Skulduggery Pleasant (Band 15) - Bis zum Ende - Derek Landy - E-Book

Skulduggery Pleasant (Band 15) - Bis zum Ende E-Book

Derek Landy

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Beschreibung

Einen toten Mann bringt man nicht um Die Gesichtslosen sind zurück und das Ende der Welt naht. Der Widerstand um Tanith Low und Temper Fray kämpft auf verlorenem Posten und was Auger Darkly, der Auserwählte, vorhat, wissen die Götter.  Das Schlimmste aber ist: Skulduggery kann sich nicht mehr auf Walküre Unruh verlassen. Tja, es sieht so aus, als hätten die Bösen gewonnen. Bis zum Ende gibt es aber noch einige Abenteuer zu bestehen. Die meisten sind ziemlich fies, entschuldigt sich Skulduggery Pleasant-Schöpfer Derek Landy bei seinen Fans. Aber wie wir ihn kennen, tut ihm das gar nicht leid. Bis zum Ende ist der fünfzehnte Band in Dereks Landys schwarzhumoriger Urban Fantasy-Reihe Skulduggery Pleasant. Nur noch wenige Tage bis zum Weltuntergang! BestsellerautorDerek Landy gelingt es auch im 15. Band seiner Urban-Fantasyreihe für Jugendliche ab 14 Jahren um den magischen Skelett-DetektivSkulduggery Pleasant seine Leser*innen mit actionreichen Abenteuern, messerscharfen Dialogen und viel schwarzem Humor in Atem zu halten.

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Seitenzahl: 865

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INHALT

Mit sechzehn quer durch ein Gebäude …

China erwachte aus einem …

»Du kommst noch zu spät …

Walküre brauchte in letzter Zeit …

Die Dunkle Kathedrale …

»Es ist nicht einfach, …

Ein Papierfetzen flatterte vorüber. …

Walküre landete vor den Toren …

Nachdem Temper und Kierre …

Es tat gut, …

Walküre hatte sich noch immer …

»Ich hasse dieses Ding«, …

»Hallo, Nefarian.« …

Als Walküre aufwachte, …

»Verstehe«, sagte Walküre. …

»Der Gott des Todes«, …

Martin Flanery war mit Glanz …

Aufgrund des drastischen …

Um genau 9.43 Uhr …

China beobachtete die normalen Leute …

Das Gewölbe war ein hässlicher Bau. …

»Omen Darkly«, …

Kommandant Hoc beobachtete, …

Omen schlief wütend ein, …

Sie warteten in Walter …

Tyler brachte Mr Jones …

Skulduggery und Walküre …

Die Welt brüllte und spie Feuer, …

Der Anruf wurde auf Flanerys …

Die anderen behandelten Nuncle, …

Fletcher teleportierte sie zum …

Obsidians Haut war ein Unding …

Die Nachricht verbreitete sich …

»Aber … aber …« …

Sebastian rannte. …

Alison vollführte zwei schnelle Jabs, …

Sie flogen exakt so wie Skulduggery – …

Im Haus herrschte Ordnung. …

Mittlerweile fand jeden Morgen …

Creeds Team war bereit. …

Die Verbrennung an Schrecks …

Walküre saß auf Creeds Stuhl, …

Das Coldheart-Gefängnis …

Der Overall hing an Cadaver …

Die ganze Schule sprach darüber: …

Die Kopfschmerzen, die Chinas …

Omen saß in seiner Arrestzelle. …

Die Lehrerin saß vor dem …

Walküre klopfte an die Tür. …

Temper öffnete die Tür, …

Schreck Jones war im Keller …

Duenna und Konrektor Noble …

Temper stand neben Skulduggery, …

Riemen, Ketten und Stricke …

Sie hatten ihn gefunden. …

Während Walküre schrie …

Gebetsstunde. …

Es war nicht schön, …

Während der Rest der Schule schlief, …

Es funktionierte. …

Temper bestellte ein …

Der Plan funktionierte …

Der Schild war aktiviert: …

Auf der ganzen Welt …

Die Haustür zersplitterte …

Die erste Stunde …

Inzwischen waren drei Wochen …

Endlich! Das war die Rede, …

Tylers Großmutter …

Tanith brachte ihr Motorrad …

»Ich werde dir nicht wehtun«, …

Unter dem Obersten …

Dieser Shalgoth war zweibeinig, …

Walküre wachte auf …

In einer geplünderten Apotheke …

Reznor Rake und Tancred Bold …

Wenn das alles irgendwann …

Als das Universum seinen …

Während Walküre darauf wartete, …

Tyler und sein Dad …

Emmeline und Caddock Darkly …

Die unzähligen Gesichtslosen, …

Die Nachrichten zeigten Bilder …

Walküre wachte in einem …

Ein weiterer Gesichtsloser …

Amerikanische Frühstücksflocken …

Walküre runzelte die Stirn. …

Walküre blinzelte. …

Im Gebäude herrschte geschäftiges …

Walküre erreichte New York …

»Mister President, …

In der Dunklen Kathedrale …

»Alles klar«, sagte Mendoza leise, …

»Was ist los?«, …

Das Café war klein, …

Der Fernseher blieb aus …

Skulduggery und Walküre …

»Niemals«, …

Crepuscular lachte. …

Die Schülerdemonstration …

Nach einem anstrengenden Morgen …

Der Schutzschild, …

Das Skelett lag ungeschützt …

China platzte herein, …

Walküre musste fast …

Nein, Moment mal. …

Auf dem Gelände …

Während Martin Flanery …

Omen betrat den Prismensaal. …

Sebastian schlich über die Dächer, …

Die Regale im Supermarkt waren leer. …

Skulduggery Pleasant …

Sebastian war sich nicht sicher, …

Roarhaven war erfüllt vom Heulen …

Tylers Mom nahm den langen Weg …

Die Bombe lag auf dem Boden. …

Hoc stieß die Tür auf …

Regatta betrat den Raum …

Abyssinias Körper …

Nein. Zu früh. …

»Ich bin ein Idiot«, …

Skulduggery trug einen schwarzen Anzug, …

Alle Aufmerksamkeit richtete …

Sie stürmten durch die Türen …

Destrier drehte sich zu …

Sebastian verfolgte, …

Alles in allem …

Roarhaven war weg. …

In dem Nichts vor dem Anfang …

Und aus dem Nichts …

Und aus dem Nichts kam das Universum, …

Und alles war Erinnerung. …

Und sie schaute auf dieses …

»Willkommen«, …

»Willkommen wo?«, …

Acht Monate später. …

Es tat gut, …

Omen gesellte sich zu seinem Bruder …

Der Vampir war derart …

Sie knieten sich auf die Matte, …

Palomino Ottman saß, …

Dieses Buch ist Iron Man gewidmet.

Tony Stark hat Thanos gestoppt und uns alle gerettet und ich, für meinen Teil, werde ihm dieses Opfer nie vergessen.

Und Natasha Romanoff,

»Willkommen«, sagte sie.

Die Gesichtslosen waren in ihrer Seele.

Sie spürte sie, eine unbestimmte Anzahl, ein ganzes Volk. Hunderttausende? Millionen? Milliarden? Noch mehr? Sie konnte es unmöglich sagen, wusste nur, dass es unzählig viele waren, die sich in der Essenz dessen, was sie war, wanden und schlängelten. Sie schwirrten wie Motten zu ihrem Licht, ihrer Aura, und wenn sie bereit waren, verließen sie ihre Seele und traten aus ihr heraus – nicht greifbar, und unsichtbar für das sterbliche Auge. Sie standen an den Horizonten und warteten, bis es an der Zeit war, Gestalt anzunehmen.

MIT SECHZEHN QUER DURCH EIN GEBÄUDE geprügelt zu werden, war neu und lustig und eigentlich auch ziemlich cool. Mit sechsundzwanzig quer durch ein Gebäude geprügelt zu werden, war nervig, frustrierend und – wenn sie richtig darüber nachdachte – irgendwie auch unhöflich.

Walküre rappelte sich auf. Putz und Mauerwerk fielen ihr von den Schultern, und die Brise, die durch die Ruine wehte, wirbelte Staubwolken auf. Sie zerrte sich die Schädelmaske vom Gesicht, die sofort in die Kapuze zurückglitt, zog auch diese von ihrem Kopf und schüttelte die Haare aus. Der Zauberer schwebte mit verschränkten Armen über ihr am Nachthimmel und wartete darauf, dass sie nach oben schaute. Doch stattdessen ging sie zu einem Teil des eingestürzten Dachs, setzte sich darauf, schlug die Beine übereinander und holte ihr Handy hervor.

Der Zauberer driftete ein wenig nach unten und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, ohne es zu offensichtlich aussehen zu lassen. Schließlich fragte er: »Was ist los?«

»Ich kämpfe nicht mit dir«, sagte Walküre.

»Dann gibst du auf?«

»Nein. Ich kämpfe nur nicht mit dir.«

»Warum nicht?«, fragte er.

Ihre Daumen tanzten über das Display, während sie auf eine Nachricht antwortete. »Weil Kämpfen dumm ist«, sagte sie und schickte ihre Antwort ab.

Er sank noch tiefer. »Was meinst du damit?«

Jetzt sah sie ihn an. Er hatte lange braune Haare, einen kleinen Bart und trug bunte Gewänder mit kunstvollen Mustern. Sein Name war Mansel oder Mantel oder Barney oder so.

»Ist das wirklich die beste Art, ein Problem zu lösen – indem man die Person verprügelt, mit der man sich streitet? Nur weil man mächtig ist, hat man nicht auch automatisch recht.«

»Mächtig zu sein, bedeutet, dass man nicht recht haben muss«, entgegnete Barney und grinste hinterhältig. Oder einfach nur normal. Walküre wusste es nicht. Sie hatte zurzeit viel um die Ohren.

