So Let Them Burn - Kamilah Cole - E-Book

So Let Them Burn E-Book

Kamilah Cole

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Beschreibung

Seit Faron vor fünf Jahren mithilfe der Götter ihre Heimatinsel San Irie gerettet hat, führt sie ein Leben als bewunderte, aber endlos gelangweilte 17-Jährige. Als ihre Schwester Elara von einem Drachen des feindlichen Langley-Reiches zu seiner Reiterin berufen wird, stehen die beiden plötzlich auf verschiedenen Seiten und vor ungeahnten Herausforderungen. Faron setzt alles daran, ihre Schwester wieder zurückzuholen, und entfesselt dabei eine dunkle Macht, die alles zu zerstören droht, das sie liebt. Was ist sie bereit, für ihre Schwester zu opfern?

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Seitenzahl: 536

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Für Lauren:Ohne dich wäre dieser Roman immer noch Gekritzel hinten in meinem Matheheft.

Und für Maxi:Die Erinnerung an dich wird immer bleiben.

Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte in Form von Kriegselementen, Gewalt, schweren Verletzungen und Tod. Gehe bitte behutsam mit Dir um, und sprich mit jemandem darüber, falls es Dir während des Lesens nicht gut geht.

TEIL 1Die Suchende

KAPITEL 1FARON

Faron Vincent war schon länger eine Lügnerin als eine Heilige.

Von klein auf hatte sie gelernt, dass Lügen eine Währung waren, mit der sich Freiheit oder Vergebung erkaufen ließ. Schneller als jede Magie konnten Lügen die Wirklichkeit verändern. Eine gut erzählte Lüge war an sich schon Magie, und Faron war darin mehr als überzeugend.

Heute Morgen hatte sie schon drei Mal gelogen, und jede einzelne Lüge hatte sich magisch angefühlt. Zu ihrem Lehrer hatte sie gesagt, dass sie sich mehr anstrengen würde, um bis zum Jahresende ihre Noten zu verbessern. Ihrer Schwester hatte sie versprochen, nach der Schule sofort nach Hause zu gehen. Und Jordan Simmons hatte sie versichert, keine Beschwörung zu benutzen, um ihn bei diesem Wettlauf zu besiegen.

War es ihre Schuld, dass die anderen ihr immer glaubten?

Fairerweise sei gesagt, dass Faron nicht immer wusste, dass sie gerade log. So hatte sie durchaus die Absicht gehabt, mindestens zwei ihrer Versprechen zu halten – vielleicht sogar alle drei, falls ihr der Sinn danach stand, sich besonders anständig zu verhalten. Dann hatte jemand auf dem Schulhof herumerzählt, dass sie den Unterricht schwänzen wolle, um an der Konferenz teilzunehmen, und schon hatte es Ärger in Gestalt von Jordan Simmons gegeben.

Die Erwachsenen auf der Insel San Irie sahen in Faron ein heiliges Kind, doch von ihren Mitschülern ließ sich das nicht behaupten. Jordan hatte sie draußen vor dem Schultor angesprochen, als sie Schlange stand, um sich eine Tüte Saft zu kaufen. Es war so heiß, dass sie es fast bedauerte, am Leben zu sein, und es verschaffte ihr auch keine Abkühlung, dass sie die Ärmel ihrer Hemdbluse hochgekrempelt hatte. Sehnsüchtig betrachtete sie die weißen Kälteschwaden, die aus dem offenen Wagen des Straßenverkäufers waberten, sodass sie Jordan erst bemerkte, als er direkt neben ihr stand.

»Schwänzen wir schon wieder die Schule, Vincent?«, feixte er, flankiert von zwei anderen Jungs aus der zehnten Klasse. Das alberne Gewieher, in das sie daraufhin ausbrachen, war der erste Misston an ihrem bisher so harmonischen Tag. Jedem anderen wäre dies wohl eine Warnung gewesen, dass Gefahr drohte. Doch Faron war nur gelangweilt. »Die Sache mit der Empyrien ist doch ein fauler Zauber, oder?«

»Wenn es ein guter Zauber wäre«, erwiderte Faron, ohne sich umzudrehen, »würde ich nicht mehr den Mist riechen, der aus deinem Mund kommt.«

Sie machte sich nicht die Mühe, über die Wirklichkeit des Krieges zu sprechen, über die ständigen Albträume oder die hohen Erwartungen, die an sie gestellt wurden, seit sie das Empyreische Kind war. Vor fünf Jahren, als die Götter ihr diesen Titel verliehen hatten und die damit verbundene, einzigartige Gabe, ihre grenzenlose Magie zu beschwören, hatte sie nur daran gedacht, San Irie zu schützen. Sie hatte nicht begriffen, wozu sie sich verpflichtete – oder worauf sie verzichtete.

Doch selbst wenn sie über dies alles hätte sprechen wollen, hätten ihr Jordan und seine Gang nur einen Strick daraus gedreht. Niemand wollte hören, dass es eher ein Fluch als ein Segen war, von den Göttern dazu auserkoren zu sein, die Welt zu retten. Sie war eine Symbolfigur, und Symbolfiguren klagten nicht.

Stattdessen kaufte Faron mit einer Handvoll Kleingeld eine Tüte Ananassaft. Während sie eine Ecke der Tüte abbiss, um daraus trinken zu können, musterte sie Jordans berechnende Miene. Er gehörte zu den Mobbern, die taktisch vorgingen und niemals die Beherrschung verloren. Er überlegte sich, wie er seine Opfer am besten drangsalieren konnte, bevor er zum entscheidenden Schlag ausholte. Und so war es keine Überraschung, dass er Faron da zu treffen versuchte, wo es besonders wehtat: in ihrem Stolz.

»Wenn du so toll bist, dann lauf doch nach der Schule gegen mich«, sagte er. »Ohne Götter und ohne Magie. Der Krieg ist vorbei. Es wird Zeit zu beweisen, dass du nicht besser bist als wir anderen.«

Faron hatte noch nie Ärger bekommen, den sie nicht selbst gesucht hatte. Und so streckte sie ihm grinsend die freie Hand hin. »Dreißig Rayes, wenn ich gewinne.«

»Abgemacht.«

Mit einem Handschlag hatte Jordan Simmons sein Schicksal besiegelt. Hatte sie in dem Moment jedenfalls gedacht.

Doch jetzt, nachdem sie unter dem Geschrei von Kindern aus der Nachbarschaft die Hälfte der vereinbarten Strecke zurückgelegt hatten, lag Faron deutlich hinter ihm.

Die locker geflochtenen Zöpfe, die unter ihrem Kopftuch hervorgerutscht waren, tanzten auf ihrem Rücken. Palmen wiegten sich im Wind. Den Rock hatte sie sich um die Taille gebunden, damit ihre flinken Füße ungehindert über braune Erde und glatte Steine flitzen konnten. Und trotzdem war sie drauf und dran, den Wettlauf zu verlieren, der an dem versteinerten Drachenei auf dem Marktplatz enden sollte.

Auf diesem Streckenabschnitt gab es keine Abkürzungen, die sie nehmen, und keine Hindernisse, die sie ihrem Gegner in den Weg legen konnte. Die Straße bis zum Ei war schnurgerade und der Vorsprung des Jungen viel zu groß. Abmachung hin oder her, das war nicht hinnehmbar.

Faron hielt das bisschen Luft an, das noch in ihrer Lunge war, und rief die Götter.

Die Zeit verlangsamte sich auf ein Schneckentempo, eine Sekunde dehnte sich zur Ewigkeit. Die Welt versank unter einem flüssigen Schleier, als wäre Faron in das kristallklare Glutmeer getaucht, das die Insel umgab. Und eine Stimme schwoll in ihrer Seele an und rief: Kommt zu mir, kommt zu mir, kommt zu mir …

Und wie immer erhörten die Götter ihren Ruf.

Irie erschien in einem Blitzstrahl, und wie ein Schwert durchbohrte ihre goldene Krone den Himmel. Sie trug einen golddurchwirkten, kapuzenlosen Umhang mit weiten Ärmeln, darunter ein hochgeschlossenes, weißes Kleid, das bis zu den Waden reichte. Ihre goldbemalten, vollen Lippen kräuselten sich missbilligend. Trotz ihrer pupillenlosen, bernsteinfarben leuchtenden Augen sah sie so aus, als wollte sie – die Sonnengöttin Irie, Herrscherin des Tages und Schutzgöttin der Insel – nach Port Sol ins Theater gehen und nicht einer Siebzehnjährigen in der iryanischen Kleinstadt Deadegg einen Besuch abstatten.

Aber das war ihr Problem. Faron hatte gerufen. Irie war gekommen. Fünf Jahre, und nichts hatte sich daran geändert.

Verleihe mir deine Stärke.

Faron stöhnte, als sie fühlte, wie Iries Kraft ihren Körper durchströmte. Beschwörer mussten jahrelang trainieren, bis sie die Magie von nur einem ihrer Ahnengeister, der sogenannten Astrale, festhalten konnten, ohne daran zu sterben. Nicht einmal die besten Santi – Beschwörer, die ihr Leben den Tempeln gewidmet hatten – wagten es, mehr als fünf Astrale gleichzeitig anzurufen. Doch auf der ganzen Insel San Irie gab es keinen einzigen Beschwörer, der sich an einen Gott wenden konnte.

Bis auf sie.

Faron hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen, eine Sekunde lang, eine Minute, eine Stunde, ein Leben lang. Ihre Nerven zuckten, als würde sie geschüttelt, als drückte Irie von innen gegen ihre schlecht sitzende Haut, um Platz zu schaffen, damit ihr Körper mehr Magie aufnehmen konnte. Ihr Blick trübte sich. Ihre Ohren brausten. Ihr Herz klopfte so schnell, dass sie fürchtete, es könnte stehen bleiben.

