Sinnlich verführt vom Feind - Kate Hewitt - E-Book

Sinnlich verführt vom Feind E-Book

Kate Hewitt

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Beschreibung

Zärtlich küsst der Fremde ihre Tränen fort und liebt sie eine sinnliche Nacht lang. In seinen starken Armen gelingt es Allegra, die Trauer um ihren geliebten Vater zu vergessen, doch am nächsten Morgen schickt ihr geheimnisvoller Liebhaber sie einfach fort. Was hat sie ihm bloß getan? Allegra versteht es nicht. Bis sie ihn bei der Testamentseröffnung wiedersieht: Der italienische Milliardär Rafael Vitali war der größte Feind ihres Vaters! Nichtsahnend hat Allegra sich ihm hingegeben, mit Folgen, die sie für immer verbinden werden …

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Seitenzahl: 204

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Kate Hewitt Originaltitel: „Engaged for Her Enemy’s Heir“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2336 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Annette Stratmann

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733710156

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Die Leute schienen einen Leichenschmaus für eine gute Gelegenheit zu halten, sich wieder einmal gepflegt zu betrinken. Zumindest kam es Allegra Wells so vor, auch wenn sie nicht gerade viel Erfahrung auf diesem Gebiet hatte. Sie selbst hielt sich lieber an Mineralwasser. Nachdem sie Allegras Vater zu Grabe getragen hatten, stand sie mit ihrem Glas in der Hand am Rand des prächtigen Festsaals in Rom und sah zu, wie die Trauergäste fröhlich dem Alkohol zusprachen.

Eigentlich hätte sie traurig oder verbittert sein müssen, doch alles, was sie spürte, war eine bleierne Müdigkeit.

So hätte es nun wirklich nicht sein sollen.

Vor fünfzehn Jahren wäre es nicht so gewesen.

Sie trank einen weiteren Schluck Wasser. Beinah hätte sie sich gewünscht, es wäre Alkohol, der sich wie flüssiges Feuer in ihren Magen fraß. Dann hätte sie wenigstens etwas empfunden. Vielleicht hätte ein starker Drink den Panzer aus Eis zum Schmelzen gebracht, der sie schon so lange gefangen hielt, dass sie die lähmende Kälte kaum noch wahrnahm. Denn eigentlich hatte sie sich in ihrem kleinen, bescheidenen Leben in New York ganz gut eingerichtet.

Doch heute Abend, zwischen all den fremden Leuten, wurde ihr schmerzhaft bewusst, wie isoliert sie war in dieser Welt, die sie nur noch aus der Ferne kannte. Genau wie ihren Vater, den Mann, der sie im Stich gelassen hatte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Seine zweite Ehefrau und seine Stieftochter waren ihr nie zuvor persönlich begegnet, aber sie hatte Fotos von den beiden im Internet gesehen. Allegra war zufällig darauf gestoßen, als sie in einem schwachen Moment den Namen ihres Vaters in die Suchmaschine eingegeben hatte. Alberto Mancini, Direktor von Mancini Technologies. Tatsächlich gab es genug Schlagzeilen über ihn im Netz, denn seine neue Gattin war deutlich jünger als er und allem Anschein nach brennend an ihrem gesellschaftlichen Aufstieg interessiert. Dass die ganz in schwarze Spitze gehüllte Frau sich am Grab des Verstorbenen geziert eine Träne aus dem Augenwinkel tupfte, machte sie in Allegras Augen nicht unbedingt sympathischer.

Sie selbst wurde von der Witwe ihres Vaters komplett ignoriert, doch das war auch nicht weiter verwunderlich. Niemand hier wusste, wer Allegra war. Hätte der Testamentsvollstrecker sie nicht kontaktiert, sie hätte nicht einmal von der Beerdigung erfahren.

Nun stand sie hier, umringt von lachenden, schwatzenden Menschen, die eifrig damit beschäftigt waren, der gesellschaftlichen Etikette Genüge zu tun und ihre Eitelkeiten zu pflegen. Allegra fragte sich, warum sie überhaupt hier war. Was erhoffte sie sich davon? Sicher, ihr Vater war gestorben, doch das war er für sie schon vor fünfzehn Jahren. Und sie für ihn. Keine Nachricht, kein Brief, kein Anruf in all der langen Zeit. Nichts. Das war ein Grund zur Trauer. Nicht der Tod dieses Mannes, sondern der Verlust ihres Vaters, der nun schon viele Jahre zurücklag.

