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Michael ist Anfang 40 und steckt mitten in der Midlife-Crisis. Obwohl er eine gesicherte Existenz hat, voll im Berufsleben steht und mehr besitzt als er zum Leben braucht, verirrt er sich immer mehr in einem Gedankenchaos. Getrieben von Langeweile, Unzufriedenheit und der Monotonie des Alltags, flüchtet er in die Arme einer Prostituierten. Geplagt von Albträumen und dem schlechten Gewissen gegenüber seiner Frau, stürzt er in eine tiefe Sinnkrise. Nicht ahnend, dass seine Frau ebenfalls das Neue sucht. Bis zu dem Tag, als seine Ehefrau spurlos verschwindet und er von einem unbekannten Telefonanrufer terrorisiert wird. Ein Buch über den Wahnsinn des Lebens und den Sinn der Endlichkeit. Das Erkennen des Glücks, das Finden der Zufriedenheit und der Wertschätzung der Langeweile. Und sind wir uns dessen bewusst, dass nur die Vergangenheit bestand hat, wenn einem alles genommen wurde?
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Projekt von Dirk Ludwig:
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An alle diejenigen, die das Leben
nicht zu respektieren wissen,
an alle diejenigen, die ihre
Gesundheit nicht schätzen
und
an alle diejenigen, die sich ihrer Liebe
nicht bewusst machen.
„So ward ich schlafend und durch Bruderhand
Um Leben, Krone, Weib mit eins gebracht,
In meiner Sünden Blüte hingerafft,
Ohn Abendmahl, ohn Beicht, ohn letzte Ölung,
Die Rechnung nicht geschlossen, ins Gericht
Mit aller Schuld auf meinem Haupt gesandt.“
Geist des verstorbenen Königs
William Shakespeare
Hamlet, 1. Akt – 5. Szene
Michael & Ophelia
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Wir
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Wir
Kapitel Sieben
Tagebuch, Auszug
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Wir
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel 3Zehn
Kapitel 4Zehn
Wir
Kapitel 5Zehn
Kapitel 6Zehn
Kapitel 7Zehn
Kapitel 8Zehn
Kapitel 9Zehn
Tagebuch, Auszug
Kapitel Zwanzig
Kapitel 1&Zwanzig
Kapitel 2&Zwanzig
Kapitel 3&Zwanzig
Kapitel 4&Zwanzig
Kapitel 5&Zwanzig
Zwischenspiel
In naher Zukunft
„Ich möchte nur, dass du den Namen des Mannes kennst, der sie gevögelt hat. Du solltest auch nicht mehr auf sie warten. Sie wird nicht mehr zu dir kommen! Hast du noch Fragen?“
Seine Stimme: „Sachlich, kühl und distanziert.“ Ich verstand nicht, was er sagte. Es schien mir eine andere Sprache zu sein. Seine Worte hallten noch in meinem Kopf und suchten die richtige Öffnung, den Platz, um von meinem Verstand akzeptiert zu werden. Einzelne Puzzleteile, die nur an der richtigen Stelle mit anderen Teilen ein komplettes Bild ergaben. Und ich stand im Mittelpunkt, umgeben von all diesen Bruchstücken der fremden, nicht zusammenpassenden Wörter. Puzzle-Stücke. Wortfetzen. Die Welt um mich herum fing an sich zu drehen.
Alles wirbelte und schien mich mit ins Verderben zu reißen. Ich wollte nicht verstehen. Ich konnte nicht akzeptieren. Ich weigerte mich zu glauben. Meinte er das Ernst?! Welches Spiel trieb er mit mir? Warum sollte ich ihm glauben? Ich benötigte einen Beweis!
„Ich will mit meiner Frau reden! SOFORT!“, befahl ich. Ein hämisches Lachen, dann ein knarrendes Geräusch, gefolgt von einem kurzen Rauschen. Stille.
Ein computergenerierter und freundlicher Ton deutete mir an, dass das Gespräch beendet sei. Ich nahm das Smartphone von meinem Ohr und sah auf dem Display das liebliche Lächeln meiner Frau. „Ich liebe dich über alles!“, wisperte eine zarte Stimme in meinem Kopf. Das Display wurde schwarz und alles verschwand im Dunkeln: „Das Bild. Meine Hoffnung. Mein Verstand.“
Hatte das Gespräch gerade stattgefunden oder befand ich mich in einem bösen Traum? War dies Realität oder nur die Ausgeburt meines verstümmelten Verstandes? Halluzinierte ich, weil ich seit Wochen keinen befreienden Schlaf fand?