Dann war es vorbei. Irie war in ihr, aber Faron hatte die Kontrolle.

Und sie hatte einen Wettlauf zu gewinnen.

Eine Schweißperle rollte ihr über die Wange, als sie sich in die Gegenwart zurückblinzelte. Das wilde Gejohle der Menge drang wieder an ihr Ohr. In der Ferne lugte das Drachenei hinter dem Dach des Eckladens hervor. Und Jordan lag immer noch vor ihr.

Aber nicht mehr lange.

Mithilfe der göttlichen Magie, die sie nun zur Hand hatte, trieb Faron ihren Körper über seine Grenzen hinaus. In den fünf Jahren, die sie nun schon mit den Göttern im Bund stand, hatte sie für Iries Kräfte kreativere Verwendung gefunden, als nur Brotfrüchte zu rösten. Die Sonne war Feuer, Energie, Kraft. Und diese Kraft leitete Faronnunin ihre erlahmenden Muskeln und pfeifende Lunge, und sie spürte, wie Iries Magie an der offenkundigen Missbilligung der Göttin vorbeiströmte.

Eine Minute lang konzentrierte sich Faron nur darauf, nicht in Ohnmacht zu fallen, ehe sie im Ziel war. Dann holte sie langsam auf, bis sie so dicht hinter Jordan war, dass sie seine Locken zählen konnte.

Er warf ihr einen erbosten Blick zu. »He, Vincent! Das ist nicht fair!«

»Klär das mit meiner Schutzgöttin«, trällerte sie zurück. »Eine Statue von ihr findest du in jedem Tempel.«

Jordan fluchte so herzhaft, dass Faron lachen musste, als sie an ihm vorbeisprintete und er den Staub schlucken musste, den ihre Füße aufwirbelten.

Der Marktplatz tat sich vor ihr auf, umsäumt von hölzernen Ladenfronten, die zu niedrig waren, um die Sonne auszusperren. Einen Augenblick später schlug ihre Hand gegen die niedrige Backsteinmauer, die das Ei umgab. Eigentlich endete hier das Rennen, doch das Adrenalin und die geborgten Zauberkräfte pulsierten noch durch ihren Körper. Sie sprang über die Mauer und lief weiter bis zum Ei, dann hob sie die Hand und griff nach einer der mächtigen Schuppen, die seine kränklich graue Schale bildeten. Die Mauer war gebaut worden, um Leute eben davon abzuhalten, was Faron jetzt tat, aber sie war nicht der erste Teenager aus Deadegg, der auf das Ei kletterte, und sie würde nicht der letzte sein. Das Ei war älter als die Stadt, wahrscheinlich sogar älter als die Insel, nach den versteinerten Schuppen zu urteilen, und mittlerweile hatte es für Faron etwas Beruhigendes.

Gewiss, aus lebenden Eiern dieser Größe schlüpften Drachen – und wunderschön gefärbte Eier bargen Furcht einflößende junge Monster –, aber dieses hier war ein Denkmal. Es war Teil ihrer Heimat. Und mehr als das: Es war nicht nur der Beweis, dass Drachen geboren wurden, dass sie grausam und gefährlich waren. Es war auch der Beweis, dass sie besiegt, getötet und vergessen werden konnten.

Faron hatte den jahrzehntelangen Krieg gegen das Langley-Reich überlebt, eine Großmacht im Osten von San Irie, die Drachen als Feuer speiende Waffen einsetzte, um Land zu erobern, das ihr niemals gehört hatte. Inzwischen kannte Faron die Schwächen der Monster so gut wie kaum jemand sonst. Aber es war schön, mehr als Erinnerungen zu haben. Mehr als Albträume.

Sie setzte sich oben auf das Ei, ließ den Rock bis zu den Knöcheln hinabwallen und wartete grinsend auf Jordans Ankunft. Den Schwefelgeruch, der von unten heraufwehte, beachtete sie nicht. Magie kribbelte noch unter ihrer Haut und wartete auf weitere Befehle, und Faron wollte sie noch nicht freigeben. Noch war sie nicht bereit für das Gefühl bedrückender Leere und schlaffer Benommenheit, das sich hinterher immer einstellte.

Du vergeudest bloß meine Kräfte, murrteeine rauchige Stimme in ihrem Kopf. Musst du immer so kindisch sein?

Von den drei Göttern gab ihr vor allem Irie immer wieder das Gefühl, sich wie ein kleines Kind zu benehmen. Obie, der Gott des Mondes und Herrscher der Nacht, sprach so selten zu ihr, dass sie sein Missfallen meist ignorieren konnte. Mala, die Göttin der Sterne und Patronin der Astrale, bestärkte sie noch am ehesten in ihren Dummheiten. Doch Irie nahm ihre Rolle als oberste Göttin sehr ernst, so ernst, dass Faron sich häufig fragte, ob sie es bereute, dass sie ihr ihre Macht verliehen hatte.

Obwohl es fünf Jahre her war, dass Faron ihre Aufgabe als Empyreisches Kind erfüllt und die Insel von der Besetzung durch Langley befreit hatte.

Obwohl die Götter selbst es waren, die aus irgendeinem Grund beschlossen hatten, nach dem Abzug der Langleyaner hierzubleiben.

Obwohl sie es verdient hatte, jetzt ihr eigenes Leben zu leben. Ein friedliches Leben. Mit oder ohne Iries Segen.

Empyrien, schimpfte Irie, als sie nicht antwortete. Es macht dein unreifes Verhalten nicht ungeschehen, wenn du mich ignorierst.

Ich bin siebzehn, rief sie der Göttin in Erinnerung. Und mein Name ist Faron.

Du bist das Empyreische Kind. Deine Mätzchen ändern nichts an der Wahrheit.

Faron verkniff sich eine Antwort. Alles, was sie entgegnen konnte, würde lächerlich klingen. Der Krieg war vorbei, Langleys Kolonialherrschaft über San Irie gebrochen und der Rest der Drachen gebändigt, doch das verklärte Bild des Empyreischen Kinds lebte in den Köpfen der Inselbewohner fort. Die Santi nötigten allen Respekt und Verehrung ab, weil sie ihr Leben den Göttern widmeten, mochten ihre Gebete nun erhört werden oder nicht, aber Faron war eine Legende. Eine lebende Heilige. Der sichtbare Beweis, dass die iryanischen Götter nicht nur existierten, sondern auch ein Ohr für die Menschen hatten.

Ginge sie jetzt in den Laden an der Ecke, an dem Jordan in diesem Moment vorbeilief, so würde ihr von kleinen, handgeschnitzten Figuren ihr eigenes Gesicht entgegenlächeln, nur fünf Jahre jünger. Jahr für Jahr pilgerten Menschen aus allen Teilen der Insel zu ihrem Haus, um einen Blick von ihr zu erhaschen und sie zu bitten, bei den Göttern Fürsprache für sie einzulegen. Und um dann ihr die Schuld zu geben, wenn ihre Wünsche unerfüllt blieben.

Sie nahm es ihnen nicht übel. Der Krieg gegen die Langleyaner hatte allen Opfer abverlangt, auch denen, die nicht gekämpft hatten. Faron verstand besser als sonst jemand, dass Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit Menschen dazu brachten, höhere Mächte um Hilfe anzurufen. Sie wünschte nur, sie könnte den vielen Hoffenden sagen, dass ihnen die Antwort, die sie bekämen, nicht unbedingt gefallen würde.

»Betrügerin«, schimpfte Jordan im Näherkommen und riss sie aus ihren trüben Gedanken. »Ich habe keine Beschwörung benutzt, um das Rennen zu gewinnen.«

»Ist doch nicht mein Problem.« Faron zog die Augenbrauen hoch, die Unschuld in Person. »Jedenfalls hast du es nicht gewonnen.«

»Keine Magie, haben wir gesagt.«

»Hast du gesagt. Ich wüsste nicht, dass ich zugestimmt hätte.«

Jordan zog die Stirn kraus. »Das machst du jedes Mal.«

»Und trotzdem wettest du noch mit mir.«

»Ich kann dich ja in Zukunft wie Luft behandeln, wenn dir das lieber ist. Mir würde es das Leben auf jeden Fall leichter machen.«

Faron tat die Bemerkung mit einer lässigen Handbewegung ab. Es spielte keine Rolle, wie oft sie log oder betrog. Das Gedächtnis der Menschen für ihre Heldentaten im Krieg war lang, aber was ihr unrühmliches späteres Tun anging, war es eher kurz. Auch Jordan wiederholte nur, was er schon bei ihrem letzten Wettlauf gesagt hatte, und doch hatte ihn das nicht davon abgehalten, sie aufs Neue herauszufordern. Anscheinend hatte nichts, was Faron tat, wirklich Konsequenzen.

Aber vielleicht bestand das Problem auch darin, dass sie die Konsequenzen bereits zu spüren bekommen hatte. Als sie aus dem Krieg heimgekehrt war, nach Rauch und Asche stinkend, am Leben, aber innerlich beschädigt, hatte sie keine Freunde, nur Feinde und Bewunderer. Sie sprach mehr mit Göttern als mit Menschen ihres Alters. Sie hatte zwar eine Schwester namens Elara, doch Elara hatte auch Reeve und ihre Freundinnen aus der Oberstufe. Faron hasste die Schule und wusste schon jetzt, dass sie bei der Prüfung für die Oberstufe durchfallen würde, sofern sie nicht gleich das ganze Jahr in den Sand setzte. Dabei war die Schule für sie die einzige Chance, mit Gleichaltrigen in Kontakt zu kommen.

