Sie sagt, er sagt - Yvonne Widler - E-Book

Sie sagt, er sagt E-Book

Yvonne Widler

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Beschreibung

Die Liebe. Ach! Zu kaum einem Thema wird mehr publiziert. Die Journalistin Yvonne Widler traut sich trotzdem. Warum? Weil sie neugierig ist. Weil sie scharf beobachtet. Weil sie wissen möchte: Was bedeuten Liebe und Beziehung heutzutage tatsächlich noch? Einerseits findet gerade die "Tinderisierung" des Datingverhaltens statt. Auf der anderen Seite leben wir in einer Gesellschaft, die die treue, langanhaltende Liebe auf ein romantisches Podest stellt. Wie verträgt sich das? Anhand von persönlichen Gesprächen, in denen Menschen jeglichen Alters intimen Einblick in ihre Paarbeziehungen geben, sowie ExpertInnen-Interviews (u.a. Caroline Erb, Elisabeth Oberzaucher, Dominik Borde), Studien und privaten Anekdoten, nähert sich Yvonne Widler den Antworten auf die brennenden Liebesfragen unserer Zeit. Vielleicht erkennen Sie sich in der einen oder anderen Geschichte wieder? Und übrigens: Dies ist kein Beziehungsratgeber.

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Yvonne Widler

SIE SAGT, ER SAGT

Gespräche über die Liebe

Inhalt

Vorwort

Die Liebe hat sich verändert – und scheint widersprüchlich

Niemand weiß, was Liebe ist

Verliebtheit ist keine Liebe

Von Stalkern und Katalogseiten

Hohe Erwartungen und Durst nach Anerkennung

Kommen wir zu den Geschichten

Expertenrunde 1

Beziehungscoach Dominik Borde über Liebe und Leidenschaft

Der Scheidungsanwalt Ernst Brunner spricht sich für die Ehe aus

Von Höhen und Tiefen

Vera, 45

Gabriela, 34, und Michael, 34

Helmut, 46, und Gerhard, 46

Christine, 38

Virginia, 27, und Dorothea, 26

Tobias, 39

Expertenrunde 2

Paartherapeutin Elisabeth Lindner sagt, die Liebe gehört beschützt

Gemeinsam alt werden

Anna, 36

Herbert, 95, und Maria, 94

Georg, 26

Johann, 91

Valentin, 36

Expertenrunde 3

Parship-Psychologin Caroline Erb über die Eigenheiten analoger und digitaler Liebe

Auf der Suche

Sabrina, 35

Hilde, 73

Laura, 34

Otto, 78

Expertenrunde 4

Evolutionsbiologin Elisabeth Oberzaucher erklärt, warum Biologie keine Ausrede ist

Nachwort

Dankeschön

Literatur

Vorwort

Die Liebe hat sich verändert – und scheint widersprüchlich

Peter steht hinter Maria und streicht ihr sanft durchs kurze Haar. Er drückt ihr einen Kuss auf den Hinterkopf und greift dabei mit beiden Händen an ihre Hüften, zieht sie an sich, umarmt sie ganz fest und flüstert ihr etwas ins Ohr. Sie kichert. Nachdem sie ihre Zärtlichkeiten ausgetauscht haben, holt Peter ein Tablet hervor und öffnet Skype. Drei kleine Köpfe streiten sich am anderen Ende der Leitung, wer denn nun vor dem Bildschirm sitzen darf. Quietschende Kinderstimmen schreien: „Hallo Opa, hallo Oma!“

Ich beobachte die beiden und ich weiß, sie werden am Anfang meines Buches stehen. Peter und Maria sind 77 Jahre alt. Sie sind aus Niederösterreich und urlauben gerade auf der portugiesischen Insel Madeira. Es ist April 2018. Völlig ungeplant hat es mich und meine Cousine dorthin verschlagen. Plötzlich sitze ich da, in diesem schönen prunkvollen Hotel. Um uns herum: ausschließlich Pärchen. Senioren-Pärchen. Eines davon sind Peter und Maria. Der April gehört ganz klar der Generation 65plus an den Stränden der Insel.

Über Menschen erfährt man am meisten, wenn man sie beobachtet. Also habe ich das Beobachten zu einer meiner Haupttätigkeiten während des Urlaubs gemacht. Mit einigen habe ich über ihr Liebesleben gesprochen. Und zwar mit jenen, bei denen ich mir sicher war, dass sie gerne mit mir reden würden. Einerseits bin ich dort auf Beziehungen getroffen, die bereits viele Jahrzehnte hinter sich hatten. Auf der anderen Seite habe ich frisch Verliebte kennengelernt und mit einigen Annahmen, die das Liebes- und Beziehungsleben älterer Menschen betreffen, ordentlich aufräumen müssen. Die Erfahrung war lehrreich und teilweise auch ernüchternd. Aber in allererster Linie war sie witzig und hat dazu geführt, dass ich weniger ungern ans Altwerden denke.

