Silber im Saum - Katja von Glan - E-Book
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Silber im Saum E-Book

Katja von Glan

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Beschreibung

Nach dem Tod Heinrichs VI. im Herbst des Jahres 1197 herrscht im deutschen Reich ein Machtvakuum. Ein Teil der Reichsfürsten krönt den Welfen Otto zum König, ein anderer den Staufer Philipp. In diesen Thronstreit werden die Kölner Kaufmannstochter Mechthild und die Hofdame Johanna verwickelt. Sie erleben die Irrungen und Wirrungen von Macht und Liebe, die höfischen Intrigen, die hohe Liebe des Minnegesangs mit Walther von der Vogelweide, den Kampf um Aachen und viel Aufregung um versteckte Silberstücke im Saum eines Gewandes. Der jungen Historikerin Katja von Glan gelingt eine farbige Schilderung des Mittelalters und eine packende Darstellung einer der interessantesten Epochen der deutschen Geschichte.

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Seitenzahl: 687

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Katja von Glan

Silber im Saum

Roman

LangenMüller

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www.langen-mueller-verlag.de

© für das eBook: 2016 LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© für die Originalausgabe: 2002 nymphenburger in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Covergestaltung: Atelier Seidel – Verlagsgrafik, Teising

Titelmotiv: © Thinkstockphoto

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7844-8323-8

Für Ursula, Hella und Hannah

1. KAPITEL

Ein Reich ohne König, aber mit einer Königswahl

März 1198, einige Tagesreisen vor Braunschweig

Die Stimmen kamen immer näher. Doch sie wollte nicht gestört werden, noch nicht. Erwachen bedeutete, deutlich zu fühlen. Das war unangenehm, denn da war nur Dunkelheit und Feuchtigkeit um sie herum. Sie lag auf dem Bauch und ihre Finger waren in den schlammigen Waldboden gekrallt. Es war so kalt, viel zu kalt.

»Hier liegt jemand«, rief eine raue Stimme.

Eine Fackel blendete sie und eine ungeduldige Schuhspitze bohrte sich in ihre Seite. Sie wollte empört aufspringen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Jemand zerrte sie am Arm hoch. Ein vor Nässe triefender Mantel fiel um ihre Schultern. Sein Gewicht zog sie fast wieder nach unten.

Sie blinzelte und versuchte, etwas zu erkennen. Die schmale Mondsichel wurde immer wieder von Wolkenschleiern verdeckt. Die Gestalten hatten Schattengesichter und große schwielige Hände. Sie griffen nach ihr und sie wich erschrocken zurück.

»Wer bist du? Wer schickt dich?«, brüllte einer der Schattenmänner.

Das Mondlicht kämpfte sich erneut durch die Wolken. Die Gestalten nahmen menschliche Züge an. Zerklüftete Gesichter mit gierigen Augen und spröden Lippen. Einer kam ganz nah. Er hatte schwarze Zahnstümpfe und sie konnte seinen fauligen Atem riechen. Sie waren vermodernde Schlammgeister auf der Suche nach unschuldigen Seelen. Ihr wurde schwindelig und sie begann zu zittern.

Nimm dich zusammen, befahl sie sich streng. Sie musste sich unbedingt erinnern. Es war schwierig nachzudenken, wenn ein Haufen unheimlicher Kerle dabei zusah. Sie könnten die Spießgesellen eines Raubritters sein, der im Wald lagerte. Vielleicht waren sie entflohene Leibeigene, die sich den Winter hier durchgeschlagen hatten.

Als sie so hartnäckig schwieg, wurden die Männer unruhig.

»Sie ist gekleidet wie eine Dame von Stand. Wer trägt sonst schon so einen Mantel? Adlige Damen sind nicht unsere Angelegenheit. Soll er sich darum kümmern. Bringen wir sie zu ihm!«, blaffte der Kerl mit den modrigen Zähnen.

Sie bekam einen Stoß in den Rücken und wurde in die Dunkelheit geschubst, fast hätte sie das Gleichgewicht verloren und wäre vornüber gekippt. Sie stolperte eine Zeit lang durch die Nacht. Es wurde immer gleichgültiger, wohin sie gebracht wurde und wer diese Männer waren. Die aufblitzenden Dolche vereitelten jeden Gedanken an Flucht. Wohin hätte sie auch fliehen sollen? Sie würde niemals allein aus diesem schwarzen, schlammigen Wald finden. Sicher gab es Wölfe und Bären, Nebelgeister und Zauberwesen. Der Wald würde sie für immer verschlingen.

Sie näherten sich den flackernden Lichtern eines Lagers. Weiße Zeltbahnen schaukelten im fahlen Mondlicht. Große Fahnen streckten sich herausfordernd in den Nachthimmel. Pferde wieherten und irgendwo sang jemand zur Laute. Hier haust keine Räuberbande, dachte sie erleichtert. Fahnengeschmückte Zelte, viele Pferde und wohlklingende Musik führten nur Ritter mit sich. Eine reisende Rittergesellschaft war besser als der feuchte Waldboden und viel besser als eine Horde roher Gesellen.

In der Mitte des Lagers brannte ein großes Feuer. Es warf lange Schatten auf die Zeltbahnen und sprühte Funken. Da sie so fror, wünschte sie sich nichts mehr, als sich dort zu wärmen.

Die Kerle schubsten sie am Feuer vorbei zu einem der größeren Zelte, das ein brüllender Löwe schmückte. Der Löwe wurde zurückgeschoben und sie bekam einen Stoß.

Sie taumelte ins Zelt und musste die Augen zusammenkneifen. Unzählige Kerzen blendeten sie. Viele waren zu winzigen Stummeln abgebrannt und nur in den Waldboden gesteckt worden. An einem zusammenklappbaren Reisetisch saß ein junger Mann, stützte sein Kinn in die Hände und betrachtete konzentriert ein Schriftstück. Er sah müde auf und seine Augen weiteten sich vor Erstaunen.

»Wir fanden sie am Waldrand, sie lag bewusstlos kopfüber im Schlamm und rührte sich nicht. Was soll mit ihr geschehen?«, fragte der Kerl mit den schwarzen Zähnen.

Der junge Mann musterte sie schmunzelnd und pustete sich eine blonde Haarsträhne aus den Augen.

»Wer hat sie gefunden?«

»Wir gehören zu Gottfrieds Leuten und waren auf Nachtwache.«

Sie wusste nicht, ob es ein guter Tausch war, aber Gottfrieds Mann wurde mit einem Kopfnicken entlassen. Hoffentlich bemerkte der Mann am Tisch nicht, wie kalt und elend sie sich fühlte. Er sollte bloß nicht denken, dass sie vor Angst zitterte.

Ihre Zähne schlugen aufeinander, weil sie so fror. Aus keinem anderen Grund. Sie biss sich auf die Unterlippe und das laute Zähneklappern hörte auf. Dafür zitterten ihr nun die Hände. Sie krallte die Fingernägel in ihre Handballen, legte möglichst viel Gelassenheit in ihren Blick und wartete. Er würde Fragen stellen. Sie konnte fast sehen, wie sich hinter seiner gerunzelten Stirn die Fragen zusammenbrauten. Ein Berg von Fragen, die alle berechtigt waren: Wo kommt Ihr her? Was tut Ihr mitten in der Nacht allein im Wald? Wo sind Eure Leute? Wie lautet Euer Name?

Zu gern hätte sie selbst die Antworten auf alle diese Fragen gewusst.

Der Mann stand nun vor ihr, streckte plötzlich die Hand aus und wollte nach ihrem Mantel greifen. Sie wich erschrocken zurück.

»Gute Qualität«, meinte er, »natürlich müsste man ihn ausbürsten und trocknen.«

Sie wusste zunächst nicht, wovon er sprach, und blickte an sich hinunter. Er sprach über den moosgrünen Wollmantel, der über ihren Schultern lag. Das Ding war schwer und verfilzt und der Saum schleifte auf dem Boden. Der Mantel eines Mannes, dachte sie irritiert. Eine bunte Stickerei schmückte den Stoff. Sie versuchte, sie zu erkennen, und beugte sich darüber, da tropfte das Wasser aus ihren Haaren und eine kleine Pfütze bildete sich zu ihren Füßen.

Ein leises Lachen ließ sie hochfahren.

Er amüsiert sich, dachte sie entrüstet und funkelte ihn zornig an. Sie vergaß, dass er noch keine Fragen gestellt hatte und sie nicht in der Position war, Forderungen zu stellen. Das lag sicher daran, dass ihre Füße in den nassen, dünnen Lederschuhen langsam zu Eisklumpen wurden und ihr Magen sich ganz flau anfühlte.

Was war das überhaupt für ein Kerl? Sie musterte ihn abschätzend. Die schlichte Kleidung schien kostbar und gepflegt zu sein. Er hatte einen Tintenfleck am Kinn und seine blonden Haare waren so zerwühlt, als hätte er sich gerade von seinem Lager erhoben. Und dann dieses unverschämte vergnügte Blitzen in den leuchtend blauen Augen. Nein, der war bestimmt kein vornehmer Herr. Ein Ritter schon gar nicht. Er war irgendein niederer Dienstmann, der hier nachts über den Pergamenten hockte, während sein Herr längst schlief. Er hatte kein Recht, sie so zu behandeln. Was bildete er sich ein? Empört sagte sie: »Ich friere und ich habe Hunger. Was habt Ihr mit mir vor?«

Als sie sah, wie sein Gesicht plötzlich ernst und abweisend wurde, bereute sie ihre Worte. Vielleicht war er doch nicht so unbedeutend?