Vielleicht war das der wahre Preis dafür, dass sie die Schutzheilige der Lügen war. Es gab keine Faron Vincent. Nur das Empyreische Kind.

»Gib mir mein Geld und lass es dir eine Lehre sein«, sagte Faron, indem sie auch diese Gedanken beiseiteschob. »Wenn du weiter versuchst, aus deinem läuferischen Talent Profit zu schlagen, kannst du davon ausgehen, dass ich meine Kräfte gegen dich einsetze.«

Jordan blickte noch finsterer drein, wühlte aber in den Taschen seiner Kakihose nach dem Geld. Faron rutschte auf der unbequemen, runden Spitze des Eis hin und her und ließ, während sie wartete, den Blick über die Stadt schweifen. Hinter den Ladengeschäften reihten sich Häuser mit Strohdächern und Gärten, die durch Zäune oder Kakteen voneinander getrennt waren. Überall verstreut standen Hühnerställe, und Ziegen grasten auf freiem Feld. Ihr eigenes Haus war von hier aus nicht zu sehen, doch sie wusste, in welcher Richtung es lag. Wenn sie die Augen zusammenkniff, konnte sie vielleicht die waldgrünen und zypressenbraunen Farbtupfer im Garten ihrer Vaters ausmachen.

Doch im Moment war nichts davon zu erkennen. Im Gegenteil, je weiter ihr Blick wanderte, desto mehr schien Nebel die Umgebung von Deadegg zu verhüllen.

Nebel, der sich bewegte.

In den wolkigen Schwaden erblickte sie eine Gestalt – nein, Gestalten. Sie waren dunkel und groß und kamen ihr merkwürdig vertraut vor. Pferde. Und nicht nurPferde, sondernauch eine Kutsche, die von ihnen gezogen wurde. Es war ein ungewöhnlicher Anblick, zum einen, weil Maultiere und Esel im ländlichen Deadegg üblicherwaren, und zum anderen, weil sie hier im Ort niemanden kannte, der sich eine Kutsche leisten konnte. Je länger sie hinsah, desto deutlicher konnte sie das Meerblau der Kutsche, das Grasgrün der zugezogenen Vorhänge und das Gold der Zierbeschläge erkennen, die das Sonnenlicht einfingen. Ihr Herz stockte, und in der langen Pause bis zum nächsten Schlag bemerkte sie, dass auf dem Dach eine Fahne in allen drei Farben wehte. Die iryanische Flagge war die letzte Bestätigung, die sie brauchte.

Zum ersten Mal an diesem Tag bekam Faron wirklich Angst.

Die Königin war da.

KAPITEL 2ELARA

Elara Vincent war schon immer eine Überlebenskünstlerin gewesen, lange bevor sie in den Krieg gezogen war.

Und das musste sie auch sein als älteste Tochter und Erstgeborene, deren Persönlichkeit wie ein Diamant unter dem hohen Druck der elterlichen Erwartungen geschliffen wurde. In ihrer Kindheit hatte sich das darin geäußert, dass sie stets bemüht war, Frieden zu wahren und Rücksicht zu üben, besonders nach der Geburt ihrer Schwester. Faron, in all ihrem herrlichen Chaos, zog Elara ständig damit auf, dass sie so gutmütig war und Konflikten aus dem Weg ging. Vor dem Krieg hatte Elara einen tiefen Widerwillen dagegen gehabt, grollend zu Bett zu gehen oder ohne Not unfreundlich zu sein – nicht einmal zu der alten Miss Johnson vom Ende der Straße, die einem bei jeder sich bietenden Gelegenheit erzählte, wie es jedem ihrer neun Kinder ging.

Aber Rücksichtnahme wäre auf dem Schlachtfeld reiner Selbstmord gewesen, und Elara hatte den Krieg gegen Langley als Dreizehnjährige nicht überstanden, um die Lektionen, die sie dort gelernt hatte und denen sie ihr Überleben verdankte, über Bord zu werfen.

Die erste und wichtigste war ganz einfach: entweder sie oder ich.

Inzwischen achtzehn Jahre alt, musterte Elara ihre Ex-Geliebte Cherry McKay und suchte nach einer Schwäche, die sie sich zunutze machen konnte. Noch hatte der Zweikampf nicht begonnen, doch sie war überzeugt, dass sie in drei Zügen gewinnen würde.

In zwei, wenn Cherry wieder denselben Fehler beging.

Die Götter hatten die Iryaner mit der Fähigkeit gesegnet, Ahnengeister zu beschwören, und diese Gabe wurde auf dreierlei Weise genutzt. Für die große Mehrheit war sie etwas ganz Alltägliches, das in der Schule gelehrt wurde und hauptsächlich der Kommunikation diente. Einige wenige verstanden sie als religiöse Berufung, als ein Talent, das in einem der Tempel, die es verstreut auf der ganzen Insel gab, den Göttern gewidmet werden sollte. Der Rest sah darin eine Waffe, die es im Dienst an der Nation einzusetzen galt, ein Mittel, das iryanische Volk vor seinen Feinden zu schützen.

Kampfbeschwörung wurde so eng mit den Iryanischen Streitkräften in Verbindung gebracht, dass die meisten Zivilisten sie gar nicht erlernen wollten. Aber Elara war nicht wie die meisten Zivilisten. Vor dem Krieg hatte sie verschiedene Techniken geübt und dabei ihre Grenzen ausgelotet. Im Krieg und danach hatte sie ihre Fertigkeiten erweitert und perfektioniert. Kampfbeschwörung erforderte Disziplin: Sie musste in der Lage sein, einen Astral zu rufen und unter Kontrolle zu halten, ohne dabei an eigener Stärke einzubüßen. Je länger sie einen Ahnengeist beschwor, desto mehr erodierte ihre Seele, bis schließlich ihr Körper den Dienst verweigerte, um zu retten, was noch zu retten war – und das stets im Auge zu behalten, war nicht leicht, wenn Feinde ihre eigene Magie auf sie niederprasseln ließen.

Aber sie hatte sich damals keinen Fehler erlauben dürfen, und sie durfte sich heute keinen Fehler erlauben. Am Ende der Woche könnte sie Soldatin sein. Offiziell diesmal. Sie musste nur vorher Cherry besiegen.

»Beschwört eure Astrale!«, rief Aisha Harlow.

Nur Elara konnte die Ahnengeister sehen, die auf ihren Ruf antworteten. Schließlich waren es ihre Verwandten, von ihr herbeigerufen, um ihr in diesem Kampf beizustehen. Bei den meisten Astralen, die zu den Menschen kamen, handelte es sich um die Geister unlängst verstorbener Angehöriger, aber Elara hatte auch von Beschwörern gehört, die jeden toten Verwandten anrufen konnten, dem sie sich eng verbunden fühlten. Zum Glück für Elara traf das auf alle ihre Vorfahren zu.

Die Astrale ihrer Tanten mütterlicherseits, die sämtlich im Krieg gefallen waren, umringten sie jetzt: Vittoria Durand, die jüngste, mit hochgezwirbeltem Dutt und verschmitztem Grinsen im Gesicht; Mahalet Durand, die älteste, dick bepackt mit Muskeln, die sie durch jahrelanges Schwimmen und Laufen gestählt hatte; und Gabourey Durand, die mittlere Schwester und die gewalttätigste, deren Liebe zur Flasche ebenso groß war wie ihre Liebe zum Kampf. Elara wählte Tante Vittoria, und ihre Haut erwärmte sich, als die zusätzliche Seele darunterschlüpfte.

An heißen Tagen wie heute war das Beschwören eine Tortur. Und dennoch fühlte sich Elara bereits stärker, kräftiger, gefährlicher.

Cherry grinste sie über das Gras hinweg an. Elara grinste zurück.

»Fertig?« Aishas burgundrote Zöpfe flatterten, als sie zur Seite sprang. »KÄMPFT!«

Blitze zuckten über die Wiese. Cherrys Finger versprühten weißglühende Funken und führten die Elektrizität, die ihr Astral zu beschwören half, wie eine Peitsche. Elara hielt mit einem einfachen Schild dagegen, der – erster Zug – den Blitz absorbierte und ihre eigene Magie verstärkte. Der Schild schrumpfte zu einem Energieball zusammen, der zwischen ihren Handflächen schwebte. Blitze flirrten über seine Oberfläche und brachten ihn zum Glühen, fast so hell wie die Sonne.

Schweiß sammelte sich auf Elaras Haut. Ihr war, als stünde ihr Körper in Flammen.

Mach sie fertig, Nichte, säuselte Tante Vittoria in ihrem Kopf.

Noch nicht, erwiderte Elara. Wenn sie jetzt angriff, würde Cherry einfach einen eigenen Energieschild hochfahren. Ihre Ex hatte schnelle Reflexe, aber ihr Multitasking ließ zu wünschen übrig. Sie konnte einen Angriff abwehren, schützte sich aber nie bei einem Gegenangriff. Das war der Moment, in dem Elara sie erledigen konnte, schachmatt in drei Zügen. Aber sie wusste, dass sie es auch in zwei schaffen konnte. Sie konnte es besser, und war das nicht das Ziel? Die Beste zu sein?

Sie würde niemals in die Iryanischen Streitkräfte – in die Luftstreitmacht namens Himmelsbataillon – aufgenommen werden, wenn sie es nicht war.

Der Boden unter ihren Füßen wackelte, als werde Deadegg von einem Erdbeben erschüttert, aber Elara kannte dieses Gefühl zu gut, um deswegen wegzusehen. Cherry hatte nicht diesen Fokus, hatte ihn nie gehabt. Wie immer ließ sie sich davon ablenken, was auf der Straße geschah.

