SINNBILD Fortsetzung - Alexander Wolf - E-Book

SINNBILD Fortsetzung E-Book

Alexander Wolf

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Beschreibung

Michael zweifelt an dem Anruf, durch den er vom Tod seiner Ehefrau erfährt. Verzweiflung, Angst und Irrglauben lassen ihn immer weiter in eine verschrobene Realität abdriften. Während Frank in einem Straßengraben verblutet, wird Karl in einem Raum gefangen und sucht nach seinen Erinnerungen. Und ein Kind, das niemand vermisst. Nach dem erfolgreichen Auftakt von SINNBILD, jetzt die Fortsetzung. Und die brutale Wahrheit des Lebens. Bekommt jeder am Ende seines Lebens das, was er verdient? Sind wir bereit, die ungeschönte und bittere Erkenntnis unseres Daseins zu akzeptieren? Und was bleibt uns am Endes des Lebens, außer der Erinnerung und der Hoffnung, alles richtig gemacht zu haben.

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Seitenzahl: 208

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Psychothriller

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 by Alexander Wolf

Herstellung und Verlag:

epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Covergestaltung:

grafiktum Mediengestaltung Riedstadt

www.grafiktum.de

Lektorat und Korrektorat:

Gunter Mann

2. Korrektorat:

Stefanie Brandt – Steffis Korrekturecke

›O Gott, ich könnte in eine Nussschale eingesperrt sein

und mich für einen König vonunermesslichemGebiete halten, wenn nur meine bösen Träume nicht wären.‹

Hamlet

William Shakespeare

Hamlet, 2.Akt – 2.Szene

Michael,

Frank

&

Karl

EINS

In naher Zukunft

Warum standen Polizisten vor meiner Haustür? Sie klingelten und klopften. Abwechselnd. Klingeln und warten. Klopfen und ausharren. Ich verstand nicht, was die Polizisten hier wollten! Vielleicht hatten sie eine Information? Vielleicht eine Frage?

Ich will diese Typen nicht sehen!

Hatte ich einen Strafzettel nicht bezahlt? Wenn sie einen Durchsuchungsbefehl hätten, würden sie die Tür eintreten und nicht anklopfen! Also, was sollte dieses Schauspiel?

Ich hatte andere Sorgen: Ich musste überlegen, wo Ophelia war. Sie war weg und ich wusste nicht wo. Sie war verschwunden und keiner hatte sie gesehen!

VERSCHWUNDEN!

HATTE KEINE AHNUNG!

VERFLUCHTES WEIB!

Oder besuchten mich die Polizisten wegen der alten Kioskbesitzerin? Hatte die Alte etwa gegen micheine Anzeige erstattet? Überlebte sie meine Begegnung? Realität? Einbildung? Ich hatte keine Ahnung!

Die Realität und meine Fantasiewelt vermischten sich. Ich konnte nicht unterscheiden, was der Wirklichkeit entsprach und was aus meinem kranken Geist entsprang.

››Vielleicht bin ich krank?‹‹Aber war dies nicht ein Indiz dafür, dass ich gesund sein musste? Weil kranke Menschen sich nicht ihre Krankheit bewusst machten und sich diese eingestanden?

Wurde ich wahnsinnig? Wurde ich verrückt? Bitte lasst mich doch alle in Ruhe!!!

WIR

Wir lassen den Herbst gehen und den Winter kommen. Wir gönnen uns ebenfalls eine Pause. Ein Atemholen vor der kalten Jahreszeit.

Noch einmal genießen wir die kühle und frische Herbstluft.

Wir atmen diese tief über die Nase in unsere Lungen ein und entlassen die Luft über unseren Mund wieder in die Freiheit. Wir lieben diese Erfrischung im Herbst, diese Qualität und das gute Gefühl der Atmung. Erfrischend, frei und lebenspendend.

Nicht diese schneidende Kälte der Winterluft, die unsere Nasenflügel gefrieren lässt. Nicht diese Schärfe in den Lungen bei der Sauerstoffaufnahme.

Wir fühlen uns gut und zufrieden - weil wir leben. Wir können in unser warmes und gemütliches Heim zurückkehren, in dem wir uns wohlfühlen und von unseren Lieben erwartet werden.

Da wo unsere Familie wartet, die sich freut uns zu sehen, um mit uns Zeit zu verbringen.

Wir kehren zurück und beobachtenMichael ,Unseren armen Komödiant‘ auf der Bühne des Lebens.

Wir befinden uns im Winter desselben Jahres. Wir wechselten nur den Regenmantel gegen einen dicken, gefütterten Wintermantel.