»Was ich mit Euch vorhabe? Das kommt ... darauf an ...«, antwortete er betont langsam.

War da nicht ein drohender Unterton? O ja, ganz sicher. In Ketten legen, den Wölfen zum Fraß vorwerfen und auspeitschen schienen auf einmal nicht so abwegige Möglichkeiten zu sein. Hätte sie bloß den Mund gehalten! Er sah gar nicht mehr jungenhaft und harmlos aus.

Entschlossen trat er einen Schritt vor. Er stand nun direkt vor ihr und flüsterte: »Es kommt darauf an ... ob Ihr ... mit den Welfen ... oder den Staufern im Bunde steht.«

Was redete er da, von Welfen und Staufern? Sie starrte ihn an und konnte kein Wort herausbringen.

Er ballte die Fäuste und zischte: »Ihr seid mir eine ehrliche Antwort schuldig: Bevorzugt Ihr einen König aus dem Geschlecht der Welfen oder der Staufer?«

Was war das für eine Frage? Sie gehörte eindeutig nicht zu den Fragen, die sie erwartet hatte.

Wieso sollte sie einen König aus irgendeinem Geschlecht bevorzugen? Sie versuchte in sich hineinzuhören, ob der Klang eines der Namen etwas auslöste. Doch da war nichts. Fieberhaft überlegte sie, welche Antwort ihr einen warmen Platz am Feuer und etwas zu essen sichern würde. An die Folgen einer falschen Antwort wollte sie lieber nicht denken. Plötzlich war ihr, als hätten die Welfen ein Löwenwappen und die Staufer einen Adler. Ein Löwe schmückte den Zelteingang. Also war der junge Mann welfentreu. Oder war es umgekehrt? Hatten die Staufer einen Löwen und die Welfen einen Adler? Sie versuchte, Zeit zu gewinnen, und sagte möglichst ruhig: »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht. Ich bin nur eine Dame, die sich im Wald verirrt hat.«

Jedenfalls nahm sie das an. Erinnern konnte sie sich an nichts, so klang es jedoch wunderbar unschuldig und hilflos. Was verstand ein zartes Fräulein von der großen Politik?

Er seufzte, setzte sich auf den kleinen Reisetisch, der sich unter seinem Gewicht bog, verschränkte die Arme vor der Brust und räusperte sich wichtigtuerisch: »Seit dem plötzlichen Tod Kaiser Heinrichs VI. im September kämpfen zwei mächtige, alte Geschlechter um den Thron. Zum einen gibt es das Geschlecht der Staufer, dessen letzter Spross Philipp von Schwaben ist. Er ist der jüngste Bruder des verstorbenen Kaisers Heinrich VI. und viele halten ihn für den rechtmäßigen Thronerben. Aber der Kaiser selbst hatte noch zu Lebzeiten bestimmt, dass sein kleiner Sohn Friedrich sein Nachfolger werden solle. So ist Philipp aufgebrochen, um seinen dreijährigen Neffen Friedrich aus Italien zur Krönung ins Reich zu holen. Doch es gibt eine Gruppe von wahlberechtigten Reichsfürsten, die Philipp selbst und kein kleines Kind als Heinrichs Nachfolger auf den Thron wünschen.«

Hört sich vernünftig an, dachte sie erleichtert. Also: Staufisch. Der blonde junge Mann mit dem Tintenfleck am Kinn ist eindeutig von der staufischen Seite. Doch gerade als sie das gedacht hatte, fuhr er fort: »Zum anderen gibt es aber eine weitere Gruppe von wahlberechtigten Reichsfürsten, die einen Spross der Welfen auf dem Thron wünscht. Die Welfen stehen durch die Heirat Heinrichs des Löwen mit Mathilde, der Tochter König Heinrichs II. von England, in engen verwandtschaftlichen Beziehungen zur englischen Krone. Heinrich der Löwe selbst hatte als Enkel Kaiser Lothars III. einen berechtigten Anspruch auf die Reichskrone und so haben ihn auch seine Söhne. Der ältere ist noch in Syrien auf dem Kreuzzug. Nur sein jüngster Sohn Otto steht als Kandidat für die Königswahl zur Verfügung. Das heißt: Er wird bald zur Verfügung stehen, wenn unsere Reisegruppe ihn sicher nach Braunschweig gebracht hat. Könnt Ihr mir folgen?«

Nein, dachte sie verwirrt. In ihrem Kopf ging alles durcheinander. Nur so viel hatte sie verstanden: Der Mann ihr gegenüber war kein Anhänger der Staufer, sondern ohne Frage welfentreu. Eine Antwort auf die Frage: welfentreu oder Stauferpartei schien nicht mehr von Bedeutung zu sein. Wichtig war nur noch, dass sie seinen Belehrungen folgen konnte. So waren sie, die Männer: Wenn es galt, eine Frau mit ihrem Wissen zu beeindrucken, vergaßen sie alles andere.

Der blonde junge Mann schien in dieser Hinsicht ein besonders eifriges Exemplar zu sein. Er blühte richtig auf. Rote Flecken hatten sich auf seinen Wangen gebildet und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Mit einem verschwörerischen Blick beugte er sich vor und flüsterte: »Ja, Ihr habt richtig gehört – der Sohn Heinrichs des Löwen, Otto von Braunschweig, Herzog von Aquitanien, Graf von Poitou und Neffe von Richard Löwenherz befindet sich in diesem Zeltlager. Nur wenige Zelte entfernt von diesem Reisetisch schläft der angehende König des Reiches. Ihr glaubt mir nicht? Ich führe Euch zu ihm und Ihr könnt durch die Zeltbahn spähen. Dann könnt Ihr ihn sehen. Da er seine Jugend bei seinem Onkel Richard Löwenherz in England verbracht hat, weiß niemand, wie er aussieht. Doch wenn er erst einmal zum König gewählt worden ist, werden seine Gesichtszüge aus dem Dunkel der Geschichte treten. Unsere Reisegruppe, bestehend aus einem angesehenen Reichsfürsten und seinem Sohn sowie aus einer Handvoll Ministerialen, Ritter und Ratgeber vom Hof in Braunschweig, hat Otto aus der Normandie geholt. Eine Gruppe welfentreuer Fürsten gab uns den Auftrag, den jüngsten Sohn Heinrichs des Löwen zur Königswahl ins Reich zu holen. Nun sind es nur noch wenige Tage, bis Otto in Braunschweig sein wird. Glaubt mir, bald kennt jeder im Reich sein Gesicht. Das Gesicht des Königs, und wenn der Papst in Rom ihn erst einmal gekrönt hat: das Gesicht des deutschen Kaisers.«

Seine Stimme überschlug sich bei seinen letzten Worten fast vor Begeisterung und seine Augen hatten einen glasigen Glanz. Er war ganz berauscht von der Wichtigkeit seines Auftrages. Ein günstiger Moment, um Fragen zu stellen, dachte sie, und fragte möglichst harmlos: »Und Ihr? Wer seid Ihr? Der Dienstmann eines Ritters oder ein Ratgeber vom Braunschweiger Hof?«

Bei ihren Worten schien ihm plötzlich einzufallen, dass er schon viel zu viel gesagt hatte. Müde ließ er die Arme sinken und fragte: »Ihr habt Euch also verlaufen?«

»Bei der Heiligen Jungfrau, hab ich das gesagt? Ich erinnere mich gar nicht daran. An gar nichts. Weder an meinen Namen noch an meinen Stand oder meine Familie. Ich bin im Schlamm erwacht, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen bin«, sagte sie kleinlaut und nieste zweimal kurz hintereinander in ihre offene Hand. Dann schniefte sie möglichst mitleiderregend.

Er nahm mit einem Ruck seinen Hintern vom Reisetisch und brachte das Tischchen zum Schwanken. Ein paar Schreibfedern glitten zu Boden und die Kerzen flackerten. Plötzlich kam er ganz nah und sagte spöttisch: »Vielleicht vom Himmel gefallen? Für einen zur Erde gestürzten Engel seht Ihr allerdings reichlich verschnupft aus.«

Sein warmer Atem kitzelte auf ihrer feuchten Wange. Er roch aufdringlich nach Schweiß und Tinte. Ihr wurde ganz schwindelig davon. Vor ihren Augen hob und senkte sich der Stoff seines Gewandes. Die vielen Kerzen bildeten kleine schwankende Lichtpunkte. Der Reisetisch, die Pergamente und die Falten in seinem Gewand gerieten in Bewegung. Sie wandte den Kopf und versuchte, mit ihren Augen das Tintenfass festzuhalten. Es entglitt ihr und wie ein dumpfes Echo hallten die Worte in ihrem Kopf: Aus dem Dunkel der Geschichte – nur wenige Zelte entfernt – ein bedeutender Auftrag – das Gesicht des deutschen Kaisers. So viel Bedeutendes und so viel Männerschweiß auf einmal – das war zu viel. Sie bekam keine Luft mehr und ihr wurde schwarz vor Augen.

Als sie wieder zu sich kam, waren seine blauen Augen direkt über ihr. Er hielt ihr einen silbernen Becher vor den Mund und sie schmeckte einen hervorragenden Rotwein.

»Lombardei ... mindestens fünfzehn Jahre alt«, brachte sie zwischen den Schlucken hervor.

»Der Beste, den Ihr hier bekommen könnt. Ich hoffe, er hat Euch Eure Erinnerungen wiedergebracht.« Er klang nun freundlicher.

