Sommerduft und Weißweinküsse - Angelika Lauriel - E-Book
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Sommerduft und Weißweinküsse E-Book

Angelika Lauriel

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Beschreibung

Lässt sich zwischen duftenden Weinreben und dunklen Geheimnissen die Liebe finden?
Der stimmungsvolle Liebesroman vor der traumhaften Kulisse Frankreichs

Die junge Übersetzerin Leah Bonnet verliebt sich bei einem Urlaub an der Elsässer Weinstraße in den attraktiven und geheimnisvollen Winzer Marc Wolfler. Obwohl Leah in Momenten der Nähe glaubt, dass er ihre Gefühle erwidert, bleibt Marc abweisend. Leah bezweifelt immer mehr, dass sie seinen Schutzpanzer aus Unnahbarkeit aufbrechen kann. Das Werben des gut aussehenden Winzers André Kern, der mit seiner lebensbejahenden Einstellung eine glückliche und sorgenlose Zukunft zu versprechen scheint, lässt sie ebenso nicht kalt. Doch die beiden Winzer scheint ein düsteres Geheimnis zu verbinden und auf dem traditionellen Weinfest eskaliert die angespannte Beziehung zwischen ihnen. Leah muss sich nun entscheiden …

Alle Bände dieser Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leser:innenstimmen
„Gefühlvolle und spannende Liebesgeschichte zum Wegträumen.“
„Hier gibt’s gleich zwei Traummänner auf einmal … und es wird prickelnd!“
„Allein die Landschaftsbeschreibungen und die Atmosphäre überzeugen schon, aber auch die Story geht ans Herz und fesselt!“
„Bildhaft erzählter Liebesroman, perfekt für den Urlaub oder für alle, die sich nach Frankreich sehnen.“

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Seitenzahl: 380

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Über dieses E-Book

Die junge Übersetzerin Leah Bonnet verliebt sich bei einem Urlaub an der Elsässer Weinstraße in den attraktiven und geheimnisvollen Winzer Marc Wolfler. Obwohl Leah in Momenten der Nähe glaubt, dass er ihre Gefühle erwidert, bleibt Marc abweisend. Leah bezweifelt immer mehr, dass sie seinen Schutzpanzer aus Unnahbarkeit aufbrechen kann. Das Werben des gut aussehenden Winzers André Kern, der mit seiner lebensbejahenden Einstellung eine glückliche und sorgenlose Zukunft zu versprechen scheint, lässt sie ebenso nicht kalt. Doch die beiden Winzer scheint ein düsteres Geheimnis zu verbinden und auf dem traditionellen Weinfest eskaliert die angespannte Beziehung zwischen ihnen. Leah muss sich nun entscheiden …

Alle Bände der Küsse auf Französisch-Reihekönnen unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe September 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-188-3 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-215-6

Copyright © 2016, Verlagsgruppe Droemer Knaur & Co. KG, München Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2016 bei Verlagsgruppe Droemer Knaur & Co. KG, München erschienenen Titels Licht über den Reben – Ein Sommer im Elsass (ISBN: 978-3-42621-594-4).

Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © alaver, © Ann in the uk, © Elena Istomina, © Adopik Lektorat: Sandra Florean

E-Book-Version 21.08.2023, 10:29:11.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Sommerduft und Weißweinküsse

Kapitel 1

»Ich liebe dich.«

Hatte Leah das tatsächlich gehört?

»Niemand hat solche moosgrünen Augen wie du, Leah!«

Schlagartig fühlte sie sich nüchtern. Das durfte nicht wahr sein. Und wenn, hatte Tom es hoffentlich nicht so gemeint. Bis vor einer Minute war dies die lustigste Geburtstagsfeier gewesen, die Leah je erlebt hatte. Sie war zweiunddreißig geworden, und ihr Leben könnte nicht besser sein.

Tom legte seine Hand auf ihre. »Und dazu deine Schneewittchenhaut! Ich krieg dich einfach nicht aus dem Kopf …«

Hastig zog sie ihre Hand weg, griff nach ihrem Glas und trank aus. Es war schon spät, und ihre Gäste waren bereits gegangen. Nur Tom saß noch bei ihr in der Karaokebar in Freiburg. Der Einzige, den sie nicht eingeladen hatte. Warum auch? Sie hatte ihn seit zwei Jahren nicht gesehen.

Alle, die in Leahs Leben eine Bedeutung hatten, waren da gewesen – bis auf ihre beste Freundin Silvie. Sie konnte nicht, weil ihre kleine Tochter krank war.

Und dann, gegen zehn Uhr, war Tom plötzlich aufgekreuzt und hatte jede Gelegenheit genutzt, in Leahs Nähe zu gelangen. Jetzt saß er ihr gegenüber, das Kinn in die Hand gestützt, und betrachtete sie mit versonnenem Blick. Leah beschloss, auf sein Gemurmel nichts zu erwidern. Sicher hatte sie es sich nur eingebildet. Mit den Fingern fuhr sie sich durch das lange Haar, das bei dem Abba-Auftritt vorhin durcheinandergeraten war.

»Wir sollten gehen, Tom.« Die Unsicherheit, die seine Worte in ihr wachgerufen hatten, ärgerte sie. »War eine schöne Party, oder?«

»Absolut! Hörst du, welches Lied gerade gesungen wird?«, fragte er dann.

Sie lauschte. O nein, Nickelbacks »Trying not to love you«. Kein Wunder, dass er rührselig war. Leah deutete ein Nicken an, drehte sich um und hielt nach dem Barkeeper Ausschau, um ihm zu bedeuten, dass sie zahlen wollte. Der warf den Bon aus und schlängelte sich zum Tisch durch.

Nachdem Leah gezahlt hatte, klopfte sie mit der Hand auf den Tisch. »Zeit fürs Bett, Tom. Wie kommst du nach Hause?«

Er hörte ihre Frage nicht, denn mit dem ausklingenden Lied sang er leise mit: »… cause trying not to love you only makes me love you more.«

Leah verdrehte die Augen. »Tom, bitte, das bringt nichts.«

Tom und sie hatten sich vor zwei Jahren getrennt, und erst vor Kurzem hatte Leah es geschafft, ihn nicht mehr zu hassen. Und das, obwohl er sie in ihren drei gemeinsamen Jahren mehrmals betrogen hatte.

»Leah, ich vermisse dich.«

Sie schluckte. Sein Geständnis kam unerwartet und weckte Erinnerungen, die sie nicht mehr zulassen wollte. Zu sehr hatte er sie verletzt. »Unsinn. Du machst dir was vor.«

»Ich würde gern wieder mit dir zusammenziehen, Leah.«

Das meinte er ernst!

»Blödsinn … Lass uns gehen.« Sie angelte nach ihrer Jacke und Handtasche und schob sich auf der Bank hinter dem Tisch heraus. Dann griff sie nach seinem Oberarm, um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Er schwankte leicht und warf ihr den Dackelblick zu, mit dem er sie in der ersten Zeit ihrer Beziehung zu allem hatte herumkriegen können. Sie lachte unsicher und beschloss, ihn nach draußen zu lotsen. Sie zog ihn hinter sich her durch das Lokal und winkte ein paar Bekannten zu.

Der Kellner öffnete mit einem Augenzwinkern die Tür. »Gute Nacht.«

Draußen ließ sie Tom los, zog ihre leichte Jacke über und sah ihm in die Augen. »Tom, hör mir zu.«

Er schwieg.