Jedenfalls waren Peter und Maria die Initialzündung für dieses Buch. Ich hätte gerne mehr Zeit gehabt, mit ihnen zu reden. Sie haben mich neugierig gemacht und weitere Fragen haben sich aufgetan. Warum sind manche Paare so lange und offenbar glücklich zusammen? Warum scheint das heute bei jüngeren Partnern so oft nicht mehr zu funktionieren? Ist das klassische Zweier-Modell überhaupt noch erwünscht? Abgesehen davon: Wie steht es eigentlich um die Monogamie und was braucht eine Partnerschaft heute, um erfüllend zu sein? Wie sehen das ganz junge Paare, verheiratete, geschiedene und auch solche Singles, die noch oder wieder „auf der Suche“ sind?

Ich will mit diesem Buch – ganz allgemein gesagt – erkunden, was eine gute Paarbeziehung in Zeiten wie diesen ausmacht. Nicht nur die Jungen lieben anders als die Älteren. Auch die Älteren lieben anders als sie das früher getan haben. Ich wollte herausfinden, ob das, was ich so oft lese, stimmt. Dass die Monogamie am Ende sei. Ich wollte wissen, ob es heute, in Zeiten der totalen Ablenkung, überhaupt noch möglich und gewollt ist, eine lange, treue Partnerschaft zu führen. Ich meine, jeder erklärt dir, es brauche dafür einen Haufen Beziehungsarbeit. Wozu? Ich wollte wissen, was wichtiger ist: Liebe oder Leidenschaft? Oder ob es eben möglich ist, beides über viele, viele Jahre beizubehalten. Und wenn ja, wie? Nicht zuletzt existieren alternative Beziehungsmodelle in unterschiedlichen Kulturen, Lebensphasen und Altersgruppen. „Sie sagt, er sagt“ wird die Monogamie nicht abfeiern, sondern sie genau beobachten. Dass die meisten der interviewten Menschen in einer Zweierbeziehung leben oder solch eine anstreben, ist keiner gezielten Auswahl geschuldet. Ich habe vor ungefähr einem Jahr einige Aufrufe auf unterschiedlichen Kanälen – online und offline – gestartet, um Personen zu finden, die ganz offen mit mir über ihr Privatleben und ihre Beziehungen sprechen wollen. Fast alle, die sich bei mir meldeten, haben in diesem Buch Platz gefunden. Die meisten waren mir bis zum Interview komplett Fremde. Und was ihre Partnerschaft betrifft, bevorzugen die meisten monogame Beziehungen. Ich denke, dies spiegelt die Realität unserer westlichen Gesellschaft im Verhältnis ziemlich gut wider.

Nun ist mir bewusst, dass es kaum ein Thema gibt, zu dem bereits mehr publiziert wurde als zur Liebe. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann mit klassischen Beziehungsratgebern recht wenig anfangen. Ich konnte von den Geschichten meiner Freunde, der Familie, Arbeitskollegen oder schlichtweg dem, was ich in der Realität beobachtet habe, immer schon mehr mitnehmen und profitieren.

Niemand weiß, was Liebe ist

Dass es die Art von Liebe, so wie wir sie heute als moderne Gesellschaft zelebrieren, noch gar nicht so lange gibt, wissen wir. Vielleicht macht sie aber genau dieser Umstand zu etwas derart Magischem und Unerklärbarem. Weil sie etwas ist, das wir selbst mehr oder weniger erschaffen haben, aufgrund unserer Entwicklung, unserer Art zu leben, zu denken. Nennen wir es ein frei gewähltes Ideal, das sich tatsächlich erst sehr spät in unserer Geschichte herausbildete.

Neben vielen anderen macht sich auch der populäre deutsche Philosoph Richard David Precht Gedanken darüber, warum Menschen sich binden. Es gibt eine seiner Lesungen online, ich habe sie auf YouTube gefunden: „Liebe in Zeiten der Krise“.

Darin erklärt Precht humorvoll, warum die romantische Liebe zwischen Mann und Frau aus biologischer Sicht nicht sinnvoll ist. Es bringe einem Mann nämlich nichts, einer Frau treu zu sein. Genauso verhalte es sich aber mit allen unseren kulturell entwickelten Bereicherungen, wie z.B. der Philosophie, der Musik oder der Malerei. „Unsere ganze Kultur ist bevölkert von Dingen, die unser Leben zwar lebenswert machen, aber biologisch keinen Zweck haben“, sagt Precht. Es handle sich schlichtweg um biologische Überflüssigkeiten. Sein Verdacht sei es, dass auch die Liebe eine solche ist. Ein Abfallprodukt der Evolution. Weil wir aber nun äußerst sensible, intelligente und emotional begabte Lebewesen seien, zelebrieren wir diese kulturellen, wunderschönen Dinge. Allerdings hätten sich über die Jahre massive Erwartungshaltungen an eine Beziehung herausgebildet. Von einem einzigen Partner wollten wir Sex, Aufregung und Geborgenheit. Das alles in einer Person. Und: ein Leben lang. Das sei unsere Vorstellung von romantischer Liebe. Und das sei ein großes Problem.

