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... und das ist nun Skriptolates' zweite Geschichte: Linneland versinkt im Dauerregen und eine schlechte Nachricht nach der anderen führt dazu, dass der König seine Kraft verliert und nicht mehr regieren kann. Skriptolates und seine Freunde haben nun alle Hände voll zu tun, ihr geliebtes Linneland vor Armut und Hungersnot zu retten. Können vielleicht die rätselhaften Worte des Drachen, die von Schätzen versteckter Magie sprechen, helfen? Der Drache indes, tief unter der Erde in seiner neuen Höhle, findet nicht in seinen ersehnten Schlaf. Es ist seine innere Unruhe, die ihn nicht schlafen lässt. Schließlich fasst er einen Entschluss und macht sich auf den Weg nach oben, zurück nach Linneland.
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Seitenzahl: 303
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Gottfried Bellin wurde 1961 in Braunschweig geboren. Er ist Vater von zwei Söhnen. Seit dem Studium der Landschaftsplanung in Kassel ist er selbstständig im Garten- und Landschaftsbau tätig. Wobei der Rücktritt in die zweite Reihe bevorsteht. Er ist begeisterter Geschichtenerzähler und präsentiert hier sein zweites Buch.
1. Kapitel Der Drache kann nicht schlafen
2. Kapitel Linneland im Regen
3. Kapitel Jadeles Traum
4. Kapitel Eine beschwerliche Reise
5. Kapitel Die Lehrerin
6. Kapitel Schlauer Skriptolates
7. Kapitel Die Drachenhöhle
8. Kapitel Botanicus und die Waldfrüchte
9. Kapitel Die Zugbrücke
Tief unter der Erde, in seiner neuen Höhle, drehte sich der Drache von einer Seite auf die andere. Er versuchte zu schlafen, konnte es aber nicht. Es lag nicht an der neuen Umgebung oder dem harten Stein, auf dem er lag, sondern an seiner Unruhe.
Der Höhlenzugang war hinter einem Wasserfall gut versteckt und die Höhle reichte sehr tief in das Innere des Berges hinein. In ihr verzweigten sich die Gänge. Einer der Gänge führte wie ein Schacht mehrere hundert Meter senkrecht in die Tiefe. Er endete weit unter dem Gebirge in einem riesigen Raum, ähnlich einem Saal mit hohen Wänden und spitzem Gewölbe. Der Boden der Höhle war sehr warm, so dicht befand er sich schon am heißen Kern der Erde. Es war der ideale Platz für einen Drachen. Silberadern durchzogen das dunkle Gewölbe. Wasser sickerte aus den Wänden und rann auf den Boden. An der tiefsten Stelle hatte sich ein kleiner See gebildet. Das Wasser dampfte und verwandelte den Ort in eine Nebelhöhle. Selbst beim Atmen stieß der Drache Rauch aus. Es schimmerte und funkelte grünlich, wenn er seine smaragdfarbenen, leuchtenden Augen öffnete.
Die Unruhe, die den Drachen erfasste und nicht loslassen konnte, kam nicht von seiner Umgebung, denn für Menschen und andere Lebewesen war dieser Ort durch den senkrechten Schacht unerreichbar. Es waren seine Gedanken, die um Linneland kreisten. Dem Land mit dem langgezogenen Tal, seinen bunten Wiesen und Feldern aus blauem Linnen und kleinen Dörfern, die sich über das ganze Land verteilten. Eingerahmt war das Tal von grünen Bergwäldern. Dort hatte sich noch vor kurzem seine alte Behausung befunden. Auch eine Höhle wie diese hier.
Weit über hundert Jahre hatte er dort friedlich geschlafen. Als er erwacht war, waren die Menschen deutlich näher an sein Versteck heran gerückt. Wiesen befanden sich dort, wo früher Wälder das Land bedeckten. Siedlungen waren dicht am Fuße der Berge entstanden; neue Wege waren angelegt worden, die weiter in die Bergwelt hinein führten. Zu dicht waren sie an seine verborgene Höhle vorgedrungen. Zu dicht für die nächsten hundert oder zweihundert Jahre, die er gedachte tief und fest zu schlafen.
Aber hier, weiter weg von seinem geliebten Linneland, fand er nicht in den ersehnten Schlaf.
›War denn nicht alles getan, was zu tun war?‹, geisterte die Frage durch seine zwei Köpfe. Der eine Kopf lag noch träge mit geschlossenen Augen auf dem Hals des anderen. Unterdessen wanderte der andere Kopf unruhig über den Boden, die Augen geöffnet, als ob die Antwort im Muster der schimmernden Höhlenwände zu finden sei.
Die Prinzessin hatte ihn in ihrer Not geweckt. Aber ihr hatte er geholfen, mit seiner Träne, die ihre Haare wieder wachsen ließ. Auch seinen Hunger und Durst hatte er für die nächsten Jahrzehnte stillen können.
›Was ist es dann, was mich nicht schlafen lässt?‹, murrte es in seinen Schädeln. Im einen Schädel mehr, im anderen weniger.
Er wusste nicht, dass er nun schon seit einem Jahr nicht in den verdienten Schlaf sinken konnte. Wie sollte er das auch wissen, hier, wo es immer gleich dunkel, gleich warm und gleich still blieb. Schnell war das Zeitgefühl verloren, ob es sich nun um einige Wochen, einige Monate oder gar Jahre handelte, die verstrichen waren. Immer wieder wälzte er sich von einer auf die andere Seite.
