Sieben Generationen - Peter Krause - E-Book

Sieben Generationen E-Book

Peter Krause

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Beschreibung

Unsere Kinder und Enkel immer mitbedenken! »Wir Mi'kmaq sehen Sieben Generationen voraus. Wir können doch nicht das Wasser der Kinder unserer Kinder vergiften! Es geht uns in unserem Leben und Handeln nicht zuerst ums Geld, sondern um die Welt. Wir wollen sicherstellen, dass der Platz zum Leben auch in Zukunft erhalten bleibt.« Diese Bemerkung ließ den Autor nicht mehr los, und er nahm die Spur auf, verfolgte sie von den Naturvölkern zu den Naturphilosophen bis zu den heutigen Vordenkern einer Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität. Auch wir Heutigen können uns mit dieser sinnstiftenden Weisheit verbinden, die unsere Aufmerksamkeit auf das Wesentliche lenkt, denn die Sieben-Generationen-Kontemplation ist in erster Linie dazu geeignet, das Gemeinsame vor dem Eigenen sehen zu lernen. Sie ist ein kulturelles Erbe von unschätzbarem Wert, weil mit ihr ein Schlüssel zu einer spirituellen Entwicklung überliefert ist, die jeder Mensch zur Heilung der Erde und seiner selbst gestalten kann. In seinem Streifzug durch die Zivilisations- und Ideengeschichte der Menschheit, eröffnet uns Peter Krause auf jeder Seite neue Facetten und Ausblicke, die uns für eine erweiterte Weltwahrnehmung bereit machen. Erst wenn wir unser eng rationalistisches Weltbild transzendieren, werden wir uns den gewaltigen Gegenwartsproblemen stellen können.Unsere Kinder und Enkel immer mitbedenken! »Wir Mi'kmaq sehen Sieben Generationen voraus. Wir können doch nicht das Wasser der Kinder unserer Kinder vergiften! Es geht uns in unserem Leben und Handeln nicht zuerst ums Geld, sondern um die Welt. Wir wollen sicherstellen, dass der Platz zum Leben auch in Zukunft erhalten bleibt.« Diese Bemerkung ließ den Autor nicht mehr los, und er nahm die Spur auf, verfolgte sie von den Naturvölkern zu den Naturphilosophen bis zu den heutigen Vordenkern einer Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität. Auch wir Heutigen können uns mit dieser sinnstiftenden Weisheit verbinden, die unsere Aufmerksamkeit auf das Wesentliche lenkt, denn die Sieben-Generationen-Kontemplation ist in erster Linie dazu geeignet, das Gemeinsame vor dem Eigenen sehen zu lernen. Sie ist ein kulturelles Erbe von unschätzbarem Wert, weil mit ihr ein Schlüssel zu einer spirituellen Entwicklung überliefert ist, die jeder Mensch zur Heilung der Erde und seiner selbst gestalten kann. In seinem Streifzug durch die Zivilisations- und Ideengeschichte der Menschheit, eröffnet uns Peter Krause auf jeder Seite neue Facetten und Ausblicke, die uns für eine erweiterte Weltwahrnehmung bereit machen. Erst wenn wir unser eng rationalistisches Weltbild transzendieren, werden wir uns den gewaltigen Gegenwartsproblemen stellen können.

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PETER KRAUSE

SIEBENGENERATIONEN

EINE ALTE INDIGENEWEISHEIT FÜRDIE WELT VONHEUTE UND MORGEN

Bücher haben feste Preise.

1. Auflage 2022

Peter Krause

Sieben Generationen

© Neue Erde GmbH 2022

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag:

Gestaltung: Dragon Design, GB(Gewebetextur von Charcompix/shutterstock.com)

Satz und Gestaltung:

Dragon Design, GB

eISBN 978-3-89060-382-7

ISBN 978-3-89060-817-4

Neue Erde GmbH

Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken

Deutschland · Planet Erde

www.neue-erde.de

Wenn die gesunde Natur des Menschen als einGanzes wirkt, wenn er sich in der Welt

als in einem großen, schönen, würdigen undwerten Ganzen fühlt, wenn das harmonischeBehagen ihm ein reines, freies Entzückengewährt – dann würde das Weltall,

wenn es sich selbst empfinden könnte, als an seinZiel gelangt aufjauchzen

und den Gipfel des eigenen Werdens undWesens bewundern.

Johann Wolfgang von Goethe

Inhalt

Einleitung

TEIL I: VORZEICHEN

Die Generationen-Topographie

Gemeinschaft und Gemeinsamkeit | Zugehörigkeit | Das Sieben-Generationen-Gewahrsein

Das Netz des Lebens

Das Ganze wirkt im Teil | Das Zeitalter des Menschen | Erfahrungen der Fülle

Mit allem verbunden

Die Wende | Evolution | Holistisches Wahrnehmen der Welt

TEIL II: BEDINGUNGEN

Sieben Generationen

Was sind »Generationen«? | Individualität des Menschen und Wesen einer Gemeinschaft | Mythos und mythische Geschichte

Die Erde, das Leben und der Mensch

Lebendige Erde | Selbstbestimmtes Leben

Besondere Möglichkeiten erkennen

Das Menschenbild der Schöpfungsmythen | Die weltweit erste demokratische Verfassung

Werden und wirken

Zeit und Zeitlosigkeit | Zeiterleben und Kultur | Gesundheit und Krankheit | Die Zahl Sieben

TEIL III: PRAKTISCHE ASPEKTE

Erweitertes Bewusstsein

Das Ätherische | Die Lebenskraft | Mentale Räume und kollektives Bewusstsein | Die Welt im Wandel

