So bin ich – und du bist anders (Leben Lernen, Bd. ?) - Klaus Blaser - E-Book

So bin ich – und du bist anders (Leben Lernen, Bd. ?) E-Book

Klaus Blaser

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Beschreibung

Beziehungen bewusst gestalten Meist reagieren wir auf unsere Mitmenschen, ohne uns im Klaren zu sein, was sich im Austausch gerade abspielt. Missverständnisse und Grenzüberschreitungen gehören unweigerlich zu dieser unreflektierten Kommunikationsform, die uns häufig enttäuscht und verwirrt zurücklässt. Das Buch hilft dabei, die Beziehungsdynamik zwischen Partnern, Kindern und Eltern, Familienangehörigen, Freund:innen oder Kolleg:innen im Augenblick der Begegnung besser zu verstehen. Wenn wir die eigenen Reaktionen bewusst verändern, führt dies auch beim Gegenüber zu veränderten Gefühlen und Interaktionen. Zentral ist dabei, die eigenen Grenzen und die Grenzen des anderen wahrnehmen und achten zu lernen. Wie das geht, erzählen die vielen präzisen, gut nachvollziehbaren Beispiele. Begegnungen können wir genießen, wenn wir den eigenen Raum und den Raum des anderen achtsam spüren.

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Seitenzahl: 197

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Cover for EPUB

Klaus Blaser

So bin ich – und du bist anders

Achtsam Grenzen setzen in Partnerschaft, Familie und Beruf

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Weiß-Freiburg GmbH

unter Verwendung einer Abbildung von © kupicoo /iStock by Getty Images

Illustrationen auf Seite 40 und 42: Shiva Asemi; https://shivaasemi.com

Abbildung auf Seite 19: Michelle Blaser

Gesetzt in den Tropen Studios, Leipzig

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN978-3-608-86083-2

E-Book ISBN978-3-608-12075-2

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20625-8

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Kapitel 1 Achtsamkeit üben

Kapitel 2 Unser psychischer Innenraum

Kapitel 3 Wie Ich-Fremdes von mir erkannt wird

Kapitel 4 Behutsames Wahrnehmen

Kapitel 5 Ehren und achten

Kapitel 6 Wenn wir für andere mittragen

Kapitel 7 Die Tragweite des Unerträglichen

Kapitel 8 Wenn die Arbeit zur Last wird

Kapitel 9 Der zwischenmenschliche Austausch

Kapitel 10 Ich spüre deine Grenze

Kapitel 11 Gutes an sich nehmen

Kapitel 12 Schutz und Sicherheit

Kapitel 13 Wir dürfen uns schützen

Kapitel 14 Zurückgeben im Jetzt

Kapitel 15 Das Rückgaberitual

Kapitel 16 Meine Gefühle gehören mir

Kapitel 17 Bitte gib es mir zurück

Kapitel 18 Schenken und Danken

Kapitel 19 Glück, Kraft und Segen spenden

Kapitel 20 Ist eine Grenzüberschreitung ein Trauma?

Kapitel 21 Helfen ohne mitzutragen

Kapitel 22 Das Land zwischen dir und mir

Kapitel 23 Wie Achtsamkeit zur Liebe führt

Kapitel 24 Zwischen Himmel und Erde

Kapitel 25 Den eigenen Weg gehen

Literaturverzeichnis

Ohne Grenze bin ich nirgends

Ich danke Elisabeth Gschwind, die das Manuskript korrigiert, die Texterfassung gemacht und auch sonst meinem Buch große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Gerne danke ich auch Hanno Niemeyer und Daniel von Orelli, die mir mit wichtigen Hinweisen geholfen haben und mir mit freundschaftlicher Unterstützung zur Seite gestanden sind. Meinen Eltern, die mich in die Welt hinausbegleitet und großgezogen haben, sei dieses Buch in liebevoller Verehrung gewidmet.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Substantiven in diesem Buch die männliche oder weibliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Vorwort

Seit dieses Buch vor 15 Jahren erstmals erschienen ist, hat sich in der Öffentlichkeit ein zunehmendes Bewusstsein in Bezug auf das Thema Grenzen entwickelt.