Und das war der Moment, in dem Elara angriff.

Sie schwang den Energieball wie einen Kricketschläger. Cherry wurde von den Füßen gefegt. Elara nutzte ein letztes Mal Tante Vittorias Magie, um den Boden aufzuweichen und so Cherry eine schmerzhafte Landung zu ersparen. Dann entließ sie den Astral aus ihrem Körper und schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende, die aus den Wellen auftauchte.

Sieg in nur zwei Zügen. Sie wurde immer besser.

»Jedes Mal«, jammerte Cherry, während sich Elara mit den anderen um sie versammelte.

»Gut gemacht, El«, sagte Wayne Pryor, während Aisha Cherry half, sich aufzusetzen. »Habt ihr es mitbekommen? Die Königin ist gerade eingetroffen.«

Elara war oft in Königin Avelines eleganten Kutschen gefahren und wusste, wie es sich anhörte, wenn die Pferde über die teilweise gepflasterten Straßen von Deadegg galoppierten. Anfangs war sie davon immer tief beeindruckt gewesen, doch inzwischen konnte sie bei dem Gerumpel und Getrappel nur noch daran denken, dass ihre Schwester Faron wieder den ganzen Tag schlechte Laune haben würde.

»Müsst ihr jetzt gehen?«, fragte Aisha und spähte über Elaras Schulter hinweg zu der Stelle, wo Reeve Warwick im Schatten eines Guinep-Baums saß, die Nase in einem Buch vergraben. Als hätte er die plötzliche Aufmerksamkeit gespürt, schaute er auf, doch was er in ihren Gesichtern sah, war offenbar weniger interessant als das, was er las.

Die wild überwucherte Wiese mit dem verwitterten Holzzaun und dem herumliegenden Stacheldraht hatte früher zu einer Farm gehört. Doch in Deadegg waren viele Farmen zugrunde gegangen und hatten Wiesen wie diese als ihre Friedhöfe hinterlassen. Sie boten zwar einen traurigen Anblick, waren aber immer noch in einem besseren Zustand als die rußgeschwärzten, von Drachenfeuer verwüsteten Landstriche, deren verkohlte Böden nie wieder neues Leben hervorbringen und Menschen ernähren würden. Hier auf der Wiese konnte man wenigstens noch davon träumen, dass in ein paar Jahren etwas Neues entstand.

Davon abgesehen kam Elara gern zum Trainieren hierher, denn sie hatte nur zehn Minuten zu gehen und konnte rasch wieder zu Hause sein, wenn es nötig war. Heute war es nicht nötig. Elara hatte zwar in jeder Schlacht an der Seite ihrer Schwester gekämpft, im Prinzip eine Soldatin, nur ohne Rang, aber sie war nicht das Empyreische Kind. Die Königin kam nie ihretwegen nach Deadegg.

»Nein«, antwortete sie und beließ es dabei. »Cherry, alles in Ordnung?«

»Ich bin okay. Gedemütigt, aber okay.«

Cherry stand jetzt wieder, die Lippen zu einem übertriebenen Flunsch verzogen. Noch vor einem Jahr hätte Elara das als Einladung verstanden, sich vorzubeugen und an diesen Lippen zu knabbern, einen Arm um Cherrys schmale Hüfte zu legen, ihren Körper an sich zu ziehen und so lange einen Kuss auf die kleine Sommersprosse an ihrem Hals zu drücken, bis sie ihren Ärger über die Niederlage vergaß. Nicht dass sie Cherry vermissen würde. Aber sie vermisste diese verspielte Nähe, die sie wohltuend abgelenkt hatte von den Zweifeln in ihrem Kopf, die niemals Ruhe gaben.

»Machen wir eine Pause«, schlug Elara vor. »Wer möchte uns einen Saft holen?«

Ein kurzes Schnick-Schnack-Schnuck später hüpfte Wayne über den Zaun und lief auf der Suche nach einem Verkaufswagen den Weg hinunter. Elara ging derweil zu Reeve hinüber, der seine Lektüre unterbrach und einen Grashalm als Lesezeichen in sein Buch klemmte, bevor er es weglegte. Ihr Lächeln wurde breiter, als er eine Flasche Wasser aus seiner Tasche zog.

»Dich habe ich doch am liebsten«, sagte sie zu ihm, nachdem sie die Flasche halb leer getrunken hatte.

»Wir wissen beide, dass das nicht stimmt«, brummte er, »aber so ist es auch okay.«

Reeve bot hier draußen ein Bild der Entspannung, wie er so mit übereinandergeschlagenen Beinen an dem Baum lehnte. Dies war eine Seite von ihm, zu der Elara nicht immer Zugang gefunden hatte. Sie hatte ihn kennengelernt, als er, damals dreizehn Jahre alt, urplötzlich im iryanischen Kriegslager aufgetaucht war. Und selbst dazu wäre es beinahe nicht gekommen, denn die Soldaten hatten ihn töten wollen, weil er sich irgendwie an den Spähtrupps und Wachposten vorbeigeschlichen hatte. Er hatte zitternd dagestanden, Papierrollen, die er aus der Kommandozentrale seines Vaters gestohlen hatte, an seine Brust gepresst und in gebrochenem Patois hervorgestoßen: »Ich muss … ich muss die Königin sprechen!«

Er war Langleyaner und noch dazu der Sohn von General Gavriel Warwick, dem Herrscher des Langley-Reichs. Ein königlicher Erlass gestattete ihm mittlerweile zwar den Aufenthalt auf San Irie, aber auch nur deshalb, weil ihn seine eigenen Leute wegen Hochverrats umbringen würden. Was Freunde anging, hatte er niemanden außer Elara, und vielleicht noch deren Nachbarn Aisha, Cherry und Wayne. Und seine Familie waren die Hanlons, ein kinderloses Ehepaar, das ihn aufgenommen hatte und allem Anschein nach gut behandelte.

Alle anderen aus der Stadt und dem Umland brauchten nur einen Blick auf seinen silbernen Drachenauge-Anhänger zu werfen oder seinen langleyanischen Akzent zu hören, den er einfach nicht loswurde, und schon machten sie ihn persönlich für all das verantwortlich, was das Langley-Reich ihrer Insel angetan hatte. Elara freute sich, ihn heute so unbeschwert und entspannt zu sehen, doch gleichzeitig stimmte es sie auch traurig.

Reeve hatte alles verraten, was er wusste, und war dadurch zum Feind zwei Länder geworden.

Sie setzte sich neben ihn in den Schatten und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Ganz schön heiß!«

»Ach ja?«, fragte Reeve mit gespielter Verwunderung. »Auf einer Insel mitten in der Glutsee?«

Sie versetzte ihm einen Knuff mit dem Ellbogen, und gleich darauf kamen die anderen zu ihnen herüber. Anstelle von Safttüten brachten sie verschiedene Sorten Freeze Pop. Elara bekam eines mit Ananasgeschmack in die Hand gedrückt, Reeve das letzte Cream Soda. Weil sie eine gute Freundin war, beschwerte sie sich nicht.

»Ist doch Wahnsinn: Nächste Woche um diese Zeit dient mindestens einer von uns vielleicht schon im Himmelsbataillon«, sagte Wayne und setzte sich vor sie hin. Er schob seine schwarzen Locken aus der Stirn, doch sie fielen sofort wieder auf seine feuchte Haut zurück. Cherry lehnte den Kopf an seine Schulter, die Augen halb geschlossen, den Rock geschürzt, damit der leichte Wind über ihre entblößten Schienbeine streichen konnte. »Oder noch besser: Wir werden dazu auserwählt, Valor zu fliegen.«

»Kaum zu glauben, dass sie einen neuen Draken in Dienst gestellt haben«, sagte Aisha, die sich mit ihrem Eis den Nacken kühlte. »Das letzte Mal ist Jahre her. Das war … wie hieß er noch gleich?«

»Nobility«, antwortete Elara gähnend. »Das war der letzte, der vor dem Krieg gebaut wurde. Heute dient er als Privatflieger der Königin.«

Draken – riesige fliegende Kriegsmaschinen, die aus einem gerippten Metallwerkstoff namens Schuppenstein hergestellt wurden – waren halbintelligente Wesen. Sie wurden von Beschwörern gebaut, die Astrale anriefen und mit deren Magie den Schuppenstein so bearbeiteten, dass er die Größe und Form von Drachen annahm. Iryanische Magie konnte ebenso leicht auf jedes Metall einwirken, wie sie auch auf ihre Umgebung einwirkte, nur war Schuppenstein unempfindlich gegen Drachenfeuer und verstärkte die iryanische Magie in einem solchen Maß, dass sie es mit den Kriegsbestien aufnehmen konnte. Das machte Schuppenstein zu San Iries kostbarstem Rohstoff, zumal er nur hier auf der Insel zu finden war.

Nach jahrelangen Experimenten hatte man zudem festgestellt, dass die Astrale, die beim Bau der Draken halfen, kleine Reste ihres Lebens in den Metallteilchen hinterließen. Diese Lebensreste waren der Grund, warum sich unmöglich vorhersagen ließ, welche Anforderungen der fertiggestellte Drake an seine künftigen Piloten stellte, und es waren drei Piloten nötig, um ihn überhaupt erst in die Luft zu bekommen. Aber niemand schaffte den Sprung vom einfachen Soldaten zum Piloten im Himmelsbataillon, wenn gar kein Drake da war, den es zu fliegen galt.