Ökologische Dimension

Denkbare Entwicklung | Die Beziehung zu Kultur und Natur | Komplemente

Ökonomische Dimension

Werte | Wirtschaft und Bewusstsein | Suffizienz

Soziale Dimension

Gemeinsames Leben | Idee und Ideal | Das gewollte Wir

Philosophische Aspekte

Die Natur, der Mensch und die Mitwelt | Selbstorganisation | Paradigmenwechsel

Spirituelle Aspekte

Die innere Haltung der Empfänglichkeit für das Wesentliche | Spirituelle Lehren der Haudenosaunee | Das Ganze und die Gemeinschaft der Menschen

Weise handeln: Biographische Beispiele

Dag Hammarskjöld | Wangari Maathai | Mary Hesse | Bernard Lietaer

Epilog

Ergänzungen und Nachweis der Zitate

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

EINLEITUNG

Einige meiner stärksten Kindheits- und Jugenderinnerungen beziehen sich auf Erfahrungen in der Natur. Ich wuchs in Schleswig-Holstein auf und hatte nur kurze Wege ans Meer, in den Wald oder zu den Äckern und Wiesen der Bauern. Ich spürte den warmen Sommerregen, aber auch den scharfen, kalten Seewind, träumte in zahllose Sonnenaufgänge und sternenklare Mondnächte hinein, genoss es, als Jugendlicher in einsamen Wäldern allein zu sein oder auf ausgedehnten Wanderungen zwischen der Küste und dem Binnenland in die Schönheit der Welt einzutauchen. Die Bedeutung der für das ganze spätere Leben prägenden Unbefangenheit und Sorglosigkeit, in der ich all das hinnahm, war mir damals als solche noch nicht bewusst. Ich kannte es ja nicht anders.

In der Schule hörten wir in den 1970er Jahren als Jugendliche dann davon, dass eine gesunde, in sich ausgewogene Natur keineswegs selbstverständlich, sondern sogar sehr gefährdet sei, aber konkrete Erlebnisse von gravierenden Zerstörungen und Vergiftungen der Lebensräume hatten wir in unserem direkten Umkreis noch nicht. Dennoch nahm ich an den Protesten gegen die Atomkraft teil, begann mich für Umweltschutz zu interessieren, gehörte aber damit lediglich zu einer Minderheit, die meistens eher belächelt als ernst genommen wurde. Ökologie war damals noch ein Nischenthema, mit dem man sich nur dann beschäftigte, wenn man es selbst ausdrücklich so wollte. Das hat sich mittlerweile vollkommen geändert.

Heutzutage kann niemand mehr die ökologische Problemlage übersehen, in der sich die ganze Welt befindet. Die entsprechenden Informationen sind allgegenwärtig. So verwundert es nicht, wenn sich mittlerweile Kinder und Jugendliche weltweit in einer nicht mehr zu übersehenden Bewegung für den Erhalt ihrer Mitwelt engagieren, denn sie können nicht mehr anders. Auch unter den Erwachsenen ist man sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – der Brisanz der Lage prinzipiell bewusst.

Diese grundsätzlichen Veränderungen, zu denen es in den vergangenen vier bis fünf Jahrzehnten gekommen ist, stehen für einen dringend nötigen Bewusstseinswandel. Zwar kommt er, beruhend auf den Folgen unseres Verhaltens und der allgemeinen Lebensart, von außen, erstreckt sich aber zugleich auch auf das Innere des Menschen, insofern es um neue Sichtweisen und Werte geht. Im Unterschied zu vergangenen Zeiten beruht die Teilhabe an diesem Wandel nicht mehr auf der ausdrücklichen eigenen Entscheidung. Vielmehr ist es so, dass sich ihm kein vernünftiger Mensch mehr entziehen kann.

In diesem Kontext hatte ich vor ein paar Jahren ein bemerkenswertes Erlebnis. Man hatte mich gebeten, zu einem Buch ein Kapitel über die ökologische Sichtweise der kanadischen First Nations beizusteuern. So begegnete ich in einem Kulturzentrum der Mi’kmaq in Millbrook (Nova Scotia) Heather Stevens und Jeff Wilmot, die mir wunderbare Einblicke in ihre Kultur ermöglichten. Es war spannend von Heather zu erfahren, wie sehr sich ihr Leben und ihr Weltbild durch ihre Tätigkeit im Kulturzentrum verändert haben. Sie sagte unter anderem:

»Durch die Arbeit in dieser Umgebung, durch diese Aufgabe lerne ich nun auch über mich selbst sehr viel. Ich verstehe, was ich in dieser Welt tue. […] Allem, was ich tue, bringe ich Respekt entgegen. Die meisten der Mi›kmaq, ich kann natürlich nicht für alle sprechen, bringen der Welt, der Mutter Natur großen Respekt entgegen. Wenn ich anderen davon erzähle, spreche ich davon, was Mutter Natur mir gibt.«

Und ihr Kollege Jeff Wilmot fügte hinzu:

»Wir Mi›kmaq sehen sieben Generationen voraus. Wir können doch nicht das Wasser der Kinder unserer Kinder vergiften! Es geht uns in unserem Leben und Handeln nicht zuerst ums Geld, sondern um die Welt. Wir wollen sicherstellen, dass der Platz zum Leben auch in Zukunft erhalten bleibt.«1

Diese Bemerkung zu den sieben Generationen ließ mich seitdem nicht mehr los. Ich entdeckte, dass diese Idee, Verantwortung für die eigenen Taten vor dem Hintergrund von sieben Generationen zu entwickeln, in den indigenen Kulturen Nordamerikas eine zentrale Rolle spielt. Das fand auch Eingang in das »Gesetz des großen Friedens«, das Mitte des 12. Jahrhunderts als weltweit erste demokratische Verfassung einer Konföderation von fünf (später sechs) indigenen Stämmen zugrunde gelegt wurde. Schließlich nahm ich mir vor, mich mit der Bedeutung des ganzen genauer zu beschäftigen. Ein erstes Ergebnis dieser Beschäftigung ist dieses Buch!

