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Fälschlicherweise des Mordes am König beschuldigt, bleibt den Überlebenden der Söldnereinheit Skull nur die Flucht in die unbewohnten Weiten des Weltraums. Sie werden nun nicht allein vom Zirkel und dessen militärischem Arm gejagt, sondern auch von der Colonial Royal Navy, die den Tod ihres Monarchen unter allen Umständen rächen will. Die Hinweise verdichten sich, dass der Zirkel inzwischen die Kontrolle über die Regierung des Vereinigten Kolonialen Königreichs erlangt hat. Admiral Oscar Sorenson ist klar, dass es nur einen Weg gibt, die Sternennation zu retten, der er einst Gefolgschaft und Treue geschworen hat: eine neue Rebellion. Um den Kampf gegen den übermächtigen Gegner aufzunehmen, plant man die Befreiung eines wichtigen Gefangenen. In dessen Kopf befindet sich der Schlüssel zum erfolgreichen Widerstand gegen die Schergen des überlegenen Feindes. Währenddessen kehrt Dexter Blackburn auf seine Heimatwelt Beltaran zurück, um Nachforschungen über den vermeintlichen Selbstmord seines Vaters aufzunehmen und die Wahrheit hinter dessen Tod zu ergründen. Doch dort ist er mehr als nur unwillkommen …
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Seitenzahl: 567
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Prolog Zurück von den Toten
Teil I In ständiger Bedrohung
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Teil II Drei Missionen – ein Ziel
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Teil III Kampf um Beltaran
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Epilog Ein Funken Hoffnung
Weitere Atlantis-Titel
Stefan Burban
Die Würfel fallen
Er war nicht tot.
Diese Erkenntnis bohrte sich schmerzhaft in sein Bewusstsein. Er war selbst überrascht, dass dem so war. Die Dunkelheit, die sein bewusstes Denken umgab, löste sich nur langsam auf und machte brennenden Schmerzen Platz. In dem ersten Augenblick, als er wieder zu sich kam, sehnte er sich beinahe den Tod herbei.
Rodney MacTavish öffnete die Augen. Das Erste, was er wahrnahm, war das Weiß ringsum. Es bohrte sich förmlich über seine Augen in sein Gehirn. Dieses fing auf unangenehme Art und Weise hinter seiner Stirn zu pochen an.
In den Sekunden nach dem Erwachen hatte er mit heftiger Desorientierung zu kämpfen. Sein Atem ging stoßweise und sein Herz schien durch den Hals seinen Körper verlassen zu wollen.
MacTavish war schon mehrmals im Rahmen seines Dienstes verwundet worden, aber niemals derart schlimm. Die Erinnerungen setzten mit brutaler Klarheit ein: das Hotelzimmer; die Explosion; der Sprung aus dem Fenster; der Asphalt, der rasend schnell näher kam; plötzlich aufflammender Schmerz, der zwar nur Sekunden anhielt, aber deshalb nichts von seiner Intensität einbüßte – und schließlich alles umfassende Dunkelheit.
MacTavish versuchte, sich aufzurichten, und wurde prompt mit weiteren Schmerzen im Rücken und den Beinen belohnt. Er sackte zurück auf das Laken. Mit einem Mal stand eine Gestalt an seiner Seite. Für einen Moment geriet er in Panik. Bestimmende Hände hielten ihn aber an Ort und Stelle. Er war schwach wie ein kleines Kind und hatte keine andere Wahl, als sich zu fügen.
»Doktor! Unser Sorgenkind ist wach.«
Die Stimme der Frau klang irgendwie beruhigend. MacTavish konzentrierte sich. Seine Ausbildung beim RIS kam ihm zugute. Die Sicht klärte sich und er erkannte endlich eine Krankenschwester, die an seiner Seite stand und ihn mühelos an Ort und Stelle hielt, und das, obwohl sie von eher schmächtiger Figur war. Entweder war sie stärker, als sie aussah, oder er in weit schlechterem Zustand, als er vermutet hatte.
Jemand betrat das Zimmer und stellte sich auf die andere Seite des Bettes. MacTavish wandte den Blick in dessen Richtung. Dort stand ein älterer Arzt, der MacTavishs Krankenblatt auf einem elektronischen Klemmbrett studierte. Der Mann nahm das Klemmbrett herunter und musterte seinen Patienten kritisch über den Rand seiner Brille hinweg.
»Da hat sich wohl jemand entschieden, wieder unter die Lebenden zurückzukehren. Wir hatten schon so unsere Zweifel, dass Sie es schaffen.« Der Arzt setzte ein Lächeln auf, das fast ehrlich wirkte. MacTavishs kundiger Blick entlarvte es allerdings sofort als das, was es wirklich war: die professionelle Geste eines Mediziners, der genau dieses Lächeln in genau dieser Form jeden Tag hundertmal aufsetzte, um Patienten zu beruhigen.
»Mein Name ist Doktor Bedford. Wie fühlen Sie sich?«
MacTavish versuchte, etwas zu sagen. Es kam aber lediglich ein unverständliches Krächzen heraus. Seine Kehle fühlte sich ausgedörrt an und brannte. Die Krankenschwester nahm sofort einen Becher zur Hand, füllte eine klare Flüssigkeit hinein und schob ihm sanft einen Strohhalm zwischen die Lippen.
Man hatte es ihn während der Ausbildung anders gelehrt, aber MacTavish begann gierig am Strohhalm zu saugen. Es handelte sich nicht um Wasser, was seine Kehle daraufhin herabrann. Vermutlich war es irgendeine elektrolytische Flüssigkeit, die seinen Körper ein wenig aufpäppeln sollte. Und tatsächlich fühlte er sich schon bedeutend besser. Er nickte dankbar und die Schwester nahm den Becher beiseite.
»Wo … wo bin ich?«, wollte er wissen.
»Im Zentralkrankenhaus von Pollux«, erwiderte der Arzt. »An was erinnern Sie sich?«
Augenblicklich erwachten MacTavishs geheimdienstliche Instinkte. Es schien nicht ratsam, irgendetwas von Wert preiszugeben. Es war besser, erst einmal den Dummen zu spielen.
»Nicht an viel«, antwortete er und machte absichtlich den Eindruck, sich an Einzelheiten erinnern zu wollen. »Ich hatte wohl einen Unfall.«
Der Arzt schnaubte. »So kann man es auch nennen.« Er musterte MacTavish mit seltsamer Mimik. »Wissen Sie noch Ihren Namen? Wie heißen Sie?«
Er runzelte die Stirn. »Mein Name?«
Der Arzt nickte. »Wir führen Sie seit diesem Vorfall unter John Doe. Sie hatten keine Papiere bei sich. Seltsamerweise ergaben auch weder DNA noch Ihre Fingerabdrücke etwas. Die Polizei hat deshalb verständlicherweise Fragen an Sie.«
Hinter MacTavishs Stirn begann es aufgeregt zu rattern. Das war überaus seltsam. Jeder Bürger des Königreichs gab bereits kurz nach der Geburt eine DNA-Probe und seine Fingerabdrücke ins Staatsarchiv. Damit konnte jeder überall und jederzeit identifiziert werden. Wenn seine Daten nicht mehr abrufbar waren, dann hatte jemand das Archiv manipuliert. Dazu waren eigentlich nur staatliche Stellen fähig. Auf Anhieb fiel ihm in diesem Zusammenhang der RIS ein. Und zumindest Teile des Geheimdienstes waren in die Ermordung des Königs verstrickt.
MacTavish schluckte. Wenn das Krankenhaus versucht hatte, ihn zu identifizieren, dann wusste der RIS inzwischen, dass er den Anschlag überlebt hatte. Sie wollten mit Sicherheit immer noch seinen Tod. Die Frage war nun, warum sie es noch nicht über die Bühne gebracht hatten. Er hatte im Koma gelegen. Eine bessere Gelegenheit konnte ein Attentäter kaum bekommen.
MacTavish erhielt die Antwort, als der Arzt zur Tür deutete. Dort standen mehrere Polizeibeamte auf Wache. Sie waren wohl eher dafür zuständig, ihn am Gehen zu hindern, und nicht etwa, um Attentäter, von denen sie nichts wussten, daran zu hindern, ihm den Garaus zu machen. Aber die Anwesenheit dieser Beamten hatte ihm dennoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet. Vorläufig. Man war einfach nicht an ihn herangekommen. Demnach war die hiesige Polizei noch nicht kompromittiert worden. Das war wenigstens etwas.
»Wann wird die Polizei mit mir reden wollen?«
»Heute noch nicht«, versicherte der Arzt. »Aber bestimmt bald. Es gibt viele Fragen zu klären. Immerhin waren Sie in eine schwere Bombenexplosion verwickelt. Es gibt Zeugen, die sahen Sie aus dem Fenster springen, nur Sekunden bevor der Sprengsatz hochging. Das wirft Fragen auf.«
»Ich … ich kann mich an nichts erinnern.«
Der Arzt rümpfte die Nase. »Das überrascht mich nicht. Sie haben einen ziemlichen Dickschädel, Mister Doe. Geringere Männer wären bei einem solchen Stunt draufgegangen.«
»Und wie ist mein Zustand?«
Erneut konsultierte der Arzt das elektronische Klemmbrett. »Oh, wir haben Sie ganz anständig wieder zusammengeflickt. Die inneren Verletzungen sind gut versorgt worden. Von denen geht keine Gefahr mehr aus. Dann ein paar Quetschungen, zwei gebrochene Rippen und ein verstauchter Nackenwirbel. Die Gehirnerschütterung macht mir noch etwas Sorgen, aber mit ein wenig Ruhe werden Sie wieder ganz der Alte sein.«
Der Arzt hängte das Klemmbrett zurück an seinen Platz am Fußende des Bettes. »Ruhen Sie sich jetzt etwas aus. Falls Sie etwas brauchen, ist Schwester Sybille für Sie da.«
Die Krankenschwester reagierte auf die Erwähnung ihres Namens mit einem sanften Nicken. MacTavish lächelte ihr kurz zu. Der Arzt verließ das Zimmer, ohne sich zu verabschieden. Seine Gedanken drehten sich bereits um den nächsten Patienten.
