Während sie unser altes Familien-Tischtuch über ihre Zuschneidematte drapiert und danach mit dem Cutter am Patchwork-Lineal entlangfährt, mustere ich die Filmbraut namens Aarany im Mini-Fernseher etwas genauer.
Sie sieht aus wie ein Super-Model und schmettert mittlerweile ein Gesang-Solo, als würde sie das beruflich machen.
Aarany ist genauso groß wie Ram (der Bräutigam dieser Folge), ihre Taille ist so schmal, dass sie wahrscheinlich einen von Ambas Armreifen als Gürtel tragen könnte, und ihre Haare sind so glatt, dass … ach, lassen wir das.
Fest steht: Meine Wenigkeit könnte bei keiner Bollywood-Hochzeit mittanzen. Weder in Ambas Mini-Fernseher noch im echten Leben.
»Warum so traurig, Kleines? Die große Liebe findet jeden irgendwann. Man muss nur die Augen offen halten«, flüstert Amba, schiebt sich einen neuen Streifen Wrigley’s Spearmint in den Mund und reicht mir ein perfekt zugeschnittenes 13-x-13-Zentimeter-Quadrat aus unserem alten Frühstücks-Tischtuch.
»Ach, Amba, wenn du wüsstest …«, rutscht es mir heraus. Das »Meine große Liebe kenne ich schon seit elf Jahren« kann ich mir gerade noch verkneifen.
Ich halte das neue Stoffquadrat neben das Quadrat aus dem Ems-erster-Schultag-Kleid und muss trotz aller Tragik lächeln. Diese beiden Stoffstücke könnten unterschiedlicher nicht sein: Das eine hat grün-braune handgestickte Blüten in der Größe von Gänseblümchen; das andere ist einfach nur blau-weiß gestreift. Ein perfektes Paar für unseren Tagebuch-Quilt, würde ich sagen!
Während die Nähmaschinen-Nadel wieder mit diesem beruhigenden Surren über die Stoffkanten rattert, wünsche ich mir, das Leben wäre genauso gradlinig und einfach wie meine Naht, die diese beiden einsamen Stofffetzen gerade zu einem werden lässt.
Aber so ist es nicht. Das Leben ist ein Kreuz-und-quer-Stich mit losen Faden-Enden auf Stoffen von unübersichtlichen Ausmaßen. Mit Webfehlern, verknotetem Garn und fiesen Lochmustern, wenn man am wenigsten damit rechnet. Mein Leben zumindest.
»Ihr beiden könnt es einfach nicht lassen, oder? Würde ich eure Ohren mit meinem Otoskop aus dem Krankenhaus ausleuchten, würde ich da sicher nichts als Bollywood-Schmalz finden!«
Als ich mich zur Tür von Ambas Nähzimmer drehe, entdecke ich Shives älteste Schwester Sunyata, die wieder einmal vollkommen perfekt aussieht. Und das, obwohl sie abgetragene Shorts, ihren löchrigen Hoodie und Shives alte Badeschlappen trägt. Alles in Schwarz-Weiß. Nur ihre Zehennägel sind grau lackiert. Mittlerweile hat Sunyata die Arme in die Hüften gestemmt, starrt mit offenem Mund auf den Bildschirm und hört nicht mehr auf, ihren Kopf zu schütteln.
»Wusste ich es doch, mein Schatz!«, ruft Großmutter Amba, eilt zu Sunyata und kneift ihr in die Wangen. »Du liebst sie noch immer, diese romantischen Filme. So wie früher als kleines Mädchen. Nicht genug konntest du davon bekommen. Und, glaube mir, mein Kind: Eines Tages wird dein Prinz kommen und dich fragen, und wir werden für sieben Tage ein Hochzeitsfest feiern, von dem die Lals noch lange …«
»Großmutter Amba, wann siehst du es endlich ein? Ich brauche keinen Prinzen, um glücklich zu sein! Außerdem arbeite ich seit über drei Jahren als Ärztin. Falls du dir Sorgen machst, ich würde unverheiratet nicht über die Runden kommen. Und überhaupt: Was ist eigentlich mit Bruce? Zählt der bei dir etwa nicht?«, sagt Sunyata, beugt sich zu Amba hinunter und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Ach, Bruce, pfff«, murmelt Amba und macht sich wieder daran, den Stofffetzen meiner Lieblings-Bettwäsche aus der Grundschulzeit zu bügeln. Die mit den winzigen E=mc2-Formeln und den neonpinken lachenden Wolken.