Zwei Scheinwerfer eines Autos näherten sich. Die meisten Personen würden vor einem Kampf fliehen, bei dem bereits zwei Häuser zerstört worden waren. Es bedurfte einer bestimmten Art von Person, um darauf zuzufahren – einer bestimmten Art von Person in einer bestimmten Art von Wagen. Der Rolls-Royce Phantom 1 von 1924 fuhr an den Bordstein, und Skulduggery Pleasant stieg aus.

An diesem Abend trug er einen dunkelblauen dreiteiligen Anzug mit passendem Hut, und sein Schädel reflektierte das orangegelbe Licht der Straßenlaterne. Obwohl es inzwischen Oktober war, herrschten in Dublin noch immer milde Temperaturen. Skulduggery ignorierte die Haustür, die wie durch ein Wunder den Kampf heil überstanden hatte, und trat durch ein riesiges Loch in der Mauer ins Innere des Gebäudes.

»Hast du schon aufgegeben?«, fragte er Barney und schaute auf seine Taschenuhr. Dann legte er genervt den Kopf auf die Seite und zog die Uhr auf.

»Ich brauche nicht aufzugeben«, sagte Barney. »Ich bin der Sieger.«

»Bist du nicht«, widersprach Walküre.

»Sie hat recht«, bestätigte Skulduggery.

»Ich habe sie durch zwei Gebäude geschleudert«, konterte Barney mit einem Anflug, einer Nuance, einem Hauch von Gereiztheit in der Stimme.

»Nein«, korrigierte ihn Walküre. »Du hast mich nur durch ein Gebäude geschleudert. Vom zweiten bin ich abgeprallt.«

»Ich will damit nur klarstellen«, fuhr Barney fort, »dass ich zu mächtig bin, um von euch und euresgleichen aufgehalten zu werden.«

Walküre zog eine Augenbraue hoch.

Skulduggery hob langsam vom Boden ab und wirbelte den Staub unter sich auf. »Du bist zu mächtig für uns?«, fragte er. »Zu mächtig für mich? Einen Mann, der ermordet wurde und danach in etwas Ähnliches wie das Leben zurückgekehrt ist? Ein Mann, der die Welt vor Göttern und Monstern und den Übelsten der Üblen gerettet hat? Oder zu mächtig für sie? Die Frau, die es mit Mevolent persönlich aufgenommen hat? Die Frau, deren schlechte Laune sich in eine Göttin verwandelt hat, die kurz davor stand, alle auf dem Planeten zu töten? Die Frau, die in diesem Moment Tausende von Gesichtslosen befehligt, die für Sterbliche unsichtbar sind, aber über jeder bedeutenden Stadt in jedem bedeutenden Land aufragen? Du bist zu mächtig für uns?«

Barney schwebte in der Luft. »Sie befehligt sie nicht«, sagte er leise.

»Was? Was hast du gesagt?«

»Sie befehligt die Gesichtslosen nicht«, wiederholte er, dieses Mal lauter. »Sie hat sie hergebracht, das stimmt, aber sie hat keine Macht über sie oder so.«

Walküre stöberte in ihrem Social-Media-Feed. »Ich bin das Kind und die Mutter«, murmelte sie und spürte, wie sich Barneys Blick wieder auf sie richtete.

»Was?«

»So nennt man mich«, sagte sie. »Ich bin das Kind der Gesichtslosen, weil ich von ihnen abstamme, aber ich bin auch ihre Mutter, weil ich die Verbindung bin, über die sie in diese Dimension gelangen.« Sie steckte ihr Handy in die Tasche und blickte auf. »Das Kind und die Mutter, verstehst du? Und das bedeutet, dass sie tun, was ich ihnen sage.«

Barney fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Warum tust du das? Warum bist du hinter mir her? Ich habe dir nichts getan.«

»Du hast versucht, ein paar sehr mächtige Waffen für deine eigenen zerstörerischen Zwecke zu stehlen und dabei drei Sterbliche getötet.«

»Na und?«, erwiderte Barney. »Ich dachte, du wärst, du weißt schon …«

»Was?«

»Ich dachte, du wärst auf unserer Seite«, sagte Barney. »Ich weiß, du warst eine Art Ermittlerin, eine Schlichterin. Aber hast du dich nicht verändert? Du hast selbst gesagt, du würdest jetzt für die Gesichtslosen arbeiten. Du gehörst zu den Bösen. Was kümmert es dich, wenn wir anderen ein paar Leute töten?«

Walküre seufzte. »Ich gehöre nicht zu den Bösen, du Idiot. Möglicherweise hat sich mein Horizont in letzter Zeit erweitert, aber ich bin noch immer ich. Ich bin noch immer eine Schlichterin, und es gehört zu meinem Job, Mörder wie dich zur Strecke zu bringen.«

»Warum?«

»Weil Mord nun mal total daneben ist«, sagte sie sarkastisch.

»Aber du hast die Gesichtslosen zurückgeholt!«, rief Barney, der es wirklich nicht kapierte. »Die Sterblichen wissen nicht, dass sie da sind. Aber früher oder später werden sie die sehen können, und dann …« Barney machte den Eindruck, als fehlten ihm die Worte, also fuchtelte er mit den Armen. »Sie werden sie töten! Die Gesichtslosen werden sie töten! Und wenn sie ohnehin sterben werden, warum darf ich dann nicht schon mal ein paar Sterbliche im Voraus töten?«

»Barney, ich glaube, du kapierst nicht, worum es eigentlich geht.«

»Wer zum Teufel ist Barney?«

»Die Gesichtslosen sind Liebe und Licht und Frieden und Glück. Und wenn sie ein paar Leute töten müssen, dann aus einem sehr guten Grund. Diese Tode haben eine Bedeutung. Aber du bist nur ein Typ mit einem kleinen Bart, der wie die anderen Zauberer einen Energieschub bekommen hat und sich jetzt für eine große Nummer hält. Du bist keine große Nummer, Barney.«

»Ernsthaft, wer ist dieser Barney?«

»Ergibst du dich freiwillig«, fragte Walküre, »oder muss ich dich weiter verprügeln?«

Barney schnaubte verächtlich. »Du brauchst eine Armee, um mich aufzuhalten.«

Inzwischen war Skulduggery hinter ihn geschwebt. Er schlang einen Arm um die Kehle des Zauberers und wandte einen Würgegriff an, noch bevor Barney wusste, wie ihm geschah. Barney zappelte und schlug um sich. Er versuchte es mit Magie, schob aber zu sehr Panik. Zuerst lief er rot an, dann violett, und schließlich verlor er das Bewusstsein. Als er umkippte, fing Skulduggery ihn mithilfe der Luft auf und hielt ihn kopfüber, sodass ihm sämtliches Kleingeld aus den Taschen fiel.

»Ich werde ihm eine schöne Zelle in Roarhaven besorgen«, sagte Skulduggery. »Du kannst ruhig nach Hause fahren und deinen Hund füttern.«

»Okay«, sagte Walküre und ließ das kommentarlos so stehen. »Bis morgen.«

Sie flog zu ihrem Motorrad, setzte den Helm auf und fädelte sich langsam in den Verkehr ein. Wie gern wäre sie nach Hause gefahren und von ihrem Hund begrüßt worden, vom aufgeregten Getrappel seiner Pfoten und seinem dämlichen Grinsen. Aber Xena wohnte nicht mehr bei ihr. Das war eine der Begleiterscheinungen ihres neuen Status als »das Kind und die Mutter«: Tiere hielten sich nicht gern in ihrer Nähe auf. Nicht einmal Xena, die treueste deutsche Schäferhündin, die je auf dieser Erde gewandelt war. Walküre vermisste sie wahnsinnig, und ihr Herz schmerzte, wenn sie daran dachte, was sie hatte aufgeben müssen. Also versuchte sie, nicht daran zu denken. Außerdem schien es Xena bei Militsa gut zu gehen.

Plötzlich wurde Walküre bewusst, welche Straße sie entlangfuhr. Froh über die Ablenkung, hielt sie vor dem Gebäude an, in dem sich einst das alte Wachsfigurenkabinett und darunter das Sanktuarium befunden hatten. Jetzt war es ein Hotel. Sie dachte an das Museum und die dunklen Gänge mit den von Spinnweben überzogenen Wachsfiguren der Prominenten. Dachte an die Figur von Phil Lynott, die am geheimen Eingang gestanden hatte und durch Magie zu einer Art Leben erweckt worden war. Und zum ersten Mal fragte sie sich, ob das nicht ein Sakrileg gewesen war. Lynott war eine reale Person gewesen, ein talentierter Mann, gequält von seinen eigenen Dämonen, und man hatte seine Gestalt benutzt, um Passwörter zu überprüfen und Türen zu öffnen.

Es war seltsam, dass ihr diese Dinge erst jetzt auffielen – jetzt, da sie vorbei waren. Trotz all ihrer damaligen Beteuerungen, trotz allem, was Skulduggery gesagt hatte: Vielleicht war es tatsächlich erstaunlich leichtsinnig und unglaublich dumm gewesen, sich mit zwölf Jahren in diese Gefahr zu stürzen.

Walküre saß auf ihrem Motorrad und dachte an die Ältesten, an Meritorius und Crow und sogar an Tome. Sie dachte an Nefarian Serpine, der das Zepter der Urväter gefunden, es mit seiner Magie aufgeladen und dann versehentlich dazu benutzt hatte, das Buch der Namen zu zerstören. Sie dachte daran, wie das Zepter explodiert war, als Skulduggery es benutzt hatte, wie Serpine versucht hatte standzuhalten, als der schwarze Blitz ihn traf, dann aber zu Staub zerfallen war.

