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Direkte und schnörkellose Slam-Poesie. Emotionsgeladene Lyrik voll Sarkasmus und Bildgewalt, skurril-witzige, aber niemals kritiklose Prosa und eine kaum zu bändigende Sprachgewalt: Damit wurde David Friedrich zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Slam-Poeten unserer Zeit. Auf eine Sammlung seiner besten Texte haben seine Fans lange gewartet. Das Phänomen David Friedrich ist mittlerweile aus der Poetry-Slam-Szene nicht mehr wegzudenken. Niemand persifliert den Zeitgeist so genial wie David Friedrich: In einem Moment lacht man Tränen, und im nächsten bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Gerade amüsiert man sich noch über ein raffiniertes Wortspiel, bevor man sich Sekunden später selber ertappt fühlt. Dieses Buch brennt, von der ersten bis zur letzten Seite, durch selbst entzündende Reime über politische, aber auch nebensächliche Themen. Es unterhält, stellt unbequeme Fragen und brennt sich gleichzeitig ein in die Köpfe.
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Seitenzahl: 81
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David Friedrich
DAVID FRIEDRICH
wuchs in München auf und steht auf der Bühne, seit er 15 ist. Inzwischen gehört er zu den bekanntesten Bühnenpoeten Deutschlands. 2010 war er Bayrischer U20-Meister im Poetry Slam, 2013 und 2014 Hamburg-Meister, 2016 gewann er die Schleswig-Holstein-Meisterschaften. Mehrmals stand er im Finale der Deutschen Meisterschaften.
Neben Auftritten im gesamten deutschsprachigen Raum moderiert er Slam- und Musikveranstaltungen und gibt Rhetorikworkshops für Kinder mit Migrationshintergrund. 2015 erschien sein Jugendbuch »Schlag ein« (Oettinger).
David Friedrich studiert Kulturen und Sprachen des Vorderen Orients und tritt regelmäßig bei Kongressen und Veranstaltungen zu Themen wie Integration und Demenz auf.
»David Friedrich kann anscheinend aus allem einen überragenden Slam-Text machen. Ganz egal ob er gerade eine präzise Gesellschaftskritik in Reimform schreibt oder sich in wunderbar unsinnige Oden hineinsteigert: Das Publikum ist begeistert. Und mit ›Publikum‹ meine ich mich.« (Sebastian 23)
»David Friedrich ist der Prometheus der deutschsprachigen Poetry-Slam-Szene.« (Dorian Steinhoff)
»Ich weiß, ihr wollt alle gerne ein Stück oder ein Kind von David. Hier habt ihr ein Buch. Und jetzt lasst ihn! Er gehört mir!« (Julian Heun)
»Hamburg ist das Zentrum des Poetry Slam in Deutschland und David Friedrich sein Star.« (Die Welt)
E-Book-Ausgabe Oktober 2016
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© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2016
www.satyr-verlag.de
Covergrafik und Illustrationen: Timo Zett (www.timozett.de)
Autoreninfoto Innenklappe: Jan Brandes
Korrektorat: Jan Freunscht
Audioaufnahmen: Vredeber Albrecht (www.audiofenster.de)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
E-Book-ISBN: 978-3-944035-80-2
1. FUNKE
Fenster zur Welt
Die Orangenlimonade
Fragen zum Frühstück
Islamwissenschaften
Mike und die Werbung
Drück, Diggi, drück
2. FEUER
Heiter bis wolkig
Satznomaden
Je suis Siegfried
Konturen
Kopfrechnen
Glück auf
3. ASCHE
Randale und Liebe
Es juckt noch ein bisschen
Vergessen verdienen
Zukunftsvisionen
Die Carazza
Staub
Michel Abdollahi
Unsere Welt ist so sicher wie noch nie zuvor. Wir werden immer älter. Und immer gesünder. Von ein paar Millionen fettleibigen Mexikanern abgesehen. Aber auch denen geht es besser als früher. So wenige Kriege wie in den letzten Jahrzehnten gab es noch nie. Unzählige Krankheiten sind ausgemerzt. Im Iran etwa kriegen die Frauen nur noch zwei statt sieben Kinder, und die Menschen leben im Schnitt 71 Jahre statt 42.