»Weißt du, Gran, das ist nicht fair. Bruce vergöttert dich. Dich und deine Geschichten, dein riesiges Herz und dein berühmtes Chicken Tikka Masala«, sagt Sunyata und wird dabei mit jedem Wort leiser.
»Aber wann wird er dich fragen, dein Bruce? Wann? Wenn du eine alte Frau bist wie ich?«, fragt Amba und drückt dabei so fest auf das Bügeleisen, dass ich mir ernsthaft Sorgen um meine Formeln samt Lachwolken mache.
»Gib uns ein bisschen Zeit, ja? Bruce und mir. Unserem Leben. Unserer Liebe. Außerdem, so leid es mir auch tut: Nicht jeder hat dieses rosarote Ziel, so schnell wie möglich zu heiraten, weißt du?«
Amba gibt nur einen Zischlaut von sich, der ihr Dampfbügeleisen übertönt, und winkt ab.
Die folgende Stille fühlt sich an wie ein raumgroßes Stück Tofu, das weder gewürzt oder mariniert noch angebraten wurde. Und das wir alle drei – warum auch immer – jetzt trotzdem aufessen müssen.
Bevor Sunyata schließlich unser Nähzimmer wieder verlässt, zwinkert sie mir zu und flüstert noch: »Lass dich ja nicht von Großmutter Amba auf ihre Seite ziehen, Em. Wir müssen doch zusammenhalten.«
Als fünf vernähte Stoffquadrate später die letzten Sitar-Töne des Film-Abspanns verklingen, zieht Amba ihren Kaugummi aus dem Mund, wickelt ihn sorgfältig in ein grünes Wrigley’s Spearmint-Papierchen, nimmt einen äußerst geräuschvollen Schluck ihres Chai mit Schlagsahne und fragt mich: »Weißt du, was ich manchmal denke, Kleines?«
Ich schüttele den Kopf und verriegele die Naht mit einem dritten Durchgang. Immer schön vor und zurück und wieder vor. So wie Großmutter Amba es mir beigebracht hat.
»Ich glaube, ich weiß, zu wem du besonders gut passen würdest. Vielleicht hat der Pfeil Kamas dich ja auch schon direkt ins Herz getroffen und …«
»… und was, Amba? Und wer ist Kama?«, frage ich. Vor Schreck hat sich bei Ambas Worten gerade mein Herz so dermaßen zusammengezogen, als wäre es wirklich von einem Pfeil durchbohrt worden. Egal von wem.
»Na, Kama, der indische Liebesgott. Den müsstest du aber mittlerweile kennen, Em. Der Legende nach verbrannte Shiva ihn mit seinem dritten Auge, weil die junge Parvati Kama gebeten hatte, einen Liebespfeil auf Shiva abzuschießen. Während er meditierte. Das kam bei Shiva natürlich nicht so gut an. Und seither ist Kama unsichtbar und kümmert sich darum, dass die Menschen sich verlieben. So wie du und …« Amba stockt und starrt wieder ganz fasziniert auf den Bildschirm.
»Amba, bitte. Wovon redest du?« Mein Herz rast und mein Hände schwitzen. Bisher war ich der Meinung, dass ich mein Gefühlsleben ganz gut für mich behalten konnte.
»Na ja, Liebes, ich denke eben, du würdest besonders gut zu … Oooh, da ist er ja, schau doch!« Die letzten Worte quiekt Amba so dermaßen hoch, dass es in meinen Ohren schmerzt. Dabei wedelt sie mit ihrem linken Zeigefinger wie wild vor dem Bildschirm ihres Mini-Fernsehers herum. »Das ist der Mann der Stunde!«
Ich stehe auf und beuge mich über die Nähmaschine, um besser erkennen zu können, was Großmutter Amba da so aus der Fassung bringt, dass sie eben fast ihren Chai über unseren heiligen Tagebuch-Quilt verschüttet hätte.
Ich muss schlucken. »Du meinst also, ich würde am besten zu einem circa fünfundsechzig Jahre alten Mann mit silbernem Jackett und Elvis-Frisur passen?«, frage ich und verstehe jetzt überhaupt nichts mehr.
»Ach, wo denkst du hin!? Kennst du ihn denn nicht?«, fragt Amba und schwingt dabei ihre Hüften so geschmeidig hin und her wie vorhin noch Aarany im Nah-Tanz mit Ram.