Die Schwester wollte sich ihm anschließen, aber MacTavish hielt sie noch zurück. »Schwester Sybille?«
»Ja?«
»Wo sind meine persönlichen Sachen?«
»Hier im Krankenhaus. Die Polizei hält sie aber unter Verschluss. Wieso? Brauchen Sie etwas?«
Er lächelte nichtssagend. »Nein. Ist schon gut.«
Schwester Sybille nickte und verließ das Krankenzimmer, während MacTavish leicht verzweifelt an die Decke starrte. »So ein verfluchter Mist!«, hauchte er in die aufkeimende Stille hinein.
Zeus stand vor dem großen Panoramafenster seines privaten Domizils. Vor ihm breitete sich die Skyline von Johannesburg aus. Die Stadt hatte die meiste Industrie aus dem Stadtkern in die Außenbezirke verbannt und stattdessen Parks und Grünflächen angelegt. Vor Zeus’ Augen erstreckte sich eine atemberaubende Landschaft, die aus den verschiedensten Grüntönen bestand. Für gewöhnlich beruhigte ihn der Anblick. Nicht aber heute. Die Dinge entwickelten sich ganz und gar nicht nach Plan. Um genau zu sein, entglitt die Situation mehr und mehr seiner Kontrolle. Etwas nie zuvor Dagewesenes in der bewegten Geschichte des Zirkels. Noch nie war einem seiner Vorgänger dieses Maß an Illoyalität entgegengeschlagen.
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Seine schwer bewaffneten Leibwächter spannten sich unwillkürlich an. Zeus hatte sich entschieden, die Sicherheit zu erhöhen. Die für seinen Schutz verantwortlichen Männer und Frauen waren nun mit militärtauglichen Körperpanzern sowie automatischen Waffen ausgerüstet.
Seine Leibwächter entspannten sich wieder, als Angel wie selbstverständlich hereinspazierte. Der Eliteattentäter schlenderte durch die Reihen der für alle Eventualitäten gewappneten Leibwache, als wäre diese nicht vorhanden, und die Männer und Frauen machten diesem bereitwillig Platz.
Angel blieb zwei Schritte hinter ihm abwartend stehen. Zeus konnte die Spiegelung seiner ausdruckslosen Maske im Fensterglas erkennen.
»Du weißt, dass du deine Maske hier abnehmen kannst.«
Angel lachte leise. Der Laut klang durch die Sprachverzerrung seltsam unwirklich. »Und du weißt, dass ich sie zu tragen bevorzuge.«
»Selbst hier?«
»Selbst hier.«
Zeus schmunzelte und ließ Angel gewähren. »Was hast du herausgefunden?«
Jede Heiterkeit schwand schlagartig aus Stimme und Körpersprache des Attentäters. »Janus ist untergetaucht und nicht zu finden.«
Zeus fluchte unterdrückt. »Verdammter Dawson! Was treibt der Kerl nur?« Die Frage stellte sich eigentlich gar nicht. Der Industriemagnat verfügte über beträchtliche Mittel. Und wenn er tatsächlich untergetaucht war – und Zeus hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Angels Ergebnis der Wahrheit entsprach –, dann war das der Anfang vom Aufstand gegen Zeus. Dawson war der Meinung, er könnte eine Auseinandersetzung mit Zeus gewinnen. So viel Selbstvertrauen sah dem alten Idioten gar nicht ähnlich. »Was ist mit Merkur und Apollo?«
»Haben sich auf ihre Heimatwelten begeben und ihre Privatarmeen mobilisiert. Einschließlich beträchtlicher Ressourcen des Konsortiums. Nicht einmal ich kam nahe genug an einen von ihnen heran. Die leben inzwischen wie in einer Festung.«
Zeus grinste unverhohlen. Die beiden waren also mit Dawson im Bunde und nun hatten sie Angst, dass Angel ihnen einen Besuch abstattete. Diese Befürchtung kam nicht von ungefähr. Zeus hatte gute Lust, Angel loszuschicken. Aber der Attentäter war sein bester Agent und darüber hinaus auch noch ein enger Vertrauter. Angel zu verlieren, konnte sich Zeus beim besten Willen nicht leisten.
Der Anführer des Zirkels seufzte tief. »Hast du sonst irgendetwas von Wert herausgefunden? Vielleicht im Hinblick auf Dawsons weitere Pläne?«
Angel schüttelte den Kopf. »Nichts Konkretes. Aber es wäre möglich, dass Dawson seine Aufmerksamkeit auf Beltaran richtet.«
Zeus’ Interesse war augenblicklich geweckt. »Warum ausgerechnet Beltaran?«
»Die politische Lage spitzt sich zu«, erläuterte Angel. »Beltaran hat klar Position bezogen und gegen Verbände des Konsortiums gekämpft, eine Söldnereinheit mit Militärmandat des Königreichs. Außerdem boten sie condorianischen Flüchtlingen Unterschlupf. Im Parlament wird sogar die Möglichkeit einer Strafexpedition diskutiert.«
Zeus wirbelte auf dem Absatz herum. »Eine Strafexpedition? Gegen Beltaran? Das würde Dawson nicht wagen!«
»Er würde«, beharrte Angel. »Und ich glaube, er hat. Es gibt Anzeichen, dass er das Parlament beeinflusst, um eine Mehrheit für einen Militäreinsatz zusammenzubekommen. Er könnte damit sogar erfolgreich sein.«
Zeus schüttelte den Kopf. »Aber warum? Beltaran ist keine Gefahr.«
»Beltaran hat sich gegen das Konsortium gestellt. Und in gewissem Sinne auch gegen das Königreich. Es zog Ehre und Hilfsbereitschaft der Loyalität vor. Damit ist es sehr wohl eine Gefahr. Dawson kann nicht zulassen, dass dieses Verhalten Schule macht. Wenn sich weitere Grafschaften davon beeinflussen lassen oder sogar auf Beltarans Seite stellen, dann droht er die Kontrolle zu verlieren.« Angel zögerte. »Es könnte sogar einen neuen Bürgerkrieg geben.«
Zeus schüttelte den Kopf. »Das können wir nicht zulassen. Ein Bürgerkrieg ist das Letzte, was ich will.«
Angel zögerte erneut. »Und da wäre natürlich noch die Sache mit Dexter.«
Zeus merkte auf. »Was ist mit ihm?«
»Ich denke, Dawson glaubt, er könnte auf Beltaran aufschlagen. Er hat einige seiner besten Agenten mit einem Tötungsbefehl nach Beltaran geschickt.«
»Das ist doch Unsinn!«, wehrte Zeus ab. »Dexter hat genügend eigene Probleme und keinen Grund, nach Beltaran zurückzukehren.«
»Mag sein. Aber Dawson ist wohl der Meinung, dass die Möglichkeit besteht. Er kennt deine Besessenheit für Dexter, auch wenn ihm der Grund dafür zum Glück nicht bekannt ist. Dawson ist wohl der Meinung, Dexters Tod könnte dich schwächen. Würde er die Wahrheit kennen, dann hätte er bereits losgeschlagen – gegen dich und gegen Dexter.«
»Womit er gar nicht mal so falschliegt. Aber Dexter wird nicht nach Beltaran reisen. Das wäre einfach nur dumm.«
»Dexter ist nicht gerade für seine Klugheit bekannt, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Und er taucht immer dort auf, wo es Probleme gibt. Und nirgendwo gibt es momentan mehr Probleme als auf Beltaran.«
Zeus überlegte fieberhaft. »Falls es tatsächlich auch nur die geringste Möglichkeit gibt, dass Dexter nach Beltaran geht, dann müssen wir seinen Tod unter allen Umständen verhindern.«
Angel merkte auf. »Und das heißt?«
Zeus fixierte seinen Attentäter mit festem Blick. »Du gehst ebenfalls dorthin. Du tust alles, was nötig ist, um ihn zu schützen.«
Angel legte den Kopf leicht auf die Seite. »Und wenn mir Dawsons Agenten in die Quere kommen?«
»Das wäre wirklich sehr bedauerlich – für Dawsons Leute.«
Angel kicherte heiser. »Verstanden.« Mit diesem einen Wort drehte sich der Attentäter um und schlenderte davon, als hätten sie sich gerade lediglich über das Wetter unterhalten.
»Und Angel?«, hielt Zeus ihn noch einmal zurück. Der Attentäter verharrte. »Falls du auf deinem Weg Dawson oder Burgh triffst, dann sag Ihnen doch bitte ›Lebewohl‹ von mir.«
Angel nickte und setzte seinen Weg fort.
Zeus drehte sich wieder zum Panoramafenster um. Er holte tief Luft und stieß sie in einem Schwall wieder aus. Die Fensterscheibe beschlug etwas. Der Ausblick konnte ihn immer noch nicht beruhigen.
»Verdammt, Dexter«, wisperte er, »wenn du auch nur einen Funken Verstand hast, dann bleibst du weg von Beltaran! Selbst Angel kann dich möglicherweise nicht schützen vor dem, was den Planeten erwartet.«
»Feindliche Schiffe nähern sich an bis auf äußerste Gefechtsdistanz.« Diese simple Meldung hing bedeutungsschwanger über der Flaggbrücke der Normandy. Es wurde so wenig wie möglich gesprochen. Auf dem großen Holotank war zu sehen, wie ein Pulk von Schiffen in bedrohlichem Rot sich von achtern näherte.
