Simeliberg - Michael Fehr - E-Book

Simeliberg E-Book

Michael Fehr

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Beschreibung

Michael Fehr bringt einen neuen Ton in die zeitgenössische Literatur. "Simeliberg", seine zweite Buchveröffentlichung, ist zweierlei in einem: Klangkunstwerk und rätselhafte Kriminalgeschichte. Hinunter ins Loch, durch Matsch und Dreck, fährt Gemeindsverwalter Griese mit seinem Landrover. Die Repetierwaffe auf dem Rücksitz, erfüllt er widerwillig den Auftrag der kantonalen Sozialhilfebehörde, einen Bauern in die Stadt zu bringen. Dessen Frau ist verschwunden, in der Stadt will man der Angelegenheit auf den Grund gehen. Der verschrobene Bauer erzählt von irrlichternden Plänen, die Menschheit zum Mars und in eine helle Zukunft zu führen. Und nicht genug damit: An dem unwirtlichen Ort tragen sich mysteriöse Dinge zu. Junge Männer in schwarzen Uniformen versammeln sich und bedrohen schliesslich auch Griese, als er ihnen auf die Schliche kommt. Polizei, Nachforschungen, Drohungen - alles nimmt seinen Lauf. Die Figuren zeigen einen knorrigen, verstockten Menschenschlag. Die Welt in "Simeliberg" ist gezeichnet von Gegensätzen: da die scheinbare Normalität der Oberwelt, dort die dunklen Machenschaften im sumpfigen Loch. Droben die Menschen Weiss und Wyss, drunten der Bauer Schwarz. Dazwischen der Grenzgänger Griese, der je länger, desto stärker zwischen alle Fronten und in die Mühlen der Behörden gerät. Erzählung und Klang gehen eine ungewöhnliche Symbiose ein. Der Titel "Simeliberg" erinnert an das gleichnamige Grimmsche Märchen und an das melancholische Volkslied "Vreneli ab em Guggisberg". Michael Fehr evoziert eine Geschichte von existenzieller Wucht um Themen wie Ideologie und Verwirrung, Vereinsamung und Geborgenheit. Bis ins Feinste der Worte inszeniert Fehr ein poetisch musikalisches Gesamtwerk.

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Glossar am Ende des Buches

 

 

 

Michael Fehr

Simeliberg

1. Auflage, 2015

ISBN 978-3-03853-003-9

eISBN 978-3-03853-004-6

© Der gesunde Menschenversand, Luzern

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Barbara Berger

Gestaltung: Affolter/Savolainen

E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch

 

www.menschenversand.ch

 

«Simeliberg» entstand mit Unterstützung von: Amt für Kultur des Kantons Bern (Projektbeitrag) und Abteilung Kulturelles der Stadt Bern (Werkbeitrag).

 

Michael

Fehr

Simeliberg

Erstes Kapitel

 

Grau

nass

trüb

ein Schweizer Wetter

ziemlich ab vom Schuss

nur über einen pflotschigen Karrweg von oben herab zu erreichen

in einem Krachen ein wüstes

tristes Bauernhaus mit ungestümem Dach

ein zerklüfteter Haufen aus grauen und schwarzen Tupfen

unter dem ein Haufen blinder Fenster leer in die Öde starrt

in der wenig heiteren Stube hocket der Landmann mit dem Rücken zur Fensterzeile

nach der drückenden Stille

mit der das Gebälk lastet und den Raum niedrig hält

der einzige Mann und Mensch im Haus

draussen motort es schwankend von oben herab zum Haus heran

 

 

Zweites Kapitel

 