Denken wir an Grenzen, denken wir primär an Schutz und an Trennung. Doch Grenze ist eine Grundkategorie der conditio humana, eine universale, unabdingbare Voraussetzung beim Wahrnehmen und Bezeichnen, beim Denken und Handeln (Demandt 2020). Begrenzung ermöglicht die Erkenntnis von Formen und Gestalten. Überall da, wo Unterscheidung erforderlich ist: Wo beginnt das andere? Überall da, wo Trennung erfolgt: Wo liegt die Scheidelinie? Überall da, wo Steigerung möglich ist: von wo aus bis wohin? Überall da, wo Verneinung geschieht: Wie weit gilt ein Begriff? Da wird eine Grenze vorgefunden, vermutet oder gesetzt (Demandt 2020).

Schauen wir auf das vergangene Dezennium zurück, sehen wir, dass Staats- und Landesgrenzen zu heftigen Disputen und viel Leid geführt haben. Denken wir nur an die Migrationsdiskussionen von 2015 zurück oder an die politischen Debatten über die amerikanisch-mexikanische Grenze. Seit Februar 2022, als die ukrainische Landesgrenze unerlaubt militärisch überschritten wurde, werden wir in den Medien fast stündlich mit den Konsequenzen konfrontiert.

Auf zellulärer Ebene haben wir in den letzten drei Jahren zu spüren bekommen, wie das Eindringen eines Virus’ in die menschliche Zelle, trotz schutzgebender Membranen, fähig ist, die Welt auf den Kopf zu stellen. Das Coronavirus hat sich über alle Landesgrenzen hinaus pandemisch ausgebreitet und Politiker und Gesundheitssysteme an ihre Grenzen gebracht. Wir wurden plötzlich mit der eigenen, unausweichlich letzten Lebensgrenze im Abendjournal, in den »breaking news« konfrontiert. Hygienemaßnahmen, Lockdowns und Impfungen zeigten gnadenlos die Grenzen der Gesellschaft auf.

Doch auch die mentalen Grenzen standen in den letzten Jahren immer wieder im Mittelpunkt. Die »MeToo«-Bewegung sorgte für ein Umdenken und auch die »Black Lives Matter«-Bewegung führte zu einer Grenzverschiebung. Auch im Genderbereich scheinen wir gesellschaftlich in eine neue Phase eingetreten zu sein, in der Grenzen neu abgesteckt werden müssen. Bei der »Fridays for Future«-Bewegung geht es ebenfalls um Grenzen, die Grenzen der Flora und Fauna, des Wirtschaftswachstums, der Klimaerwärmung, der Umweltverschmutzung durch Nanoplastikpartikel usw. Es sind alles neue Grenzen, mit denen wir einen Umgang finden müssen.

Dieses Buch geht mit einem räumlichen zwischenmenschlichen Grenzmodell neue Wege und zeigt, dass jeder von uns einen eigenen psychischen Innenraum besitzt, den es zu schützen, zu pflegen und zu genießen gilt. Seit der Ersterscheinung des Buches hat sich das »Self-Boundary Awareness«-Konzept stark weiterentwickelt (Hinterberger et al. 2014; Blaser 2015; Blaser 2017). Ein 8-wöchiges Training zur Stärkung der eigenen Grenzen wurde ausgearbeitet, das inzwischen in mehreren Ländern angeboten wird (Blaser & Buchli-Kammermann 2017; Blaser 2020). Für Professionals im therapeutischen, pädagogischen und im Coaching-Bereich wurde eine spezielle Ausbildung aufgebaut (siehe u. a. www.horizologie.ch). Das Curriculum besteht aus drei masterclasses, eine vierte bietet die Möglichkeit zur Teacherausbildung an. Mit den dreidimensionalen Grenzvisualisierungen (Blaser 2014) wurden wichtige Erfahrungen gesammelt, und es wurden vor allem im Bereich der Traumatherapie erstaunliche Heilungsprozesse ermöglicht (Blaser 2011). Mit der sogenannten »vertikalen« dreidimensionalen Grenzvisualisierung wurde die Methode um eine transzendente Ebene erweitert (Blaser 2023). Dies konnte in einer kürzlich in Psychology and Consciousness veröffentlichten Studie aufgezeigt werden (Sohst et al. 2022).