Zum Glück hatte Königin Aveline beschlossen, bis zur Internationalen Friedenskonferenz von San Irie einen fünften bauen zu lassen, dem sie den Namen Valor gegeben hatte. In nur wenigen Tagen wurden politische Profitgeier aus den Reichen auf dem Kontinent Nova – Étolia, Joya del Mar und natürlich Langley – in der iryanischen Hauptstadt Port Sol erwartet. Die Königin wollte San Irie auf internationaler Ebene als unabhängigen Inselstaat etablieren und die Länder des benachbarten Kontinents zwingen, San Irie als gleichberechtigten Partner anzuerkennen und nicht länger als nur vorübergehend befreite Kolonie Langleys zu behandeln. Obwohl die Einberufung der Konferenz auf Kritik gestoßen war, selbst bei ihren eigenen Eltern, hatte Elara gar nicht richtig zur Kenntnis genommen, welche Feinde bald an ihren Küsten landen würden.

Noch waren keine Piloten für Valor ausgewählt worden. Die Rekrutierung sollte morgen erfolgen. Und Elara war alt genug für eine Bewerbung. Ihr Traum war wieder lebendig. Und mehr noch: Er war tatsächlich in Reichweite.

Was machte es da schon aus, dass sie noch nicht dazu gekommen war, ihrer Familie davon zu erzählen? Sie war bereit.

Sie musste nicht das Empyreische Kind sein, um etwas Besonderes zu tun.

Sie hatte gerade von ihrem Eis abgebissen, da kam wirbelnd eine Lichtkugel in Sicht.

Ein Astralruf.

Elara blinzelte ins Licht, und Ananassaft rann kühl über ihre Zunge, als sie erkannte, dass der Astral ihr Großvater Winston war. Der Vater ihres Vaters sah genauso aus wie sein Sohn, nur dass sein Ziegenbart schon vollständig grau war, während der ihres Vaters gerade erst zu ergrauen begann, und sein Kopf kahl geschoren war, wohingegen ihr Vater Locken trug, die ihm über den halben Rücken fielen.

Eine Nachricht für dich, sagte Pa Winston, der an den Rändern flimmerte.

Elara fühlte sich jetzt schon so schlapp, dass sie mindestens drei Stunden schlafen könnte, aber wenn sie ihrem Ahn nicht erlaubte, sich in ihrem Körper niederzulassen, würde sie die Nachricht nicht erhalten. Und wenn sie die Nachricht ihres Vaters ignorierte, konnte sie sich auf etwas gefasst machen, wenn sie nach Hause kam.

Sie seufzte. Ja, in Ordnung.

Pa Winstons Gegenwart legte sich wie eine dicke Decke um ihre Seele. Und das hätte etwas Angenehmes gehabt, wäre es heute nicht so unerträglich heiß gewesen. Sie atmete gegen die aufwallende Hitze an und öffnete weit die Augen, damit er den Windhauch spüren, den Duft von Gras und Erde riechen und die Unterhaltung hören konnte, die ihre Freunde leise führten. Damit er sich wieder lebendig fühlen konnte.

Er sprach mit einer Stimme, die der ihres Vaters glich: Elara, du sollst mit Reeve so schnell wie möglich nach Hause kommen. Das Essen ist fertig … und Königin Aveline hat mit euch zu reden.

Kaum war die Nachricht überbracht, entschwand Pa Winston auch schon wieder. Elara sank an Reeves Seite, die Augenlider schwer wie Blei. Sie hatte nie eine offizielle Magie-Schulung absolviert, nachdem sie in der Schule die Grundlagen erlernt hatte. Alles, was sie konnte, hatte sie sich selbst beigebracht, ganz ohne Lehrer, wie sie in den Tempeln zu finden waren. Eindrucksvolle Beispiele von Beschwörungskunst wie etwa die Fähigkeit, gleich mehrere Astrale nacheinander anzurufen, ohne ohnmächtig zu werden, waren abseits der großen Städte eine Seltenheit. Die meisten hochbegabten Beschwörer traten der iryanischen Armee bei.

Wie es seinerzeit Elaras Tanten getan hatten. Und wie es auch sie tun würde.

»Mein Vater will, dass wir nach Hause kommen«, sagte sie gähnend an Reeves Schulter. »Anscheinend möchte die Königin uns sprechen.«

»Sie möchte uns sprechen?«, fragte Reeve. »Dich und mich? Ist er da sicher?«

»Wahrscheinlich will er uns beide nur da haben, damit wir Faron zuliebe Geschlossenheit demonstrieren. Aber es gibt auch Abendessen.«

Reeve hob sein Buch auf und wischte Gras vom Umschlag. Er senkte die Stimme, als er weitersprach, doch das verhinderte nicht, dass ihr seine Worte einen Stich versetzten. »Wirst du es ihnen beim Essen sagen?«

Elara versuchte, es sich vorzustellen. Ihre Mutter legte sich immer mächtig ins Zeug, wenn die Königin zu Besuch kam, und tischte ein Festmahl auf. Sie sah es förmlich vor sich: marktfrischer Hummer, knallrot auf einem Bett aus grünem Gemüse, mit einem glänzenden Butterfilm überzogen, daneben ein hellgelbes Ziegencurry mit saftigen Fleischstücken. Sie würden sich alle zum Essen hinsetzen, und Elara würde warten, bis mindestens eine Platte leer war, bevor sie ihre Absicht bekannt gab, am nächsten Morgen zum nahe gelegenen Militärstützpunkt in Highfort aufzubrechen und sich dort zu verpflichten.

Das Bild zerplatzte wie eine Seifenblase. Ihre Mutter würde genauso schreien, wie sie damals geschrien hatte, als sie die Kondolenzbriefe erhielt, einen für jede Tante, die jetzt zu Hause in einer Schublade lagen und verstaubten. Ihr Vater würde erstarren, und auf seiner Stirn würden dunkle Gewitterwolken aufziehen. Und Faron … Faron war nie ohne sie an ihrer Seite in den Krieg gezogen. Sie wäre gekränkt. Wütend.

Enttäuscht.

Elara schnürte es die Kehle zu. »Vielleicht sollte ich erst mal abwarten, ob sie mich überhaupt nehmen.«

»Dich überhaupt nehmen?«, fragte Wayne. »Elara, du bist von uns allen die Beste. Wenn sie dich nicht nehmen, werden wir anderen noch nicht einmal in Betracht gezogen.«

»Du hast mir beigebracht, wie man Kampfbeschwörungen durchführt, ohne sich total zu verausgaben«, sagte Aisha. »Und ich bin längst nicht so gut wie du.«

»Ohne dir Honig ums Maul schmieren zu wollen«, fügte Cherry hinzu und hob den Kopf. »Aber ich muss den beiden recht geben.«

Reeve zog nur die Brauen hoch und gab dadurch zu verstehen, dass sich Elara aus seiner Sicht nur herausreden wollte. Aber er kannte ihre Eltern und wusste, dass sie ihren Traum zunichtemachen würden, noch bevor er die Chance bekam, in Erfüllung zu gehen. Sie hatten schon zu viel und zu viele an das Militär verloren. Vittoria. Mahalet. Gabourey. Selbst Elara und Faron hatten einen Teil von sich auf dem Schlachtfeld gelassen.

Fünf Jahre hatte Elara gebraucht, um das Vertrauen ihrer Eltern in sie wiederherzustellen. Fünf Jahre, in denen sie jedes Mal aufgewacht war, wenn ihr Vater oder ihre Mutter mitten in der Nacht den Kopf in ihr Zimmer steckten, um sich zu vergewissern, dass sie noch wohlbehalten in ihrem Bett lag. Fünf Jahre, in denen sie die Verantwortung für die leichtsinnige Faron getragen hatte. Fünf Jahre, in denen sie dafür gesorgt hatte, dass die Eltern wieder voller Stolz statt mit Sorge auf sie blicken konnten.

Bei jedem anderen Traum würden sie Elara unterstützen. Aber nicht bei diesem.

Wenn sie erst einmal in der Armee war und hoffentlich Drakenpilotin wurde, würden sie ihre Leistung vielleicht anerkennen und einlenken. Aber noch war alles nur ein Wunschtraum, nur eine Flamme der Sehnsucht, die in ihrem Herzen brannte, und die konnte allzu leicht von jemandem ausgeblasen werden.

»Ich werde es ihnen sagen«, raunte sie Reeve zu. »Aber nicht beim Essen, erst wenn die Königin wieder fort ist. Ich werde es ihnen sagen.« Dann hob sie die Stimme wieder an und rang sich für ihre Freunde ein Lächeln ab. »Ich danke euch. Aber wir werden alle reinkommen. Vielleicht meinen es die Götter gut mit uns, und die drei zukünftigen Valor-Piloten sitzen in diesem Moment hier.«

Elara spürte, dass sie von der Seite angestarrt wurde, doch sie ignorierte es. Denn würde sie Reeve jetzt ansehen, müsste sie zugeben, dass sie ihm und sich selbst etwas vormachte.

KAPITEL 3FARON

Dass die Königin doch gar nicht so schlimm sei, war die einzige Lüge, die Faron nur schwer über die Lippen kam.

Das Essen war aufgetragen. Normalerweise warteten ihre Eltern, bis die Familie komplett war, bevor sie den Tisch deckten, nicht aber wenn sie da war. Wenn Aveline Renard Castell, die von den Göttern gesegnete Herrscherin des Inselstaats San Irie, nach Deadegg kam und die Vincents besuchte, legten sie das gute Geschirr auf und zeigten sich von ihrer besten Seite. Was nervend war, denn die Königin war … nun ja … wirklich schlimm.