Aber jetzt reichte es ihm. Er rappelte sich auf und machte sich auf den Weg hinaus zum Ausgang der Höhle, ohne jedoch zu wissen, was er da sollte oder finden würde. Einfach liegen bleiben, weiter auf den ersehnten Schlaf warten, wollte er auch nicht mehr. Genug war nun mal genug.
So riesig dieses Höhlengebilde mit seinen vielen Gängen auch war, es gab nur einen Ausgang.
Dort angekommen, schaute er vom Ende der Höhle direkt auf einen Wasserfall, der den Zugang wie einen Vorhang verbarg.
Wenn die Sonne schien, schimmerte das rauschende Wasser in hellem Blau. Dazwischen waren blinkende Lichtpunkte, die aussahen wie funkelnde Edelsteine. Die Welt hinter dem Wasserfall war verschwommen, in strahlendem Himmelblau.
So war es leider nicht, als der Drache nun vor dem Ausgang stand. Der Wasserfall war auf das Dreifache angeschwollen. Statt klarem Wasser donnerte eine braune Masse zu Boden. Wie eine Wand. Kein Licht vermochte es zu durchdringen. So hatte der Drache den Wasserfall noch nie erlebt. Was sonst wie ein seidener Vorhang die Höhle dahinter versteckte, wirkte nun dunkel und undurchdringbar.
Unverwundbar war der Drache nicht. Das in das Becken donnernde Wasser schien enorme Kräfte zu haben. Aber es gab nur diesen Ausgang. Darum nahm er Anlauf und sprang mit einem kräftigen Satz durch den tosenden Wasserfall. Für einen Drachen, dessen Köpfe allein schon die Größe einer ausgewachsenen Kuh hatten, mit einer Schuppenhaut, hart wie Stein, sollte es ja wohl möglich sein, diesen Wasserfall zu durchdringen. Das glaubte er jedenfalls.
Die Wucht des Wassers presste ihn augenblicklich nach unten. Er verlor das Gleichgewicht und brüllte vor Schreck laut auf. Wurde mit in die Tiefe gerissen bis unter die Wasseroberfläche und auf den Grund des Beckens gedrückt. Rutschte über den Beckenboden voller Geröll weiter zum Rand. Dort schlitterte er, mit den Köpfen voran, ungeschickt über die glitschigen, mit Moos bewachsenen Felsen, die am Ufer des Beckens aus dem Wasser ragten. Die Wucht und Kraft dieser Wassermassen hatte er deutlich unterschätzt. Den Kräften solcher Naturgewalten war auch er nicht gewachsen. Völlig erschöpft und verwirrt kauerte er am Rand des brodelnden Beckens. Dass ihm so etwas Ungeschicktes geschah, kam in tausend Jahren höchstens ein Mal vor. Gesehen hatte diese gefährliche wie auch erbärmliche Vorstellung zum Glück niemand. Einem so mächtigen Drachen wie ihm wäre diese Tölpelhaftigkeit ziemlich peinlich gewesen. Wirklich verletzt hatte er sich dabei scheinbar nicht. Das war schon einmal tröstlich.
Als er zurückblickte, sah er, wie Äste und größere Steine von weit oben über die Kante vom Wasserfall mit in die Tiefe gerissen wurden.
›Da habe ich ja sogar noch Glück gehabt‹, dachte er bei dem Anblick stürzender Steinbrocken und halber Baumstämme, die krachend unten aufschlugen. ›Nicht auszudenken, wenn mich so ein Stamm oder Felsen erwischt hätte.‹
Nun kroch der Drache am Ufer auf einen großen Felsen und brauchte eine ganze Weile, um sich von dem Sturz zu erholen. Langsam nahm er auch seine Umgebung war. Viel zu sehen gab es da nicht. ›Eigentlich kein Wetter für einen Rundflug‹, stellte er fest, als er sich weiter umblickte.
Es regnete in Strömen. Wolken waren am Himmel nicht zu erkennen. Vielmehr handelte es sich um eine fast schwarze Masse über ihm, die nicht im Ansatz erkennen ließ, dass der Regen irgendwann nachlassen würde.
Es war nicht zu erahnen, ob es morgens, mittags oder abends war. Die Wolkendecke ließ nur ein dämmriges Licht zu. Der Stand der Sonne war nicht auszumachen.
Reglos im Regen auf dem bemoosten Felsen hockend, überlegte er, ob er lieber wieder zurück in die Höhle wandern sollte, oder ob ein Rundflug über das Land die bessere Wahl wäre. Bei diesem starken Regen bliebe er jedenfalls unentdeckt. Unentdeckt bleiben war gut, denn die Menschen hatten immer noch Angst vor ihm, seinen beiden Köpfen und der enormen Größe. Es war zwar nicht Nacht, aber bei dem Wetter würde sich kaum jemand freiwillig draußen aufhalten. Die andere Möglichkeit, sich gleich wieder zurück durch die Wassermassen zu kämpfen, behagte ihm erst recht nicht. So beschloss er, eine Runde über Linneland zu drehen.
Er breitete seine lederartigen Flügel aus, erhob sich von seinem Platz, stieß sich ab und flog mit wenigen kräftigen Schwüngen hinein in den Vorhang aus dichtem Regen. Irgendetwas lies ihn nicht in seinen ersehnten Schlaf finden; dieses Etwas galt es nun zu suchen.
Auf seinem Flug von der Höhle bis zu den Bergwäldern Linnelands war der Regen unverändert stark. Er prasselte so dicht, dass der Drache aufpassen musste, nicht gegen Berge, Klippen oder Bäume zu fliegen. Er verlangsamte seine Geschwindigkeit so gut es ging. Um etwas unter ihm zu erkennen, musste er aber sehr dicht über dem Boden fliegen, gerade so hoch, dass die Baumwipfel ihn nicht berühren konnten.