Herdecke, Juli 2021

Peter Krause

TEIL I:VORZEICHEN

Die Generationen-Topographie

Kein Mensch wird ohne Verwandtschaft geboren. Seine Biographie beginnt und ereignet sich immer im Kontext vorangegangener und folgender Generationen. Aus diesen Rahmenbedingungen ergeben sich wechselseitige Einflüsse, in denen jedes individuelle Leben eines Menschen erscheint. Wir wissen heutzutage nur zu gut: Was früher bewirkt, was gewonnen oder verloren wurde, wirkt ins Jetzt hinein fort, und was heute gedacht und getan wird, bereitet den Boden für Künftiges. Darum liegt es nahe, das zur Verfügung stehende Wissen über die Lebensweisen, Erfahrungen und Weisheiten vorangegangener Generationen zu beachten. Dies gilt besonders dann, wenn es darum geht, wichtige Entscheidungen zu treffen, deren Wirkungen immer auch künftige Generationen erreichen werden.

Was im Leben der Menschen war, ist und sein wird, die Motive für das Handeln und all seine Wirkungen ergeben im übertragenen Sinne eine eigene, sehr persönliche Mitwelt. Bildhaft gesprochen finden sich darin Landschaften mit wirtlichen und unwirtlichen Zonen, es gibt Höhen und Tiefen, Quellgründe, fruchtbare Böden und Wüsten. Werden und Vergehen ereignen sich, ob erwartet erfreulich oder überraschend erschütternd. Zuweilen stürmt es, dann wieder nimmt sich das Leben sanft und freundlich aus.

Der Lauf der Zeit und das Leben der Menschen könnten so gesehen, ebenso wie die vielen verschiedenen Gegenden der äußeren Welt, im übertragenen Sinne kartographiert werden. So ergäbe sich für unser Bewusstsein eine Topographie (von griechisch τόπος, tópos (»Ort«) und γράφειν, gráfeïn (»zeichnen, [be-]schreiben«), in der jeder Mensch zu jeder Zeit seinen Ort finden und bestimmen kann.

Dementsprechend ereignet sich sein irdisches Leben in einem besonderen, zeitlich begrenzten Rahmen, der die Jahre von seiner Geburt bis zum Tod umfasst. In diesem Zeitabschnitt wird die Biographie eines jeden Menschen durch die Ereignisse seines Lebens beeinflusst. Ebenso gehen von jedem Menschen mehr oder weniger starke Einflüsse aus, die auf das große Ganze zurückwirken. Diese Wechselwirkung zwischen den kulturell prägenden Bedingungen des äußeren Lebens und der selbstbestimmten Lebensführung verbindet jeden Menschen mit allen anderen Menschen seiner Zeit. Das kann in besagter Generationen-Topographie erfasst und im Bewusstsein eines Menschen zum Bild werden. Ein solches »Bildschaffen« im Blick auf die vorangegangenen und folgenden Generationen liefert gemäß der spirituellen Weisheit der indigenen Völker Nordamerikas die beste Basis für verantwortliches Entscheiden und Handeln.

Gemeinschaft und Gemeinsamkeit

Über die Herkunft des Menschen finden sich in verschiedenen Mythologien und Religionen aller Zeiten und Kulturen Vorstellungen, die von einem Ur-Elternpaar bis zu dem einen, unverwechselbar einzigartigen Menschen der Jetztzeit reichen. Dabei kam der konkreten Abstammung eines jeden Menschen von einer Mutter und einem Vater eine unterschiedliche, in früheren Zeiten eher untergeordnete Bedeutung zu. Eine Kernfamilie, also die Gemeinschaft von Mutter, Vater und Kind(ern), war lange nicht so wichtig wie heute. Erst mit der Entwicklung des Bürgertums und den mit der Industrialisierung einhergehenden Veränderungen der Gesellschaft wurde der Familienbegriff eng mit Vorstellungen der konkreten Abstammungsbeziehungen im biologischen Sinne verbunden. Vor diesem Hintergrund formten sich schließlich jene kleinen, eng zusammenlebenden Menschengemeinschaften, die wir heutzutage in großen Teilen der Welt als »Familien« bezeichnen. Gegenwärtig spricht manches dafür, dass sich dieses bürgerliche Familienbild wieder auflösen könnte, um einem Verständnis von Herkunft und Einbindung in generationenweite Beziehungen Raum zu geben, die über die bloße biologische Abstammung hinausreichen. In gewisser Weise würden wir uns damit wieder dem nähern, was in früheren Zeiten noch galt.

Vor Jahrhunderten und Jahrtausenden erlebten die Menschen das soziale Geflecht ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Menschengemeinschaft nämlich noch viel weitergefasst als wir Heutigen. Wichtiger als die Familie im Sinne der biologischen Herkunft war der Stammeszusammenhang. Die Bedeutung vorangegangener und folgender Generationen ergab sich darum nicht bloß aus der Erfahrung der eigenen Identität zwischen Großeltern und Eltern auf der einen Seite sowie Kindern und Kindeskindern auf der anderen. Dieses Wissen um die eigene Herkunft und Abstammung diente eher als Schlüssel zum Verständnis von viel weiter reichenden Verbindungen mit den Entwicklungs- und Einflusssphären einer Person. Auch die Weitergabe des Lebens aus dem Zusammenkommen zweier Menschen wurde mythologisch lediglich als kleinste Etappe auf dem Weg des Gegenwärtigwerdens des Menschen in einer großen, gottgewollten Weltentstehung verstanden: Jeder einzelne Mensch galt als Vervielfältigung des einen, ersten Menschen, in dem Gott selbst einst ebenbildlich erschien.