»Du fährst jetzt mit dem Taxi nach Hause, schläfst dich aus, und morgen, wenn du wieder nüchtern bist, ist alles gut.«

Er legte ihr eine Hand auf den Arm. »Gib mir eine letzte Chance, Leah. Ich gelobe Besserung!«

»Du hattest deine letzte Chance bereits, das hat nicht funktioniert. Uns beide gibt es nicht mehr als Paar. Nie mehr.«

Leah war erst hinter Toms Untreue gekommen, als Silvie es nicht mehr aushielt, seine Betrügereien mit anzusehen, und ihr reinen Wein einschenkte. Tom war der Typ Schwiegermuttertraum. Aber dass er seinen Jagdtrieb einfach nicht in den Griff bekam, hatte ihrer Beziehung das Genick gebrochen. Es war Leah nicht leichtgefallen, ihre Vision von Tom und sich zu begraben, und erst, nachdem ihr das gelungen war, hatte sie wieder Leichtigkeit zulassen können.

In diesem Moment hatte sie nicht die geringste Lust, ihre gemeinsame Geschichte nochmals durchzukauen, zumal er getrunken hatte. Am nächsten Morgen sähe er es hoffentlich wieder mit anderen Augen.

Kurzerhand winkte Leah ein Taxi herbei, das in Sichtweite wartete, nannte dem Fahrer Toms Anschrift und bugsierte ihn auf die Rückbank. Leahs Frage, ob er genug Geld dabeihabe, beantwortete er mit einem Nicken.

»Gute Nacht.« Leah blickte den Rücklichtern hinterher, als sich das Taxi in den Verkehr einreihte. Nachdenklich drehte sie sich um und machte sich zu Fuß auf den Weg nach Hause, denn sie musste nur quer durch die Altstadt, und es war eine laue Sommernacht. Leah brauchte einen Moment, um die Gefühle abzuschütteln, die Toms Geständnis in ihr wachgerufen hatte. Sie wollte ihn nicht wieder in ihr Leben lassen.

Langsam schlenderte sie durch die leeren Straßen zum Schwabentor, in dessen Nähe sie wohnte, und ließ den Tag Revue passieren. Es war eine schöne, ausgelassene Geburtstagsparty gewesen. Nur der Moment, als ihre Freunde die scheinbar unvermeidliche Frage aufbrachten, warum sie nach zwei Jahren noch Single war, hatte sie nachdenklich gemacht. Und dann tauchte Tom auf und verunsicherte sie mit seinem Geständnis noch mehr.

Früher hatte Leah geglaubt, man könne nicht glücklich sein, wenn man allein war. Völliger Quatsch. Nach der Geschichte mit Tom hatte sie von den Kerlen erst einmal die Nase vollgehabt. Ihn hatte sie ernsthaft für ihren Traummann gehalten. Inzwischen wusste sie, dass sie sich das damals erfolgreich eingeredet hatte, weil es mit siebenundzwanzig Jahren langsam Zeit wurde, den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Alle in ihrem Alter waren jedenfalls mehr oder weniger fest liiert.

Tom war, als sie ihm seine Untreue auf den Kopf zusagte, ehrlich zerknirscht gewesen. Und sie Dummkopf hatte sich überreden lassen, es noch einmal zu versuchen. Noch heute wurde ihr flau im Magen, wenn sie daran dachte, wie sie nur zwei Wochen später vorzeitig von einem Übersetzungsseminar zurückgekommen war. Sie hatte ihn vermisst. Und dann hatte sie ihn mit seiner Ex in ihrem Bett erwischt. Das war der endgültige Schlusspunkt gewesen.

Sie war an dem Mietshaus angekommen, in dem sie ganz oben wohnte – eine wunderschöne kleine Wohnung mit winziger Dachterrasse. Sie schloss auf und stieg die drei Stockwerke nach oben.

In ihrer Wohnung zog sie ihr Handy aus der Tasche, um es an das Ladekabel anzuschließen. Aus Gewohnheit checkte sie den Maileingang. Sie hatte sich als Übersetzerin in ihren Spezialgebieten Weinbau, Hotelfach und Landwirtschaft einen Namen gemacht. Es war ein Glücksgriff gewesen, ihre Liebe für Sprachen mit ihrer Naturverbundenheit, der Lust an gutem Essen und an Weinen – ein Erbe ihres in der Champagne aufgewachsenen Vaters – zu verbinden und zum Beruf zu machen. Sie hatte sich Übersetzen bereits mit zwölf Jahren als Traumberuf erkoren, und daran hatte sich nichts geändert.

Wenn man nach einer Übersetzerin für diese Bereiche googelte, tauchte der Name Leah Bonnet sogar unter den ersten Einträgen auf. Das hatte sie sich erarbeitet, und sie war stolz darauf.

Tatsächlich entdeckte sie an diesem Abend eine Übersetzungsanfrage in ihrem Postfach.

Sehr geehrte Frau Bonnet,

ein französischer Kollege hat mir Ihren Namen genannt, als ich mich nach einer guten Übersetzungsagentur erkundigte. Ich bin elsässischer Weinbauer und erweitere meinen Absatzmarkt in Deutschland und Frankreich. Ich brauche möglichst bald mehrere Übersetzungen und Überarbeitungen meiner Werbetexte für Produktflyer und meine neue Website, die auf Französisch und Deutsch sein soll. Man sagte mir, Sie sind zweisprachig, kennen sich in der Branche aus und liefern zuverlässig und schnell. Sie müssten meine Textvorlagen der hochdeutschen Sprache anpassen und ins Französische übersetzen.

Im Mailanhang finden Sie die Texte, um die es geht. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir bis übermorgen Ihr Angebot unterbreiten könnten.

Mit freundlichen Grüßen

Marc Wolfler

Wolfler – das Weingut war ihr vage ein Begriff. Sie erinnerte sich an das Familienunternehmen, das sie vor vielen Jahren kennengelernt hatte, als sie mit Silvie zusammen an der Elsässer Weinstraße bei der Lese half. Eine wunderschöne Region, und die Menschen sprachen meist den elsässischen Dialekt. Das Ehepaar, das das Gut damals geführt hatte, war sehr freundlich gewesen. Offensichtlich lag das Unternehmen nach wie vor in Familienhand.

Leah öffnete den Dateianhang und überflog die Texte. Der Aufbau der Flyer gefiel ihr, er war modern und selbstbewusst. Die Inhalte waren für Leah kein Neuland, obwohl Familie Wolfler von den üblichen Floskeln abwich. Hier und da war tatsächlich der dialektale Einfluss zu spüren. Es sprach nichts dagegen, den Auftrag anzunehmen. Es dürfte leicht verdientes Geld werden, auch wenn es eilig klang. Leah beschloss, die Anfrage gleich am nächsten Tag zu beantworten. Wie schön, wieder an die Zeit mit Silvie im Elsass zu denken. An das besondere Licht, das am frühen Morgen und abends die gesamte Region wie ein Märchenland aussehen ließ. Leah freute sich auf diesen Auftrag.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen spürte Leah nur leichten Druck im Kopf. Gut, dass sie gestern nicht zu viel getrunken hatte. Nach einer ausgiebigen Dusche setzte sie sich mit einer Tasse Kaffee und ihrem Frühstücksmüsli an den Schreibtisch und fuhr den PC hoch, um die Mail von Herrn Wolfler zu öffnen. Sie klickte auf »Antworten«.