Dexter knirschte frustriert mit den Zähnen. Seit ihrer Flucht von Condor befand sich die kleine zusammengewürfelte Flotte aus überlebenden Skull-Schiffen und den letzten condorianischen Einheiten ständig in Bewegung. Mehrmals waren sie ihren Verfolgern beinahe entkommen, nur um sich abermals einem feindlichen Verband gegenüberzusehen.
Der Feind zog die Schlinge enger. Was die Sache nur umso gefährlicher machte, war die Beharrlichkeit des Gegners. Er verfolgte die Flüchtenden über die Grenzen des Königreichs hinaus. Das war eine neue Entwicklung und darüber hinaus eine besorgniserregende Eskalation. Es bewies, wie sehr dem Königreich im Allgemeinen und dem Zirkel sowie dessen militärischem Arm – dem Konsortium – im Speziellen daran gelegen war, die kleine Gruppe um Admiral Sorenson ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen. In den allermeisten Fällen setzten sich die Verfolgergeschwader aus Einheiten des Konsortiums zusammen. Nicht jedoch dieses Mal. Hinter ihnen in kaum vier Lichtsekunden Entfernung schloss eine volle TOG der Colonial Royal Navy zu ihnen auf.
Daniel Dombrowski, Dexters Flagglieutenant, trat zu ihm und senkte die Stimme. Seine nächsten Worte waren nicht für die anderen anwesenden Offiziere bestimmt. »Die vorderste Linie der feindlichen Formation ist in knapp sechs Minuten in der Lage, eine erste Salve auf unsere Nachhut abzufeuern.«
Dexters Kiefermuskeln mahlten angestrengt. Er wusste genau, was sein Untergebener damit sagen wollte. Die Nachhut bestand aus zwei Kampfkreuzern der Skulls. Sie würden dem Beschuss des Gegners nicht lange standhalten können. Und sie würden wesentlich schneller zerstört werden, sollten sie das Feuer nicht erwidern dürfen. Allerdings sträubte sich jede Faser in Dexters Körper dagegen, diesen einen Befehl zu geben, der sie alle auf ewig brandmarken würde.
Sorenson trat auf seine andere Seite. Auch er senkte die Stimme. »Wir können nicht das Feuer auf königliche Einheiten eröffnen. Das sind unsere Leute.«
Dombrowski schüttelte leicht den Kopf. »Das hindert die nicht daran, auf uns zu schießen.«
Sorenson runzelte verärgert die Stirn und wandte sich direkt an den Flagglieutenant. »Die wissen es nicht besser. Sie werden gesteuert. Die Männer und Frauen an Bord dieser Schiffe sind der Meinung, das Richtige zu tun.«
Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Komik. Dexter kam sich beinahe so vor, als würden ein Engelchen und ein Teufelchen auf jeweils einer seiner Schultern sitzen und ihm ihre Gedanken einflüstern, damit er in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde. Theoretisch könnte Sorenson ihm den Befehl erteilen, nicht zu feuern. Der Admiral war das Oberhaupt der Söldnereinheit. Aber dieser würde nicht so weit gehen. Er wusste, es würde Dexters Autorität vor den anderen Offizieren schmälern.
»Geschwindigkeit erhöhen. Auf das Maximum des Möglichen«, befahl er.
»Da liegen wir schon fast«, gab Dombrowski zurück. »Wenn wir mehr Fahrt aufnehmen, müssten wir zwangsläufig ein paar der langsameren Schiffe zurücklassen.«
Dexter fletschte die Zähne. »Das kommt auf keinen Fall infrage!« Er beobachtete angespannt auf dem Hologramm vor ihm, wie die königlichen Schiffe beständig die Distanz verringerten. Die Kerle waren verdammt hartnäckig. Das musste man ihnen lassen.
»Wir feuern nicht, solange wir es vermeiden können.« Ihm war klar, wie ausweichend der Befehl sich sogar in seinen eigenen Ohren anhörte. Aber er sah nicht, welche Wahl ihm blieb. Genau wie Sorenson widerstrebte es ihm, auf Schiffe der CRN zu schießen. Sorenson und er waren alte Haudegen der königlichen Flotte. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten sie die Männer und Frauen, die auf den Verfolgerschiffen dienten, als Kameraden bezeichnet, sie sogar Brüder und Schwestern genannt. Sie hatten dieselbe Uniform getragen und denselben Idealen gedient. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, einige von ihnen in den Tod zu schicken.
»Wo ist der nächste Lagrange-Punkt?«, wollte er wissen.
»Das wäre L5«, informierte ihn der Flagglieutenant. »In knapp zwei Lichtsekunden Entfernung. Steuern wir diesen an?«
Dexter brauchte nicht lange zu überlegen und nickte. »Und danach fliegen wir sofort den nächsten erreichbaren Lagrange-Punkt an. Dieses Spielchen spielen wir danach noch dreimal. Vielleicht können wir sie auf diese Weise abhängen.«
»Kommt darauf an, ob uns auf dieser Strecke weitere Überraschungen erwarten«, gab Sorenson zu bedenken.
»Irgendwann müssen sie aufgeben«, erwiderte Dexter. »Weder das Konsortium noch das Königreich besitzt genügend Schiffe, um sämtliche Systeme jenseits ihrer Grenzen zu überwachen. Ihr Netz muss zwangsläufig Löcher aufweisen. Wir müssen nur eines finden und hindurchschlüpfen.«
»Falls sie uns nicht vorher in Stücke schießen.« Dombrowski wirkte mit der Entscheidung unzufrieden, ersparte jedoch jedem der Anwesenden eine direkte Kritik daran. Er begnügte sich mit düsteren Blicken. Dexter konnte den Mann sogar bis zu einem gewissen Grad verstehen. Dombrowski hatte nie in der CRN gedient. Ihn verband nichts mit den Besatzungen auf den Verfolgerschiffen. Für ihn waren es lediglich Ziele, die zerstört werden mussten. Genau das, was Dexter keinesfalls wollte.
»Abschuss!«, meldete plötzlich einer der anwesenden Ordonnanzen. Dexters Blick richtete sich schlagartig auf das Hologramm. Seine Augen verengten sich. Die in Rot dargestellten königlichen Schiffe stießen eine Salve Torpedos aus. Sie waren noch außer Reichweite. Der Antrieb würde den Treibstoff verbraucht haben, bevor die Geschosse die Skull-Nachhut erreicht haben würde. Sinn und Zweck dieser Salve war lediglich, die Fliehenden unter Druck zu setzen und sie zu einer unbedachten Handlung zu verleiten. Dexter dachte nicht im Traum daran, diesen Köder zu schlucken.
Innerhalb der nächsten Minuten verschossen die royalen Schiffe Salve um Salve. Und mit jeder Salve kamen die Lenkflugkörper näher an die Nachhut heran, bevor der Antrieb den Geist aufgab.
Es dauerte nicht lange und die ersten Geschosse schlugen ein. Beide Kampfkreuzer hatten ihre Schildblase aufgebaut und so viel Energie wie möglich den Heckschilden zugeführt. Die Energieblase schillerte unter dem Aufprall Dutzender Geschosse. Die königlichen Besatzungen hatten Blut geleckt. Sie spürten, dass sich die Jagd dem Ende entgegenneigte.
Dexter bewunderte die Disziplin seiner Leute. Obwohl die Anspannung angesichts der drohenden Vernichtung enorm sein musste, schlug keines der beiden Schiffe zurück. Sie begnügten sich auf rein defensive Maßnahmen.
Mit einem Mal versagten die Heckschilde des Kampfkreuzers Perikles. Detonationen überschütteten das Heck. Dexter beugte sich unvermittelt vor und stützte sich mit beiden Händen auf den Rand des Holotanks. Seine Finger umklammerten diesen so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Ein Ruf von der Perikles«, informierte ihn Dombrowski.
»Einspeisen!«, ordnete Dexter an.
Die taktische Ansicht des Hologramms verkleinerte sich merklich. Es wurde ersetzt von dem Abbild eines schmächtigen Offiziers mit Halbglatze, aber dafür stechend blauen Augen.
»Captain Ortega? Wie ist die Lage?«
Captain Benito Ortega von der Perikles räusperte sich. »Wir nehmen schweren Schaden im Bereich der Antriebssektion. Die Panzerung hält bisher, aber wir wissen nicht, wie lange das noch gut geht. Mein Chefingenieur versucht, die Schilde wieder hochzufahren, aber auch das wäre lediglich eine Notlösung. Wie sollen wir weiter verfahren?«
Dexter wusste genau, was der Mann eigentlich fragen wollte: »Dürfen wir zurückschießen?« Am liebsten hätte er geantwortet: »Handeln Sie nach eigenem Ermessen.« Aber damit hätte er den Schwarzen Peter lediglich an Ortega weitergereicht. Das wäre bei keinem der Offiziere gut angekommen. Ganz davon abgesehen, dass sich Dexter damit selbst nicht wohlgefühlt hätte. Er wollte gerade antworten, als Dombrowski aufsah.
»Die Stolz verliert Geschwindigkeit.«
Dexter runzelte die Stirn. »Einen Augenblick, Ortega«, bat er und wandte sich erneut dem taktischen Hologramm zu. Bei der Stolz handelte es sich um das Großschlachtschiff, das nun als Flaggschiff der letzten condorianischen Streitkräfte fungierte. Es verlor tatsächlich an Fahrt.
»Hat das Schiff Schäden gemeldet?«
Dombrowski schüttelte als Antwort lediglich den Kopf. Dexter beobachtete unterdessen fasziniert den Vorgang, der sich vor ihm abspielte. Konteradmiral Irina Necheyev ließ ihr Großschlachtschiff elegant zurückfallen und setzte sich ans Ende der Kolonne – direkt in die Schusslinie zwischen die royalen Einheiten und die Skull-Nachhut. Die Geschosse prasselten nun auf die viel stärkeren Schilde des condorianischen Kriegsschiffes ein, die dem Beschuss zumindest im Moment problemlos standhielten.