Etwas blitzte in ihrem Kopf auf – eine Erinnerung oder ein Gedanke, und er erschien in diesem Moment ungeheuer wichtig. Aber er bewegte sich so schnell weiter, dass sie ihn nicht festhalten konnte. Je mehr sie versuchte, ihn zu fassen zu bekommen, desto weiter entzog er sich ihr, bis Walküre gar nicht mehr sagen konnte, ob er überhaupt existiert hatte. Sie zuckte die Schultern. Wenn es wichtig war, würde es ihr bestimmt einfallen. Wahrscheinlich.

Sie setzte ihren Helm wieder auf, startete das Motorrad und reihte sich erneut in den fließenden Verkehr ein.

Ein paar Jahre nach Serpines Tod hatte Walküre den zerbrochenen Kristall ersetzt. Den hirranischen Kristall, wie die Wissenschaftler ihn jetzt nannten. Oder Katahedral-Kristall – so sein traditioneller Name –, der sich die Seelen derer einverleibte, die er zerstörte. Um seine Kraft zu steigern. Und sie hatte ihn benutzt, um zwei der Gesichtslosen zu töten, die bei der Aranmore Farm eingedrungen waren.

Kopfschüttelnd fuhr sie weiter, denn sie hasste es, sich daran zu erinnern. Jetzt, da sie wusste, wer die Gesichtslosen wirklich waren, hasste sie es, sich an die Tatsache zu erinnern, dass sie für den Tod einiger von ihnen verantwortlich war. Um sich von der aufkommenden Woge der Schuld und Scham abzulenken, dachte Walküre an den Moment, als sie diese schwarzen Blitze das letzte Mal gesehen hatte … als das neue Zepter vor nur drei Monaten in ihrer Hand explodiert war. Zum Glück war Skulduggery dabei nicht getötet worden. Die Tatsache, dass sie selbst überlebt hatte, konnte sie sich nur damit erklären, dass das Universum in all seiner Weisheit zu dem Schluss gekommen war, dass es sie lebend brauchte.

Natürlich brauchte es sie lebend. Innerhalb einer Stunde nach der Explosion des neuen Zepters hatte sie sich in Creeds Aktivierungswelle gestürzt und war zum Kind und zur Mutter der Gesichtslosen geworden.

Der Beweis dafür, schätzte Walküre, dass es schon immer so vorherbestimmt gewesen war.

Sie hielt an der Ampel in Drumcondra an und stellte einen Fuß auf die Straße, während der Motor im Leerlauf blubberte. Sie war allein an der Ampel, keine Autos in der Nähe. Jemand ging mit seinem Hund Gassi. Der kleine Hund bellte wie verrückt etwas an, das sein Besitzer nicht sehen konnte. Aber Walküre sah es. Zuerst war sie die Einzige gewesen, die die Gesichtslosen über den Städten der Welt hatte sehen können. Doch inzwischen hatten sich alle Zauberer an ihre Gegenwart gewöhnt – und schon bald würden auch die Sterblichen sie wahrnehmen. Und es würden noch viele weitere Gesichtslose folgen, sehr viele, die aus Walküres Seele strömten und ihren Platz in der Welt einnahmen. Dieser Gesichtslose hier, der wie ein Berg aus Fleisch und Klauen, Falten und Tentakeln über Dublin aufragte, trug den Namen Khrthauk, und er war wunderschön.

Walküre lächelte zu ihm hinauf. Dann sprang die Ampel um, und sie fuhr nach Hause.

CHINA ERWACHTE AUS EINEM weiteren bösen Traum und erkannte, dass jemand über ihr aufragte.

Mit einer blitzschnellen Drehung warf sie die Decke zur Seite und stürzte sich auf den Eindringling, stürmte direkt durch ihn hindurch, bekam aber nichts als Luft zu fassen. Sie wirbelte herum, und die Sigillen in ihren Handflächen glühten, bereit, einen doppelten Energiestrom freizusetzen.

Doch das Abbild der alten Frau in der Dunkelheit lachte leise. »Oh, Mutter«, sagte Solace, »du amüsierst mich wirklich.«

Chinas Puls beruhigte sich, das Adrenalin verebbte, und sie richtete sich auf. »Solace, meine Liebe«, sagte sie, »wie schön, dich wiederzusehen. Das müssen wir bald unbedingt persönlich nachholen.«

»Damit du mich töten kannst?«, fragte Solace. »Oder eher, mich töten lassen kannst? Ich weiß schließlich, wie sehr du es verabscheust, dir die Hände schmutzig zu machen.«

»Ach, du wirst feststellen, dass ich nichts dagegen habe, ein wenig Blut zu vergießen, wenn die Situation es erfordert.« China ging durch die psychische Projektion ihrer Tochter hindurch, nahm den Krug von ihrem Nachttisch und goss sich ein Glas Wasser ein. »Was kann ich heute Nacht für dich tun?«, fragte sie, bevor sie einen Schluck trank.

»Ich komme mit einer Warnung zu dir.«

»Oh gut, die schätze ich außerordentlich.«

Solace lächelte. »Ich weiß, wie stark du dich im Widerstand engagierst und gegen Damocles Creed und all die Leute kämpfst, die auf so unhöfliche Weise dabei geholfen haben, dich als Oberste Magierin zu stürzen. Und es ist unglaublich amüsant, dich und deine Freunde unter dem unaufhaltsamen Rad des Schicksals zappeln zu sehen, aber ich fürchte, all das muss ein Ende haben – vor allem du.«

»Bitte fahr fort.«

Solace’ Lächeln verhärtete sich. »Mir gefällt deine Einstellung nicht, Mutter. Fast schon respektlos. Muss ich dir wirklich wieder wehtun? Ist es so weit gekommen?«

China trank einen weiteren Schluck Wasser und stellte das Glas dann auf den Nachttisch. »Langweilt dich das nicht allmählich?«

»Ach, das wird mich niemals langweilen. Ebenso wenig, wie es mich je langweilen wird, dich mit dem Wissen um die bevorstehenden Schrecken zu quälen. Deine Welt, so wie sie ist, wird bald zusammenbrechen. Sag mir, Mutter, woran erinnerst du dich … was weißt du noch über die Shalgoth? Aus deiner Zeit, als du die Gesichtslosen angebetet hast?«

»Monster«, antwortete China, »geschickt von den Gesichtslosen, um die Urväter zur Strecke zu bringen, als sie zum ersten Mal rebellierten. Die Shalgoth inszenierten ihrerseits einen Aufstand, woraufhin die Gesichtslosen sie tief ins Innere der Erde verbannten.«

»Wo sie sich seit Jahrtausenden winden«, sagte Solace, »und sehnsüchtig darauf warten, für ihre Sünden büßen zu dürfen.«

»Und du bist jetzt hier, um mir mitzuteilen, dass die Gesichtslosen ihnen die Gelegenheit dazu geben wollen?«

»Sie warten auf das Signal zum Angriff. Ich kann es spüren. Ihre Gedanken sind nicht fassbar und mir fremd, aber ich kann ihre Absicht so deutlich wahrnehmen, wie ich dich jetzt vor mir sehe. Du und deine kleinen Rebellenfreunde glaubt, Creed sei das Problem. Oder Obsidian. Aber die Situation ist weitaus schlimmer, als ihr alle auch nur … Du lächelst, Mutter. Warum lächelst du, wenn du doch weißt, dass ich dir dafür wehtun werde?«

»Weil du, meine liebe Tochter, offenbar nicht mehr weißt, mit wem du es zu tun hast«, entgegnete China und klopfte an die Wand. Sigillen leuchteten um sie herum auf, und Solace schnappte nach Luft, hielt sich keuchend den Kopf.

»Hör gut zu, Liebes«, sagte China. »Wenn du das nächste Mal jemanden von deinen wahren Zielen ablenken willst, dann mach es nicht so offensichtlich.«

»Die Shalgoth werden euch alle in Stücke reißen«, knurrte Solace.

»Ach, komm schon. Du hast selbst gesagt, die Gesichtslosen und die Monster unter unseren Füßen seien dir egal. Du bist also hier, um eine Warnung zu überbringen, richtig? Aber seit wann überbringst du Warnungen? Drohungen, Schmerzensversprechen, sicher – aber Warnungen? Nein. Du willst mich bloß davon abbringen, mich mit den Heerscharen zu befassen, hab ich recht? Dann stimmen die Gerüchte also. Ich muss zugeben, dass ich sie nur halb geglaubt habe. Aber jetzt, da ich weiß, dass du dich vor ihnen fürchtest, ist mein Interesse geweckt.«

Solace funkelte sie wütend an, bis die Sigillen erneut pulsierten und die Schmerzen zu stark wurden. Ihr Bild verblasste, und sie verschwand.

»DU KOMMST NOCH ZU SPÄT zum Frühstück«, sagte Gerontius und verließ das Zimmer, während er an seiner Krawatte herumfummelte.

Omen rollte sich auf den Bauch und versuchte, sich zu entspannen. Kurz darauf drehte er das Kissen auf die kühle Seite und versuchte es erneut. Seine Augen brannten, und er war todmüde, weil ihn die ganze Nacht Albträume geplagt hatten. Trotzdem wusste er nur zu gut, dass er nicht wieder einschlafen würde. Er stöhnte in den leeren Raum hinein und drehte sich ein weiteres Mal um. Einen Moment lang drifteten seine Gedanken ab. Doch dann sah er auf die Uhr und schoss senkrecht hoch.

Er war eingeschlafen. Wie zum Teufel konnte es sein, dass er eingeschlafen war? Er hatte doch nur für einen Moment die Augen geschlossen, für einen klitzekleinen Moment. Dieser Moment hatte allerdings eine halbe Stunde gedauert. Jetzt war er für die Morgenversammlung ziemlich spät dran und hatte noch immer mit seiner Hose zu kämpfen.