Sehr geehrter Herr Wolfler,

gern übernehme ich diesen Auftrag. Meine Konditionen finden Sie in meiner Honorartabelle im Anhang.

Mit freundlichen Grüßen

Leah Bonnet

Er reagierte schnell. Zehn Minuten später hatte sie seine Bestätigung. Wunderbar, durch den kleinen Zeitdruckaufschlag würde sie damit eine schöne Summe verdienen. Entschlossen begann sie mit dem ersten Flyertext und war nach kurzer Zeit so in ihre Arbeit vertieft, dass sie alles um sich herum vergaß. Wie immer, wenn sie in die Feinheiten des Weinbaus einstieg, fühlte sie sich ihrem Vater nahe. In ihrer Kindheit hatten sie oft die Sommerferien in seiner Heimat verbracht und ihren Onkel besucht, der Kellermeister bei einer der berühmtesten Champagnermarken war. Den Geruch der Crayères, der unterirdischen Kreidestollen bei Reims, in denen der Champagner lagerte, verband sie mit wunderschönen Erinnerungen, und der typische, leicht gärige Traubenduft in den Kellern löste unweigerlich Wohlbefinden bei ihr aus. Der Effekt stellte sich auch ein, wenn sie an Texten arbeitete, die mit der Thematik zu tun hatten, so wie jetzt. Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb sie ihre Arbeit so liebte.

Als das Telefon klingelte, schrak sie auf. Sie checkte die Nummer auf dem Display und ging ran. »Hallo Silvie!«

»Na, wie geht’s dir?«

»Prima. Ich habe einen neuen Übersetzungsauftrag. An dem sitze ich gerade.«

»Es tut mir so leid, dass ich gestern nicht kommen konnte.« Silvie wusste alles über Leah und sie alles über Silvie. Seit der Oberstufe im Gymnasium waren sie beste Freundinnen. Sie hatte Leah damals ein paar Jahre hintereinander zur Weinlese mitgenommen – meist im Elsass, weil ihre Großeltern von dort stammten. Sie hatte nicht lange gebraucht, um Leah zu überzeugen. Seit Silvie ein Kind hatte, war sie für Leah wie eine Heldin. Leah verstand nicht, wie sie es schaffte, den Familienalltag und ihren Beruf unter einen Hut zu bekommen. Sie schrieb immer noch für die größte Württembergische Tageszeitung und außerdem für mehrere Magazine, darunter das eine oder andere für Frauen.

»Ja, schade. Geht’s Kim wieder gut?«

»Geht so. Sie schläft noch. Du, sag mal, magst du nicht auf eine Tasse Kaffee vorbeikommen? Hier wartet eine Überraschung auf dich. Und ich kann ja nicht weg wegen Kim.«

In letzter Zeit schafften sie es selten, sich zu treffen. Leah schielte auf den Bildschirm und sah, dass sie ein ordentliches Stück weggearbeitet hatte. Eine Pause konnte nicht schaden.

»Super Idee«, sagte sie also. »Ich bin in ein paar Minuten bei dir.«

Silvie wohnte in ihrem Elternhaus im historischen Zentrum des Städtchens. Wenig später huschte Leah durch die angelehnte Eingangstür ihres Häuschens hinein und zog sie leise ins Schloss. Ihre fünfjährige Patentochter Kim hatte einen leichten Schlaf, und wenn sie krank war, wachte sie noch schneller auf. Leah schlich zur Küche, aus der sie leise das Radio hörte.

Silvie stellte gerade zwei Untertassen neben eine Schale mit Gebäck auf den Tisch. Sie sah Leah, kam auf sie zu und zog sie in die Arme. »Alles Liebe! Wie war die Karaokeparty?«

Während Silvie Kaffee aufbrühte, schilderte Leah, wie sie den Tag verbracht hatte. »Es war schön«, schloss sie, »nur eines nervt.«

»Was meinst du?«

Sie schnalzte mit der Zunge. »Die ewige Frage, warum ich Single bin.«

Silvie zog eine Braue hoch und schob ihr den Teller mit den Keksen hin. »Mach dir nichts daraus. Wahrscheinlich meinen sie es gut.«

»Kann sein, trotzdem fühle ich mich, als müsse ich mich rechtfertigen.« Silvie beobachtete sie über den Rand ihrer Tasse hinweg und schwieg. Leah machte eine vage Bewegung mit dem Arm. »Außerdem ist Tom gestern aufgekreuzt, stell dir vor! Und er wurde umso anhänglicher, je mehr er intus hatte.«

Silvie wusste, wie lange Leah gebraucht hatte, um ihren Groll über Tom zu verarbeiten. Wie oft hatte ihre Freundin sie getröstet und ihr Papiertaschentücher gereicht, um sich die rotverheulten Augen zu wischen und die Nase zu putzen.

»Nicht wirklich, oder?« Silvie zog eine missbilligende Grimasse. »Warte eine Sekunde.« Sie sprang auf und verließ die Küche. Kurz darauf kam sie mit ihrem Notebook zurück. »Ich sagte doch, ich hätte eine Überraschung für dich …« Sie schob ihre Tasse zur Seite, öffnete das Notebook und fuhr es hoch. »Ich finde, du solltest dir was gönnen.«

»Was gönnen?«

Sie hackte auf die Tastatur ein und nickte. »Genau, und damit kommen wir zu meinem Geschenk. Was hältst du von ein paar Wellnesstagen? Einfach ausspannen und dich verwöhnen lassen.«

Leah musste lachen. »Hm, nicht gerade jetzt, ich habe doch diesen Übersetzungsauftrag bekommen.«

»Erzähl!«

»Genau mein Ding: ein paar Werbetexte für einen Weinbaubetrieb. Wolfler heißt er, im Elsass.«

»Im Elsass?« Ihr Gesicht strahlte. »Weißt du noch, die drei Jahre, in denen wir bei der Weinlese waren?«

»Allerdings.« Leah lächelte, weil Silvie verträumt aus dem Fenster blickte und dort offenbar Dinge sah, die sie selbst nicht wahrnahm.

»Erinnerst du dich, wie die Weinberge in der Sonne lagen? Sattgrün, und morgens der Tau in den Spinnweben?«

Sofort entstand das Bild vor Leahs innerem Auge. Die Weinberge, die sich in wellenförmigen Hügeln in der Region von Colmar und Ribeauvillé erstreckten. Sie sahen sich an und brachen in Kichern aus. Unvermittelt hob Silvie die Rechte, Leah klatschte ab.

»Das war eine geile Zeit«, sagte Silvie.

»Und nicht nur wegen der Landschaft.«

Silvie konzentrierte sich wieder auf den Computer und murmelte vor sich hin. Dann blickte sie auf. »Erinnerst du dich an meine Kolumne neulich über Ruheoasen in unserer hektischen Zeit?«

»Klar.«

»Dadurch bin ich auf die Idee für dein Geschenk gekommen. Bei der Recherche habe ich ein paar sehr schöne Wellnesshotels gefunden.«

Leah begriff. »Du willst mich in eines dieser Häuser schicken?«

Silvie nickte begeistert. »Genau, und das so schnell wie möglich.« Schon tippte sie wieder auf der Tastatur herum.

Leah konnte auf dem Bildschirm aufgrund des Winkels, in dem er eingestellt war, nicht viel erkennen; sie sah nur, dass Silvie mehrere Seiten nacheinander öffnete.