»Ortega«, sprach Dexter den Captain der Perikles an, »bringen Sie Ihre Schilde wieder online. Die Stolz gibt Ihnen Deckung.«
Ortega nickte dankbar und beendete die Verbindung.
»Commodore? Da tut sich etwas«, meinte Dombrowski mit einem Mal.
Dexter sah auf. Die Stolz ließ unvermittelt ihre Heckschilde fallen und feuerte eine volle Breitseite aus den Hecktorpedorohren sowie ihren Raketenwerfern ab.
»Eine Verbindung zur Stolz!«, befahl Dexter. Er hatte kaum ausgesprochen, da erschien bereits das ernste Konterfei Konteradmiral Necheyevs auf seinem Hologramm. Die Frau wäre attraktiv gewesen, hätte sie auch mal gelächelt oder sich nicht dazu entschieden, ihre blonde Mähne zu einem Dutt am Hinterkopf zu frisieren. Auf diese Weise wirkte sie wie ein strenger Zuchtmeister. Auf manchen hätte das vielleicht anziehend gewirkt, nicht jedoch auf Dexter.
»Necheyev, was zur Hölle machen Sie da?«
»Meinen Job«, erwiderte die Frau schlicht und kappte die Verbindung ohne weiteres Wort.
»Die Stolz feuert erneut«, gab Dombrowski bekannt. Überraschenderweise fehlte dem Tonfall des Flagglieutenants der Anflug von Genugtuung, den Dexter eigentlich erwartet hatte.
Das condorianische Flaggschiff feuerte drei weitere Salven ab, die brutal auf die königliche Vorhut einhämmerten. Diese bestand aus einigen Eskortfregatten sowie einem Angriffs- und zwei Kampfkreuzern.
Die royalen Schiffe fuhren ihre Schilde hoch, um den Beschuss auszusitzen. Gleichzeitig schloss die übrigen TOG zügig auf, um ihre Einheiten unter Beschuss zu unterstützen. Es war jedoch zu spät. Necheyev konzentrierte ihr Bombardement auf die schwächsten feindlichen Schiffe. Die Schilde hielten zunächst stand, hatten aber der Feuerkraft eines Großschlachtschiffes kaum etwas entgegenzusetzen.
Mit der vierten Salve knackte die condorianische Admiralin die Schilde von drei Eskortfregatten. Drei weitere Salven reichten und zwei der Schiffe vergingen in grellen Explosionen, unter denen sie sich regelrecht auflösten. Das dritte Schiff entkam gerade noch rechtzeitig unter den Schutz des Angriffskreuzers, zog dabei aber einen Schwanz aus entweichender Atmosphäre und geborstener Panzerung hinter sich her.
Bevor Dexter auf den Verlust der Schiffe und den Tod so vieler königlicher Soldaten reagieren konnte, sah sein Flagglieutenant auf. »Wir haben L5 erreicht«, meldete er. »Bereit zum Sprung.«
Dexter schluckte. Sein Hals fühlte sich staubtrocken an. »Ausführen!«
Die Flaggbrücke und darüber hinaus das Universum verschwammen zu einem Sammelsurium an Farben, als die Normandy und ihre Begleitflotte durch den Lagrange-Punkt L5 sprangen – unsicher, was sie auf der anderen Seite erwarten würde.
Die Kräfte kehrten nur langsam zurück in Rodney MacTavishs Körper. Dabei spielten die zahlreichen Blutergüsse, die Schürfwunden und sogar die Knochenbrüche weniger eine Rolle als die Brandwunden. Doch die aufopferungsvolle Pflege des Krankenhauspersonals wirkte seinen zahlreichen Verletzungen entgegen und sorgte dafür, dass sein Verstand wieder halbwegs in gewohnten Bahnen arbeitete. Und mit jedem Tag, der verging, erkannte er eine unumstößliche Wahrheit: Er musste dringend verschwinden.
Die Behörden arbeiteten immer noch daran, seine Identität festzustellen. Und sobald sie damit Erfolg hatten, würden mehrere Alarmglocken läuten und man würde Männer schicken, um ihn umzubringen. Bestenfalls. Schlimmstenfalls würden sie ihn mitnehmen, unter Folter befragen und dann umbringen.
Er hatte eingehend darüber nachgedacht, wer wohl seine Daten aus dem Archiv gelöscht hatte, und mittlerweile eine Theorie entwickelt. Es konnte sich eigentlich nur um Connors handeln. Der Admiral hielt ihn höchstwahrscheinlich für tot und wollte auf diesem Weg verhindern, dass jemand seine Leiche identifizierte. Es wäre ein Leichtes für einen kompetenten Ermittler, Zusammenhänge festzustellen zwischen MacTavish und dem Geheimdienstchef, was für diesen äußerst peinlich wäre, um nicht zu sagen, lebensbedrohlich. Der Zirkel würde ihm danach wohl kaum gestatten, am Leben zu bleiben – nicht wenn der Admiral derart offen gegen sie opponierte.
MacTavish musste von hier verschwinden. Er richtete sich in seinem Bett auf und lockerte vorsichtig seine Muskeln. Sie schmerzten immer noch ein wenig angesichts der erzwungenen Untätigkeit, aber nicht mehr so sehr wie kurz nach seinem Erwachen. Das Gefühl gab sich allerdings nach ein paar Minuten. Die täglichen Lockerungsübungen der letzten Zeit machten sich bezahlt.
Vorsichtig löste er die Kanüle in seiner Armvene und zog sie schließlich sanft heraus. Er biss die Zähne zusammen. Die Einstichstelle brannte wie Feuer. Eilig kramte MacTavish ein Pflaster aus der Schublade seines kleinen Beistelltisches und klebte es auf die blutende Wunde.
Sein Blick zuckte zur Tür. Vor seinem Zimmer stand ein Polizist auf Posten. Dieser hatte den Befehl, MacTavish unter allen Umständen am Verlassen seines Zimmers zu hindern. Der ehemalige Geheimagent seufzte. Das würde nicht hübsch werden.
Er sah zur Uhr an der Wand. Es war neun Uhr abends. Die Besuchszeit war vorbei und die Schwestern hatten sich zur Übergabe an die Nachtschicht in ihr Schwesternzimmer zurückgezogen. Die Korridore des Krankenhauses mussten so gut wie menschenleer sein. Eine bessere Chance würde er nicht kriegen.
MacTavish schlug die Bettdecke zurück und erhob sich langsam. Seine Beine fühlten sich noch recht wacklig an, was kein Wunder nach dem Erlittenen war.
Er begab sich zur Tür und öffnete sie geräuschlos einen Spaltbreit. MacTavish lugte hindurch. Er presste seine Lippen so stark aufeinander, dass sie wie ein einziger blutleerer Strich erschienen. Vor der Tür stand tatsächlich immer noch ein Polizist. Ein Bulle von Mann, der Polizist war beinahe so breit wie hoch – übertrieben formuliert. Amüsiert fragte sich der Geheimagent, ob es sich bei dem Kerl vielleicht um ein Experiment handelte, das aus einem Regierungslabor entlaufen war. Er verdrängte den Gedanken sofort wieder.
Der Mann stand mit dem Rücken zu ihm. MacTavish konzentrierte sich. Jetzt durfte er nur keine Fehler machen. Er öffnete die Tür zur Gänze. Der Polizist war ein aufmerksames Exemplar seiner Gattung. Obwohl MacTavish keinerlei Geräusch gemacht hatte, sah sich der Mann stirnrunzelnd über die Schulter um. Als er MacTavish bemerkte, zeigte dessen Gesicht eine verdutzte Mimik. Gegen die Schrecksekunde war niemand gefeit, egal wie gut man auch ausgebildet worden war.
MacTavish zögerte nicht. Er musste die Gelegenheit nutzen, bevor es dem Polizisten gelang, seinen Schreck zu überwinden. MacTavish stürzte vor, schlang seinen Arm um den Hals seines Gegners und machte mit dem anderen Arm den Sack zu. Er schnitt seinem Gegenüber damit effektiv die Luftzufuhr ab.
Sein Gegner war jedoch gesund, kräftig und vor allem richtig wütend. MacTavish war nichts davon. Der Agent ließ nicht los, aber der Polizist bäumte sich auf und plötzlich hingen MacTavishs Beine in der Luft. Der Agent strampelte hilflos, während der Polizist sich damit abmühte, ihn von seinem Rücken zu bekommen.
Mehrere Augenblicke lang versuchte der Mann, MacTavish abzuschütteln. Als das nicht gelang und der Agent sich partout weigerte loszulassen, änderte der Polizist seine Taktik. Er rammte seinen eigenen Körper gegen die Wand und benutzte dabei MacTavishs ohnehin geschundene Gestalt als Prellbock.
MacTavish stieß mehrmals scharf die Luft aus. Dennoch ließ er immer noch nicht von seinem Gegner ab. Eine zweite Chance würde er nicht bekommen. Unter diesem Gesichtspunkt mobilisierte er ungeahnte Kraftreserven. Innerlich zählte er die Sekunden. Ein Mensch konnte nur begrenzt ohne Sauerstoffzufuhr bei Bewusstsein bleiben. Wenn man die Halsschlagader abklemmte, blieben etwa zwanzig Sekunden, bis der Gegner ins Reich der Träume abdriftete. Der Polizist hielt fast dreißig durch. MacTavish kannte Ausbilder beim Royal Intelligence Service, die diesen Polizisten gern in die Finger bekommen hätten, um diesem noch den nötigen Feinschliff zu verpassen. Der Kerl war zäh, keine Frage.
Die Bewegungen des Mannes erlahmten und wurden langsam unkoordiniert. Seine Knie knickten ein und endlich bekam MacTavish wieder Boden unter den Füßen. Der Körper des Polizisten wurde schwer und MacTavish ließ ihn sanft zu Boden gleiten. Besorgt prüfte er dessen Halsschlagader. Sie pumpte stark und beständig. Vielleicht ein wenig zu schnell, aber das war nicht anders zu erwarten. MacTavish war erleichtert. Er wollte kein armes Schwein umbringen, nur weil dieses seinen Job machte.