Im vorliegenden Buch erhält der Leser mit der »Analogie des Inneren Gartens« eine neue Sprache, mit der interpersonelle Grenzdynamiken sichtbar und sagbar gemacht werden können. Es hat sich gezeigt, dass schon Kinder im Alter von fünf Jahren diese Sprache verstehen und lernen können. Die Kommunikation innerhalb des Familiensystems kann damit erheblich vereinfacht werden.

Nun wünsche ich Ihnen bei der Entdeckung dieser Grenzsprache viel Freude und viele neue Erkenntnisse. Das Thema der Ich-Grenze ist aktueller denn je.

Basel, im Oktober 2022

Möchten Sie mehr wissen und erfahren oder wollen Sie mir eine Rückmeldung geben oder eine Frage stellen, dann nehmen Sie über die Website www.horizologie.ch oder meine E-Mail-Adresse

([email protected]) mit mir Kontakt auf.

Einleitung

Müde und ausgelaugt kommen Sie nach Hause. Ein aufmunterndes Wort des Partners genügt, und schon sind Sie wieder frisch und fröhlich.

Ihre Freundin möchte Ihnen etwas ganz Persönliches anvertrauen. Sie öffnen sich, hören zu und fühlen sich nach dem Gespräch erschöpft und schwer.

Ihr Ehemann klopft an ihre Zimmertür und fragt, ob es erlaubt sei einzutreten. Er möchte sich für sein Verhalten am Vorabend entschuldigen. Seine Entschuldigung ist Balsam für Ihre Seele.

Ihr Freund stellt Ihnen eine Frage. Seine Frage löst bei Ihnen ein mulmiges Gefühl im Bauch aus. Gereizt versuchen Sie, ihm auszuweichen.

Ihr direkter Vorgesetzter gibt Ihnen eine kritische Rückmeldung. Sie stellen fest, dass etwas Eigenes, dem Chef Zugehöriges mitschwingt, etwas, das nichts mit einer objektiven Aussage zu tun hat. Eine Mischung von Wut und Machtlosigkeit wird spürbar.

Ein Freund erzählt Ihnen eine Anekdote. Sie lachen über seine lustige Geschichte und spüren eine unbeschwerte Leichtigkeit.

Wir reagieren auf unsere Mitmenschen, ohne uns bewusst zu sein, was genau sich im zwischenmenschlichen Bereich abspielt. Unsere Gefühle im Beisein von Dritten wechseln von einer Minute zur anderen, bewegen sich zwischen Extremen hin und her oder wiederholen sich, ohne dass wir uns darüber im Klaren sind, welchen Mechanismen sie dabei folgen. Wir glauben, machtlos der Beziehungsdynamik ausgeliefert zu sein oder versuchen verzweifelt, die Beziehung zu steuern, ohne dass die gewünschte Änderung eintritt.

Das vorliegende Buch soll Ihnen helfen zu verstehen, was zwischen Ihnen und Ihrem Kind, Partner oder Mitarbeiterin abläuft. Eigene Reaktionsformen werden nachvollziehbar und können bewusst geändert werden. Eigenes Agieren wird konstruktiv. Sie werden auf eine neue Weise die Beziehung friedvoll gestalten lernen und werden nicht mehr hilflos unklaren Wechselwirkungen ausgesetzt sein. Nicht nur rückwirkend werden Sie Beziehungsereignisse logisch rekonstruieren können, sondern, was noch viel wichtiger ist, im Moment selbst, im Augenblick des Geschehens, wird Ihnen bewusst, was zwischen Ihnen und Ihrem Gegenüber vor sich geht.

Beziehungen prägen das Leben. Beziehungen leben heißt, das Leben leben. Wir haben Beziehungen, die dauern fast ein ganzes Leben; Eltern – Kinder, Bruder – Schwester, Cousin – Cousine. Andere dauern meist viele Jahre: Ehe, Partnerschaft, Freundschaften. Manche Beziehungen hingegen sind flüchtig, sind zufällige Begegnungen, kurze Affären, Kundenkontakte.