Sein Tod führte ihr nur noch einmal drastisch vor Augen, was sie all die Jahre schmerzlich vermisst hatte. War sie deshalb hier? Um einen Schlusspunkt unter all das Leid zu setzen?

Ihre Mutter hatte Allegras Wunsch, an der Beisetzung teilzunehmen, als Verrat und persönliche Beleidigung empfunden und sie mit eisigem Schweigen gestraft. Allegra bekam jetzt noch eine Gänsehaut, als sie daran dachte. Jennifer Wells hatte nie verwunden, dass ihr Mann sie und ihre Tochter von einem auf den anderen Tag aus seinem Leben verbannt hatte. Mit einem glatten, sauberen Schnitt.

Glatt und sauber? Nein. Blutig und grausam war es gewesen, nach einem behüteten Dasein in Luxus und Sicherheit plötzlich zu Armut und Einsamkeit verdammt zu sein. Allegra hatte verzweifelt versucht, die plötzlichen Veränderungen zu verstehen – die Abwesenheit ihres Vaters, die schmallippigen Erklärungen ihrer Mutter, die keine waren.

Dein Vater hat unsere Ehe für beendet erklärt. Ich kann nichts dagegen tun. Er will nichts mehr mit uns zu tun haben, weder mit mir noch mit dir. Und er zahlt keinen Penny Unterhalt.

Ihr Vater ließ sie allein? Einfach so? Allegra konnte es nicht glauben. Ihr Vater liebte sie doch! Er schwenkte sie herum, kitzelte sie, nannte sie seine kleine Blume.

Jahrelang hatte sie auf einen Anruf, eine Mail, einen Brief von ihm gehofft, doch alles, was sie bekommen hatte, war Schweigen.

Was wollte sie also hier? Ihr Vater war tot, und niemand von den Trauergästen wusste, wer sie war und was sie dem Toten einmal bedeutet hatte.

Ihr Blick fiel auf einen Mann mit blitzenden Augen und rabenschwarzem Haar. Er stand etwas abseits, genau wie sie, und die Art, wie er mit wachsamer Miene das Geschehen beobachtete, weckte ihr Interesse.

Sie kannte ihn nicht, wusste nicht, in welchem Verhältnis er zu ihrem Vater gestanden hatte, und doch fühlte sie sich ihm auf seltsame Weise verbunden. Was nicht hieß, dass sie ihn ansprechen würde. Natürlich nicht. Sie war schon immer schüchtern gewesen, und die Scheidung ihrer Eltern hatte es nicht besser gemacht.

Allegra behielt ihn unauffällig im Auge, überzeugt, dass er ohnehin keine Notiz von ihr nehmen würde. Wer war sie schon? Eine blasse junge Frau in einem tristen schwarzen Kleid mit wirren roten Locken. Langweilig. Unscheinbar. Er dagegen war ein echter Hingucker, was auch zahlreiche andere Frauen im Saal dazu brachte, ihn mehr oder weniger verstohlen anzuhimmeln.

Er war nicht nur umwerfend attraktiv, sondern auch unverschämt sexy. Sein großer, muskulöser Körper strahlte eine Vitalität aus, die auf einer Trauerfeier fast schon unanständig wirkte, ihn aber umso anziehender machte. Sie beklagten hier einen Toten, und dieser Mann sprühte vor Leben. Mit seinem funkelnden Blick, den locker zu Fäusten geballten Händen und der sprungbereiten Haltung erinnerte er Allegra an einen Boxer im Ring.

Mehr noch als sein gutes Aussehen faszinierte sie die brodelnde Energie, die von ihm auszugehen schien. Vielleicht, weil sie spürte, wie sehr es ihr selbst daran mangelte. Sie fühlte sich müde und leer, er dagegen …

Wer war er? Warum war er hier?

Vielleicht sollte sie sich doch einen Drink gönnen, bevor sie in ihr tristes Pensionszimmer zurückkehrte. Entschlossen bahnte sie sich einen Weg zur Bar. Morgen würde sie wie gewünscht an der Testamentseröffnung teilnehmen, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass ihr Vater ihr irgendetwas vererbt hatte. Dann würde sie nach New York zurückfliegen, diese ganze leidige Angelegenheit hinter sich lassen und neu anfangen, und zwar wirklich. Denn das war ihr bisher nicht gelungen, wie ihr plötzlich klar wurde.