Precht sagt einen sehr klugen Satz: „Eine kapitalistische Gesellschaft geht an den Seelen ihrer Bewohner nicht vorbei.“ Wir hätten ein marktwirtschaftliches Verständnis auch für unsere Beziehungen etabliert. Wir investieren in eine Partnerschaft. Und wir wollen optimale Erträge. Precht merkt an, er wolle nicht falsch verstanden werden. „Ich halte die romantische Liebe für eine unglaublich schöne Sache. Sie wird allerdings mit unrealistischen Erwartungen überladen.“

Verliebtheit ist keine Liebe

Wenn es um das Thema Verliebtheit geht, dann ist der deutsche Hormonspezialist Professor Helmut Schatz ein besonders begehrter Interviewpartner. Im Internet kursieren etliche Artikel, in denen er Rede und Antwort steht. Er ist Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und kann ziemlich gut erklären, was mit uns passiert, wenn wir die berühmten „Schmetterlinge im Bauch“ haben. Ein Cocktail aus Hormonen rausche durch die Blutbahn und verneble uns regelrecht die Sinne. Dieser Zustand der anfänglichen Verliebtheit hält nach Einschätzung von Biochemikern maximal zwei Jahre an. Einerseits würden wir aufgrund der Vernebelung verblöden, andererseits hätte die Vernebelung aber auch etwas Schönes, denn die Verliebten sehen nur das, was sie sehen möchten. Dennoch sei es gut und wichtig, dass die Hormone sich nach einer Weile wieder im Normalmodus einpendeln. Denn an diesem Punkt entscheide sich, ob aus Verliebtheit tatsächlich Liebe werden kann.

In der Realität jedoch enden nicht wenige Beziehungen mit dem Nachlassen des ersten Hormonrausches. Precht nennt hier den Begriff der Phenylethylamin-Junkies, die alle zwei Jahre eine neue Partnerschaft eingehen.

Die renommierte US-Anthropologin Helen Fisher vermutet, dieser Hormonrausch sei ein Kalkül der Evolution und diene dazu, eine Bindung zu schaffen, die gerade so lange anhält, wie eine Mutter die Unterstützung des Partners mit dem Kleinkind benötige. Nachdem das Baby die ersten Jahre überstanden hat, biete sich die Möglichkeit, die Beziehung zu überprüfen. Funktioniere die Partnerschaft, bleibe das Paar zusammen. Dann erwachse aus der Verliebtheit eine ruhigere, reifere und erwachsenere Form der Liebe, die auf Dauer angelegt ist.

Von Stalkern und Katalogseiten

Beziehungsforscher versuchen seit Jahren das Regelwerk der Liebe und funktionierender Beziehungen zu entschlüsseln. Einer von ihnen ist der Psychologieprofessor John Gottman. Bekannt, weil er unter anderem ein „Ehelabor“ betreibt, in dem er bisher über 3000 Paare beobachtet, abgehört und folglich analysiert hat. Sein Labor findet man am Campus der Universität in Seattle. In einem nachgebauten kleinen Hotelzimmer mit angebrachten Mikrofonen und Kameras werden Paare „untersucht“. Beim Frühstücken, beim Diskutieren, beim Lachen, beim Zeitunglesen. Er studierte die Kritik, die sich die Paare gegenseitig kommunizierten, ihre kleinen und großen Machtdemonstrationen, die Mienen, die sie dabei zogen. Er müsse ein Paar nur fünf Minuten lang beobachten, dann könne er sagen, ob es sich scheiden lassen wird oder nicht, sagt Gottman über sich und seine Arbeit. Angeblich liegt er in 90 Prozent der Fälle richtig.

Im Netz finde ich einen Vortrag von Gottman: „Make Marriage Work“. Da steht dieser kahlköpfige, weißbärtige, sympathische Mann mit Brille, der unzählige Stunden damit verbracht hat, Männer und Frauen im Namen der Wissenschaft zu stalken. Zu Beginn seiner Rede ist es ihm besonders wichtig zu betonen, dass er kein Beziehungsguru ist, dass er aus seiner jahrelangen Forschung jedoch einige Schlüsse gezogen hätte. Unter anderem sei es wichtig, Zuneigung und Bewunderung für einander zu pflegen.

Gottman war es auch, der fünf Typen von Paaren charakterisierte: Drei stabile und zwei instabile. Um diese einordnen zu können, nutzte er die recht bekannte 5:1-Formel: Solange in einer Partnerschaft mindestens fünfmal häufiger liebevolle, konstruktive Verhaltensweisen vorkommen als negative oder feindselige Interaktionen, gilt diese als stabil. Denn dann herrsche zwischen den Partnern ein positives Grundgefühl der gegenseitigen Achtung und Wertschätzung. Überhaupt sei gegenseitiger Respekt im Beziehungsalltag von zentraler Bedeutung. Menschen aus Beziehungen, in denen ausreichend viele positive Kommunikationsmuster vorhanden sind, würden einen Streit häufiger als situationsbedingt werten und ihm weniger Bedeutung zumessen. Bei instabilen Paaren könne ein Streit hingehen öfter zu Grundsatzdiskussionen führen.

Hohe Erwartungen und Durst nach Anerkennung

Die oben bereits genannte US-Forscherin Helen Fisher gilt als eine der weltweit gefragtesten Wissenschaftlerinnen im Bereich Liebe und Sex. Ich bin auf ein Profil-Interview mit ihr gestoßen. Darin erklärt Fisher, dass Forschungsergebnisse nahelegen würden, dauerhafte romantische Liebe sei mit partnerschaftlicher Zufriedenheit assoziiert. Verbunden mit Engagement, sexuellem Interesse und weniger Aufmerksamkeit für etwaige alternative Partner, könne romantische Liebe die Paarbindung durch ständige Belohnung fördern und festigen.

