Sleepless - Brennender Himmel - Andreas Brandhorst - E-Book

Sleepless - Brennender Himmel E-Book

Andreas Brandhorst

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Beschreibung

Globales Unheil bahnt sich an. Die Welt, wie wir sie kennen, bricht auseinander. Die E-Book-Reihe zur Hörbuch-Serie von Bestsellerautor Andreas Brandhorst Carolin Alberts erinnert sich kaum noch an die Person, die sie einmal war. Inzwischen ist sie durch und durch von Ehrgeiz getrieben, die wirtschaftliche und politische Macht ist zu ihrem Lebenselixier geworden. Auch für Hauptkommissar Alexander Rieker gibt es nach der Einnahme des Medikaments Sleepless kein Zurück in sein früheres Leben. Es gelingt ihm, Verbündete bei der neuen Elite zu finden, die sich von Carolin bedroht fühlt. Um Carolins Macht zu brechen, lockt Rieker sie in eine Falle und stellt sie zu einem letzten Duell ...

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Seitenzahl: 132

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Textnachweis:

»9043. Sie sind noch nicht Alle schlafen«, aus: Karl Simrock, Die deutschen Volksbücher. Band 5, S. 426. © Druck und Verlag von Heinr. Ludw. Brönner, Frankfurt am Main 1846.

 

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München), mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: DEEPOL by plainpicture/Andrew Brookes

 

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Inhalt

Cover & Impressum

7. Folge

Brennender Himmel

Was bisher geschah

1.

Alexander Rieker

2.

3.

4.

Carolin Alberts

5.

6.

7.

Oskar Brois

8.

Alexander Rieker

9.

10.

11.

12.

Carolin Alberts

13.

14.

Alexander Rieker

15.

16.

17.

18.

19.

Carolin Alberts

20.

Alexander Rieker

21.

22.

23.

24.

25.

Carolin Alberts

26.

Alexander Rieker

27.

28.

29.

30.

31.

Epilog

7. Folge

Brennender Himmel

Sie sind noch nicht Alle schlafen, die heute eine böse Nacht haben sollen.

Karl Simrock, Deutsche Sprichwörter. 9043.

Was bisher geschah

Die Firma Harmony, Entwickler und Produzent von Lifestyle-Medikamenten zur Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit, hat mit der Smart Drug »Sleepless« einen Riesenerfolg erzielt und ist von einem kleinen Start-up in Hamburg zu einem internationalen Unternehmen geworden. Wer Sleepless nimmt, bleibt immer wach und frisch, ohne müde zu werden – die Nacht ist als aktive Lebenszeit gewonnen. Immer mehr Menschen nehmen das Mittel, die Welt kommt nicht mehr zur Ruhe. Männer und Frauen arbeiten länger oder genießen die zusätzliche Freizeit – ein neuer wirtschaftlicher Boom hat begonnen, die Gesellschaft verändert sich.

Für den Erfolg ihres Unternehmens geht Carolin Alberts, Inhaberin von Harmony, im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Mithilfe von Ranazol, einer speziellen Substanz aus dem Laboratorium von Harmony, bringt sie Gilbert Fournier um, der im Auftrag des internationalen pharmazeutischen Konzerns Kruither & Voch die Übernahme von Harmony verhandeln sollte. Er fand heraus, dass Sleepless gefährlich sein kann, und wollte Carolin mit Erpressung zwingen, das Angebot von Kruither & Voch anzunehmen. Carolin glaubt, dass sein Tod – scheinbar ein Herzinfarkt – all ihre Probleme löst, aber der Gerichtsmediziner Kroge stellt bei der Obduktion fest, dass es sich um Mord handelt.

Kommissar Rieker von der Hamburger Mordkommission untersucht einige Todesfälle, die offenbar mit Sleepless in Zusammenhang stehen. Unterstützt wird er von seiner Hacker-Freundin Black Lily. Sie finden Hinweise darauf, dass Carolin Alberts für den Tod von Gilbert Fournier verantwortlich ist. Rieker spricht mit Noah Gunnason darüber, Carolins idealistisch eingestelltem Partner und Kompagnon, der sich von Sleepless nicht in erster Linie viel Geld, sondern vor allem eine bessere, lebenswertere Welt erhoffte. Der findet bei Nachforschungen heraus, dass das Ranazol tatsächlich aus Harmonys Laboratorium stammt, und sammelt Unterlagen, die die Gefährlichkeit von Sleepless beweisen und Carolin als Mörderin entlarven können. Er gibt sie einem Notar zur Aufbewahrung – im Fall seines Todes sollen sie Kommissar Rieker übergeben werden.

