Skulduggery Pleasant (Band 14) - Tot oder lebendig - Derek Landy - E-Book
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Skulduggery Pleasant (Band 14) - Tot oder lebendig E-Book

Derek Landy

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Beschreibung

Einen toten Mann bringt man nicht um Ausgangssperre in Roarhaven! Der neue Oberste Magier Damocles Creed ergreift schwerwiegende Maßnahmen, um alle Zauberer zur Kirche der Gesichtslosen zu bekehren. Und das bedeutet millionenfachen Tod für alle Sterblichen. Skulduggery und Walküre gehen in den Widerstand. Nichts scheint Creed aufhalten zu können und langsam läuft ihnen die Zeit davon. Und wenn sie schneller wären als die Zeit? Mit Hilfe eines Sensitiven reist Walküre 72 Jahre in die Zukunft. Und trifft dort nicht nur auf einen sehr veränderten Skulduggery, sondern auch auf ihr eigenes, dunkles und bösartiges Ich.  Die Kultserie geht weiter. Denn eine Kleinigkeit wie das große Finale seiner Urban-Horror-Fantasy um einen zaubernden Skelett-Detektiv konnte Bestsellerautor Derek Landy nicht aufhalten, sich weitere Geschichten über Skulduggery Pleasant auszudenken. Tot oder lebendig ist der vierzehnte Band der Reihe.

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Seitenzahl: 801

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INHALT

Heute würde mit Sicherheit …

Die Schüler …

Das Geräusch …

Walküre …

Sechs Jahre zuvor – Zwanzig Minuten …

Sie erwachte …

Die Menge reagierte …

Als die Rede vorbei …

Der Ausdruck …

Walküre und Skulduggery …

Es verbreitete sich …

Bei dem Wort …

Walküre überlegte …

»Du weißt nicht viel …

Irgendwie komisch …

Tanith …

Blitze knisterten. …

Izzaruhs Wohnblock …

Mit blutverschmierten Fingern …

Sechs Jahre zuvor – Sie ging zum Angriff über. …

Sebastian war ins Kino gegangen. …

Als Omen und Auger …

Kommandant Hoc …

»Na also« …

Als Walküre …

… und spürte …

… und plötzlich …

»Omen Darkly« …

Allmählich wurde …

Rektorin Duenna …

In der Nacht …

Das Fenster …

Damocles Creed …

Walküre …

Sanktuarien …

Fünf Jahre zuvor – Als er eintraf …

Der Himmel über Dublin …

Sie verließen …

Sie folgten Nadir …

Omen fand Axelia …

Martin Flanery …

Kimora und Ulysses …

Alison Edgley …

»Er ist uns …

Die grauen Wolken …

Walküre erwachte …

Als sie wieder …

»Hast du’s schon gehört?« …

Militsa brachte ihr …

Wie nicht anders …

Am nächsten Vormittag …

Fünf Jahre zuvor – Er beobachtete sie …

Walküre ging joggen …

Auf Alisons Zeichen …

Die Tür zu Rangles …

Walküre stand auf …

Bevor Malison …

Der Wind …

Die Seite …

Walküre …

»Guten Morgen.« …

Die Darquise-Gesellschaft …

»Bella wurde …

»Er hat ihn getötet« …

Vier Jahre zuvor – Er schlug zu. …

»Hör schon auf …

Fünfzehn Minuten …

Das Keuchen …

Omen …

Walküre und Skulduggery …

Streifenwagen …

Sebastian …

Der erste Tag …

Drei Jahre zuvor – »Ich will dir nicht wehtun« …

Walküre sah ziemlich …

Sie folgte Acantha …

Crepuscular Vies …

Sebastian saß in seinem …

Walküre …

Ärger braute sich zusammen. …

Sie saß mit …

Eigentlich hätte er …

Creyford Signate …

Im Wohnzimmer …

Rituale spielten …

Drei Jahre zuvor – Walküre war weg. …

In der Nähe der Hügelkuppe …

Sebastian …

Noch zwei Tage …

Als sie zum Turm …

Die Bibliothek war riesig. …

Walküre unterdrückte …

Walküre …

»Das Auge des Rhast« …

Omen und Crepuscular Vies …

Crepuscular …

Am Montag …

Walküre …

Sie fuhren …

Auf einer Baustelle …

Nachdem Oisin wieder …

Es traf sie genau …

Tanith …

Sebastian …

Es dämmerte. …

Omen und Never …

Quells Gespräch …

Walküre und Skulduggery …

Bei ihrem letzten …

Alle waren da. …

Vier Wachen betraten Taniths Zelle. …

Die Bildschirme schalteten …

Der Turm begann zu summen …

»Die Corrival-Säule …

Ein Bulle packte Omen …

Einer der Monitore …

Creed stand auf. …

Auger …

Fast hätte der Wind …

Walküre …

Temper …

Walküre stöhnte. …

Walküre …

Walküre …

Wenn man jemanden …

Aber die Schatten …

Es hatte siebzig Jahre …

Roarhaven hielt den Atem an. …

Ein einsames Draíocht-Banner …

Es wäre wunderbar,

wenn Covid-19 in den kommenden Jahren nur noch als leicht beherrschbare Krankheit oder vielleicht sogar als ferne Erinnerung existieren würde.

Doch noch haben wir diese Pandemie nicht überwunden, und sie raubt uns Zeit und geliebte Menschen.

Deshalb ist dieses Buch den vielen guten Zeiten gewidmet, die wir mit unseren liebsten Menschen verbracht haben, den guten Zeiten, die noch kommen werden, und den geliebten Menschen, die wir noch kennenlernen werden.

Wenn dieses Buch eine Botschaft hat, dann die, dass die Zeit alle Wunden heilt, dass Liebe ewig währt und Lachen …

Moment mal! Nein.

Ich glaube, die Botschaft ist eher, dass schlechte Zeiten vorübergehen und gute Zeiten immer … nein. Das ist es auch nicht.

Vielleicht irgendwas mit Schlägen und Tritten?

In diesem Buch wird viel geschlagen. Und reichlich getreten. Und es gibt Witze. Jede Menge. Junge, bin ich lustig.

Ich finde mich selbst wahnsinnig komisch, das gebe ich gern zu. Definitiv …

Moment mal, worum ging es noch gleich?

HEUTE WÜRDE MIT SICHERHEIT der größte Tag im Leben von Rancid Fines werden – und es war ein Dienstag. Vermutlich nicht gerade der vielversprechendste Tag der Woche, doch Rancid erinnerte sich daran, dass sich zumindest ein paar bedeutsame Dinge an einem Dienstag ereignet hatten.

Der Börsencrash, damals im Jahr 1929. Das war an einem Dienstag gewesen.

Die Challenger. Die Raumfähre war an einem Dienstag im Jahr 1986 explodiert. Der Vorfall hatte ihn traurig gemacht. Er hatte Sterbliche zwar nie besonders gemocht, aber Astronauten immer bewundert. Es gefiel ihm, wie sie auf dem Mond herumhüpften.

Elvis war an einem Dienstag gestorben, genau wie Buddy Holly, Ritchie Valens und der Big Bopper.

D-Day. Die Alliierten waren an einem Dienstag in der Normandie gelandet. Damals, als er für die Nazis gearbeitet hatte, hatte das alles ruiniert und ihm Dienstage fast für immer versaut.

Aber er stand kurz davor, sich die Dienstage zurückzuholen. Er würde dem deprimierendsten Tag der Woche wieder zu seinem früheren Glanz verhelfen – falls der je einen Funken Glanz besessen hatte.

Er schaute auf die Uhr und lächelte: 4:48Uhr würde als die Uhrzeit in die Geschichte eingehen, an der die Gesichtslosen ihren rechtmäßigen Platz als Herrscher der Erde einnahmen.

Er legte den Schalter um. Nichts passierte.

»Was ist los?«, fragte Kiln.

»Nichts«, antwortete Rancid und lief zu der Anlage, um die Anschlüsse zu überprüfen. Über ein Dutzend Stromkabel führten zu der Metallschüssel – von denen sich jedes einzelne gelöst haben konnte. Ein Problem, das leicht zu beheben war. Leicht zu beheben sein würde. Leicht zu beheben sein musste.

»Was tust du da?«, fragte Kiln.

Rancid unterdrückte den Drang, ihn anzuschreien und aufzufordern, den Mund zu halten und ihn arbeiten zu lassen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um die Beherrschung zu verlieren. Das hier war ein freudiges Ereignis – oder würde es sein, wenn es erst einmal losging. Außerdem war Kiln viel größer als er, viel stärker und sehr viel furchterregender.

Rancid Fines war groß im Geist. Er war stark im Herzen. Er war furchterregend in der Seele.

»Nur ein loses Kabel«, murmelte er. »Leicht zu beheben.«

Es war eine schöne Nacht. Der Sommer war nur noch einen Monat entfernt, und am Himmel funkelten die Sterne. Er war froh, dass die Gesichtslosen bei gutem Wetter zurückkehren würden. Denn die Dimension, in die man sie verbannt hatte, war bestimmt kalt und karg. Er freute sich darauf, sie wieder in der Wärme willkommen zu heißen.

»Was stimmt damit nicht?«, fragte Kiln und kam zu ihm herüber.

Rancid stand auf und starrte auf die Anordnung der Schalter. Der Kristall der Heiligen – gelb und so groß wie Rancids Fäuste nebeneinandergelegt – befand sich an seinem Platz in der Mitte der Schüssel. Wenn die Stromkabel angeschlossen waren, und das waren sie, müsste der Kristall eigentlich leuchten. All die Sigillen, die er gewissenhaft in das Metall geritzt hatte, müssten ebenfalls leuchten. Eigentlich hätte das ganze Ding den gesamten Berghang beleuchten sollen.