»Meine Zunge erinnert sich.«

In Gedanken fügte sie hinzu: Seine Kleidung ist aus gutem flandrischen Leinentuch. Die Stickerei auf dem Gürtel sieht französisch aus, vielleicht eine Arbeit aus der Provence? Doch woher wusste sie all diese Dinge?

Er strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Becher.

»Bevor es Morgen wird, solltet Ihr Euch besser auch an alles andere erinnern. Ich halte nichts von den üblichen Methoden, jemanden zum Reden zu bringen. Doch die Ritter sind vielleicht anderer Meinung. Der reibungslose Ablauf unserer Reise ist von großer Wichtigkeit. Die Herren werden Euch verdächtig finden.«

»Weshalb?«

»Weil Ihr etwas über die Kölner wissen könntet, die wir hier seit zwei Tagen erwarten. Die edlen Herren in unserer Reisegesellschaft werden langsam ungeduldig. Otto versichert ihnen zwar immer wieder, dass sein Onkel aus England große Mengen Silber schicken wird, doch die Herren wollen sichergehen, immerhin geht es um die zukünftigen Geschicke des Reiches und der Weg aus England ist lang. Wer weiß, wann das englische Silber im Reich eintrifft.

Seht nicht so verwirrt drein! Es ist doch ganz einfach: Die Kölner Kaufleute haben einen Teil des Stadtschatzes und einen großen Betrag Silber versprochen, um Ottos Wahl voranzutreiben. Sie rechnen sich Handelsvorteile mit England aus, wenn sie einen von England gewünschten König unterstützen. Solange das englische Silber noch nicht da ist, ist das Kölner Silber sehr wichtig. Wir benötigen es, um die noch zögernden Reichsfürsten so schnell wie möglich durch Geldgeschenke zu überzeugen. Einem großzügigen Mann sind sie zu Dank verpflichtet und geben ihm ihre Stimme bei der Wahl. Denkt nach! Wisst Ihr etwas über das Kölner Silber?«

»Warum sollte ich etwas darüber wissen?«

»Weil Eure Sprache rheinländisch klingt. Außerdem könnte das Wappen auf Eurem Mantel das Zeichen eines Kölner Kaufmannes sein. Jeder zu Geld gekommene Mann denkt, er könne sich mit einem Wappen schmücken, wie es nur den Rittern ansteht.«

Mit einer verächtlichen Handbewegung wies er auf die Stickerei auf ihrem Mantel.

Erschrocken starrte sie auf das kleinen Wappen. Etwas unbeholfen hatte jemand eine kleines Schiff gestickt, über dem ein Eber zum Sprung ansetzte. Das plumpe Tier hatte so etwas wie ein Weinblatt im Mund. Sie tastete mit zitternden Fingern über die Stickerei und war sich plötzlich sicher, dass sie dieses Zeichen schon oft gesehen hatte. Vor ihrem inneren Auge tauchte der springende Eber über dem kleinen Schiff auf Kacheln, Kissen, Pergamenten und Fässern auf. Er hat recht, dachte sie erschrocken, sie musste etwas mit den Kölnern zu tun haben. Wenn sie sich doch nur daran erinnern könnte. Es war auf alle Fälle sicherer, so zu tun, als sei ihr das Kaufmannswappen völlig fremd.

»Ich habe diese Zeichen noch nie zuvor gesehen.«

Er seufzte, stellte den Becher ab und bot ihr seinen Arm an, um sie hochzuziehen. Ihre schmutzigen Finger hinterließen schwarze Flecken auf seinem wertvollen Gewand. Er sah sie ernst und besorgt an: »Ihr müsst morgen früh Antworten haben. Denkt an die Ritter! Sie sind ungeduldig und schlecht gelaunt. Herzog Otto am allermeisten. Nehmt Euch in Acht. Doch heute Nacht seid Ihr mein Gast. Ihr habt meinem schmerzenden Kopf eine Pause verschafft. Dafür bin ich dankbar. Ich rufe Arno. Er soll Euch ins Proviantzelt zu Martha bringen. Sie wird Euch etwas Trockenes und Standesgemäßes zum Anziehen suchen.«

Bald darauf erschien ein etwa zwölfjähriger Junge mit wachen, interessierten Augen. Er nahm aufmerksam die geflüsterten Anweisungen seines Herrn entgegen und führte sie zielstrebig über den dunklen Platz. Sie bemühte sich, Schritt zu halten, und fragte keuchend: »Wieso bist du um diese Zeit so munter, gehörst du nicht längst ins Bett?«

Der Junge grinste fröhlich und antwortete: »Ich schlafe im Vorzelt meines Herrn und bin immer sofort zur Stelle, wenn er mich braucht.«

»Soso, immer sofort zur Stelle«, murmelte sie und betrat ein großes Zelt, in dem sich Truhen, Kisten und Säcke unordentlich stapelten.

Aus einer geöffneten Truhe quollen gelbe Stoffbahnen und überall waren Zwiebeln verstreut. Fleckige Äpfel lagerten in Körben und krumme Würste ringelten sich um ein Brett. Jemand hatte eine angefangene Näharbeit auf einen umgestürzten dreibeinigen Topf gelegt und vergessen. Ein Körbchen mit Nüssen stand daneben und leere Nussschalen hatten sich in der Wolle verfangen.

Der Anblick kam ihr tröstlich und vertraut vor.

Der Junge verschwand in diesem Gewühl und rief: »Martha, wach auf! Ich bringe eine fremde Dame.«

Eine knurrige, verschlafene Stimme antwortete etwas Unverständliches und kurz darauf erschien eine dicke, kleine Frau.

»Beim Allmächtigen!«, sagte sie entsetzt und schien plötzlich hellwach zu sein. »Ihr werdet Euch den Tod holen in diesem nassen Zeug. Ich suche Euch ein passendes Kleid.«

Sie wühlte in einer Truhe und holte ein Unterkleid mit langen, trichterförmigen Ärmeln und ein blaues Überkleid mit Schleppe hervor. »Das wird doch in Ordnung sein?«, fragte sie unsicher. Es schien eher ein Sonntagskleid zu sein und hatte ganz offensichtlich schon bessere Tage gesehen.

Arno zuckte mit den Schultern und schielte nach dem Korb mit den Äpfeln.

»Nimm dir einen und dann ab ins Bett mit dir.«

Arno griff sich den schönsten Apfel, rief »Danke, Martha!« und verschwand.

Martha setzte sich auf die große Truhe und musterte die Unbekannte neugierig aus kleinen, runden Augen.

Es war nicht angenehm, so angesehen zu werden. Tropfnass und mit wirren Haaren wurde niemand gern einer Prüfung unterzogen. Sie knetete ihre kalten, schmutzigen Hände. Was wurde nun von ihr erwartet? Sie tastete nach der silbernen Spange, die ihren Gürtel zusammenhielt. Sie konnte sich nicht erinnern, die Spange mit den ineinander verschlungenen Schlangen jemals zuvor geöffnet zu haben. Sie löste die silbernen Schlangen und bei der Bewegung rutschte ihr der Mantel von der Schulter. Die dicke Frau sprang auf, um ihn aufzuheben, und winkte sie zu einer kleinen Feuerstelle.

»Ich bin Martha, die Quartiermeisterin, Köchin, Ratgeberin und Ersatzmutter des jungen Herrn«, verkündete die Frau und begann, geschäftig im Zelt herumzulaufen. Sie nahm einen Topf vom Feuer, goss heißes Wasser auf eine Schale mit Kräutern und schnitt Brot und Schinken ab. Warme Decken häufte sie zu einem Lager am Feuer zusammen.

Jeder würde sich inmitten so vieler Annehmlichkeiten wohlfühlen, dachte die junge Frau müde und zufrieden. Die wohlige Wärme am Feuer drang langsam durch ihre feuchten Kleider. Das eng geschnittene Oberteil klebte an ihr wie eine zweite Haut. Die Schnürungen an den Seiten scheuerten unangenehm. Die trockenen Kleider, die weit geschnitten schienen und keine Schnürungen besaßen, lagen neben ihr. Sie legte die schöne Schlangenspange daneben und betrachtete sie nachdenklich. Woher hatte sie diese Gürtelspange? Wenn die Schlangen doch sprechen könnten. Sie könnten ihr sicher sagen, wie sie hieß und wie sie in diesen Wald gekommen war. Marthas tiefe Stimme unterbrach ihre Gedanken.

»Ihr müsst mir nicht sagen, wer Ihr seid. Wenn er Euch zu mir schickt und nicht zu Raimund von der Heide, dann werdet Ihr ihm gefallen haben. Seine Freunde sind auch die Meinigen«, fuhr Martha herzlich fort und reichte ihr einen Becher mit dampfendem Kräutertee.