Hastig putzte er sich die Zähne, bemühte sich nach Kräften, seine Haare zu bändigen, und untersuchte sein Gesicht auf Pickel. (Anscheinend waren ein paar neue dazugekommen – na toll!) Danach streifte er Hemd und Blazer über, schlüpfte in seine Schuhe, griff nach Krawatte und Handy und rannte los. Im Laufen band er sich die Krawatte um. Aber der Knoten fiel nicht sehr überzeugend aus.

Seine Schritte hallten durch den Korridor, als er zu seinem Spind sprintete und sich seine Tasche schnappte. Er wirbelte herum und wollte weiterrennen, hielt jedoch abrupt inne. Vor ihm stand Rektorin Duenna und musterte ihn.

»Hmm«, sagte sie.

Omen wusste nicht, was er davon halten sollte. »Ich bin spät dran«, sagte er.

»Stimmt«, bestätigte Duenna. »MrDarkly, seit Beginn des neuen Schuljahrs hatten wir noch keine Gelegenheit, uns zu unterhalten. Wie wirst du mit dem Verlust deines Bruders fertig?«

Omen blinzelte sie an. »Er ist nicht verschollen.«

Duenna lächelte und legte den Kopf auf die Seite. »Wie bitte?«

Er räusperte sich. »Mein Bruder ist nicht verschollen«, sagte er.

»Ich verstehe. Weißt du, wo er ist?«

»Nein«, räumte Omen ein.

»Wissen deine Eltern, wo er ist? Wissen es die Behörden?«

»Nein.«

»Das entspricht doch ziemlich genau der Definition des Wortes ›verschollen‹, oder?«

»Nicht wirklich, Miss. Nicht, solange er selbst weiß, wo er ist.«

Duenna betrachtete ihn. »Verstehe«, erwiderte sie. »Ich habe den Lehrkräften in Bezug auf dich strenge Anweisungen erteilt, MrDarkly. Du hast offenkundig eine Menge durchgemacht, und deine Lehrer werden ein Auge auf dich haben. Dieses Schuljahr ist sehr wichtig, und wir können nicht zulassen, dass deine Ausbildung leidet, oder?«

»Vermutlich nicht.«

Duenna trat einen kleinen Schritt auf ihn zu. »Wir werden dich im Auge behalten, Omen. Jeder von uns. Alle sind sehr besorgt. Dein Verhalten im letzten Schuljahr war alles andere als vorbildlich. Ja, es gab sogar Forderungen, dich verhaften zu lassen. Verhaften! Einen Corrival-Schüler!« Sie schauderte. »Allein schon der Gedanke ist unvorstellbar.«

Omen nickte, schwieg jedoch.

»Einige Eltern machen sich Sorgen«, fuhr Duenna fort. »Sie haben verlangt, dass du vom Unterricht ausgeschlossen wirst. Denn sie befürchten, dass du Unruhe stiften und einen schlechten Einfluss auf die anderen ausüben könntest.«

»Ich habe nicht vor …«, setzte Omen an.

Doch Duenna hob einen Finger. »Unterbrich mich nicht, MrDarkly.«

»Natürlich«, sagte er. »Entschuldigung.«

»Sie haben schlimme, abschätzige Sachen über dich, deine Eltern und deine Erziehung gesagt. Und insbesondere über deinen Bruder.« Duenna schüttelte den Kopf. »Schrecklich, was ihm widerfahren ist. Einfach schrecklich. Der Auserwählte zu sein und dann … zu diesem Ding zu werden. Obsidian. Es muss furchtbar sein. Einige Leute bezeichnen ihn sogar als Monster. In mancher Hinsicht ist es fast schon ein Segen, dass er nicht mehr begreift, was mit ihm passiert. Vermutlich würde er es nicht verkraften, wenn er wüsste, dass er vom Helden zum Verbrecher mutiert ist.«

»Er ist kein Verbrecher«, sagte Omen, bevor er sich zurückhalten konnte. »Und wir wissen nicht, was er begreift oder nicht. Wir wissen überhaupt nichts über seinen Zustand.«

»Du klingst wütend, Omen. Mir ist klar, dass dies eine schwierige Zeit ist und du unter großem Druck stehst. Trotzdem kann ich nicht zulassen, dass du in diesem Tonfall mit einer Mitarbeiterin der Schule sprichst.«

Er schluckte. »Tut mir leid.«

Duenna musterte ihn einen Moment lang nachdenklich. »Einige Mitglieder des Kollegiums waren nicht der Meinung, dass man dich wieder an die Schule zurückkehren lassen sollte«, sagte sie. »Immerhin waren du und deine Freunde an Gewalttätigkeiten auf dem Schulgelände verwickelt. Das alles war sehr beunruhigend. Omen, Lehrer – Lehrer – haben mich angerufen und gefordert, dass du der Schule verwiesen wirst … dass die Stadtwache dich verhaftet. Die Verbrechen, die sie dir vorgeworfen haben … Schreckliche Sachen. Sie haben gesagt, du hättest dich der Blasphemie schuldig gemacht, Omen, hättest gegen die Gesichtslosen gehandelt. Ein paar haben dich des Verrats an Roarhaven bezichtigt – was zu dem Zeitpunkt faktisch noch kein Verbrechen war. Da hast du Glück gehabt. Aber unser Oberster Magier hat in seiner Barmherzigkeit und Güte entschieden, dass du nicht für deine vielen, vielen Regelverstöße bestraft werden sollst. Es war seine Entscheidung, dass wir dich schützen und bei uns behalten sollen. Und wie könnten wir Erzbischof Creed widersprechen?«

Omen hielt den Mund fest geschlossen.

»Trotzdem bist du eine Herausforderung, MrDarkly. Du stellst für mich ein Problem dar. Perspicacious Rubic, mein Vorgänger auf dem Posten des Rektors, hat uns verlassen, um Großmagier von Irland zu werden, und sitzt jetzt im Ratgebergremium des Obersten Magiers. Welche höhere Berufung könnte es geben, als einen so bedeutsamen Mann wie den Obersten Magier zu beraten? Sobald ich die Corrival-Schule in den Hort der Erleuchtung verwandelt habe, von dem ich weiß, dass sie es sein kann … wer weiß, zu welchen Höhen ich dann aufsteigen könnte? Worauf ich hinauswill, MrDarkly, ist Folgendes: Ich setze mich voll und ganz für die Ausbildung und das Wohlergehen jedes einzelnen Schülers ein. Denn der Erfolg meiner Schüler ist mein Erfolg. Wir alle teilen den Ruhm. Ist das nicht wunderbar? Umgekehrt gilt natürlich das Gleiche. Das Versagen meiner Schüler ist mein Versagen. Alle Entscheidungen oder Handlungen, die ein schlechtes Licht auf euch werfen, werfen auch ein schlechtes Licht auf mich. Meine Erfolgsbilanz ist bisher mustergültig – und ich werde alles dafür tun, dass es so bleibt.« Sie sah ihm direkt in die Augen.

Omen erwiderte ihren Blick, bis es unbehaglich wurde und er wegschaute.

»Was weißt du über den Bau dieser Schule?«

»Wir haben gelernt«, antwortete er, »dass Erskin Ravel Creyford Signate damit beauftragt hat, die ganze Stadt so zu konzipieren, dass sie über die alte Stadt Roarhaven gesetzt werden konnte.«

»Du hast also im Unterricht aufgepasst«, konstatierte Duenna. »Aber vermutlich hat man euch nicht beigebracht, welchen Anteil der Oberste Magier Creed an dem Ganzen hatte.«

»Er hat MrSignate dazu veranlasst, seine Entwürfe zu ändern«, sagte Omen und genoss den erstaunten Ausdruck auf Duennas Gesicht. »Er hat ihn dazu gebracht, die Straßen und Gebäude so zu gestalten, dass sie Sigillen bilden, damit er seine Aktivierungswelle aussenden konnte.«

Duenna zog eine Augenbraue leicht hoch. »Natürlich. Natürlich weißt du das. Wie dumm von mir. Ja, der Oberste Magier hat Creyford Signate erklärt, was er von ihm erwartete.«

»Er hat ihm gedroht.«

»Der Oberste Magier droht Leuten nicht, MrDarkly.«

»Er hat MrSignate bedroht«, sagte Omen. »Und seine Frau.«

»Mach dich nicht lächerlich.«

»Das ist nicht lächerlich. MrSignate hat es mir selbst erzählt.«

»Ach, Creyford Signate hat es dir also persönlich erzählt?«

»Ja. Kurz bevor er ermordet wurde.«

»Das ist nicht der geeignete Zeitpunkt für theatralisches Verhalten, MrDarkly.«

»Ich bin nicht …«

»Sei still!«, zischte Duenna.

Omen hielt den Mund.

Die Rektorin fasste sich wieder und sprach mit einem leichten Lächeln auf den Lippen weiter, als wäre nichts gewesen. »Der Oberste Magier hat an verschiedenen Gebäuden in Roarhaven gewisse bauliche Ergänzungen vorgenommen – unter anderem an dieser Schule. Er hat Hindernisse für sein großes Werk vorhergesehen. Hat die Aktionen von Leuten wie den Mitgliedern der sogenannten Widerstandsbewegung vorhergesehen, den Terroristen. Hat Anschläge, Attentate, Putschversuche vorhergesehen – und seine Pläne entsprechend angepasst. Dazu gehört auch eine unterirdische Ebene, MrDarkly, in der sich etwas befindet, was man freundlich umschrieben als ›Arresträume‹ bezeichnen könnte.«

Omen runzelte die Stirn. »Zellen?«

»Das soll nur eine Warnung sein«, sagte Duenna. »Bei einem Schüler mit deiner familiären Vorgeschichte – ganz zu schweigen von deiner eigenen Vergangenheit, was den Umgang mit aktenkundigen Mördern und Kriminellen angeht – muss mit größtmöglicher Sorgfalt vorgegangen werden. Jedes Nachsitzen wird für dich in einem Arrestraum stattfinden. Hast du das verstanden?«

»Ja, Rektorin Duenna.«

Sie lächelte. »Gut. Wenn es irgendetwas gibt, das ich für dich tun oder womit ich dir in deiner aktuellen Situation helfen kann, Omen, darfst du dich jederzeit mit meiner Sekretärin in Verbindung setzen. Und jetzt ab mit dir; die Morgenversammlung hat schon angefangen.«

Omen drehte sich um, ging zügig zur Aula und trat ein. Den wütenden Blick von Konrektor Noble ignorierte er. Doch plötzlich versperrte Filament Sclavi ihm den Weg und hielt ihm ein glattes schwarzes Armband entgegen.