Beziehungen werden bestimmt durch unsere Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung des Du. Wir können uns auf verschiedene Weisen selbst wahrnehmen, z. B. indem wir über unser Verhalten reflektieren, ein Tagebuch führen oder mit einer guten Freundin, einem guten Freund eine Situation besprechen. In diesem Buch steht die Selbstwahrnehmung »Im Jetzt« im Vordergrund. Wie gelingt es uns, im Moment der Zweisamkeit uns unserer Gefühle bewusst zu werden? Wie können wir achtsam sein und gleichzeitig mit einem Mitmenschen in Beziehung treten? Wir werden der Frage nachgehen, wie es uns gelingen kann, mit Achtsamkeit eine freudvolle Beziehung zu gestalten.

Wenn wir »bei uns« sind, gesammelt sind, sind wir uns unserer Grenzen bewusst und erleben gleichzeitig, was sich innerhalb dieser Grenzen abspielt. Dies bedeutet, es gibt einen inneren Raum, in dem ein Teil der Beziehung gelebt wird. In diesem psychischen Innenraum finden Austausch, Neuordnung, Entfaltung und Wachstum statt, die für unser Wohlbefinden und unsere Entwicklung entscheidend sind. In diesem Raum, der auch mit einem lebendigen, sich immer wandelnden Garten verglichen werden kann, finden Gefühle einen Platz, können Erfahrungen wachsen, werden Bilder sichtbar, werden Aufgaben spürbar und bekommen Ansichten einen Standort. Im Reich unserer Gefühle, im Land unserer Erfahrungen dürfen wir König sein. Unsere Sicherheit, unsere Geborgenheit, unser Austausch mit der Umwelt und unsere innere Größe, wird durch die Umzäunung, die Abgrenzung dieses Raums bestimmt.

Wir wissen alle, dass wir eine eigene Grenze haben. Wir sagen: »Er war grenzüberschreitend, ich stoße an meine Grenzen, ihr Verhalten war im Grenzbereich, sein Ehrgeiz ist grenzenlos, ihr Benehmen war grenzverletzend.« Aber wo ist meine Grenze, wie hoch ist der Zaun? Ist meine Grenze durchlässig, ist sie von außen klar sichtbar, gibt es Grenzsteine oder einen eindeutigen Eingang?

»Deine neue Brille macht dich viele Jahre älter«, sagt die Kollegin zur Begrüßung. Im Magen zieht sich etwas zusammen.

»Jetzt kommen auch Sie noch zu spät, können Sie nicht pünktlich sein?«, begrüßt Sie Ihr sonst freundlicher Zahnarzt. »Sie sind heute schon der Dritte, der zu spät kommt.« Sie spüren Wut aufkommen und möchten am liebsten auf der Stelle die Praxis verlassen. Dann setzen Sie sich mit angespannter Nackenmuskulatur auf den Stuhl und denken: Bisher hat er ja gute Arbeit geleistet.

»Darf ich fragen, wie oft du Sex hattest mit deinem früheren Partner?«, fragt Sie Ihr neuer Freund bei einem gemütlichen Abendessen. Sie spüren eine Wärme im Gesicht hochsteigen, denken, ich will ja keine Geheimnisse vor ihm haben und sagen: »Einmal in der Woche«. Kaum haben Sie geantwortet, fühlen Sie eine Enge im Brustkorb und haben Mühe, richtig durchatmen zu können.

»Jetzt stell dich nicht so doof an«, sagen Sie zu Ihrem fünfjährigen Sohn, »benimm dich nicht wie ein kleines Baby.« Sie spüren, wie Ihre Beine zittrig werden, der Junge beginnt laut zu weinen.

Die Beispiele spielen sich alle im Grenzbereich ab. Sie zeigen, wie schnell wir, ohne dass wir groß darüber nachdenken, in diese empfindliche Zone gelangen.