Sie bestellte ein Glas Rotwein und zog sich damit in eine ruhige Nische zurück. Der erste Schluck rann samtweich durch ihre Kehle und nahm den Ecken und Kanten in ihrem Innern die Schärfe.

„Verstecken Sie sich?“

Beim Klang der warmen, sonoren Männerstimme blickte sie überrascht auf und erschrak, als sie sah, wer vor ihr stand. Er.

Wie durch ein Wunder war plötzlich ihr Märchenprinz zur Stelle, als hätte sie ihn, kraft ihrer Gedanken, quer durch den Saal herbeigezaubert. Nur sein spöttischer Blick und der harte Zug um seinen Mund passten nicht recht ins Bild.

War er am Ende der Bösewicht?

Allegra brachte kein Wort heraus, starrte ihn nur an. Er sah wirklich ausgesprochen gut aus, der elegant gekleidete Mann mit dem dichten dunklen Haar, den wachen hellbraunen Augen und dem Dreitagebart, der sein kantiges Kinn zierte. Ein bisschen so, wie sie sich Mephisto vorstellte – düster, verwegen und von einer Aura der Macht und mühsam gezügelter Energie umgeben, der sie sich kaum entziehen konnte.

„Nun?“, hakte er nach, seine Stimme dunkel und sinnlich wie geschmolzene Bitterschokolade.

„Ja, ich verstecke mich.“ Nervös trank sie einen weiteren Schluck Wein. „Ich kenne hier niemanden.“

„Schleichen Sie sich öfter auf fremde Begräbnisfeiern ein?“ Er grinste frech, und sie senkte verlegen den Blick. Sie wollte nicht zugeben, wer sie war. Die verstoßene Tochter. Das verlassene Kind, das hoffte, noch etwas abzukriegen.

„Nur, wenn es Freigetränke gibt“, scherzte sie und erhob ihr Glas. „Kannten Sie ihn? Alberto Mancini, meine ich.“ Der Name ihres Vaters kam ihr nur schwer über die Lippen, und zu ihrer Überraschung glaubte sie, einen Anflug von Zorn in den Augen des Fremden aufflackern zu sehen. Aber sie konnte sich auch getäuscht haben.

„Nicht direkt. Mein Vater hatte früher einmal geschäftlich mit ihm zu tun. Ich bin hier, um … um ihm Respekt zu zollen.“

„Aha.“ Allegra bemühte sich, ihre fünf Sinne beisammenzuhalten. Der Ausdruck schläfrigen Interesses, mit dem ihr Gegenüber sie musterte, brachte ihre Haut zum Prickeln. Sie hatte das Gefühl, von unsichtbaren Fingern gestreichelt zu werden. Nie zuvor hatte sie so unmittelbar körperlich auf einen Mann reagiert, was allerdings auch damit zu tun haben konnte, dass ihre Nerven ohnehin blank lagen. „Das ist nett von Ihnen. Wie, sagten Sie, war Ihr Name?“

„Den habe ich Ihnen noch gar nicht genannt.“ Wieder bedachte er sie mit einem dieser aufreizenden Blicke, bei denen sie sich vorkam, als wäre er der Raubvogel und sie die Beute. „Aber mein Name ist Rafael.“

Rafael Vitali hatte keine Ahnung, wer die Frau war, aber er war fasziniert von ihren tizianroten Locken und den großen grauen Augen, die so unverhüllt ihre Gefühle widerspiegelten: Erschöpfung, Sorge, Trauer. Trauer?

Er fragte sich, in welchem Verhältnis sie zu Mancini gestanden hatte. Obwohl es ihm eigentlich egal sein konnte, jetzt, da sein Plan aufgegangen und der Gerechtigkeit Genüge getan war. Doch seine Neugier war geweckt. War die Rothaarige eine Freundin der Familie? Oder, weniger harmlos, eine heimliche Geliebte des Verstorbenen? Sie war jedenfalls nicht hier, um sich an der Bar zu bedienen, so viel war sicher. Was verbarg sie vor ihm?

Er trank von seinem Whisky und betrachtete ihr Gesicht, auf dem sich die Emotionen abzeichneten wie Wellen auf einem See: Verwirrung, Hoffnung, Kummer.