Beschäftigt man sich mit der Liebe, so kommt man an der Soziologin Eva Illouz nicht vorbei. Ihre Arbeiten werden als Meilenstein der wissenschaftlichen „Soziologie der Liebe“ gesehen. Illouz sieht die Welt des Gegenwartsmenschen derart von ökonomischen Zwängen bestimmt, dass selbst romantische Gefühle Warencharakter angenommen haben. Die Forscherin wollte im Jahr 2003 in „Konsum der Romantik“ herausfinden, was aus jener Liebe geworden ist, die mit Nützlichkeit und Berechnung nichts mehr zu tun haben wollte, sondern nur mit dem romantischen Gefühl. So begutachtet sie diese selbstgewählte Freiheit der Liebe und nennt sie nur eine vermeintliche. Weil wir doch meist jemanden wählten, der uns ähnlich sei, etwa in Bezug auf den soziokulturellen Hintergrund. Und vor allem die Frauen wollten aufholen und hätten hohe Erwartungen an die Männer: Einkommen, Bildung, Originalität, Zuverlässigkeit.

„Das Internet arrangiert die Auswahl wie auf einem Buffet und lädt zu Formen von Wahl ein, die aus der ökonomischen Sphäre abgeleitet sind“, schreibt Illouz etwa über die neuen Formen der Partnersuche. Während ich als Single meine Blicke kritisch über die Auslagen streifen lasse, läge ich gleichzeitig selbst auf dem Präsentierteller – als Ware, die nach Interessenten sucht und sich dem systematischen Vergleich der Angebote stellen muss. Attraktiv und begehrt zu sein, werde damit zum Fundament eines stabilen Selbstbewusstseins. Nie zuvor in der Geschichte hätten Menschen so stark die Anerkennung der anderen gebraucht, um sich wertvoll zu fühlen.

Vieles von dem Glück, das moderne Formen der Liebe heute bieten, sei früher nicht denkbar gewesen, betont Illouz dennoch. Wenn sie eher über das Leid und das Scheitern der Liebe geschrieben habe, dann „weil das Glück sehr gut auch ohne die Bemühungen der Wissenschaft auskommt, was sich vom Unglück vielleicht nicht unbedingt sagen lässt“.

Kommen wir zu den Geschichten

In den letzten Monaten habe ich mich durch unzählige Bücher und Materialien gewühlt, die sich mit dem Thema Partnerschaft beschäftigen. Ich habe alles, was ich aktuell an Studien – national und international – finden konnte, verglichen. Ich habe unzählige Artikel gelesen. Ein paar der interessantesten Fundstücke habe ich Ihnen gerade präsentiert.

Keine Angst, in der Folge werden Sie nicht mit Studien erschlagen oder seitenlang mit einem historischen Abriss der Entwicklungsformen der Liebe genötigt. Diese Dinge stehen woanders geschrieben. In diesem Buch erwarten Sie 20 Gespräche mit Menschen, die man sehr wohl als ExpertInnen bezeichnen könnte, obwohl ich diese Zuschreibung überhaupt nicht leiden kann. Ich habe nach Menschen gesucht, die sich in unterschiedlichen Lebensphasen und Beziehungskonstellationen befinden. Und ich habe sie einfach reden lassen. Ich habe es ihnen selbst überlassen, ob sie das Gespräch alleine oder zu zweit machen wollen. Oder auch zu dritt. Jeder Mensch, der bereits Beziehungen geführt hat oder dies aktuell tut, ist doch auf eine gewisse Art ein Experte für die Liebe, auch wenn wir uns nie so bezeichnen würden. Um aber dem Begriff, den ich nicht leiden kann, komplett gerecht zu werden, finden sich in diesem Buch auch Interviews mit Menschen, die sich beruflich tagtäglich mit Liebesbeziehungen auseinandersetzen: mit einer Paartherapeutin, einem Beziehungscoach, einer Parship-Psychologin, einem Scheidungsanwalt und einer Evolutionsbiologin. Sie geben Einblick in ihren Berufsalltag und teilen ihre Schlussfolgerungen und Erfahrungen mit mir – auch in ihr Privatleben darf ich blicken.

Was ich vorab schon verraten kann: Ein heute 30-jähriger Mensch hatte im Durchschnitt bereits mehr Beziehungen als eine Person, die doppelt so alt ist. Unsere Anforderungen an eine Beziehung sind gestiegen und damit auch die Bereitschaft, sie zu beenden, wenn es nicht gut läuft. Trotz aller Schnelligkeit um uns herum – die traditionelle Beziehungsvorstellung ist immer noch gegenwärtig. Dass es heutzutage schwieriger ist, eine langjährige Paarbeziehung aufrecht zu erhalten als früher, leugnet keiner. Serielle Monogamie ist etwas, das wir mittlerweile als normal bezeichnen. Scheidungen sind genauso üblich geworden wie das Registrieren auf Dating-Plattformen, wobei es bei diesen Websites und Apps gravierende Unterschiede gibt. Zu große Ähnlichkeiten in Partnerschaften können sich negativ auswirken, Gegensätze übrigens auch. Der Wikinger-Mann dürfte einer sein, der vielen Frauen gefällt (sagt zumindest ein Mann), und im Alter von über 70 Jahren können wir noch den besten Sex unseres Lebens haben. Während Sie diesen Satz lesen, verwechseln übrigens gerade tausende Menschen weltweit Aufregung mit Verliebtheit. Das rührt daher, dass wir Situationen, die wir rein körperlich aufregend finden, gerne auf Menschen in der Umgebung dieser Situationen übertragen. Und dass Männer nicht ein Leben lang treu sein können, weil sie aus biologischer Sicht doch ständig damit beschäftigt sein müssten, ihren Samen wild zu verstreuen, ist im Übrigen genauso ein Blödsinn wie zu sagen, eine Hausfrau und Mutter könne nicht emanzipiert sein.