Das Geborenwerden, Leben und Sterben der vielen Menschen nahm sich aus wie der Strom einer unablässigen Menschwerdung, die sich seit Jahrtausenden ereignet. Von Generationen begann man zu sprechen, indem man einerseits das gegenwärtige Leben von Menschen bewusst von dem der Vorangegangenen und Folgenden unterschied, und andererseits auch, um den Zusammenhang mit kulturellen Besonderheiten, Verdiensten und Verlusten enger zu fassen. Damit trat zum teleologischen Verständnis der gottgewollten Schöpfung und dem kausal verstandenen Aspekt der biologischen Abstammung noch ein Drittes hinzu, nämlich dass man nun auch das Verhältnis des Menschen zu den Folgen seines Handelns in der Welt generationenweit zu verstehen begann. Das wurde religiös verdichtet und führte zu Vorstellungen einer kollektiven, über eine bestimmte Zahl von Generationen reichenden Verantwortung2 bis zur Darstellung besonderer Stammbäume,3 aus denen Königinnen und Könige, ja sogar der Sohn Gottes selbst hervorgegangen sind.

Der Theologe und Philosoph Wilhelm Dilthey beschäftigte sich Ende des 19. Jahrhunderts damit, dass sich das Charakteristische des menschlichen Lebens nicht nur naturgesetzlich erklären lässt, sondern dass dafür ebenso die besonderen Bedingungen des geistigen Lebens und der Biographik berücksichtigt werden müssen. In diesem »Lebenszusammenhang« haben, so Dilthey, auch alle verschiedenen Systeme der Metaphysik ihren Ursprung. Generationen verstand er darum als »einen Kreis von Individuen, welche durch Abhängigkeit von denselben großen Tatsachen und Veränderungen, wie sie im Zeitalter der Empfänglichkeit auftraten, trotz der Verschiedenheit hinzutretender anderer Faktoren zu einem homogenen Ganzen verbunden sind.«4

Dass es sich bei den in einem bestimmten Zeitabschnitt lebenden Menschen um eine Gemeinschaft handelt, die bestimmte Erfahrungen miteinander teilt, steht außer Frage. Aber gibt es auch Handlungsmaximen, Vorlieben und Charakteristika, die einer Generation essenziell zu eigen sind, noch bevor gemeinsame Erfahrungen existenziell prägend gewirkt haben?

Der Beantwortung dieser Frage wollen wir nähertreten, indem wir zwischen dem Allgemeinmenschlichen und dem Individuellen eine Ebene des kollektiven Bewusstseins annehmen, die für das Verbundensein von Menschen einer Generation maßgeblich ist. Sie erschöpft sich nicht im Sinne der biologischen Abstammung, denn es geht in ihr um Ideale, Vorstellungen und Werte, die potentiell allen Menschen gemeinsam sind, auch wenn für sie keine direkte Verwandtschaft besteht. Es geht um die Präsenz und Wirkung eines besonderen, unverwechselbaren Kolorits, das in einem begrenzten Zeitraum für das Erleben, Entscheiden und Handeln von Menschen kennzeichnend ist. Nennen wir es die Lebenskraft einer Generation.

Zugehörigkeit

Jeder Mensch, der heutzutage um eine bewusste Lebensführung bemüht ist, kann sich auf das Erbe vorangegangener Generationen und die eigene Verantwortung für die Menschen der Zukunft besinnen. In diesem Interesse werden die Vergangenheit und die Zukunft im Jetzt miteinander verbunden. Und es entspricht einer Facette der allgemeinen gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung, dass sich für die Pflege von Erbe und Verantwortung sogar besondere Bewegungen formiert und Gemeinschaften gebildet haben, die generationenübergreifend bestehen. Beispiele dafür sind religiöse Gemeinschaften, Zünfte und Gilden, politische Parteien, aber auch die Institutionen des Bildungswesens, in denen Wissen und Weisheit bewahrt und weitergegeben werden. Von ihnen ausgehend wurde schon immer der allgemeine Gang der Entwicklung im Sinne einer kulturellen Hegemonie beeinflusst. Auch von den Bauhütten des Mittelalters oder den studentischen Bewegungen der 1960er-Jahre beispielsweise, die beide für temporär wirksame Impulse stehen, gingen merklich Einflüsse auf die allgemeine Lebensart aus. Kulturelle Hegemonie erscheint im sozialen Leben jedenfalls als wichtige, Entwicklung treibende Kraft. Zugleich führt sie über das Selbsterleben eines einzelnen Menschen hinaus zu einer Erfahrung der größeren Zusammenhänge von Generation und Generationalität.5

Aber nicht nur in von Menschen geschaffenen sozialen Gemeinschaften leben das Erbe, die Gegenwart und die Zukunft von Generationen, sondern auch im kollektiven Bewusstsein. Für jede Generation lassen sich ja unschwer verbindende Erfahrungen und spezifische Impulse ausmachen. Zweifellos kann gesagt werden, dass die Gemeinsamkeiten einer Generation durch die individuellen Erfahrungen gespeist werden, die in einem ganz bestimmten historischen Kontext gemacht werden. Auch die Traditionen erworbenen Wissens und die damit zusammenhängende Kultur sind nicht zu übersehen. Gleichwohl stellt sich die Frage, inwieweit sich für einen einzelnen Menschen aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation per se Wirkungen ergeben, die ihn für das Leben in seiner Zeit besonders prädestinieren – und zwar eben auch dann, wenn er außerhalb seiner Familie keiner besonderen, der Pflege von Traditionen verpflichteten Gemeinschaft angehört.

Neben den natürlichen Vorgaben der menschlichen Entwicklung (ein kleines Kind will, weil es seiner menschlichen Natur entspricht, aus eigenem Antrieb gehen, sprechen und denken lernen) und den historisch wirksamen Wendeereignissen (beispielsweise begann Anfang des 19. Jahrhunderts durch die damals bestehende Holznot und den aufkommenden amerikanischen Naturschutz die Entwicklung eines neuen Bewusstseins für den Schutz der Lebenswelt) gibt es eine Ebene des kollektiven Bewusstseins, aus dem heraus – vermeintlich unvermittelt – bislang geltende Paradigmen infrage gestellt und durch neue ersetzt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit »Fridays for Future« eine globale Bewegung formierte, die anstelle der rücksichtslosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen einen ökologisch-nachhaltigen Umgang mit der Erde fordert. Bezüglich der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation und der Teilhabe an einem charakteristisch beinhalteten, kollektiven Bewusstsein ist jeder Mensch offensichtlich tatsächlich nicht nur Nachfahre seiner Eltern, sondern zugleich auch ein »Kind seiner Zeit«.