Eine Geliebte, entschied er. Obwohl sie jung genug war, um Mancinis Tochter zu sein. Mancinis zweite Ehefrau und seine Stieftochter standen mit mürrischen Mienen auf der anderen Seite des Saals und wirkten eher gelangweilt als traurig. Rafael hätte vielleicht noch einen Funken Mitgefühl mit Mancinis Witwe gehabt, hätte er nicht gewusst, wie gierig sie sich über das Vermögen ihres Mannes hergemacht hatte. Nun, morgen würde sie feststellen, wie wenig davon noch übrig war. Und das erschien ihm nur fair. Schließlich war auch seine Mutter dank Mancini als mittellose Witwe geendet.

Und was seinen Vater anging …

Er wappnete sich gegen den aufkommenden Schmerz, gegen die quälenden Erinnerungen, die er verdrängen musste, um nicht verrückt zu werden. Normalerweise verbot er sich jeden Gedanken an seinen Vater, doch Mancinis Tod hatte die Tür zum düstersten Kapitel seines Lebens weit aufgestoßen. Die alte Wunde brannte wie eh und je und setzte einen Sturm von Gefühlen frei, den er unbedingt bändigen musste.

Pass auf die beiden auf, Rafael. Du bist jetzt der Mann im Haus. Du musst deine Mutter und deine Schwester beschützen, egal was auch geschieht …

Nein! Er musste die Tür zur Vergangenheit schnell wieder zuschlagen, und er wusste auch schon, wer ihm dabei helfen würde.

„Ich hoffe, die Bar ist es wert“, sagte er zu seiner neuen Bekannten, und sie lächelte verschämt.

„Ich bin nicht hier, um Getränke zu schnorren.“

„Dachte ich mir.“ Er lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand, um der hübschen Rothaarigen näher zu sein, die noch dazu so verführerisch duftete. Sie war wirklich süß mit ihren silbergrauen Augen, den vollen Lippen und den rötlichen Sommersprossen auf der cremeweißen Haut. „Also, woher kennen Sie Mancini?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Dass ich ihn kannte, ist lange her. Ich weiß nicht, ob er sich überhaupt noch an mich erinnert hätte.“ Ihr trauriges kleines Lachen weckte in Rafael einen Anflug von Mitgefühl, was ihm gar nicht passte. Schließlich hatte er gerade beschlossen, mit ihr ins Bett zu gehen. Warum auch nicht? Sie war eine von Mancinis Verflossenen, eine Goldgräberin, die für Geld und Schmuck alles tat. Warum sollte er Mitleid mit ihr haben?

Allerdings wirkte sie erstaunlich zerbrechlich. Sie sah aus, als könnte ein einziger Windhauch sie umblasen. Unter ihrem schlichten schwarzen Kleid zeichnete sich eine schmale, aber äußerst reizvolle Figur ab. „Wer könnte Sie schon vergessen?“, erwiderte er galant und stellte amüsiert fest, dass sie errötete.

„Wenn Sie wüssten.“ Sie lachte nervös. „Welche Art von Geschäften hat Ihr Vater denn mit mei… mit Mancini getätigt?“

„Die beiden hatten eine neuartige Technik für Mobiltelefone entwickelt. Inzwischen längst überholt, aber damals revolutionär.“ Und sie hätte seinem Vater ein Vermögen eingebracht, wenn Mancini ihn nicht ausgetrickst hätte. Und wenn er am Leben geblieben wäre.

„Davon verstehe ich nichts. Ich verstehe nicht mal mein eigenes Smartphone.“ Sie senkte die rotgoldenen Wimpern, hob ihr Glas an die Lippen und trank.

„Und Sie?“, fragte Rafael. „Was machen Sie beruflich?“

Er schätzte sie auf Ende zwanzig. Hatte sie einen neuen Sugardaddy gefunden, von dem sie sich aushalten ließ?

„Ich arbeite in einem Café in Greenwich Village. Einem Musikcafé, wo es Instrumente und Noten zu kaufen gibt. Es ist eine Art Treffpunkt für Musikbegeisterte.“

„Und Sie sind eine von ihnen, nehme ich an.“

„Ja“, kam es leise zurück. „Ja, Musik bedeutet mir sehr viel.“

Rafael war leicht irritiert von der Inbrunst, mit der sie sprach. Er war nicht auf tiefe Gefühle aus, nur auf ein lockeres, sexuell befriedigendes Abenteuer.

„Ich denke, ich sollte jetzt gehen“, sagte sie zögernd, doch etwas in ihrem Blick sagte ihm, dass sie insgeheim hoffte, er würde sie zurückhalten. Und das tat er.