Die Sache mit der modernen und traditionellen Rollenverteilung dürfte manche der heutigen Beziehungen übrigens ordentlich herausfordern. So erzählt mir der Beziehungscoach Dominik Borde beispielsweise, dass viele der Männer, die bei ihm auf der Couch sitzen, sich immer unsicherer in ihrer männlichen Rolle fühlen. Dazu bin ich auch bei Eva Illouz fündig geworden: Die Liebe von heute wirke für die Männer wie ein Durcheinander widersprüchlicher Praktiken. Es gebe bei den Geschlechterrollen eine große Verwirrung. Wir hätten zwei verschiedene Liebesmodelle: das alte Modell, bei dem Männer und Frauen genau wissen, was sie tun müssen. Auf der anderen Seite hätten wir das Modell der Gleichstellung, wonach die Frau ebenbürtig und autonom ist. Genauso wie der Mann wäre sie verantwortlich für sich selbst und die Beziehung. Laut Illouz kämen die Modelle einander in die Quere.

Worin sich alle einig sind: Gewisse Unterschiede sollten in ihrer Identität in der Beziehung beibehalten werden. „Das funktioniert allerdings auf hundert Wegen. Die Geschlechtsidentität ist nur einer davon“, sagt die Evolutionsbiologin Elisabeth Oberzaucher, die regelmäßig mit den Science Busters auf der Bühne steht, zu mir. Die Paartherapeutin Elisabeth Lindner erzählt mir etwa, dass ein Heiratsantrag für die emanzipierte Frau noch weit mehr Bedeutung hat, als viele vermuten würden. Was Sie ebenso lesen werden: Warum ein Scheidungsanwalt, der jeden Tag mit Trennungen konfrontiert ist, seinen Kindern dennoch raten würde, zu heiraten. Und was Online-Paare angeht: „Bei denen wird sowieso viel schneller Nägel mit Köpfen gemacht“, sagt Parship-Psychologin Caroline Erb zu mir.

Wir sehen also, die Liebe und Beziehungen sind nichts, wofür wir eine Formel haben. Hatten wir nie und werden wir hoffentlich nie.

Die Menschen, die in diesem Buch ihre Liebesgeschichten erzählen, haben sich geöffnet, sich ihren Ängsten gestellt und manche von ihnen haben vielleicht sogar das erste Mal auf diese Weise ihre Beziehung reflektiert. Es erwartet Sie keine Geschlechterpolemik, sondern Geschichten von Männern und Frauen, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Und in der einen oder anderen werden Sie sich vielleicht selbst erkennen.

Expertenrunde 1

Beziehungscoach Dominik Borde über Liebe und Leidenschaft

„90 Prozent der Beziehungen,die ich kenne, sind scheiße.“

Er sagt über sich selbst, er hat in der Vergangenheit wahrscheinlich mehr Mist gebaut als die meisten seiner Klienten. Dominik Borde ist, wenn man so möchte, der Star unter den heimischen Beziehungscoaches und macht kein Geheimnis daraus, dass auch er seine Zeit brauchte, um „die Liebe“ und Paarbeziehungen zu verstehen.

Date-Doc, Love-Coach, Beziehungsberater, Flirtexperte – die Medien haben ihm schon viele Namen gegeben. Borde schreibt Artikel, hält Seminare ab. Im Internet finde ich unzählige Beiträge von ihm. Er selbst postet regelmäßig Video-Tutorials, in denen er wenig um den heißen Brei herumredet, sondern ganz klare Anweisungen gibt. Sie nennen sich etwa „Was Frauen im Bett wirklich wollen und leider wenige Männer wissen“ oder „Top 27 Tipps, damit deine Beziehung garantiert scheitert“ oder „14 Top Tipps für Singles“. Und witzigerweise auch: „Warum wir die besten Tipps oft nicht annehmen können“.

In jedem seiner Video-Beiträge sitzt Borde in demselben Raum, in dem wir jetzt gerade sitzen. Einmal schmückt ihn eine lederne Halskette, ein anderes Mal trägt er moderne Hosenträger. Die Kamera ist immer mittig auf ihn gerichtet. Höchst motiviert, energisch und stets ohne einen Versprecher teilt er seine Weisheiten, die auf der Erfahrung tausender Beratungen beruhen, mit der Community. Aktuell berät er auch bekannte Persönlichkeiten aus der Wirtschaft sowie Prominente aus anderen Bereichen. Manchmal fliegen sie sogar extra aus dem Ausland ein, um sich von Borde helfen zu lassen.