Betrachtet man die Entwicklung des Menschen innerhalb der Evolution der Welt der Lebewesen, fällt auf, dass die Tiere und Pflanzen der heutigen Zeit denen des Mittelalters immer noch sehr ähnlich geblieben sind. Ihre Wandlungen ereignen sich lediglich im Werden und Vergehen der äußeren Erscheinung als eine Fortsetzung der vorangegangenen.

Gerade abgesehen von seinen äußerlichen Merkmalen, wurde der Mensch im Laufe der Jahrhunderte zu einem ganz anderen. Für den Menschen kommen die selbstgeschaffene Lebenswelt sowie die Wandlung und Entwicklung einer »inneren« seelisch-geistigen Natur hinzu, durch die eine andere, typisch menschliche Teilhabe am Leben möglich ist.

Um solche Wandlungen und Entwicklungen des Menschen anschaulich zu machen, hat man sich schon immer Analogien bedient, die der Biologie entlehnt und auf mehrere Generationen bezogen sind. Man spricht von den »Wurzeln« einer Kultur oder Familie, von »Stammbäumen«, »Verzweigungen« in Generationen, von »Saaten« der Weisheit usw. Im Sinne einer goetheanistischen Betrachtung, auf die wir später noch besonders eingehen werden, sind solche Analogien tatsächlich sehr hilfreich, denn mit ihnen lässt sich ausdrücken, was für das Erkenntnisbemühen bezüglich der Ebene des generationenweiten kollektiven Bewusstseins besonders zu beachten ist. Der Biologe Jochen Bockemühl schreibt dazu:

»Es ist deutlich, dass es hier nicht mehr um rein sinnliche Wahrnehmungen geht. Die Aufmerksamkeit wird gelenkt auf Vorgänge, die sich zwischen der sinnlichen Wahrnehmung und dem seelischen Erleben abspielen. Es ist auch deutlich, dass dieser Vorgang nur selten richtig bewusst wird. Wie im Traum tauchen die einzelnen Erscheinungen nacheinander auf und schließen sich zusammen. Ehe man sich richtig versieht, ist dann der Vorgang schon als erstarrtes Bild einer abgelaufenen Bewegung im Bewusstsein festgehalten. Offenbar wird hier eine Fähigkeit gebraucht, in der das innere Erleben nicht der Wahrnehmung gegenübersteht, sondern sich gerade mit ihr tätig verbindet. Das schon fest Gewordene kommt in Bewegung, um meistens gleich wieder im Bewusstsein zu erstarren. Während der Bewegung verlieren Außen und Innen ihre Grenzen. Hier sind wir aufmerksam auf eine Betrachtungsweise, die wir zwar fortwährend handhaben, aber doch meistens verträumen. Sie führt uns nicht nur an die Oberfläche der Dinge, sondern eint uns mit ihren Prozessen.«6

Wenn man sich dieser Art der Betrachtung bedient, um sich verschiedener Generationen bewusst zu werden, liefert das eine Möglichkeit, einer spirituellen Tradition der nordamerikanischen Ureinwohner näherzutreten.

Das Sieben-Generationen-Gewahrsein

In den indigenen Kulturen Nordamerikas wird bis auf den heutigen Tag tradiert, dass man sich vor jeder wichtigen Entscheidung sieben Generationen bewusst werden solle. Es wird das einerseits im Sinne der Verehrung der Ahnen auf sieben vorangegangene Generationen bezogen, andererseits auf die kommenden, noch ungeborenen. Diese weise Praxis der mentalen Verbindung mit sieben Generationen ist seit Jahrhunderten Teil der spirituellen Tradition.

Wenn es heutzutage um die Herkunft des »Sieben-Generationen-Gewahrseins« geht, ist immer wieder von einem »Confederation Act« die Rede, der vermutlich im 12. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung unter den »Haudenosaunee« (»Leute des Langhauses«) zustandekam. Es ging damals darum, die Grundlagen für das friedliche Zusammenwirken von fünf, später sechs verschiedenen Stämmen des Volks – namentlich den Mohawk, Oneida, Onondaga, Cayuga und Seneca, und später den Tuscarora – zu vereinbaren. So entstand in 117 Artikeln eine Verfassung, die damals in Zeichenschrift niedergelegt und Jahrhunderte später in englische Schriftsprache übertragen wurde.

In dieser Verfassung ist von den Gesandten der Völker, den »Hütern« (»Lords of the Confederacy of the Five Nations«), die Rede, deren Aufgabe darin besteht, als »Mentoren« die gemeinsamen Interessen der konföderierten Völker zu verwalten und zu vertreten. Dazu sollen sie in der Stimmung innerer Gelassenheit aus einer weisen Überschau raten und entscheiden. Interessant ist, dass im 24. Artikel der Verfassung, dem »Gesetz des großen Friedens«, nicht nur davon die Rede ist, sondern auch von den Bedingungen, die jener gewünschten inneren Haltung zugrunde liegen:

»Die Hüter der Konföderation der fünf Nationen sollen für alle Zeiten Mentoren des Volkes sein. Die Dicke ihrer Haut soll sieben Spannweiten haben – das heißt, sie sollen gegen Ärger, beleidigende Handlungen und Kritik geschützt sein. Ihre Herzen sollen voller Frieden und guten Willens sein und ihre Gedanken gefüllt mit einer Sehnsucht nach dem Wohl der Menschen der Konföderation. Mit endloser Geduld sollen sie ihrer Pflicht nachkommen und ihre Festigkeit soll für ihre Leute mit Zärtlichkeit gemildert werden. Weder Ärger noch Wut werden eine Unterkunft in ihrem Verstand finden und alle ihre Worte und Handlungen sollen durch ruhige Überlegung gekennzeichnet sein.«7 Anhand dieser einzigen schriftlichen Quelle wird davon ausgegangen, dass aus der uralten spirituellen Pflege der Verbundenheit mit sieben Generationen jene Analogie der sieben Spannweiten dicken Haut hervorging, von der im Gesetz des großen Friedens die Rede ist.