Wir beobachten, kommentieren und warten: Warten auf den letzten Akt.

ZWEI

Michael

Der erste Tag

Diffuses Licht.

Ich saß in meinem Zimmer und das Licht schien auf meine Umgebung. Verworren.

Konnte Licht überhaupt leuchten? Oder erschien nur die dunkle, zurückgedrängte Umgebung durch das Licht verschwommen? Das Licht schien und beschien mich, den Tischsowieden Stuhl auf dem ich saß. Das Licht stammte von einer Nachttischlampe, die hinter meinem Rücken stand.

Ich schrieb.

Das ‚k‘ auf meiner Tastatur klemmte.Diesstörte mich aber nicht weiter, da in meinem Wortschatz wenige Worte mit einem ,k‘vorkamen. Trotzdem vermied ich Computer-Passwörter mit diesem Buchstaben.

Das Licht zerschnitt die Dunkelheit. Der Platz, an dem ich saß wurde in einen grauen Schleier getaucht und gleichzeitig durch die Schwärze der Finsternis ausgefranst. Dunkle Schatten verschluckten den Restmeines Zimmers. Der Raum verschwand in einem Loch des Nichts.

Genau wie meine Gedanken erreichte das Licht nicht die hintersten Ecken und ließ meine finsteren Gedanken gedeihen. Hass ist gleichzusetzen mit dunklen Ecken im Zimmer.

Lichtfinger der Nachttischlampe streckten sich nach mir aus und versuchten die Finsternis zu vertreiben, doch drangen diese nicht zu mir durch. Kein Licht reichte an meine dunklen Gedanken heran. Finstere Gedanken mochten kein Licht. Böse Gedanken hassten Licht.

Der Computer surrte leise. Wieder einmal spät in der Nacht an einem endlosen Tag.

Einer verdammten sich immer wiederholenden Woche.

Ich saß und schrieb, um meine Gedanken zu sortieren.

Aber mein Geist arbeitete nicht mehr im Einklang mit meinem Gehirn, mein Seelenfrieden wurde dadurch zerstört. Alles drehte sich immer wieder um die eine Frage: WARUM?

Hasserfüllte Gedanken schwappten durch meinen Kopf und überfluteten meinen Geist. Alles wurde zu einem zähen und klebrigen Tümpel in meinem Kopf, der sich vollstopfte mit Zweifel, Verrat und Zorn.

WARUM?

Das war die Frage,umdiesich all meine Gedanken in den letzten Wochen drehten.

Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich konnte nicht mehr klar sehen, alle Tätigkeiten wurden automatisch und mechanisch ausgeführt. Jedes Handeln folgte einer Monotonie des Tagesablaufs.

Die Tage verflogen. Die Nächte brachen ein und ich fiel in einen unruhigen Schlaf. Einen Schlaf, der nicht der Abschluss des Tages wurde, sondern der Anfang eines verdammten neuen Tages der Ungewissheit.

Die Gedanken rasten und ich wusste immer noch nicht, ob alleine das Schreiben meine Aggressionen beruhigen konnte. Ich schrieb alles nieder, den kompletten Gedankenmüll aus meinem Kopf!

Aber der Weg aus meinem Kopf über den Arm auf die Tastatur war zu lang, um alle Worte richtig und echt aufzuschreiben. Das Wahre der Gefühle wurde gefiltert und durch meine Emotionen verzerrt, verunreinigt und vermodert.

Meine Gefühle, zwischen Liebe und Hass, bekriegten sich, bis mir schlecht wurde. Die unglaubliche und große Liebe kämpfte gegen den zerstörerischen Hass. Ich, mittendrin in einem unbesiegbaren Kampf. Beide Kräfte schienen gleich stark zu sein!

Wut, Hilflosigkeit und Schmerz vermischten sichund erzeugten eine ungeheure und unheimliche Kreatur, die in mir nagte.

Meine Gedanken wurden nach und nach von einer schwarzen Bestie gefressen. Die Kreatur verlangte Antworten, Gewissheit und ein klares Ziel für die Zukunft.

Ich schrieb, während das Licht auf eine trügerische Weise auf meinen Rücken schien. Es beleuchtete die Umgebung, in der ich Abend für Abend saß, bis mich die Müdigkeit niederrang.

Das Licht schien! Egal für wen oder für was! Es schien, für die Zufriedenen oder die verzweifelten Menschen. Verworren wurde das Licht erst durch den Betrachter.

Der Schein des Lichtes rief nach mir. Mit krächzender Stimme schien es mich vernichten zu wollen. Es lachte mich aus. Es spiegelte meine Gedanken und reflektierte sie in die Finsternis.