»Hier«, sagte er mit einem breiten Grinsen.

Omen runzelte die Stirn und registrierte, dass alle anderen ein solches Armband zu tragen schienen. »Wofür ist das?«

»Für dich«, antwortete Filament, wenig hilfreich. »Du musst es anlegen, bevor du dich zu den anderen stellen kannst.«

Das Armband war ein schwarzer Reif aus einem Material, das wie billiges Plastik aussah. Omen streifte das Band über, und es hing nun locker von seinem Handgelenk. Filament trat beiseite und gestattete Omen, seinen angestammten Platz neben Never einzunehmen. Never schien wenig angetan davon, ein Accessoire tragen zu müssen, das sier sich nicht selbst ausgesucht hatte.

Duenna betrat die Bühne und klatschte dreimal schnell in die Hände. In der Aula wurde es still. »Tragt ihr sie alle?«, fragte die Rektorin, und ihre Stimme schallte laut durch den Saal. »Alle? Hebt die Hände, damit die Präfekten nachsehen können.«

Hände hoben sich. Omen und Never tauschten einen Blick, dann folgten sie widerstrebend dem Beispiel der anderen. Die Präfekten gingen jede Reihe ab. Als sie oben angekommen waren, riefen sie: »Jawohl!«

»Ausgezeichnet«, sagte Duenna und holte ein kleines Gerät aus dem gleichen schwarzen Plastik aus ihrer Jackentasche. Sie tippte zweimal darauf, woraufhin sich die Armbänder der Schüler zuzogen und mit einem klickenden Geräusch einrasteten.

Omen gefiel das nicht: Es fühlte sich viel zu sehr nach Handschellen an.

»Ihr fragt euch vielleicht, warum jeder von euch ein so modisches, von der Schule genehmigtes Schmuckstück erhalten hat«, sagte Duenna, und auf ihrem Gesicht erschien kurz etwas, das entfernte Ähnlichkeit mit einem Lächeln besaß. »Und ihr fragt euch vielleicht auch, ob das bedeutet, dass wir unsere Bekleidungsvorschriften gelockert haben. Das haben wir nicht. Das Armband, das ihr jetzt alle am Handgelenk tragt, kann nicht entfernt werden und dient eurem eigenen Schutz.«

Ein Raunen und Murren ging durch den Saal. Omen runzelte die Stirn und versuchte, das Armband zu öffnen. Doch er konnte nicht einmal eine Nahtstelle entdecken.

»In diesen unsicheren Zeiten müssen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden. Es hat schon immer Beschränkungen für die Arten von Magie gegeben, die Schüler auf dem Schulgelände ausüben dürfen. Und ab jetzt steht auch ›Teleportation‹ auf dieser Liste.«

Omen warf Never einen Blick zu und sah, dass sier erstarrte.

»Teleportation ohne Beaufsichtigung ist einfach zu gefährlich und zu unberechenbar. Deshalb wurden diese Armbänder mit Sperrsigillen versehen.«

Duenna drückte auf die Fernbedienung in ihrer Hand, woraufhin jedes Armband leise piepte und auf der Oberfläche eine Sigille aufleuchtete.

»Das können Sie nicht machen«, sagte jemand, und empörte Rufe hallten durch die Aula.

Duenna klatschte erneut dreimal, doch die Woge der Empörung wollte nicht abebben. Als drei weitere Klatscher ertönten – dieses Mal begleitet von einem stechenden, zornerfüllten Blick –, ließ das Geschrei langsam nach und verwandelte sich in Murmeln.

»Doch, das können wir in der Tat machen«, sagte Duenna. »Eure Eltern oder Erziehungsberechtigten wurden von einem Mitglied des Ausschusses für das allgemeine Wohlergehen kontaktiert, der als gemeinsame Initiative der Corrival-Schule und der Kirche der Gesichtslosen ins Leben gerufen wurde. Alle haben zugestimmt. Ich verstehe, dass einige von euch vielleicht glauben, Teenager müssten rebellieren, und deshalb werde ich dieses eine Mal über euren Ausbruch hinwegsehen. Trotzdem könnt ihr mir gern glauben, wenn ich sage, dass die Erwachsenen wissen, was für euch am besten ist. Jede weitere Unterbrechung wird mit sofortigem Nachsitzen bestraft. Möchte irgendjemand das überprüfen?«

Duenna musterte die Schüler eindringlich, offensichtlich auf der Suche nach weiteren Anzeichen von Missfallen.

»Es ist illegal, die Magie eines anderen Zauberers zu binden«, platzte eine von Omens Mitschülerinnen aus der Sechsten heraus. »Das steht in der Grundordnung von Roarhaven!«

Duenna zeigte auf sie und verkündete: »Nachsitzen!«

Zwei Präfekten marschierten auf die Schülerin zu, packten sie an den Armen und eskortierten sie aus der Aula.

Nachdem sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten, fuhr Duenna fort: »Die Sperrsigillen binden eure Magie nicht – sie verschlüsseln lediglich die Signale, die zu eurem Gehirn führen.«

Die Atmosphäre in der Aula verdüsterte sich und die unausgesprochenen Worte hingen schwer in der Luft.

»Das Ganze ist nicht im Geringsten invasiv«, fügte Duenna hinzu. »Ich versichere euch, dass euer Wohlergehen für uns oberste Priorität hat. Wir leben in einer gefährlichen Welt, in der sich nicht alle einig sind, welche die vernünftigste Vorgehensweise ist. Aber die Mitarbeiter der Corrival-Schule und das Oberste Sanktuarium der Stadt Roarhaven haben den Glauben auf unserer Seite, und wir wissen, dass unser Handeln gut, gerecht und richtig ist. Habt Vertrauen in uns, Kinder, dann werden wir euch in die neue Welt führen.« Sie lächelte.

»Das hier«, flüsterte Never, »kann nur ein schlimmes Ende nehmen.«

WALKÜRE BRAUCHTE IN LETZTER ZEIT kaum noch Schlaf; deshalb lag sie auch jetzt einfach nur im Bett und starrte an die Decke. Jedes Mal, wenn eine Woge der Angst von ihrem Bauch in ihre Brust aufstieg, blickte sie durch die geöffneten Vorhänge Richtung Dublin. Selbst aus dieser Entfernung, dreißig Kilometer von der Stadt entfernt, konnte sie Khrthauks Kopf nicht sehen. Aber sie nahm die Tentakel im Mondlicht wahr, die von seinem Kiefer herabhingen. Sein Anblick half ihr, sich zu entspannen, und sie lächelte, von Liebe erfüllt.

Sie verfolgte, wie die Lichter eines fernen Flugzeugs hinter seiner immensen Masse verschwanden, und fragte sich, ob die Passagiere darin irgendwie spüren konnten, dass sie durch einen körperlosen Gott flogen. Stellten sich ihnen die Nackenhaare auf? Hatten sie auf einmal das Gefühl, beobachtet zu werden? Wurde ihnen plötzlich schlecht, wurden sie paranoid, bekamen sie Migräne oder dachten sie an Gewalt und Chaos? Kam es vielleicht gerade in diesem Moment zu Streitigkeiten in dem Flugzeug dort oben? Flammten alte Konflikte wieder auf?

Die Gesichtslosen hatten bekanntermaßen eine verstörende Wirkung auf Sterbliche – und das war sehr, sehr bedauerlich. Aber sobald die Wahrheit ans Licht kam, würde die Erde ein besserer Ort sein. Walküre glaubte mit jeder Faser ihres Körpers daran.

Als der Morgen anbrach, fuhr sie über die M50 an Dublin vorbei, überholte ein paar Traktoren auf ruhigen Landstraßen und folgte einem halben Dutzend Schildern, die ihr empfahlen, umzukehren und eine andere Strecke zu nehmen. Der alte Mann in der baufälligen Bretterbude nickte ihr zu, als sie den Schlaglöchern in der unbefestigten Straße auswich, die nirgendwohin zu führen schien. Dann durchquerte sie die Tarnblase, und vor ihr erschien Roarhaven wie eine Blume, die ihre Blütenblätter öffnet. Die Sensenträger am Shudder-Tor beobachteten sie, so wie sie jeden beobachteten. Aber Walküre fuhr weiter, durch die Altstadt, hinein in die Ringzone und über die Rampe ins Parkhaus unter dem Obersten Sanktuarium.

Ihr Handy piepte, als sie den Helm an den Lenker des Motorrads hängte. Sie las die Nachricht, aktivierte den Nekronautenanzug, der beim Fliegen ihre Kleidung schützte, und hob ab. Sie zog eine Energiespur hinter sich her, als sie über die Rampe wieder hinausflog und quer durch die Stadt sauste, um Skulduggery am Tatort zu treffen.

Die Wohnung war offen, luftig und sehr hell. Ein Sessel war auf die Seite gekippt, und auf dem Boden lagen Teile zerbrochener Skulpturen. Außerdem war ein gerahmtes Gemälde – ein Sommerabend an den Docks – heruntergefallen. Es lehnte schräg an der Wand, wie ein alter Mann, der eine Verschnaufpause brauchte.