Was er dort, im Tal von Linneland sah, beunruhigte ihn sehr. Bestürzung und Sorge machte sich in ihm breit. So dicht es ging, flog er im Zickzack über die Landschaft. Er landete schließlich auf einer verlassenen Weide, am Rande des Waldes, hockte dort eine Weile und überlegte. Er fasste schließlich einen Entschluss und schmiedete einen Plan dazu.
Es war kurz vor Sonnenuntergang und der Regen prasselte auf das Dach der großen Veranda. Die alte Emme hockte in ihrem Schaukelstuhl, eingepackt in dicke Decken. Ihre Augen waren geschlossen; sie liebte diesen Platz. Ihre Töchter Carlotta und Zeno wollten sie überreden, mit ins Haus und vor den Kamin zu kommen, aber die alte Emme weigerte sich.
»Nein, lasst mich hier draußen auf der Veranda. Ich liebe das Geräusch des Regens und die frische Luft, die mit ihm einhergeht. Lasst mich noch ein wenig hier, ich komme später nach.«
Das eintönige Prasseln des Regens ließ sie langsam vom wachen in einen halbschlafenden Zustand wandern. Nun mischte sich zu dem Regen ein dumpf schlagendes, rauschendes Geräusch. Es wurde allmählich lauter und flachte dann wieder ab. Kam leise wieder, wurde wieder lauter und verschwand. Die alte Emme wurde davon wieder hellwach. Ihre Augen hatte sie weiterhin geschlossen, aber ihre Sinne aufs höchste geschärft. Im nächsten Moment kehrte das schlagende Geräusch zurück, etwas lauter als zuvor. Ein kurzer, kräftiger und dumpfer Klang folgte, begleitet von einem leichten Beben des Verandabodens. So, als ob ein großer Baum auf weichem Boden aufgeschlagen wäre.
Die alte Emme richtete ihre Aufmerksamkeit nun ganz auf ihr Gehör. Sie merkte, wie sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Ein Frösteln durchzog ihren ganzen Körper und sie kroch tiefer unter ihre Decken. Aus dem Stall gegenüber ertönten warnende Laute der Gänse, die aber rasch wieder verstummten.
›Irgendetwas ist hier, etwas Großes, etwas sehr Großes, ganz dicht hinter mir auf der Wiese neben dem Haus‹, durchfuhr es die alte Emme, die sich vor Furcht nicht mehr zu bewegen wagte.
Nichts war nun mehr zu hören, aber über ihre Haut, die am ganzen Körper zu prickeln begann, konnte sie fühlen, dass sich etwas Lebendiges hinter ihr befand.
Ihre Ohren begannen zu rauschen, Arme und Beine fingen leicht an zu zittern. Sie war unfähig, die Augen zu öffnen, oder auch nur einen Finger zu rühren.
›Ist das der Tod, der da gekommen ist, um mich zu holen?‹, dachte sie voll Schrecken.
Dann wurde das Rauschen in ihren Ohren lauter, sie glaubte, Worte darin zu hören. Melodische fremde und unverständliche Stimmen, die sie aber nicht wirklich erfassen konnte. Es war, als ob ein Bienenschwarm sie umkreiste und gleichzeitig eine Stimme ihr etwas zuflüstern wollte.
›Der Tod spricht zu mir, er will mich jetzt holen. So ist das also, wenn man stirbt‹, durchzuckte es ihre Gedanken.
Doch dann war das Rauschen plötzlich vorbei, gefolgt von einem Geräusch, als ob ein großes Bettlaken gespannt und kräftig ausgeschüttelt würde. Immer leiser werdend war das schlagende Geräusch bald ganz verschwunden. Das Kribbeln in ihrem Nacken verschwand. Die Gänse im Stall meldeten sich erneut durch lautes Geschnatter und verstummten bald darauf wieder.
›Es ist vorbei. Bin ich jetzt tot, oder ist der Tod wieder weg?‹, spukte es der alten Emme durch den Kopf.
Vorsichtig bewegte sie den linken Zeigefinger, dann die Hand, ihre Füße, bewegte damit den Schaukelstuhl, der leise auf der Veranda knarrte. Das knarrende Geräusch beruhigte sie wieder etwas.
›Tote können nicht schaukeln‹, beschloss sie erleichtert und öffnete vorsichtig die Augen. Es war fast dunkel und der Regen prasselte unverändert heftig auf das Dach der Veranda.
›Wollte mich der Tod gerade holen und hat es sich dann anders überlegt? Habe ich nur geträumt, oder war da etwas Großes neben dem Haus auf der Wiese?‹ Sie merkte, dass ihr Herz immer noch wild gegen ihren Brustkorb schlug. Unbehagen machte sich in ihr breit. Sie erhob sich vorsichtig aus dem Schaukelstuhl und schlurfte, deutlich schneller als sonst, Richtung Tür.
›Ich werde alt, ach was, ich bin alt, ich bin sogar uralt‹, war ihr letzter Gedanke, bevor sie erleichtert das Haus betrat. Unwirklich war es, zu unwirklich, um es jemandem erzählen zu können, beschloss sie.
Der Drache hockte nun auf seinem Drachenfelsen, der hoch aus dem Bergwald ragte. Hier war sein Lieblingsplatz.
Gegenüber, versteckt hinter dem Vorhang aus starkem Regen, lag das Himmelsschloss von Linneland. Sehen konnte er es nicht, aber spüren. Auch die Stimmung der Menschen nahm er wahr. Diese trübe, gefährlich traurige Stimmung, die wie ein unsichtbares graues Tuch den Menschen die Freude und die Luft zum Atmen nahm. Es war die Verbundenheit mit diesem Land, die ihn nicht ruhen lassen wollte.