WARUM ist Ophelia abgehauen? Das verstand ich nicht! Und die Frage sollte auch lauten: Kann ich das überhaupt alleine beantworten?

VERSCHWUNDEN!

Sie hatte ein paar Habseligkeiten mitgenommen und war weg. Wir hatten doch nur einen Streit. Wir stritten. Ich wurde laut. Ich fing an zu schreien. Ichbrüllte so laut, dass ich meine eigenen Worte nicht mehr erkannte. Und selbst hörte ich mich nicht, obwohl die Worte aus meinem Kopf kamen und aus meinem Mund flogen.

Die Worte überschlugen sich; wurden undeutlich. Und dann wurde es ruhig.

Ich sah Nebel.

Alles hing hinter einem grauen Schleier, der kein Licht durchließ. Sah nur ihr hübsches Gesicht.

Sie weinte. Was war passiert? Das machte mich traurig. Ich liebe Sie doch!

Danach war sie verschwunden! Sie hat nicht einmal eine Nachricht hinterlassen! Sie ist weg und ich weiß nicht wohin.

Warum ist meine Frau verschwunden? Warum meldet sie sich nicht?

Ich konnte auch diesem Frank keinen Glauben schenken, der anrief und behauptete er hätte meine Frau umgebracht. Warum sollte er das tun, wenn er angeblich eine Affäre mit ihr hatte und sie fickte!?

Warum wollte er mich danach anrufen und den Mord gestehen? Um zu beichten? WARUM?

Dies macht alles keinen Sinn! Und warum werde ich durch allabendliche Telefonanrufe belästigt?

Meine erste feste Freundin ging damals auch ohne Worte nach einem Streit. Aber sie tauchteirgendwann wieder auf. Ich bekam keine Anrufe.

Und das wird Ophelia ebenfalls tun! AUFTAUCHEN! Das weiß ich! Das spüre ich! Ich musste nur Geduld haben und alles über mich ergehen lassen. Weil nach der dunkelsten Stunde, die Sonne wieder aufgehen und mich für meine Geduld belohnen wird!

ICH WEIß ES EINFACH! Nur alles erdulden!

Wut. Hass. Abscheu. Zorn und Verzweiflung. Das sind Gedanken die mich seit Wochen begleiten und mich dermaßen in Rage bringen, dass ich vor Ungerechtigkeit schreien könnte.

Und dann diese Anrufe. Diese Anrufe brachten mich um den Verstand. Abends. Die Dämmerung wich der Dunkelheit.

Immer um dieselbe Zeit. 19:00.

DREI

Irgendwo in Deutschland

Erlauben Sie mir lieber Leser, die Geschichte zu unterbrechen.

Ich bin beim Korrekturlesen darüber gestolpert und stellte fest, dass es für Sie (vielleicht) nicht nachvollziehbar sein könnte, warum Michael glaubt, dass seine Frau verschwunden ist. Und er auf ihre Rückkehr wartet und das, obwohl der erste Band mit Ophelias Tod endet. Erdrosselt. Getötet von Frank.

Doch wissen wir es sicher? Gibt es Beweise? Indizien? Vielleicht ist alles nur von Ophelia inszeniert? Vielleicht entsprang der Anruf und die Mitteilung über ihren Tod, nur Michaels krankem Geist? Ein Komplott zwischen Frank und Ophelia, um Michael zu verlassen und mit Frank ,durchzubrennen‘ ? Fliehen, aus ihrem alten Leben?

Oder ist sie tot und Michael wollte es nicht wahrhaben - floh in eine Scheinwelt, in der er glaubte, sie sei nur verschwunden?

Oder viel interessanter:››Führe ich Euch in die Irre?‹‹

Aber vorerst lassen wir Michael glauben, seine Frau sei nur verschwunden und nicht einem Mord zum Opfer gefallen.

Und hier verlasse ich Sie und lasse die Protagonisten ihre Geschichte weiter erzählen.

Wir gehen zurück zu Michael und beobachten ihn. Er erwartet den allabendlichen Anruf um 19:00 Uhr.

VIER

Michael

Der nächste Tag

Draußen tobte der Wind, der den frisch gefallenen Schnee durch die unheilvolle Gegend trieb.

In einer früheren Zeit genoss ich die Wärme im Haus, wenn ich aus dem Fenster schaute. Ich genoss die Sicherheit der eigenen Wände und die Macht über die Kälte, die ich ausschloss. Doch dieses Mal kam der Frost aus meinem Inneren.

Ich saß am Küchentisch und schaute auf die Uhr.