»Alles in Ordnung«, meinte Rancid.

»Warum funktioniert es dann nicht?«

»Gib ihm Zeit.«

Kiln runzelte die Stirn. »Wie viel Zeit?«

»So viel, wie es braucht.«

»Rancid, du hast gesagt, es würde sofort funktionieren. Und all die Einstellungen, die du an der Anlage vorgenommen hast, würden für eine sofortige Verbindung sorgen. Du hast gesagt, es würde aufleuchten – es würde ein Feuerwerk geben.«

»Es braucht einfach mehr …«

Kiln packte ihn am Kragen seines Mantels und zog ihn zu sich heran. »Ich habe jeden Cent, den ich hatte, in dieses Projekt gesteckt! Alles, was ich besitze, ist in die Apparatur geflossen, die du gebaut hast! Die du entworfen hast!«

»Es wird funktionieren!«, quietschte Rancid.

»Es wird nicht funktionieren! Die Anlage kann keinen Strom aus dem Kristall der Heiligen ziehen, weil das Ding über keinerlei Macht verfügt! Es ist wertlos!«

»Nein!«, schrie Rancid.

Kiln ließ ihn los. »Mein ganzes Leben …«, stieß er entsetzt hervor. »Ich habe mein ganzes Leben darauf gesetzt.«

»Es wird die Gesichtslosen zurückbringen«, wimmerte Rancid eingeschüchtert.

»Die sind mir egal«, erwiderte Kiln verächtlich. »Deine Götter sind mir scheißegal! Ich war auf die Macht aus, von der du mir versichert hast, dass sie in diesem Ding steckt! Damit hätte ich alles haben können. Ich hätte mein Vermögen hundertfach wiederherstellen können!«

Rancid blinzelte ihn von unten an. »Aber wir … wir wollten die Gesichtslosen zurückholen.«

»Das war dein Traum, du widerliche Kröte.«

»Du wolltest mich hintergehen?«

Kiln lachte. »Ja, Rancid, ich wollte dich hintergehen. Sobald du bewiesen hättest, dass noch Saft in dem Kristall steckt, hätte ich ihn mir geschnappt und noch mal von vorn angefangen. Deine lächerlichen Vorstellungen davon, wie die Welt sein würde, wenn die Gesichtslosen sie beherrschen … Warum zum Teufel sollte ich eine solche Welt wollen? Zufälligerweise mag ich diese Welt. Ich mag Sterbliche. Sie sind nicht übel. Klar, im Laufe der Jahre habe ich einen ganzen Haufen getötet, aber wer hat das nicht?« Er seufzte. »Doch der Kristall ist saft- und kraftlos. Du hast mich ruiniert.«

Rancid rappelte sich auf. Er war klein, daher dauerte es nicht lange. »Ungläubiger.«

Dazu sagte Kiln nichts. Seine Augen waren auf den Kristall gerichtet. »Es wird verdammt schwer werden, jemanden zu finden, der ihn kauft. Aber solange ich ihn verhökere, bevor sich die Nachricht verbreitet hat, dass das Ding nur ein großer Klumpen Modeschmuck ist, kann ich zumindest einen Teil meiner Verluste wieder reinholen.«

Rancid schnappte sich den Kristall und drückte ihn an seine Brust. »Bleib, wo du bist!«

»Rancid, komm schon. Sei nicht dumm.«

Rancid wirbelte herum, rannte los, stolperte über ein Kabel und fiel auf die Knie, wobei ihm der Kristall aus der Hand rutschte und in den Schatten sprang.

Einen Moment später trat eine Gestalt aus ebendiesem Schatten. Groß, schlank und in einen dreiteiligen Anzug gekleidet, inklusive Hut. Das Mondlicht fiel auf seinen weißen Schädel, als er den Kristall in seiner behandschuhten Hand betrachtete.

»Ich habe dich und dieses verdammte Ding schon viel zu lange gejagt«, sagte Skulduggery Pleasant.

Rancid schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht du. Bitte nicht du.«

»Jedes Mal, wenn ich schon fast dran war, bist du mir entwischt«, fuhr Pleasant fort, »sei es durch List oder pures Glück. Ohne unhöflich sein zu wollen, aber eigentlich war es ausnahmslos Letzteres. Jedes Mal, wenn ich eine konzentrierte Anstrengung unternommen habe, dich zu schnappen, hat mich etwas abgelenkt: Killer, Höllenwelten, Restanten, alternative Dimensionen, Ex-Freundinnen … Aber heute ist es mir ein Vergnügen, ein besonderes Vergnügen, endlich die Worte aussprechen zu können: ›Rancid Fines, du bist verhaftet.‹«

»Nein!«, schrie Rancid und rappelte sich erneut auf. »Nein! Nicht, wenn ich so kurz davor bin!«

Er stürzte sich auf den Kristall, doch Pleasant warf ihn über Rancids Kopf in die Hände einer Frau in Schwarz, deren dunkle Haare ihr ins Gesicht fielen.

»Also danach haben wir seit meinem dreizehnten Lebensjahr immer wieder gesucht«, sagte Walküre Unruh.

»Ich bin schon viel länger auf der Suche danach«, entgegnete Pleasant. »Das erste Mal, dass ich diesen Kristall überhaupt zu Gesicht bekam, war im Jahr 1943. Damals kauerte ich in der Dunkelheit, umgeben von Nazis. Sie sprachen über die ungeheuren Mengen an Energie, die er erzeugen kann – aber dafür habe ich bis jetzt noch keinen Beweis gesehen.«

»Seine Macht ist unendlich!«, beteuerte Rancid.

»Nazis«, sagte Unruh und ignorierte ihn total, »ich hätte gern gegen Nazis gekämpft. Ich wette, man konnte sie pausenlos verprügeln, ohne sich auch nur im Geringsten schlecht deswegen zu fühlen.«

»Nazis waren wirklich jede Tracht Prügel wert«, pflichtete Skulduggery ihr bei. »Das sind sie noch immer.«

Kiln räusperte sich und hob die Hände. »Gott sei Dank, dass ihr hier seid«, sagte er. »Rancid Fines wollte mich umbringen.«

»Wollte ich nicht!«, kreischte Rancid.

»Dieser Typ?«, fragte Unruh. »Dieser Typ wollte dich umbringen?«

Kiln nickte. »Ja.«

»Dieser Typ hier, der entweder zu heulen aufhören oder sich die Nase putzen sollte? Dieser Typ wollte dich umbringen?«

»Lasst euch von den Tränen oder der Nase nicht täuschen«, sagte Kiln. »Er ist erbarmungslos.«

»Er sieht definitiv so aus. Aber ich fürchte, Sie sind auch verhaftet. Der Kristall steht schon lange auf der Liste der Verbotenen Objekte.«

»Ach ja?«

»Direkt in der Rubrik Katastrophale Konsequenzen.«

»Das hört sich ernst an«, räumte Kiln ein. »Und ihr werdet mich jetzt nicht gehen lassen, oder? Hatte ich mir fast gedacht. Allerdings bringt mich das in eine Zwickmühle. Ihr wollt mich verhaften, und ich will nicht verhaftet werden.«

»Ich kann verstehen, dass sich daraus eine Zwickmühle ergibt.«

»Also bleibt mir nur ein Ausweg. Ich muss zu Gewalt greifen.«

»Ah«, sagte Pleasant. »Keine gute Idee.«

Unruh zuckte die Schultern. »Gewalt ist unsere große Stärke.«

»Eine unserer besten Eigenschaften.«

»Sie wollen uns gegenüber nicht zu Gewalt greifen«, versicherte Unruh. »Das würde für Sie nicht gut ausgehen.«

Kiln nickte. »Ich verstehe, was ihr sagt, und ich weiß das auch zu schätzen. Doch obwohl schon Leute, die wesentlich mächtiger sind als ich, versucht haben, euch zu töten, und ich gehört habe, wie übel das für sie ausgegangen ist, kann ich mir nicht helfen: Ich glaube, sie sind vermutlich deshalb gescheitert, weil sie einfach nicht ich waren.«

Drei maskierte Gestalten in Schwarz, von denen nur die Augen zu sehen waren, traten neben Kiln.

»Ninjas?«, flüsterte Unruh. Dann lauter: »Wir kämpfen gegen Ninjas?«

Der erste Ninja zog ein Schwert. Der zweite holte einen dreigeteilten Stab hervor. Der dritte füllte seine Hände mit Wurfsternen.

»Ach herrje«, sagte Unruh. »Wir kämpfen gegen Ninjas.«

Der dritte Ninja warf die Metallsterne, aber Unruh drehte sich weg, sodass sie an ihren Schultern abprallten. Dann gesellte er sich zu dem Ninja mit dem dreigeteilten Stab, und gemeinsam griffen sie Pleasant an, der mit Feuerbällen antwortete, während der Ninja mit dem Schwert sich auf Unruh stürzte. Sein Schwert schlug ihr zwar mit einem Hieb den Kristall aus den Händen, schaffte es aber ebenso wenig wie die Wurfsterne, durch ihren Anzug zu dringen. Unruh wich einem weiteren Schwerthieb aus, stürmte auf den Ninja zu und stieß krachend mit ihm zusammen.

Kiln schlich vorwärts und schnappte sich den Kristall.

»Nein!«, schrie Rancid, stürzte sich auf Kiln und schlang die Arme um dessen Bein.

»Lass das«, sagte Kiln und versuchte, ihn abzuschütteln.

Aber keine Macht auf Erden konnte Rancid Fines vertreiben. »Der bleibt bei mir! Ich bin so nah dran, seine Geheimnisse zu entschlüsseln!«

»Wenn du überhaupt etwas entschlüsseln könntest, dann hättest du es längst getan«, knurrte Kiln und marschierte ungerührt weiter.