Unterdessen wird Brois – ehemals Innensenator von Hamburg und vor einigen Monaten in einen Immobilienskandal verwickelt, den Alexander Rieker ans Licht brachte – aus der Haft entlassen und trifft sich mit einflussreichen Freunden und Unterstützern, die offenbar mit einer geheimnisvollen Organisation namens »Zeta« in Verbindung stehen. Brois nimmt Sleepless und schmiedet zusammen mit seinen Freunden Pläne für die Zukunft. Er will bei den nächsten Wahlen Erster Bürgermeister von Hamburg werden und in zwei Jahren als Oberhaupt einer neuen Bewegung namens »Bund für Deutschland« für das Amt des Bundeskanzlers kandidieren. Und er will sich an Rieker rächen, der ihn ins Gefängnis brachte.

Carolin erfährt von den Unterlagen, die Noah beim Notar Alsen hinterlegt hat, und zwingt den Notar, ihr das Material auszuhändigen. Damit ist das Problem, das Noah für sie darstellt, zunächst gelöst. Anders sieht es mit Kommissar Rieker aus, von dem sie sich immer mehr unter Druck gesetzt fühlt. Sie wendet sich an Brois, der dafür sorgt, dass Rieker in Verdacht gerät, ihn anonym bedroht und die Bremsen seines Wagens manipuliert zu haben. Rieker wird daraufhin vom Dienst suspendiert.

Doch damit nicht genug. Als Riekers Ex-Frau Daniela im Sterben liegt – sie erlitt einen Schlaganfall, den Rieker auf Sleepless zurückführt –, stellt ihm Brois eine Falle, zeichnet heimlich ein Gespräch mit dem Kommissar auf und bastelt daraus Sätze, die Rieker noch mehr kompromittieren. Dessen Vorgesetzter Kowalski, Leiter der Mordkommission, und der zu Zeta gehörende Polizeipräsident Mierhoff kündigen ihm daraufhin die Entlassung aus dem Polizeidienst an.

Rieker versucht, den Bericht über die Gefährlichkeit von Sleepless und Gilbert Fourniers Ermordung zu vervollständigen, an dem er wochenlang mit seiner Freundin Lily gearbeitet hat, als sich plötzlich Noah Gunnason meldet und genau die Informationen anbietet, die Rieker noch fehlen. Er trifft sich mit Noah, der von Carolin in einem »Institut« untergebracht wurde, denn nachdem er Sleepless abgesetzt hat, leidet er an geistiger Verwirrung und schläft immer länger, mehr als zwanzig Stunden pro Tag. Mit dem Beweismaterial, das er von Noah Gunnason erhält, kann Rieker endlich den Bericht über Sleepless und den Mord an Gilbert Fournier vervollständigen. Er legt ihn Kowalski vor, doch der wirft Rieker aus seinem Büro, und der zu Zeta gehörende Polizeipräsident lässt den Bericht verschwinden.

Als Rieker in Lilys Wohnung zurückkehrt, um die Dateien des Berichts auf USB-Sticks und SD-Karten zu kopieren, erwartet ihn ein Unbekannter, der auf ihn schießt. Rieker wird schwer verletzt und schafft es gerade noch, seine Assistentin Charlotte zu verständigen.

Oskar Brois und sein »Bund für Deutschland« gewinnen wenige Tage später die Bürgerschaftswahl in Hamburg, und er und Carolin fühlen sich in jeder Hinsicht als Sieger und sind davon überzeugt, dass ihnen die Zukunft gehört. Wenn da nicht Rieker und Noah wären – der eine hat die Schussverletzungen überlebt, und der andere ist spurlos verschwunden.