„Das Gespräch entsprang nicht aus deinem schizophrenen Geist“, flüsterte jemand zu mir. „Es fand statt. Akzeptiere! Dies hat nichts mit Schlafmangel zu tun!“, flüsterte es weiter. „Ich sitze hier drin und außer mir ist hier niemand!“, kicherte es.
Danach Stille. Die Schwärze aus dem Smartphone-Display floss heraus und füllte den Raum. Sie umspülte mich. Ich vernahm nichts mehr. Eine Ruhe flutete das Zimmer. Der Wirbel, der sich um mich bildete, verschluckte alles und zerrte mich mit. Die Finsternis verschlang mich. Ich verspürte einen Schwindel und fiel in eine tiefe Dunkelheit. Ein dumpfer Aufschlag. Irgendetwas traf meinen Kopf.
Irgendwo in Deutschland
Kennt Ihr den Begriff Depression? Oder in Neudeutsch Burnout? Und nicht zu verwechseln mit der Midlife-Crises. Falls Ihr die Begriffe kennt: „Könnt Ihr Euch darunter etwas vorstellen?“
Fühlen, was es bedeutet unter einer Depression zu leiden? Verstehen, wie es dazu kommen kann? Begreifen, dass kein Mensch morgens aufwacht und wie bei einer Grippe oder Kopfschmerzen plötzlich unter Depression leidet?
Und nicht vergleichbar mit einem Autounfall, in dem innerhalb von Sekunden physikalische Kräfte aufeinander stoßen, die auf den menschlichen Körper einwirken.
Die Depression ist eine geistige Krankheit, die aus sich selbst entspringt. Schleichend. Heimlich. Unbemerkbar für die menschliche Umwelt des Betroffenen. Und wie alles im Leben gibt es eine Ursache. Bei einem Autounfall kann es ein technischer Defekt sein, eine Unaufmerksamkeit des Fahrers. Oder ein Unglück, das nicht der Verunglückte zu verschulden hat. Eine Grippe kann durch Ansteckung von Anderen erfolgen.
Aber die Depression wird durch viele unterschiedliche Ursachen hervorgerufen. Dabei liegt der Unterschied in der Dauer, denn sie entsteht langsam und kann schon in der Kindheit ihren Ursprung haben. Meist entsteht sie durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren. Einerseits wird eine genetische Komponente vermutet, die aus den fehlenden Botenstoffen Serotonin und Noradrenalin entstehen kann.
Dabei können Signale im Gehirn nicht richtig weitergegeben werden. Andererseits kommen Faktoren, wie die soziale und psychische Einflüsse zum Tragen. Oft trifft beides aufeinander. Vielleicht wird sie sogar vererbt? Unzufriedenheit. Fehlende Wertschätzung. Unerreichte Ziele oder private Tragödien. Tod eines Familienmitglieds oder eines Kindes. Eine unheilbare Erkrankung. Unerfüllte Träume. Sexuelle Nichtbefriedigung. Berufliche und persönliche Frustration, durch die einem die Lust geraubt wird, die schönen Dinge in seinem Leben zu erkennen.
Stellt Euch dieses Gefühl einmal vor. Versucht, Euch die Gedanken eines Depressiven mithilfe folgender Bilder vorzustellen.
Ihr besitzt ein Smartphone mit Internet und habt damit die Möglichkeiten zu spielen, zu telefonieren und auf anderen Wegen persönlichen Kontakte zu Freunden zu pflegen oder Euch mit Informationen zu versorgen. Aber Ihr verspürt keine Lust! Und habt keine Kraft! Der Wille fehlt, sich mit allem und jedem zu beschäftigen. Ihr seht keinen Sinn dahinter.
Ihr seid unter Mitmenschen und fühlt Euch nicht verstanden. Ihr seht das Lachen und empfindet dabei nichts. Euer Mitgefühl ist verschwunden.