Währenddessen redete sie weiter. »Du kannst im Prinzip deine Übersetzung auch mitnehmen, oder? Wenn das so ein Traumjob ist, stört er ja nicht die Ruhe, die du dir gönnen sollst.«

»Schon … Was soll ich abends auch machen, allein im Hotel? Dort sind eh nur Rentner und Frauenbanden unterwegs.« Leah grinste.

Silvie zwinkerte ihr zu. »Sei dir mal nicht so sicher.« Sie klickte sich weiter durch ein paar Seiten. »Du würdest also fahren?«

»Muss es sofort sein?«, fragte Leah. So war Silvie schon immer gewesen. Sie war nicht der Typ, der Dinge aufschob.

»Warum nicht?«, stellte sie die lapidare Gegenfrage. »Du bist doch frei.« Sie feixte. »Jedenfalls sagst du das ständig.« Silvie drehte den Minirechner zu ihr um.

Darauf waren mehrere Hotels zu sehen, die in der besagten Weinbauregion lagen. Viel Fachwerk, viel Grün, viel Natur. Traumhaft schön. Aber jetzt, mitten in der Feriensaison? Da wäre doch alles überlaufen.

»Diese Wellnesshotels hier sind noch neu und haben alle vergleichbare Schnupperangebote.«

Sie schoben die Köpfe zusammen und klickten die kleinen Fotos nacheinander an, um sie zu vergrößern. Leah merkte, wie reizvoll sie Silvies Idee fand. Bei einem modernen Hotel mit dem Anhang Spa im Namen blieb sie hängen. »Das sieht gut aus«, sagte sie. »Geh mal auf die Homepage.«

»Ach ja, das kenne ich, es hat vor ein paar Monaten eröffnet.«

Leah sah ein schönes, modernes Haus, im Grünen gelegen. Eguisheim hieß der Ort. Bekannt für seinen Wein. Leah musste lachen. »Eguisheim? Dort liegt das Weingut, für das ich gerade übersetze.«

»Ha, wenn das kein Zufall ist! Nehmen wir es?«

»Ich denke drüber nach.«

Silvie tippte rasend schnell. »Zu spät.« Sie ließ sich nach hinten fallen, verschränkte die Arme und lächelte zufrieden.

»Wie jetzt?«

»Am Freitag fährst du nach Eguisheim. Zwei Übernachtungen. Mit der Option, auf eine Woche zu verlängern.« Sie strahlte. »Hot-Stone-Massage, Sauna und Pool inbegriffen, alles andere zubuchbar. Das ist mein Geschenk an die beste Freundin der Welt.« Sie zog Leah in die Arme. »Dort lässt du dich verhätscheln. Und du nimmst das neue Kleid mit, das wir dir ausgesucht haben. Keine Widerrede. Und wenn du klug bist, verlängerst du deine Auszeit auf eine Woche.« Sie zog den Kopf zurück und machte eine Schnute. »Vorausgesetzt natürlich, du erledigst diesen Traumjob in angemessener Zeit.«

Leah unternahm einen halbherzigen Versuch zu meutern. »Freitag? Das ist morgen! Spinnst du?«

»Ja, morgen. Genial, oder?«

Ein Grinsen stahl sich auf Leahs Gesicht. Typisch Silvie! Andererseits hatte sie recht. Ihre letzten Ausflüge waren allesamt beruflicher Natur mit eng getakteten Terminen gewesen. Da hatte es keine Möglichkeit gegeben zu entspannen. Ein Wochenende für sie. Und gab es für die Übersetzung der Wolflertexte einen besseren Rahmen als die elsässischen Weinberge? Wohl kaum.

Zu Hause rief Leah ihre Eltern an, um ihnen zu erzählen, dass sie verreisen würde. Ihre Mutter reagierte begeistert, als sie verstand, worum es ging.

»Gute Idee. Du siehst schon länger viel zu blass aus. Du vergisst vor lauter Arbeit ja das Leben. Und wer weiß, vielleicht triffst du dort jemanden wie Tom.«

»Du kannst es nicht lassen, oder? Ich bin glücklich. Außerdem reicht mir ein Tom im Leben völlig.« Leah beendete das Gespräch zügig, wie immer, wenn Mutter auf geplatzte Enkelträume zusteuerte. Trotzdem ließ sie sich davon nicht die Stimmung vermiesen, sondern arbeitete an der Übersetzung weiter.

Am frühen Nachmittag klingelte das Telefon, und noch bevor sie abhob, ahnte sie, wer dran war. Die Rufnummer im Display bestätigte ihren Verdacht. Mit einem Lachen meldete sie sich. »Na, wieder nüchtern?«

Toms Stimme hörte sich noch ein bisschen mitgenommen an. Er hatte gestern definitiv ein oder zwei Bier zu viel getrunken. »Ich will mich entschuldigen.«

»Schon gut. Hauptsache, dein Kopf ist wieder klar.«

»Hm«, druckste er herum. »Weißt du, in letzter Zeit muss ich oft an dich denken. Sehr oft.«

Nicht schon wieder! Dem Ziehen in ihrem Bauch wollte sie sich nicht stellen. »Tom, lass gut sein.«

Als er schwieg, redete sie weiter. »Du, ich fahre für ein paar Tage weg, in ein Wellnesshotel. Silvie hat mir das Wochenende zum Geburtstag geschenkt.«

»Oh, okay. Ich wollte dich eigentlich … Na, egal. Vielleicht können wir uns danach mal treffen?«

»Ach, Tom. Eher nicht. Ich habe auch so viel Arbeit …« Sie ließ den Satz in der Luft hängen.

Tom räusperte sich. »Verstehe. Dann genieß die Zeit. Ich krieg mich wieder ein.«

Das hoffte sie! Wieder brauchte sie eine Weile, um die Erinnerungen an Toms Umarmungen aus dem Kopf zu verbannen. Doch den restlichen Tag nutzte sie, um den zweiten Wolflertext roh herunter zu übersetzen. Irgendwann packte sie ihre Reisetasche, wobei sie Silvies Rat beherzigte und das Sommerkleid mitnahm, das sie noch nie getragen hatte.

Am späten Freitagmorgen tuckerte sie über urige Landstraßen, die von Weinbergen gesäumt waren. Über den Hügeln strahlte ein wolkenfreier Himmel und ließ sie wie samtene, saftig-grüne Wellen aussehen. Gegen Mittag sah sie von ihrem Auto aus das Hotel am Ende der Straße, etwas abseits des Winzerorts Eguisheim, und unverhofft machte die Vorfreude sie kribbelig. Ihr letzter Urlaub war schon so lange her!

Die erste Überraschung erwartete sie auf dem Parkplatz. Mit Mühe fand sie eine Lücke, und das nur, weil sie so ein kleines Auto besaß. Auf dem Weg zum Eingang des Hotels erkannte sie, dass das Haus größer war als gedacht. Ein modernes Gebäude, in dem viel Glas und Holz verbaut worden war. Der Architekt hatte ganze Arbeit geleistet, um eine Mischung aus hochmodernem Luxushotel und beschaulichem Fachwerkstil herzustellen. Wenn innen alles so schön war, wie das Haus von außen wirkte, erwartete Leah ein entspannendes Wochenende.