Vier Soldaten ihrer Leibgarde standen in blitzsauberen Marineuniformen hinter dem Stuhl, auf dem sie thronte wie eine Schlange im Festgewand. Ihr dunkelblaues Quadrille-Kleid schmückte ein schulterfreies Spitzenmieder, das ihre hellbraune Haut zur Geltung brachte, und die an ihrem indigoblauen Kopftuch funkelnden Sternchen harmonierten prächtig mit dem goldenen Diadem, das ihre Schläfen bekrönte. Mit zweiundzwanzig verströmte Aveline etwas von der Anmut und Eleganz, die ihr noch gefehlt hatten, als Faron sie sechs Jahre zuvor kennenlernte, doch alle Grazie dieser Welt konnte nicht ungeschehen machen, was sich seit damals zugetragen hatte.

»Das Essen ist köstlich, Mrs Vincent«, sagte Aveline mit einem gewinnenden Lächeln. »Ich liebe gesalzenen Kabeljau.«

Gesalzenen Kabeljau anstelle von Salzfisch. Es war kleinlich und engherzig von Faron, aber sie konnte die gezierte Art, in der Aveline seit ihrer Thronbesteigung redete, einfach nicht ausstehen. Das Mädchen, dem sie vor Jahren erstmals begegnet war, hatte einen kaum verständlichen Dialekt des Patois gesprochen, der auf dem Land verbreitet war, und Flüche gekannt, die selbst den ungehobeltsten Soldaten in Ehrfurcht versetzten. Für Faron war sie eine Heldin gewesen, fast wie eine zweite Schwester.

Jetzt war sie förmlich und reserviert und so versnobt, dass man das Gefühl hatte, jeder Satz von ihr transportiere die unterschwellige Botschaft, dass sie etwas Besseres sei als alle anderen.

Faron stopfte sich ein großes Stück Ziegenfleisch in den Mund, nur damit sie nichts sagen konnte.

»Zum hundertsten Mal, Majestät, bitte nennen Sie mich Nida.«

Nur mit Mühe konnte Faron ein Prusten unterdrücken. Im Umgang mit der Königin waren Vertraulichkeiten ebenso tabu wie Spitznamen.

»Das wäre wohl etwas unpassend«, bestätigte Aveline einen Augenblick später. »Doch ich weiß das Angebot zu schätzen.«

Farons Mutter lächelte – nur durch leichtes Hochziehen der Mundwinkel. Sie war ständig hin- und hergerissen zwischen ihrer mütterlichen Zuneigung zu Aveline und der ernüchternden Erkenntnis, dass ihr Kommen meist nichts Gutes verhieß. Sie hatte einen Topf Ziegencurry und lockeren weißen Reis gekocht. Daneben stand Salzfisch mit Ackee, ein buttrig-scharfes, herzhaftes Gericht. Die Erwachsenen, auch Aveline, tranken leichtes Bier. Faron hatte Ananassaft bekommen, mit dem sie ihren Groll hinunterzuspülen versuchte.

Es klappte nicht.

»Okay«, sagte Faron, sobald ihr Mund leer war. »Du bist nicht zum Essen hergekommen. Seien wir doch ehrlich.«

Das Lächeln fiel aus Avelines Gesicht wie ein Anker ins Meer. Ihren Augen fehlte jede Wärme, als sie Faron über den Tisch hinweg ansah. »Es würde dir gut anstehen, Älteren gegenüber wenigstens einen Funken Respekt zu zeigen, Empyrien.«

»Und wann haben die Älteren jemals mir gegenüber Respekt gezeigt?«

»Denkst du etwa, ich respektiere dich nicht?« Aveline zügelte das kurze Aufwallen ihrer Gefühle, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme wie glatt gebügelt. »Natürlich respektiere ich dich.«

»Du benutzt mich.«

Die Königin lachte, und es klang kühl. »Ausgerechnet du willst mir das vorwerfen?«

Faron öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, besann sich dann aber anders. Seit Jahren war das ein Streitpunkt zwischen ihnen, und ihr war aufgefallen, dass alle anderen in der Küche unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her rutschten.

»Bringen wir es hinter uns«, seufzte sie müde, »und sag mir einfach, weshalb du gekommen bist.«

Avelines kalte, schwarze Augen zeigten keinerlei Anzeichen von schlechtem Gewissen – aber Faron hatte auch nichts dergleichen erwartet. Sie teilten das gemeinsame Schicksal, dass ihnen in jungen Jahren eine zu große Last aufgebürdet worden war, und Faron kannte Avelines Geschichte und Legende ebenso gut wie ihre eigene. Königin Aveline Renard Castell war unter dem Namen Ava Stone auf einer Farm aufgewachsen, nicht ahnend, dass sie die Thronerbin war, nicht ahnend, dass die Menschen, die sie für ihre Eltern hielt, Mitglieder der königlichen Leibgarde waren und ihr Leben einer einzigen Lüge glich, die sie vor einem Krieg schützen sollte, der kein Ende nehmen wollte. Nachdem die Königinnen an einem Tiefpunkt der Revolution von Drachen getötet worden waren, hatten die Götter Faron ausgesandt, um Aveline zu holen, denn San Irie konnte seine Freiheit nur erringen, wenn die rechtmäßige Erbin den Thron einforderte.

Aber Legenden waren auf Lügen gebaut und verwandelten Menschen in Symbolfiguren. In den Büchern stand nicht, wie Avelines kühler Blick noch kühler geworden war, als Faron ihr eröffnete, dass sie nach dem Willen der Götter in Port Sol gekrönt werden sollte. Und dass sie die Dynastie der Renard Castells fortsetzen und das geschundene Land mit nur sechzehn Jahren durch einen beispiellosen Krieg führen sollte.

Sie hatten ein Jahr miteinander zugebracht, ein Jahr, in dem sich Faron der Kindkönigin annahm und ihr die Unterstützung zuteilwerden ließ, die ihr die Götter nicht geben konnten. Ein Jahr der Niederlagen und Siege, der Kämpfe und im Feuer geschmiedeten Bündnisse, der Fehlschläge und Intrigen. Und sowie der Krieg gewonnen und Aveline gekrönt war, kehrte Faron nach Deadegg zurück. Ihr Albtraum war zu Ende, aber der Königin Avelines hatte gerade erst begonnen.

Aveline trug ihr das bis heute nach.

Auch davon stand nichts in den Büchern.

Faron hatte einst gehofft, wieder mit Aveline sprechen zu können, wenn sie sich nur oft genug bei ihr entschuldigte, wieder richtig mit ihr sprechen zu können, über all das, was ihnen die Götter gegeben, und all das, was ihnen die Götter genommen hatten. Doch sie war immer wieder enttäuscht worden, und inzwischen wusste sie, dass sie nichts anderes zu erwarten hatte, als benutzt zu werden, entweder als Waffe oder als Staffage.

Und jetzt wollte sie nur wissen, als was diesmal.

»Ich brauche dich, deine Schwester und den jungen Warwick«, gestand Aveline. »Ihr müsst mich heute nach Port Sol begleiten und für die Dauer der Konferenz bleiben.«

Faron fluchte, ohne daran zu denken, dass ihre Eltern mit am Tisch saßen, bis ihre Mutter sie in die Seite stieß. Doch eine strenge Zurechtweisung blieb aus. Ihre Eltern waren über diese Planänderung nicht minder erstaunt. Sie lehnten die Internationale Friedenskonferenz in San Irie zwar ebenso ab wie Faron, vielleicht sogar noch mehr, aber bisher hatte Aveline sie noch jedes Mal dazu überredet, Faron gehen zu lassen. In ihren Augen hatte Aveline ihre durchgebrannten Töchter wohlbehalten aus dem Krieg nach Hause gebracht. Darum würden sie fast alles für sie tun, auch heute noch.

Dank Schuppenstein und den Beschwörern hatte San Irie innerhalb von fünf Jahren vieles wieder aufgebaut, doch in Farons Augen war es noch erheblich zu früh, die Großmächte einzuladen und über Friedens- und Handelsverträge zu sprechen. Wenn ein Einbrecher in ein Haus eingedrungen war und versucht hatte, die Besitzurkunde zu stehlen, lud ihn niemand, der noch bei Verstand war, hinterher zu sich ein, damit er die verbesserten Sicherheitsvorkehrungen in Augenschein nehmen konnte. Aber Faron war nur eine überschätzte Patronin. Aveline war die Herrscherin. Wenn sie sagte, dass eine Konferenz stattfinden sollte, hatte Faron dabei nicht mitzureden.

Aber jetzt hatte sie sehr wohl ein Wörtchen mitzureden.

»Ich sollte doch erst am Wochenende kommen«, brauste sie auf. »Und nur für eine Nacht. Man hat mir versprochen …«

»Die Dinge haben sich geändert«, unterbrach die Königin in einem ruhigen Ton, der wohlkalkuliert war und Faron das Gefühl geben sollte, unvernünftig zu reagieren. Und es funktionierte. »Wir ziehen die Demonstration an den Beginn der Konferenz vor.«

»Aber der ist doch erst in zwei Tagen. Und überhaupt, warum sollen wir denn die ganze Zeit bleiben?«

»Die Langleyaner sind auf iryanischem Gebiet eingetroffen.«

Mrs Vincent legte eine zitternde Hand auf Farons Arm. Aveline hatte die Langleyaner gesagt, doch es war offensichtlich, was sie eigentlich meinte.

Ihre Drachen.