Sie nahm vorsichtig den heißen Becher. Während sie darauf achtete, dass sie nichts verkleckerte, fragte sie: »Wer ist Raimund von der Heide?«

Martha sah sie erstaunt von der Seite an und rief: »Ihr kennt die von der Heides nicht? Sie sind eine angesehene Familie und stimmberechtigte Fürsten bei der Königswahl. Raimund von der Heide war der Anführer unserer Reisegruppe, bis der andere kam.«

Letzteres sagte sie etwas mürrisch. Die junge Dame pustete den heißen Dampf von ihrem Tee und fragte: »Der andere? Meinst du Herzog Otto, den Welfensohn, den sie aus der Normandie geholt haben, um ihn nach Braunschweig zu bringen? Der Welfe, der von den Reichsfürsten zum König gewählt werden soll?«

»Da wisst Ihr mehr als ich. Ich weiß nur, dass der englische Lord alles durcheinanderbringt! Versteht ja kaum Deutsch und scheucht uns mit seinen seltsamen Sitten und Vorlieben Tag und Nacht durchs Lager. Gott sei unserem Reich gnädig!«

Martha hatte anscheinend ihre eigenen Ansichten zu Otto und die junge Frau beschloss, lieber den Mund zu halten. Sie trank vorsichtig einen Schluck Kräutertee. Er schmeckte nach feuchtem Stroh und bitteren Nüssen. Getrocknete Blätter und Stängel schwammen darin herum, sodass sie sich fast verschluckt hätte, doch er wärmte angenehm und beruhigte ihren Magen. Versöhnlich sagte sie: »Du bist so freundlich. Ich würde gern meine Geschichte erzählen. Doch ich kenne sie selbst nicht. Sie haben mich ohne Erinnerung aus dem Schlamm gezogen.«

»Jesus Christus, erbarme dich. Die Welt wird immer verrückter. Der Schlaf ist der beste Vater der Erinnerungen. Im Traum erscheint uns das Vergangene und die Zukunft wird uns gewiesen. Schlaft erst mal, morgen früh werdet Ihr Euch erinnern.«

Martha stellte den Teller mit dem Brot und dem Schinken neben den Haufen Decken, den sie für ihren Gast am Feuer bereitgelegt hatte. Dann zog sie sich in eine dunkle Ecke auf ihr Lager zurück. Bald waren nur noch ihre gleichmäßigen Atemzüge zu hören.

Die junge Frau wischte sich, so gut es ging, ihre immer noch eiskalten Hände am nassen Rock ab und versuchte dann, die Schnüre zu lösen. Es dauerte eine Ewigkeit, und als sie endlich aus den nassen Kleidern schlüpfen konnte, entdeckte sie etwas Hartes im viel zu breiten Rocksaum. Sie begann mit zittrigen Fingern, die mit groben Stichen genähte Naht aufzutrennen. Mit großem Erstaunen zog sie einen schweren Lederbeutel hervor und schüttelte seinen Inhalt in ihren Schoß.

Ein großer Haufen Silbermünzen glänzte im Feuerschein.

Wie schön, dachte sie wie verzaubert von dem überraschenden Anblick. Sie nahm eine Münze in die Hand und betrachtete sie genauer. Ein schlanker Löwe war von lateinischen Buchstaben eingerahmt. Den Namen der Stadt Venedig konnte sie entziffern. Das half ihr allerdings auch nicht weiter. Sie hatte diese Prägung schon oft gesehen, jedoch nicht auf so vielen Münzen auf einmal. Die würden sicherlich ausreichen, um eine ganze Schar von Rittern für den Kreuzzug auszurüsten, mit glänzenden Schwertern und prächtigen Kettenhemden. Sie konnte die Ritter vor sich sehen, wie sie einen Hügel emporstürmten. Wütende Ritter mit Schwertern auf der Suche nach Beute, auf der Suche nach Silber! Sie kam wieder zu sich. Das Silber funkelte und sein Glanz kam ihr gefährlich und bedrohlich vor.

Manch einer würde schon für eine von diesen Silbermünzen töten. Was hatte der junge, blonde Mann mit dem Tintenklecks am Kinn noch erklärt? Sie warteten auf das Bestechungssilber für die noch zögernden Reichsfürsten. Silber der Kölner Kaufleute, um den Welfen Otto auf den Thron zu bringen. Vor ihr lag offensichtlich das Kölner Bestechungssilber, das Königsmachersilber. Heilige Margareta, steh mir bei, flehte sie und strich über den noch feuchten Stoff ihres Kleides. Welche Hände hatten es dort eingenäht? Ihre eigenen?

Nehmt Euch in Acht, hatte der junge Mann gesagt. Er hatte recht. Es ging immerhin um eine Königswahl. Von dem Silber in ihrem Saum hingen also die Geschicke des Reiches ab. Bei dem Gedanken bildete der Kräutertee in ihrem Magen einen scharfen Sud, der ihre Kehle hinaufkam. Sie musste ein paar Mal heftig schlucken. Ihr Herz raste und mit zitternden Händen füllte und verschnürte sie den Beutel wieder.

Mit dem Schlangengürtel befestigte sie den Schatz an ihrem Körper und zog das Überkleid darüber. Sie vergrub sich in die Decken am Feuer und versuchte zu schlafen. Doch ihre Gedanken hetzten von einer Richtung in die andere. Bilder jagten durch ihren Kopf. Die Buchstaben der Münzen tanzten vor ihren Augen und der Löwe riss sein Maul auf. Er wurde zu dem großen Löwen auf der Zeltbahn und sprang ihr entgegen. Der Löwe hatte plötzlich die klugen, blauen Augen des jungen Mannes. Er fauchte sie an und überall flackerten Kerzen. Endlich versank sie in einen unruhigen, traumschweren Schlaf.

März 1198, auf der Burg Trifels

Weiter im Süden des Reiches war am nächsten Morgen ein fahrender Sänger unterwegs. Er war noch unschlüssig, welchen Weg er einschlagen sollte. Zögernd stand er an einer Weggabelung. Der eine Weg führte direkt zur Burg Trifels hinauf, der andere zu einer kleinen Handwerkersiedlung zu ihren Füßen. Ehrfürchtig schaute er zu der mächtigsten Burg auf, die er je gesehen hatte: Die dicken, grauen Türme ragten drohend in den leuchtend blauen Himmel hinein; die Zinnen spießten ein paar zerfetzte Federwolken auf. Trifels war eine riesige Festung und mit Sicherheit kein Ort, der einen Dichter zu fröhlichen Gesängen inspirierte. Diese Mauern sollten Heere abschrecken und Feinde einschüchtern. Richard Löwenherz war in dieser staufischen Burg gefangen gehalten worden. Der junge Sänger schauderte, wenn er an die dunklen Kerker dachte. Es war sicher nicht klug, den Türwächter zu belästigen. Vernünftiger wäre es, sich erst einmal in der Siedlung umzuhören. Doch er hatte versprochen, der Schwester seines letzten Herrn eine Nachricht zu bringen.

Er war kein guter Herr gewesen. Ein geiziger Mann, der ihn nach einem Winter voller Lieder und Dichtung nur mit einem schäbigen Mantel entlohnt hatte. Die zerfallene Burg mit den krummen Bretterverschlägen würde nächsten Winter einen anderen Sänger beherbergen. Sollte sich ein anderer in den schlecht geheizten Sälen die Füße abfrieren. Er hatte sich geschworen, den nächsten Winter an einem großen Hof zu verbringen.

Der junge Sänger warf sich seine Laute über den Rücken und schlug den Weg zur Burg ein. Wenn er schon eine Nachricht für eine Dame hatte, dann wollte er zusehen, dass sie ihm im Gegenzug einen Platz bei Hofe beschaffte. Er würde in den Dienst des Herzogs Philipp von Schwaben treten. Jeder sprach davon, dass der Bruder des verstorbenen Stauferkaisers nach Italien aufgebrochen war, um seinen kleinen Neffen zur Krönung zu holen. Wenn der kleine Friedrich erst Kaiser wäre, würde die ganze Macht in der Hand der Staufer liegen. Es war also klug, sich in ihren Dienst zu stellen. Sicher hielt sich die Herzogin in der Burg auf, und wenn ihr Gemahl in Sizilien war, würde sie die musikalische Zerstreuung begrüßen. Hier würde es bestimmt reichen Lohn geben, vielleicht mit Gold bestickte Kleider und sogar Schnabelschuhe.

Nach dem steilen Anstieg überquerte der Sänger die knarrende Zugbrücke und klopfte an ein riesiges Tor. Das Mannloch wurde geöffnet und ein einäugiger Torwächter musterte ihn abfällig. Der Einäugige kniff sein gesundes Auge zu einem winzigen Schlitz zusammen und knurrte: »Jeder, der in die Festung will, muss sich durchsuchen lassen. Auch so eine Filzlaus wie du! Anordnung seit dem Tode des Kaisers!«

Der junge Sänger presste seine Laute an sich und brachte kein Wort heraus. Der Torwächter geriet in Wut und brüllte: »Guck nicht so blöde. Denkst du, wir lassen einen Meuchelmörder zum Herzog? Staufisches Blut ist kostbar geworden. Was willst du auf der Burg? Eh, bist ein Welfenschwein. Seh ich dir doch an. Schicken die abtrünnigen Reichsfürsten und das Kölner Kaufmannspack schon ihre Spione zum Herzog?«

»Ist der Herzog nicht schon fort? Nach Italien aufgebrochen?«

Er hätte lieber den Mund halten sollen, denn nun verlor der Einäugige die Geduld.

»So, hab ich’s doch gewusst! Ein Spion ist er! Hej, hier ist wieder einer, der unsere schöne Festung von innen kennenlernen will. Wie gefiele dir der Kerker, in dem Richard Löwenherz gesessen hat, häh? Auf englische Speichellecker wie dich haben wir gerade noch gewartet. Alles englisches Gesindel, die Welfenkriecher. Pack ihn, den Welfenlecker!«

Der Soldat, der nun aus dem Torhaus trat, hatte Arme wie Baumstämme. Hände wie Löwenpranken bohrten sich in die Schultern des jungen Mannes. Die Laute polterte zu Boden und gab einen Klagelaut von sich.