An der Rezeption empfing sie eine sehr schlanke Frau um die dreißig. Ihr perfekter Teint erinnerte sie an Nofretete; ein Eindruck, den die glatten, schwarzen Haare der Frau noch unterstrichen. Sie reichte Leah die Hand. »Madame Bonnet, herzlich willkommen. Ich bin Jeannette Ritter. Wir freuen uns, dass Sie unser Haus besuchen. Darf ich Ihnen einen Begrüßungscocktail reichen?«

Leah sah wohl etwas hilflos drein, denn während die Dame ihre Daten eintippte, fragte sie nach: »Möchten Sie einen Drink? Oder lieber ein alkoholfreies Getränk?« Mit eleganten Bewegungen trat sie dann hinter dem Tresen hervor und führte Leah zu einem kleinen Tisch, auf dem Sektgläser standen.

»Einen Hugo bitte«, sagte Leah. Doch als sie sah, wie Nofretete einen Crémant d’Alsace aus dem Kühlschrank nahm, änderte sie ihre Entscheidung.

»Wollen Sie diesen Crémant dafür verwenden?« Leah griff nach der Flasche, die Madame Ritter auf dem Tisch abgestellt hatte, um inzwischen den Holundersirup zu öffnen. Das Etikett war puristisch. Darauf prangte in einem kantigen, schattierten Schriftzug der Name des Weinguts, und in der rechten unteren Ecke war die Silhouette eines einzelnen Wolfs zu sehen. Leah erkannte das Motiv sofort wieder, denn es gehörte zu dem Weingut, dessen Texte sie übersetzte.

»Den würde ich lieber pur probieren.«

Jeannette Ritter sah ihr einen Moment in die Augen. Ihr Blick erinnerte sie nun ebenfalls an Nofretete. Eine Frau wie sie hätte Leah hier nicht erwartet. Sie atmete unwillkürlich den Duft ihres Parfums ein – eine edle Marke. Die Hoteluniform, bestehend aus Bleistiftrock und schmal geschnittener, ärmelloser weißer Bluse, stand ihr ausgezeichnet.

»Gern«, sagte sie schließlich lächelnd. »Ich würde ihn, ehrlich gesagt, auch nicht mischen. Andererseits ist ein Cocktail nur so gut wie seine Zutaten, und da können Sie mit dem Wolfler keinen Fehler machen, n’est-ce-pas?«

Sie schenkte ein, und nachdem der Schaum auf der hellen Flüssigkeit in sich zusammengefallen war, nahm Leah einen Schluck. Köstlicher, intensiver Fruchtgeschmack perlte auf ihrer Zunge. Sie nippte noch einmal und behielt den Crémant einen Moment im Mund.

»Ich sehe, er schmeckt Ihnen.« Nofretete schenkte Leah erneut ihr Lächeln. »Es ist ein Crémant aus unserer Region. Wolfler hier aus Eguisheim. Ich kenne den Winzer persönlich.« Wurde sie rot, als sie das sagte, oder war es nur eine Sinnestäuschung?

Leah schmunzelte. »Er schmeckt mir noch besser als vor dreizehn Jahren, als ich zur Weinlese hier war.«

»Ach, Sie kennen sich aus …« Ihr Lächeln wurde herzlicher. »Damals müssen die Senioren noch das Gut geführt haben, n’est-ce-pas? Ich bin erst seit acht Jahren hier.«

»Ja, ich kann mich dunkel an ein freundliches Ehepaar erinnern. Nach dem Abi habe ich in Heidelberg Übersetzen studiert und danach noch einige Jahre dort gelebt. Seit der Schule war ich nicht mehr hier.«

»Ah, daher auch der fehlende Akzent. Sie arbeiten mit Sprachen?« Jeannette Ritter taute sichtlich auf.

Leah beneidetes sie heimlich um ihren Oliventeint. Dagegen kam sie sich mit ihrer blassen Haut gleich käsig vor. Und wer behauptete, Sommersprossen seien sexy, hatte vermutlich nie den direkten Vergleich gesehen. Doch sie schob den Anflug kleinlichen Neids beiseite. Jeannette Ritter war ihr sympathisch, und sie dachte bei sich, dass der Mann, der mit ihr zusammen war, das große Los gezogen hatte.

»Ich bin Diplomübersetzerin«, beantwortete sie die Frage. »Und zufällig übersetze ich oft für Winzer, Sterneköche und Hoteliers. Macht Spaß und führt dazu, dass man ab und an in den Genuss kommt, einen edlen Tropfen zu kosten.« Sie nahm einen weiteren Schluck und hob das Glas hoch, sodass sie beide die Perlen beobachten konnten, die vom Boden des Glases nach oben trudelten. »Und jetzt raten Sie, von wem ich kürzlich einen Auftrag bekommen habe.«

Jeannette Ritter blinzelte. »Von Marc Wolfler etwa?«

Sie prostete ihr zu. »Von eben jenem. Jetzt weiß ich auch, welches Produkt ich damit bewerbe. Nicht übel.«

»Kennen Sie ihn?« Nofretetes Blick hatte etwas Lauerndes angenommen.

Leah schüttelte den Kopf. »Nur per Mail. Ich habe schon mit der Übersetzung begonnen, und da scheinen keine Stolpersteine auf mich zu warten.«

»Umso besser«, murmelte sie und stellte die Sektflasche in den Kühlschrank, um zurück hinter den Empfangstresen zu gehen. »Hoffentlich bleibt’s so.« Soeben betraten weitere Gäste die Lobby. Jeannette Ritter reichte ihr den Zimmerschlüssel und erklärte den Weg.

Bevor Leah der Beschreibung folgte, fragte sie: »Warum sagten Sie, hoffentlich bleibt’s so?«

»Na ja, der Winzer ist … schwierig.« Einen Augenblick schien es, als würde ihr Blick traurig, doch dann lächelte sie, nickte in Leahs Richtung und wandte sich den Neuankömmlingen zu.

Eine Stunde später hatte Leah ausgepackt und mit der Überarbeitung ihrer Rohübersetzung begonnen. Nun freute sie sich auf die Hot-Stone-Massage, die für sechzehn Uhr angesetzt war. Im weißen Bademantel, der im Zimmer bereitlag, durchquerte sie den Ruheraum vor den Behandlungszimmern und stellte fest, dass der Eindruck auf dem Parkplatz nicht getäuscht hatte: Das Hotel war für dieses Wochenende offenbar ausgebucht. Ältere Ehepaare und mehrere Frauengrüppchen hatten sich auf die bereitstehenden Liegestühle verteilt und unterhielten sich leise. Allerdings entdeckte Leah keine männlichen Gäste in ihrem Alter.

Dafür begrüßte sie in dem Behandlungsraum, in dem es nach Vanille und Zitronengras duftete, ein junger, drahtiger Mann namens Luc. Er bat sie, den Bademantel abzulegen und sich auf den Bauch zu legen. Dann deckte er ihren Po mit einem Handtuch ab. Er zeigte ihr die schwarzen, flachen Lavasteine.

»Die speichern besonders gut Wärme. Ich habe sie schön heißgemacht, und während ich Ihren Rücken und Ihre Beine vorbereite, lassen wir sie ein bisschen abkühlen.«

Mit vorgewärmtem Massageöl rieb er ihr den Rücken ein, wobei er echtes Talent an den Tag legte. Leah schlummerte fast weg, als er auch ihre Beine komplett mit Öl einrieb. In der völligen körperlichen Entspannung musste sie auf einmal an Tom denken. In der Zeit, bevor sie ahnte und dann wusste, dass er sie betrog, war ihre Beziehung sehr intensiv gewesen. Tom behandelte sie zuvorkommend, er war aufmerksam und ein wundervoller Liebhaber gewesen.