Ihr seid schlecht gelaunt und keiner versteht Euren Missmut. Ihr habt selbst nicht verstanden, was mit Euch passiert. Ihr bemerkt nicht, das Ihr Euch von allen und jedem mehr und mehr distanziert. Die schlecht gelaunten Tage häufen sich. Und werden abgestempelt als: „Einen schlechten Tag“.
Jeder Tag beginnt mit der Angst, aufzustehen. Ihr erkennt keinen Nutzen, um den Tag zu bewältigen. Ihr isoliert Euch von der Gesellschaft und glaubt, Ruhe zu benötigen. Aber die Ruhe ergibt keine Erholung, denn sie mündet in Einsamkeit. Ihr seid unter Menschen und fühlt Euch allein. Ihr seid einsam und fühlt Euch verlassen.
Stellt Euch eine traurige Einsamkeit vor und nicht das positive Alleinsein, welches Ihr Euch nach einem erfüllten, stressigen Arbeitstag verdient habt. Stellt Euch eine traurige und erdrückende Einsamkeit vor, durch die Ihr isoliert werdet.
Ihr habt keine Kraft für Aktivitäten. Die Freude, der Spaß und das Glück sind abhandengekommen. Verloren. Irgendetwas zieht Euch nach unten und hält Euch am Boden. Traurigkeit und Verzweiflung beherrschen Euer Denken. Stellt Euch weiter vor, Ihr seid gefangen in einem Raum und habt keine Möglichkeit, diesen zu verlassen. Eingeschlossen. Ausgegrenzt von der Welt. Alleine.
Ihr ruft, keiner hört Euch. Ihr betet, keiner erhört Euch. Ihr fleht, keiner erlöst Euch. Gefangen, isoliert, eingesperrt und das, scheinbar, auf ewig.
Die Einsamkeit frisst Euch auf, bis nur noch die Hoffnungslosigkeit im Herzen wohnt. Alles hat eine Sinnlosigkeit, die keine menschliche Seele ertragen kann.
Der Raum wird dunkler. Das Licht schwindet und der letzte verzweifelte Versuch der Hoffnung wird von dem letzten Atemzug des Zweifels erstickt. Die Wärme weicht und verliert sich in der Umgebung. Ihr seid erschöpft und wünscht Euch ein Ende herbei. Den Tod.
Einige Vorstellungen unter unzähligen Möglichkeiten, diese Krankheit zu beschreiben. Unendliche Ursachen, an einer zu erkranken. Unbeschreiblich viele Methoden und Einstufungen der Klassifikation. Viele Enden mit Suizid, weil die Betroffenen sich nicht helfen und von alleine nicht genesen können. Viele Erkrankte unterschätzen die negativen Kräfte, die sie auf sich selbst wirken können.
Genau dieses Gefühl und diese Vorstellung treibt sie in die Sehnsucht. In einen Wahnsinn, in dem sie Glauben, dass die schwere und erdrückende Last nur durch ihren Tod beendet werden kann.
Sie wünschen sich Ruhe und Frieden, in dem sie den bösen Geist aus ihren Gedanken durch ihren körperlichen Tod besänftigen.
Und nun sind genug der einleitenden Worte gefallen, weil die Geschichte beginnen möchte und um der Erzählung zu folgen, solltet Ihr die Perspektive wechseln, denn ich führe Euch in eine unbekannte Existenz und in ein anderes Leben.
Und erlauben Sie mir, als Erzähler dieser Geschichte, in der ich mir selbst die Freiheit zugestehe, zum Beginn der gemeinsamen Reise, einige Fragen zu stellen.
Benötigt Ihr immer ein für Euch wichtiges Ziel, um in die Zukunft zu schreiten? Habt Ihr Angst, stehen zu bleiben?
Bedeutetet stehen zu bleiben und das Vorhandensein von Glück, Zufriedenheit und Liebe das Ende des Weges? Das Ende der Suche und das Finden der Langeweile? Fehlt Euch die Herausforderung? Sucht Ihr Euch eine andere Beschäftigung? Ein neues Ziel, das Ihr erreichen wollt? Was braucht Ihr zu Eurem Glück? Müsst Ihr nicht erst die Schattenseiten des Lebens kennen, um ein tiefes Glück zu empfinden? Könnt Ihr Glück schätzen, wenn Ihr keine Trauer empfunden habt? Nicht den tiefen Sturz gespürt zu haben, um den Höhenflug zu genießen? Keine Hoffnung ohne Hoffnungslosigkeit? Keine Freude ohne Wut?