Heute trägt er blaue Jeans, New Balance Sneakers, das Haar ist leicht aufgestellt und ich denke, ich erkenne etwas Gel darin. Borde sagt gerne ganz laut: „YES“ oder „ABSOLUT“. Wenn ihm die Antwort auf meine Frage besonders wichtig ist, zeigt er noch zusätzlich mit dem Finger in meine Richtung.

Er empfängt mich in einem wunderschönen Haus am westlichen Ende von Wien. Ich bin etwas zu früh. Dominik bietet mir sofort das Du-Wort an und weist auf die Couch. Die Couch. Unzählige Beratungen haben hier schon stattgefunden. Hier wurde gestritten, geweint, diskutiert, gehofft. Nun sitze ich da und beobachte Dominik, wie er noch schnell einige Dinge erledigt, bevor wir das Interview beginnen. Allem voran aber braucht er dringend eine Tasse Kaffee, wie er sagt. Dominik hat eine sehr laute, tiefe und eindringliche Stimme, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzt. Er setzt sich schließlich mit einem weißen A4-Zettel in der Hand in den Sessel gegenüber, schlägt die Beine übereinander und sagt: „Guat! Ich hab mir vorab schon Notizen gemacht.“ Dann beginnt Dominik zu reden und beantwortet die Hälfte meiner Fragen im ersten 15-minütigen Monolog. Guat, denke auch ich mir.

Noch nie zuvor seien die Themen Selbstoptimierung und Perfektion so zentral in unserem Leben verankert gewesen wie heute. „Wir leben in einer sehr Ich-zentrierten Gesellschaft. Der ständige Vergleichswettbewerbsporno in den Sozialen Medien sorgt dafür, dass jeder diesen Perfektionsdrang verspürt. Das gilt auch für unsere Beziehungen“, sagt Dominik.

Wir wollten die perfekte Liebe, mit dem perfekten Partner, seien immer auf der Suche nach dem oder der Richtigen – ohne uns aber die Frage zu stellen: Bin ich selbst überhaupt der oder die Richtige? Außerdem seien wir weit weniger an dem Weg zur perfekten Beziehung als am Endergebnis interessiert.

„Unsere Beziehungen sollen superglücklich, leidenschaftlich, unterstützend und langlebig sein. Diesem Anspruch gerecht zu werden ist sehr schwer, und daran scheitern auch die meisten. Unsere Vorlagen sind Hollywood und die Popkultur. Auf der Suche nach diesem einen besonderen Menschen sind wir daher nicht wahnsinnig kompromissbereit“, erzählt der Beziehungscoach. Während es früher ein No-Go gewesen sei, sich zu trennen, sei es heute ein No-Go, unglücklich in einer Beziehung zu bleiben.

Glaubt man Dominik, so geht es nicht darum, den richtigen Menschen zu finden. Es gehe zunächst einmal darum, der richtige Mensch zu sein. Zu wissen, wer ich bin. Damit sei ich fähig, auf die Bedürfnisse des anderen zu achten. „Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen esoterisch, aber jeder Mensch in deinem Leben ist ein Lehrmeister, von dem du etwas lernen kannst. Solange du sagst ‚Der andere muss für mich passen‘, solange bist du nicht wirklich beziehungsfähig. Das ist nicht die Art, wie Liebe funktioniert. Liebe ist ein Kontingent, das dazukommt.“ Das beginne bereits bei der Herkunftsfamilie, in der mit vielen Themen nicht gesund abgeschlossen werde. Übrig blieben meist mangelnder Selbstwert und unrealistische eigene Perfektionsansprüche. „Und dann will ich, dass irgendein Partner mich bestätigt. Das wird nicht funktionieren.“

Die meisten Menschen gingen nicht in eine Beziehung, um etwas zu geben, sondern weil sie etwas brauchen. Zustimmung, Aufmerksamkeit, Sex, Unterstützung. „Das ist wie bei zwei hungrigen Bettlern, die sich gegenseitig in den Sack greifen und beide gehen leer aus.“ Dominik macht eine kurze Pause, bevor er sagt: „Schau, du sollst dir ein schönes Leben machen. Und wenn es soweit ist, etwas Schönes mitbringen in die Partnerschaft. Sie also bereichern, wie es gerne heißt. Denn Menschen gehen dorthin, wo gute Energie ist. Diese bereichernden Menschen lassen wir herein.“

Während Dominik spricht, überlege ich, was ich davon halte. Natürlich stimmt es, es ist schließlich kein Geheimnis, dass reife, reflektierte Menschen, die sich viel mit sich selbst auseinandersetzen, besser darin sind, eine ausgeglichene Beziehung zu führen. Im Schnelldurchlauf scanne ich im Kopf alle Bekannten, Freunde und Artikel zum Thema durch und entgegne ihm: „Demnach müssten wir nun sagen, dass 70 Prozent aller Beziehungen wohl aus den falschen Gründen bestehen?“

„Ich würde sagen, 90 Prozent aller Beziehungen, die ich kenne, sind scheiße.“

Okay. Diese Ansage war unerwartet und massiv frustrierend, denke ich mir. „Was machen die restlichen zehn Prozent dann besser und richtiger als die anderen?“

„Ein Erfolgskonzept von langfristig glücklichen Paaren ist nicht Ich-zentriert zu sein. Solche Paare sagen: Nichts macht mich glücklicher, als ihn oder sie glücklich zu machen. Ich meine, Liebe ist ein Ort, an den du gehst, um etwas zu geben. Im Idealfall eben etwas, das der andere will, nicht das, was du brauchst. Wir sprechen dabei aber keineswegs von Selbstaufgabe oder Aufopferung. Das wäre auch völlig falsch, denn das möchte niemand von dir.“

Paare, die lange glücklich sind, leben – nach Dominiks Einschätzung – also dieses gegenseitige Geben. Wenn in einer Beziehung dessen Umsatz stetig größer wird, dann sei das ein Erfolgskonzept für eine lange, qualitätsvolle Partnerschaft.