MacTavish sah sich um. Der kurze, aber heftige Schlagabtausch war unbemerkt geblieben. Der Korridor war immer noch leer. Er zog den Polizisten in das Zimmer und begann diesen zu entkleiden. Sorgfältig zog er sich die Polizeiuniform über. Es war keine ideale Lösung, aber alles, was ihm einfiel. Die Uniform war natürlich viel zu groß, würde aber auf eine gewisse Distanz hin die meisten Normalbürger täuschen.
Er hörte hinter sich die Tür aufgehen und jemanden scharf die Luft einsaugen. MacTavish wirbelte herum. Im Türrahmen stand Schwester Sybille mit großen Augen und einer Hand vor dem Mund. Sie wich vor ihm zurück und machte Anstalten zu fliehen.
MacTavish reagierte blitzschnell, packte sie, hielt ihr den Mund zu und zerrte sie zurück ins Krankenzimmer. Sie zappelte und wehrte sich nach Kräften. Aber der ehemalige Agent hatte gerade einen gut trainierten Polizisten ausgeschaltet. Die Krankenschwester hatte gegen ihn kaum eine Chance.
»Ich werde Ihnen nichts tun«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Bitte beruhigen Sie sich.«
Die Bewegungen der Krankenschwester wurden langsamer und kamen schließlich ganz zum Stillstand, als sie erkannte, dass Widerstand hier sinnlos war.
»Ich werde jetzt meine Hand von Ihrem Mund nehmen. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie nicht schreien würden. Ich möchte Ihnen nicht wehtun. Verstanden?«
Schwester Sybille nickte langsam. MacTavish nahm wie versprochen die Hand von ihrem Mund. Die Frau drehte den Kopf und warf einen Blick auf den halb nackten Polizisten. »Haben Sie ihn umgebracht?«, fragte sie im Tonfall eines Menschen, der Angst vor der Antwort hatte.
»Der schläft nur eine Weile und wird dann mit heftigen Kopfschmerzen aufwachen«, beruhigte er sie. Er fixierte sie mit festem Blick. »Wo sind meine Sachen?«
»Ein paar Zimmer weiter. Im Lager.«
MacTavish runzelte die Stirn. »Die Polizei hat sie nicht mitgenommen?«
Schwester Sybille schüttelte den Kopf. »Sie haben Ihren Besitz hier vor Ort kurz begutachtet. Die Beamten wollten ihn bei Gelegenheit abholen und einer genaueren Untersuchung unterziehen.«
MacTavish runzelte die Stirn. Sein Respekt vor den hiesigen Strafverfolgungsbehörden sank. Dem RIS wäre ein solch gravierender Fehler niemals unterlaufen. »Führen Sie mich hin«, bat er.
Die Krankenschwester tat, wie ihr befohlen worden war, und führte MacTavish aus dem Zimmer hinaus. Er hielt sie noch kurz zurück. »Ich muss doch nicht extra darauf hinweisen, was passiert, wenn Sie Alarm schlagen. Ich will niemanden mehr verletzen. Ich will einfach nur hier raus. Verstanden?«
Sie nickte mit aschfahlem Gesicht. Sybille führte den Agenten den Korridor hinab zu einem kleinen Raum, der als Lager für allerhand Utensilien diente. MacTavish stieß seine Gefangene sanft in die Ecke des Raumes, wo er sie im Auge behalten konnte.
Sein Besitz lag auf Augenhöhe in einem Regal. Eilig nahm er alles an sich und stopfte es sich in die Taschen. Bei einem Gegenstand von der Größe einer klobigen Uhr zögerte er, lächelte und zog sie sich über das linke Handgelenk.
»Kumpel?«, flüsterte er. »Bist du da?«
Schwester Sybille zog eine Augenbraue hoch, als er anfing, mit seiner Uhr zu reden. Für sie musste er wie ein Verrückter wirken. Als die Uhr aber antwortete, zog sie überrascht beide Augenbrauen nach oben.
»Boss? Sie leben?«
MacTavish grinste. »Offensichtlich. Wie geht es dir?«
»Allerhand fremde Hände haben mich betatscht und untersucht«, meinte Ozzy geknickt. »Aber ich habe mich nicht zu erkennen gegeben.«
»Gut gemacht«, lobte MacTavish.
»Boss? Ihre Vitalzeichen sehen aber gar nicht gut aus. Sie brauchen ein Bett und medizinische Versorgung.« Die Stimme Ozzys klang überaus besorgt.
»Hört, hört!«, stimmte Schwester Sybille in sarkastischem Tonfall zu.
»Darum kümmern wir uns, wenn wir verschwunden sind.« MacTavish griff sich eine Rolle Klebeband und warf seiner Gefangenen einen entschuldigenden Blick zu.
Diese wich vor ihm zurück, so weit es die Umstände erlaubten. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?!«, schimpfte sie.
Er zuckte die Achseln. »Tut mir leid, aber ich kann nicht riskieren, dass Sie Alarm schlagen, sobald ich weg bin. Und mitnehmen kann ich Sie auch nicht. Das Risiko ist zu hoch – für uns beide.« Er näherte sich ihr vorsichtig.
Sie musterte ihn scharf. »Würden Sie mir auch sagen, was hier vor sich geht?«
MacTavish verzog schmerzhaft berührt die Miene. »Würden Sie mir glauben, dass ich zu den Guten gehöre?«
Sie musterte ihn erneut. Dieses Mal eindringlich. »Ich bin mir da nicht ganz sicher.«
MacTavish lächelte und fesselte die Frau ohne weitere Worte. Bevor er ihr ein Stück Klebeband über den Mund klebte, küsste er sie leidenschaftlich. Sie war so perplex, dass sie nicht einmal auf die Idee kam, sich zu wehren. Als er sich von ihr löste, klebte er das Band auf ihren Mund, bevor sie etwas sagen konnte.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er den Lagerraum und verschloss die Tür. Man würde die Frau vermutlich erst gegen Morgen finden. Bis dahin war er schon weit weg.
»Was sollte das denn?«, fragte Ozymandias in vorwurfsvollem Tonfall.
MacTavish grinste. »Die Chance ist groß, dass ich in den nächsten Tagen draufgehe. Es erschien mir sinnvoll, noch mal eine schöne Frau zu küssen.«
»Sie sind ja ein richtiger Optimist geworden.« Ozzy seufzte. Ein überraschend menschlicher Laut. »Und was machen wir als Nächstes?«
Das war die Frage des Jahrhunderts. Darüber hatte sich MacTavish bereits seine Gedanken gemacht. Er schlich sich ohne Probleme aus dem Gebäude. Niemand hielt ihn auf oder stellte seine Absichten infrage.
Als er wie selbstverständlich über den Krankenhausparkplatz schlenderte, genoss er die kühle Nachtluft. »Hier können wir nichts mehr ausrichten«, erklärte er seinem elektronischen Begleiter. »Castor Prime ist ein zu heißes Pflaster für uns, vor allem nach dem Tod des Königs. Wir müssen davon ausgehen, dass alle Behörden, einschließlich des RIS, jetzt unter Kontrolle des Zirkels stehen. Entweder gehört Connors inzwischen zu ihnen oder er muss die Füße stillhalten, um nicht selbst auf der Abschussliste zu landen.«
»Was heißt das für uns?«
»Wir verlassen den Planeten und kehren zur Erde zurück. Tucker Dawson befindet sich jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dort.«
»Was macht Sie in dieser Hinsicht so sicher?«
»Die Erde ist gut vernetzt. Von dort aus hat er die besten Möglichkeiten, alle Aspekte des Zirkels zu kontrollieren. Außerdem denke ich, er fühlt sich dort wesentlich sicherer als hier auf Castor Prime.«
»Alleine werden wir ihm aber kaum etwas anhaben können. Und Sorenson sowie Blackburn sind entweder tot oder untergetaucht. Ich sage es nicht gern, aber wir stehen ziemlich alleine da.«
MacTavish grinste. »Keine Sorge«, beruhigte er seine KI, »ich kenne genau den richtigen Mann für diese Art Arbeit. Er wird sehr nützlich für uns sein.«
»Verraten Sie mir auch, wer das sein soll?«
MacTavish machte eine verkniffene Miene und antwortete nicht, während er sich in die Nacht von Castor Prime davonstahl.
Dexter rieb sich müde die Augen. Er hatte in den vergangenen drei Tagen kein Auge zugemacht. Aber trotz der Strapazen und Entbehrungen hatte es sich gelohnt. Es gab keine feindlichen Schiffe in Ortungsreichweite. Sie waren entkommen, und das, ohne auch nur ein einziges Schiff zu verlieren. Eine Leistung, auf die man zu Recht stolz sein konnte.
Dexter überflog im Kopf noch einmal die Aufstellung seines derzeitigen Kommandos. Die Skulls verfügten noch über elf einsatzfähige Kriegsschiffe sowie über etwa ein Dutzend Truppentransporter. Alle hatten während ihrer tagelangen Flucht mehr oder weniger Schaden genommen, aber sie flogen immerhin aus eigener Kraft. Dafür musste man schon dankbar sein.
Darüber hinaus hatten sich ihnen siebzehn Schiffe der condorianischen Streitkräfte unter dem Kommando von Konteradmiral Irina Necheyev angeschlossen. Diese siebzehn Schiffe waren die einzigen Überlebenden der Raumverbände der Freien Republik Condor. Alles in allem war ihre derzeitige Stärke einfach nur deprimierend. Und dass sie es überhaupt so weit geschafft hatten, ohne in tausend Stücke gesprengt zu werden, grenzte an ein Wunder.