„Der Abend ist noch jung.“ Wie zufällig streifte er ihr Bein mit seinem, damit sie spürte, wie heiß er auf sie war. „Wir können auch woanders hingehen. Welche Musik hören Sie am liebsten?“

„Nun, ich weiß nicht, ob Sie damit etwas anfangen können …“

„Versuchen Sie’s.“

„Okay.“ Ihr Lächeln verwirrte ihn. Wie ein Sonnenstrahl schien es in den dunkelsten Winkel seiner Seele vorzudringen. „Ich liebe den dritten Satz der Cellosonate von Schostakowitsch. Kennen Sie ihn?“

„Leider nicht.“

„Schostakowitschs Musik ist so gefühlvoll. Sie berührt mich wie keine andere.“

„Sie machen mich neugierig.“ Rafael hatte nur einen Aufhänger gesucht, um sie in seine Suite zu locken, aber jetzt interessierte ihn die Musik wirklich. „Ich wohne hier im Hotel und habe eine erstklassige Musikanlage. Darf ich Sie einladen, das Stück gemeinsam mit mir zu hören?“

Sie sah ihn überrascht an. „Tja, also …“

„Meine Minibar hat auch mehr zu bieten als diese Plörre hier“, setzte er humorvoll hinzu, nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es weg. „Kommen Sie.“

„Ich weiß nicht recht …“

„Ich aber.“ Entschlossen zog er sie mit sich zur Tür, wobei er die neugierigen, teils neiderfüllten Blicke der anderen Gäste ebenso konsequent ignorierte wie vorher die Annäherungsversuche diverser Frauen. Er wollte nur die eine, deren Hand er jetzt hielt.

Als er mit ihr in den Aufzug stieg, begann sein Herz vor Erwartung zu rasen. Er hatte sich lange nicht mehr so auf eine Frau gefreut wie jetzt auf sie. Wenn sie es sich nur nicht anders überlegte!

„Sie haben ein bezauberndes Lächeln“, raunte er ihr zu.

„Finden Sie?“

Er nickte. Ihr Lächeln war wirklich bezaubernd. Scheu und wunderschön wie eine sich zaghaft öffnende Blüte. Fast kam es ihm vor, als wäre sie wirklich so unerfahren, wie sie tat. Obwohl … ganz unschuldig konnte sie nicht sein, wenn sie um Mancini trauerte.

„Ja, finde ich.“ Er zog sie so dicht an sich, dass sich ihre Körper fast berührten. Die Luft zwischen ihnen knisterte vor Spannung. „Ich würde es gern öfter sehen.“

„Wir waren auf einer Beerdigung. Da gibt es nicht viel zu lächeln.“

Ihre nüchterne Erwiderung brachte ihn etwas aus dem Konzept, doch zum Glück hielt der Aufzug jetzt in der obersten Etage. Die Tür glitt auf, und sie standen in Rafaels großzügiger Penthouse-Suite.

Hastig schob Rafael seine staunende Begleiterin in den Raum hinein und war froh, als sich die Aufzugtür hinter ihnen schloss. Endlich allein!

2. KAPITEL

Was mache ich hier? Allegra hatte das Gefühl, als wäre sie unvermittelt in ein anderes Leben hineingestolpert. Welche Frau folgte einem attraktiven Fremden spontan in sein Hotelzimmer? Welche Frau verfiel Hals über Kopf dem Charme eines Mannes, den sie gar nicht kannte?

Sie doch nicht! Sie tat nie etwas Unerwartetes oder Ungehöriges. Sie führte ein stilles, bescheidenes Leben, arbeitete im Café, und ihr bester Freund war der achtzigjährige Besitzer, der sie wie seine Enkelin behandelte. Ihr Leben war ruhig und sicher, und genau so wollte sie es haben.

Und doch war sie von der Sekunde an, als Rafael ihre Hand ergriffen hatte, verloren gewesen. Oder gefunden? Es kam ihr vor, als hätte er einen Schalter in ihr umgelegt, von dem sie selbst nicht gewusst hatte, dass es ihn gab. Einen, der ganz neue Empfindungen in ihr auslöste und sie von Kopf bis Fuß unter Strom setzte.