»Hier ist MrAccrue gestorben?«, fragte Walküre.

Die Frau nickte. Sie war groß, hatte einen prächtigen Knochenbau und trug rote Schuhe. »Genau da, wo Sie jetzt stehen«, sagte sie.

»Wo ich jetzt stehe? Buchstäblich, wo ich stehe?«

»Buchstäblich.«

Walküre streckte ihre Gedanken aus, konnte aber keine Hinweise auf ein Trauma um sie herum aufspüren. Genau genommen, fehlte jeglicher Hinweis auf irgendein Trauma … oder auf irgendetwas anderes – als sei der Raum vor ihrem Eintreffen gründlich gereinigt worden.

»Erzählen Sie mir von ihm«, bat Walküre.

Die Frau atmete tief ein und mit einem Schulterzucken wieder aus. »Er war ein netter Mann, glaube ich. Hat pünktlich seine Miete gezahlt und keine Probleme gemacht. Die anderen Mieter kein einziges Mal belästigt. Wollen Sie nichts über das Ding wissen, das ihn getötet hat?«

»Über das Ding wissen wir Bescheid«, sagte Skulduggery, der aus dem Zimmer hinter ihr auftauchte. Er hielt ein dickes Buch mit Ledereinband in der Hand, das er im Vorbeigehen auf einen Beistelltisch legte. »Ungefähr ein Meter achtzig groß, allem Anschein nach männlich, pechschwarze und steinharte Haut.«

»Obsidian«, sagte die Frau. »Sie nennen ihn Obsidian. Sie beten ihn an.«

Walküre runzelte die Stirn. »Wer betet ihn an?«

»Die Fanatiker. Ich habe gesehen, wie sie nachts in Gruppen herumlaufen und den Leuten erzählen, das Ende sei nah und all so ein Quatsch. Ich meine, die Leute sagen schon seit Jahrhunderten, das Ende sei nah, also gebe ich nicht viel darauf, aber trotzdem …«

»Als Sie das Opfer schreien hörten, was haben Sie da getan?«, fragte Walküre.

»Ich hab meine Schlüssel genommen, bin die Treppe hinaufgerannt und hab die Tür aufgeschlossen.«

»Sie sind auf die Geräusche der Gefahr zugelaufen?«

»Ich … ja, vermutlich schon.«

»Das war sehr mutig«, fand Walküre.

Die Frau zuckte mit den Schultern.

»Und als Sie in die Wohnung kamen«, fragte Skulduggery, »was haben Sie da gesehen?«

»Ich habe gesehen, wie MrAccrue vor ihm zurückwich. Vor Obsidian. MrAccrue stieß Sachen um, bewarf ihn …«

»Und was hat Obsidian getan?«

»Er ging einfach auf ihn zu. Eines der Kunstwerke hier, die Skulptur, traf Obsidian mitten ins Gesicht, aber er hat nicht mal mit der Wimper gezuckt. Dann streckte er die Hand aus, berührte MrAccrues Brust nur mit der Fingerspitze, worauf der … Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich habe schon vorher Leute verschwinden sehen – mein Mann, Friede seiner Asche, war Teleporter –, aber das hier war irgendwie anders. MrAccrue …« Sie runzelte die Stirn und suchte nach den richtigen Worten. »Der Raum hat ihn verschluckt.«

»Die Bücher in seinem Schlafzimmer«, setzte Skulduggery an und gab der Frau keine Zeit, in den betäubenden Schockzustand zu verfallen, der ihr offensichtlich drohte, »deuten darauf hin, dass MrAccrue die Gesichtslosen angebetet hat.«

Die Frau nickte. »Ja, das stimmt.«

»Würden Sie sagen, dass er fromm war?«

»Oh ja, unbedingt. Er war ein guter Mann.« Sie schenkte Walküre ein nervöses Lächeln. »Ein freundlicher, gutherziger und frommer Mann.«

Walküre erwiderte das Lächeln. »Das freut mich. Dann hat er zumindest im Moment seines Todes Trost in seinem Glauben gefunden.«

»Hat er gebetet?«, fragte Skulduggery und lenkte die Aufmerksamkeit der Frau wieder auf sich.

»Gebetet? Ja. Natürlich.«

»Hat er viel gebetet? Laut?«

»Nicht … laut«, erwiderte die Frau. »Er hat nicht gesungen oder so was. Keine Hymnen angestimmt. Aber er hat gebetet. Ich weiß, dass er gebetet hat.«

»Woher wissen Sie das?«

Sie zögerte. »Ich … ich bin mir nicht sicher. Er schien der Typ dafür zu sein.«

Skulduggery sah sie an, den Kopf auf die Seite gelegt. Dann nickte er. »Ich stimme Ihnen zu. Er schien der Typ dafür zu sein. Aber Sie sagten, dass er nicht laut gebetet hat. Das ist interessant. Was ist mit Ihnen? Beten Sie?«

»Ja«, antwortete die Frau sofort.

»Sind Sie fromm?«

»Ja.«

»Sind Sie immer fromm gewesen?«

Sie wurde blass, hielt den Blick auf Skulduggery gerichtet und schaute nicht mal für eine Sekunde in Walküres Richtung. »In den letzten Jahren bin ich frommer geworden.«

»Und davor?«, fragte Skulduggery. Er nahm seinen Hut ab, legte ihn auf die Rückenlehne des Sessels und betrachtete sich im Spiegel über dem Kamin.

»Da war ich auf meine Art gläubig.«

Skulduggery wischte eingebildeten Staub von seinem Schädel. »Also waren Sie kein Mitglied der Kirche der Gesichtslosen?«

»Nein, ich war kein offizielles Mitglied.«

»Waren Sie Mitglied der Legion des Verdikts?«

»Du meine Güte, nein. Schreckliche Leute.«

»Obwohl sie die meisten Ihrer Überzeugungen teilen, nicht wahr?«, drängte Skulduggery.

»Unserer Überzeugungen«, korrigierte Walküre.

»Die Legion des Verdikts teilt die meisten unserer Überzeugungen«, sagte Skulduggery. »Ihre Mitglieder glauben, dass die Gesichtslosen die wahren Götter der Menschheit sind, die Zeugnis ablegen für das Feuer der Schöpfung, wie es im Buch der Tränen berichtet wird.«

Die Frau nickte rasch.

»Aber die Legion des Verdikts folgte Mevolents Lehren«, fuhr Skulduggery fort, »während die Kirche der Gesichtslosen von Damocles Creed geführt wird.«

»Oberster Magier«, ergänzte Walküre. »Erzbischof Damocles Creed.«

»Unser Chef«, sagte Skulduggery in seltsam sanftem Ton. »Und das ist die Kirche, der Sie angehören, richtig?«

»Ja«, antwortete die Frau.

»Aber erst seit Kurzem.«

Die Frau schluckte. »Ja.«

Walküre lächelte. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«

Die Frau warf ihr einen kurzen Blick zu, und Walküre erkannte echte Angst in ihren Augen.

Sofort lief Walküre zu ihr und umfasste ihre Hände. »Oh nein. Nein! Ich will Sie nicht erschrecken! Sie haben von mir wirklich nichts zu befürchten. Als Kind der Gesichtslosen bin ich nur die Verbindung, über die sie in unsere Welt gelangen. Eigentlich ist es eine wunderbare Sache, auch wenn ich total verstehe, warum das Ganze einschüchternd sein kann. Aber die Gesichtslosen sind nicht hier, um Sie zu bestrafen, und ich bin nicht hier, um Ihnen wehzutun. Die Gesichtslosen sind … Liebe. Sie sind Liebe und Vergebung und Akzeptanz. Sie sind hier, um uns aus dem Elend zu führen. Deshalb wurde ich auserwählt. Ich bin das Kind der Gesichtslosen, aber auch ihre Mutter, und ich könnte niemals jemanden verletzen, der sie genauso liebt wie ich.«

»Walküre«, sagte Skulduggery.

Sie sah ihn lächelnd an. »Ja?«

Er deutete mit dem Kinn auf ihre Hände, und sie schaute hinab und stellte fest, dass sie die Handgelenke der Frau ergriffen und zusammengequetscht hatte. Sofort gab sie sie frei, woraufhin die Frau aufkeuchte und zurücktaumelte. Tränen liefen ihr übers Gesicht.

»Es tut mir leid«, versicherte Walküre entsetzt. »Wirklich leid. Alles in Ordnung? Es tut mir so unendlich leid. Aber ich kann das wieder richten. Ganz bestimmt. Ich muss nur in der Nähe eines Heilers sein, und dann kann ich …«

»Ich kümmere mich darum«, sagte Skulduggery und trat einen Schritt vor. »Reveries Praxis ist ganz in der Nähe.«

»Ich kann sie schneller hinbringen.«

»Aber mit mir ist die Reise weniger nervenaufreibend.« Er führte die weinende Frau zum Fenster. »Bleib bitte hier, Walküre. Sieh dich um. Ich bin in einer Minute wieder da.«

Skulduggery öffnete das Fenster, hob vom Boden ab und nahm die Frau mit sich. Gemeinsam schwebten sie nach draußen, stiegen auf und waren im nächsten Moment nicht mehr zu sehen.

Walküre betrachtete ihre Hände. Sie war sich der Kraft, die sie ausgeübt hatte, gar nicht bewusst gewesen.

Sie runzelte die Stirn. Oder vielleicht doch? Da war ein Geräusch gewesen, ein Knacken und sogar ein scharfes Einatmen, als die Frau die Luft holte, die sie zum Schreien brauchte. Doch dann hatte sie sich zurückgehalten, weil sie lieber schweigend litt, als das Risiko einzugehen, jemanden gegen sich aufzubringen, vor dem sie eindeutig panische Angst hatte. An all das konnte sich Walküre klar erinnern, und doch hatte sie es in dem Moment fröhlich ignoriert. Das war seltsam. Es war seltsam und beunruhigend.