Vor allem gilt es zu beachten, dass die indigenen Völker vor Jahrhunderten noch keine Schrift im heutigen Sinne, sondern nur eine Erinnerung stützende Zeichenschrift kannten. Die wichtigsten spirituellen Weisheiten wurden (und werden) ohnehin nur mündlich überliefert. Das Sieben-Generationen-Gewahrsein so verinnerlicht zu haben, dass es zu einem Merkmal des Charakters einer Person geworden ist, galt als Ausdruck einer besonderen Reife. Zur rituellen Einsetzung der Hüter in ihr Amt heißt es darum im 28. Kapitel der Verfassung:

»Wir krönen dich jetzt mit dem heiligen Emblem des Hirschgeweihs, dem Emblem deiner Hüterschaft. Du wirst jetzt ein Mentor des Volkes der fünf Nationen sein. Die Dicke deiner Haut soll sieben Spannweiten betragen – das heißt, du wirst ein Beweis gegen Wut, beleidigende Handlungen und Kritik sein. Dein Herz wird erfüllt sein von Frieden und gutem Willen, und dein Verstand wird erfüllt sein von einer Sehnsucht nach dem Wohlergehen der Menschen der Konföderation. Mit endloser Geduld wirst du deine Pflicht erfüllen und deine Festigkeit wird mit Zärtlichkeit für dein Volk gemildert sein. Weder Ärger noch Wut werden in deinen Geist Einzug halten, und alle deine Worte und Handlungen werden von ruhigen Überlegungen geprägt sein. […] Bei all deinen Überlegungen im Konföderierten Rat, bei deinen Bemühungen um Gesetzgebung, bei all deinen Amtshandlungen wird das Eigeninteresse in Vergessenheit geraten. Wirf die Warnungen der Neffen und Nichten nicht über deine Schulter, falls sie dich wegen eines Fehlers oder Unrechts tadeln, sondern kehre zum Weg des Großen Gesetzes zurück, das gerecht und richtig ist. Schaue und höre auf das Wohlergehen des ganzen Volkes und hab immer nicht nur die Gegenwart, sondern auch die kommenden Generationen im Blick, auch diejenigen, deren Gesichter sich noch unter der Oberfläche des Bodens befinden – das Ungeborene der zukünftigen Nation.«8

Das Netz des Lebens

In den spirituellen Weisheiten der Haudenosaunee ist von einer Kraft, der »Orenda«, die Rede, die alle Lebewesen miteinander verbindet und für ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen ihnen sorgt. Damit sind Lebenskräfte gemeint, von denen aus auch die Konstellation verschiedener Generationen verstanden werden kann. Was wir als Generationen-Topographie bezeichnet haben, ist also nicht im sinnlich-gegenständlichen Sinne zu verstehen. Dennoch ist es möglich, sich von der Gestalt und Beschaffenheit dieser Welt des kollektiven Bewusstseins hilfreiche Vorstellungen zu bilden, jedenfalls dann, wenn ihr mit der entsprechenden Aufmerksamkeit begegnet wird. Genau das scheint meiner Auffassung nach mit dem Sieben-Generationen-Gewahrsein gemeint zu sein, das dazu auffordert, sich vor jeder wichtigen Entscheidung vor eben diesem Hintergrund diesem Aspekt der Orenda bewusstzuwerden. Bevor wir auf einige Besonderheiten und die spirituellen Aspekte der mit dem Sieben-Generationen-Gewahrsein verbundenen Bewusstwerdung später noch genauer zu sprechen kommen, soll nun zunächst allgemein davon die Rede sein, wie man sich dieser Welt der Lebenskräfte gedanklich nähern und in welchem Licht die Rolle des Menschen unter so einer Voraussetzung verstanden werden kann. Dafür kann der Blick auf ein besonderes Kapitel der europäischen Geistesgeschichte hilfreich sein.

Das Ganze wirkt im Teil

Aus heutiger Sicht entwickelte sich vom Beginn des 19. Jahrhunderts an – also vor sieben Generationen – eine bedeutsame Naturwissenschaft, die, von einem mechanistischen Weltbild getragen, zuerst an einer analysierenden Erforschung von Details interessiert war. Jedoch wurde davor noch eine Methode zur Weltbetrachtung und -erforschung vertreten, die vor allem durch ein holistisches Verständnis geprägt war. Als ein bedeutender Vertreter dieser Richtung gilt Alexander von Humboldt. Für ihn waren alle Wesen und Erscheinungen der Natur miteinander in einem »Netz des Lebens« verknüpft, woraus sich für ihn zugleich eine Dimension ökologischer Verantwortung erschloss, zu der die Historikerin Andrea Wulf treffend schreibt: »Betrachtet man die Natur nun als Netz, wird offensichtlich, welchen Gefahren sie ausgesetzt ist. Alles hängt mit allem zusammen. Wenn ein Faden gezogen wird, kann sich das ganze Gewebe auflösen.«9