Dexter hatte sich zur Besprechung relativ früh eingefunden und war wenig überrascht, der Einzige im Raum zu sein. Irgendein unbekannter Ordonnanzoffizier hatte Initiative gezeigt und für Erfrischungen gesorgt. Leere Gläser, Wasserflaschen und Kannen mit dampfendem Kaffee standen auf dem Tisch, darüber hinaus Teller mit Gebäck.
Bei dem Anblick machte sich Dexters Magen schmerzhaft bemerkbar. Wie die meisten anderen hatte er seit Beginn ihrer Flucht von Condor kaum gegessen oder getrunken. Er angelte sich ein Cookie von einem der Teller. Der Keks fühlte sich immer noch warm an. Dexter verspeiste ihn mit Inbrunst, nur um sich gleich danach zwei weitere zu genehmigen.
Die Tür ging zischend auf und Admiral Oscar Sorenson trat ein. Der Anführer der Skulls hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er sah aus, wie Dexter sich fühlte. Tatsächlich schien den Admiral mehr als nur ihre prekäre Situation zu beschäftigen seit dem Bekanntwerden, dass Cassandra Deveraux kein Mitglied des RIS und von Connors nicht bei den Skulls eingeschleust worden war. Eine Beobachtung, die auch bei Dexter immer wieder Besorgnis auslöste. Was verheimlichte Sorenson?
Als Nächste traten Major Melanie St. John und Clayton Redburn ein. Die beiden waren seit Condor unzertrennlich, was zum Teil an ihrer gemeinsam geteilten Erfahrung liegen mochte. Sie waren bei der Eskortierung eines zivilen Konvois von Konsortiums-Truppen überrascht, eingekesselt und belagert worden. Eine solche Erfahrung prägte. Man sah die Männer und Frauen, die mit einem im Schützengraben lagen, plötzlich mit anderen Augen. So etwas geschah häufiger, als man dachte.
Melanie und Red tuschelten miteinander. Ob es sich um Dienstliches oder Privates handelte, vermochte Dexter nicht zu sagen. Die beiden begaben sich immer noch tuschelnd zu ihren Plätzen, ohne im Reden auch nur einmal innezuhalten.
Insgeheim fragte er sich, ob die zwei miteinander schliefen. Falls das noch nicht geschehen war, dann würde es sicherlich bald so weit sein. Dexter erwartete, Eifersucht in sich aufsteigen zu spüren, und war einigermaßen perplex, als dem nicht so war.
Melanie war eine der ersten Personen gewesen, die ihn bei den Skulls freundlich aufgenommen hatten. In der Tat hatte er mit dem Gedanken gespielt, ihr Avancen zu machen. Dann war Cassandra in sein Leben getreten, hatte ihn für sich eingenommen, nur um wieder aus seinem Leben gerissen zu werden. Was aus ihr geworden war, wusste er nicht und er fragte sich, ob er es je erfahren würde. Hinzu kam, dass sie offensichtlich nicht der Mensch war, für den er sie gehalten hatte. Die logische Konsequenz war, alles infrage zu stellen, was er mit ihr geteilt und was sie ihm alles gesagt hatte.
Erneut ging die Tür auf und Lennox Christian stand im Raum. Der Marine sah natürlich mal wieder aus wie aus dem Ei gepellt. Allein dafür hätte Dexter diesem liebend gern die Fresse poliert. Allerdings herrschte zwischen ihnen ein brüchiger Waffenstillstand.
Christian begab sich schweigend zu seinem Platz und nickte jedem der Anwesenden nur einmal knapp zu. Sein Blick kreuzte den Dexters und die beiden hielten den Blickkontakt eine Sekunde länger, als nötig gewesen wäre. Ein stilles Versprechen, dass der Waffenstillstand immer noch hielt und sie gemeinsam herausfinden würden, wer Christians Männer auf Tessa umgebracht und Dexters Leben dadurch zerstört hatte. Seit Dooleys Tod in der letzten Schlacht auf Condor hatte Christian notgedrungen das Kommando über die Reste von Marines und Infanterie gleichermaßen übernommen.
Als Letzte erschien Konteradmiral Irina Necheyev – und das auch noch mit gleich zwei Adjutanten. Ein bemerkenswert unnötiger Auftritt und für Dexters Dafürhalten viel zu großspurig. Er hatte bereits den Eindruck, dass sie viel zu viel von sich selbst hielt, und ihr Erscheinen mit diesem Gefolge bestätigte seinen Ersteindruck.
Nachdem alle Platz genommen hatten, räusperte Oscar sich und schaute die Leute reihum an. Er räusperte sich abermals, bevor er begann. Dexter war gelinde gesagt schockiert. Der Mann wirkte um Jahre gealtert. Auf Condor war dieser noch voller Elan und Tatendrang gewesen. Das war erst wenige Wochen her. Nun wirkten Mimik und Körperhaltung des Admirals eingefallen und farblos.
Oscar Sorenson lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich muss wohl nicht näher darauf eingehen, wie verfahren unsere Situation ist«, begann er. »Wir sind Geächtete und vogelfrei. Jeder, der uns begegnet, stark genug ist und Bock darauf hat, kann uns erledigen. Straflos! Vermutlich wird er sogar noch dafür gefeiert. Wir gelten als Verbrecher und Königsmörder, und ich sehe nicht, wie wir derzeit unsere Unschuld beweisen können. Darüber hinaus kontrolliert nun der Zirkel das Königreich über Prinz Calvin, den älteren Sohn des verstorbenen Königs. Und dieser wird in den nächsten Wochen zum König des Vereinigten Kolonialen Königreichs gekrönt. Habe ich irgendetwas vergessen?«
Alle sahen betreten nach unten. Oscars Analyse war von bestechender Klarheit, um nicht zu sagen, schlichtweg niederschmetternd.
Oscar seufzte. »Damit bleibt nur eine Frage: Was tun wir jetzt?« Der Admiral sah sich abermals unter den Anwesenden um. »Vorschläge?«
Necheyev sah auf. »Es gibt eine Frage, die wir zuvor klären sollten.«
Oscar runzelte die Stirn. »Welche wäre?«
»Die Frage des Oberkommandos.«
Allgemeines unbehagliches Raunen wurde rund um den Tisch laut. Dexter hatte bereits erwartet, dass es damit Probleme geben würde. Oscars Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Auch er hatte schon damit gerechnet, dass dies zur Sprache kommen würde.
»Das Kommando liegt bei mir«, erklärte der Admiral im Brustton der Überzeugung. Ein Quäntchen seiner alten Kraft schien für einen Moment zurückzukehren, als er die condorianische Admiralin intensiv fixierte.
»Darüber sollten wir doch mal diskutieren«, erwiderte Necheyev. Sie ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Dexter wusste nicht, ob er das in der jetzigen Situation gut oder schlecht finden sollte. »Das Oberkommando sollte bei der Einheit mit der taktischen Überlegenheit liegen. Die Anzahl meiner Einheiten übersteigt die der Skulls deutlich.«
Dexter sah ruckartig auf. »Darf ich das als Drohung verstehen?«
Necheyev wandte sich ihm mit starrer Miene zu. »Keineswegs. Nur als Tatsache. Wie gesagt, liegt die taktische Überlegenheit bei uns Condorianern. Darüber hinaus hat Präsident Saizew einen Kontrakt mit den Skulls geschlossen. Als rechtlicher Nachfolger werde ich diesen Kontrakt übernehmen, was Ihre Söldnereinheit immer noch zu einem Vertragspartner und Angestellten der Freien Republik Condor macht.«
Lennox Christian schnaubte, ersparte sich jedoch einen Kommentar. Oscar Sorenson war nicht so höflich. »Eine Nation, die nicht länger existiert. Mit der FRC sind auch alle Verbindlichkeiten und Kontrakte erloschen. Ich sehe mich an den Vertrag nicht länger gebunden.«
Necheyev stand aggressiv von ihrem Stuhl auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte. »Solange auch nur noch ein Condorianer aufrecht steht, existiert die FRC noch. Wagen Sie es ja nicht, etwas anderes anzudeuten!«
Oscar hob versöhnlich beide Hände mit den Handflächen nach außen. »Nichts liegt mir ferner, als Sie zu beleidigen, Admiral. Aber unsere Heimat wurde okkupiert und die Menschen dort wissen es noch nicht einmal. Vor wenigen Tagen wurden wir von königlichen Schiffen gejagt und beschossen.«
Necheyev setzte sich. Ihr Gesicht zeigte ein Grinsen, das man eigentlich nur mit Gehässigkeit umschreiben konnte. »Daran erinnere ich mich noch gut«, meinte sie.
Jeder der Anwesenden wusste, worauf sie anspielte. Die condorianische Admiralin hatte zwei königliche Schiffe zerstört, was streng genommen nicht notwendig gewesen wäre. Diese zwei Besatzungen waren für das gestorben, was Condor angetan worden war. Es war Necheyev egal, ob die Royal Navy sich dessen bewusst war oder nicht. Es genügte ihr völlig, dass sie selbst es wusste. Ihr Grinsen verblasste etwas. »Warum sollte mich kümmern, was mit dem Königreich aktuell passiert?«
»Weil dieselben Menschen, die das Königreich jetzt kontrollieren, für den Untergang Condors verantwortlich sind«, sprang Melanie helfend ein. »Das sollte auch Ihnen genug sein.«
Die Spitze traf und Necheyev senkte nachdenklich das Haupt. »Gutes Argument«, gab sie schließlich zu. »Das erklärt aber immer noch nicht, warum Sorenson den Oberbefehl innehaben sollte und nicht ich.«
»Ganz einfach«, meinte Dexter, »die Skulls sind gut vernetzt, besitzen Kontakte und ein Netzwerk von Informanten im Königreich.«
Necheyev zog eine Augenbraue hoch. »Das hoffen Sie. Wir wissen nicht, wie viel von diesen Kontakten noch aktiv sind. Auf der Jagd nach dem Mörder des Königs hat der RIS sicherlich ganze Arbeit geleistet. Und was die von Ihren Netzwerken übrig gelassen haben, wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Zirkel eliminiert.«
Dexter biss sich leicht auf die Unterlippe. Die Frau hatte wirklich auf alles eine Antwort. Das Schlimme war, ihre Argumentation war leider nicht von der Hand zu weisen.