Die Luft flirrte, und einer der Ninjas – derjenige, der gerade brannte – flog wie ein schreiender Meteor durch die Dunkelheit.

»Ich werde nicht zulassen, dass du mir mein Lebenswerk nimmst«, stieß Rancid zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er durch Dreck und hohes Gras geschleift wurde.

Der Ninja mit dem Schwert hatte zwar seine Waffe verloren, aber er trieb Walküre Unruh noch immer vor sich her. Schließlich feuerte sie einfach etwas auf ihn ab, das wie ein weißer Blitz aussah, und er krachte gegen Kiln.

Der Kristall fiel herunter, aber Rancid fing ihn auf, küsste ihn und krabbelte davon, während der Kampf hinter ihm weiterging.

DIE SCHÜLER stellten sich nach Jahrgängen in der Turnhalle auf und unterhielten sich – ein Meer aus unterschiedlichen Größen und Gewichten und schwarzen Schuluniformjacken mit verschiedenfarbigen Paspeln am Revers.

Omen Darkly bahnte sich einen Weg ans Ende der Halle. Die Schüler der sechsten Jahrgangsstufe lehnten betont lässig an der Wand. Noch einen Monat und sie waren weg, ließen ihre Schulzeit hinter sich und würden in Angriff nehmen, was auch immer es in Angriff zu nehmen galt. Zweifellos erwarteten sie aufregende Zeiten.

Noch vor zwei Jahren hatten die angehenden Absolventen riesig und einschüchternd reif gewirkt. Jetzt war Omen so groß wie die meisten, auch wenn dieser neuerliche Wachstumsschub seine Bewegungen noch linkischer gemacht hatte. Eines Tages, das schwor er sich, wäre er in der Lage, einen Raum zu betreten, ohne über seine eigenen Füße zu stolpern.

Er gesellte sich zu seinen Mitschülern aus der fünften Jahrgangsstufe. Sie besaßen nicht den Luxus einer Wand, an die sie sich lehnen konnten, wirkten aber trotzdem ziemlich lässig. Axelia Lukt stand bei Ula und Bella. Omen lächelte sie an, und sie lächelte zurück, was sein Herz zum Singen brachte. Er ging an seinen üblichen Platz, direkt neben seinem Bruder. Auger wirkte müde. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und ließ die Schultern hängen, als wäre es einfach zu anstrengend, gerade zu stehen. So unzufrieden und lustlos war er schon seit drei Monaten, seit er den König der Nachtländer getötet hatte, und es wurde immer schlimmer.

Never betrat die Turnhalle, und Omen suchte nach irgendeinem Anzeichen, das ihm verriet, welchem Geschlecht sich seine beste Freundin gerade zugehörig fühlte. Doch er konnte nichts finden. Seit Never sich die Haare hatte dunkel färben und kurz schneiden lassen – abgesehen vom ausladenden Pony –, hatte Omen sich auf Vermutungen gestützt. Bis jetzt eher mit mäßigem Erfolg.

Never hatte sich vor zwei Wochen von Auger getrennt, sich davon aber nicht die Laune verderben lassen. Er zwinkerte Auger im Vorbeigehen zu, und Auger reagierte mit einem Lächeln – das erste Lächeln seit einer Ewigkeit, wie Omen feststellte. Dann nahm Never seinen Platz neben Omen ein.

»Du siehst gut aus«, sagte sie, die Augen auf das Podium gerichtet, wo sich gerade die Lehrer versammelten.

»Danke«, antwortete Omen überrascht.

Never wartete einen Moment und schaute ihn dann an. »Und jetzt bist du an der Reihe, etwas Schmeichelhaftes über mich zu sagen.«

»Ach so«, sagte Omen. »Ich mag deine Haare.«

»Das hast du mir schon gesagt.«

»Also …«

»Ja?«

»Bist du …?« Omen seufzte. »Identifizierst du dich als männlich oder weiblich?«

Never lachte. »Es gefällt mir, wie höflich und unbeholfen du wirst, wenn du das fragen musst. Meine Identität entwickelt sich, Omen. Im Moment fühle ich mich weder besonders männlich noch besonders weiblich – also identifiziere ich mich heute einfach mal als ich.«

»Und Pronomen?«

»Pronomen – im Moment wär das sier.«

Omen nickte. »Cool.«

»Ich warte übrigens noch immer auf das Kompliment.«

»Was soll ich sagen?«

»Wenn ich dir sagen soll, wofür du mir ein Kompliment machen sollst, dann ist es doch keins mehr, oder?«

»Vermutlich nicht«, sagte Omen. »Du siehst nett aus. Reicht das als Kompliment? Ich weiß es echt nicht.«

»Warum fühlst du dich auf meine körperliche Erscheinung beschränkt? Ich habe dir ein Kompliment wegen deines Aussehens gemacht, weil ich wusste, dass es dir gefallen würde. Schließlich glaubst du nicht, dass du gut aussiehst. Aber ich weiß, dass ich gut aussehe, Omen. Es gibt so etwas wie Spiegel, und ich benutze sie. Daher weiß ich, dass ich heute Morgen besonders toll aussehe. Aber wie wäre es damit, etwas über mich als Person zu sagen … statt über eine echt heiße Braut, die du gern angaffst?«

»Habe ich gegafft?«

»Alle gaffen mich an, Omen. Ich bin äußerst begaffbar.«

»Keine Ahnung, ob es dieses Wort gibt, aber, äh, okay, also … Never, du bist wirklich klug.«

»Danke.«

»Und selbstbewusst.«

»Ja.«

»Und ich wünschte, ich könnte mehr so sein wie du.«

Never blinzelte ihn an. »Oh.«

»Was ist? War das falsch?«

»Nein«, sagte Never. »Nein, das war … toll.«

Omen zuckte die Schultern.

Die Lehrer hatten sich aufgestellt und unterhielten sich leise miteinander – alle bis auf MrPeccant, der missmutig auf die Schüler der ersten Jahrgangsstufe hinabschaute. Omen grinste. Die armen Neulinge waren so winzig, so niedlich und so leicht einzuschüchtern. Es war wirklich lustig, wie ein mürrischer Blick eines Lehrers selbst die größten Rebellen zum Schweigen brachte …

Peccant sah Omen an, und Omen schaute sofort weg und wurde rot und tat sein Bestes, sich nicht in die Hose zu machen.

Rektorin Duenna betrat das Podium, dicht gefolgt vom Konrektor. Als sie in der Mitte angekommen war, lächelte sie und wartete darauf, dass die Gespräche verstummten.

Doch als das nicht geschah, trat Peccant vor. »Ruhe! Haltet den Mund!«, brüllte er, woraufhin tatsächlich alle den Mund hielten. Peccant zog sich wieder zurück.

Duenna räusperte sich. »Danke, MrPeccant. Kinder, wir haben genau siebenundzwanzig Tage bis zum 31.Mai, zum Magiefest Féile na Draíochta und dem Ende des Schuljahrs. Eure Prüfungen beginnen in neunzehn Tagen. Ihr solltet eure Stundenpläne bereits erhalten haben, und heute fangen eure Wiederholungskurse an.«

Alle klatschten Beifall, doch Duenna verzog keine Miene.

»Verwechselt die Wiederholungskurse nicht mit Freistunden«, sagte sie. »Ihr müsst an allen Kursen teilnehmen – und zwar in voller Schuluniform. Unter früheren Rektoren mag es da Nachlässigkeiten gegeben haben, aber unter meiner Leitung werdet ihr euch so würdevoll verhalten, wie ich es erwarte.«

Ein lautes, wenig subtiles Raunen ging durch die Menge, das Duenna bewusst ignorierte.

»Während die Jahrgangsstufen sechs und drei die Staatsprüfungen ablegen, schreibt der Rest von euch die letzten Klausuren des Schuljahrs. Und obwohl es verlockend sein mag, diese als unwichtig abzutun, kann ich euch versichern, dass das nicht der Fall ist. Wir werden diejenigen, die nachlassen, sehr genau im Auge behalten, und ein solches Verhalten wird Konsequenzen haben.«

Sie ließ einen unheilvollen Blick über die Turnhalle schweifen und verzog das Gesicht dann zu einem schiefen Lächeln.

»Ich bin sicher, ihr alle seid schon aufgeregt wegen Féile na Draíochta – oder Draíocht, um die einzig zulässige Abkürzung zu verwenden. Der Name darf nicht zu Draíochta verkürzt werden oder zu Féile, Fleadh, Fest oder irgendeinem anderen unzutreffenden Begriff. Wir wollen, dass ihr alle Spaß habt, aber die richtige Art von Spaß. Draíocht findet nur alle zweiundsiebzig Jahre statt, und bei der letzten Feier war ich kaum älter als einige von euch hier. Es war, wenn ihr mir den Kalauer verzeiht, eine magische Zeit.« Sie lachte leise. Niemand sonst lachte. Sie wandte sich an Peccant: »Wissen die Schüler, was ein Kalauer ist?«

»Das sollten sie«, knurrte er.

Duenna zuckte die Schultern. »Jedenfalls hat unser glorreicher Führer verfügt, dass Roarhaven das Epizentrum aller Draíocht-Festivitäten auf der ganzen Welt bilden soll. Er sagte wörtlich, wir sollen ein Leuchtfeuer sein, das den Weg nach Hause weist.«

»Was zum Teufel bedeutet das?«, murmelte Never.

»Und deshalb wird der letzte Schultag bereits am Mittag enden, damit ihr losziehen und den Karneval in den Straßen unserer Stadt genießen könnt.«

Omen jubelte mit den anderen Schülern. Nur Auger blieb still.