›Schwere Zeiten werden kommen, aber ich habe getan, was ich tun konnte. Mögen meine Worte ihren Weg finden, zum richtigen Zeitpunkt und den richtigen Zuhörern. Der Weg wird gefährlich, der Lohn jedoch beachtlich sein. Mögen meine Worte nicht verklingen und vergessen werden.‹
Noch einmal blickte er sich um, aber es war egal wohin er schaute, die Dunkelheit und der Regen bildeten einen Vorhang in jede Richtung. Mit einem kräftigen Stoß hob er ab, umkreiste noch einmal die hohen Türme des Himmelsschlosses und flog zurück in seine neue Höhle.
›Nun sollte ich in den Schlaf finden können‹, hoffte er.
»Himmelsschloss«, brummelte Skriptolates. »Genau so sieht das Schloss aus, wenn die hohen Ecktürme in den Wolken verschwinden.« Klamm und kalt war es hier oben am Fenster, dicht unter der Wolkendecke. Neko, der rote Kater, saß auf dem Fenstersims der Bibliothek und schaute geduldig dem Regen zu. Skriptolates stand mit besorgter Miene hinter ihm und kraulte gedankenversunken das Fell des Katers.
Der Schlosshof tief unter ihnen schimmerte matt. Große Pfützen bedeckten weite Teile des mit Kiesel gepflasterten Hofes. Ab und zu öffnete sich die Tür eines Gebäudes. Dann huschte eine Gestalt schnell über den Hof, um gleich wieder hinter einer anderen Tür zu verschwinden.
Der Fluss Yollenau, die Felder, Wiesen und Berge, die rings um das Schloss von Linneland lagen, waren im Dunst des prasselnden Regens von hier oben nicht zu erkennen.
Seit Wochen jeden Tag das gleiche Bild. ›Regen, Regen, Regen und immer nur Regen‹, dachte Skriptolates. Es war Sommer, es war Ende August. Eigentlich eine wunderschöne Jahreszeit, um die Sonne zu genießen. Aber stattdessen achtete er darauf, dass der Ofen in der Bibliothek nicht aus ging. Es war klamm und ungemütlich zwischen all den Büchern. Drei der vier Fenster seiner Bibliothek hatte er mit schweren Stoffen verhängt. Nur das Fenster im Süden blieb tagsüber offen, damit noch etwas Licht in den großen runden Raum fiel.
Die wertvollen Bücher und Papierrollen konnten bei der feuchten Luft verschimmeln oder verkleben. Das musste Skriptolates unbedingt verhindern. Er hatte sich in der Bibliothek eine kleine Schlafpritsche aufgestellt, damit er auch in der Nacht den Ofen befeuern konnte. Neko fand das wunderbar.
Sobald Skriptolates seine Nachtmütze aufsetzte, sprang der Kater voller Erwartung auf die Bettmitte. »Na toll, du nimmst dir wieder den besten Platz und ich darf sehen, wie ich hier mit unter die Decke komme.«
Auf dem Rücken liegend schob er zunächst ein Bein links und danach ein Bein rechts unter der Bettdecke an Neko vorbei. Leider reichte ihm die Decke so nur bis zum Bauchnabel.
Danach legte er sich auf die Seite und schlängelte sich um den Kater herum. Aber jetzt schaute der Po unter der Decke hervor, egal auf welcher Seite er es probierte. »So geht das nicht«, schnaufte Skriptolates und hob den Kater schließlich hoch und platzierte ihn am Rand der Decke. Dies kommentierte Neko mit einem leisen Knurren. »Tut mir ja leid, aber du legst dich ja immer so hin, dass mir gar nichts anderes übrig bleibt, als dich zur Seite zu legen. Lass uns jetzt schlafen. Wenn der Ofen nicht mehr knistert, musst du mich wecken. Dann lege ich Holz nach.«
Das tat Neko auch. Sobald der Ofen drohte auszugehen, wurde es kühl auf dem Bett und der Kater stupste mit der Pfote auf die Nase des schlafenden Bibliothekars. Wenn Skriptolates davon nicht wach wurde, leckte er ihm mit der rauen Zunge über die Lippen. »Buääh«, rief Skriptolates dann und war augenblicklich wach. Neko ging dann zunächst in Deckung, wartete, bis Skriptolates sich wieder beruhigte, Holz auflegte und zurück unter die Decke kroch. Erst dann suchte er sich erneut einen Platz dicht neben dem Bibliothekar auf der Bettdecke.
Der viele Regen war nicht gut. Die Yollenau war mittlerweile über die Ufer getreten, die Wege aufgeweicht, die Felder verschlammt und reißende Flüsse, die aus den umliegenden Bergen ins Tal strömten, ließen die Furten unpassierbar werden. Auch einige Brücken waren nicht mehr benutzbar, da das Wasser sie umspült hatte. Die Ernte drohte so schlecht wie schon lange nicht mehr auszufallen. Erst hatte der Drache auf den Feldern gewütet und sie mit seinem unbändigen Hunger abgeerntet. Jetzt tat der Regen sein Übriges. Bei dem Wetter konnte keine Ernte eingebracht werden.
›Prinzessin Jadele glaubt ja, dass der Drache nicht wieder kommt‹, dachte Skriptolates. ›Ich hoffe, sie hat recht damit.‹
Der Linnen auf den Feldern war durch den vielen Regen zu Boden gegangen und fing immer mehr an zu schimmeln. Linnen, heute würden wir Lein dazu sagen, war das wichtigste Wirtschaftsgut von Linneland. Hieraus wurden die kostbaren Stoffe gewoben, mit denen in der ganzen Welt Handel getrieben wurde.