»Nein! Lasst mich los! Es ist ein Irrtum. Ich bin Herzog Philipp treu ergeben! Gott schütze die Staufer. So glaubt mir doch, ich bin nur ein Fahrender. Will einer Dame ein Ständchen bringen. Lasst mich zu ihr.«

Beide Wachsoldaten lachten amüsiert. Der Mann mit den Riesenhänden stieß den Gefangenen vor sich her und beachtete seine Proteste gar nicht. Eine Treppe führte in ein schwarzes Loch. Mit jeder steilen Stufe, die sie hinunterstiegen, wurde es kälter. Der junge Sänger machte noch einen letzten verzweifelten Versuch. Er warf sich herum und schrie: »Meine Laute! Geb mir meine Laute wieder.«

Da raste eine Faust auf ihn zu und eisige Kälte umfing ihn.

In der Festung ahnte die junge Dame nichts von den Ereignissen am Tor. Sie ahnte auch nichts von der Nachricht ihres Bruders. Erst recht ahnte sie nichts von den Welfen, die den Staufern im Ringen um die Krone zuvorkommen wollten. Sie schlief.

Dame Johanna schlief gern und oft. Normalerweise wagte es niemand, ihren Schlaf auf einer der gepolsterten Fensterbänke oder am Kamin zu stören. Sie war eine zierliche Frau und schlafend sah sie noch zerbrechlicher aus. Das hellbraune Haar lag in Wellen um das blasse Gesicht und ihre langen Wimpern zitterten ganz leicht. Dame Gieselberta hatte heute jedoch kein Gespür für diesen wundervollen Anblick. Sie stürzte rücksichtslos ins Schlafgemach und rüttelte und schüttelte Johanna nicht gerade sanft.

Johanna zog sich ihr Schaffell über den Kopf und versuchte verzweifelt, sich unsichtbar zu machen.

Vor Dame Gieselberta gab es kein Entkommen. Sie konnte sehr hartnäckig sein, wenn sie einen Skandal witterte. Das Fell wurde zur Seite gezogen und ein Riesenbusen schwebte über Johanna. Gieselberta war außer Atem und ihre Fleischmassen wogten auf und ab.

»Dame Johanna, da sitzt ein Mann in Richards Kerker! Ihr müsst sofort kommen.«

Johanna zog sich das Fell wieder über und murmelte müde: »Was geht mich das an? Ständig werfen sie irgendeinen armen Wurm ins Verlies. Was hat der Kerl getan? Den Einäugigen beleidigt?«

Johanna sehnte sich danach, die Augen zumachen zu können und zu schlafen. Schlaf erschien ihr im Moment das Kostbarste auf der Welt zu sein. Sie hatte die ganze Nacht am Bett der kranken Maria gesessen. Kranke Kinder konnten sehr anstrengend sein. Kranke Herzogstöchter, die erst zwei Jahre alt waren, im Besonderen.

Gieselberta schnaufte empört: »Habt Ihr mich nicht gehört? Ihr müsst sofort kommen. Erst haben sie am Tor gedacht, er sei ein Spion der Welfen. Doch der Fremde behauptet, er hätte eine Botschaft für Euch!« Mit einem Mal war Johanna hellwach. Sie setzte sich im Bett auf und starrte in das breite, glänzende Gesicht. Gieselberta faltete triumphierend die Hände vor ihrem Bauch. Sie genoss es sichtlich, nun ihre volle Aufmerksamkeit zu haben, und fuhr fort: »Sie haben ihn übel zugerichtet, den armen Kerl. Er schreit so laut Euren Namen, dass der Einäugige nicht einmal sein Frühstück zu sich nehmen kann.«

Johanna sprang aus dem Bett, schlüpfte in ihre Schuhe und suchte nach ihrem Unterkleid. Während sie es ungeduldig über ihren Kopf zerrte, rasten ihre Gedanken. Eine Botschaft für sie! Sie wollte zur Tür, doch Gieselbertas Blick ließ sie innehalten.

»Wollt Ihr wirklich so unter die Soldaten?«, fragte die dicke Hofdame entsetzt.

Johanna griff nach ihrem Gebände, das sie eigentlich nur sonntags trug. Sittsam band sie die langen weißen Bänder um ihr Kinn und warf sich noch ihren dicken Wollmantel über. Gieselbertas Doppelkinn waberte missbilligend hin und her, sie rührte sich jedoch nicht vom Fleck. Gieselberta war offensichtlich zu erschöpft, um den Weg über den Burghof ein zweites Mal zurückzulegen. Johanna verzichtete nur zu gern auf ihre Begleitung, obwohl Sitte und Anstand es erfordert hätten, die sie sonst streng beachtete. Wenn eine junge Frau nichts anderes besaß als ihren tadellosen Ruf, dann sollte sie ihn verteidigen wie eine Löwin ihr Junges. Doch nun war sie zu abgelenkt. Ihre Gedanken kreisten um die Botschaft. Sie hatte so lange auf Nachricht gewartet, dass sie nun keinen Augenblick verlieren wollte.

Johanna verließ die beheizte Kemenate und überquerte hastig den belebten Burghof. Beinahe wäre sie mit einer Magd zusammengestoßen, die ein dampfendes Tablett balancierte, und nur mit Mühe konnte sie dem singenden Hofkaplan ausweichen. Sie flog fast die steile Treppe zum Kerker hinunter und kam erst im Wachraum zum Stehen. Nach Atem ringend, blickte sie sich um.

Sie war schillernde Wandteppiche, dicke Kissen und glänzende Leuchter gewöhnt. In ihrem Schlafgemach roch es nach Bienenwachs und Rosenöl. Der Vorraum zum Kerker war ein dämmeriges Loch, in dem es nach Urin und Erbrochenem stank. Ein paar Fackeln steckten in den Wandhaltern, sonst gab es kein Feuer. Die Kälte kroch unter Johannas Wollmantel und stach unter ihren dünnen Schuhsohlen. Ihre Augen wanderten über die feuchten Wände und glitten über Blutflecke und Kotspuren hinweg. Schließlich blieben sie an den drei Wachsoldaten hängen. Sie lehnten an der fleckigen Wand und grinsten anzüglich.

Niemand hatte das Recht, sie so anzusehen. Wer sie entehrte, entehrte ihre Herrin! Stolz reckte sie ihr Kinn in die Luft und sah den Einäugigen tadelnd an. »Wo ist der Mann? Ich will ihn sofort sprechen!«

Der Einäugige war sichtlich beeindruckt. So einen Ton hatte er ihr wohl nicht zugetraut. Er murmelte: »Sofort, hohe Dame, sofort!«, und verschwand eilig in dem dunklen Gang.

Seine Männer musterten sie schweigend. Der Bullige rollte langsam seine Zungenspitze ein und aus. Johanna hatte noch nie gesehen, dass jemand dieses Kunststück beherrschte und sah ihm fasziniert zu. Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Hätte es sich nicht um so etwas Wichtiges gehandelt, dann wäre sie davongelaufen. Doch die Nachricht konnte ihr Leben verändern.

Als der Einäugige endlich zurückkam, stieß er einen dreckigen, nackten Mann vor sich her. Der junge Mann blinzelte verwirrt und hielt sich schützend die Hände vor den Unterleib. Sein Gesicht war völlig zerschunden.

»Wir brauchen auch ab und zu unseren Spaß«, erklärte der Einäugige entschuldigend und der große Kerl wackelte bestätigend mit der Zunge.

»Dem Herzog wird das nicht gefallen. Er ist ein gerechter Mann und duldet keine Gewalttaten. Wo ist seine Kleidung?«, fragte Johanna aufgebracht. Sie drehte den Kopf zur Seite, um den blau gefrorenen, zitternden Nackten nicht mehr ansehen zu müssen.

Der Einäugige wühlte in einem Haufen Lumpen und zog gestreifte Beinlinge, einen abgewetzten Mantel und ein zweifarbiges Gewand heraus, wie es nur Fahrende und Spielleute tragen. Beides warf er dem Gefangenen vor die Füße. Johanna sah aus den Augenwinkeln, wie der Nackte sich zitternd danach bückte. Er wisperte kaum hörbar: »Mein Gürtel? Meine Laute?«

Der Einäugige warf ihm den Gürtel und das Instrument vor die Füße und sah abschätzig zu, wie der Mann sich anzog. Erst als der Fahrende vollständig gekleidet vor ihr stand, richtete Johanna das Wort an ihn: »Ich bin Dame Johanna. Schickt Euch mein Bruder? Habt Ihr eine Nachricht für mich?«

Der junge Mann tastete in seiner Gürteltasche und rief erschrocken: »Sie ist fort! Die kleine Briefrolle, die ich Euch geben soll, sie ist nicht mehr da!«

Johanna sah den Einäugigen fragend an, doch der zuckte nur mit den Schultern und knurrte: »Sie muss verloren gegangen sein. Ich kann mich nicht um jeden Kleinkram kümmern.«

Eine Botschaft, die ihr Leben verändern würde, nannte der Kerl Kleinkram! Johanna funkelte ihn wütend an. Der Einäugige hob abwehrend die Hände und sagte etwas freundlicher: »Ich habe verstanden. Ich werde sie suchen müssen.«

Der Zungenakrobat ließ seine Zunge in den Mund zurückschnellen. Johanna nickte und winkte dem Boten ihres Bruders, ihr zu folgen.

Der Fahrende war noch etwas wackelig auf den Beinen. Die Treppe strengte ihn sichtlich an. Johanna war zwischen den Regeln des Anstands und dem Bedürfnis, ihm zu helfen, hin- und hergerissen. Doch keuchend und japsend schaffte er es schließlich allein die Treppe hinauf.