»Sie landen drüben auf dem nahen Eiland San Mala, wie vorher vereinbart, aber unsere Leute fangen an, nervös zu werden. So viele Drachen in unmittelbarer Nähe der Insel hatten wir nicht mehr seit … na ja, ihr wisst schon.« Aveline reckte entschlossen das Kinn vor. »Wir haben auf dem Flugplatz Draken in Bereitschaft, aber ich glaube – vielmehr ich weiß, dass sich alle deutlich wohler fühlen würden, wenn auch die Empyrien da wäre. Falls es zu irgendwelchen Zwischenfällen kommt.«

Faron drückte fest die Hand ihrer Mutter, wie sie es häufig getan hatte, als sie noch jünger war. Bevor sie einen direkten Draht zu den Göttern bekommen und sich in den Krieg aufgemacht hatte, war sie ein verängstigtes Mädchen in einem Ort auf dem Land gewesen, der in einer Überflugzone am Fuß der Silberberge lag. Oft waren über den Gipfeln Feuer speiende Drachen aufgetaucht, die mit ihrem glühenden Atem Äcker vernichteten und mit ihren Flügeln Stürme entfachten, die Holzhütten über die Ebene bliesen. Jeden Morgen, wenn sie aufwachte, fragte sie sich, ob sie heute sterben würde, eine Angst, die sich im Lauf der Jahre festsetzte, die ignoriert, aber nie ganz vergessen wurde.

Da sie auf viele Dinge keinen Einfluss hatte, betete sie. Sie betete zu Irie und flehte darum, diesen Krieg zu beenden. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, dass sie selbst ihn beenden würde.

Noch heute kam es ihr unwirklich vor, dass Aveline von ihr sprach, als wäre sie für viele fremde Menschen die einzige Hoffnung. Sollten die Leute doch lieber zu den Göttern beten, statt ihre Hoffnung in sie zu setzen. Sie selbst hatte kaum noch welche.

»Wie viele Drachen?«, hörte sie sich fragen.

»Bisher drei.«

»Drei.«

Faron hatte das Gefühl, als wäre sie selbst ein Astral und die Person, die da zwischen ihren Eltern saß, ein anderes Mädchen, das die Last der Welt auf seinen Schultern trug. Für sich selbst sah sie einfach keinen Platz in dieser Szene, in der die Königin ihres Landes erklärte, dass sie, ein siebzehnjähriges Mädchen, die Einzige sei, die ihrem Volk die Angst vor drei Drachen nehmen könne.

»… Kadetten von der Ausbildungsakademie Hearthstone«, sagte Aveline gerade, als Faron wieder in ihren Körper zurückkehrte. »Offenbar sind sie als Beobachter hier, nicht als Teilnehmer. Das hätte ich eigentlich verbieten müssen, habe es aber leider versäumt.« Sie schnippte nicht vorhandene Staubfussel vom Oberteil ihres Kleides. »So ein Fehler passiert mir kein zweites Mal, das versichere ich euch.«

»Werden wir denn mehrere Friedenskonferenzen brauchen, Majestät?«, fragte Papa in einem höflichen Ton, der beinahe vorwurfsvoll klang. »Ich dachte, es gehe um eine Demonstration unserer Stärke. Verliert diese Botschaft nicht ihre Wirkung, wenn sie wiederholt werden muss?«

»Nun ja …«

Faron hörte einen Schlüssel im Schloss und rannte zur Haustür, um Elara zu begrüßen.

Ihre Schwester war verschwitzt, lächelte aber. Sie hatte ihre hüftlangen Zöpfe zu einem halben Dutt hochgesteckt und trug ein legeres schwarzes Reitkleid mit dazu passenden Hosen, was bedeutete, dass sie wieder mit ihren Freunden laufen gewesen war. Sie sank in Farons Arme, und das wiederum bedeutete, dass sie und ihre Freunde sich wieder im Beschwören geübt hatten.

Faron musste lachen. »Mal wieder übertrieben heute?«

»Fang jetzt bloß nicht damit an.«

»Ist ja schon gut. Ich möchte dich nur daran erinnern, dass du eigentlich die Vernünftige von uns beiden sein solltest.«

Was immer Elara als Erwiderung grummelte, blieb ungehört, denn im selben Moment bemerkte Faron, wen sie mitgebracht hatte: Reeve Warwick. Es versetzte ihr immer einen kleinen Schock, auf einer Insel, auf der von Gelbbraun bis Dunkelbraun alle Hautschattierungen vertreten waren, diesen weißen Jungen zu sehen. Sie wusste, dass Langley viele Länder erobert hatte und nicht jeder, der blasse Haut und helle Augen hatte, ein Langleyaner sein musste, aber Reeve stach auch in anderer Hinsicht hervor. Fast einen Kopf größer als Faron, mit milchweißem Teint und eisblauen Augen, das Haar geölt und von rötlich brauner Farbe, war er das jüngere Ebenbild seines Vaters und sprach mit dem entsprechenden Akzent.

Sein Vater war der derzeitige Herrscher des Langley-Reichs, deshalb litt Faron unter seiner Gegenwart, noch bevor er den Mund aufmachte und etwas Herablassendes sagte.

Sie starrte ihn an. Er grinste.

»Wieder um die Wette gerannt?«, fragte Reeve.

»Faron«, stöhnte Elara. »Du hast versprochen, nach der Schule gleich nach Hause zu gehen.«

Farons Wangen glühten. Sie funkelte Reeve an. »Wie kommst du darauf?«

»Deine Knöchel. Sie sind schmutzig. Du bist also nicht nur gerannt, du hast auch nicht gebadet.«

»Willst du damit andeuten, dass ich schlecht rieche?«

»Ich habe nur auf deine Frage geantwortet.«

»Bitte.« Elara gähnte. Die Standpauke, die sie sich zurechtgelegt hatte, fiel ihrer Müdigkeit zum Opfer. Sie lehnte sich an Faron wie an ein stehendes Kissen. »Waffenstillstand, solange wir Besuch haben.«

»Meinetwegen.« Reeve zuckte mit den Schultern und rückte das Buch, das unter seinem Arm klemmte, zurecht. »Waffenstillstand, Faron!«

»Idiot.«

Sein Grinsen wurde breiter. »Man sollte wirklich mehr Bücher über deinen Charme schreiben.«

Faron lag schon eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch Elara drückte sie ein letztes Mal und richtete sich dann auf.

»Majestät«, grüßte sie und schubste Faron mit der Hüfte aus dem Weg. »Willkommen zurück in Deadegg. Ich hoffe, Sie hatten einen noblen Flug. Na ja, wo Sie doch mit Nobility hergeflogen sind.«

In der Stille, die daraufhin eintrat, verdrehte Faron liebevoll die Augen und bereute es sofort, als sie sah, dass Reeve dasselbe tat. Sie stürmte nicht gerade in die Küche zurück, aber viel fehlte nicht.

Elara begrüßte jeden Leibgardisten mit Namen, bevor sie und Reeve auf den freien Stühlen Platz nahmen. Sie schöpfte zwei Teller voll, ohne dabei auch nur einmal aufzuschauen, als könnte das den anderen dabei helfen, ihren schlechten Scherz zu vergessen. Reeve raunte Elara etwas zu, worauf ihre Mundwinkel nach oben zuckten, und Faron schluckte ihren aufsteigenden Ärger hinunter. Sie wollte ja gerne glauben, dass Reeve besondere Aufmerksamkeit verdiente, aber nach einem Tag wie heute tat es ihr weh, dass ihre Schwester sich nun wirklich mit jedem anfreunden konnte. Sie selbst konnte nicht einmal die Königin dazu bringen, sie zu mögen, und sie hatten eine Menge zusammen durchgemacht.

»Können wir fortfahren, nun, da wir vollzählig sind?«, fragte Aveline. »Ich finde, gemeinsam sind wir stärker. Ich bin die Königin. Das Empyreische Kind ist ein international anerkanntes Symbol für göttliche Vergeltung. Elara Vincent ist ein Musterbeispiel für familiären Zusammenhalt, und Reeve Warwick hat im Interesse von Gerechtigkeit und Gleichheit alles verraten, woran zu glauben er erzogen wurde. Die Langleyaner versuchen, uns einzuschüchtern, indem sie mehr Drachen mitbringen, als ich jemals gestattet hätte, deshalb möchte ich sie daran erinnern, wer diesen Krieg gewonnen hat und wie. Ich möchte, dass ihr alle mit mir heute Abend nach Port Sol fliegt. Einverstanden?«

»Nach Port Sol?«, fragte Elara mit großen Augen. »Aber … schon heute Abend? Warum …? Das ist doch nicht … ich meine …«

Elara schien das Sprechen verlernt zu haben, und Faron konnte es ihr nicht verdenken. Jahre waren vergangen, und noch immer fiel es ihr schwer, an jene Zeit zurückzudenken. Sie mochte sich nicht vorstellen, wie schlimm es für ihre Schwester gewesen sein musste, die ja nicht unter dem Schutz der Götter gestanden hatte. Elara war dreizehn gewesen, als Faron, damals zwölf, von zu Hause ausriss, um in den Krieg zu ziehen. Elaras Beschwörungskünste waren zu der Zeit noch sehr bescheiden gewesen, und von Selbstverteidigung hatte sie überhaupt keine Ahnung gehabt. Aber ihr Mut? Grenzenlos. Denn wohin Faron auch ging, und ganz gleich, wie gefährlich es dort war, Elara war ihr nicht von der Seite gewichen.

Keine von beiden sehnte sich nach dieser Zeit zurück, aber Faron war froh, dass sie wenigstens zusammen nach Port Sol fliegen und sich gemeinsam den schlechten Erinnerungen stellen würden, zum ersten Mal seit Kriegsende.