Duenna schaute auf ihre Armbanduhr und vergewisserte sich, dass der Jubel innerhalb der Zeit blieb, die sie dafür angesetzt hatte. Als die vorgesehenen Sekunden verstrichen waren, hob sie eine Hand, und in der Turnhalle kehrte wieder Ruhe ein.

»Und nun zu ein paar organisatorischen Dingen: Alle Kurse in Magischer Theorie werden bis Freitag im Geschichtsraum abgehalten, und die Module des Kurses Fälschung offizieller Dokumente werden in den Raum verlegt, in dem normalerweise Magische Theorie stattfindet. Morgen werden im Speisesaal über Mittag Bildschirme aufgestellt, damit wir die Rede des amtierenden Obersten Magiers live verfolgen können. Er verkündet eine neue öffentliche Ordnung, die wohl für uns alle von Interesse sein dürfte. Außerdem hat MrHunnan mich gebeten, euch daran zu erinnern, dass ihr eure eigenen Gummischilde zu den Kampfkursen mitbringen müsst. Ihr könnt euch keinen Schild teilen. In Ordnung, ihr habt drei Minuten, um euch zu eurem ersten Kurs zu begeben. Die Versammlung ist beendet.«

Die Schüler verließen die Turnhalle nach Schuljahren getrennt, wie Zahnpasta, die aus einer Tube gedrückt wurde. Aber sobald sie durch die Tür war, verteilte sich die Zahnpasta in alle Richtungen, und Omen musste sich zu seinem Spind durchkämpfen. Jemand zog ihn am Ärmel.

»Hey, Thiago«, sagte er und verfluchte sich selbst.

»Hi«, antwortete Thiago, der von den vorbeilaufenden Schülern hin und her gedrängt wurde – die meisten waren größer und älter als er. »Also, äh, irgendwas Neues von …?«

»Ist in Arbeit«, sagte Omen.

Thiago nickte und wurde für einen wunderbaren Moment von der Menge verschluckt, bevor er wieder auftauchte.

»Okay«, sagte Thiago und schloss stolpernd zu Omen auf. »Okay, es ist nur so: Man sieht so schwer, ob überhaupt irgendwas passiert.«

»Vertrau mir. Es wird alles gut.«

»Vielleicht sollte ich mit Auger sprechen.«

»Nein«, widersprach Omen rasch. »Am besten hältst du dich von Auger fern. Stell ihm keine Fragen – erwähne es nicht im Gespräch. Entspann dich einfach, okay?«

»Okay«, sagte Thiago und nickte. »In Ordnung. Es ist aber sehr wichtig.«

»Das weiß er, Thiago. Ich habe es ihm gesagt. Überlass es ihm, und es wird sich alles klären, okay? Und jetzt geh zum Unterricht.«

Da Thiago den Eindruck machte, als wollte er noch mehr sagen, führte Omen ihn von den Spinden fort in den Strom der Schüler, der ihn mit sich fortzog. Dann holte er seine Bücher heraus und schloss den Spind in dem Moment ab, als es läutete. Sofort wollte er sich in Bewegung setzen, aber plötzlich stand Never neben ihm.

»Geht es Auger gut?«, fragte sier. »Er ist in letzter Zeit so still gewesen. Wirklich still. Weißt du, ob er okay ist? Hast du mit ihm gesprochen?«

»Ich spreche ständig mit ihm«, antwortete Omen und marschierte los.

»Aber hast du mit ihm darüber gesprochen, warum er so still ist?«

»Wenn er mir etwas zu sagen hat, wird er sich melden.«

Never zog eine Augenbraue hoch. »Ja, weil das immer der Fall ist, wenn jemand über etwas Schwieriges sprechen muss. Seit dem König der Nachtländer ist Auger nicht mehr derselbe.«

»Würdest du das denn von ihm erwarten?«

»Nein«, sagte Never, »aber darum geht es doch nicht.«

Sier packte Omen am Arm, damit er stehen blieb. Der Gang war jetzt fast leer. »Auger hat jemanden getötet. Es spielt keine Rolle, ob der getötete Typ ein Mörder war, der so ziemlich jeden auf der Welt umgebracht hätte. Auger hat schließlich diese Obsidian-Klinge benutzt und seine Existenz ausgelöscht. Er hat ihn auf eine Art und Weise getötet, auf die noch niemand getötet wurde. Auger ist traumatisiert.«

»Er hat mit einem Therapeuten darüber gesprochen.«

Never lächelte verächtlich. »Ein Schulpsychologe, Omen. Kaum mehr als ein Vertrauenslehrer. Ich an seiner Stelle würde die Schule verklagen, weil sie es überhaupt so weit hat kommen lassen. Und ich würde das Oberste Sanktuarium verklagen. Und ich würde eine Entschädigung von Roarhaven und jeder verdammten magischen Gemeinde auf der Welt verlangen.«

Omen runzelte die Stirn. »Ich habe noch nie davon gehört, dass sich Zauberer gegenseitig verklagen. Ich glaube nicht, dass das so läuft.«

»Das sollte es aber«, entgegnete Never. »Weißt du, was das eigentliche Problem ist? Das eigentliche Problem mit unserer magischen Gesellschaft liegt darin, dass sie so klein und so geheimnistuerisch ist, dass nie wirklich jemand zur Rechenschaft gezogen wird.«

»Okay.«

»Was passiert, wenn ein sterblicher Politiker etwas Mieses tut? Er wird gefeuert, weil er gegen das Gesetz verstoßen hat. Oder er tritt zurück, weil die Schande so groß ist.«

»Es sei denn, er heißt Martin Flanery«, meinte Omen und grinste. »Oder Donald Trump. Oder dieser andere Typ.«

Never ignorierte ihn. »Konventionen, Omen. Ich persönlich verachte das Konzept generell, aber es hat seine Vorteile, und einer der wichtigsten besteht darin, die Leute an der Macht unter Kontrolle zu halten. Wir haben so was nicht. Bis vor wenigen Jahren hatten wir nicht mal einen Obersten Magier. Früher musste sich ein Großmagier gegenüber anderen Großmagiern verantworten. Aber wem gegenüber hat sich Creed zu verantworten?«

»MrsCreed?«

»Er ist nicht verheiratet.«

»Hm. Dann … vermutlich gegenüber niemandem.«

»Genau«, sagte Never und nickte.

»Entschuldige, aber was hat das mit Auger zu tun?«

»Nicht sonderlich viel. Ich bin vom Thema abgekommen.«

Omen schaute sich um. Sie standen allein auf dem Gang. »Wir müssen jetzt wirklich zum Unterricht, Never.«

»Und du musst mit deinem Bruder reden«, sagte Never. »Ich kann verstehen, dass du in ihm immer diese unzerstörbare Kraft im Kampf für das Gute gesehen hast. Aber was willst du jetzt tun, jetzt, da er sich als menschlich entpuppt hat? Denk darüber nach, Omen. Denk darüber nach.«

Und dann teleportierte Never sich weg und ließ Omen allein im Gang zurück.

Peccant tauchte plötzlich neben ihm auf. »MrDarkly«, sagte er barsch.

»MrPeccant.«

»Sie kommen zu spät zum Unterricht, MrDarkly«, sagte Peccant und stolzierte davon. »Nachsitzen.«

Omen seufzte.

DAS GERÄUSCH seines eigenen Atems ging ihm wieder mal auf die Nerven.

Alle paar Monate bemerkte er es, hörte, wie es in seinen Ohren rasselte, verstärkt durch die Maske. Die Maske. Die verdammte Maske. Gott, wie sehr er sich danach sehnte, sie sich vom Kopf zu reißen, diesen lächerlichen Schnabel zu packen und einfach alles wegzuziehen und frische Luft auf seiner Haut zu spüren. Wie sehr er sich wünschte, sich zu kratzen, wenn es ihn juckte, sich die Augen zu reiben, wenn sie müde waren, und mit den Fingernägeln über seine Kopfhaut zu fahren.

Diese intensive Gereiztheit würde ein paar Tage anhalten, ein paar Tage, an denen er schnell in die Luft ging und seine Antworten schnippisch waren. Aber er würde wie immer mit einem überwältigenden, wenn auch müden Gefühl der Resignation daraus hervorgehen. Schließlich hatte er sich freiwillig für diese Mission gemeldet. Das war der Preis dafür.

Aber seit einiger Zeit – seit drei Monaten – gab es einen völlig neuen Grund für diesen Unmut. Er war nicht in der Lage, seiner quasi-adoptierten Tochter sein Lächeln zu zeigen.

Er schaute sich um. Wo steckte seine quasi-adoptierte Tochter überhaupt?

Sebastian legte das Buch weg, das er noch immer nicht gelesen hatte, und machte sich auf die Suche nach ihr. »Darquise?«, rief er. »Süße?«

Er fand sie in der Küche. Die kleine Darquise, das Kind, das in den ersten zwei Monaten um zwei Jahre gealtert war und dieses Alter im dritten Monat verdoppelt hatte, saß auf dem Boden, von Kopf bis Fuß mit Mehl bestäubt.

Er hatte gar nicht gewusst, dass er überhaupt Mehl im Haus hatte. Jedenfalls hatte er keins gekauft. Trotz der Tatsache, dass er mit diesem verdammten Anzug nicht zu essen brauchte – und es auch nicht konnte –, hatten die anderen Mitglieder der Darquise-Gesellschaft dafür gesorgt, dass die Küche jederzeit mit allen erdenklichen Lebensmitteln bestückt war. Nicht, dass er je die Chance hatte, etwas zuzubereiten. Jeden Tag kamen Bennet oder Lily oder Ulysses oder Demure mit selbst gekochten Mahlzeiten für ihre entzückende, kleine, schwarzhaarige Göttin vorbei. Sebastian brauchte kaum noch einen Finger krumm zu machen, seit die paar Wochen der Flaschennahrung hinter ihnen lagen.