Dieses Buch beschreibt die Grenzen zwischen Mein und Dein, definiert, was mir gehört und was zu dir gehört, und schildert die trennende Linie zwischen meinem Inneren und meinem Äußeren. Es zeigt, dass wir uns schützen und uns wehren dürfen. Das Buch legt dar, wie wir unerwünschten Grenzüberschreitungen vorbeugen können. Sobald wir uns unserer Grenzen bewusstwerden, werden sich unsere Beziehungen in einem positiven Sinn ändern. Die erhöhte Achtsamkeit wird uns helfen, die eigene und die Grenze des anderen genauer zu spüren. Wir werden sorgfältiger miteinander umgehen und mit wachem Sinn dem eigenen Raum und dem Raum des Anderen Beachtung schenken.

»Man kann nicht nicht kommunizieren«, lautet ein berühmter Satz von Paul Watzlawick (Watzlawick et al. 2000). Wie wäre nicht zu kommunizieren auch möglich, wenn jedes Wort, jedes Schweigen, jeder Blick, jede Haltung, jede Berührung gedeutet werden kann als eine bewusste oder unbewusste Botschaft? Wir werden ein Kommunikationsmodell kennenlernen, in welchem der unbewusste zwischenmenschliche Austausch zum bewussten Auswechseln von Bildern, Erfahrungen, Gefühlen, Ansichten, Aufgaben und Verantwortung wird. Wir werden den Austausch aufschlüsseln, wie er uns bekannt ist von den E-Mails: empfangen, senden und weiterleiten.

Ich lade Sie ein, mit mir auf eine Entdeckungsreise zu gehen, bei der Sie Achtsamkeit üben können, Kenntnisse darüber erwerben, wie Sie Ihren Blick nach innen verfeinern können, und wo Sie lernen, wie Ihre Grenze Ihnen Glück bereiten kann, wie Sie mit Achtung und Sorgfalt Ihr Gegenüber wahrnehmen, und wie ein freudvoller, zwischenmenschlicher Austausch möglich sein kann.

Kapitel 1 Achtsamkeit üben

Über Achtsamkeit ist schon vieles gesagt worden. Jeder von uns versteht etwas anderes darunter. Dies ist nicht nur vom Individuum abhängig, vom Zeitpunkt oder von der Kultur, in der wir aufgewachsen sind, sondern vor allem von den Erfahrungen, die wir gemacht haben, wenn wir einfach ganz im Einklang sein durften mit unseren Mitmenschen und unserer Umgebung.

Eine achtsame Begegnung ist möglich, wenn ich ohne Absicht bin, ohne Ängste, ohne Agenda, wenn ich in der Unmittelbarkeit des Augenblicks das wahrnehme, was da ist, bei mir und beim Gegenüber; wenn ich mich öffne für das, was stattfindet zwischen mir und dir. Unser Gewahrsein für die jetzige Begegnung verstärkt den achtsamen zwischenmenschlichen Austausch. Damit verlassen wir die Ebene der Vorurteile und der moralischen Bewertungen und begeben uns auf die Ebene der gleichwertigen Begegnung zweier Menschen. So rücken liebevolle Zuwendung, Nichtverletzen, Gewaltfreiheit ins Zentrum der Wahrnehmung, und das Vertrauen in die eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen bekommt einen neuen Platz. Achtsamkeit erfordert eine empfindsame Besonnenheit, eine Bereitschaft, jede Erfahrung aufzunehmen und dann loszulassen. Achtsamkeit ist nicht so sehr ein »Tun« als vielmehr ein »Dabeisein«, das dem effektiven Tun vorausgeht (Gilligan 1999).

Wenn ich bewusst entgegenkommend bin, niemanden wissentlich verletze, absichtlich nicht urteile, wenn ich meine Wortwahl und meine Stimme kontrolliere, was kann ich darüber hinaus noch mehr tun?

Thich Nhat Hanh, einer der bedeutendsten Meditationsmeister unserer Zeit, äußert sich in Zeiten der Achtsamkeit zum »achtsamen Essen«. Wenn ich »essen« ersetze durch »sprechen«, »kommunizieren« oder »austauschen«, bekomme ich eine leicht abgeänderte, verkürzte, aber sinngemäße Darstellung seines »achtsamen Essens«. Diese Übersetzung gibt uns eine gute Möglichkeit, sich von einem achtsamen Zusammensein ein Bild zu machen.