Und wollt Ihr Euch an dem Unglück anderer laben, um zu begreifen, dass es Euch besser ergeht als unseren armen Protagonisten? Wollt Ihr erkennen, dass das Leben schön ist?
Dann. Und nur dann:
„Um Himmels willen, laßt uns niedersitzen
zu Trauermären von der Kön'ge Tod.
Wie die entsetzt sind, die im Krieg erschlagen,
Die von entthronten Geistern heimgesucht,
Im Schlaf erwürgt, von ihren Frau'n vergiftet,
Ermordet alle; denn im hohlen Zirkel,
Der eines Königs sterblich Haupt umgibt,
Hält seinen Hof der Tod: da sitzt der Schalksnarr,
Höhnt seinen Staat und grinst zu seinem Pomp;
Läßt ihn ein Weilchen, einen kleinen Auftritt
Den Herrscher spielen, drohn, mit Blicken töten;
Flößt einen eitlen Selbstbetrug ihm ein,
Als wär' dies Fleisch, das unser Leben einschanzt,
Unüberwindlich Erz“
König Richard
William Shakespeare
Richard II, 3. Akt – 2. Szene
Ein trüber Herbstmorgen. Eine Stadt, die irgendeinen Namen hat, jedoch für die folgende Geschichte uninteressant bleiben wird.
Der kühle Herbstwind weht uns ins Gesicht. Wir stehen auf dem Bürgersteig, an der Kreuzung und sehen eine Ampelanlage, die den Verkehr sortiert. Als wäre alles nur ein großer Spielautomat, der die Kugel mit dem Flipper in Bewegung hält. Ein Ortsschild mit einem Gruß: „Herzlich Willkommen“ und eine Straße, die über die Kreuzung in die Stadt hineinführt.
Wir bleiben stehen und schauen uns die Umgebung an. Rechts erstreckt sich das brachliegende und abgeerntete Land. Vereinzelt zieren Bäume die Pfade, die die Äcker durchkreuzen. Auf den Feldern liegt Frühnebel und daher können unsere Augen nicht tiefer blicken. Frisch umgepflügte Erde, die am Vorabend von einer großen Maschine bearbeitet wurde. Es ist Zeit, die Felder für das Frühjahr und die neue Ernte vorzubereiten.
In der Nacht zuvor hat es geregnet und nachdem die Wolken sich entleert hatten, hätten wir eine kristallklare Nacht sehen können. Doch wir schliefen. Am Morgen vernehmen wir mit unseren Nasen die frisch verregnete Erde und können uns beim besten Willen nicht an den nächtlichen Schauer erinnern. Wir ziehen den Duft der feuchten Erde tief ein und empfinden eine innere Zufriedenheit. Wir lieben diese morgendliche Kühle, gepaart mit dieser Nuance von verregneter Natur. Das Gefühl, nachts nicht nass geworden zu sein, denn wir lagen gemütlich in unserem Bett, wohlbehütet und warm.
Ein sorgenfreier Schlaf. Wir machen uns, genau in diesem Moment als wir die Eingangstür unserer Wohnung öffnen und die verregnete Umgebung sehen bewusst, dass wir zufrieden sind. Uns geht es gut. Diesen Luxus der Wärme und der Trockenheit machen wir uns geistig gegenwärtig, vereinigt mit einem gesunden, tiefen und erholsamen Schlaf. Wir sind zufrieden. Zufrieden aber müde. Wir versuchen, die Müdigkeit aus unseren Knochen zu bekommen, denn wir möchten uns die Szene des heutigen Tages anschauen. Heute beginnt die Geschichte. Der Anfang. Wir wollen dies nicht verpassen.
Links der Ampelanlage führt die Straße um die Stadt. Könnten wir die Stadt von weiter oben betrachten, würden wir eine große Hauptstraße erkennen, die durch einer von Süden nach Norden durchzogene Straßenbeleuchtung erhellt wird. Beflügelt durch unsere Fantasie, fliegen wir in die Höhe und können das angrenzende Ackerland aus der Troposphäre als Karomuster mit verschiedenen Braun- und Grüntönen erkennen. Die Stadt liegt ruhig unter uns. Langsam erwacht sie zum Leben.