18:55

Noch fünf Minuten, dann klingelt wieder das Telefon. Wie jeden Abend, seit dem Verschwinden meiner Frau.

Machte sich meine Frau mit diesen verfluchten Telefonanrufen einen Spaß, nur um mich zu ärgern?

Welchen Zweck verfolgte sie damit? Was sollte das? Mein Seelenfrieden wurde schon durch die Ungewissheit aufgefressen. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Schlaflos und immer fortwährend wirbelten meine Gedanken durch den Kopf und suchtennach einer Lösung!

Nichts!

Wo war meine Frau, nach all dieser Zeit geblieben? Warum hat sie sich in Luft aufgelöst, regelrecht geflohen aus ihrem alten Leben?

WARUM?

18:57

Noch drei Minuten.

Der mysteriöse Telefonanrufer war immer noch ruhig. Ich hörte nur ein leises, monotones Schnaufen auf der anderen Seite. Verzweifelt versuchte ich, Hintergrundgeräusche zu erkennen.

Nichts.

Das Schnaufen blieb immer nur solange, bis ich den Mund aufmachte. Wollte Fragen stellen, aber mein Kopf war leer. Es formten sich keine!

Das Gespräch endete. Ohne Dialog. Ohne Information. Am Anfang dachte ich mir nichts dabei, doch diese Routine und Regelmäßigkeit der Anrufe, das unheimliche Schnaufen und Lauern am anderen Ende des Telefons, brachte mich zur Verzweiflung. Welchen Sinn hatte dies?

Jeden Tag 19:00. Ich versuchte, das Telefon zu ignorieren. Doch das Klingeln fraß sich in mein Ohr, bis ich endlich den Hörer abnahm. Auch dasAnschalten des Anrufbeantworters brachte keine Erlösung – im Gegenteil! Dadurch wurde das Spielchen einfach nur in die Länge gezogen: Der Anrufer legte auf und rief wieder an. Solange bis ich selbst abnahm.

Keine Chance. Selbst das Annehmen und sofortiges Auflegen des Hörers hatte keinen Sinn.

Immer erst abheben. Immer erst das Schnaufen. Immer erst zuhören.

18:59

Eine Minute. Welche Frage sollte gestellt werden?

Wer ist da?

Wo bist du?

Wie kann ich helfen?

Was willst du von mir?

All diese Fragen wollte ich stellen. Antworten bekommen! Welche Frage sollte zuerst gestellt werden?

Oder einfach etwas sagen oder erzählen? Warum machte ich mir überhaupt Gedanken und Hoffnung, dass dies meine Frau sein könnte? Welche Verpflichtung hatte ich überhaupt gegenüber dem Anrufer?

Warum denn diesem Bekloppten Rechenschaft abliefern? Ich hasste diese verfluchte Verpflichtung, dieses Telefongespräch anzunehmen, nur um mir damit neue 24 Stunden Frieden zu erkaufen.

Ich war wie ein Angler, der an einem kaltenWintertag fischen wollte. Ich schlug mit meinem Pickel die dicke Eisschicht an. Ein Loch sollte sich öffnen. Ein Loch, damit mein Missmut floh, doch ein tiefer Groll kroch an die Oberfläche.

19:00

Das Telefon klingelte. Ich stand auf und ging in den Flur.

Nach dem zweiten Klingeln nahm ich den Hörer ab.

Schnaufen am anderen Ende. Ich stand reglos da. Der Flur lag im Dunkelgrau. Kein Licht, nur die Restbeleuchtung des Esszimmers kroch zu mir.

››Scheiß Fotze, lass mich in Ruhe und komm zurück!‹‹Dieswar daserstbeste, was mir einfiel.

Ein Schrei!

Ein hoher, alles zerschmetternder Schrei. Ich ließ den Hörer vor Schreck fallen. Das Gespräch war beendet.

Was sollte das? Brauchte endlich Ruhe. Meine Gedanken waren voller Bitterkeit. Mein Kopf hohl. Mein Ohr schmerzte. Musste schlafen.