Carolin Alberts und Oskar Brois beschließen, beiden eine Falle zu stellen: Sie wollen ihnen eine vermeintliche Gelegenheit geben, sich an die breite Öffentlichkeit zu wenden. Zu diesem Zweck veranstalten sie ein Fest aus Anlass des Baubeginns der neuen Firmenzentrale, ein großes Medienereignis, zu dem nationale und internationale Journalisten, das Fernsehen, Blogger und Influencer eingeladen sind.

Noah, der sich in einem Kloster versteckt hat, erfährt von dem Fest und wendet sich an Rieker. Gemeinsam tragen sie Daten zusammen und bereiten ein Video vor, das sie bei dem Fest live übertragen und ins Internet streamen wollen. Mit Charlottes Hilfe gelangen sie unerkannt aufs Festgelände und schaffen es bis ins Mediazentrum – dort schnappt die Falle zu.

Charlotte und Noah werden erschossen, aber Lily, die offenbar über Verbindungen zum Geheimdienst verfügt, verhilft Rieker zur Flucht. An einem sicheren Ort überdenken sie die Situation und kommen zu dem Ergebnis, dass sie »aufrüsten« müssen, um Carolin Alberts, Oskar Brois und ihre Verbündeten von Zeta zu schlagen – ihnen bleibt keine andere Wahl, als Sleepless zu nehmen, um ebenso schnell zu denken wie ihre Widersacher und ebenso viel wache Zeit zu haben.

1.

Alexander Rieker

Die Nordsee lag grau und glatt, in der Ferne halb von Dunst verhüllt. Die Umrisse eines Containerschiffs zeigten sich am Horizont, schwebend wie eine Fata Morgana.

Lily saß auf der Bank, als Rieker vom Joggen zurückkehrte. Einige Dutzend Meter entfernt grasten Schafe am Deich.

»Wie viel hast du heute geschafft?«, fragte sie. Schwarzer Pulli, schwarze Jeans, dunkelgraue Sneakers, die Fingernägel in Pearl Black, dunkler Lippenstift – eine Dark Lady, die ihn mit einem Lächeln voller Licht empfing.

»Sieben Kilometer.« Rieker öffnete den Rucksack auf der Sitzbank, entnahm ihm trockene Sachen und zog sich um.

»Du wirst besser«, sagte Lily. »Es geht aufwärts.«

»Aufwärts, ja«, brummte Rieker. »Wie bei einem Kletterer an einem steilen Berghang. Es ist anstrengend. Der nächste Marathon liegt noch in weiter Ferne.«

»Aber Sleepless scheint zu helfen.«

»Vielleicht. Ein bisschen.« Rieker blinzelte, obwohl der Tag grau war wie die See. Lily bemerkte es.

»Wann ist es wieder so weit?«, fragte sie.

Er stand für einen Moment mit bloßem Oberkörper, in der Hand ein sauberes Hemd. »Es fühlt sich nach etwa einer Stunde an.« Während der vergangenen Wochen hatte er gelernt, die Zeichen zu deuten: das Gefühl einer kleinen Leere in der Magengrube und ein leichtes Prickeln zwischen den Schulterblättern, als befände sich dort die Tür, die gelegentlich für ihn aufschwang.

»Dann bleibt uns genug Zeit.« Lily deutete über den Deich zum kleinen Parkplatz, der bis eben leer gewesen war und auf dem jetzt eine schneeweiße Limousine stand. »Wir kriegen Besuch.«

Rieker bemerkte einen Mann, der die Treppe zum Deich hochstieg. Die Entfernung betrug noch etwa hundert Meter, aber mit seiner verbesserten Wahrnehmung sah er ihn fast so deutlich, als stünde er direkt vor ihm: Ende sechzig, das ernste Gesicht von Falten durchzogen, die Augen klar. Er war zweifellos nicht mehr der Jüngste, doch seine Bewegungen hatten etwas Kraftvolles und Elastisches, das bei anderen Männern seines Alters fehlte.

Lily sah auf die Uhr. »Das ist Henning. Pünktlich wie immer.«

»Bist du sicher, dass wir ihm trauen können?« Rieker streifte das Hemd über und knöpfte es zu.

»Er hat mich in Hamburg aus der Untersuchungshaft geholt«, antwortete Lily.

»Er hat dich auch nach Frankfurt gebracht, fort von mir.«

Sie beobachteten, wie der Mann über den Deich schritt.