»Selbstverständlich kommen sie mit«, sagte ihr Vater. »Aber nicht heute Abend. Die Konferenz beginnt erst übermorgen. Lassen Sie ihnen den Abend, damit sie packen und sich anständig verabschieden können. Sie können gerne in einem unserer Gästezimmer nächtigen, Majestät.«

Es war ein Kompromissangebot, keine Frage. Aveline nickte. Bei ihrer Heimkehr aus dem Krieg hatten Faron und Elara feststellen müssen, dass ihre Eltern in ihrer Abwesenheit um Jahrzehnte gealtert waren, dass sie graue Strähnen und dicke Tränensäcke unter den Augen bekommen hatten. Sie hatten geschrien und geweint, dann noch mehr geschrien und geweint, doch fünf Jahre Frieden – und Elaras mäßigender Einfluss auf Faron – hatten ihnen ermöglicht, ein wenig durchzuatmen. Und dass sie jetzt von Aveline informiert wurden, war ihnen allemal lieber, als wenn sich ihre Töchter mitten in der Nacht davonstahlen.

»Ich werde die Schule benachrichtigen, dass ihr den Rest der Woche fehlen werdet.« Ihre Mutter klang sehr erschöpft. »Reeve, möchtest du den Hanlons persönlich Bescheid sagen, oder soll ich sie per Astralruf informieren?«

»Ich kann es ihnen sagen, wenn ich zum Packen nach Hause gehe«, antwortete er bedächtig. »Aber Elara kann …«

»… es kaum erwarten«, fiel ihm die Genannte ins Wort. »So etwas wie diese Konferenz erlebt man nur einmal im Leben.« Sie fingerte an ihrem Löffel herum, bis er klirrend zu Boden fiel. »Was soll ich nur anziehen?«

Aveline lächelte, und zum ersten Mal an diesem Tag wirkte ihr Lächeln echt. Elara hatte diese Wirkung auf Menschen. »Wir werden bei Schneidern in der Stadt Abendkleider für euch fertigen lassen.«

»Wunderbar. Einfach wunderbar!«

Elara duckte sich unter den Tisch, um den Löffel aufzuheben. Ihr Lachen klang schrill. Reeve beobachtete sie, als wäre ihm ein Lapsus unterlaufen, aber das bestätigte nur, was Faron bereits vermutete.

Elara log.

Ihre Schwester bekam schon feuchte Hände, wenn sie nur das Gefühl hatte, in Schwierigkeiten zu geraten. Einmal hatte sie bei dem bloßen Gedanken, an einer Aufgabe zu scheitern, sogar losgeheult. Sie hatte nie gelernt, so zu lügen wie Faron, aber jetzt log sie. In Bezug worauf? Und warum?

Elara tauchte wieder unter dem Tisch hervor. Sie hielt den Löffel so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Faron musterte sie stirnrunzelnd und wünschte, die Götter könnten ihr die Macht verleihen, in die Köpfe der Menschen zu schauen. Sie konnte sich nichts vorstellen, was so wichtig war, dass die perfekte Elara sie, die Königin und ihre Eltern deswegen anlog. Und der Gedanke, dass sie ihre Schwester – ihre beste Freundin – möglicherweise doch nicht so gut kannte, wie sie geglaubt hatte, tat ihr sehr weh.

Die Unterhaltung beim Essen war recht angeregt, die Atmosphäre nur ein wenig gezwungen. Elara mied jeden Blickkontakt mit Faron. Faron aß ihren Teller leer und half dann ihrer Mutter beim Abwasch, und irgendwann dazwischen gab sie ihr viertes und letztes Versprechen an diesem Tag. Eines, von dem sie wusste, dass sie es halten würde.

Was immer Elara verheimlichte, sie würde es herausfinden.

Und zwar bald.

KAPITEL 4ELARA

In dieser Nacht riss Elara zum zweiten Mal in ihrem Leben von zu Hause aus.

Als sie unsanft im Garten ihres Vaters landete und sich dabei fast den Knöchel verstauchte, wünschte sie, sie wäre nicht so eine Memme. Der Wind fühlte sich zu kalt auf ihrer Haut an. Ihr Herz schlug zu schnell. Irgendwo in der Nachbarschaft heulte ein streunender Hund, und es klang wie eine Warnung.

Eigentlich passte das gar nicht zu ihr. Sie war nicht diejenige, die rebellierte. Rebellieren machte ihr Angst. Faron war von den Göttern gesegnet worden, hatte ihre Magie beschworen, die Welt gerettet. Elarahatte Ärger bekommen, weil sie ihre Schwester nicht aufgehalten hatte und ihr ohne eigenen göttlichen Schutz gefolgt war, sodass die Eltern befürchten mussten, beide Töchter auf einmal zu verlieren. Faron war zu einem aufsässigen Teenager herangewachsen, doch Elara hatte sich brav an die Regeln der Eltern gehalten. Und war dabei sogar aufgeblüht.

Wenn sie jetzt wieder ins Haus zurückkehrte, würden sie ihr aufgrund ihres guten Rufs vielleicht schon in fünf statt in fünfzig Jahren verzeihen.

Aber wenn sie es tat, würde sie immer nur eine Heldin innerhalb dieser Mauern bleiben. Der Rest der Welt würde sie zu einer Fußnote in den Büchern machen, die über ihre Schwester geschrieben wurden, sofern sie überhaupt darin erwähnt wurde. Vielleicht sollte ihr das egal sein, aber das war es nicht. Sie wollte auch jemand sein. Manchmal hatte sie das Gefühl, so sehr in Farons Schatten zu stehen, dass sie niemand hören konnte.

Sie drehte sich um und musste die Hand vor den Mund schlagen, um nicht zu schreien.

Unter dem in Mondlicht getauchten Kirschbaum stand Faron. Sie trug noch ihr Nachtgewand, ein einfaches weißes Baumwollhemd, das mit ihren Initialen bestickt war. Miss Johnson hatte es ihr geschenkt, eine ältere Nachbarin vom Ende der Straße, die das ganze Dorf als ihre Familie betrachtete.

Faron spuckte einen Kirschkern in das Beet mit Weihnachtssternen zu ihrer Linken und hob die Augenbrauen.

»Wer hat es dir verraten?«, fragte Elara. »War es Reeve?«

»Wenn Reeve Warwick mir erzählt, dass es draußen regnet, glaube ich ihm erst, wenn ich klatschnass bin.« Faron verschränkte die Arme. »Du selbst hast es mir in dem Moment verraten, als du gelogen hast. Du bist eine schlechte Lügnerin. Wo willst du hin?«

Elara überlegte, welche Möglichkeiten ihr blieben, und kapitulierte sofort. »Ich will zum Himmelsbataillon. Morgen beginnt die Rekrutierung.«

Faron sog kurz die Luft ein. »Und deswegen lügst du mich an?«

»Ich dachte … ich dachte, du würdest sauer sein. «

»Ich bin sauer. Wie hast du dir das gedacht? Wenn Mama und Papa aufwachen, und dein Bett ist leer, werden sie nicht nur die Polizei alarmieren. Sie werden Avelines gesamte Armee nach dir suchen lassen. Um Iries willen, Aveline höchstpersönlich würde die Armee in Marsch setzen.«

»Ich …«

»Nein«, sagte Faron und hob eine Hand. »Sag mir jetzt nicht, dass du dir alles genau überlegt hast. Das hast du nämlich nicht. Ich bin die Lügnerin, Elara, nicht du. Ich weiß, du hast gehofft, als Drakenpilotin ausgewählt zu werden, bevor jemand nach dir sucht, aber glaube mir, dazu wird es nicht kommen.«

Elara überlief es kalt. »Du glaubst nicht, dass ich ausgewählt werde?«

»Natürlich wirst du als Drakenpilotin ausgewählt«, antwortete Faron, als wäre es eine unbestreitbare Tatsache, und die Anspannung in Elaras Schultern löste sich ein wenig. »Alle lieben dich. Warum nicht auch ein Drake?«

Es hatte etwas Surreales, mit ihrer Schwester im Mondschein unter ihrem Schlafzimmerfenster zu stehen, den Thymian ihres Vaters zu zertrampeln und das von den Göttern erkorene Empyreische Kind sagen zu hören, dass alle sie liebten. Wäre da nicht die Angst gewesen, die unter ihrer Haut pulsierte, hätte sie geglaubt, noch zu schlafen.

»Was ich damit sagen will«, fuhr Faron fort. »Wenn du auf diese Art verschwindest, werden dich Mama und Papa und die Königin und ihre Gardisten an den Zöpfen wieder nach Hause schleifen, bevor du überhaupt die Chance bekommst, es zu versuchen. Du brauchst über einen halben Tag, um nach Highfort zu kommen.«

Ihre Schwester stand zwischen ihr und der Freiheit. Und sie hatte verdammt noch mal recht. Elara bugsierte Faron von dem noch offenen Fenster weg und zurück in den Schatten des Kirschbaums. »Was schlägst du vor?«

»Ich kann dich decken und mir etwas ausdenken. Zum Beispiel, dass du in den nächsten Tempel gegangen bist, um für deine Freunde zu beten. Das verschafft dir die Zeit, die du brauchst, um dich zu verpflichten.«

»Die Konferenz findet in Port Sol statt, und dort gibt es einen Tempel«, gab Elara zu bedenken. »Ich könnte doch auch dort beten.«

»Wenn die Empyrien in der Stadt ist? Du würdest nicht reinkommen, bevor deine Freunde eingerückt sind.«

»Also, ich weiß nicht …«

»Vertrau mir. Ich habe Papa und Mama angelogen, seit ich sprechen kann. Ich werde die Sache schon deichseln.«



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