Handel war zurzeit auch nicht möglich. Kein Schiff konnte die Yollenau befahren. Selbst Treidelhannes, der mürrische Treidler, der jede Biegung und jeden Stein im Fluss kannte, winkte ab. Der Treidelpfad neben dem Fluss war längst unter dem Hochwasser verschwunden. Auf ihm wurden die Schiffe mithilfe von großen Pferden den Fluss hinauf gezogen. Ohne diesen Pfad konnte kein Schiff zum Hafen am Schloss gelangen.
Dort, wo die Yollenau ins Meer mündete, gab es noch einen kleinen Seehafen.
Aber der Weg vom Seehafen bis zum Schloss war sehr weit. Die Wege dorthin waren vom Regen aufgeweicht und mit Kutschwagen nicht mehr zu befahren.
»Der viele Regen ist nicht gut für uns, mein lieber Neko«, sprach Skriptolates, als er weiter den roten Kater im Nacken kraulte und sich Sorgenfalten auf seiner Stirn bildeten.
Der Bibliothekar sah, wie Neko seine Ohren in Richtung Tür verdrehte. Kurz darauf hörte er eilige Schritte und dann öffnete sich die Tür zur Bibliothek.
Prinzessin Jadele stürzte in den Raum. Sie hob den Zeigefinger und wollte etwas sagen, aber es ging nicht. Sie atmete stattdessen geräuschvoll ein und aus.
Zu schnell war sie die vielen Stufen der Wendeltreppe von ganz unten bis in die siebzehnte Etage zur Bibliothek gerannt.
Skriptolates drehte sich zu ihr um und sah, wie sie sich, immer noch mit erhobenem Zeigefinger, schnaufend auf einen Bücherstapel sinken ließ. Bald wurde ihre Atmung etwas ruhiger und sie versuchte jetzt zu sprechen.
»Der Kö... die Yoll... die Floß... dazu... jetzt.«
»Derködieyolldiefloß? Komm erst mal zu Atem und dann versuch es noch einmal«, antwortete Skriptolates mit besorgter Miene. »Möchtest du einen Schluck Wasser haben?«
Einen Moment lang schnaufte Jadele noch, dann atmete sie einmal kräftig durch und versuchte es erneut. Nach wie vor hatte sie ihren Zeigefinger erhoben, wohl um zu verdeutlichen, dass sie etwas Wichtiges zu sagen hatte.
»Mein Papa ist unten im Königssaal und gerade ist ein Bote mit einer schlechten Nachricht gekommen. Die Yollenau ist landab so stark angestiegen, dass die letzten zwei Floßstationen auch noch zerstört wurden.
Du sollst bitte dazu kommen. Jetzt gleich. Er ist in großer Sorge.«
»Na dann mal los. Wenn der König ruft, sollten wir ihn nicht lange warten lassen«, antwortete Skriptolates.
Zusammen machten sie sich auf den Weg, die enge Wendeltreppe hinunter in den Königssaal. Jadele eilte voran und Skriptolates immer hinter ihr her. Das ging ihm eigentlich zu schnell, denn er war so gar nicht schwindelfrei. Unten im Königssaal angekommen, merkte Skriptolates, wie sich alles drehte. In seiner Not griff er nach dem Nächstbesten, das er fassen konnte. Das war die Lanze der königlichen Wache, die neben dem Durchgang zur Wendeltreppe postiert war. Diese drohte mit Skriptolates, der sich an die Lanze klammerte, umzustürzen. Die Wache hielt die Lanze weiter mit beiden Händen fest. Skriptolates drehte sich schwungvoll im Kreis und die Wache drehte sich ungewollt mit ihm mit.
Zusammen torkelten und drehten sie sich durch den großen Raum.
»Oje!«, rief Jadele und hielt sich die Augen zu.
»Halt!«, brüllte die Wache.
»Hilfe!«, schrie Skriptolates.
»Was soll das denn? Hört sofort auf mit dem Unsinn«, dröhnte die Stimme des Königs.
Der dicke Teppich, über den sie stolperten, bereitete dem Treiben abrupt ein Ende. Skriptolates und die Wache plumpsten gemeinsam auf den Boden. Die Lanze schlitterte über die Steinplatten auf den Thron zu. Der König riss die Füße hoch und die Lanze blieb zitternd im Stuhlbein seines Thrones stecken.
Alle starrten auf die Lanze. Keiner bewegte sich. Für den Moment war auch kein Laut zu hören. Noch nicht einmal die Fliegen summten durch den Raum.
Der König war der Erste, der sich rührte und die Lanze zu seinen Füßen betrachtete, die in dem verzierten Stuhlbein seines Thrones steckte. »Wolltet ihr mich umbringen, ihr Wahnsinnigen?«, schimpfte der König und blickte Skriptolates und die Wache mit tadelndem Blick an.
»Er wollte mir die Lanze klauen«, empörte sich die Wache und zeigte mit dem Finger auf den Bibliothekar.
Bei Skriptolates drehte sich immer noch alles im Kopf. Er war ganz blass im Gesicht geworden, als er die Lanze unter des Königs Füßen erblickt hatte.
»Es tut mir furchtbar leid, das wollte ich ganz bestimmt nicht. Diese vergrimmelte Wendeltreppe bringt mich immer dazu, dass sich bei mir alles dreht«, brachte Skriptolates schließlich heraus. »Immer wenn ich es besonders eilig habe, passiert mir das«, ergänzte er noch seine Entschuldigung.