Ich mustere diesen Mann mit den sorgfältig zurückgegelten Haaren und dem Sternschnuppen-Jackett noch mal genauer. Ich habe keine Ahnung, was Amba mir sagen will.
»Das, mein Schatz, das ist mein alter Freund Jadoo Chan! Der berühmte Hochzeits-Astrologe! Und weißt du was?«
Während ich noch überlege, wie ich Jadoo Chan darum bitten könnte, auch mal einen Blick auf meine Sterne zu werfen, fügt Amba mit breitem Lächeln hinzu: »Bald schon werden wir von Jadoo Chan persönlich erfahren, wer von meinen Enkeln als Erstes heiraten wird. Habe ihm vor ein paar Monaten schon mal alle Geburtstagsdaten zugeschickt. Die meiner Enkel und ihrer Partnerinnen und Partner. Und derer, die es vielleicht noch werden. Dein Freund Shiva ist natürlich noch viel zu jung fürs Heiraten. Aber wenn der berühmte Jadoo Chan schon mal Zeit für uns hat, soll er auch gleich nachschauen, wann einer der Pfeile Kamas auch sein Herz trifft.«
VÖLLIG UNNÜTZES WISSEN:
Die meisten Paare trennen sich montags
»Das können die doch mit uns nicht machen! Und bis wann müssen wir diese lebenswichtige Entscheidung treffen?«, fragt Shive und starrt panisch auf den Zettel, den Mrs Malloney am Ende der letzten Physikstunde ausgeteilt hat.
»Steht doch drauf, Shivkens. Heute in zwei Wochen ist Abgabetermin«, antwortet Pen und lässt sich mit so dermaßen viel Schwung auf ihren abgewetzten Bürostuhl fallen, dass sie direkt bis zu unserem Grübel-Sofa am Ende des Raumes rollt.
Aber da wir uns – wie fast jede Mittagspause – im Redaktions-Kabuff unserer Schülerzeitung Universal News befinden, braucht es dafür auch nicht sonderlich viel. Schließlich ist diese ehemalige Abstellkammer an der Notting Hill Grammar School nicht viel größer als die Sneakers-Schuhschachtel eines Basketballspielers. Und viel heller ist es hier drin leider auch nicht.
Das war leider der einzige Raum, der kurz nach der Gründung unserer Schülerzeitung vor fünf Jahren noch frei war. Und anstatt eines anständigen Fensters gibt es hier eben nur einen Lüftungsschacht, durch den sich ab und zu mal ein Sonnenstrahl verirrt.
Den größeren Raum links daneben hatte damals schon unsere Schulband Rock Bottom belegt, in dem Raum rechts von uns ist seit einer Ewigkeit die Tanzgruppe Beat the Beats.
Und die scheinen es beide so richtig ernst zu meinen. Die Teilnehmer dieser AGs können jedenfalls überhaupt kein Privatleben mehr haben. Sonst wären sie ja nicht jede Mittagspause hier, um irgendein neues Stück für irgendeine Schulveranstaltung zu proben. Und das leider sehr lautstark und sehr gleichzeitig.
»Ich bin aber noch nicht so weit, mich auf eine endgültige Fächer-Kombination festzulegen. Mit dieser Entscheidung könnte ich meine komplette Zukunft ruinieren. Wissen die überhaupt, was die uns hier antun?!«, ruft Shive und wuschelt sich mit seiner Hand so wild durch die Haare, dass sie anschließend in alle Richtungen abstehen und er aussieht, als wäre er gerade erst aufgestanden.
Nicht dass ich diesen Moment, wenn Shive morgens aus dem Bett steigt, jemals persönlich miterlebt hätte.
Aber vorgestellt habe ich ihn mir dafür umso öfter.
Und wenn man so was nur oft genug tut, kommt einem diese Vorstellung irgendwann direkt vor wie eine echte Erinnerung.
»Was ist denn mit dir, Em?«, fragt Pen, holt einen Bleistift aus ihrem Haar-Dutt und kritzelt Notizen auf den College-Block auf ihrem Schoß.
»Nichts ist mit mir, wieso?«, antworte ich, wische nicht vorhandenen Dreck von meinem linken Chuck und hoffe, dass ich nicht angefangen habe zu sabbern, während ich gerade Shive angestarrt habe. »Shive hat da nur einen Pickel im Gesicht, deswegen habe ich …«
»Echt jetzt? Wo?«, fragt Shive und tastet seine Nase ab. »Das müssen wir feiern. Ich hatte noch nie einen Pickel!«