Alles in allem war diese unerwartete Vaterschaft bis jetzt gar nicht so schlecht verlaufen: Schließlich hatte die Darquise-Gesellschaft ihm die ganze Zeit dabei geholfen. Forby hatte nicht nur die Nahrung zubereitet, sondern auch das ganze Haus mit Babyfonen und versteckten Kameras ausgestattet, und Tarry und Kimora hatten das Babysitting übernommen, wann immer Sebastian eine Pause brauchte.

Und dann war da natürlich Darquise selbst. Er war bei ihrer Geburt dabei gewesen, hatte zugesehen, wie die schwangere Darquise sich aufgelöst und in ihre eigene Tochter verwandelt hatte. Die Kleine hatte eine Weile gewimmert und geschrien, doch als die Darquise-Gesellschaft herbeigeeilt war, lag sie bereits schlafend in Sebastians Armen. Sie hatten gegurrt und Oh und Ah gemacht, sie sauber gemacht und angezogen, und dann hatten alle sie einfach nur angestarrt. Es war schräg. Süß, aber schräg.

Im Alter von zwei Monaten konnte Darquise bereits laufen. Zwei Wochen später flog sie. Ihre ersten Worte lauteten: »Die Welt ist ein Vampir.« Sebastian wusste nicht, was zum Teufel das bedeutete, bis Bennet ihm sagte, es sei die erste Zeile eines Songs von den Smashing Pumpkins. Die meisten ihrer ersten Sätze stammten aus Songs: viel von Muse, Nirvana, Guns N’ Roses, ein bisschen Britney. Ulysses stellte die Theorie auf, dass es sich dabei um Erinnerungen ihres Mutterwesens handelte – Sätze, die einfach als Erstes auftauchten im unendlichen Ozean von Darquises Geist.

Und dieser Ozean war wirklich unendlich: Vor ihrer Geburt hatte Darquise Zehntausende – vielleicht Hunderttausende, ja sogar Millionen – Versionen ihrer selbst ausgesandt, um das Universum zu durchforsten und Informationen zu sammeln. Sebastian hatte keine Ahnung, wozu. Doch all das war im Kopf dieses blinzelnden, mit Mehl bestäubten Kindes eingesperrt.

Er hob sie hoch. »Du bist ein kleines Ferkel.«

Darquise kicherte.

WALKÜRE bewegte sich geduckt, die Arme über der Brust gekreuzt, mit kleinen, aber schnellen Schritten, und hielt die Augen auf ihre Schwester geheftet. Plötzlich blieb sie abrupt stehen und riss die Hände nach oben. Sofort schoss Alison vorwärts, verpasste ihr zuerst einen linken und dann einen rechten Haken, duckte sich anschließend unter einem Schlag hindurch und sprang auf, um drei Uppercuts zu landen und die Sequenz schließlich mit einem Ellbogenschlag zu beenden. Dann tänzelte sie davon.

»Gut«, sagte Walküre, kreuzte erneut die Arme und richtete die Polster an ihren Händen nach innen, während sie Alison umkreiste. Alison tänzelte in die andere Richtung, die Hände mit den dicken Handschuhen vor dem Gesicht, die Ellbogen fest an den Körper gepresst. Ihr Gesicht war gerötet, und ein paar blonde Haarsträhnen hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst.

Ein weiteres Mal blieb Walküre stehen, drehte die Polster nach außen, und Alison machte einen kleinen Schritt, um festen Stand zu bekommen, und wiederholte dann die Sequenz mit breiter werdendem Grinsen. Walküre hob die Hände erneut vor die Brust, um den Ellbogenschlag abzuwehren, und richtete sich dann auf, ebenfalls grinsend.

»Nicht schlecht«, lobte sie. »Handschuhe aus.«

Sie machten ein paar Dehnübungen zum Abkühlen und hängten dann ihre Boxhandschuhe und die Polster an die Haken an der Garagenwand. Walküre klappte die Turnmatten zusammen, während Alison ihre neuesten Tanzfiguren vorführte – ein Ausbund an grenzenloser, unbändiger Energie. Anschließend räumten sie die großen Mattenwürfel weg und kehrten ins Haus zurück. Alison lief die Treppe hinauf, und Walküre ging in die Küche.

»Wie macht sie sich?«, fragte ihr Vater von unter dem Spülbecken.

»Großartig wie immer, und sie wird von Mal zu Mal besser«, antwortete Walküre und nahm eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank. »Brauchst du da unten vielleicht Hilfe?«

»Ich schaff das schon«, verkündete Desmond leicht angespannt. Ein Schraubenschlüssel knallte klirrend gegen das Rohr, gefolgt von einem zischenden Schmerzlaut. »Au.«

Walküre trank einen Schluck Wasser. »Für so was gibt es eigentlich Fachleute.«

»Ich kann einen Abfluss reparieren, Steph. Du hast vielleicht schon mehrfach die Welt gerettet, und deine Schwester mag eine angehende Ninja sein, aber mir ist noch kein Abfluss begegnet, den ich nicht reparieren konnte. Könntest du mir den nächstgrößeren Schraubenschlüssel reichen?«

Walküre nahm den Schraubenschlüssel aus seiner Hand, fand den gewünschten Schlüssel im Werkzeugkasten auf dem Tisch und reichte ihn Desmond.

»Und, hast du in letzter Zeit die Welt gerettet?«, fragte er, untermalt von weiterem Scheppern.

»Seit Jahren nicht.«

»Was war das für eine Sache, von der deine Mutter mir letzte Woche erzählt hat? Hörte sich ziemlich ernst an.«

Walküre zuckte die Schultern. »Okay, es war ernst, aber nicht weltuntergangsmäßig ernst. Nur irgendein Psychopath, der ein paar Zauberer umgebracht hat.«

»Habt ihr ihn geschnappt?«

»Ja.«

»Ist er in diesem schwebenden Gefängnis?«

»Nein. Coldheart wird gerade mit zusätzlichen störungssicheren Systemen ausgestattet, damit es nie wieder überfallen werden kann, und ist noch immer außer Betrieb. Der Typ sitzt jetzt in Ironpoint. Da ist es auch nicht schöner.«

Ihr Dad stieß ein paar angestrengte Grunzlaute aus, wand sich dann unter dem Spülbecken hervor und streckte die Hände aus. Walküre zog ihn auf die Beine.

»Dann wollen wir mal sehen«, sagte er und drehte den Wasserhahn auf. Es ratterte kurz, und nach einer Sekunde schoss das Wasser heraus. »Funktioniert«, sagte er und drehte den Hahn wieder zu. »Siehst du, Tochter? Auch ich bin zu etwas nütze.«

»Daran hab ich nie gezweifelt.«

Er drehte sich um, als Alison hereinkam. »Ah, die Ninja kehrt zurück. Wie war das Training heute, Kleiner Drache?«

»Es hat Spaß gemacht«, sagte Alison fröhlich. »Ich war wirklich gut, glaube ich. Stephanie, war ich gut?«

»Du warst großartig.«

Alison grinste und zuckte die Schultern, nach Kräften bemüht, bescheiden zu wirken. »Dad, wann kommt Mom zurück? Ich muss um Viertel vor drei zum Tanzunterricht.«

»Sie wird rechtzeitig hier sein – keine Sorge. Und falls nicht, kann ich dich hinbringen.«

Das Grinsen verschwand aus Alisons Gesicht. »Nein, Dad. Wir kommen immer zu spät, wenn du mich fährst. Mom ist pünktlich. Du sagst immer, wir brechen jetzt auf, aber dann gehst du auf die Toilette und brauchst ewig. Und ich hasse es, zu spät beim Unterricht aufzutauchen. Ich komm mir dann so blöd vor, weil ich das Gefühl habe, dass mich alle anstarren und … und …«

Tränen schossen ihr in die Augen, woraufhin Desmond zu ihr hastete, auf die Knie sank und ihre Schultern festhielt. »Hey. Sieh mich an, Süße. Sieh mich an. So ist es gut. Du wirst nicht zu spät kommen. Und weißt du auch, warum? Weil deine Mutter rechtzeitig zurückkommt.«

»Aber was, wenn nicht?«

»Dann bringe ich dich«, sagte Walküre.

Die großen Augen wurden noch größer. »Auf deinem Motorrad?«

Walküre lachte. »Nein, nicht auf dem Motorrad. Ich nehme Dads Wagen. Du kommst nicht zu spät, okay? Vertrau mir.«

Alison nickte und wischte sich die Augen. »Okay.«

»Übrigens«, sagte Desmond, »bin ich zutiefst beleidigt, dass niemand mir zutraut, bei irgendetwas pünktlich zu sein. Ich bin bei unglaublich vielen Sachen pünktlich, aber alle erinnern sich immer nur daran, wenn ich mal zu spät bin, etwas vergesse oder den falschen Tag erwische. Ich muss mich um wahnsinnig viele Dinge kümmern. Zufälligerweise habe ich eine eigene Firma. Ich habe Angestellte, um die ich mich kümmern muss. Und dann ist da diese unheimliche Katze, die mich immer anstarrt, wenn ich das Haus verlasse. Also bitte ich um Entschuldigung, wenn ich manchmal bei irgendwas spät dran bin – aber das Leben kommt mir oft dazwischen.«

»Kann ich jetzt gehen?«, fragte Alison.