Auszug aus dem deutschen Duden

Verschwinden:

Beispiele:

du verschwandst; du verschwändest; verschwunden;verschwinde

Bedeutungen:

sich aus jemandes Blickfeld entfernen und dann nicht mehr sichtbar sein

gestohlen werden

Synonyme:

davonlaufen

sich entfernen

sich fortstehlen

weggehen

weglaufen

(umgangssprachlich) abdampfen,abrauschen abschwirren, sich absetzen

(umgangssprachlich abwertend) sich verpfeifen

(umgangssprachlich scherzhaft) ausbüxen

(Amtssprache) verlustig gehen

›Doch ich, zu Possenspielen nicht gemacht,

Noch um zu buhlen mit verliebten Spiegeln;

Ich, roh geprägt, entblößt von Liebesmajestät

Vor leicht sich dreh'nden Nymphen mich zu brüsten;

Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt,

Von der Natur um Bildung falsch betrogen,

Entstellt, verwahrlost, vor der Zeit gesandt

In diese Welt des Atmens, halb kaum fertig

Gemacht, und zwar so lahm und ungeziemend,

Daß Hunde bellen, hink ich wo vorbei;

Ich nun, in dieser schlaffen Friedenszeit,

Weiß keine Lust, die Zeit mir zu vertreiben,

Als meinen Schatten in der Sonne spähn

Und meine eigne Mißgestalt erörtern;

Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter

Kann kürzen diese fein beredten Tage,

Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden

Und feind den eitlen Freuden dieser Tage.

Anschläge macht' ich, schlimme Einleitungen.‹

Gloster

William Shakespeare

Richard III, 1.Akt – 1.Szene

FÜNF

Frank

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Gleichzusetzen mit einer unverdienten Ohrfeige meines verhassten Vaters.

Unberechenbar. Unnötig. Lieblos. Ich bekam von meinem Vater immer die rechte Hand zu spüren, wenn ich nicht nach seinen Maßstäben funktionierte. Genauso fühlte sich meine jetzige Situation an. Mir wurde dies in dem Moment klar, als es passierte.

In meinem Bewusstsein legte sich die Einsicht, dass dies das Ende wird und mir niemand zur Hilfe eilt.

Dies war die bittere Wahrheit, denn ich hatte nichts anderes verdient.

Ich werde meinen letzten Atemzug in dieser verschneiten Böschung machen, während ich langsam verblute.

Die Nachwelt wird sich ein Urteil über mich bilden. Ich werde alleine sterben, weil kein Familienmitglied mich beweinen kann – ich habe keine Angehörigen mehr.

Mein Vater war der Erste, dem sein Lebengenommen wurde. Er wurde der Erste, den ich tötete!

Sein Tod wurde mein Befreiungsschlag, meine Freiheit, die mich erhaben machte, gegen jede Schuld.

Der Tod meines Vaters offenbarte mir, welche Emotionen in mir entstanden: KEINE.

Ich beobachtete meinen verhassten Vater, während er seine letzten Atemzüge machte. Seine Augen waren dabei weit aufgerissen. Seine Hände krampfhaft an seinem Hals, als könnte er seine Luftröhre durch Drücken erweitern, um damit seinen Körper mit dem nötigen Sauerstoff zu versorgen. Röchelnd versuchte er, nach Luft zu schnappen. Doch es funktionierte nicht.

Sein Todeskampf fand im Wohnzimmer auf seinem braunen, verschlissenen und abgewetzten Lieblingssessel statt. Er drückte sich nach hinten in die Lehne und stemmte sich mit den Füßen in den Boden.Wollte er in den höheren Luftschichten die Erlösung finden?

Ich stand vor ihm und versuchte dabei meine Gefühle zu ergründen. Wir waren das erste Mal auf einer Augenhöhe. Ich lauschte tief in mich hinein, um einen Lichtfleck zu finden, der meine Emotionen ausleuchtete und hervorbrachte. Nichts. Keine Regung. Kein Mitleid. Keine Trauer.

Ich empfand keine Trauer, weil das mein Vater war. Empfand kein Mitleid, wie er mit seinem Lebenrang und empfand kein Glücksgefühl, weil ich es war, der diesem verfluchten Despot das Leben nahm.NICHTS.

Ich stand vor ihm und schaute seinem Todeskampf zu. Seine Augen spiegelten seine panische Angst wider. Vielleicht war auch das kurze Funkeln in seinen Augen die Erkenntnis, dass sein eigener Sohn ihm sein Leben nahm?

In meiner Kindheit wurde ich jeden Abend an einen Abgrund geführt. Ich schaute hinab in das schwarze Loch. Die Hölle erschien mir immer, solange ich denken konnte, um die gleiche Zeit.

Als ich ein Kind war, wünschte ich mir, dass ich diese Zeit überspringen könnte. Einen Schritt wagen und über diesen Abgrund auf die andere Seite springen. Ich hasste die Abende und wünschte mir schon mittags, wenn ich aus der Schule kam, in mein Zimmer zu verschwinden.

Dies wurde mir jedoch von meiner Mutter verwehrt.