Über dem Burgplatz wehte ein frischer Wind. Johanna atmete erleichtert auf. Obwohl Wolken aufgezogen waren, erschien ihr hier oben alles herrlich hell und sauber. Die Sonnenstrahlen brachen durch die Wolkendecke und spiegelten sich auf den blank gelaufenen Steinen. Ein mit Kesseln und Körben behängter Wagen polterte vorbei. Ein Trupp Soldaten mit Köcher und Bogen folgte seinem Waffenmeister über den Platz.

Plötzlich umringte eine lärmende Kinderschar den Sänger. Sie schrien und lachten und zeigten auffordernd auf seine Laute. Er lächelte müde und hob abwehrend die Hände, doch sie krallten sich an sein Gewand und zerrten an den Bändern seiner Laute. Erst nachdem er versprochen hatte, ein Lied für sie zu singen, ließen sie von ihm ab. Bei den ersten Klängen klatschten und hüpften die verdreckten Kinder. Der Sänger musterte sie schmunzelnd, dann begann er zu singen.

Johanna beobachtete erstaunt, wie der ganze Kerker mit den ersten Tönen von ihm abzufallen schien. Der junge Mann trug noch die Spuren der groben Misshandlung im Gesicht, doch seine Augen blitzten fröhlich. Es war ein kurzes, lustiges Lied über einen verzauberten Froschteich und die Kinder quakten an den passenden Stellen mit. Beim letzten Quak schlug der Sänger mit der Hand auf die Saiten und rief: »Nun lasst mich mit der Dame allein, dann sing ich heute Abend für euch im Kräutergarten.«

Die Kinder jubelten und waren genauso schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren.

»Es tut mir leid. Überall, wo ich hinkomme, rennen mir die Kinder nach und betteln um ein Lied.«

»Es war sehr hübsch.« Johanna wollte jedoch nicht über Froschlieder reden, sie wollte alles über ihren Bruder erfahren, und so sagte sie schnell: »Wart Ihr den Winter über bei meinem Bruder? Wie geht es ihm?«

»Eurem Bruder geht es gut. Diesen Mantel hat er mir zum Dank für meine Lieder geschenkt. Der Frühling kommt, es gibt viel Arbeit auf der Burg. Niemand braucht Unterhaltung. Nur die Botschaft, die wollte ich Euch bringen. Konrad, hab ich mir gesagt, das ist ein Zeichen des Allmächtigen. Gott will, dass du beim Herzog Philipp von Schwaben vorsingst. Leider haben die Torwächter das anders gesehen.«

Johanna hörte schon nicht mehr richtig zu. Sie konnte an nichts anderes als an die Briefrolle denken. Was hatte ihr Bruder geantwortet? Vielleicht war er gar nicht mehr so geizig? Immerhin hatte er diesen Konrad großzügig mit einem Mantel beschenkt. Johanna sah sich den Mantel genauer an und erkannte darin das schäbige Ding, das der Stallmeister ihres Vaters getragen hatte. Er war so alt, dass er mit Flicken und Flecken übersät war. Das war ein schlechtes Zeichen. Niemals würde ihr Bruder ihrer Bitte nachkommen, wenn er seinen Sänger so schlecht entlohnte. Sie war sich gar nicht mehr sicher, ob sie sich über die Nachricht freuen würde. Doch solange der Einäugige die Briefrolle nicht fand, konnte sie noch hoffen.

März 1198, einige Tagesreisen vor Braunschweig

Im Zeltlager wurde seit dem frühen Morgen alles für die Weiterreise vorbereitet. Es herrschte ein wohldurchdachtes Durcheinander. Jeder wusste, was er zu tun hatte, und jeder Handgriff saß. Die Mägde, Knappen, Soldaten und Schreiber waren das viele Reisen gewohnt. Alle waren es leid, bei regnerischem und kühlem Wetter im Wald zu lagern und auf irgendwelche Gesandten zu warten. Nach ein paar lautstarken Auseinandersetzungen am frühen Morgen, während derer jeder auf Zehenspitzen um das prächtige Zelt von Herzog Otto herumgeschlichen war, ging es nun endlich weiter. Keiner hatte verstanden, worüber sich die edlen Herren so aufregten. Mehrmals waren die Worte Überfall und Verrat durch die dünnen Zeltbahnen gedrungen. Den eigentlichen Grund für den plötzlichen Aufbruch wollten die Mägde und Knappen jedoch gar nicht wissen. Sie freuten sich auf die große Stadt mit all ihren Vergnügungen. Es war die Stadt Heinrichs des Löwen, der zu Lebzeiten dafür gesorgt hatte, dass sie besaß, was eine prächtige Stadt ausmachte: eine mächtige Stadtmauer, eine herrliche Burg, einen fast fertigen Dom und nicht zu vergessen Handwerkersiedlungen, Wirtshäuser und Marktplätze. Beim Gedanken an die Wirtshäuser summten die Knechte beim Zusammenlegen der Zeltbahnen vor sich hin und die Mägde träumten beim Wasserholen am Bach von den bunten Waren der Straßenhändler.

Martha freute sich auf ihre Cousine Wiltrudis, die in der Burgküche unentbehrlich war. Sie kannte wundervolle Gerichte und beim Gedanken an ihre Salbeitorte lief Martha das Wasser im Mund zusammen.

Davon angespornt, begann sie noch emsiger, die Truhen zu packen und Bündel zu schnüren. Arno half ihr mit gelangweiltem Gesicht. Er kannte niemanden in der Stadt und konnte Reisevorbereitungen nicht ausstehen. Martha wusste das und versuchte, ihn aufzuheitern.

Sie flüsterte dabei, um die Schlafende nicht zu wecken. Obwohl im ganzen Lager Aufbruchstimmung herrschte, rührte sich die junge Dame nicht.

Die lag mit geschlossenen Augen da und gab vor zu schlafen. Martha und Arno sprachen offensichtlich über sie und sie bemühte sich, gleichmäßig zu atmen.

»Nein, sie muss von Adel sein. Ein Kleid, das so eng anliegt, und dieser weite Rock! Nur den edlen Herrschaften ist so unpraktisches Zeug erlaubt. Und hast du nicht ihre zarten Hände gesehen?«, hörte sie Martha flüstern.

»Die hat noch nie in ihrem Leben hart gearbeitet. Warum spricht sie so komisch? Viel zu laut. Damen benehmen sich anders. Sie macht außerdem viel zu große Schritte, fast wie ein Mann«, widersprach Arno.

»Gegessen hat sie jedenfalls so gesittet wie eine Frau. Nicht so geschlungen, wie du das immer tust.«

»Ich hab halt immer Hunger. Jetzt isst sie auch noch die Vorräte weg. Denkst du, sie kann bezahlen? Oder bist du wieder mildtätig?«, versuchte er sie zu provozieren.

»Es wird schon nützlich sein, sie durchzufüttern, wenn er es so bestimmt hat«, antwortete Martha gleichmütig.

»Er ist auf ihr hübsches Gesicht hereingefallen und auf ihr helles Haar. Dabei trägt sie noch nicht einmal ein ordentliches Gebände um den Kopf. Was für eine Sorte Frau soll das schon sein?«

Die Lauscherin zuckte zusammen und musste das Verlangen niederkämpfen, aufzuspringen und sich zu verteidigen.

Martha zischte: »Was versteht so ein rohes Ei wie du schon davon. Machst dir zu viele Gedanken für dein junges Alter.« Sie war so aufgebracht, dass ihr der Deckel der Truhe aus der Hand rutschte und mit einem lautem Knall zuschlug.

Nun konnte niemand mehr vorgeben zu schlafen. Die Dame streckte die Arme in die Luft und gähnte herzhaft.

»Jetzt hast du unsere Schöne geweckt. Na, dann gib ihr was zu tun für ihre zarten Hände. Ich muss zum Herrn«, wisperte Arno und lief hinaus.

Martha beobachtete, wie sich die junge Dame reckte, dann füllte sie eine Holzschale mit Wasser aus einem Krug. Die Dame tauchte einen Zipfel ihrer Decke hinein und wischte sich damit über die Augen. Während sie sich das Überkleid auszog, um nun auch das Unterkleid darunter zu tragen, tastete sie unauffällig nach dem Silberbeutel. Ja, er saß noch fest am Gürtel und fühlte sich genauso schwer an wie gestern Nacht.

Martha reichte ihr mit der Aufforderung »Hundert Striche für hundert Heilige!« einen groben Kamm.

Beim Kämmen der langen Strähnen ging der Dame das belauschte Gespräch durch den Kopf. Was hatte der junge Arno gegen sie? Machte sie ein fehlendes Gebände zu einer unsittlichen Frau? Wieso trug sie nur einen Silberreif im Haar und kein Gebände? Wage konnte sie sich an das Gefühl unter dem Kinn erinnern, wenn es zu stramm gebunden war. Ihr fiel plötzlich ein, dass sie einen wertvollen Kamm aus Walrosszahn besessen hatte. Er hatte sehr kleine Zinken und war ständig hängen geblieben. Wo war dieser Kamm nun? Nachdenklich starrte sie auf Marthas einfachen Holzkamm und stellte sich vor, wie ihr Kamm in irgendeinem Schmuckkasten lag und auf sie wartete.

»Wir müssen uns beeilen, sie laden schon auf«, drängelte Martha.

»Wieso brechen wir auf?«

»Es geht nun endlich weiter nach Braunschweig.«

»Sind die Gesandten aus Köln eingetroffen?«, fragte die junge Frau aufgeregt.