Desmond seufzte. »Klar.« Er stand auf und sah ihr nach, als sie die Küche verließ. Nach einem Moment wandte er sich Walküre zu. »Das war knapp. Ich meine, es geht ihr stetig besser. Die Abstände zwischen den – wie auch immer man das nennen will – dunklen Phasen werden größer. Aber sie können bei ihr durch die geringste Kleinigkeit ausgelöst werden.«

»Du hattest die Situation wirklich gut im Griff«, sagte Walküre; es fiel ihr schwer, ihre Stimme ruhig zu halten.

»Das war nicht schwer. Sie ist noch immer ganz aufgeregt vom Training mit dir und freut sich auf den Tanzkurs. Abends, wenn sie müde ist, kostet es mehr Mühe. Aber wir tun das, was der Psychologe gesagt hat. Wir bestärken sie, bringen sie dazu, darüber zu reden, wie sie sich fühlt … Ich wünschte nur, wir wüssten, was die Ursache für all das ist. Wenn sie uns das sagen würde …«

Er verstummte.

»Ihr tut, was ihr könnt«, meinte Walküre.

»Ja«, sagte Desmond. »Und du bist wirklich eine große Hilfe. Sie liebt es, dass ihre große Schwester ihr beibringt, sich selbst zu verteidigen. All diese positiven Dinge … Das ist genau das, was sie braucht.«

Walküre nickte.

Ihr Dad packte sein Werkzeug ein. »Ich frage mich, ob es irgendwie mit dieser Magie zusammenhängt.«

Walküre erstarrte.

»Du bist die Expertin«, fuhr er fort. »Könnte das sein? Mein Großvater hatte ziemlich heftige Stimmungsschwankungen, und Gordon konnte ein launischer Mistkerl sein, wenn er wollte – obwohl das immer auf sein künstlerisches Temperament zurückgeführt wurde. Fergus ist ein notorischer Nörgler, wie du ja weißt. Glaubst du, die Tatsache, dass wir von diesem Letzten der Urväter abstammen, macht uns anfällig für ein solches Verhalten? Was ist mit dir? Hast du so was jemals erlebt?«

Er schaute sie an, als wollte er unbedingt ihre Reaktion sehen.

»Mein Gemüt ist so heiter wie ein Sommertag«, log sie.

Desmond lächelte. »Ja, das stimmt. Aber was ist mit dem Rest von uns? Glaubst du, wir sind dazu verdammt, diese dunklen Phasen zu erleben?«

Sie runzelte die Stirn. »Leidest du denn darunter?«

Er zuckte die Schultern. »Wir alle haben Momente, in denen wir alles andere als fröhlich sind.« Er schloss die Werkzeugkiste. »Oder hat die Magie gar nichts damit zu tun? Werfe ich dem Letzten der Urväter etwas vor, das wirklich nicht seine Schuld ist?«

Falls Walküre auf den perfekten Moment gewartet hatte, um ihm die Wahrheit zu sagen, dann war er jetzt da. Falls sie auf die ideale Gelegenheit gewartet hatte, ihn darüber zu informieren, dass die Edgleys gar nicht vom Letzten der Urväter abstammten und dass vielmehr das Blut der Gesichtslosen durch ihre Adern floss, dann war sie jetzt da. Aber auf einen solchen Moment hatte sie nicht gewartet. Denn sie hatte nicht die Absicht, ihrer Familie jemals zu erzählen, dass sie Nachfahren der »Bösen« waren – und nicht von den Helden abstammten.

»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte sie, und ihr Dad zuckte die Schultern und brachte seine Werkzeugkiste in die Garage.

Als sie nach Hause kam, wurde die bedrohliche Leere von dem Schäferhund vertrieben, der auf sie zustürmte, kaum dass sie die Tür geschlossen hatte. Walküre ließ sich auf die Knie sinken, knuddelte den Hund und rollte sich auf dem Boden, während Xena ihr über Hals und Gesicht leckte und um sie herumsprang.

Anschließend aß sie eine Kleinigkeit und setzte sich auf die Couch. Der Fernseher lief mit abgeschaltetem Ton, während Walküre noch kurz mit Militsa telefonierte, bevor sie ins Bett ging und Xena sich neben ihren Knien zusammenrollte.

Sechs Jahre zuvor …

ZWANZIG MINUTEN Fahrt bei eingeschaltetem Radio – mehr konnte er nicht ertragen. Es war schon besser als letzte Woche, und in der kommenden Woche wollte er noch besser werden. Das Radio störte seine Gedanken. Musik wühlte Gefühle auf, und die war er nicht gewohnt. Wortbeiträge lockten seine Gedanken aus ihrem Versteck hervor, und auch daran war er nicht gewöhnt. Coda Quell war die Stille gewohnt. Im Radio stritten sich wütende Leute, mit Stimmen, die über den Äther knackten. Er konnte wütende Leute nicht verstehen. Eigentlich konnte er generell Leute nicht verstehen – ob Sterbliche oder Zauberer. Sie alle waren nichts weiter als Bündel widersprüchlicher Emotionen, die für ihn keinen Sinn ergaben.

Er schaltete das Radio aus und entspannte sich bei dem beruhigenden Brummen des Motors und dem Rumpeln der schweren Reifen auf der unbefestigten Straße.

Schritt für Schritt, hatten sie zu ihm gesagt, als er gegangen war. Kehre Schritt für Schritt in die Welt zurück.

Zurückkehren. Er hätte ihnen auf der Stelle sagen können, dass zurückkehren das falsche Wort war. Wie kehrte man in etwas zurück, bei dem man sich kaum erinnern konnte, es je verlassen zu haben? Aber das hatte er ihnen nicht gesagt, hatte diese Frage nicht gestellt. Denn Sensenträger stellen keine Fragen.

Doch er war kein Sensenträger mehr. Der Weg der Sense war nicht länger sein Weg. Die Leute nannten seine Art inzwischen anders. Er war ein »Ripper« – das war das Wort, das sie jetzt verwendeten. Aber es machte ihm nichts aus, weil ihm nichts mehr auch nur irgendetwas ausmachte. Das hatte man ihm seit seinem neunten Lebensjahr ausgetrieben. Sie nannten seine Art Ripper und meinten es als Beleidigung. Es war ein Angriff aus einer Position der Schwäche heraus, ein Zeichen von Angst. Sie hatten Angst vor Leuten wie ihm. Sie dachten, Sensenträger sollten für immer Sensenträger sein. Ihnen gefiel die Vorstellung nicht, dass Sensenträger ihren Job an den Nagel hängten und sich unter sie mischten.

Quell verstand solche Dinge wie Angst nicht mehr. Auch das musste er erst wieder erlernen.

Er brachte den Pick-up am Tor zum Stehen und stieg aus. Er war noch nie in Colorado gewesen. Er mochte die Luft. Sie war frisch. Sauber.

Auf der anderen Seite des Tors parkte ein Jeep. Die Heckklappe stand offen. Im Wagen lagen Zaunpfähle.

Eine junge Frau tauchte auf, kam eine steile Böschung hinunter und wirbelte Staubwolken hinter sich auf. Ihre dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, ihre Jeans schmutzig, ihre Stiefel abgenutzt und ihr T-Shirt verwaschen. Sie hatte kräftige Arme. In ihrem Gürtel steckte ein Hammer, und sie trug einen abgebrochenen Zaunpfahl.

Sie musterte Quell, sagte aber nichts. Die Frau warf den abgebrochenen Pfahl auf die Ladefläche des Jeeps, nahm dann eine Wasserflasche aus einer Tasche, die sie dort versteckt hatte, und trank einen kräftigen Schluck. Anschließend verstaute sie die Flasche wieder, schob den Hammer ebenfalls in die Tasche und kam zum Tor.

»Sie sind pünktlich«, sagte sie. »Sind Sie immer so? Sind Sie ein pünktlicher Typ?«

»Ja«, bestätigte Quell.

»Dann sind Sie ein Ripper.«

Es war keine Frage, also antwortete er nicht.

»Ich will trainieren«, sagte sie. »Ich will die Art von Training, die Sie hatten. Ist das möglich?«

»Nein.«

»Aber Sie werden mich intensiv trainieren? Sie werden mich antreiben?«

»Ja.«

»Wie heißen Sie?«

»Coda Quell.«

Sie nickte. »Ich bin Walküre«, sagte sie. »Walküre Unruh.«

SIE ERWACHTE, ohne die Augen zu öffnen, und wusste sofort, dass der Hund neben ihr auf dem Bett lag. Walküre krümmte sich wie ein umgekehrtes Fragezeichen und schlang die Beine um Xenas zusammengerollten Körper. Sie streckte die Hand aus, spürte das Fell, kratzte es, und im nächsten Moment stand Xena über ihr und sabberte auf ihr Gesicht.

Walküre lachte, als die große, nasse Zunge eine Speichelspur auf ihrer Wange hinterließ. Doch schon nach wenigen Sekunden setzte sie sich auf, packte die Hündin und zog sie mit sich zurück ins Bett. Xenas Schwanz wedelte wie verrückt, und die Zunge hing ihr aus dem grinsenden Maul.

»Du Clown«, sagte Walküre zu ihr, wogegen Xena nicht widersprach.

Sie füllte Xenas Napf, frühstückte, duschte und ließ die Hündin hinaus in den riesigen Zwinger mit Auslauffläche, den sie hinter dem Haus für sie errichtet hatte. Dann zog sie ihren Helm auf und fuhr mit dem Motorrad nach Roarhaven. Militsa wartete bereits an einem Tisch vor ihrem Lieblingscafé im Künstlerviertel auf sie. Sie küssten sich, und Walküre legte ihren Helm auf einen der leeren Stühle.