»Ich kann von Glück sagen, dass du rechtzeitig zurückgekehrt bist«, fügte Rieker hinzu. »Andernfalls wäre ich ebenso tot wie Charlotte und Noah.«

Das von Carolin Alberts und ihrem neuen Partner Oskar Brois veranstaltete Fest aus Anlass des Baubeginns der neuen Firmenzentrale von Harmony war eine sorgfältig vorbereitete Falle gewesen. Rieker verdankte sein Leben allein dem Umstand, dass Lily im letzten Augenblick wie ein rettender Engel erschienen war. Was zu ihrem richtigen Namen passte – Viktoria Engel.

»Aber deine Rückkehr ist nicht unbedingt Hennings Verdienst, wenn ich das richtig verstehe«, sagte Rieker. »Er wollte, dass du in Frankfurt bleibst.«

Lily seufzte. »Es gibt noch eine Welt außerhalb von uns beiden.«

Rieker nickte. »Sie ist sogar ziemlich groß. Welcher Geheimdienst schickt ihn?« Er sah Lily an. »Für welchen arbeitest du?«

Im Lauf der letzten Wochen in ihrem »Safe House« hatte er dieses Thema immer wieder angeschnitten, meistens in einem scherzhaften Ton, damit sich Lily nicht zu sehr unter Druck gesetzt fühlte. Sie war ihm stets ausgewichen, was bedeutete: So viel sie auch verband, es gab ein letztes Geheimnis zwischen ihnen.

»Ich habe Freunde«, sagte Lily. »Auf die noch immer Verlass ist.«

Henning Bruckner, der Mann vom Geheimdienst – von welchem auch immer –, erreichte die Bank und begrüßte sie mit einem Nicken. »Geht es Ihnen beiden gut?«

»Ja«, antwortete Lily.

»Den Umständen entsprechend«, sagte Rieker und versuchte erneut, einen Eindruck von dem Mann zu gewinnen, dem Lily offenbar vertraute. Manchmal schien es ihm, dass Sleepless kleine Fenster in seinem Innern geöffnet hatte, durch die er mehr sah, als die sogenannten Schläfer mit ihren gewöhnlichen Augen sehen konnten. Zum Beispiel die ältere Frau im kleinen Dorfladen, die Lily für eine Gothic hielt. Wenn er sie ansah und auch die inneren Augen öffnete, die Sleepless ihm gegeben hatte, glaubte er, ihre Gedanken lesen zu können wie die nicht immer deutliche Schrift eines unsauber gedruckten Buchs.

Bei Henning Bruckner erlebte er nichts dergleichen. Wenn man sein faltiges Gesicht mit einem Buch vergleichen wollte, so blieb es geschlossen und ohne Titel. Es war keine kühle, Distanz wahrende Maske. Immer wieder erschien ein freundliches Lächeln darin, aber es verriet nichts, es gewährte keinen Blick dahinter.

»Wann können wir zurück?«, fragte Rieker.

Bruckner schüttelte den Kopf. »Eine Rückkehr nach Hamburg kommt für Sie nicht infrage. Ganz im Gegenteil.« Er setzte sich neben Lily auf die Bank, öffnete seinen schwarzen Aktenkoffer, der gut zur Dark Lady neben ihm passte, und entnahm ihm einen Umschlag. »Darin ist alles, was Sie brauchen. Personalausweise. Reisepässe. Zwei Flugtickets für einen Flug von Amsterdam nach Lissabon und zwei Girokarten für den Zugriff auf ein gemeinsames Konto bei der Banco de Portugal.«

Lily nahm den Umschlag und legte ihn ungeöffnet auf ihren Schoß.

»Sind die Pässe echt oder gefälscht?«, fragte Rieker.

»Sie sind natürlich echt«, antwortete Bruckner. »Ebenso wie die Personalausweise. Ihre Daten befinden sich in allen relevanten Datenbanken. Die Bundesrepublik Deutschland hat zwei neue Bürger bekommen.«

»Ohne Geburt oder Einwanderung«, sagte Rieker. »Erstaunlich. Warum können wir nicht nach Hamburg zurück?«

»Weil Sie gesucht werden.« Henning Bruckner blickte übers Meer, wirkte ruhig und entspannt.