Wenn die Kölner eingetroffen waren, dann hatte die Ungewissheit über ihre Herkunft ein Ende. Sie würde ihnen das Silber aus ihrem Saum geben und ihre Angehörigen in die Arme schließen. Doch plötzlich kamen ihr Zweifel. Was wäre, wenn sie die Kölner nicht erkannte? Besorgt beobachtete sie Martha, die im Zelt herumhuschte, um die letzten Dinge zu verstauen. Nun sah die dicke, kleine Frau auf und murmelte: »Gesandte aus Köln? Nein, niemand ist eingetroffen, aber es hat heute Morgen einen Streit zwischen Raimund von der Heide und Otto von Braunschweig gegeben. Herzog Otto will nicht länger warten und hat auf dem Aufbruch bestanden. Gott sei Dank.«

Die Dame setzte sich auf eine der Truhen und betrachtete nachdenklich ihre weißen, makellosen Finger. Nein, nicht makellos. Sie entdeckte einen schwarzen Fleck an der Stelle, wo eine Schreibfeder gehalten wurde. Unter dem Tintenfleck war die Haut verhornt und hart. Das konnte nur die Folge von viel Schreibarbeit sein. Arno hatte unrecht, wenn er behauptete, sie hätte noch nie im Leben gearbeitet. Offensichtlich misstraute er ihr, aber Martha war da anders. Deshalb entschied sie, Martha zum Dank für ihre Freundlichkeit später den hübschen Silberring zu schenken, der an ihrem Ringfinger steckte.

Schon kurze Zeit später setzte sich der Zug aus Wagen, Reitern und Fußsoldaten auf dem holprigen Waldweg in Bewegung. Die Wagen hatten eine lange Reihe gebildet und schlängelten sich durch das Unterholz. Die Ritter zu Pferde zogen mit ihren Knappen vorweg und zwischen den Wagen marschierten die einfachen Soldaten. Der schlammige Pfad war so schmal, dass die Wagen kaum an den Zweigen der Bäume vorbeikamen. Immer wieder streiften Äste die Planen und Zweige verfingen sich in den Umhängen der Soldaten. Es war, als würde eine Schlange durchs Gehölz kriechen, nur dass der Zug nicht gleichmäßig dahinglitt, sondern immer wieder zum Stehen kam. Einmal brach ein Rad, dann scheute ein Packpferd vor einem Tannenzweig und beim nächsten Halt versperrte ein umgestürzter Baum den Weg. Jedes Mal brach Tumult aus. Ritter brüllten Befehle und Fußsoldaten liefen aufgeregt nach vorn.

Die Dame war erleichtert, dass niemand sie beachtete. Anscheinend war der blonde junge Mann zu beschäftigt, um das Gespräch von gestern Nacht fortzusetzen. Vielleicht hatte man sie in der Aufbruchstimmung auch nur vergessen. Es war das Beste, sich zwischen die Mägde zu mischen und den Mund zu halten.

Sie saß neben Martha auf dem Proviantwagen und hatte sich den Mantelkragen schützend über den Kopf gezogen. Die jungen Mägde hinten im Wagen erhielten gerade von Martha Anweisungen zur Zubereitung von Kapaun in weißem Pudding. Während Martha die Zügel hielt, drehte sie sich immer wieder um und rief etwas von Zickleingekröse und Soße aus Sauerwein über ihre Schulter.

Endlich verließ der Zug den dichten Wald und gelangte auf ein offenes Feld. Die Vorhut schwenkte in einen breiteren Weg ein und die Dame konnte einen Blick auf die Reiter werfen. Sie nahm an, dass der große dunkle Mann, der ganz vorn ritt, Otto war. Sie kniff die Augen zusammen, um ihn besser erkennen zu können. Er hatte dichtes schwarzes Haar; alles an ihm schien groß und gedrungen zu sein. Die Stickerei auf seinem ockerfarbenen Mantel glitzerte in der Sonne und seine violetten Beinlinge glänzten wie nasse Seide.

Mehr konnte sie aus der Entfernung nicht erkennen. Enttäuscht wanderten ihre Augen zu den anderen Rittern, die direkt hinter Otto ritten. Sie schienen in ein ernstes Gespräch vertieft zu sein. Sie sahen wichtig und bedeutend aus. Die mit Waid blau gefärbten Mäntel wurden von goldenen Spangen gehalten. Ein Ritter hatte eine kupfern schillernde Borte am Saum und ein anderer Pfauenfedern an der Kappe. Nur ein Reiter hielt sich etwas abseits und beteiligte sich nicht am Gespräch. Er trug nur einen einfachen schwarzen Mantel und aus seiner Satteltasche ragten Pergamentrollen und Federn hervor. Arno folgte ihm auf einem Maultier. Es gab keinen Zweifel, es war der blonde Mann, dem sie in der Nacht gegenübergestanden hatte. Der Herr, für dessen Abendessen Martha gerade eine Ingwersoße zum Hasen in Erwägung zog. Sie musste Martha nach dem Stand ihres Herrn fragen, immerhin konnte sich nicht jeder Ingwersoßen leisten. Einfache Schreiber gönnten sich höchstens eine Pfeffersoße. Doch bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte, hatte sich Martha gegen die Ingwersoße entschieden, klatschte in die Hände und stimmte ein Lied an. Die Mägde im Wagen fielen ein. Es war ein Lied über eine fröhliche Pilgerreise, bei der am Ende Gottes Gnade errungen wurde.

Die Morgensonne schien der Dame ins Gesicht und ließ die kleinen Knospen am Wegrand hellgrün und zartgelb leuchten. Ein kleiner Weidenzweig hatte sich in Marthas Haube verfangen. Sie zupfte ihn ab und streichelte die weichen Kätzchen. Sie fühlt es genau wie ich, dachte die Dame. Der Frühling verwandelt alles. Es ist die Zeit der Auferstehung Christi und der Himmelfahrt. Alles roch nach Aufbruch und Leben und der Dame schien dies ein guter Moment, um Dankbarkeit zu zeigen.

Sie versuchte, ihren Ring abzuziehen, um ihn Martha zu schenken. Er saß fester, als sie gedacht hatte, und hinterließ einen roten Abdruck am Finger.

»Für die freundliche Aufnahme – als Dank«, sagte sie und drückte den Ring in Marthas Hand. Diese hielt den Ring verwundert zwischen den pummeligen Fingern und betrachtete ihn.

»Wisst Ihr genau, dass Ihr das Recht habt, ihn fortzugeben? Vielleicht bindet er Euch an etwas?«, fragte sie zögernd und hielt sich den Ring dicht vor die zusammengekniffenen Augen. Sie schien etwas entdeckt zu haben.

»Da steht etwas geschrieben. Könnt Ihr lesen?«

»Darf ich?«, fragte sie aufgeregt und studierte interessiert den Ring.

Doch ehe sie etwas erkennen konnte, trafen die Räder des Wagens auf ein Schlagloch und der Ring fiel ihr aus der Hand. Er hüpfte auf den Rand des Wagens und verschwand.

»O nein!«, rief sie und schlug die Hände vor das Gesicht.

Ihre gute Stimmung war wie weggeblasen und sie musste sich zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen.

Martha tätschelte tröstend ihre Schulter und murmelte: »Seid ruhig, mein Kind. Wird nicht wichtig gewesen sein. Oft ziert so ein Ringlein nur ein frommer Spruch.«

»Was soll ich jetzt zum Dank geben?«, erwiderte die Dame verzagt.

»Betet für mich. Wenn wir in Braunschweig sind, sprecht ein paar Ave Maria in der Burgkirche«, sagte Martha.

»Ich bin nicht gut darin zu beten«, antwortete sie schniefend. Braunschweig, dachte sie, was interessiert mich Braunschweig? Sollen sie doch hinziehen, wohin sie wollen. Sie wollte ihren Ring wiederhaben.

»So, Ihr könnt nicht gut beten? Daran erinnert Ihr Euch also.«

Martha hob verwundert die Augenbrauen.

Danach saßen sie schweigsam nebeneinander. Das Wetter war umgeschlagen und ein heftiger Märzwind zerrte an ihren Kleidern. Die Augen der Dame suchten immer wieder den schwarzen Mantel des blonden Mannes zwischen den Rittern. Sie wagte nun nicht mehr, Martha auszufragen. Es hätte sicher nur ihr Misstrauen geweckt. Wer selbst keine Fragen beantworten konnte, sollte lieber nicht zu viele Fragen stellen. Es war besser abzuwarten, bis die Erinnerung zurückkam.

Am späten Nachmittag machten sie Halt vor einem Lehnshof. Alles wirkte heruntergekommen und verlassen. Schiefe Zäunen umgaben das Hauptgebäude und in seinem Windschatten duckten sich ein paar Lehmhütten. Ein Greis lehnte am Gatter und wurde von den Rittern im barschen Ton nach seinem Lehnsherrn gefragt.

Die blauen, geschmückten Mäntel schüchtern ihn ein, dachte die Dame und musterte seine grauen, zerschlissenen Beinlinge und den steifen Kittel. Sein verfilzter Bart zitterte, als er stotternd erklärte, dass der Herr in der Stadt sei und alle Kräftigen auf dem Feld. Er hob beschwörend seine krallenartigen Hände und flehte sie an, das Dorf zu verschonen.

Die Ritter lachten und befahlen, das Zeltlager vor dem Dorf aufzuschlagen.

Als die Wagen entladen und die Pferde versorgt waren, traute sich eine Gruppe alter Frauen und Kinder heran. Sie musterten verstohlen die schwere Ausrüstung. Ein zerlumpter Junge fuhr mit seiner Hand an einem Schwertknauf entlang. Grob wurde er von einer Alten zurückgerissen. Die Alte hatte einen roten Ausschlag im Gesicht und fauchte das Kind an.