Das sei der große Unterschied zu scheiternden oder unglücklichen Beziehungen.

Früher war es so, dass die traditionelle Ehe an ökonomische Faktoren gebunden war, an soziale Vorteile. Heute aber sei der Status einer alleinerziehenden Mutter vielleicht ein forderndes Schicksal, aber definitiv machbar. Ein Partner sei nicht mehr nötig, um durchzukommen. „Ein 40-jähriger Single, egal ob Mann oder Frau, kann heute sogar cool sein“, sagt Dominik.

Er wiederholt, was ich in zahlreichen Studien bereits gelesen habe. „Es gibt mehr Singlehaushalte als jemals zuvor.“ Single zu sein, sei aber dennoch nicht der von Menschen bevorzugte Status. „Wir sehnen uns nach Beziehungen.“ Aber klar sei natürlich: Alleine mit mir und meiner eigenen Meinung auszukommen, ist weit einfacher als sich mit einem Partner zu konfrontieren. Denn da sei diese eine Sache, die wir ständig vergessen würden: „Mann und Frau sind völlig unterschiedlich. Das wissen die wenigsten. Wir leben nun aber in einer Zeit, in der alles gleichgemacht wird. Das ist völliger Schwachsinn.“

Bei Frauen ginge es sehr viel um Emotion, bei Männern letztlich in jeder Konversation darum, das Problem herauszufinden und den Lösungsweg einzuschlagen. „Männer blenden Emotionen eher aus, um dem Ziel näherzukommen. Frauen gehen eher in die Fülle, was Gefühle betrifft. Das war allerdings immer schon so.“ Was sich im Vergleich zu früheren Zeiten geändert habe, seien die Ansprüche und Erwartungshaltungen an eine Beziehung.

„Wenn du zu glücklich bist, vergleiche die Situation, die du hast, mit der, die du gerne hättest, und schon bist du im Unglück“, sagt Dominik plötzlich und setzt sein „Tipp-Gesicht“ auf. Das Problem sei, dass wir in einer Kultur leben, in der es permanent darum geht, mehr von allem zu haben. Mehr Geld, mehr Zeit, mehr Auswahl, bessere Partner. Und wenn wir uns nun ständig auf dieses „Mehr“ konzentrieren, mache uns das nicht zufriedener. „Auch die scheinbare Auswahl an unendlich vielen Partnern macht tatsächlich nicht glücklicher. Ganz im Gegenteil.“

Paare, die stetig auf der Optimierungssuche sind, hätten es unendlich schwer mit dem „Glücklichsein“. In derselben Sekunde betont Dominik, dass dies aber keineswegs heiße, dass wir uns mit allem zufriedengeben müssen. Optimierung sei eine gute Sache, aber noch wichtiger sei der Fokus in der Beziehung. Dominik wiederholt laut und bestimmt die Worte, die er eingangs schon verwendet hat: „Was kann ich tun, um dich glücklich zu machen?“

Sein Blick durchdringt mich an dieser Stelle und ich bin mir kurz nicht sicher, ob er jetzt eine Antwort von mir hören will. Ich bleibe aber zum Glück still. Hätte peinlich werden können.

Beziehungen in früheren Zeiten hätten sich dadurch definiert, dass sie gut organisiert wurden, so Dominik. Tendenziell galt der Lebensrhythmus des Mannes als tonangebend. Vor allem der Alltag war wichtig. Die Mahlzeiten, die Kinder, das Einkommen. „Das reicht heutzutage nicht mehr“, erklärt Dominik weiter. „Heute ist eine Paarbeziehung mehr denn je auf Liebe und Leidenschaft angewiesen. Dafür braucht es aber andere Skills als jene, die wir anwenden.“

Nicht nur, dass wir meistens mit uns selbst nicht im Reinen seien, wir hätten auch schlichtweg keine Ahnung, wie Beziehungen heute nach zeitgemäßen Maßstäben geführt gehören. Wer sollte es uns auch beigebracht haben? Die meisten Eltern führten schließlich nicht gerade Paradebeziehungen. „Deshalb leben die Menschen in einem Wechsel von glücklichen Zufällen und permanentem Ausweichen.“

Die romantische Wunschvorstellung sei aber definitiv immer noch da. Wir träumten auch heute noch von Treue, einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung auf Augenhöhe mit einem Partner, der wirklich auf uns steht und das am besten ein Leben lang. Das wünschten sich alle.

Nun seien wir aber sehr stark desillusioniert und flüchten uns daher „in so Halbgeschichten“, wie Dominik die atypischen Beziehungsmodelle „Mingle“ oder „Friends with Benefits“ nennt. Es werde derzeit oft thematisiert, ob wir vielleicht einfach offene Beziehungen oder gar Polyamorie brauchen, um glücklicher zu sein.