Warum sprechen wir miteinander? Wir sprechen, weil wir sprechen. Der Sinn des Sprechens besteht im Sprechen.

Bewusst und achtsam reden können wir erst dann, wenn wir den Fernseher ausschalten, die Zeitung beiseitelegen und uns freimachen von dem, was noch getan werden muss. Thich Nhat Hanh empfiehlt dazu eine Atemübung: »Ich atme ein und entspanne meinen Körper, ich atme aus und lächle.« Diese Übung kann uns wieder ins Gleichgewicht bringen. Beim Ein- und Ausatmen schauen wir den anderen an und nehmen zu uns selbst und zum anderen Verbindung auf. Wir brauchen nicht unbedingt mehrere Stunden Zeit, um einen anderen Menschen wahrzunehmen. Ein paar Sekunden reichen aus. Wir bieten dem anderen mit unserem Lächeln ein aufrichtiges Verständnis an.

Wir werden uns bewusst, dass jetzt ein Austausch zwischen zwei Menschen stattfindet, dass dieser Austausch einzigartig ist und sich nie mehr wiederholen wird. Wir freuen uns auf diesen Kontakt, auf diese Gelegenheit, uns mit diesem Menschen austauschen zu dürfen. Durch dieses achtsame Tun entwickeln wir Mitgefühl und Verständnis für andere Menschen. Um unsere Achtsamkeit während des Gesprächs zu verstärken, sollten wir von Zeit zu Zeit einmal schweigen. Bei diesen stillen Momenten fühlen wir uns vielleicht ein wenig unbehaglich, aber wenn wir uns daran gewöhnt haben, werden wir erkennen, dass wir viel ruhiger und glücklicher sind. Wir sind still, damit wir das Gespräch, unser Zentriert-Sein und die Anwesenheit des anderen Menschen genießen können.

Viele von uns denken während des Gesprächs an ganz andere Dinge, beispielsweise daran, was sie anschließend noch erledigen müssen. Das bedeutet, dass wir den gegenwärtigen Augenblick und auch das Gespräch nicht wahrgenommen haben. Dann könnten wir uns etwa sagen: »Dies ist ein schönes Gespräch, nicht wahr?« Mit diesem einfachen Satz führen wir uns von den entfernten Gedanken weg und bringen uns wieder ins Hier und Jetzt zurück, wo wir das Zusammensein genießen können!

So habe ich versucht, die vom Meditationsmeister Thich Nhat Hanh mit einfachen Worten formulierten Empfehlungen zum achtsamen Essen auf das Gebiet des Gesprächs und des Zusammenseins anzuwenden. Vieles scheint für uns ungewöhnlich, waren doch bisher oft Effizienz, Zielorientiertheit, Erfolg, Überzeugungskraft, Mitteilungsbedürfnis die wichtigsten Richtlinien unseres Sprechens. Die achtsame Kommunikation ist eine langsame Sprache. Das Erlernen dieser Sprache braucht Zeit und Übung und schenkt uns von Anfang an eine ungeahnte innere Klarheit. Sie bietet uns Gelegenheit, Raum zu schaffen für Neues, Wachsendes, Wandelndes und Wunderbares.

Kapitel 2 Unser psychischer Innenraum

Wir Menschen haben einen privaten Innenraum mit Erfahrungen und Gefühlen, mit einer Grenze nach innen und nach außen. Dieser Raum, die Grenze, der Inhalt dieses Raums und der Austausch zwischen der Innen- und Außenwelt spielt eine maßgebliche Rolle in unseren Beziehungen. In diesem Kapitel werden wir die bedeutsamsten Bestandteile dieses psychischen Raums genauer kennenlernen. Nicht nur Erfahrungen und Gefühle, sondern auch Bilder, Ansichten, Aufgaben und Verantwortung haben sich als die elementaren Beziehungsbausteine gezeigt. Sie werden bewusst oder unbewusst ausgewechselt, und sie bestimmen unser Zusammensein.