Es war schließlich Clayton Redburn, der den Ausschlag gab. Der uneheliche Sohn Saizews musterte Necheyev eindringlich. »Aber wir kennen die ganzen Hintergründe nicht. Wir wissen nicht, wie alles zusammenhängt. Die Vernichtung unserer Nation ist nur ein kleines Puzzleteil eines viel größeren Spiels um die Macht. Die Skulls sind darin bereits länger involviert als wir. Deshalb sollten sie auch eine Führungsrolle übernehmen.«
Necheyev rümpfte die Nase. »Sie sind nur der uneheliche Sohn meines toten Präsidenten. Von Ihnen nehme ich keine Befehle entgegen.«
Red blieb auch angesichts dieses offensichtlichen Angriffs gelassen. »Das war kein Befehl, sondern nur meine Meinung. Es hat keinen Sinn, die Führung zu beanspruchen, wenn man nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Wenn wir den Untergang Condors irgendwann rächen wollen, dann müssen wir den Skulls vertrauen und ihnen auf ihrem Weg folgen. So einfach ist das. Falls Sie mit dem Gedanken spielen, sich von den Söldnern zu trennen, dann ist das die beste Methode, uns alle in den Abgrund zu schicken. Wir können nur überleben, wenn wir zusammenhalten.«
Necheyev überlegte angestrengt. Sie suchte verzweifelt ein Argument, das ihr half, ihren Anspruch auf das Oberkommando durchzusetzen.
Oscar räusperte sich. »Wir müssen diese leidige Diskussion zu einem Ende bringen, um uns den wirklich wichtigen Dingen zu widmen. Falls Sie sich damit besser fühlen, dann wäre ich mit einem gemeinsamen Oberkommando einverstanden. Solange Sie einwilligen, dass im Zweifelsfall mein Wort vor Ihrem gilt und Ihre Leute bereitwillig meinen Befehlen folgen. Ist das akzeptabel?«
Necheyev überlegte erneut, schließlich nickte sie langsam. »Für Condors Wohl – meinetwegen.«
Red klatschte leicht in die Hände. Der Knall hallte in der aufkeimenden Stille jedoch unangenehm laut durch den Raum. »Na sehen Sie? War das so schwierig?«
Necheyev schenkte ihm lediglich einen bitterbösen Blick, der nach einem Augenblick allerdings von einem leichten Lächeln abgelöst wurde.
Red erwiderte es. »Denken Sie daran: Diese Menschen haben einen beträchtlichen Teil unserer Bevölkerung in Sicherheit gebracht. Das ist auch etwas wert und dafür schulden wir ihnen eine Menge.«
Necheyev presste die Lippen aufeinander, nickte dann jedoch. Die Sache war fürs Erste beigelegt.
Oscar seufzte erleichtert. »Nun, dann also zurück zu meiner Eingangsfrage: Was unternehmen wir jetzt?«
Dexter hatte sich schon eine Antwort zurechtgelegt, wusste aber, dass sie keinem der Anwesenden gefallen würde. »Das Königreich wird vom Zirkel kontrolliert«, erklärte er. »Um den Zirkel zu entmachten, müssen wir daher in Opposition zum Königreich gehen. Das ist unsere einzige Chance. Wir müssen das Königreich an den Verhandlungstisch zwingen. Und dazu ist es notwendig, Druck aufzubauen.«
»Und wie machen wir das?«, wollte Red wissen.
Dexter atmete einmal tief durch. »Indem wir eine neue Rebellion anzetteln.«
Mit einem Mal redeten alle am Tisch durcheinander. Dexter ließ sie gewähren. Er wusste, sein Vorschlag war ein radikaler Schritt, doch er sah nicht, welche Alternative ihnen blieb. Es kehrte nur langsam Ruhe ein. Nachdem alle wieder schwiegen, musterte Oscar ihn scharf. »Ist dir eigentlich klar, was du da von dir gibst?«
Dexter musterte seinen alten Freund und Weggefährten eindringlich. »Ich habe mir das nicht leicht gemacht, Oscar. Aber wir für uns allein … das reicht einfach nicht. Wir brauchen Leute, Schiffe, Waffen und vor allem Geld.«
Oscar wechselte Blicke mit allen Anwesenden, bevor er sich erneut Dexter zuwandte. »Und was soll das bringen?«
»Man muss uns zuhören. Das wird man aber nicht, solange wir keine Größe sind, mit der man rechnen muss.«
Lennox Christian runzelte die Stirn. »Falls Sie mich für diesen aberwitzigen Plan gewinnen – und das ist ein großes Falls –, wo bekommen wir all das überhaupt her: die Schiffe, die Leute, die Waffen und das Geld? Wir sind mittellos, falls Sie sich erinnern. Unsere Konten sind bestimmt längst eingefroren und beschlagnahmt.«
Dexter lächelte in dem Bewusstsein, dass sein nächster Vorschlag erneut einen Sturm der Entrüstung auslösen würde. »Wir befreien Jennifer Fischer aus dem Gefängnis.«
Erneut brandete heftiger Widerstand auf und die Offiziere redeten alle durcheinander. Oscar Sorenson ließ es aber nicht eskalieren. Er schlug mehrmals mit der flachen Hand auf die Tischplatte, bis wieder Ruhe einkehrte.
Mit fassungsloser Mimik wandte er sich Dexter zu. »Ist dir eigentlich klar, wovon du da redest? Die Frau hat die erste Rebellion angeführt, die zu fast zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg führte. Sie ist eine Staatsfeindin.«
»Das sind wir jetzt auch«, meinte Dexter. Das stichhaltige Argument ließ alle Anwesenden schlagartig verstummen. Dexter verstand dies als Aufforderung zum Weiterreden. »Es gibt immer noch aktive Widerstandszellen und ehemalige Rebellen, die sich jetzt als Söldner und Piraten ihren Lebensunterhalt verdienen. Fischer hat Kontakte und könnte die versprengten Reste der letzten Rebellion wieder zusammenführen. Mit ihnen hätten wir den Grundstein, um in die Offensive zu gehen und endlich einmal selbst zuzuschlagen. Bisher haben wir immer nur reagiert und darauf gewartet, dass man uns in den Arsch tritt.« Dexter bemerkte die Skepsis ringsum. Er seufzte und schlug den Blick nieder. »Ich weiß«, lenkte er ein. »Gegen das Königreich zu kämpfen … damit fühlt sich keiner von uns wohl.« Necheyev grinste. »Ich korrigiere, damit fühlt sich kaum einer von uns wohl«, fügte Dexter hinzu. »Soweit möglich, werden wir nicht gegen königliche Einrichtungen und Verbände kämpfen, aber das Konsortium – der militärische Arm des Zirkels – ist jetzt tief im Königreich verankert. Gegen die müssen wir handeln. Wir müssen ihre Schiffe und Basen eliminieren und sie in die Defensive zwängen. Nur dann finden wir die Beweise, die wir brauchen, um der breiten Öffentlichkeit vor Augen zu führen, was hier wirklich vor sich geht.«
»Sie können aber nicht versprechen, dass wir uns nicht eines Tages vor den Geschützläufen der Royal Navy wiederfinden werden«, gab Christian zu bedenken.
»Nein, das kann ich nicht«, gab Dexter freimütig zu. »Diese Garantie kann niemand geben. Und ich will ganz ehrlich sein, es wird noch schlimmer, bevor es besser wird. Aber wenn wir die Kontrolle des Zirkels über das Königreich brechen wollen, ist das der beste Ansatz. Legitime Angriffsziele werden vor allem die Grafschaften Rayat und Onbele sein. Diese zwei Systeme haben es überhaupt ermöglicht, dass das Konsortium zur militärischen Bedrohung wurde. Sie müssen irgendwie mit dem Zirkel in Verbindung stehen. Ich wäre nicht überrascht, wenn diese beiden Grafschaften ein wichtiger Teil ihrer militärischen und administrativen Infrastruktur wären.«
Oscar rieb sich die Hände aneinander, während er angestrengt nachdachte. Als er aufsah, blitzten seine Augen. »Ich nehme an, du hast einen Plan, was Fischers Befreiung angeht?«
Dexter nickte. »Fischer sitzt an Bord der Asylum. Präsident Saizew gab mir zum Abschied ein Geschenk.« Er holte einen Datenträger aus der Uniformjacke und steckte diesen in eine eigens dafür vorgesehene Vertiefung am Tisch. Augenblicklich wurde das Hologramm eines Schiffes über den Tisch projiziert.
Necheyev sog scharf die Luft ein, als ihr die schieren Ausmaße des Gefängnisraumers bewusst wurden. »Das verdammte Ding ist ja riesig«, hauchte sie.
Dexter nickte. »Sie misst vom Bug bis zum Heck acht Kilometer. Die Asylum ist sowohl Gefängnis- als auch Fabrikschiff. Mit ihr werden Rohstoffe in Asteroiden abgebaut und das Roherz wird gleich auf dem Schiff raffiniert und veredelt, sodass es fertig zur Weiterverarbeitung ist. Heute wissen wir, dass die Asylum mehr vom Zirkel als vom Königreich selbst kontrolliert wird. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt befinden sich etwa dreitausendfünfhundert Häftlinge an Bord sowie achthundert Mann Besatzung und etwa tausend schwer bewaffnete Wachen. Die meisten derzeitigen Gefangenen werden Bürgerkriegssoldaten sein, die auf der falschen Seite standen. Der Zirkel nutzt die Asylum, um politische Gegner, Dissidenten und Menschen von Interesse wegzusperren, sie aber bei Bedarf trotzdem verfügbar zu haben.«
Dexter holte kurz Luft. Die Erinnerungen an seine Zeit auf der Asylum überfluteten ihn. Szenen der Grausamkeit liefen vor seinem inneren Auge ab. Schlafentzug, Isolierung in Einzelhaft sowie Schläge durch die brutalen Wachen waren an Bord dieses Schiffes an der Tagesordnung. Individualität oder Widerstand jeglicher Art wurde nicht toleriert. Er schluckte schwer.