Gerade wollte der König etwas dazu sagen, da sprang die Tür zum Hof auf und ein durchnässter Treidelhannes stürzte in den Saal.
»Unsere Schiffe halten sich nicht mehr lange an ihren Tauen. Der Hafen wird von den Fluten zerstört. Helft mir die Schiffe zu retten. Schnell!«
Der Schwindel war sofort verflogen und Skriptolates war der Erste, der reagierte und sogleich zu Treidelhannes und Richtung Hof rannte.
»Wir brauchen die Pferde vom königlichen Hofstall und wir benötigen so viele Stricke und Taue wie wir finden können. Und wir brauchen viele Männer, die uns helfen«, rief er Treidelhannes zu, den er am Ärmel mit sich über den Hof zerrte.
»Kümmere du dich um die Pferde, ich besorge einen Karren für die Seile. Wir treffen uns hier auf dem Hof«, ergänzte Skriptolates.
»Was hast du vor?«, schrie Jadele hinter ihm her.
»Erzähle ich dir gleich«, erwiderte der Bibliothekar. »Hilf uns, so viele Männer wie möglich zu finden«, rief er Jadele zu und rannte geradewegs über den Hof zur Schmiede.
Der König saß noch immer verwirrt auf seinem Thron.
»Ich dachte, ich bin der König und alles hört auf mich«, sprach er mit Blick zur Lanze, die immer noch in seinem Thron steckte. Die einzigen, die diese Worte hörten, waren wohl die Fliegen an der Wand des Saals. Alle anderen versammelten sich schon auf dem Hof.
Der König seufzte, stand auf und machte sich daran, einen wetterfesten Mantel und Hut zu holen, um dem Bibliothekar zu helfen. ›Er hätte mir ja wenigstens mal sagen können, was er vor hat‹, dachte er noch, als er seinen schweren Mantel umhängte und den Hut aufsetzte, um sich den anderen auf dem Hof anzuschließen.
Unterdessen riss Skriptolates das Tor auf und stürzte in den dunklen Raum der Schmiede.
»Schmied, hilf mir, ich brauche deinen großen Karren und alle Seile, die wir finden können. Wir müssen die Schiffe im Hafen retten.«
Der Schmied reagierte sofort. Auch sein Sohn Juno war sogleich zur Stelle und half, den Karren mit Seilen zu beladen. Als sie auf den Hof traten, hatten sich schon viele Leute mit Pferden versammelt.
Skriptolates wusste sehr wohl, wie wichtig es war, die Schiffe zu retten. Sie waren ungemein wertvoll, und besonders für den Handel mit anderen Ländern unerlässlich. Ohne diese Schiffe würde es dem ganzen Land schlecht ergehen.
Er hatte sofort einen Plan im Kopf, wie er die schweren Handelsschiffe retten könnte. Die steinerne Brücke über die Yollenau, oberhalb des Hafens, war der einzige feste Halt für die Schiffe. Diese Brücke war stabil gebaut und würde auch halten, wenn sie komplett unter Wasser stünde. Er hatte sie selbst mit gebaut und tief im Erdreich auf festen Felsen verankert. Hier mussten die Schiffe befestigt werden.
»Zuerst sollten wir die Schiffe aneinander binden, damit sie hintereinander und nicht nebeneinander schwimmen. Wir müssen ein Tau um die gesamte steinerne Brücke binden und am ersten Schiff befestigen. Wenn das geschafft ist, ziehen wir gemeinsam mit den Pferden die Schiffe so weit es geht gegen den Strom zur Brücke. Je kürzer das Seil ist, desto besser wird es halten. Also los, lasst uns keine Zeit verlieren«, rief Skriptolates der Menge zu, als er oben auf dem mit Seilen beladenen Karren stand.
›Außerordentlich gelehrter Gelehrter Herr Skriptolates‹, dachte der König, als er dem Bibliothekar zuhörte. Diesen Titel hatte er ihm höchstpersönlich gegeben. Er war wirklich froh, dass er diesen schlauen jungen Mann als Berater hatte.
›Eigentlich ist diese Ansprache ja meine Sache als König. Aber König hin, König her, Skriptolates hat sofort erfasst, worum es geht‹, grübelte er anerkennend vor sich hin und half dem Bibliothekar bei seinem Vorhaben so gut er eben konnte.
Es war schlimmer als Skriptolates befürchtet hatte. Das Wasser der Yollenau stand so hoch, dass der Hafen nur noch zu erahnen war. Die Speichergebäude am Hafen waren einfache Holzverschläge. Nur noch einige Eckpfosten ragten aus den Wassermassen heraus. Der Rest der Gebäude war in den Fluten verschwunden. Die Kontur des Hafenbeckens war kaum noch zu erkennen. Der Kai des Hafens war aus Eichenpfählen gebaut, die jetzt auf dem Wasser trieben, zusammen mit Holzkisten aus den Speichern. Mittendrin schaukelten die beiden großen Handelsschiffe der königlichen Flotte. Sie standen quer zur starken Strömung. Eines neigte sich bereits sehr stark und stieß immer wieder gegen das andere Handelsschiff.
›Wir müssen ganz schnell handeln, sonst sind die Schiffe verloren‹, dachte Skriptolates. Von Skriptolates angeführt, bahnte sich die Gruppe einen Weg zur Steinbrücke.