Der Masseur strich mit den Steinen in kreisenden Bewegungen über Leahs Rücken und weckte damit sinnliche Empfindungen. Sie blendete seine Anwesenheit aus und schaffte es auch, Tom wieder aus ihren Gedanken zu vertreiben. Ihr Kopf war angenehm leer, und sie driftete davon wie bei einer Meditation.

»Madame Bonnet …«

Schlagartig war sie wach und musste sich orientieren. Wo war sie?

Der Masseur beugte sich über sie. »Sie sind eingeschlafen.« Er grinste. »Ich glaube, die Massage hat Ihnen richtig gutgetan.«

Leah nickte schlaftrunken. Luc wurde plötzlich geschäftig. »Während ich aufräume, können Sie noch ein bisschen liegen bleiben …«

Er sammelte alle Steine ein und legte sie in eine Spüle, öffnete das Fenster, um zu lüften, und pfiff fröhlich vor sich hin.

»Danke, Luc, das war eine neue Erfahrung für mich.« Leah reichte ihm die Hand. Er schüttelte sie lächelnd. Angenehm matt schlurfte sie zu ihrem Zimmer zurück. Silvie hatte recht behalten: Das hier war genau das, was Leah brauchte. Das Leben war wunderbar.

Kapitel 3

Tiefenentspannt machte sich Leah um sieben Uhr auf den Weg zum Abendessen. Sie trug zum ersten Mal das türkisfarbene Sommerkleid, das sie mit Silvie eingekauft hatte. Im Vergleich zu ihrem üblichen Modestil war es auffallend; sonst trug sie dezente Kleidung in gedämpften Farben. Aber Silvie hatte das Kleid bei einem ihrer selten gewordenen gemeinsamen Shoppingbummel im Schaufenster gesichtet und im Laden zielstrebig danach gegriffen.

Mit den Worten »Das ist für dich gemacht« hatte sie es ihr entgegengehalten und sie damit zur Umkleide geschoben. Nachdem Leah herausgefunden hatte, wie sie den Neckholder schließen musste, hob sie den Kopf – und eine fremde Frau blickte ihr aus dem Spiegel entgegen. Sie gefiel ihr. Der Schnitt schmeichelte ihren Proportionen. Leah war nicht super schlank, aber auch nicht dick. Mittelmäßig eben. Ihr eher zierlicher Busen wirkte durch den weichen Faltenwurf des Stoffs genau richtig. Über die schneeweiße Haut sah sie großzügig hinweg und nahm sich vor, ihr eine Ladung Selbstbräuner zu verpassen, bevor sie das Kleid jemals tragen würde.

»Perfekt!«, hatte Silvie gequietscht und ihre langen Haare nach oben gehalten. »So musst du dir die Haare hochstecken, das betont deinen Hals und deine Schultern. Ganz klar: Das ist dein Kleid.«

Mit einem Schmunzeln hatte Leah nach dem Preisschild geschielt. Herabgesetzt! Also hatte es tatsächlich extra für sie da gehangen.

In der Erinnerung an Silvies Stylingtipp hatte Leah für das Abendessen ihre Haare zusammengenommen, umeinander gezwirbelt und mit einer riesigen Klammer festgesteckt. Eine breite Strähne fiel nach vorn ins Dekolletee. Die Sache mit dem Selbstbräuner hatte sie natürlich vergessen, aber die Lichtverhältnisse waren gnädig: Die Abendsonne übertünchte ihre blasse Haut mit sanftem Schimmer. Das kurze Kleid ließ ihre Beine schlanker und länger aussehen. Dazu trug sie neue Schuhe: hinten offene Riemchensandaletten mit halbhohem Absatz, die so bequem wie Flipflops waren. Sie fühlte sich ungewohnt hübsch. Sie würde lecker essen und entspannt schlafen gehen. Am nächsten Morgen würde sie an ihrem Auftrag weiterarbeiten, und dann wollte sie sich Sauna, Schwimmen und vielleicht noch die eine oder andere Anwendung gönnen. Sie genoss ihre Zeit in vollen Zügen!

Obwohl sie es hätte ahnen können, überraschte Leah die volle Besetzung im Restaurant. Als offenbar einzigem Menschen ohne Begleitung wies man ihr den Katzentisch am Rand des Speisesaals zu, in der Nähe zur Tür. Da sie so den gesamten Raum überblicken konnte, störte sie das jedoch nicht weiter. Sie entschied sich für das Fitnessmenü.

Während sie einen Gruß aus der Küche – Weißbrot mit einem Mus aus mehreren scharf gewürzten Gemüsesorten – aß, wurde es im Flur laut. Anscheinend versammelte sich heute Abend eine Gruppe, die fast ausschließlich aus Männern bestand, im Nebenraum. Sie sah mehrere bäuerlich gekleidete Typen an der Tür vorbeigehen und tippte auf ein Winzertreffen. Ein oder zwei Exemplare waren darunter, die Jeans und lässige Hemden trugen. Also gab es hier außer Luc doch noch Männer in Leahs Alter, nicht nur Senioren.

Der Ober brachte ihr einen großen Salat mit gegrillten Jakobsmuscheln. »Dazu empfehle ich einen trockenen Weißen. Mineralwasser wäre nicht ideal.«

»Finde ich auch. Haben Sie einen Wolfler Riesling da?«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Gute Wahl.«

Sie entschied sich für eine ganze Flasche. Wie in Hotels üblich, würde sie morgen weitertrinken können. Der Ober entkorkte den Wein am Tisch und ließ Leah einen Schluck probieren.

»Sehr gut.« Sie hielt ihm das Glas hin, er schenkte ein und stellte die Flasche in einen Kübel mit Eiswasser, den er mit zum Tisch gebracht hatte.

Leah ließ sich mit dem Essen Zeit, beobachtete die Paare und die Frauengrüppchen und trank langsam ihren Wein, während sich der Speisesaal nach und nach leerte.

»Es hat Ihnen geschmeckt«, stellte der Ober später zufrieden fest und nahm den leeren Teller hoch. Er wartete ihre Zustimmung ab und zählte auf, unter welchen Desserts sie wählen konnte, als es im Flur erneut laut wurde. Offenbar waren die Männer aus dem Nebenraum schon im Aufbruch begriffen. Ein paar von ihnen kamen herein, um an der Theke zu zahlen.

»Crème brulée, sagten Sie?«, fragte sie nach. Leah griff nach ihrem Weinglas, doch als sie es an den Mund führen wollte, war es leer. Schon wurde die Flasche darüber gehalten, und frischer Wein floss ins Glas.

Zuerst war es der Duft, der ihr in die Nase stieg und ihren Herzschlag schneller werden ließ. Dunkel und männlich. Dann sah sie die Hand, die die Flasche hielt. Es war nicht die des Kellners, sondern eine Hand, die Arbeit im Freien verrichtete. Braun schimmernde Haut mit unzähligen, winzigen Rissen an den Fingerkuppen. Die Nägel waren kurz und glatt. Bevor Leah den Blick hob, war sie auf eigenartige Weise von dieser Hand fasziniert – und von der selbstverständlichen Bewegung, mit der sie die Weinflasche über das Glas hielt. Es war ein schöner Anblick.