Sie hatte sich verändert. Das wusste sie. Seit sie die Aktivierungswelle abgefangen hatte, bevor diese ihre Schwester erfassen konnte … seit sie an Alisons Stelle zum Kind der Gesichtslosen geworden war … seitdem war die alte Walküre verschwunden. Die Walküre, die zweifelte, sich Sorgen machte und Angst hatte, die Walküre, die sich wie besessen mit ihren eigenen Fehlern und Schwächen beschäftigte, die zugelassen hatte, dass das Bedauern über vergangene Taten ihr ganzes Wesen durchdrang – diese Person war vom Licht und der Liebe der Dunklen Götter weggefegt worden. Ihr altes Selbst, die Person von einst, war nur ein Bruchteil ihres jetzigen Ichs. Eine Facette. Walküre Unruh, Ermittlerin und Schlichterin, war die Spitze des Eisbergs gewesen, die über die Meeresoberfläche hinausragte. Walküre Unruh, Kind und Mutter der Gesichtslosen, war das Ganze, der Berg aus Eis, der schwer und massiv unter dem kalten Wasser lag.

Aber Walküre war noch immer Walküre. Sie liebte und sorgte sich noch immer und wollte helfen. Sie wollte niemandem wehtun – zumindest niemandem, der es nicht verdient hatte. Und die Frau hatte es nicht verdient. Sie hatte es nicht verdient, dass man ihr die Handgelenke brach.

Aber wahrscheinlich hatte sie das ohnehin nicht getan.

Es gab Tausende von Zauberern, Zehntausende weltweit, die erst vor Kurzem konvertiert waren – und auch erst in dem Moment, als Damocles Creed die Anbetung der Gesichtslosen zur Pflicht und Voraussetzung dafür gemacht hatte, Bürger von Roarhaven zu bleiben. Walküre hätte das Ganze nicht auf diese Weise gehandhabt; sie war der Ansicht, jeder Zauberer und schließlich auch die Sterblichen sollten ihren eigenen Weg zur Wahrheit und zum Licht finden. Aber sie hatte ja auch nicht das Sagen. Sie war das Kind und die Mutter und hatte kein Interesse, eine Welt zu führen. Sollte Creed diese Bürde tragen.

Die Luft raschelte, und Skulduggery glitt wieder durch das Fenster herein.

»Wie geht es ihr?«, fragte Walküre. »Ist mit ihr alles in Ordnung? Sie weiß doch, dass ich das nicht wollte, oder?«

Skulduggery ging an ihr vorbei. »Kümmert es dich denn?«

»Was? Natürlich kümmert es mich.«

»Sie ist keine Gläubige.«

»Sie betet. Sie geht zum Gottesdienst.«

»Nicht freiwillig. Nicht, weil sie das möchte.«

Walküre zögerte. »Bist du dir sicher?«

Skulduggery nahm seinen Hut von der Lehne. »Mason Accrue war ein Gläubiger. Genau wie die fünf anderen, die Obsidian – in Ermangelung eines besseren Ausdrucks – getötet hat, hat auch Accrue die Gesichtslosen angebetet. Er war niemand Besonderes.«

»Für die Gesichtslosen ist jeder besonders«, erinnerte ihn Walküre.

»Natürlich«, sagte Skulduggery nach fast unmerklichem Zögern. »Ich meine, er hatte kein großes Amt oder einen Titel inne. Er war ein Gläubiger, aber kein Priester der Dunklen Kathedrale. Nur ein gewöhnlicher Zauberer, der zufällig die Gesichtslosen geliebt und angebetet hat – und deshalb hat Obsidian ihn getötet. Da diese Angriffe so willkürlich sind, halte ich es für wahrscheinlich, dass Obsidian buchstäblich in der Nähe war, als er Accrues Gebete aufschnappte.«

»Aber Accrue hat nicht laut gebetet.«

Skulduggery setzte seinen Hut auf und schob ihn über seine linke Augenhöhle. »Was darauf hindeuten würde, dass Obsidian hoch entwickelte mediale Fähigkeiten besitzt. Er hat die Gedanken eines Gläubigen gespürt und ist hier eingebrochen, um ihn aus der Realität zu löschen.«

»Und deshalb glaubst du, dass die Vermieterin gelogen hat, als sie sagte, sie sei eine fromme Gläubige«, meinte Walküre. »Obsidian hat sie in Ruhe gelassen, weil er ihre Gedanken lesen konnte und wusste, dass sie nur so tat.«

»Genau.«

Walküre seufzte. »Wenigstens brauche ich mich jetzt nicht mehr schlecht zu fühlen, weil ich ihre Handgelenke verletzt habe.«

»Wieso?«

»Sie ist eine Lügnerin.«

»Und deshalb ist es für dich in Ordnung, ihr die Knochen zu brechen?«

»Natürlich nicht. Es ist nur …«

»Es ist nur was?«

»Oh nein. Kommt nicht infrage. Wir werden deswegen nicht streiten.«

»Was glaubst du, was ich als Argument vorbringen werde?«

»Ich weiß es nicht, Skulduggery – vermutlich, dass mir nur die Leute wichtig sind, die gläubig sind. Dabei wissen wir doch beide, dass das nicht stimmt. Mir sind alle wichtig. Alle Zauberer und alle Sterblichen. Ich bin das Kind und die Mutter der Gesichtslosen … Ich muss alle lieben.«

»Aber die Zauberer, die zu deinen Kindern beten, liebst du mehr, richtig?«

»Willst du absichtlich einen Streit provozieren?«

»Wir streiten nicht.«

»Für mich hört es sich so an.«

»Wenn wir streiten würden, dann stünden wir auf entgegengesetzten Seiten«, erwiderte Skulduggery. »Aber das ist nicht der Fall. Ich stehe an deiner Seite, so wie ich es immer getan habe. Du bist zum Kind der Gesichtslosen geworden, und ich hätte gehen können, aber das habe ich nicht getan.«

»Du bist nur geblieben, weil du mich liebst.«

»Ja.«

»Nicht, weil du die Gesichtslosen liebst.«

»Bist du dir da so sicher? Kannst du in meine Gedanken eindringen und meine Wahrheit sehen?«

Walküre lächelte. »Das würde ich, wenn ich könnte.«

»Aber du kannst es nicht. Du wirst mir also einfach glauben müssen, dass ich mich mit dem potenziellen Gedanken angefreundet habe, dass die Gesichtslosen Unschuldigen nicht zwangsläufig Tod und Zerstörung bringen werden.«

Sie musterte ihn und lachte. »Creed würde es lieben, deine Knochen in Staub zu verwandeln.«

»Ja, das würde er«, pflichtete Skulduggery ihr bei und hob vom Boden ab. »Aber solange ich dich an meiner Seite habe, wird er mich nicht anfassen, oder?«

»Nein. Aber er wird die anderen verfolgen. Das ist dir doch klar? China und Tanith und Temper und alle, die zum Widerstand gehören. Irgendwann wird er sie aufspüren und eine öffentliche Hinrichtung nach der anderen veranlassen.«

»Ich weiß genau, was er tun wird, wenn er sie erwischt.«

»Und das ist für dich in Ordnung? Du stehst dann einfach daneben und lässt es zu?«

»Das ist doch nicht die Frage, oder?«, erwiderte Skulduggery und schwebte durch das offene Fenster hinaus. »Die Frage ist: Wirst du das zulassen?«

DIE DUNKLE KATHEDRALE erinnerte an den Palast eines bösen Zauberers in einem alten Disney-Film – jene Sorte von Bauwerk, die eigentlich am Rand steil abfallender Klippen thronen sollte, während verästelte Blitze aus den Wolken herabzucken und das schwarze Mauerwerk erleuchten. Stattdessen stand die Kathedrale im strahlenden Sonnenschein am östlichen Rand der Ringzone mitten in Roarhaven und wirkte wie das schmollende, stachelige Gegenstück zu dem größeren und ansehnlicheren Gebäude des Obersten Sanktuariums.

Doch wie immer trog der Schein. Die kalte Düsternis der Kathedrale sickerte seit Monaten in das Oberste Sanktuarium ein und korrumpierte es von innen heraus. Die Sanktuariumsagenten und Funktionäre, die keine tiefe, unerschütterliche Liebe zu den Gesichtslosen empfanden, kündigten einer nach dem anderen. Damit überließen sie die Kontrolle über jede maßgebliche Institution entweder der Kirche der Gesichtslosen oder der Stadtwache – was so ziemlich auf das Gleiche hinauslief.

Es war Dienstagvormittag, und eine lange Schlange von Leuten wartete darauf, in der Kathedrale den Gottesdienst zu besuchen. Als Walküre an ihnen vorbeiging, starrten sie sie an. Walküre war daran gewöhnt. Die Leute in Roarhaven hatten sie schon immer angestarrt. Ob wegen Darquise und dem Tag der Verwüstung oder wegen Walküres neuem Status als Mutter ihrer Götter – eigentlich spielte es keine Rolle, denn der Effekt war derselbe: weit aufgerissene Augen, entsetztes Geflüster und sogar vereinzelte Tränenausbrüche.

Walküre hatte das Ganze so satt, dass sie den Leuten nicht mal mehr ein Lächeln schenkte. Rasch betrat sie die Kathedrale und ging zum Empfang. »Ist er da?«, fragte sie.

Inzwischen war sie seit drei Monaten das Kind und die Mutter. Doch das Personal in der Kathedrale – die wahren Gläubigen, die es eigentlich hätten besser wissen müssen – neigte noch immer dazu, auf die Knie zu fallen, wenn sie sich näherte. Die Reaktion der Öffentlichkeit war schlimm genug; das hier war einfach nur noch lächerlich.