Ich wollte den Abend ausblenden und einfach verschlafen oder zumindest wie in Trance vorbeiziehen lassen. Einfach herausschneiden und nahtlos in die Nacht übergehen. Aber das Zeitgefüge ließ dies nicht zu.

Meine Mutter und ich mussten uns jeden Abendvon ihm neue Aufgaben geben lassen. Wir bekamen immer seine Unzufriedenheit zu hören: Wie meine Mutter den Haushalt führte und meine Schulaufgaben mit››dahin geschmierter Schwachsinn‹‹tituliert wurde.

Selbst Aufgaben, die ich sorgfältig erledigte, wie Straße fegen, im Garten Unkraut jäten, den Kellerraum aufräumen, die Vorratskammer und eingemachte Nahrungsmittel sortieren, wurde abgetan mit den Worten:››Hast wohl mal einen guten Tag gehabt!‹‹

Dabei sollte die fehlende Kritik als Lob verstanden werden. Immer strengte ich mich an, um Lob zu bekommen und Anerkennung zu erfahren.

Aber dies passierte bis zu seinem Tod nie!

Stets fand er etwas andereszuBemängeln. Egal, was ich machte, ich ging immer mit dem Gefühl ins Bett, minderwertig zu sein.

Nach dem gemeinsamen Abendessen zog er sich auf seinen Lieblingssessel zurück und qualmte seine abendliche Pfeife. Er besaß 184 davon. Für jeden Abend des Tages Eine und das für ein halbes Jahr. Er rauchte einen dunklen, würzigen Tabak, der sich schwer im ganzen Haus ausbreitete und einem die Luft zum Atmen raubte. Er paffte und benebelte sein Umfeld. Er studierte die Tageszeitung und eine ungewohnte Zufriedenheit erschien auf seinem Gesicht. In dieserZeit wurde keine Störung erwünscht.

Befindlichkeiten oder Krankheitsfälle interessierten ihn nicht. Er war das Oberhaupt der Familie und für die Ordnung und das Einhalten der Regeln verantwortlich. Außerdem war er verantwortlich für seinen einzigen gezeugten Sohn.Mich.

Dieser sollte eine strenge Erziehung genießen. Eine Strenge, die auf das Leben vorbereiten sollte und keinen Platz für Emotionen haben durfte. Emotionen waren Frauenkram und hatten in der Welt von Männern nichts zu suchen. Männer mussten funktionieren und Geld für die Familie verdienen.

Dadurch blieb keine Zeit für Gefühlsduselei. Pünktlichkeit, Regelmäßigkeit und Routine waren das Ziel und Disziplin die Straße, die dahin führte.

Ich sah meinen Vater immer mit seinem strengen und emotionslosen Gesicht. Eine Maske, die nur den Mund bewegen konnte, um seine Befehle zu geben oder seine Trillerpfeife zu benutzen.

Des Vaters Trillerpfeife, die er immer in seiner Hosentasche mitführte, konnte zur Sirene werden. Die Pfeife signalisierte seinen Wunsch, einen von uns zu sehen. Meine Mutter und ich sollten alles stehen und liegen lassen, damit wir bei ihm antreten konnten. Niemals wagte jemand ihm nicht zu gehorchen oder ihn zu rufen. Niemals! Er war der Herr des Hauses undwir hatten zu dienen.

Die Trillerpfeife konnte als Ruf benutzt werden oder als Signal, um uns zu schnelleren Arbeit anzutreiben. An der Lautstärke erkannten wir, wie dringend sein Ruf war. Je lauter und stärker, desto unzufriedener war er nach seinem Kontrollgang und umso wütender kam er von diesem zurück.

Während er seine Tabakpfeife rauchte, konnten wir sicher sein, dass er nicht trillern würde. Die Kombination aus diesem schweren Tabakrauch, der durch das Haus zog und die aufkommende angenehme Stille, vermischte sich zu einem Ruhepol, in dem ich bis zum nächsten Tag Frieden fand. In diesem Moment spürte ich, dass ich die Einsamkeit benötigte, um Energie für den nächsten Tag zu tanken. So konnte ich die immer wiederkehrenden Abende aushalten.

Die Wochenenden hatten eine andere Qualität. Der Samstag war geprägt durch Arbeit im und am Haus oder im Garten, bis die Mutter zum Essen rief.Die Zeiten mussten streng eingehalten werden: 08:00 Frühstück, 11:00 Mittag, 15:00 Kaffee und 19:00 Abendessen, danach Fernsehabend bis 22:30. Dann Schlafen.

Sonntags war der schönste Tag der Woche. Nach dem 10:00 Uhr Gottesdienst ging ich mit meiner Mutter nach Hause und hatte frei.