Sie fühlte etwas! Nach der Starre, in der sie so lange verharrt hatte, war das gut und erschreckend zugleich. Ein Weckruf, der ihr zeigte, dass sie immer noch lebendig war und dass sich jemand – irgendjemand – für sie interessierte, sie begehrte, ihre Nähe suchte. Eine beglückende, geradezu überwältigende Erfahrung.

Rafael hielt noch immer ihre Hand. Sein Blick war warm, sein Lächeln sexy. Sie wusste, sie hätte ihm nicht erlauben sollen, sie so anzusehen. Es war gefährlich. Zu groß war die Verlockung, sich kopfüber ins Abenteuer zu stürzen und zu sehen, wohin die Reise ging. Angeblich waren sie hier, um Schostakowitsch zu hören, aber Allegra war nicht naiv. Sie wusste, warum Rafael sie mitgenommen hatte.

Rasch entzog sie ihm ihre Hand und ging in der Suite umher, um sich die luxuriösen Details näher anzusehen. Die hohen Decken und Marmorfußböden, die edlen Holzverkleidungen, die seidenen Kissen, mit denen die Sofas im Wohnbereich bestückt waren.

„Beeindruckend.“ Ihre Stimme klang dünn vor Nervosität. „Und erst diese Aussicht!“ Die Suite war an drei Seiten verglast und bot einen atemberaubenden Blick auf das abendliche Rom. „Ist das dort das Kolosseum?“ Vage zeigte sie in eine Richtung, während Rafael von hinten an sie herantrat, so dicht, dass sie die Hitze seines Körpers spürte. Ein winziger Schritt zurück, und sie würde sich an ihm verbrennen.

Sie sehnte sich nach dieser Berührung, fürchtete sich aber auch davor. Das alles hier war neu für sie. Neu und unbekannt und gefährlich.

Aber was konnte ihr schon passieren? Rafael konnte sie nicht verletzen. Nicht so schlimm, wie sie bereits verletzt worden war. Das würde sie nicht zulassen. Sie war nervös, das schon, aber es gab nichts, wovor sie Angst haben musste.

„Ja, das ist das Kolosseum.“ Rafael fasste sie sanft an den Schultern. Mutig geworden, lehnte sie sich zurück, bis sie seine breite Brust im Rücken spürte, warm und solide wie eine Mauer. Am liebsten wäre sie für immer so stehen geblieben.

Sie schloss die Augen und genoss den Moment, denn genau das brauchte sie jetzt: das Gefühl, mit einem anderen Menschen verbunden zu sein. Das Gefühl, durch und durch lebendig zu sein.

Sie war den Großteil ihres Lebens allein gewesen. Zu schüchtern, um in der Schule Freunde zu finden, zu verstört und verletzt, um sich ihrer Mutter anzuvertrauen, zu misstrauisch, um bei den wenigen Männern, mit denen sie im Laufe der Jahre ausgegangen war, nach Liebe zu suchen. Aber das hier, das wollte sie. Eine einmalige heiße Begegnung, die ihr das Gefühl gab, zu leben und gemocht zu werden. Danach würde sie sich umdrehen und gehen, unversehrt und sicher wie zuvor.

„Möchten Sie ein Glas Champagner?“

Sie nickte. Normalerweise trank sie kaum Alkohol, doch dies war ein besonderer Anlass, und der musste gefeiert werden.

„Klingt wunderbar.“

Während Rafael zum Kühlschrank ging, versuchte Allegra, ihre wirren Gedanken und Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Was hatte der Mann nur an sich, dass sie auf ihn zustürmen anstatt vor ihm davonlaufen wollte? Warum war sie plötzlich so risikofreudig?

Als der Korken knallte, fuhr sie herum. Rafael füllte die beiden Sektkelche so schwungvoll, dass Schaum auf den Boden tropfte. „Cin-cin“, sagte er, wieder mit diesem sexy Lächeln auf den Lippen, und reichte ihr eins der Gläser.

„Cin-cin.“ Seit ihrem zwölften Lebensjahr hatte sie niemandem mehr auf Italienisch zugeprostet. Das Wort rief bittersüße Erinnerungen wach an einen Silvesterabend in ihrem früheren Zuhause in den Abruzzen, umgeben von schneebedeckten Berggipfeln. Damals hatte ihr Vater ihr zum ersten Mal erlaubt, Champagner zu trinken. Sie spürte noch das köstliche Prickeln auf der Zunge und das Glücksgefühl, das in ihr aufgestiegen war, weil sie sich im Schoß ihrer Familie geliebt und geborgen gefühlt hatte.