Wir sehen schöne Vorgärten, die für den Winter vorbereitet werden. Die herbstliche, goldene Jahreszeit tat ihr Übriges. Die vertrockneten orange-roten und braunen Blätter fallen. Vereinzelt stellten sich tapfere Pflanzen mit ihren letzten verbliebenen Blüten gegen den kühlen Herbstwind. Die sommerlichen, bunten Farben der Blumen wichen den ausbleichenden Tönen und den dunklen und roten Farben des Verfalls. Wolkenfetzen, die unsere Sicht versperren.
Autos, die wie Ameisen durch die Pfade wandern. Lichtkegel aus den Augen der blechernen Lebewesen, die durch die Straßen marschieren, drängen die Dunkelheit zurück und werfen für einen kurzen Moment Helligkeit in diesen tristen Morgen.
Wir erkennen im Osten Äcker. Einen Wald, der sich vom Westen über den Norden erstreckt und die Stadt einschließt. Eine Straße, die diesen Wald durchkreuzt. Zwei gepflasterte Flecken in diesem Baumbewuchs. Von Menschen in dieses Stück Wald gesetzt.
Bäume mussten herausgeschnitten werden, um eine Fläche zu erschaffen. Eine kleine Abzweigung von der Straße wurde zu diesem Platz angelegt. Ein Parkplatz für die Autofahrer oder ein Spielplatz für vernachlässigte Ehemänner.
Denn Frauen mit ihren mobilen und möblierten Unterkünften siedelten sich an, um ihre Dienste anzubieten. Ein Zufluchtsort für einsame Männer, ein Fleck der Schande für manch altmodische Frau, die fürchtet „Das ist nicht gut für die Moral.“
Doch wir denken: „Die Frau hat nur Angst, dass ihr Ehemann etwas bekommen könnte, was es zu Hause nicht gibt.“
Alles erscheint uns in einem großen Gesamtbild. Unsere Ansicht auf die Umgebung lässt uns nicht jede einzelne Ameise erkennen. Wir müssen genauer hinsehen, unseren Blick fokussieren. Daher lassen wir unser Augenmerk von dem Parkplatz zurückschweifen. Wir werden später dahin zurückkehren.
Wir schweben zurück auf die Erde und blicken auf eine blechernde Ameise, die an diesem Parkplatz vorbeifahren wird. Wir interessieren uns nur für den Insassen. Für das Innere des Insektes. Für den einzelnen Menschen. Für einen einzelnen Mann. Also bewegen wir uns wieder nach unten und lassen all unsere Fantasien dort oben im Himmel.
Ein einzelner weißer Wagen bekommt unsere volle Aufmerksamkeit, denn dieses Automobil ist etwas Besonderes und benötigt unser ganzes Augenmerk.
Wir fokussieren uns und blicken genauer hin. Wir schauen und beobachten.
Wir folgen dem Auto, wie es vor der Stadt die Kreuzung nimmt und nach links abbiegt. Wir schauen hinein. Wir verschmelzen mit dieser Person und wechseln erneut die Perspektive.
ICH!
Michael
Ich fiel in ein Loch, das ich mir selbst erschuf. An den Zeitpunkt, als ich fiel und nicht mehr aufstehen konnte, kann ich mich nicht erinnern.
Ein schleichender Zerfall setzte ein und zerbröckelte meinen Untergrund. Mein fester Boden, auf dem ich mit zwei gesunden Beinen stand, verlor an Haftung.
Metaphorisch gesprochen ging ich einen Weg entlang und stolperte über loses Erdreich. Ich fiel und schlug auf einem kalten Boden auf. Ich hatte keine Kraft aufzustehen. Die Kälte aus dem Boden kroch in meinen Leib und setzte sich in meine Knochen fest. Ich blieb liegen. Meine Kraft floh, je länger ich lag und darüber nachdachte, warum ich stolperte und dort hilflos lag.