Ein kleines Ruderboot wurde neben der Brücke zu Wasser gelassen und fünf kräftige Männer hielten es am Seil fest. Gleichzeitig wurde um die Brücke das dickste Tau, das sie bei sich hatten, gebunden, um später daran die Schiffe zu befestigen. Die Männer ließen das kleine Ruderboot Richtung Hafenbecken treiben. Dabei verlängerten sie das Seil, indem sie immer wieder ein neues Tau anknüpften. Im Ruderboot saßen Skriptolates und Ritter Berthold. Die beiden waren damit beschäftigt, Treibholz und Äste vom Boot fernzuhalten, die auf dem Wasser mit großer Geschwindigkeit auf sie zu trieben.
Sehr schnell näherten sie sich den großen Schiffen, die im Hafenbecken unter der Last der starken Strömung laut knarrten und ächzten. »Lange werden die Anker der Schiffe nicht mehr halten«, rief Berthold, als er sich umdrehte und zum Hafen blickte.
»Ich weiß«, schrie Skriptolates in dem lauten Getöse der Wassermassen zurück.
Doch die Verankerung hielt, bis das Ruderboot an das erste Handelsschiff stieß.
Skriptolates kletterte geschickt hinauf, während Berthold an dem straffen Seil von der Brücke zum Ruderboot ein zweites Seil festzurrte. Das freie Ende warf er nun auf das Deck. Skriptolates griff nach dem Seil und befestigte es am Bug des Handelsschiffes.
Der Regen war so stark, dass von der Brücke aus nur undeutlich zu erkennen war, was die beiden da gerade trieben. Es schien, als wäre das erste Handelsschiff mit dem Tau befestigt. Darum begannen die anderen nun, das Seil mit kräftigem Ziehen auf Spannung zu bringen.
Berthold merkte, wie das Ruderboot, auf dem er stand, durch das Anziehen des Taus, zu kentern drohte. Er musste schnell das sich spannende Seil vom Ruderboot trennen. Der Ritter zückte auf dem wackelnden Ruderboot sein Schwert. Mit der einen Hand hielt er sich am Tau zum Schiff hin fest und mit der anderen durchschlug er mit einem kräftigen Hieb das Seil zum Ruderboot. Es gab einen Ruck und das Tau spannte sich und schnellte dabei in die Höhe, während das Ruderboot, vom Seil gelöst, mit großer Wucht gegen das Handelsschiff klatschte und zersplitterte.
Berthold hielt sich einhändig am straffen Tau fest und mit der anderen Hand umklammerte er sein Schwert.
»Hilfe!«, schrie er laut auf, als er am Tau stark hin und her schaukelte. Er drohte, in die Fluten zu stürzen. Skriptolates musste ihm dabei hilflos von oben zuschauen.
Irgendwie schaffte es Berthold, sein Schwert zurück in die Scheide zu stecken. Dann hatte er beide Hände frei und hangelte sich am Seil entlang auf das Schiff.
»Das war knapp«, rief Skriptolates erleichtert aus.
»Du sagst es«, stöhnte Berthold, als er mit dem Rücken zuerst auf dem Deck landete.
»Was machen wir jetzt?«, schnaufte Berthold, als er sich wieder aufgerappelt hatte.
»Wir müssen das zweite Boot mit diesem verbinden, Bug an Heck, damit sie später in einer Linie im Wasser treiben. Wenn wir das geschafft haben, kappen wir die alten Taue, falls sie noch so lange am verfallenen Kai halten.«
»Aha«, sagte Berthold leise, und erinnerte sich an den Ruck, den es schon bei dem kleinen Ruderboot gegeben hatte. ›Wie wird das erst bei dem großen Schiff werden?‹, dachte er.
Auf dem Schiff fanden sie noch ein sehr stabiles und langes Tau. Berthold sprang mit einem beherzten Satz auf das hintere Schiff, das nun schon sehr starke Schlagseite hatte. Er kroch, mit dem Tau in der Hand, auf der Reling Richtung Bug. Skriptolates befestigte das andere Ende am Heck des ersten Schiffes mit einem kräftigen Knoten. Gerade als Berthold sein Ende fest mit dem Bug vertäut hatte, gab es einen Knall.
Das Tau, mit dem Bertholds Schiff noch irgendwo unter der Wassermasse am Kai befestigt war, zerriss.
Skriptolates konnte noch den erstaunten Blick in Bertholds Augen sehen, ehe sich das hintere Schiff, befreit vom Kai, mit einem Ruck im Wasser aufrichtete. Berthold sauste, wie von einem Katapult abgeschossen, durch die Luft, die Arme weit auseinander gestreckt auf Skriptolates und sein Schiff zu. »Ahhhhhhhhh!«, brüllte er im Fliegen, bis er in der Takelage des ersten Schiffes landete und sich dort in den vielen Seilen verfing.
Skriptolates schaute erleichtert über sich zu Berthold, der scheinbar sicher in den vielen Seilen gelandet war. Da ging ein zweiter Satz durch das Schiff. Befreit vom alten Seil am Kai, machte sich das hintere Schiff auf den Weg flussabwärts, bis es vom neuen Tau, das gerade am Bug befestigt worden war, wieder gestoppt wurde. Skriptolates wurde durch den Ruck einen Meter weit in die Höhe geschleudert. Kaum war er unsanft auf dem Holzdeck aufgeschlagen, gab es einen zweiten Knall. Durch den Ruck hatte sich nun auch das erste Schiff von seiner alten Verankerung am Kai gelöst.
»Achtung, festhalten!«, schrie Skriptolates so laut er konnte.