»Die Asylum ändert einmal pro Woche die Position. Der Flugplan ist nur einer kleinen, sehr illustren Gruppe von Personen bekannt. Gregory Saizew gehörte dazu.« Bei der Erwähnung des Namens seines Vaters schlug Red betroffen die Augen nieder, während Dexter fortfuhr. »Die Asylum wird einmal pro Monat angeflogen. Neue Gefangene werden an Bord gebracht und das raffinierte Erz wird weggeschafft. Es wird sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken zugeführt.«
Dexter betätigte einen Schalter und der Grundriss der Asylum wurde ersetzt durch eine Sternkarte, durch die eine rote Linie führte. »Die Asylum bewegt sich ausschließlich außerhalb des Königreichs. Das ist rechtsfreier Raum. Dort können die Verantwortlichen tun, was immer sie wollen. Einen namenlosen Gefangenen aus der Luftschleuse zu stoßen, kümmert dort kein Schwein. Würde die Öffentlichkeit je erfahren, was sich dort abspielt, wäre der moralische Aufschrei ohrenbetäubend.«
»Und so etwas erlaubt das Königreich?« Necheyev war fassungslos.
Oscar schnaubte. »Vergessen Sie nicht, dass Ihr Präsident davon wusste und die Asylum auch auf seinem Hoheitsgebiet tolerierte. Die wenigsten Menschen sind ohne Schuld.«
Necheyev presste die Lippen aufeinander, schwieg aber. An die Verantwortung ihres eigenen Staatsoberhauptes erinnert zu werden, schmeckte ihr nicht besonders.
Oscar ließ es dabei bewenden. Er deutete auf das Hologramm des Flugplans. »Dieses verdammte Ding ist eine Festung. Die Frage ist: Wie knacken wir sie?«
Schweigen breitete sich aus, als alle Anwesenden über die Problematik nachdachten. Das war in der Tat ein schwieriger Punkt.
»Wir schleusen jemanden ein«, meinte Lennox Christian schließlich.
Dexter schüttelte den Kopf. »Das wird nicht funktionieren. Besatzungsmitglieder und Wachen sind handverlesen und der überwiegende Teil gehört vermutlich zum Zirkel. Zumindest müssen wir davon ausgehen. Es ist unmöglich, dort jemanden reinzubringen. Die vorherige Sicherheitsüberprüfung würde ihn zwangsläufig enttarnen.«
»Ich hatte auch nicht daran gedacht, jemanden als Wache einzuschleusen.«
Dexter sah mit hochgezogenen Augenbrauen auf. »Als Häftling also?« Er überlegte. »Nun, das ist mit Sicherheit leichter denn als Wachmann. Aber es wird schwieriger, ihn wieder rauszubringen.«
Oscar leckte sich über die Lippen. »Es wäre sinnvoll, jemanden dort reinzubringen, der sich mit den Gegebenheiten auskennt.«
Dexter benötigte einen Augenblick, um zu erkennen, worauf Oscar hinauswollte. Er sah sich unter den Anwesenden um. Ihre Blicke lagen vielsagend auf seiner Person. Er riss die Augen auf und lehnte sich zurück.
»Auf keinen Fall!«, wehrte er ab.
»Dexter …«, begann Oscar.
Doch Dexter ließ ihn gar nicht erst ausreden. »Nein!«, begehrte er auf. »Ich habe dort Jahre meines Lebens verbracht. Nichts und niemand bringt mich wieder dort hinein. Auf keinen Fall!«
»Du wirst tun, was ich dir befehle!«, erwiderte Oscar unnachgiebig in hartem Tonfall.
Dexter schnaubte. »Ich werde jeden Befehl von dir buchstabengetreu ausführen. Darauf kannst du dich verlassen – bis auf diesen einen. Ich gehe nicht mehr auf die Asylum zurück. Nie wieder!«
Oscar wollte schon aufstehen, um seine Autorität zu unterstreichen, doch ein Einwand hielt ihn zurück. »Ich mache es.«
Alle Augen richteten sich auf Lennox Christian, der die Blicke ungerührt erwiderte. »Ja, ich mache es. Ich gehe auf dieses Schiff. Und ich nehme Barrera mit.«
Oscar setzte sich wieder. »Sind Sie sicher?«
Dexter war ob dieser Bemerkung etwas verärgert. Von ihm selbst hatte Sorenson vorausgesetzt, er solle auf jeden Fall gehen. Bei Christian fragte er nach, ob dieser das wirklich auf sich nehmen wolle.
Der Marine-Colonel nickte. »Jemand muss es tun und es wäre gut, wenn es jemand ist, der sich in Guerillakriegsführung und sowohl in der Bekämpfung als auch im Anzetteln von Aufständen auskennt. Auf einen Flottenoffizier trifft das nicht zu.« Christian schenkte Dexter einen mitfühlenden Blick. »Außerdem verstehe ich den Commodore. Niemand, der diese Hölle einmal überlebt hat, würde dorthin zurückkehren wollen.«
Dexter erwiderte mit steinerner Miene das Nicken.
Red seufzte. »Nun, dann wissen wir, was wir machen, aber wie kriegen wir Barrera und Sie auf dieses Schiff?«
Dexter brauchte nicht lange zu überlegen. »Sie beide kehren ins Königreich zurück«, sprach er Christian an. »Und das lassen wir durchsickern. Man wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Sie festzunehmen.«
»Und wenn man die beiden kurzerhand tötet?«, gab Melanie zu bedenken. Sie wirkte von dem ganzen Plan nicht überzeugt.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, meinte Dexter. »Der Zirkel will uns. Und sowohl Christian als auch Barrera ist eine Ressource auf dem Weg dorthin. Der Zirkel verschwendet keine Ressourcen. Genauso wenig wird man sie in ein königliches Militärgefängnis bringen. Das erregt zu viel Aufmerksamkeit, nicht zuletzt in der Öffentlichkeit. Die Asylum ist die logische Wahl. Man wird die beiden dorthin bringen, um sie zu befragen und den Standort unserer Flotte zu erfahren.« Dexters Blick richtete sich erneut auf Christian. »Das wird nicht angenehm.«
»Ich habe schon Schlimmeres erlebt«, meinte dieser achselzuckend.
»Nein, haben Sie nicht«, gab Dexter zurück.
Bevor Christian darauf etwas erwidern konnte, meldete sich Oscar wieder zu Wort. »Na schön, dann belassen wir es vorerst dabei. Dexter? Ich gehe davon aus, dass du im Vorfeld der Operation Christian alles erzählst, was du über die Asylum und den Ablauf an Bord weißt.«
Dexter nickte.
Oscar sah sich abermals um. »Damit wäre die Besprechung für den Moment erledigt. Wir treffen morgen wieder zusammen, um die Mission im Einzelnen zu besprechen.«
Die Menge löste sich auf und strebte dem Ausgang entgegen. Dexter hatte es sehr eilig, aus dem Besprechungsraum zu kommen. Im Augenwinkel bemerkte er, wie Oscar ihn düster musterte, und er hatte keine Lust, sich auf ein Streitgespräch mit seinem Vorgesetzten einzulassen.
Dexter kehrte umgehend in sein Quartier zurück und begab sich sofort ins Bad. Er hatte das unangenehme Gefühl, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Die Erinnerungen an seine Zeit auf der Asylum hatten ihn zutiefst verstört. Er wartete mit dem Kopf über der Toilettenschüssel, aber das Gefühl ging vorbei.
Er war lange genug beim Militär, um die Anzeichen einer Panikattacke zu erkennen, wenn er eine sah. Seine Stirn war schweißnass und er atmete nur stoßweise. Dexter wandte eine Atemtechnik an, die man den Offizieren auf der Akademie beibrachte, um einem solchen Gefühlschaos entgegenzuwirken. Er atmete langsam ein und zählte dabei bis vier. Anschließend stieß er seinen Atem aus und zählte auch dabei bis vier. Diesen Vorgang wiederholte er so lange, bis sich sein Verstand geklärt und sein Herzschlag normalisiert hatte. Er erhob sich und atmete noch mehrmals tief aus und ein. Anschließend hielt er einen Waschlappen unter kaltes Wasser und wischte sich damit das Gesicht ab. Als er in das Wohnzimmer seines Quartiers zurückkehrte, wurde er bereits erwartet.
Oscar Sorenson saß auf einem Sofa und musterte ihn eingehend. »Na? Besser?«, fragte er kurz angebunden.
Dexter warf einen schnellen Blick zur geschlossenen Tür. »Von Privatsphäre hältst du wohl nicht viel?«
»Ich habe mehrmals geklopft«, versuchte sich Oscar an einer Rechtfertigung. »Du hast mich wohl nicht gehört und ich habe das Schloss überbrücken lassen.« Er grinste. »Privilegien des kommandierenden Offiziers.«
»Das merke ich mir«, gab Dexter zurück und setzte sich Oscar gegenüber.
Dieser wurde schlagartig ernst. »Du hast mich heute enttäuscht.«
Dexter schnaubte. »Weil ich nicht wieder zurück auf dieses dreimal verdammte Schiff wollte?«
Oscar legte den Kopf leicht auf die Seite. »Ich hätte mehr von dir erwartet.«
Dexter runzelte verärgert die Stirn. »Wenn du so scharf darauf bist, dann geh doch selbst.«