Die Zeit verstrich und ich verlor mich in einer Traurigkeit, weil ich nicht verstand, warum ich fiel. Eine dünne Eisschicht entstand zwischen mir und dem Erdreich und hinderte mich am Aufstehen. Es wurde zunehmend schwieriger. Ich erkannte keine sichtbaren Hindernisse auf meinem Weg. Ich bekam Angst aufzustehen, weiter zu gehen und wieder zu fallen. Mir fehlten der Mut und die Kraft, einen zweiten Sturz zu überstehen. Mein Gesicht war gerichtet auf diesen kalten und harten Untergrund, daher sah ich nichts anderes. Keine Lichtstrahlen erreichten mich, nur dieses dreckige, dunkle und farblose, Licht aufsaugende schwarze Loch, das sich unter meinem Gesicht abzeichnete. Ich krallte mich an den vermeintlich sicheren Boden mit der Gewissheit: „Hier wird mir nichts passieren!“ und je länger ich lag, umso schwerer wurde mein Körper und das Aufstehen wurde zur Qual. Ich fror fest und mein ganzer Leib klebte an diesem Boden.
Ein Martyrium. Ich blieb liegen und wartete auf ein Signal, eine Eingebung oder auf eine helfende Hand, keines davon erreichte mich. Alles wurde von dem schwarzen Loch verschluckt.
Ich kapselte mich von meiner Umwelt ab und scheute jeden menschlichen Kontakt, es wurde mir zuwider in meiner Umgebung Menschen zu ertragen. Ich suchte Ruhe und die Einsamkeit, obwohl ich beides nicht ertrug.
Der Untergrund wurde weicher und begann mich zu verschlucken. Die kurz aufkommende Euphorie, die ich empfand, als der Boden weicher wurde und meine Bauchlage sich dadurch verbesserte, schlug in eine noch größere Angst und Mutlosigkeit um, denn ich versank!
Tag für Tag wurde das Loch größer und verschluckte mich, bis ich tief darin feststeckte. Jeder Versuch herauszuklettern, erweiterte den weichen, porösen Rand des Loches und ich hatte immer weniger Chancen herauszukommen. Helfende Hände, die mir von oben gereicht wurden, erkannte ich nicht oder schlug sie weg, wie ungebetene Fliegen, die einfach nur existierten, um einem den letzten Nerv zu rauben. Es schien, als könnte kein Mensch mir helfen.
„Michael?! Wo fährst du lang?“ In meine Gedankengänge mischte sich eine vertraute Stimme. Sie holte mich zurück in das Hier und Jetzt.
Ingo, mein Arbeitskollege, den ich jeden Tag mit zum Dienst nahm. Natürlich kostenlos!
„Ich fahre wieder meinen Umweg“, antwortete ich und verlor dabei mein Gedankenspiel. Mein roter Faden wurde zerrissen. An was hatte ich gerade gedacht?
Ich fuhr auf die erwachende Stadt zu und bog an der Kreuzung nach links, durch den Wald und auf die Umgehungsstraße. Ein trüber Herbstmorgen an einem Montag. Nebelschwaden lagen auf den umliegenden Feldern.
Ein schwarz gekleideter Mann stand an der Fußgängerampel der Kreuzung und wartete auf sein Signal zum Überqueren.
Ich hätte ihn nicht bemerkt. In dem Scheinwerferlicht meines Wagens, das ihn kurz streifte, schien er mich direkt anzuschauen. Er schien mich zu erkennen und ein freundliches Lächeln umspielte seinen Mund. Er hob die Hand zum Gruß und winkte. Grüßte er mich?
Ingo brabbelte irgendetwas, ich hörte nicht weiter zu. Ich verlor mich wieder in meinen Gedanken.
Ich fand keinen Grund für meine innere Zerrissenheit. Nur neue Fragen entstanden. Meine Seele wurde unglücklich.
Ich wurde gefühllos. Mich suchte jeden Tag eine innere Unruhe heim. Ich fand in nichts meine Befriedigung. Ich kaufte mir materielle Dinge, um ein kurzes Glücksgefühl zu spüren. Meine innere Leere füllte sich von neuem und ich wurde wieder ausgehöhlt zurückgelassen.