Mein Vaterwarin derKneipe und traf sich mit seinen Kollegen, mit denen er die Politik verbesserte und die Weltgeschehnisse verteufelte. Abends kam er angetrunken und nach PfeifentabaksowieAlkohol stinkend nach Hause, um sein Abendessen einzunehmen. Danach musste ich sofort ins Bett. Er hatte diesen versoffenen, wilden Blick und ich wusste, was passieren würde, wenn ich nicht schnell genug verschwunden war.

Er sagte immer››Ab ins Bett, weil ich mit deiner Mutter ein ernstes Wörtchen reden muss!‹‹Zuerst verprügelte und beschimpfte er sie, um sie anschließend mit seinem stinkenden Penis und seinemverschwitztenKörper zu benutzen.

Ich ignorierte die stumpfen Schreie meiner Mutter und dachte an den zurückliegenden Tag. Für mich endete er wieder mit Einsamkeit und Ruhe. Ich spürte ein klein wenig Glück, weil dies der einzige Tag der Woche war, an dem ich verschont blieb.

Meine Gefühlswelt erkaltete an dem Tag, als ich in die Pubertät kam und einen einsamen Entschluss fasste:››Ich musste diesen Menschen loswerden!‹‹

Ich stellte mir vor, wie ich diese Kreatur beseitigte, der mir Fesseln anlegte und meine unbeschwerte Kindheit raubte. Danach musste es mir besser gehen. Eine logische Konsequenz aus meiner Erziehung.

Aber der Tod meines Vaters änderte nichts an meinen Gefühlen.

Im Gegenteil: Er öffnete nur die Flasche zu meinem unstillbaren Durst, mehr zu wollen.

Ich war elf Jahre.

Auszug von Wikipedia (de)

Die Melancholie:

Melancholie bezeichnet einen seelischen Zustand von Schwermut oder Traurigkeit, der in der Regel auf keinen bestimmten Auslöser oder Anlass zurückgeht. Das Wort leitet sich von dem griechischen Begriff melancholia (Schwarzgalligkeit) ab. In Bezug auf eine psychische Disposition oder ein Krankheitsbild ist der Begriff Melancholie im 20. Jahrhundert weitgehend durch den Begriff der Depression ersetzt worden. Der Begriff Melancholie hat jedoch unterschiedliche Bedeutungen und wird in Philosophie, Medizin, Psychologie, Theologie und Kunst behandelt.

SECHS

Michael

Winter, derselbe Tag

Die Nacht folgte auf den Tag. Ein einfacher Tag. Nichts Besonderes.

Unser Sohn war lieb. Vielleicht spürte er, dass ich nicht mehr erklären konnte, wo seine Mutter war.Ist wirklich ein liebes Kind und mein››Ein und Alles‹‹.

Ich versuchte alles alleine zu meistern. Den Haushalt, die Arbeit und unseren gemeinsamen Sohn erziehen.

Das konnte sehr schwer werden. Besonders, wenn die Nacht unruhig wurde und ich keinen richtigen Schlaf fand.

WO WAR SIE? Ich verstand das nicht! Ich dachte, dass alles zwischen uns beiden geklärt war?! Es ist selbstverständlich, dass nach einem Streit noch ein gewisses Misstrauen bestehen blieb.

Aber was für ein Problem sie hatte, war mir unverständlich! Alles verschwamm im Licht, das weiterhin verworren leuchtete.

Was definierte einen Mann? Der Selbsterhaltungstrieb? Oder waren es die kleinen Dinge,die den Menschen antrieben? Warum möchte ein Mensch weiter leben? Warum möchte ich das noch? Ich war antriebslos und einsam.

Dachte in den letzten Tagen oft an Suizid. An Erlösung, dem Schmerz entfliehen. RUHE!

War ich gefährdet?

War ich eine Gefahr für die soziale Umwelt? Oder gar ein Produkt dieser Umwelt?

Es gab kurze Momente, in denen die Glückseligkeit in mir wohnte. Dann war ich energiegeladen, hatte Spaß an Kleinigkeiten, genoss die Zeit und war der absoluten Überzeugung, dass meine Frau bald wieder auftauchte. Mich erfüllte eine unendlich große Hoffnung, ein von innen wachsender Glauben, dass meine Frau zu mir zurückkam. Wir liebten uns!

Doch mit dem Verrinnen der Stunden, wich erneut meine Hoffnung und ich hatte keine Chance diesen winzigen Moment der Hoffnung und des Glücks einzufangen, zu behalten und wachsen zu lassen. Dieser kleine Keim, aus dem ein kräftiger Baum werden sollte, wurde herausgerissen.