Endlich sah sie nach oben, weil sie wissen wollte, wer ihr da nachgeschenkt hatte. Das Gesicht passte zur Hand: Gebräunte Haut spannte sich über hohe Wangenknochen, die zusammen mit den tiefliegenden Augen und den dichten, schwarzen Brauen einen geheimnisvollen Eindruck hervorriefen. Jemand, der selbstbewusst war und sich gleichzeitig versteckte. Als müsse es so sein, fiel ihm eine störrische Haarsträhne in die Stirn, die ihren Blick magisch anzog. Am liebsten hätte Leah sie zur Seite gestrichen. Was war mit ihr los? Der Fremde stellte die Flasche zurück in den Kühler und richtete sich auf. Der Kellner wirkte neben ihm plötzlich wie ein Kind.

»Nun?«, fragte der Fremde mit angenehm tiefer, leiser Stimme.

Leah zögerte. Hatte er mit ihr gesprochen? »Pardon?« Sie nestelte nervös an ihrem Ausschnitt herum.

»Möchten Sie die Crème brulée?«

Nie hatte sich ein Nachtisch verheißungsvoller angehört.

Sie nickte. »Sie ebenfalls?« Von ihrer Frage selbst überrascht riss sie die Augen auf.

Er lachte. »Hm, warum nicht?« Sein Tonfall rief ein Kribbeln in Leah hervor. Er setzte sich ihr gegenüber. Sein Knie stieß gegen ihres, doch er zog es rasch zurück.

»Bring uns bitte noch eine Flasche hiervon«, sagt er zum Kellner, »und zweimal Crème brulée.«

Die Bewegung des Obers, als er sich umdrehte und davontrollte, erweckte den Eindruck, dass er eingeschnappt war. Kurz darauf kam er mit einer zweiten Weinflasche und den Desserts zurück.

Leah ertappte sich dabei, dass sie ihr Gegenüber anstarrte. Etwas an ihm war widersprüchlich. Er strahlte Stärke und Selbstbewusstsein aus, aber sein eigenartiger Blick verriet nichts über ihn. Er hatte sich einfach so zu ihr gesetzt, also schien sich dieser auf sehr eigene Art schöne Mann für sie zu interessieren. Seine Aufmerksamkeit machte sie unsicher. Errötend setzte sie sich aufrecht hin und dachte krampfhaft über ein Gesprächsthema nach. Der Fremde hatte sich zurückgelehnt und ihre Musterung mit einem angedeuteten Lächeln über sich ergehen lassen. Dabei hatte Leah das Gefühl, er betrachte seinerseits jedes noch so kleine Detail an ihr, und sie war Silvie unendlich dankbar, weil sie ihr dieses Kleid aufgequatscht hatte. Während er entspannt wirkte, wuchs in ihr die Nervosität. Das Schweigen wurde langsam peinlich. Warum redete er denn nicht?

»Sind Sie von hier?«, fragte sie schließlich. Was für eine originelle Gesprächseröffnung!

»Ja, ich lebe hier. Und Sie sind Hotelgast?« Wenigstens war seine Antwort auch nicht origineller.

»Ja, meine Freundin hat mir dieses Wochenende geschenkt. Vermutlich bleibe ich noch ein paar Tage länger. Es gefällt mir.«

»Sind Sie allein hier?«

»Ich bin solo.« Erst, nachdem sie es gesagt hatte, bemerkte sie die Bedeutung ihrer Äußerung. Ein Zucken seiner Augenbraue zeigte, dass er es auch registriert hatte. »Ähm, meine Freundin konnte mich nicht begleiten, meine ich.« Sie räusperte sich. »Das Hotel ist noch neu, oder?« Sie nahm einen Löffel von der Creme, während er ihren Mund beobachtete. Ohne dass sie es wollte, fühlte es sich mit einem Mal sehr sinnlich an, als sie die Creme vom Löffel leckte.

»Ja, es ist kürzlich eröffnet worden. Ich kenne den Koch – die Crème brulée ist die beste, die man in ganz Frankreich bekommt.« Seine Stimme ließ die banale Feststellung wie eine Offenbarung klingen. Er nahm sich ebenfalls einen Löffel voll, und sie beobachtete, wie sich seine Kiefermuskeln bewegten. Obwohl er rasiert war, lag ein dunkler Bartschatten auf seinen Wangen. Mit unsicheren Fingern griff sie zum Weinglas und betrachtete beim Trinken eingehend die Maserung der Wandtäfelung. Warum hatte dieser Typ eine so außergewöhnlich starke Wirkung auf sie? Und das, obwohl sie sich in den vergangenen beiden Jahren doch im Ignorieren von attraktiven Männern geschult hatte.

»Schmeckt Ihnen der Wein?«, fragte er, und sie musste sich ihm schon aus Höflichkeit wieder zuwenden.

»Ja, dieser Riesling ist speziell, finde ich.« Ihre Stimme hatte sich normalisiert, zum Glück. Beim Thema Wein kannte sie sich aus. Es war ein Moment zum Genießen: Sie saß in einem schönen Kleid einem attraktiven Mann gegenüber. Wie der Zufall es wollte, war sie Single. Sie könnte sich Schlimmeres vorstellen. Fast hörte sie Silvies Stimme im Kopf. Sie würde Leah empfehlen, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen – und es war ein sehr ansprechender Schopf. An den Schläfen durchzogen wenige weiße Haare das dichte, glänzende Schwarz. Sexy.

Leah hielt das Glas ein Stück weg und betrachtete die helle Farbe des Getränks. »Ich frage mich, wie der Winzer es schafft, eine so alte Rebsorte so modern auszubauen.«

Ihr Gegenüber zog amüsiert eine Braue hoch. Dadurch fiel zum ersten Mal ein bisschen mehr Licht auf seine Iris. Heller Bernstein. Doch sofort war der belustigte Eindruck wieder weg, und es war, als legte sich ein Vorhang darüber.

»Tatsächlich?«, sagte er und nahm probehalber ebenfalls einen Schluck. »Sie haben recht, ein hervorragender Wein.«

»Sonst ist der Elsässer Riesling, den alle Welt so liebt, ja oftmals etwas sauer«, fügte sie hinzu.

Er lächelte so breit, als hätte sie einen guten Witz gemacht. Einem der vorderen Schneidezähne fehlte ein winziges Stück. Das war tröstlich und machte ihn zugleich noch einen Tick attraktiver. Seine geballte Männlichkeit bekam dadurch einen jungenhaften Zug.

Sie beschloss, ihn nach seinem Namen zu fragen, da erklang eine weitere männliche Stimme von der Seite. »Der Wolfler hat bekanntermaßen einen hohen Säuregrad. Wenn Sie einen empfindlichen Magen haben, sollten Sie vorsichtig sein.«

Leah drehte sich um und sah einen weiteren Mann ungefähr in ihrem Alter neben dem Tisch stehen. Wo hatten sich die beiden den ganzen Tag versteckt? Dieser war blond, grauäugig und hatte die Ausstrahlung eines amerikanischen Schauspielers der Sechzigerjahre. Wie Leahs Gegenüber trug er Jeans und ein lässiges Hemd. Sein Lächeln war entwaffnend, als er sich vom Nebentisch – der Saal war mittlerweile fast leer – einen Stuhl schnappte und sich zu ihnen setzte.

»Guten Abend, ich bin André Kern, Winzer aus Eguisheim.« Er streckte ihr die Hand hin, die sie verdutzt schüttelte. »Wenn Sie den Wolfler mögen, sollten Sie unbedingt meinen Rosé probieren.« Er drehte sich um und winkte den Kellner herbei.