Ein Vakuum, das keine Gefühle enthielt. Ich schlief mit meiner Frau, aber nur aus Selbstzweck. Ich spürte nichts. War abwesend. Die kleinsten Dinge, die mir früher Spaß machten und die ich mit Regelmäßigkeit machte, erschienen nicht erfüllend. Ich wurde stumpf und empfand keine Freude. Leer, hohl, immer hungrig, gepaart mit Apathie und einer tiefen Sorge um die Zukunft und mein weiteres Leben.
Ich grübelte und wurde nachdenklich. Ich aß und wurde nicht satt. Meine Umwelt machte mich krank.
Ich spürte, wie mich die Flut der Außenwelt überforderte. Mir wurde alles zu viel. Ich wollte doch nur Ruhe, aber bekam sie nicht. Ich wollte in allem einen Sinn erkennen! Aber erkannte ihn nicht. Mein Gesicht zeigte Freude, aber ich spürte sie nicht. Meine Monotonie des Alltags fraß mich auf.
Ich begann, bei jeder Gelegenheit Wein zu trinken. Viel Wein, nur um meine Nerven zu beruhigen. Wein ist gut! Rotwein! Man zeigt damit Stil. Vermittelte seinen Mitmenschen einen kulturellen, intelligenten Menschen. Einen zielbewussten Mann, mit Idealen. Einen Genießer. Doch innerlich krank, tot und einsam.
Das Gesicht des schwarz gekleideten Mannes tauchte vor meinem inneren Auge auf. Dieser Gedankenfetzen kroch von meinem Unterbewusstsein nach oben und sprang in mein Bewusstsein.
Und ich erkannte, dass das Lächeln kein freundliches war: „Es war ein teuflisches, hämisches und verachtendes Lächeln.“ Warum dachte ich darüber nach? Warum hallte dieses Gesicht, dieser Mann und seine Geste des Erkennens in meinem Kopf nach? Hatte der Mann mich überhaupt angeschaut? Oder verwechselte er mich mit jemandem? Keine Ahnung!
Und dies ist der Anfang meiner Geschichte.
Michael
Ingo behauptete, ich würde nur einen Umweg zu meiner Arbeit nehmen, weil ich „nach Nutten schauen“ wollte. Er machte darüber jedes Mal seine Späße, machte sich irgendwie lustig über mich. Ich antwortete nie darauf.
Ich ertrug sie mit meinem Schweigen.
Denn er hatte Recht.
Mein angeblicher Umweg führte durch einen Wald, der in eine Lichtung überging. Eine typische Landstraße, auf der man 100 km/h fahren konnte. Der Übergang in den Wald wurde auf 70 km/h gedrosselt. Warum das so war, kann ich nicht erklären. Wahrscheinlich wegen der Unfallgefahr durch einen Wildwechsel.
Umweltschutzbestimmungen oder einfach, um den Lärm, der durch die Autofahrer verursacht wurde, aus dem Wald zu halten. Die Straße erstreckte sich über zehn Kilometer und führte in einem großen Bogen um die Stadt. Ich rechnete nach und stoppte die Zeit, um die Wege später zu vergleichen. Ich wollte Ingo beweisen, dass es einen zeitlichen Unterschied gab.
Die Straße sollte den Durchgangsverkehr aus der Stadt in den Wald führen. Eine Umgehungsstraße. Die andere Strecke verlief geradewegs durch die Stadt, wurde aber durch fünf Ampelanlagen unterbrochen. Diese standen gefühlsmäßig immer auf Rot. Die Strecke durch die Stadt betrug nur sechs Kilometer, dauerte aber länger. Für mich war es kein Umweg, sondern die logische Konsequenz. Mein Mitfahrer beharrte darauf: „Du machst das, um die Nutten zu begaffen, stimmt's!?“.
Daher brachte jede Diskussion mit meinem Mitfahrer nichts. Und obwohl ich ihm die Ergebnisse zeigte und einen Beweis erbrachte, interessierte es ihn nicht!
Ingo ebenfalls überzeugt, „er hätte nur ein Bier getrunken!“, als er von der Polizei angehalten wurde. Das Alkoholmessgerät zeigte einen viel höheren Wert an, als er es sich vorstellen konnte. Trotz der Diskussion mit der Polizei und der Beteuerung, „es sei wirklich nur ein Bier gewesen“ ließen sich die Polizisten und später auch die „Flensburgerpunktejury“ nicht erweichen.