Martha nahm einen Apfel aus einem Korb und bot ihn der Alten versöhnlich an. Die starrte sie aus misstrauischen Augen an, nahm das Kind auf den Arm und trug es fort. Der kleine Junge schaute mit sehnsuchtsvollem Blick dem Apfel hinterher.

»Warum hat sie ihn nicht genommen? Sie sehen doch halb verhungert aus?«, fragte die Dame leicht empört.

»Ja, Hunger haben sie, aber auch Angst. Herumziehende Heerhaufen bedeuten nichts Gutes. Oft wird geplündert und die Frauen werden fortgeschleppt. Die Achtung vor dem Lehnsherrn bedeutet einem betrunkenen Ritter nicht viel.«

Die Dame wollte lieber nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn sie Martha nicht gefunden hätte. Gott hatte doch gut für sie gesorgt.

Sie war in Sicherheit und fühlte sich im Proviantzelt schon fast heimisch. Am Abend saß sie zwischen den jungen Mägden und zupfte grüne Triebe und Tannennadeln aus dem Wollmantel, dessen Wappen sie noch immer beunruhigte. Die Mägde waren voller Bewunderung für die fremde Dame und umschwirrten sie wie Bienen. Sie baten, ihr hellblondes Haar kämmen zu dürfen, berührten den Haarreif und wollten ihre Lederschuhe mit den Zierriemen anprobieren. Martha goss kopfschüttelnd einen Schwall Wasser über Kräuter in einem dreibeinigen Topf. Es zischte und der Duft von Kamille, Minze und Melisse zog durch das Zelt.

Als der Kräutertee in den Bechern dampfte, hockten die Frauen am Feuer und sprachen über die anstehende Frühjahrsschur und die Verarbeitung der Wolle. Die Dame kannte sich zu ihrer eigenen Überraschung erstaunlich gut mit Stoffen aus.

Da wurde plötzlich die Zeltplane zurückgeschlagen. Arno kam mit ernstem Gesicht direkt auf sie zu und sagte: „Man wünscht Euch sofort zu sehen.«

Jetzt haben sie sich doch an mich erinnert, dachte die Dame erschrocken. Jetzt werden sie Fragen stellen. O Gott, hilf mir! Langsam und unsicher stand sie auf.

Martha nahm ihr den heißen Becher ab und reichte ihr den grünen Mantel. Auf ihrer Stirn standen plötzlich Sorgenfalten.

Der junge blonde Mann war diesmal nicht allein. Im Zelt hatten sich mehrere Männer um seinen Reisetisch versammelt. Etwas abseits saß der dunkelhaarige, mächtige Mann breitbeinig auf einem Hocker und spielte gelangweilt mit ein paar Knochenwürfeln. Der ockerfarbene Mantel lag auf seinen Knien und er trug ein mit brüllenden Löwen besticktes Gewand. Ein großes goldenes Kreuz hing ihm vom Hals und schaukelte zwischen seinen Knien. Er ließ die kleinen Würfel von einer Hand in die andere rollen und gähnte. Unter dem Abzug brannte ein Feuer und unruhige Schatten flackerten über sein Gesicht.

Dieser Otto hat intelligente Gesichtszüge, entschied die Dame. Doch er kam ihr leicht reizbar und noch sehr jung vor. Wie ein junger Stier, der nur zufrieden war, wenn er sich im Kampf austoben konnte. Alles andere langweilte ihn offensichtlich. Umso besser, dachte die Dame, spiel du nur mit deinen Würfeln, und war erleichtert, dass sich der angehende König nicht für sie interessierte.

Der dreiarmige Leuchter auf dem Reisetisch erhellte die Gesichter der anderen Ritter im Zelt. Sie hatten nun ihre Mäntel abgelegt und die hellen Gewänder fielen in eleganten Falten über die bunten Beinlinge. Die breiten, mit Edelsteinen geschmückten Gürtel und die spitzen Schuhe wiesen sie als Männer von hohem Stand aus. Der blonde Mann hielt sich im Hintergrund. Er trug einen schlichten Ledergürtel, an dem Griffel und eine kleine Wachstafel hingen. Es war das Handwerkszeug eines Schreibers.

Die Dame blickte sich um und fragte sich, ob letztes Mal auch so viele Pergamentrollen und Urkunden herumgelegen waren. Vielleicht hatte sie die vielen Schriftstücke in ihrer Aufregung übersehen.

Die Männer beachteten sie zunächst gar nicht. Sie unterhielten sich angeregt und ziemlich laut miteinander. Arno kündigte »die fremde Dame« an und verschwand dann sofort wieder. Sie wünschte, er wäre geblieben.

Nun starrten sie fünf Augenpaare neugierig an. Nur der angehende König würdigte sie keines Blickes. Er warf die Würfel in die Luft und fing sie mit einer einzigen Handbewegung wieder auf. Das goldene Kreuz schaukelte zwischen seinen Knien und der Mantel rutschte zu Boden.

Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Vornehm grüßend senkte sie den Kopf. Ein grauhaariger Ritter erwiderte den Gruß und bot ihr höflich den einzigen Hocker an. Doch sie wollte auf gleicher Höhe mit ihnen sein. Der Grauhaarige sagte höflich: »Ich bin Raimund von der Heide und führe Herzog Otto und sein Gefolge nach Braunschweig. Man hat uns gerade von Eurem seltsamen Geschick berichtet.«

Wer hatte berichtet?, fragte sich die Dame und blickte sich um. Natürlich der blonde Schreiberling, der ihr so freundlich seine Gastfreundschaft angeboten hatte. Verräter. Nun stand er da und kaute nachdenklich auf einer Schreibfeder herum. Eine eisige Stimme riss sie aus ihren Gedanken: »Man hat Euch rufen lassen, um Eurem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge zu helfen.«

Sie wandte sich sofort der Stimme zu. Sie gehörte einem sehr gut aussehenden Ritter. Er hatte ohne Frage genau die edlen Gesichtszügen, die in den Liedern besungen wurden. Die glänzenden braunen Locken hingen ihm bis zur Schulter und rahmten sein Gesicht ein. Sie konnte kaum den Blick von ihm lösen. Bedauerlicherweise musterte er sie sehr verächtlich.

Raimund von der Heide machte eine beschwichtigende Geste und fuhr fort: »Habt Ihr uns etwas mitzuteilen oder zu überbringen? Wir erwarten dringend eine Sendung. Habt Ihr etwas bei Euch?«

»Sie soll den Mantel ablegen, dann werden wir ja sehen«, sagte der braun gelockte Ritter und kam auf sie zu. Er streckte den Arm aus und fuhr prüfend über das kleine Wappen mit dem springenden Eber.

»Hah!«, stieß er erfreut hervor und drückte mit seinen Fingerspitzen anklagend gegen ihre Schultern. Sie taumelte zurück und starrte ihn erschrocken an. Er schnalzte genüsslich mit der Zunge und fuhr im selben Ton fort: »Das Zeichen kenne ich. Jeder, der Umgang mit den mächtigen Kaufmannsfamilien der Stadt Köln pflegt, kennt es. Es ist das Familienwappen des Verräters Lummersbacher. Ein springender Eber über einem Rheinschiff. Handel mit Kölner Schwertern und französischem Wein. Kontakte zu Frankreich und liebäugeln mit den Staufern. Der alte Lummersbacher hat damit angefangen, gegen den Strom zu schwimmen, und sein Sohn setzt es fort. Gegen die Interessen der Stadt paktiert er mit den Staufern. Er hat gedroht, die Übergabe des Kölner Silbers zu verhindern. Jedem in Köln ist das bekannt.«

Schweigen breitete sich zwischen den Rittern aus. Alle sahen die junge Frau an.

Sie versuchte, zu begreifen, was sie eben gehört hatte. Lummersbacher? Der Name kam ihr bekannt vor, genauso wie das Zeichen auf dem Mantel. Für einen Moment hörte sie Kinderstimmen in ihrem Kopf, die riefen: Lummersbacher Witwenmacher Kummerslacher, fang uns Münzenbacher. Das Kinderkreischen entfernte sich und da war wieder die frohlockende Stimme des Ritters: »Da haben wir die Erklärung, warum das Kölner Silber nie zu uns gelangt ist. Nur die Lummersbacher konnten dahinterstecken. Sie haben ihre Drohung wahr gemacht und das Silber an sich gebracht. Der Mantel ist der Beweis. Es ist der Mantel Eures Gatten. Ihr seid seine Frau Marianne. Eine Frau, deren Ruf stadtbekannt ist. Ein raffgieriges, unersättliches Weib. Habt Ihr Euren Mann in Eurer Habgier nach Braunschweig getrieben? Ihn überredet, das Silber und den Stadtschatz an sich zu bringen? Was haben Euch Philipps Männer dafür versprochen? Oder waren es gar nicht die Anhänger der Staufer? Haben die Franzosen selbst ihre Finger im Spiel? Redet endlich!«

»Nein ... ich ...«, stotterte sie hilflos und wusste nicht, was sie sagen sollte. Es ging einfach alles zu schnell. Wie sollte sie ihre Erinnerungen ordnen, wenn sie alle anstarrten? Sogar Otto hatte die Würfel aus seiner Hand rollen lassen und sah zu ihr herüber. Dunkle, fragende Augen und ein breiter Mund, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen. Hilfe suchend sah sie zu dem blonden Schreiber hinüber. Der nahm gelassen die Feder aus dem Mund, strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und fragte ruhig: »Seid Ihr Marianne Lummersbacher?«