Schon mal was von Professor Hans Rosling gehört? Man findet ihn bei YouTube. Rosling bestätigt ziemlich unterhaltsam und ziemlich belegbar: Die Welt ist gar nicht so schlecht, wie wir denken. Wahrscheinlich sind wir die glücklichsten Menschen, die je gelebt haben. Tatsächlich. Hört sich komisch an. Ist aber so. Denn Glück, das sagt David Friedrich ja schon, ist eine gute Gesundheit und ein funktionierender Schluckreflex. Hört sich auch komisch an. Ist aber wahrscheinlich auch so. Gibt nämlich für viele gar nicht mehr so viel zu schlucken, und damit meine ich nicht das Blähbauchbaby in Mogadischu.
Was brennt hier also überhaupt?
Nun, vor Kurzem war ich offline. Ganz analog wie früher, wobei dieses »früher« erst vor ziemlich Kurzem war. Offline war die Welt schön. Die Menschen hatten sich lieb, alles so friedvoll, jeder ging seiner Sache nach, hier und da ein paar Gedanken, etwas Zeitung lesen, einige Meldungen, Austausch mit Menschen am Tresen oder in der Schlange beim Bäcker. Eine glückliche Welt, die beste, die wir je hatten. Und dann kurz online, Facebook, Twitter, Newsblog. Oh Gott! Krieg, Krankheit, Verderben. Überall Meinungen und Kommentare, alle schreien. Überall Elend, die Welt brennt, und wir können sie nicht mehr löschen. Als ich kurz davor aus dem Fenster rausschaute, sah alles noch so gut aus, wie konnte ich die Flammen nicht sehen? Dann plötzlich Akku leer. Brand gelöscht, Glück gehabt. Geht auch einfacher, wie ich gelernt habe, denn es gibt mittlerweile Filter, die politische Inhalte in sozialen Medien blocken.
Wollen wir das? Völlige Ignoranz? Wenn man will, dass einem nicht der Kopf explodiert, man ein ruhiges und glückliches Leben führt, dann ja. Aber wer will das schon?
Die Welt brennt immer nur da, wo wir unsere Kameras aufstellen. So ist es für uns zumindest. Es ist keine Ignoranz, wenn mal keine Kamera aufgestellt ist, es ist normal. Nur werden heute sehr viele Kameras aufgestellt, und da ist es nicht verwunderlich, wenn der Eindruck entsteht, wir lebten in der schlimmsten Phase der Menschheitsgeschichte.
Denken wir mal an den Uninteressierten, den Ahnungslosen, den Sorglosen, den Lebemann. Für den brennt die Welt nie. Zumindest solange sie ihn nicht direkt betrifft. Wir brauchen mehr von dieser Gelassenheit, der Gelassenheit der Oma im Bergdorf, deren Facebook nur der Blick aus ihrem Fenster zum Hof ist. Wer den großartigen Hitchcock-Thriller gesehen hat, wird jetzt aber einwenden, dass erst der Blick aus dem Fenster schlussendlich (Achtung, Spoiler!) zur Überführung eines Mörders geführt hat. Also was jetzt?
Nun, manchmal bedarf es feinsinniger Beobachtung und kluger Auseinandersetzung mit jenen Themen, die uns beschäftigen, und mit jenen, die uns beschäftigen sollten. David Friedrich ist so ein Filter. Denn er präsentiert uns in einer unglaublichen Vielfalt, das, was da draußen so passiert. Er dichtet und reimt, flüstert und schreit, aber genauso relativiert er und fasst zusammen. Er bringt das, was viele denken, auf den Punkt. In fünf Minuten. Immer. Und das so wie kein anderer auf den deutschsprachigen Poetry-Slam-Bühnen. Das sage nicht ich, das sagen alle anderen – Kollegen wie auch Zuschauer. Nicht die Siege geben ihm recht, es ist die Zustimmung.
Ich moderiere David nur an und sehe ihn nur von hinten. Dafür sehe ich die Gesichter der Zuschauer aber immer sehr genau und darin stets so vieles, was ich hier nicht aufzählen kann. Mein Glück ist es, dieses Buch schon oft vorgelesen bekommen zu haben, von David selbst, auf unzähligen Slams, live von der Bühne aus. Vieles habe ich erst beim nächsten Mal verstanden, vieles erst beim übernächsten Mal neu entdeckt.
Braucht es mehr Slam-Bücher? – Diesmal schon, sonst versteht man gar nicht, was der Junge da so alles zusammenreimt und wie genial das ist. Das wäre schade, denn David ist mein Fenster zum Hof, er macht auf das aufmerksam, worauf aufmerksam gemacht werden muss. Dafür wird er zu Recht gefeiert.