Damit hatte Berthold keine Probleme. Seile hingen genug um ihn herum. Eigentlich mehr, als ihm im Moment lieb war. Er fragte sich schon, wie er sich aus dem Gewusel an Seilen der Takelage und Wanten je wieder befreien sollte. Aber als er nach unten zu Skriptolates schaute, sah er diesen panisch um sich blicken. Nichts war zum Greifen nahe. Dann war es auch schon zu spät. Ein Ächzen und Knarren ging durch das Schiff, als es sich mit einem Ruck mit dem Bug flussaufwärts drehte. Dabei wurde Skriptolates gegen die Reling geschleudert. Keine Sekunde später hob das Schiff mit einem Satz aus dem Wasser, als sich die Seile von der Brücke bis über das hintere Schiff strafften. Skriptolates, noch etwas benommen durch den Aufprall gegen die Reling, sauste nun von dem erneuten Ruck in die Höhe und begleitete den Flug mit einem langen Schrei.
»Ohhhhneiiiiiiiiiin!« brüllte er, als er an Berthold vorbei in die Luft schoss.
Berthold sah zu, wie Skriptolates einige Meter über ihm, wie auf einem Pferd sitzend, auf dem Rah des Mastes aufsetzte. Einem Rundholz, an dem das aufgeraffte Segel geführt wurde. Mit Armen und Beinen klammerte er sich an dem Segel fest. »Aua, ahh«, kommentierte Skriptolates seine schmerzhafte Landung auf dem Rundholz.
»Sind die denn verrückt geworden? Wollen die sich umbringen?«, schimpfte der König von der Brücke aus.
Treidelhannes neben ihm schüttelte den Kopf. »Was machen die denn da mit den schönen Schiffen, vergrimmelt noch mal. Schnell, sichert das Seil und vertäut es am dicken Seil der Brücke«, rief er seinen Begleitern zu.
Die beiden Schiffe kamen langsam zur Ruhe und stellten sich hintereinander mit dem Bug voran gegen die Strömung auf. Das schwere Tau spannte sich auf ganzer Länge zwischen Brücke und erstem Segelschiff.
Mit einem Mal hörten sie Gelächter von den Schiffen. Das wurde lauter und lauter.
»Sie sind tatsächlich verrückt geworden, vergrimmelt noch mal«, brummte Treidelhannes vor sich hin.
Skriptolates wusste selbst nicht warum, aber er musste auf einmal lachen. Er lachte über sich, wie er auf dem Segel hing; er lachte über Berthold, wie er sich in der Takelage verfangen hatte. Er lachte darüber, wie viel Glück sie hatten. Er lachte darüber, dass er noch lebte. Er lachte Tränen.
Berthold schaute ihn verdutzt an. Das Lachen steckte ihn an und er stimmte in das Gelächter mit ein.
Skriptolates liefen nur so die Tränen vor Lachen und er bekam langsam Bauchweh davon. Aufhören konnte er aber nicht.
»Ich fall hier noch vor Lachen herunter«, prustete er los.
»Und dann auf mich drauf«, erwiderte Berthold.
Daraufhin fingen sie erneut an zu lachen.
»Hallo!«, schrie der König schließlich. »Könnt ihr mal aufhören mit dem Gelächter, damit wir hier weiter kommen? So schön ist das nicht, hier im Regen zu stehen.«
Skriptolates und Berthold hörten auf zu lachen und schauten zum König.
Dort standen die Gestalten aufgereiht auf der Brücke. Der Regen prasselte auf sie nieder, die Hutkrempen waren aufgeweicht und nach unten gesackt. Die Arme baumelten schlaff neben den Körpern. Die Ärmel der Jacken schienen etwas zu kurz, als ob sie vom Regen eingelaufen wären.
Skriptolates dachte an Vogelscheuchen im Regen. Es sah einfach zu komisch aus.
Er fing wieder an zu prusten. Es dauerte auch nicht lang, da stimmte Berthold mit ein. Schon lachten sie wieder lauthals los.
»Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr«, jammerte Skriptolates. »Ich hab so Bauchweh.« So ging es weiter, auch wenn sie eigentlich nicht mehr konnten.
Treidelhannes schaute finster unter der schlaffen Krempe seines Hutes hervor auf die Schiffe. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die über uns lachen«, zischte er.
Der König, mit verkniffenen Augen und nun auch mit verschränkten Armen, erwiderte:
»Den Eindruck habe ich auch. Aber wir müssen diese Irren mit den Schiffen weiter zur Brücke ziehen. Lasst uns die Pferde vor das Tau spannen.«
»Oje«, murmelte Jadele, »die haben bestimmt einen Dachschaden davongetragen, bei dem Sturz.«
Treidelhannes übernahm das Kommando. Pferde anspannen und den Fluss hinaufziehen war sein tägliches Brot. Einfach war es nicht, denn die Strömung war sehr stark, es waren zwei Schiffe statt eines und einen Treidelpfad gab es auch nicht. Er führte die Pferde durch eine aufgeweichte Uferböschung. Acht Pferde gleichzeitig mühten sich ab. Zudem waren viele kräftige Hände nötig, das Tau an der Brücke zu sichern und es in der Spur zu halten, Äste und Treibgut vom Seil zu entfernen. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Schiffe, an mehreren Tauen gesichert, in der Strömung verankert waren.
Auch Berthold und Skriptolates hatten sich wieder beruhigt. Skriptolates half Berthold aus den Seilen der Takelage und zurück auf das Deck.
Nun konnten sie helfen, zusätzliche Seile vom Schiff zur Brücke zu spannen. Hin und wieder kicherte Skriptolates noch einmal leise vor sich hin.
»Hör bitte auf«, zischte Berthold ihm zu. »Ich hab genug Bauchweh vom Lachen für heute und den ganzen Rest der Woche. Die denken doch bestimmt, wir sind verrückt geworden!«