Diese Teile im privaten Innenraum haben Sie vielleicht bisher Persönlichkeit oder Charakter genannt, haben Sie als ganz eigenes, vielleicht als etwas Stabiles empfunden. Wir werden sehen, dass diese Teile ein lebendiges dynamisches System bilden, das nicht nur durch das »Ich«, sondern auch von außen beeinflusst werden kann. Gefühle, Bilder, Erfahrungen, Aufgaben, Ansichten und Verantwortung sind irgendwie direkt oder indirekt miteinander verbunden (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Der psychische Innenraum mit seinen Beziehungsbausteinen. B = Bilder, E = Erfahrung, G = Gefühle, A = Ansichten, A = Aufgaben, V = Verantwortung

Unsere Gefühle werden durch unsere Erfahrungen mitgeprägt, werden durch unsere Ansichten wesentlich beeinflusst. Erfahrungen nehmen Einfluss auf unsere Bilder, ändern Aufgaben und wandeln andere Bereiche, wie z. B. Verantwortung. Ohne alle Verbindungsmöglichkeiten einzeln zu betrachten, sehen wir, dass Bilder, Erfahrungen, Gefühle, Ansichten, Aufgaben und Verantwortung auf die eine oder andere Weise miteinander verbunden sind. Dieser Beziehungsbausteine sind wir uns nur selten bewusst und noch weniger machen wir uns Gedanken, wo sie sich befinden und wie wir sie austauschen können. Wir können uns vorstellen, dass sie sich in einem uns zugehörigen Raum befinden. Nachstehend möchte ich Ihnen eine Imaginationsübung vorstellen, mit deren Hilfe Sie mit Ihrem psychischen Innenraum in Kontakt treten können. Diesen Innenraum können Sie sich auch wie einen Garten vorstellen, ein Garten, in dem Blumen, Pflanzen und Bäume Gefühle, Erfahrungen, Bilder, Ansichten, Aufgaben und Verantwortung repräsentieren.

Suchen Sie einen Ort, wo Sie sich bequem hinsetzen und entspannen können. Machen Sie einige Atemübungen, solche, die Sie zur inneren Ruhe führen. Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich jetzt vor, dass Sie in Ihrem Garten stehen. Lassen Sie alle Gefühle aufkommen und schauen Sie die Bilder an, die vor Ihrem inneren Auge erscheinen. Vielleicht sehen Sie eine Wiese mit wunderschönen alten Bäumen, vielleicht sehen Sie einen Rosengarten mit fröhlichen roten, gelben und weißen Blumen, möglicherweise sehen Sie einen Gemüsegarten oder einen Sitzplatz mit weißen Gartenmöbeln. Es kann aber auch sein, dass Ihr Garten verwahrlost ist. Vor einer schmutzigen, dunklen Mauer liegen Abfallsäcke, irgendwo verschwindet eine Ratte in einem Loch. Es riecht nicht gut, es regnet und Sie fühlen sich sehr unwohl. Am liebsten möchten Sie diesen Ort so schnell wie möglich verlassen. Es kann sein, dass Sie schon jetzt dieses Bild deuten können, dass Sie bereits jetzt verstehen, was dieses Bild über Ihren Gemütszustand, über Ihre Identität, über Ihr »Selbst« aussagt.

Wenn Sie bei sich selbst sind, in Ihrem Garten sind, ob dieser grün, einladend freundlich und gut gepflegt ist oder verwildert und heruntergekommen, sind Sie in Ihrer Mitte, sind Sie gesammelt, sind Sie zentriert. Achtsam sein heißt in unserem Bild, dass Sie sich in Ihrem psychischen Innenraum bewusst aufhalten, umgeben von Gefühlen, Erfahrungen, Ansichten, Bildern, Verantwortung und Aufgaben.