Nachdem er eine Weile bei abgeschaltetem Motor und allmählich erkaltendem Wagenschlag geradeaus aufs Haus starrend sitzen geblieben ist

steigt aus dem Landrover

der untenherum verkotet ist

eigentlich aber grau wäre

wie man der Dachpartie ansieht

Griese

Gemeindsverwalter

als solcher wegen der hiesigen Abgelegenheit betraut mit allen möglichen behördlichen Aufgaben

die örtlich anfallen

auch als eine Art Abgeordneter obrigkeitlicher

kantonaler Fürsorge für den ganzen Flecken zunächst einmal zuständig für alle

denen der Sinn zur Selbstverwaltung aus blossem Bildungsmangel

aus Verwahrlosung

Krankheit oder sonstigem Irrsinn zu sehr abgeht

als dass man sie auf sich beruhen lassen könnte

in dreckigen Gummistiefeln

sonst anständig

trägt Schnauz

der seine Widerstandsfähigkeit als jemand mit dem Vornamen Anatol

der ihn sofort als einen

der aus dem grossen Kanton zugewandert ist

und ergo nicht Hiesigen markiert

verbessert

klatscht die vordere Wagentür ins Schloss

öffnet die hintere

nimmt vom Sitz einen frechen Jägerhut und mit Sympathie für Auswanderer vom Boden ein Gewehr

dessen Ladung er gewissenhaft überprüft

eine Bauerundwaldschratrepetierbüchse

eine Art Familienfabrikat

Vater und Schwiegersohn probierten zu ihrer Zeit im Ausland ihr Glück

ersannen schnellhin einen Heavyleadhunter

ein unverwüstliches Eisen zur Fuchsjagd

welches damals auf ganz markante Distanz einen Fuchs zerfledderte

und das repetiert

was auch nötig war

da zu ungenau

um auf einen Hasen zu pfeffern

jedoch kräftig genug

um ein Pferd zu durchschlagen und zu fällen

und da die spassigen Jagdhorden den rassigen Pelz lieber am Stück mochten

ging die Kompanie bald ein und verloren

jedoch der HLHrepetierer

unaufdringlich und schnittig

jedoch mit Nachdruck in der Stimme

der keinen Widerspruch duldet

war halt etliche Mal gebaut und eben wegen seiner Kraft verkauft

vertrauenerweckendes Stück

prüft auch die Sicherung

entsichert

legt die Waffe sorgfältig auf den nackten Wagenboden zurück

Metall auf Metall

schweres Mordgerät passt gut zu schwerem Arbeitsgerät

lehnt diese Tür nur an

ohne sie einrasten zu lassen

watet über den kotigen Hausplatz

meidet die Stelle

wo sich ungefähr ehemals der Mist türmte

beugt den Kopf

schiebt die Schultern unter dem Dachtrauf hindurch

wobei ihn durch den Hemdkragen hindurch die Krawatte würgt

steht unversehens vor der Türe

deren obere Hälfte aus sechs Glasscheiben besteht

linst hinein

Schatten

Licht am Ende des Gangs

der schmale Korridor verläuft über die ganze Breite auf die andere Seite des Hauses

wo wieder eine gleiche Türe ist und Licht einfällt

er horcht

klatscht die flache Hand paar Mal gegen den Holzrahmen

in dem die Scheiblein klirren

nichts

probiert die Türe

es ist offen

er tritt hinein

in den Schatten

etwas verhalten wegen der dreckigen Gummistiefel

besinnt sich dann

darauf kommt es nun auch nicht an

legt dann festen Schrittes die paar Schritte zurück

bis vom Korridor links die Türe zur Stube abgeht

Türe zu

gern würde er doch noch umkehren und aus dem Landrover die graue Handlampe holen

noch ein Stück Metall

er hält an sich

wäre ja gelacht

«Schwarz»

sagt er jetzt zum ersten Mal

die Stimme krächzt

räuspert sich

«Schwarz»

dann fester

«Es ist offen»

der von drinnen

probiert die Türe

es ist offen

macht auf

drinnen

am anderen Ende des Raumes

der Mann

die Fensterreihe im Rücken

«Also bist du doch da»

Griese mit etwas verkniffenen Zügen

weil es trotz der Düstere im Raum von gegenüber blendet und wohl auch sonst

«Willst nicht hereinkommen»

der Landmann

«es kommt kalt herein»

der Verwalter macht den Schritt über die Schwelle

schliesst die Tür hinter sich

«Warm bei dir»

nimmt den Hut ab

«Hast etwas wollen»

der andere

«Danke»

träppelt zurück

bis er den Rücken an der Tür hat

die ihn stärkt

«Zessen habe ich nichts»