Militsa hatte einen Kaffee vor sich stehen. Ihre Augen weiteten sich. »Ich habe dir keinen bestellt!«

Walküre lächelte. »Nur gut, dass ich schon ein großes Mädchen bin und Dinge selbst erledigen kann.« Sie stellte Blickkontakt zur Kellnerin her und bat um einen schwarzen Kaffee.

»Normalerweise bestelle ich dir immer einen, wenn du zu spät kommst«, sagte Militsa. »Aber heute weiß ich wirklich nicht, wo mir der Kopf steht.« Sie deutete mit dem Kinn auf die Tasse, die vor ihr stand. »Eigentlich wollte ich einen Macchiato, aber erst als ich schon bezahlt hatte, fiel mir auf, dass ich einen Americano bestellt hatte. Ich meine, ich hätte dem Barista sagen können, dass ich mich vertan habe. Aber er sah so glücklich aus, während er den Americano zubereitete, dass ich ihm den Moment nicht verderben wollte.«

»Du bist nun mal eine komplizierte Lady«, meinte Walküre. »Anstrengender Arbeitstag?«

»Nicht besonders«, sagte Militsa. »Ich hatte heute früh eine Klasse, aber die nächste findet erst nach dem Mittagessen statt. Wirst du dir Creeds Rede anhören?«

»Ich werde sie mir nicht nur anhören – Skulduggery und ich werden persönlich vor Ort sein. Es gehört zu unseren Aufgaben als Schlichter, für die Sicherheit des Big Boss zu sorgen – etwas, das Skulduggery nicht erwähnt hat, als er mich bat, zurückzukommen. Wir werden die Rede also live miterleben, Baby.«

»Ihr habt ja so ein Glück.«

»Ich weiß. Aber was lenkt dich denn so ab? Nekromanten-Kram? Ich hab gestern mitbekommen, wie du am Telefon darüber gesprochen hast, dass deine alten Freunde gehen. Irgendetwas in der Art. Tut mir leid, ich wollte nicht mithören, aber du warst ja buchstäblich direkt neben mir.«

Militsa lächelte. »Nein, nein, darum geht es nicht. Ich meine, okay, ein paar Totenbeschwörer werden den Orden verlassen, aber ich würde sie nicht gerade als Freunde bezeichnen.«

»Warum gehen sie?«

»Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher. Ich war seit Jahren nicht mehr in einem Tempel, und der quasi-religiöse Aspekt der Nekromantie hat mich nie besonders interessiert. Aber offenbar hat vor Kurzem eine radikale Richtungsänderung stattgefunden.«

»Ist das etwas Schlechtes?«, fragte Walküre. »Noch vor wenigen Jahren trat der Orden dafür ein, die Hälfte der Weltbevölkerung zu töten.«

Militsa zog eine Augenbraue hoch. »Noch vor wenigen Jahren? Val, das ist zehn Jahre her.«

»So lange doch nicht«, widersprach Walküre. »Die Todbringer-Geschichte, Melancholia, die Rückkehr von Lord Vile, das Ganze … Oh mein Gott, du hast recht. Es liegt tatsächlich schon zehn Jahre zurück. Ich bin in meinem Leben ja einigen furchterregenden Killern und Monstern begegnet, aber das hier ist wirklich erschreckend. Ich werde alt.« Ein paar Sekunden vergingen. »Okay, das war dein Stichwort.«

Militsa blinzelte. »Wie bitte? Was?«

»Dein Stichwort, um mir zu sagen, dass ich nicht alt werde.«

»Natürlich wirst du nicht alt. Du wirst buchstäblich Hunderte von Jahren jung bleiben, genau wie ich. Wir können gemeinsam jung bleiben, bis in alle Ewigkeit. Das wird total romantisch.«

Walküres Kaffee kam. Sie schenkte der Kellnerin ein Lächeln, dankte ihr und trank einen Schluck, während das Mädchen sich vom Tisch entfernte.

»Du flirtest wieder mal«, stellte Militsa fest.

»Ständig«, bestätigte Walküre. »Also, wenn nicht die Nekromanten dich ablenken, worum geht es dann?«

»Man hat mir einen Job angeboten.«

»Du hast einen Job.«

»Man hat mir noch einen Job angeboten.«

»Als Lehrerin?«

Militsa schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »In der Forschung«, sagte sie. »Ich soll in einem Team mitarbeiten.«

»Forschung worüber?«

»Magie.«

»Okay … Das liebst du doch, also wo ist da der Haken? Und wer ist ›man‹?«

»Das Oberste Sanktuarium.«

»Creed?«, fragte Walküre missmutig.

»Das Oberste Sanktuarium besteht nicht nur aus Damocles Creed. Es gibt über zwei Dutzend verschiedene Abteilungen, alle mit eigenem Leiter, alle mit eigenen Teams … Wusstest du, dass eine ganze Abteilung nur damit beschäftigt ist, das Zepter der Urväter zu reparieren, nachdem Mevolent es in zwei Hälften zerbrochen hat?«

»Viel Glück dabei«, knurrte Walküre.

»Ja … Na, jedenfalls will man, dass ich als Mitglied eines Teams die Quelle erforsche.«

»Die Quelle aller Magie? Diese Quelle? Und was hast du gesagt?«

»Ich sagte, ich müsse darüber nachdenken.«

»Genau …«

»Offenbar denkst du, ich sollte den Job nicht annehmen.«

»Es spielt keine Rolle, was ich denke.«

»Natürlich spielt es eine Rolle.«

Walküre bemühte sich nach Kräften, ruhig zu bleiben.

»Und?«, drängte Militsa. »Was meinst du? Du wirst in den nächsten Tagen sowieso damit herausplatzen, also kannst du genauso gut jetzt gleich …«

Die Worte sprudelten über Walküres Lippen. »Creed will die Quelle ausweiten und so die Zauberer stärker machen, damit wir die Sterblichen im Kriegsfall effizienter abschlachten können.«

»Es geht um Forschung«, entgegnete Militsa. »Wichtige Forschung.«

»Die Creed für seine Zwecke nutzen wird. Wieso erkennst du nicht, was für eine schlechte Idee das ist?«

»Dieser Job ist das, was ich mir seit meinem fünfzehnten Lebensjahr gewünscht habe.«

»Das bedeutet aber nicht, dass die Forschungsergebnisse verantwortungsvoll genutzt werden. Die Sorte von Leuten, die ich jeden Tag aus dem Verkehr ziehen muss … die sind schon mächtig genug. Sie müssen nicht noch mehr Gebäude zerstören und Menschen töten können. Sie kommen auch jetzt schon ganz gut damit zurecht.«

Militsa schüttelte den Kopf. »Ich wusste, dass du so reagieren würdest.«

»Tut mir leid.«

»Wenn du meinst«, erwiderte Militsa schroff und schaute auf ihr Handy. »Ich muss zurück in die Schule.«

»Bist du sauer auf mich?«

Militsa nahm ihre Tasche und stand auf. »Ja«, sagte sie. »Aber nur weil deine Einwände einen Sinn ergeben. Lieb dich.«

»Ich dich auch«, antwortete Walküre, und Militsa ging.

Walküre trank ihren Kaffee aus und fuhr dann zum Obersten Sanktuarium. In Erwartung von Creeds Rede hatte sich bereits eine ansehnliche Menschenmenge in der Ringzone versammelt, sodass die Beamten der Stadtwache für Walküre einen Weg zur Tiefgarage frei machen mussten. Sie parkte neben dem Bentley. Skulduggery stand neben dem Wagen und beobachtete sie, als sie den Motor abstellte und die Maschine auf den Ständer bockte. Während sie ihren Helm an den Lenker hängte, musterte sie ihn mit gerunzelter Stirn.

»Irgendwas ist anders an dir«, sagte sie schließlich. »Hast du irgendwas mit deinem … Kopf gemacht?«

Er antwortete nicht.

Sie betrachtete ihn genauer. »Oh mein Gott. Natürlich! Das ist nicht dein Schädel. Die Wangenknochen sind tiefer. Der Kiefer ist schmaler. Die Augenhöhlen sind runder.«

»Die Augenhöhlen sind dieselben … mehr oder weniger«, sagte er und setzte sich in Bewegung. »Aber du hast recht – das ist eines meiner Ersatzmodelle. Ich bin gerade dabei, meinen eigenen Schädel zu polieren und zu verstärken, also werde ich diesen hier für ein paar Wochen tragen.«

Walküre schloss zu ihm auf. »Du polierst deinen Schädel?«

»Ja, alle paar Jahre. Aber jetzt ist es dir zum ersten Mal aufgefallen. Zuerst weiche ich ihn acht Tage in einer Speziallösung ein, um die Dichte zu verstärken und das Auftreten von unschönen Rissen zu verhindern. Das mache ich übrigens mit allen Teilen meines Skeletts, denn es dient auch dazu, meinen Körper erheblich schwerer zu machen.«

»Dann hast du also schwere Knochen?«

»Ja, ziemlich schwere sogar – dafür, dass es Knochen sind. Das Gewicht gibt mir mehr Halt bei körperlichen Auseinandersetzungen und steigert meine Kraft. Sobald die acht Tage um sind und der Schädel getrocknet ist, bearbeite ich ihn mit verschiedenen Schleifschwämmen, von fein bis mikrofein. Ohne allzu technisch werden zu wollen …«

»Zu spät.«

»… weiche ich ihn danach noch einmal für siebenundzwanzig Stunden ein und bearbeite ihn anschließend mit einer feinen Paste und einem Rotationswerkzeug, das mit einer sieben Achtel Zoll dicken Polierscheibe aus Musselin ausgestattet ist.«

Sie traten auf eine Aufzugplatte, die sich in die Luft erhob und sie mit langsamen Drehungen hinauf ins Oberste Sanktuarium beförderte. Als sie oben ankamen und das große Marmorfoyer betraten, fuhr Skulduggery fort.