Überrascht sah sie, wie der andere Mann die Stirn runzelte. Fühlte er sich durch das forsche Verhalten von André Kern gestört? Leah wurde hingegen bewusst, dass er sich nicht vorgestellt hatte. Das war ziemlich unhöflich … Moment, noch eine Flasche Wein?

»Halt!« Sie legte die Hand auf den Unterarm von André Kern, sodass sich dieser umdrehte und sie angrinste. Er blickte auf ihre Finger, die sie schnell zurückzog. »Ich möchte heute Abend keinen Wein mehr probieren, vielen Dank. Ein anderes Mal gern.« War es ein Anflug von Genugtuung, mit der der Fremde sein Weinglas griff und einen weiteren Schluck trank?

»Abgemacht.« André Kern schenkte ihr ein Lächeln, das sie noch mehr verwirrte, als sie es schon war.

Fast unsicher warf sie einen Blick auf den Dunkelhaarigen ihr gegenüber, der über den Rand seines Glases die Szene beobachtete. Dabei wirkte er irgendwie genervt.

»Mach die Fliege, André«, grummelte er. Seine Worte hatten eine erstaunliche Wirkung auf den Blondschopf. Dieser streckte den Rücken durch und berührte Leahs Unterarm. Seine Hände waren rau, was angesichts seines Berufs kein Wunder war. Wie mochten sich die Hände des Dunkelhaarigen anfühlen?

»Verraten Sie mir Ihren Namen?«

»Ähm, natürlich. Ich bin Leah Bonnet.« Sie bemerkte aus dem Augenwinkel, dass der Dunkelhaarige erneut amüsiert die Lippen verzog.

»Und Sie sind noch ein paar Tage hier?«, wollte André Kern wissen.

»Erst einmal bis Sonntag. Danach sehe ich weiter.«

»Oh, nächste Woche ist unser Winzerfest, das müssen Sie erleben! Bleiben Sie doch bis zum nächsten Wochenende, es lohnt sich.«

Der Dunkelhaarige lächelte bei den Worten von André Kern noch breiter. Leah fühlte sich eigenartig; so von zwei interessanten Männern umgeben, die augenscheinlich an ihr interessiert waren. Oder lag es an dem Wein, dass sie übermütig war?

»Gern«, sagte sie, ohne groß nachzudenken. Aber warum auch nicht? Ihre Arbeit hatte sie mitgebracht, und das Hotelangebot für die Verlängerung war günstig.

»Dann testen wir so bald wie möglich den Kernschen Rosé. Ich bin sicher, Sie mögen ihn. Und wie gesagt, seien Sie vorsichtig mit dem Wolfler. Da weiß man vorher nie genau, was er anrichtet. Stimmt’s, Guillaume?«

Leahs Gegenüber räusperte sich, während André Kern lachte. Leah irritierte abermals der Anblick der Bernsteinaugen. Verwirrt gestand sie sich ein, dass sie diese Augen unbedingt aus der Nähe betrachten wollte.

In der nächsten Sekunde bedauerte sie, dass sich André bereits wieder erhob. Er beugte sich über den Tisch herüber und küsste sie zart zuerst auf die eine Wange, dann auf die zweite. Er berührte dabei mit den Lippen ihre Haut. Das war eigentlich nicht üblich. Bei den »Bises«, die sich die Franzosen zu Begrüßung und Abschied gaben, legte man normalerweise nur die Wangen kurz aneinander. Es fühlte sich an, als schnuppere er an ihr. Das war ihr zu übergriffig. Sie zog den Kopf zurück.

Er richtete sich wieder auf, ein zufriedener Zug lag auf seinem Gesicht. »Wir sehen uns.« Es klang ein bisschen wie eine Drohung, gesprochen in die Richtung des Dunkelhaarigen.

Dieser musterte Leah prüfend und ignorierte André Kern, der schließlich ging. Leah beobachtete, wie ihr Gegenüber mit den Fingern den Stiel des Weinglases entlangstrich, und konnte sich von diesem Anblick nicht lösen. Wie eine Liebkosung wirkte die Bewegung. Der Alkohol musste schuld sein. Sie hatte plötzlich das Gefühl, ihre Haut stünde in Flammen. Nervös bewegte sie die Schultern, als müsse sie etwas abstreifen, worauf er die Hand zurückzog und flach auf dem Tisch ablegte.

»Sie haben einen französischen Nachnamen, Leah?«, fragte die tiefe Stimme, die zu den Wahnsinnshänden gehörte.

Sie schluckte trocken. »Mein Vater ist Franzose«, erklärte sie und riss sich endlich vom Anblick der Finger los. Nur um in den Augen zu versinken, die den Vorhang ein bisschen gelüftet hatten. »Er stammt aus Reims, hat in Deutschland studiert und meine Mutter kennengelernt. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und habe diesen Vorteil für meinen Beruf genutzt. Ich bin Übersetzerin.« Was plapperte sie denn da? Wollte er das überhaupt wissen? Er sprach ja selbst zwei Sprachen. Wobei sein Deutsch einen starken, eigenwilligen Akzent hatte.

»Ein interessanter Beruf. Es ist schön, mit Sprachen zu arbeiten.«

»Finden Sie, Guillaume?«

Er stutzte kurz, dann lachte er leise.

Oh, sie würde gern diesen Mund mit den Fingern nachzeichnen. Stattdessen stützte sie den Kopf auf und legte den kleinen Finger auf ihre Unterlippe. Ihr wurde endgültig bewusst, wie herrlich beschwipst sie war. Sonst wäre sie mehr auf der Hut. Dieser Mann konnte ihr gefährlich werden.

Seine Lippen kräuselten sich amüsiert, und er reagierte mit einer Gegenfrage. »Hätten Sie sonst nicht etwas anderes gemacht?«

Bevor sie antworten konnte, hörte sie Absatzklappern, das sich dem Tisch näherte. Es waren die Schritte einer Frau – Nofretete kam auf sie zu. Das Lächeln in ihrem Gesicht wirkte gezwungen. Erst jetzt bemerkte Leah, dass die Nacht hereingebrochen war.

»Wir schließen gleich den Restaurantbereich, Madame Bonnet. Vielleicht möchten Sie in der Bar noch einen Drink nehmen?«

Leah sprang auf und strich mit beiden Händen das Kleid nach unten. Silvie hatte ihr versichert, Türkis stünde ihr, aber wie jedes Mal, wenn sie mit Menschen zu tun hatte, deren Haut diesen Oliventon hatte, fühlte sie sich plump und hässlich. Der Dunkelhaarige hatte sich ebenfalls erhoben.

»Trinken wir noch einen Absacker an der Bar?«, fragte er. Jeannette Ritter musterte ihn.

»Du fährst nach Hause, Jeannette, nehme ich an?« Die beiden kannten sich also. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

»Natürlich. Es war ein langer Tag. Das Haus ist dieses Wochenende ausgebucht.« Ihre Stimme klang ein bisschen spröde.

»Gute Nacht«, wünschte er und hauchte ihr ein Küsschen auf die Wange.

Sie drehte sich um und verließ vor ihnen den Speisesaal. Überdeutlich nahm Leah die Wärme des Mannes neben sich wahr. Als sie die Tür erreichten, legte er ihr eine Hand auf die Taille und schob sie sacht nach vorn. Er ließ sie nicht los, sondern dirigierte sie in Richtung einer weiteren Tür, hinter der sich die Bar befand.

»Sollen wir uns an den Tresen setzen?«, fragte er. Er zog einen Barhocker für sie heran.