War das alles nur Einbildung gewesen? Eine einzige große Lüge? Oder sah sie die Vergangenheit im Nachhinein durch eine rosarote Brille, verklärt von kindlichem Wunschdenken, Trauer und Sehnsucht? Vielleicht war ihr Vater gar nicht der hingebungsvolle Familienmensch gewesen, an den sie sich zu erinnern glaubte. Vielleicht hatte er an jenem Abend gleich wieder nach dem Telefon gegriffen und sie nicht weiter beachtet. Wer wusste das schon? Nicht einmal ihren Erinnerungen konnte sie noch trauen.

Sie trank einen Schluck Champagner, und er schmeckte genauso köstlich wie damals. Heftig blinzelte sie gegen ihre Tränen an. Sie wollte jetzt nicht melancholisch werden. Nicht in Gegenwart dieses fremden Mannes.

„Erzählen Sie mir von sich“, bat sie. „Womit verdienen Sie Ihr Geld?“

„Ich bin Unternehmer.“

„In welcher Branche?“

„Immobilien. Gewerbeimmobilien, um genau zu sein. Hotels, Ferienanlagen und dergleichen.“

Er war also reich. Sehr reich sogar. Das hätte sie sich denken können, so selbstbewusst, wie er auftrat. Schon sein Aftershave – sinnlich herb, mit einer dezenten Sandelholznote – roch nach den oberen Zehntausend. Zu denen hatte auch sie einst gehört, bevor ihre Eltern sich hatten scheiden lassen. Sie hatte nicht gewusst, wie privilegiert sie war, bevor ihre Mutter und sie in der rauen Wirklichkeit gelandet waren.

Nicht dass sie besonderen Wert auf das Geld ihres Vaters gelegt hätte, auch wenn ihre Mutter sich bitter darüber beklagte, dass sie keinen Unterhalt bekam und den wenigen Schmuck, den sie noch besaß, versetzen musste. Natürlich war es ein gewaltiger Abstieg von der feudalen Villa in den Abruzzen zu der Zweizimmerwohnung in dem Teil der Innenstadt, in dem die weniger feinen Leute wohnten. Keine Privatschule mehr, kein Urlaub mehr. Um sich über Wasser zu halten, waren sie auf die Großzügigkeit von Jennifer Wells wechselnden Freunden angewiesen gewesen, einer Parade von Männern, denen Allegra lieber aus dem Weg gegangen war.

Doch während ihre Mutter mit den äußeren Umständen gehadert hatte und darüber wütend und verbittert geworden war, hatte Allegra mehr als alles andere unter der Trennung von ihrem Vater gelitten. Damals hatte sie sich geschworen, sich nie wieder von der Liebe oder dem Wohlwollen eines anderen Menschen abhängig zu machen. Menschen ließen einen im Stich – gerade diejenigen, die einem am nächsten standen. Sie hatte ihre Lektion gelernt, und sie musste sie kein zweites Mal lernen.

„Lieben Sie Ihren Beruf?“, fragte sie, nur um das Gespräch in Gang zu halten. Sie war noch nicht bereit, auf die erotischen Signale einzugehen, die Rafael aussandte.

„Sehr sogar.“ Er stellte sein Glas ab und schaltete die supermoderne Hi-Fi-Anlage neben dem Marmorkamin ein. „Die Cellosonate von Schostakowitsch, dritter Satz, richtig?“

„Ja!“ Allegra war angenehm überrascht, dass er sich das Stück gemerkt hatte. „Haben Sie es denn auf CD?“, fragte sie erstaunt.

„Ich fürchte nein“, sagte er nachsichtig lächelnd, „aber die Anlage ist mit dem Internet verbunden.“

„Oh, klar.“ Allegra lachte verlegen. „Ich sagte ja, Technik ist nicht mein Ding.“

Sekunden später fluteten die ersten noch verhaltenen Töne den Raum.

„Kommen Sie.“ Rafael streckte die Hand nach ihr aus, und Allegra ging zu ihm.

Schon nahm die Musik sie gefangen, stahl sich in ihre Seele und berührte sie auf eine Weise, wie es kein Mensch je gekonnt hatte. Musik war alles für sie – Freund, Vater, Geliebter. Sie hatte der Musik den Platz eingeräumt, der eigentlich einem nahestehenden Menschen vorbehalten war. Musik verletzte einen nicht. Musik ließ einen nicht im Stich.