»Der Erzbischof ist in seinem Büro«, quiekte jemand vom Boden hoch.

»Danke«, sagte Walküre und flog aufwärts, wobei sie eine Spur aus knisternder weißer Energie zurückließ, während sie an einem Geschoss nach dem anderen vorbeizischte. Oben angekommen, ließ sie sich auf den Steg hinunterfallen.

Die Wachen öffneten ihr die Türen, und sie betrat den Raum.

Creeds Büro war früher eine Huldigung an den Minimalismus gewesen. Vor den deckenhohen Fenstern hatten keine Vorhänge gehangen, die Wände hatten nichts als schwere, verrostete Ketten geziert. Und der Schreibtisch samt dem Stuhl mit der geraden Rückenlehne dahinter waren die einzigen Möbelstücke im Raum gewesen.

Jetzt wurde das Büro jedoch von einem großen Tisch beherrscht, der mit Maschinenteilen, Drähten, Spulen und Gehäusen übersät war. Kabel überzogen den gesamten Boden. Sie lagen wie tote Schlangen übereinander und waren mit verschiedenen Lampen, Werkzeugen und Computern verbunden, die surrten, piepten und summten. Walküre war durchaus in der Lage, einen Automotor auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen und selbstständig ein Motorrad zu bauen. Sie wusste, wie man die Leitungen in einem Haus neu verlegte und wie man Bomben entschärfte – mit Ausnahme der kompliziertesten Exemplare. Aber sie hatte keine Ahnung, worum es sich bei dem Großteil dieses Schrotts handelte, und es interessierte sie auch nicht im Geringsten. Sie wusste lediglich, dass Creed davon besessen war, etwas zu bauen, das er als »Nexus-Helm« bezeichnete – eine Vorrichtung, um persönlich mit den Dunklen Göttern kommunizieren zu können.

Zuerst hatte Walküre angenommen, Creed wäre nur eifersüchtig. Ja, die Gesichtslosen waren in den letzten Monaten in Träumen zu Leuten vorgedrungen. Auf diese Weise hatten sie Dutzende in den Wahnsinn getrieben und weitere Dutzende dazu angestachelt, willkürlich andere Bürger in ihren Stadtvierteln wegen diverser blasphemischer Handlungen zu verfolgen und zu ermorden. Doch die einzige Person, mit der sie direkt reden und die ihnen antworten konnte, war Walküre. Und sie hatte angenommen, dass dieser Umstand für den Erzbischof der Kirche der Gesichtslosen unannehmbar war. Creed schien panische Angst davor zu haben, etwas zu verpassen.

Irgendwann in der letzten Woche hatte Walküre ihre Meinung jedoch geändert. Jetzt glaubte sie nicht mehr, dass Creed nur von Eifersucht angetrieben wurde, sondern dass etwas Tiefergehendes dahintersteckte. Sie war das Kind und die Mutter, der Lieblingsmensch der Gesichtslosen. Und sie wurde das Gefühl nicht los, dass Damocles Creed ihr nicht vollständig vertraute.

Dieser Gedanke amüsierte Walküre ungemein.

»Wie läuft’s?«, fragte sie, mehr aus Höflichkeit als aus echtem Interesse.

Creed legte Schutzbrille und Lötlampe beiseite. Auf seinem kahlen Kopf glänzte Schweiß, und auch sein Baumwollhemd war durchgeschwitzt. Der Gestank von verbranntem Metall hing in der Luft. »Es geht voran«, sagte er und wischte sich mit einem Handtuch das Gesicht ab.

Ein Sensitiver namens Robert Skur – von seinen Freunden Bob genannt – half Creed bei seinen Arbeiten und starrte Walküre jetzt an wie ein liebeskranker Idiot.

Der Nexus-Helm – eine bizarre Apparatur mit Türmen aus Kupfer und Messing – lag auf der Seite, und Walküre konnte sämtliche Drähte und Schaltkreise im Inneren sehen. Das Ganze wirkte kompliziert und unbequem, aber das wollte sie Creed nicht sagen. Sie wollte nicht unhöflich sein.

»Sieht beschissen aus«, sagte sie stattdessen.

»Danke, MrSkur«, sagte Creed, während er ihre Sticheleien wie üblich meisterhaft ignorierte. »Das ist vorläufig alles.« Damocles Creed hatte keinen Sinn für Humor. Im Gegensatz zu Skulduggery.

Skur nickte schnell, schenkte Walküre ein Lächeln, wurde rot und verließ eilig den Raum. Was für ein merkwürdiger kleiner Mann.

»Obsidian hat wieder jemanden getötet«, verkündete sie, hob irgendein Metallteil hoch und betrachtete es. »Oder ihn aus der Realität gelöscht, wenn man es so sagen will.«

»Wer war es dieses Mal?«

»Irgendein Typ.«

Creed zog sein Hemd aus, knüllte es zusammen und trocknete sich damit unter den Armen ab. »Deine täglichen Berichte zeichnen sich von Monat zu Monat durch weniger Details aus.«

Sie seufzte. »Irgendein Typ namens Mason Accrue. Er ist ein Mitglied der Kirche.«

»Noch einer.«

»Es sieht so aus, als würde Obsidian Gläubige ins Visier nehmen«, antwortete Walküre. »Du wirst das gleich wieder anziehen, oder? Dein Hemd?«

Creed ignorierte sie und fragte stattdessen: »Wie wählt er seine Opfer aus?«

»Wir sind noch nicht hundertprozentig sicher, aber Skulduggery glaubt, dass Obsidian über mediale Fähigkeiten verfügen könnte. Er geht irgendwo vorbei, hört besonders laute Gedanken und schaut kurz rein, um jemandes Existenz auszulöschen.«

»Vorausgesetzt, diese Gedanken offenbaren eine positive Einstellung gegenüber den Gesichtslosen.«

»Sieht ganz danach aus. Möglicherweise haben wir es mit einem voreingenommenen Serienmörder zu tun. Als ob Serienmörder allein nicht schon schlimm genug wäre, oder?«

»Und Detektiv Pleasant hat es wieder einmal vorgezogen, nicht gemeinsam mit dir Bericht zu erstatten? Ich bin beunruhigt.«

»Tatsächlich?«

»Ich glaube, er könnte ein Revolutionär sein.«

Walküre lachte. »Natürlich ist er ein Revolutionär. Wir reden hier schließlich von Skulduggery Pleasant.«

»Revolutionäre müssen getötet werden. So steht es im Gesetz.«

»Diese Gesetze gelten nicht für Skulduggery.«

»Deine Zuneigung zu Skulduggery ist bewundernswert – wie die Zuneigung zu einem störrischen Hund. Aber bist du dir absolut sicher, dass er die Mühe wert ist?«

»Du wirst ihn nicht töten.«

»Weil du glaubst, dass es zwischen euch eine Bindung gibt, stimmt’s? Weil du glaubst, dass diese Bindung wegen allem, was ihr im Laufe eurer Freundschaft zusammen durchgemacht habt, unzerstörbar ist. Walküre, du bist jung. Du kannst mir ruhig glauben, wenn ich dir sage, dass nichts unzerstörbar ist. Früher einmal, vor vielen Jahren, hätte Skulduggery vielleicht alles für dich geopfert. Aber glaubst du wirklich, dass das jetzt noch so ist?«

»Er würde mir nichts zuleide tun.«

»Ich glaube, das würde er – weil die Walküre Unruh, die er kennt, es ihm niemals verzeihen würde, wenn er sie zugunsten von anderen schont.«

»Ich bin die Walküre Unruh, die er kennt.«

»Nein, das bist du nicht.«

Walküre ging zum Fenster und blickte hinauf zu Cyarrnaroh, einem Zweifüßer, der über der Stadt aufragte. Wenn sie den Hals verrenkte, konnte sie bis zu seinem Knie hinaufschauen. Sein Fuß – der, den man sehen konnte – besaß Krallen statt Zehen. Sie kannte jeden einzelnen Namen der Gesichtslosen … oder zumindest eine Kurzversion, die sich aussprechen ließ. Cyarrnarohs vollständiger Name bestand aus über achthundert Buchstaben. Und Dhahun’garuns Name umfasste ein halbes Alphabet, das niemand, der Ohren besaß, je gehört hatte.

»Du wirst ihn nicht töten«, wiederholte sie.

»Vielleicht bin ich ja dazu gezwungen«, sagte Creed.

»Dann töte ich dich.«

»Du glaubst nicht daran, Leute zu töten.«

Walküre sah ihn an. »Mach mich nur wütend genug, Damocles, und du wirst sehen, woran ich glaube.«

Er erwiderte ihren Blick und nickte dann. »Natürlich. Was auch immer das Kind und die Mutter der Gesichtslosen will.«

»Wie schön, dass wir uns einig sind. Also dann … Angesichts der Tatsache, dass Obsidian ein Faible dafür zu haben scheint, die Mitglieder deiner Gemeinde zu töten, wäre es vielleicht eine gute Idee, mit den Gottesdiensten und dem ganzen Kram eine Pause einzulegen. Du könntest den Leuten sagen, dass sie sich mit anderen Dingen beschäftigen sollen, bis wir einen Weg gefunden haben, sie vor der Auslöschung zu bewahren.«

»Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird. Die Gläubigen sind bereit, für ihren Glauben zu sterben.«

»Ich komme nicht umhin zu bemerken, dass du sie nicht nach ihrer Meinung gefragt hast.«

»Weil ich das nicht brauche.«

»Du bringst ganz Roarhaven in Gefahr.«

»Die Gefahren des Fleisches verblassen im Vergleich zu den Gefahren der Seele, Walküre. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass du und dein kleines Lieblingsskelett Obsidian aufhalten werdet, bevor es zu weiteren Toten kommt. Denn wenn ihr das nicht könnt, wer dann?«

»ES IST NICHT EINFACH,