»Von Carolin Alberts, Oskar Brois und ihren Zeta-Freunden, nehme ich an.«

Bruckner nickte. »Und von ihren Beauftragten. Womit ich insbesondere Jascha Babić und Lukas meine, von dem wir leider nur den Vornamen kennen.«

»Lassen Sie mich raten …« Riekers Gedanken sprangen und tanzten. »Sie sprechen von den Männern, die uns im Tech-Container auf dem Festplatz aufgelauert haben. Dieselben Männer, die Hannibal erschossen haben, Lilys Entführer, und die es auch auf sie abgesehen hatten.«

Bruckner nickte erneut.

»Die Agentur«, sagte Lily.

»Ja«, bestätigte der Mann neben ihr auf der Sitzbank. »Sie müssen untertauchen. Wir brauchen Sie noch.«

»Ach«, kommentierte Rieker. »Und wer ist ›wir‹?«

»Freunde«, sagte Lily.

»Freunde«, wiederholte Bruckner.

»Schön, dass es noch Freunde gibt.« Rieker stopfte seine feuchten Laufsachen in einen Beutel. »In letzter Zeit hatte ich da so meine Zweifel.«

»Die durchaus berechtigt sind«, erklärte Bruckner. »Ich fürchte, bald werden Sie noch weniger Freunde haben. Sie sind nicht mehr nur vom Polizeidienst suspendiert, sondern aus dem Beamtenverhältnis entlassen, Herr Rieker. Vielleicht wird in diesen Minuten sogar ein Haftbefehl für Sie ausgestellt.«

»Was legt man mir zur Last?«, fragte Rieker. »Noch am Leben zu sein?«

»Man bringt Sie und Frau Engel mit dem gewaltsamen Tod von Noah Gunnason und Charlotte Matthiessen in Verbindung«, sagte Bruckner. »Sie erscheinen auf Bildern von Überwachungskameras, und es gibt mindestens zwei Augenzeugen, die beobachtet haben, wie Sie vom Festplatz geflohen sind.«

»Na, das wird Stobbe freuen«, meinte Rieker. »Er hat eine Vorliebe dafür, Unschuldige hinter Schloss und Riegel zu bringen. Ist einfacher, als den wahren Schuldigen überführen zu müssen.«

Er spürte, wie sich das flaue Gefühl in der Magengrube ausbreitete und das Kribbeln zwischen den Schulterblättern zunahm. Vielleicht blieb ihm tatsächlich weniger als eine Stunde. Manchmal beschleunigten Stress und Anspannung den Übergang.

»Es sieht übel aus, nicht wahr?«, wandte sich Lily an den Mann neben ihr.

Bruckner überlegte kurz. »Kommt darauf an, wie man die Sache sieht. Sie haben uns dabei geholfen, wichtige Informationen zu bekommen, und wir werden dort weitermachen, wo Sie aufgehört haben.« Er stand auf. »Bleiben Sie versteckt und in Bereitschaft, bis Sie von uns hören.«

»Und wann hören wir von Ihnen?«, wollte Rieker wissen.

»Es kann dauern«, entgegnete Bruckner. »Wochen oder Monate.«

»Hoffentlich nicht Jahre.«

»Haben Sie Geduld.« Henning Bruckner winkte kurz, wandte sich um und ging wie ein Spaziergänger über den Deich.

Rieker sah ihm nach und beobachtete, wie Bruckner nach hundert Metern die Treppe erreichte, auf dem Parkplatz weiter unten in seinen weißen Wagen stieg und losfuhr.

Lily blickte auf den ungeöffneten Umschlag. »Lissabon. Soll eine schöne Stadt sein. Wollte ich mir immer schon mal ansehen.«

Rieker spürte, wie ein Zittern Knie und Hände erreichte.

»Aber nicht sofort.« Er griff nach dem Rucksack. »Zuerst nach Hause. Es geht bald los.«

2.

Ein schiefer, verwitterter Zaun umgab das alte Steinhaus ein Stück außerhalb des Dorfes. Er schien zu glühen, als sie das kleine Tor erreichten, und für Riekers veränderten Blick stiegen an mehreren Stellen Funken auf, emporgetragen von einem heißen Wind.