«Danke»

«Willst sitzen

ist Platz genug

oder»

«Danke»

macht keinen Wank von der Türe weg

«Schwarz

ich bin gekommen

dich zu holen»

der Landmann rückt auf dem Bank

sitzt ein wenig seitlich

stützt Hand auf den Tisch

drückt sich ein wenig vom Bank

zieht den durchsichtigen Vorhang etwas zur Seite

klappt die Falle weg

die das Läufterlein zuhält

macht die kleine Scheibe

die sich als ein Sechstel des grossen Fensters separat öffnen lässt

auf

sieht zum Loch aus

offenbar in die Öde

«Brühe»

macht zu

dreht sich zurück

«bei Gefrörne graue

schwarze Kruste

bei Hitze graue

schwarze Sauce

dazwischen etwas dazwischen

Matsch»

lehnt den Kopf an das wenige Stück Wand zwischen zwei Fenstern

«Was willst»

«Schwarz»

der von der Türe her

«Was willst

hier habe ich nichts mehr verloren»

«Wir müssten dann langsam»

der Verwalter

«du hast gewusst

dass ich komme

habe dirs am Telefon gesagt»

«Telefon»

macht der am Fenster

haut auf den Tisch

dass es in der Stube klirrt

«kannst kommen

wenn du etwas willst»

«Jetzt bin ich ja da»

«Du sagst es»

«Nun

also»

«Hast du dir

Griese

auf deiner Verwaltung

Behörde

einmal überlegt

was es mit dem Sozialismus auf sich hat»

«Sozialismus

fahr mir doch aus mit dem Sozialismus

bin Gemeindsabgeordneter

Fürsorge

Schwarz

du weisst haargenau

warum ich gekommen bin

und jetzt müssen wir

also

auf»

«Den Sozialismus

Griese

kannst du vergessen»

steht auf von seinem Bank

auf dem er weiss wie lang gesessen hat

ächzt

geht an das Bord an der Seitenwand

kein Gestell

nur ein an die Wand gehängtes Bord mit zwei Tablaren übereinander

auf dem alle Bücher Platz gefunden haben

die die Stubenwand erträgt und das Haus duldet

zieht mit sicherem Griff einen Band vom oberen Brett herunter

«Schmöker»

geht zurück an den Tisch

setzt sich

klopft mit der flachen Hand auf das Buch

«L’État et la loi

von Bernard Noir

Griese»

«Was weisst du schon von Französisch

Schwarz

mach kein Cabaret»

macht eine Kopfbewegung seitwärts

die wohl auf die Türe in seinem Rücken deuten soll

«Ich weiss noch ganz anderes

der Sozialismus lahmt immer

weil die Masse bald ahnt

dass sie beschissen wird

von sozialistischen Werten

und seien sie noch so ultra

kann nicht nur eine Elite absahnen

ohne dass die Proleten ihr Fett wegbekommen

aber mit dem Nationalismus kriegst du sie bald dran

die Masse

die Heimatlosen

Tatendurstigen»

«Und solches in einem Bauernhaus»

muckst Griese an der Türe

«Ja

in meinem Haus

Anatol

mein Haus

mein Land

jeden noch so Idioten

der nicht weiss

was er tun soll

und etwas tun will

denn die Mutter Erde

jeden Flecken Erde

auf dem er steht

liebt ein jeder mehr als sich selbst

wenn du sie ihm immer schmackhaft machst

für nationale Werte sind sie bereit

ihr Fett zu lassen

und letztlich ihr Blut

von nationalistischen Werten kann die Elite im Dunkeln sauber den Rahm abschöpfen und unbehelligt die Massen pressen und melken

je dreckiger es ihnen geht

je magerer sie werden

desto heimatloser und tatendurstiger werden sie

dann wirfst du ihnen den Ultranationalismus zum Trost und zum Frass vor»

«Ultranationalismus»