Falls Sie diese Begriffe das erste Mal lesen, hier eine kurze Erklärung: „Mingle“ ist eine Mischung aus den Begriffen „mixed“ und „Single“ und bedeutet, offiziell alleinstehend zu sein, aber gleichzeitig für eine gewisse Zeit einen beziehungsähnlichen Zustand mit einer Person zu führen. Synonym wird oft auch „Friends with Benefits“ verwendet. Also entsagt man sich einigen Verpflichtungen, die eine Beziehung mit sich bringt. Bei einer offenen Beziehung haben die Beteiligten im gegenseitigen Übereinkommen die Freiheit, auch andere (Sexual-)Partner zu haben. Polyamorie hingegen ist ein Überbegriff für die partnerschaftliche Liebe zu mehreren Menschen gleichzeitig.

Die Wahrheit, wie Dominik sagt, ist für ihn ganz einfach. „Von allen nicht funktionierenden Beziehungsmodellen ist die Monogamie immer noch die beste.“

Offene und monogame Beziehungen würden gleich oft scheitern. „Aber die simple Frage ist, zu welcher Gruppe möchte ich gehören?“, sagt Dominik. Jeder und jede müsse für sich selbst wissen, wie er oder sie leben möchte. Und besonders wichtig sei das Bewusstsein dafür, dass Beziehungen – wie alles andere im Leben – Wachstum brauchen. „Beziehungen werden entweder besser oder beendet. Es gibt nichts dazwischen. Eine Beziehung, die nicht wächst, stirbt. Punkt.“

Und dazu sei es notwendig, auch in der Sexualität Grenzen auszuweiten. „Die meisten Menschen finden sich aber auf einem gemeinsamen Nenner zusammen. Sie machen das, was sie können und kennen. Immer und immer wieder. Und das wird fad.“ Wir müssten unsere Komfortzonen verlassen. „Das heißt aber auf keinen Fall, dass wir betrügen sollen. Das heißt, wir müssen offener sein für neue Ideen.“ Dominik spricht davon, das „Anderssein“ des Partners zuzulassen und dessen Wünsche mit in die Beziehung zu nehmen. Dann könne eine monogame Beziehung zu einer monogamischen werden. „An diesem Punkt ist viel mehr Abenteuer und Ehrlichkeit möglich.“

Ich notiere mir das zuletzt Gesagte und recherchiere etwas nach: Populär wurde der Begriff „monogamisch“ durch den US-Journalisten und Autor Dan Savage. Bekannt wurde er vor allem durch seine Sexualratgeberkolumne „Savage Love“, welche regelmäßig in unterschiedlichen US-Zeitungen erscheint. Weitergeführt wurde der Begriff von der US-Sexologin Jessica O‘Reilly. Kurz gesagt meint monogamisch, dass man sich freilich treu ist, aber dennoch gewissen Fantasien Raum lässt. In Gedanken beispielsweise. Aber immer gemeinsam. Und dass man über sein Begehren spricht und ganz offen damit umgeht.

„Um heute eine glückliche Beziehung zu führen, musst du sie anders führen als die meisten. WEIL es eben auf Liebe und Leidenschaft ankommt.“ Mir brennt die folgende Frage auf der Zunge: „Was ist denn wichtiger in einer Beziehung, Liebe oder Leidenschaft?“

Sofort schießt es aus Dominik heraus: „Leidenschaft!“

Denn Leidenschaft und Sex, das seien die Gegenspieler des Todes. Dort bahne sich das Leben seinen Weg. Oder wie Dominik es prägnanter beschreibt: „Geil gewinnt.“

Ich blicke ihn etwas skeptisch an, weil ich mit dieser Antwort in dieser Ausschließlichkeit nicht gerechnet habe. Dominik merkt das und fährt erklärend fort: „Wie viele Paare gibt es, die sagen, wir lieben uns zwar, aber die Luft ist draußen. Und dann macht es Bum-Bum mit jemand anderem. Und wie viele Paare gibt es, die sagen, wir stehen total aufeinander. Wir haben es geil miteinander. Aber wir lieben uns nicht mehr und die Luft ist draußen. Das passiert nie. NIE.“

Paare scheitern nach Dominiks Erfahrung also immer an fehlender Leidenschaft. „Das hält Mann und Frau doch zusammen. Es braucht diese Polarität zwischen Mann und Frau. Das, was ich an dir anziehend finde, ist alles das, was an mir anders ist als an dir.“ Er zeigt während dieser Worte mit dem Finger auf mich, aber ich weiß mittlerweile, dass er nicht mich meint.

Das sei im Übrigen auch der Grund, warum Paare, die getrennt leben, mehr Sex haben. „Wenn ich mit jemandem permanent Zeit verbringe, werde ich ihm ähnlicher und es kann dadurch keine massive Anziehung mehr geben.“ Männer sollten also unbedingt Zeit mit anderen Männern verbringen. Frauen mit anderen Frauen. „Das heißt, Eigenständigkeit ist eine gute Sache.“

Mir liegt natürlich wieder eine Frage brennend auf der Zunge. „Also sollte man in einer Beziehung, damit sie lustvoll bleibt, besser nicht zusammenwohnen?“