Indem wir unseren Blick nach innen richten, werden wir uns unserer Gefühle bewusst, tauchen verloren gegangene Bilder wieder auf, werden Erfahrungen in Erinnerung gerufen. Hinschauen heißt, dem Eigenen zustimmen, das Eigene annehmen. Durch die Anerkennung der in unserem Raum sichtbar gewordenen Beziehungsbausteine erhalten wir die Führung über unser Selbst wieder zurück. Wie wir noch sehen werden, können wir störenden Erfahrungen einen weniger dominanten Platz zuweisen, fremde Gefühle zurückgeben oder lieb gewonnene Aufgaben pflegen. Weil wir – umgeben von unseren Bildern, Erfahrungen, Gefühlen, Ansichten, Aufgaben und von unserer Verantwortung – uns wohlfühlen, lernen wir, wieder freier und unabhängiger zu sein. Dadurch steigen auch unser Selbstwertgefühl und unsere Beziehungsfähigkeit. Im Bewusstsein des eigenen Habens und Seins können wir das Gegenüber begrüßen und uns dem Du widmen und einladend die Mitmenschen willkommen heißen.

Ich weiß nicht, ob während der vorherigen Imaginationsübung die Grenze, der Gartenzaun schon sichtbar geworden ist. Unsere psychische Abgrenzung sagt einerseits etwas darüber aus, wie wir unseren Innenraum schützen oder schützen können und andererseits, wie wir mit der Außenwelt in Verbindung stehen. Der Austausch von außen nach innen und von innen nach außen wird durch unsere Abgrenzung bestimmt. Eine zusätzliche Möglichkeit, die das ganze Bild etwas komplizierter macht, besteht darin, dass wir im Gegensatz zu den Tieren unseren Raum mit unserem Aufmerksamkeitsstandort verlassen und fremde persönliche Räume besuchen können oder uns im Bereich zwischen den individuellen Räumlichkeiten aufhalten können. Alle diese verschiedenen Möglichkeiten werden wir noch anhand von Beispielen genauer untersuchen.

Interessant ist, dass unserem Körper in diesem Modell eine sehr wichtige Rolle zuteilwird: Unser Körper wird zum Sinnesorgan, das ganz genau wahrnimmt und weiterleitet, was in unserem Innenraum vor sich geht.

Unser Körper zeigt sehr präzise an, ob und wo in unserem psychischen Innenraum etwas passiert. Er signalisiert, ob ein freundlicher Gast oder ein unerwünschter Besucher hereinschaut. Der Körper reagiert auf Veränderungen, die für unseren Innenraum wohltuend sind. In der Einleitung wurden einige dieser Körperreaktionen beschrieben wie: zitternde Beine, aufsteigende Wärme im Gesicht, Verspannen der Nackenmuskulatur, plötzlich auftretende Müdigkeit, mulmiges Gefühl im Bauch. Ein Bewusstwerden dieser Körperreaktionen ermöglicht uns zu verstehen, was zwischenmenschlich abläuft und bietet uns die Gelegenheit, adäquat zu reagieren. Das Ernstnehmen der Körpersignale hilft uns, uns zu schützen und uns gegenüber anderen respektvoll zu verhalten. Der Körper lebt die Wechselwirkung in einer Situation und weiß oft mehr über die Gegebenheiten, als uns bewusst ist.

Das sorgfältige Wahrnehmen des eigenen Körpers bedingt eine Achtsamkeit, ein achtsames Zuhören oder ein achtsames Hineinhorchen. Das Hineinhorchen ist vom Körper aus gesehen ein Hinausblicken in den eigenen psychischen Innenraum. Achtsames Beisammensein heißt, dass wir unsere Aufmerksamkeit nach innen (in unseren Körper), in uns selbst (in unseren Raum mit unseren Gefühlen, Bildern und Erfahrungen) und nach außen (das Gegenüber, den anderen Raum) richten. Dieses aufmerksame Wahrnehmen können wir trainieren. Es schenkt uns ein neues Beziehungsbewusstsein.

Kapitel 3 Wie Ich-Fremdes von mir erkannt wird

Weil wir mit unserer Umgebung in Kontakt sind und weil ein Austausch stattfindet zwischen der Außenwelt und unserer Innenwelt, geschieht es häufig, dass ein Gefühl, ein Bild oder auch eine Ansicht in unseren Innenraum gelangt, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.