Mit einem Schlag wurde mein Innerstes wieder zerstört und ich fiel umso tiefer, je glücklicher und zuversichtlicher ich vorher war.

Abends.

Ich saß und schrieb meine Gedanken des Tages auf. Suizidal und schizophren. Komische, misstrauische Wörter schossen mir in den Kopf. Was hielt mich noch am Leben? Mein Kind? Oder die Tatsache, dass ich meine Frau wieder sehen wollte? Wo war sie und warum verschwand sie, ohne etwas zu sagen oder zu schreiben?

Warum war sie nicht mehr da und ließ mich mit allem alleine? WARUM?

Mir kamen Gedanken in den Sinn, in denen ich glaubte, sie sei tot! Einem Mord zum Opfer gefallen oder verunglückt und man hatte sie noch nicht gefunden.

Doch ignorierte ich diese, weil es nicht sein konnte. Sie war es doch, die mich jeden Abend anrief! Auch, wenn sie nichts sagte! Wer sollte es sonst sein?!

Ich musste es nur mit Geduld ertragen! Irgendwann wird sie die Kraft haben, mit mir am Telefon zu reden! Irgendwann!Brauche nur Geduld!Und Zeit!

Wir waren füreinander gemacht. Und es schien, als ob das Schicksal für uns seine Fäden spannte, um damit einen wärmenden Pullover zu stricken. Das Garn einzig und alleine aus unseren hellen Lebensfarben gesponnen.

Warum zerstörte sie alles? Warum trieb sie mich in den Wahnsinn!?

Wollte sie Aufmerksamkeit? Wollte sie Streit provozieren? Mich ärgern? Brauchte sie eine Auszeit und Abstand von mir und unserer Ehe? Warum redete sie nicht mit mir darüber?

Während ich schrieb, kreisten meine Gedanken. Ichnahm mir vor,an die guten Zeiten zu denken,welcheich mit meiner Frau erlebt hatte. Aber es wollte mir nicht gelingen. Die Füße waren kalt und mein Kopf leer.

Die Heizung im Haus musste repariert werden. Fühlte mich unwohl in meiner Haut. Fühlte mich unbehaglich in meinem Geist. Keine Zeit, mich um die Heizung zu kümmern. Keine Zeit, mich um meinen Gemütszustand zu scheren. Ich hatte mein Kind, meine Arbeit und den Haushalt.

Einfach nur meine Gedanken sortieren und mich beruhigen, aber bis mir das gelang, war es Nacht und ich musste schlafen.

Schlafen, und dabei versuchen, meine Sorgen zu vergessen.

Die Tage wurden dunkler und kürzer. Es wurde abends kühler und das Wetter schlug um. Mein Sohnwar über den Tag ruhig und unauffällig. Bemerkte er, dass ich keine Zeit mit ihm verbrachte? Hatte er Angst?

Ichgetrautemich nicht zu fragen! Bald war Wochenende, vielleicht kam sie ja dann zurück, weil sie ihn vermisste. Sie sollte sich aber bloß nicht heimlich inmein Haus stehlen!

Ich werde aufpassen und darauf hören, ob sie wieder ,klein beigab‘ und zu mir zurückkam. Ich liebte und brauchte sie! Ich brauchte sie so sehr, ich musstewieder malficken. Ich dachte, als Entschuldigung für ihr verschwinden wäre sie mir eine anständige Nummer schuldig! Nur schnell und schmutzig. Genau das war sie mir schuldig. Schnell und schmutzig.

19:00 Uhr

Scheiß Telefonanruf! Wieder nur Schnaufen.

Zum Glück ohne Schrei.Ophelia?

Aufgelegt.

Licht aus! Schlafen.

TAGEBUCH, AUSZUG

undatiert

Depressive Verstimmung sagte man mir.

Sollte Tabletten nehmen, weil ich zu wenig Schlaf hatte.Depressiv! Das Wort setzte sich in meinen Gedanken fest. Die Stimmen sagten: „Depressiv ist die Umwelt und der Arzt der das diagnostizierte.Wirsind normal. Klingt plausibel, konnte es nicht erklären, weil die Worte nicht haften bleiben. Für mich klang das aber einleuchtend. Die Stimmen haben Recht. Ich verstehe das. Die anderen wollen mich krank machen. Depressiv? Ich brauche nurSchlaf. Ein wenigRuhe. Habe die Dialoge gebannt, habe Ruhe imKopf. Benötige keine Tabletten.

SIEBEN

Karl