Sein Verständnis vom Zusammenhang eines natürlichen Ganzen mit allen Teilen hat Humboldt auf die verschiedensten Naturreiche ebenso angewendet wie auf die gesamte Erde als Lebensraum. Aufgrund seiner Exkursionen am Chimborazo, dem höchsten Berg in Ecuador, erkannte er beispielsweise die Gesetzmäßigkeit in der Gliederung und Abfolge der Vegetationszonen der Erde, insofern er feststellte, dass deren Abfolge vom Tal zum Gipfel jener vom Äquator zum Nordpol entspricht. Ein Aspekt des Ganzen (Lebensorganismus Erde) erscheint im Teil (Berg). Humboldt fertigte damals aufgrund seiner Beobachtungen eine übersichtliche Zeichnung an und fügte sie seinen Ausführungen »Ideen zu einer Geographie der Pflanzen« hinzu.10 In diesem Buch entwickelte er seine Ideen von der Natur als einem ganzheitlichen Zusammenwirken verschiedener Lebenswelten. Insofern lässt sich tatsächlich sagen, dass er das erste ökologische Buch der Welt geschrieben hatte.11

»Wenn alles mit allem zusammenhing, war es wichtig, bei der Untersuchung von Unterschieden und Ähnlichkeiten nie das Ganze aus den Augen zu verlieren. Der Vergleich – und nicht abstrakte Mathematik oder Zahlen – wurde Humboldts wichtigstes Werkzeug zum Verständnis der Natur.«12

Dieses Prinzip verfolgte auch Johann Wolfgang von Goethe am Ende des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang seiner botanischen Studien, aufgrund derer er schließlich gar von einer »Urpflanze« sprach. Mit diesem bemerkenswerten Begriff bezeichnete er ein geistiges Urbild aller Blütenpflanzen, das jeder nur möglichen Form der im Physischen erscheinenden Pflanzen zugrunde liegt. Goethe betrachtete die Welt dafür ebenfalls holistisch, also vom Ganzen zum Teil fortschreitend, und nicht additiv von den einzelnen Pflanzen aus hin zu einer vereinheitlichten Systematik, wie Carl von Linné es einige Jahrzehnte vorher getan hatte.

Zur Idee einer Urpflanze war Goethe gelangt, als er während seiner Italienreise die Gärten von Palermo besuchte. Damals ging er aufgrund des Eindrucks der vielen verschiedenen Pflanzen schließlich von jenem Postulat einer Urpflanze aus, deren Existenz es dem Menschen auch erst ermöglicht, eine Pflanze als eine solche erkennen zu können. Diese Konzeption einer Urpflanze als geistiges Urbild alles Pflanzlichen, also nicht etwa die eine, ursprüngliche, physisch gegenwärtige Pflanze, von der alle anderen sich ableiten ließen, verdeutlichte er 1798 in seinem Hauptwerk zur Botanik »Metamorphose der Pflanzen«. Dort beschrieb er die Metamorphose der Pflanzen derart, dass eine »geheime Verwandtschaft der verschiedenen äußern Pflanzenteile« mit einem gemeinsamen, allen differenzierten Erscheinungen zugrunde liegenden Prinzip hervortritt.13 Schließlich prägte Goethe den Begriff »Morphologie« (aus altgriechisch μορφή, morphé, »Gestalt«, »Form«, und λόγος, lógos »Lehre«) und gab überdies den Anstoß zur Entstehung des so bezeichneten Teilbereichs der Biologie.

Goethes These beruht auf einem Erleben der Natur, das sich ebenso auf Tiere und Menschen wie auf die anorganische Natur erstrecken kann. Grundsätzlich geht es dabei darum, aufgrund äußerer Merkmale einer Gestalt von einer Erfahrung des Seins zum Erleben des Werdens überzugehen. Tatsachen der Entwicklung werden darin als Gemeinsamkeiten sichtbar, von denen aus Lebewesen sich in den verschiedensten Gestalten ausformen. In seiner Einleitung zu den naturwissenschaftlichen Schriften Goethes schrieb Rudolf Steiner dazu:

»Das Bedeutsame der Pflanzenmetamorphose liegt z.B. nicht in der Entdeckung der einzelnen Tatsache, dass Blatt, Kelch, Krone usw. identische Organe seien, sondern in dem großartigen gedanklichen Aufbau eines lebendigen Ganzen durcheinander wirkender Bildungsgesetze, welcher daraus hervorgeht und der die Einzelheiten, die einzelnen Stufen der Entwicklung, aus sich heraus bestimmt. Die Größe dieses Gedankens, den Goethe dann auch auf die Tierwelt auszudehnen suchte, geht einem nur dann auf, wenn man versucht, sich denselben im Geiste lebendig zu machen, wenn man es unternimmt, ihn nachzudenken. Man wird dann gewahr, dass er die in die Idee übersetzte Natur der Pflanze selbst ist, die in unserem Geiste ebenso lebt wie im Objekte; man bemerkt auch, dass man sich einen Organismus bis in die kleinsten Teile hinein belebt, nicht als toten, abgeschlossenen Gegenstand, sondern als sich Entwickelndes, Werdendes, als die stetige Unruhe in sich selbst vorstellt.«14

In der organischen Welt, so die These, wird also jedes Einzelne gemäß seiner Eigenart vom Ganzen her bestimmt. Bei den Pflanzen wirkt dabei ein allgemeiner Pflanzentypus, den Goethe als Urpflanze bezeichnete, bei den Tieren kommt ein als seelisch verstandenes Innenleben hinzu. Für den Menschen gilt es darüber hinaus, die für ihn charakteristischen Möglichkeiten mit zu beachten, welche darauf beruhen, dass er zu freien geistigen Leistungen befähigt ist. Diese lassen sich, grob kategorisiert, den Bereichen der Wissenschaft, Kunst und Religion zuordnen.

Gehen Goethe entsprechend Werden und Sein der leiblichen Gestalt bei Pflanzen, Tieren und Menschen von einem Typus aus, so kann ferner für das seelische Leben und Erleben der Tiere und Menschen ein gemeinsames Prinzip von Resonanz und Einklang angenommen werden, das dieser Art der Lebensäußerung konstituierend zugrunde liegt. Für die Erfahrung des typisch Menschlichen kommt überdies hinzu, dass bestimmte Taten in ihrem Zusammenhang mit Intuitionen gedacht werden können, die von Menschen frei erfasst wurden und werden. Jedes Kunstwerk, aber auch die wissenschaftlichen Leistungen und religiösen Vorstellungen sind Ausdruck davon.