»Danach weiche ich ihn ein drittes Mal ein – für genau drei Tage, nicht eine Minute länger, obwohl es sich dabei eher um eine Tradition handelt als um absolute Notwendigkeit. Ich bin mir sicher, wenn man wollte, könnte man den Schädel auch ein paar Minuten kürzer oder länger einweichen. Aber was wäre der Sinn all dieser Mühen, wenn man bereit ist, im allerletzten Moment nachlässig zu werden?«

Walküre wartete einen Augenblick, bevor sie antwortete. »Bist du jetzt fertig? Ich wollte dich nicht unterbrechen, für den Fall, dass du mir noch mehr von diesen völlig nutzlosen Informationen um die Ohren hauen willst.«

»Du warst neugierig.«

»So neugierig nun auch wieder nicht.«

»Trotzdem, jetzt weißt du, was ich tue, um sicherzustellen, dass mein Kopf immer tipptopp bleibt.«

Walküre nahm das schwarze Totenkopfamulett aus ihrer Jeans, drückte es an ihre Brust und tippte dann darauf. Sie betrachtete sich in einem der großen Spiegel, während sich der Nekronautenanzug über ihre Kleidung legte: jedes Mal ein anderes Design, je nach den Erfordernissen. Heute hatte er fast etwas Militärisches, perfekt für öffentliche Auftritte.

Sie verließen das Oberste Sanktuarium durch einen der Nebenausgänge und traten auf den Flügel der provisorischen Bühne. Die Stadtwache kontrollierte die Menge, während die Sensenträger Wache standen. Walküre wäre es lieber gewesen, wenn die Sensenträger bei solchen Dingen die Leitung übernommen hätten. Sie mochten erschreckende Tötungsmaschinen sein, aber sie waren unbestechliche erschreckende Tötungsmaschinen. Die Stadtwache bestand dagegen aus Leuten, die die Macht liebten, welche die Uniform ihnen verlieh.

Aber es gab kaum eine Alternative zur derzeitigen Situation. Die Anzahl der Sensenträger war im Laufe der Jahre immer weiter geschrumpft, da sie oft nur als Kanonenfutter eingesetzt wurden und nicht als die hoch qualifizierten Kämpfer, die sie tatsächlich waren. Vielleicht hing es mit ihren Visierhelmen zusammen. Es fiel leichter, jemandes Menschlichkeit zu ignorieren, wenn man vergaß, dass er ein Gesicht hatte.

Als Walküre zu ihnen hinüberschaute, versteiften sich die Sensenträger leicht, bewegten sich von einer Habachtstellung zu einer noch steiferen Habachtstellung, sofern das überhaupt möglich war. Und im nächsten Moment schwangen die Türen auf, und Damocles Creed betrat die Bühne.

DIE MENGE REAGIERTE, als wäre er eine Mischung aus Rockstar und TV-Prediger. Die Leute schrien, riefen und pfiffen, und als ihnen die Schreie, Rufe und Pfiffe ausgingen, begannen sie mit Sprechchören, Slogans und Jubel, und als sie damit fertig waren, kehrten sie zu Schreien, Rufen und Pfiffen zurück.

Der amtierende Oberste Magier stand da wie ein großer, kahler Monolith und lächelte kaum wahrnehmbar. Er sog diesen Empfang nicht genüsslich auf, sondern wartete eher darauf, dass er aufhörte. Auch das liebten seine Anhänger an ihm – seinen Pragmatismus. Seine Gleichgültigkeit gegenüber Anbetung.

Er hatte sich nicht einmal dem Anlass entsprechend gekleidet. Sein massiger Körper war in eine einfache, ausgefranste und verblichene Robe gehüllt, unter der ein Paar Arbeitsschuhe hervorschauten.

Als der Applaus endlich abebbte, trat er ans Mikrofon.

»Wenn ich mich hier umschaue, erkenne ich viele Gesichter«, setzte er an. »Ich sehe diese Gesichter jede Woche – einige von ihnen sogar jeden Tag – in der Kathedrale. Ihr betet mit mir. Ich weiß das zu schätzen. Wirklich. Und ich sehe auch viele Gesichter, die ich nicht kenne. Es wird mir richtig warm ums Herz, wenn ich sehe, dass unsere Botschaft euch erreicht, dass sie sich verbreitet. Das ist wunderbar.«

Wieder brandeten Jubel und Applaus auf, den er jedoch nach nicht allzu langer Zeit mit einer Handbewegung unterbrach. »Wir leben in einer erstaunlichen Stadt. Wir nennen sie die Hauptstadt der Magie. Seht euch um. Seht ihr die Person neben euch? Das ist ein Magier. Seht ihr die Person auf der anderen Straßenseite? Auch das ist ein Magier. Genau genommen, sind in dieser Stadt nur diejenigen keine Magier, die den Abwasch machen.«

Ein gewaltiges Gelächter erfasste die Menge, als wäre es das Lustigste, das sie je gehört hatten. Erneut hob Creed die Hand.

»War das gemein?«, fragte er. »War es gemein von mir, das zu sagen? Wir alle kennen Leute, die darauf bestehen, dass wir nicht gemein zu den Sterblichen sind, nicht wahr? Bei ihnen möchte ich mich entschuldigen.«

Jemand rief etwas. Noch mehr Leute lachten.

»Doch selbst unsere wohlgesinnten Freunde werden zugeben müssen … dass es schön ist, Teil einer Stadt von Magiern zu sein. Seite an Seite zu leben und zu arbeiten und unsere Existenz nicht vor den stumpfsinnigen, sabbelnden Sterblichen verstecken zu müssen. Junge Leute, diese wunderbaren, jungen Magier der Corrival-Schule, können sich kaum daran erinnern, wie es war, so zu leben. Aber ich erinnere mich daran. Ihr auch?«

Rufe. Gebrüll. Sie erinnerten sich.

»Ganz genau«, sagte er. »Wenn wir Glück hatten, hatten wir unsere Gemeinden. Wir hatten unsere Viertel. Und jetzt? Jetzt haben wir eine ganze Stadt, und was für eine! Ein Platz der Schönheit und der Wunder und, ja, der Magie. Was kommt als Nächstes? Ein Land? Ein Kontinent? Eine Welt? Eine Welt der Magier … könnt ihr euch das vorstellen? Könnt ihr euch die Freiheit vorstellen?«

Die Menge stellte es sich vor und johlte zustimmend.

Creed nickte. »Und wie haben wir das erreicht, meine Freunde? Indem wir demütig und leise waren? Indem wir uns in den Schatten herumgedrückt und vor den Schritten des sterblichen Mannes gefürchtet haben? Indem wir geflüstert haben, damit die sterbliche Frau unsere Worte nicht hören und unsere Geheimnisse nicht entdecken würde? Oder haben wir das erreicht, indem wir stark waren und Stärke gezeigt haben? Indem wir furchtlos waren? Indem wir uns durchgesetzt haben und dominierten?«

Oh ja, das gefiel der Menge. Das gefiel ihr sogar sehr.

Creed lehnte sich gegen das Rednerpult, als würde er sich an eine Theke lehnen. »Wisst ihr, was ich denke? Ich denke, Dominanz ist der richtige Weg. Ja wirklich. Natürlich weiß ich, wie schlimm das klingt. Man hört das Wort ›dominieren‹ und denkt an Unterdrückung, nicht wahr? Und das verstehe ich. Unterdrückung ist das, was wir vermeiden wollen. Wer wüsste besser, was Unterdrückung ist, als wir, die wir bis jetzt in einer Welt gelebt haben, die von unbedeutenden Sterblichen beherrscht wurde? Aber richtig angewendet, kann Dominanz eine positive Kraft im Universum sein. Ich glaube, von diesem Tag an marschieren wir voran und dominieren. Wir haben eine Straße in irgendeiner abgelegenen sterblichen Stadt? Wir übernehmen das Viertel. Wir haben ein Viertel? Wir übernehmen die Stadt. Wir haben eine Stadt? Wir übernehmen das Land. Warum nicht? Wer will uns denn aufhalten? Die Sterblichen?«

Sie lachten. Er nickte.

»Ihr versteht mich. Ihr habt es kapiert. Aber ehrlich gesagt, wusste ich das längst. Denn ihr seid kluge Leute. Ihr wisst, was um euch herum vorgeht und wohin sich die Dinge entwickeln. Ihr seht es direkt vor euch. Und das sage ich nicht nur als Erzbischof der Kirche der Gesichtslosen, sondern auch in meiner Eigenschaft als amtierender Oberster Magier des Obersten Sanktuariums. Wir Zauberer haben gute Arbeit geleistet. Wir haben die Sterblichen beschützt und sie gedeihen lassen. Es war, sagen wir mal, ein interessantes Experiment.« Noch mehr Gelächter. »Aber das Experiment neigt sich dem Ende zu, wenn ihr meine ehrliche Meinung hören wollt. Wir haben ihnen eine Chance nach der anderen gegeben, Gelegenheit nach Gelegenheit, und ein ums andere Mal haben sie diese Chance vertan und diese Gelegenheit verpasst. Ich weiß, dass viele von uns hier den Sterblichen große und echte Zuneigung entgegenbringen. Einige von ihnen sind unsere Freunde. Unsere Familienmitglieder. Aber ihr kurzes Leben macht sie vollkommen ungeeignet zur Leitung eines Staates. Wenn man nur eine Lebenserwartung von achtzig oder neunzig Jahren hat, woher soll man da die Motivation nehmen, die Welt zu verbessern? Aber wenn man fünfhundert Jahre lebt oder sogar tausend, dann will man dafür sorgen, dass das eigene Zuhause im bestmöglichen Zustand bleibt.«