Am Ende wird der Brand nicht gelöscht, das ist auch nicht die Absicht dieses Buches. David Friedrich kriegt die Flammen für uns in den Griff, damit wir wieder gerne aus dem Fenster zum Hof schauen. Aber seien wir ehrlich: Er ist bei Weitem nicht so cool wie James Stewart.
Panama City, August 2016
Sie würde so gerne mal die Welt sehen
Doch blickt nur aus dem Fenster zum Hof
Weil neben Mut auch noch das Geld fehlt
Ist sie eigentlich mental schon tot
Optisch ist sie wie von Picasso gemalt, diese Frau
Kein Kubismuswitz, wartet nicht drauf
Denn vom Ehemann geschlagen ist ihr Auge
Auch phasenweise blau
Aber es reicht, um rauszugucken, es ist etwas zu hell
Das Wetter ist heute sensationell
Und sie macht den Fernseher zum Hof aus
Und guckt raus aus ihrem Fenster zur Welt:
Die Oma lehnt schlecht gelaunt am Geländer und bellt
Ein kleines Kind rennt da ganz schnell
Während es in seinen Händen ’nen grellen Lenkdrachen hält
Vorbei an der Vorortversion von ’nem Gangsterkartell
Die Jungs sind keine 17 und machen nur Stress anstatt Geld
Ihre großen Brüder machen im geleasten Benz hart auf Welle
Kritisch beäugt von Rentnergestellen
Die im Café Averna auf Eis in undenkbaren Mengen
Und Rohkoststicks in ’nem umfunktionierten Senfglas bestellen
Die Bedienung hat sich in den Bart zwei kleine Zöpfe geflochten
Er hat den obersten Hemdknopf zugeknöpft
Aber alle anderen Knöpfe sind offen
Der junge Typ am anderen Tisch denkt
Dass er auch so ’nen Fummel braucht
Im Gegensatz zu seinen Kollegen
Die regen sich über Mats Hummels auf
Fußball interessiert ihn wenig, er mag Mode lieber
Und alle tragen rote Sneaker
Sie hingegen findet Style zu oberflächlich
Fragt sich lediglich:
Warum werden die Nikes so schnell dreckig?
Sie holt sich gegenüber einen Eiskaffee und setzt sich
Versucht, Blickkontakt aufzunehmen
Doch er ist mit seinem iPhone sehr beschäftigt
Angestrengt auf den Bildschirm guckend
Für die Hübsche ist er blind
Denn um das Level zu gewinnen
Muss er genügend Früchte verbinden
Und der türkische Obsthändler macht ein krasses Angebot
Nur was will ma’ jetzt mit drei Riesenwassermelonen?
Es ist heiß
Alle Fenster empfangen die Temperaturen mit offenen Armen
Die selbst gemachten Limonaden locken das Warme
Trotzdem zieht primär der Smog durch die Straßen
Atemgassen, Luftwege zu verstopft, um zu atmen
Blind und unbedacht folgen Jünger den Propheten
Und alle haben anstelle von Mündern Trompeten
Zündende Ideen nur, um brandschatzen zu gehen
Der andere hat, was ich nicht habe: Sandkastenprobleme
Dürre in den Köpfen, vergessen sind die einstigen Wunden
Und um alles in Brand zu setzen, reicht ein einziger Funke
Roter Punkt im reinen Dunkeln
Mitten am helllichten Tag glimmt er in der Nacht
Dieser finsteren Stadt
Kinder der Nachbarn
Hätten bestimmt nicht gedacht
Dass das große Feuer dieses Jahr nicht an Ostern ist
Während die arbeitslose Mutter vor dem Tablet im Koma sitzt
Und sich ein Funke der Zigarette durch den Bezug des Sofas ritzt
Und während der Nachrichtensprecher den Anschlag erwähnt
Wird nebenan schon der nächste Brandsatz gelegt
Im Kopf der jungen Janina, 13 Jahre, Einzelkind
Papa erklärt, wer heutzutage unsere Feinde sind
Auf dem Schulfest, der süße Junge, mit dem sie da tanzte
Nein, das mit Serhad wird wohl keine Teenieromanze
Obwohl es zwischen den beiden erst geknistert, dann gefunkt hat
Vergiss deinen Grundsatz
Und füge dich dem misslichen Umstand
Das Licht in unseren Augen ist zu müde
Wir sind Schiffsschrauben in der Wüste