Für den Menschen gilt: Einzelheiten von Gestalt, seelischem Leben und geistiger Leistung erscheinen stets von einem Ganzen her konstituiert. Das Bewusstsein von sieben Generationen würde damit also im wahrsten Sinne des Wortes eine geistige Wirklichkeit erfassen. Möglicherweise kam es den Haudenosaunee genau darauf an.

Das Zeitalter des Menschen

Den Vegetationszonen der Erde folgend, gewinnen wir einen Eindruck von unterschiedlichen Lebensräumen, in denen sich Fauna und Flora im Laufe der Evolution jeweils artgerecht entfalten. Das gilt auch für den Menschen, der jedoch zusätzlich die Naturreiche durch die Folgen freier Taten verändert und prägt. Was auf diese Weise in die Welt kommt, was sie sogar bis in die Tiefenschichten der Evolution hinein unumkehrbar verändert, ist durch die Natur nicht vorgegeben, sondern absolut originär. Nie zuvor trat diese Tatsache so offensichtlich zutage wie gegenwärtig.

In der altehrwürdigen Geological Society of London beschäftigen sich Wissenschaftler-Generationen seit über 200 Jahren mit der Erdgeschichte. Welche Entwicklungen vollzogen sich in Jahrmillionen für unseren Mutterplaneten, und mit welchen Folgen? Dafür lesen die Wissenschaftler in den Schichten der Sedimentation, die den Jahresringen der Bäume gleich, entsprechende Rückschlüsse ermöglichen. Im Jahr 2008 befand die stratigrafische Kommission der Gesellschaft, dass das Holozän, das zwischeneiszeitliche Zeitalter, endgültig an sein Ende gelangt sei. Für die sich nun abzeichnenden Entwicklungen konnten sie in den zurückliegenden Jahrmillionen keine Entsprechungen mehr finden; was heute geschieht, ist absolut neu. Beunruhigt erkannten die Forscher, dass die von Menschen bewirkten landschaftlichen Veränderungen die natürlichen Prozesse der Sedimentierung übertreffen, Artensterben und -wanderungen bislang ungekannte Ausmaße angenommen haben und die offensichtlich menschengemachten Klimaveränderungen unaufhaltsam fortschreiten. Die biostratigraphischen Signale sind unmissverständlich: Die Auswirkungen menschlichen Lebens bleiben für die ganze Lebenswelt bestehen, der Mensch ist endgültig zur geologischen Größe geworden!

Wir befinden uns heutzutage am Ende einer Entwicklung, die zur weitreichenden Emanzipation des Menschen von den natürlichen, mitweltlichen Zusammenhängen führte, in denen unsere Entwicklung einst begann. Wir haben für uns eine eigene Welt geschaffen, in der besondere Regeln gelten, unter deren Anwendung sich die ganze Mitwelt bis in die Grundfesten hinein verändert. Und: Verglichen mit den natürlichen, geologischen Entwicklungszyklen ging das alles sogar sehr schnell.

In der frühen Phase der Entwicklung menschlicher Zivilisation waren nach dem Ende der letzten Eiszeit mit Ausnahme der Antarktis schon bald alle Kontinente besiedelt. Und auch die ozeanische Inselwelt war schließlich zu einem Teil der menschlichen Zivilisation geworden, als vor 800 Jahren schließlich auch die Besiedlung Neuseelands abgeschlossen war. Von da an dauerte es beispielsweise nur 600 weitere Jahre, bis die ursprüngliche Subsistenzwirtschaft (von lateinisch subsistentia »Bestand«: »durch sich selbst, Selbständigkeit«) fast vollständig verschwunden und die Anfänge der Weltwirtschaft über den gesamten Globus verbreitet waren.

Es hat sich tatsächlich schier Unglaubliches getan, seit sich die Vergletscherungen der Oberfläche der Erde von einem Drittel wieder auf ein gutes Zehntel zurückgezogen hatten. Eine Landbrücke über die heutige Beringstraße ermöglichte vorher den Austausch von Fauna und Flora zwischen Nordasien und Nordamerika, bevor der Meeresspiegel wieder um 120 Meter anstieg. Der heutige Mensch, der Homo sapiens sapiens, hat sich in den Ereignissen der Evolution etwa 30.000 Jahre vor unserer Zeit durchgesetzt. Aus unerklärlichen Gründen verschwand der Neandertaler damals von der Bildfläche, und jener Zweig, aus dem zuletzt auch wir Heutigen hervorgegangen sind, trug die Entwicklung des Menschen durch die folgenden Jahrtausende hindurch.

An der grundsätzlichen biologischen Vorgabe hat sich seither prinzipiell nichts wesentlich verändert. Wir erkennen jedes menschliche Wesen immer noch eindeutig als Abkömmling einer ganz bestimmten Linie der Evolution. Und doch hat sich vieles getan, was nicht ohne Folgen bleiben konnte. Wir sind heute – trotz der genetisch einwandfreien Zugehörigkeit – auf eine Art andere Menschen als es unsere Vorfahren vor Jahrzehntausenden noch waren. Die »konstruktiven« Vorgaben bezüglich der DNA, der Genetik und der physischen Erscheinung fanden und finden sich fortwährend »dynamisch« ergänzt durch die Herausbildung und Weiterentwicklungen des menschlichen Bewusstseins. Zum im strengen Sinne vorgegebenen einen Teil unseres Menschseins kommt auf diese Weise ein zweiter hinzu, mit dem unsere besonderen, menschlichen Möglichkeiten zu freiem Handeln zusammenhängen.