Griese immer unwohler an seiner Türe

Schwarz erhebt sich erneut

geht zum Bord

zwängt einen anderen Band vom unteren Brett

der klemmt

kriegt ihn frei

tritt an den Tisch

klatscht ihn auf den liegenden

«Bertrand Griese

Die Nation und ihre Grenzen

Ein Versuch über harte Linien und Gnade

glaub mirs

Sozialismus heisst für alle

Nationalismus heisst für das Vaterland

das heisst immer für seine ersten Vertreter

die es verkaufen»

«Es ist nicht lustig

jetzt hör auf und komm»

«Nicht lustig

heisst so

Griese

wir müssen kämpfen

aktiv sein und handeln»

«Und wissen

wann genug ist

du weisst

dass es an der Zeit ist

ewig versäumen kannst du mich nicht»

«Kann ich nicht»

steht erneut auf

macht halt am Bord

klopft mit dem Knöchel auf die kleine Scheibe in einem mageren Holzrahmen auf dem oberen Brett

«Frau»

tatsächlich ist hinter dem Glas ein Bild auszumachen

«Das kann ich mir vorstellen

dass das deine Frau ist

und wo ist sie

wo ist sie

deine Frau

sag mir das»

«Auf dem Bild

die Frau»

geht durch den Raum an das Buffet

ein schwarzes Möbel

das im unteren Teil drei Schäfte hat

darüber drei Schubladen

dann ein Deckblatt und darauf einen schmächtigeren oberen Teil mit drei Tablaren übereinander ohne Türen

die beiden Mannen stehen jetzt fast nebeneinander in der ungeheuer ausladenden

niedrigen Stube

nur scheint sich der Landmann um den anderen nicht zu kümmern

zieht eine der Schubladen auf

entnimmt ihr eine graue Kassette

stellt sie auf das dicke Brett

das dem unteren Teil des Möbels den Deckel macht

«Recht hast

zu tun gibt es für mich hier nichts mehr»

er langt sich in den Hemdkragen

zerrt und zittert ein wenig

bis an einer Kette ein Schlüssel zum Vorschein kommt

er beugt sich hinab

bis er mit dem Schlüssel das Schloss der Kassette erreichen mag

es knirscht und schnalzt

er richtet sich wieder auf und hebt gleichzeitig den Deckel der Kassette

drinnen beigenweise Tausendernoten

wie es aussieht

Griese macht verblüfft und

ohne es zu merken

den Schritt von der Türe weg zum knochendünnen Bäuerlein hin

starrt neben diesem

Seite an Seite

in den geöffneten Kasten hinein

«Schwarz

woher hast du den Zaster

wenn man dein Haus sieht hier unten

überhaupt deinen Krachen

was für ein Dreck

ein einziges Dreckloch

wie es aussieht

und dann das

woher hast du die verdammte Million

Herrgott

Schwarz

es ist Zeit

dass du von hier wegkommst»

«Dass ich wegkomme

Anatol

ganz recht

dass ich wegkomme

dafür habe ich das Pulver

noch in diesem Jahrhundert

glaubs oder nicht

noch in diesem fliegt der Mensch auf den Mars und fasst Fuss

und ich

Griese

habe Land und Leute verkauft

ich werde nicht der Letzte sein

der oben ankommt

nicht der Letzte»

«Herrgott

Schwarz

lass uns endlich gehen

und dann hast die Kassette einfach in einer Schublade

ich glaube es nicht

mach zu

und dann verreisen wir»

«Die Amerikaner oder Russen

Franzosen

Chinesen

Inder

noch in diesem Jahrhundert fliegen wir auf den Mars

glaubs»

schliesst die Kassette ab

versorgt sie behutsam in der Schublade

aus der es ein wenig nach Leim riecht

schiebt

rüttelt ein wenig

um sie ganz zuzubekommen

folgt dann dem Mann der Behörde in den Korridor

tritt unters Dach hinaus

der Gemeindsverwalter setzt den Hut auf

es hat zu regnen angefangen

«Es hätte doch schneien sollen

habe extra geheizt»

knurrt Schwarz