Sommerglück auf vier Pfoten - Pippa Watson - E-Book
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Sommerglück auf vier Pfoten E-Book

Pippa Watson

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Beschreibung

Die feine Nase ihres Personenspürhunds Charles hat Gemma schon oft geholfen, verschwundene Menschen wiederzufinden. Bei einem ihrer Einsätze lernt die alleinerziehende Mutter Pete kennen. Der erfolgreiche Landschaftsmaler ist nicht nur sympathisch, sondern zufällig auch das Idol ihrer besten Freundin Joline. Was für eine Gelegenheit! Denn Joline ist schon seit Ewigkeiten Single, und Gemma wittert die Chance, die beiden zu verkuppeln. Wie passend, dass auch in Gemmas Leben der attraktive Lenny auftaucht. Alles scheint perfekt. Doch Herzen wollen ihren eigenen Weg wählen ...

Mirjam Müntefering, Autorin von »Hund aufs Herz« und der »Kalle und Kasimir«-Reihe, schreibt als Pippa Watson einen Sommerroman zum Wohlfühlen und Wegträumen! Wer Hunde mag, wird dieses Buch lieben!

Alle Romane dieser Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Wir haben die Geschichten sorgsam für dich ausgewählt. Für alle Tierfreunde und Leserinnen und Leser von wunderschönen Liebesromanen mit Herz und Pfote.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 398

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

1. Gemma

2. Pete

3. Gemma

4. Pete

5. Gemma

6. Pete

7. Gemma

8. Pete

9. Gemma

10. Pete

11. Gemma

12. Pete

13. Gemma

14. Pete

15. Gemma

16. Pete

17. Gemma

18. Pete

19. Gemma

20. Pete

21. Gemma

22. Pete

23. Gemma

24. Pete

25.Gemma

26. Pete

Danke

Weitere Titel der Autorin

Der Zauber von Somerset

Eine Liebe auf Guernsey

Hundeherz zu verschenken

Über dieses Buch

Dem Glück auf der Spur …

Die feine Nase ihres Personenspürhunds Charles hat Gemma schon oft geholfen, verschwundene Menschen wiederzufinden. Bei einem ihrer Einsätze lernt die alleinerziehende Mutter Pete kennen. Der erfolgreiche Landschaftsmaler ist nicht nur sympathisch, sondern zufällig auch das Idol ihrer besten Freundin Joline. Was für eine Gelegenheit! Denn Joline ist schon seit Ewigkeiten Single, und Gemma wittert die Chance, die beiden zu verkuppeln. Wie passend, dass auch in Gemmas Leben der attraktive Lenny auftaucht. Alles scheint perfekt. Doch Herzen wollen ihren eigenen Weg wählen …

Ein Sommerroman zum Wohlfühlen und Wegträumen! Wer Hunde mag, wird dieses Buch lieben!

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Pippa Watson, Jahrgang 1969, lebt in Nordrhein-Westfalen auf dem Land, ist aber seit ihrer Kindheit innig mit Großbritannien verbunden. So oft wie möglich streift sie mit ihren Hunden durch die Landschaft der romantisch rauen Küsten und traumhaften Gärten. Besonders die Herzlichkeit und die große Tierliebe der Briten nehmen die Autorin immer wieder für die Menschen dort ein. Und so liebt sie es, die Welt zwischen Cream Tea und Linksverkehr auch in ihren Romanen lebendig werden zu lassen.

PIPPA WATSON

Sommerglück auf vier Pfoten

ROMAN

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Daniela JarzynkaCovergestaltung: FAVORITBUERO, München unter Verwendung von Motiven © shutterstock: LilKar | Kevin_Hsieh | Konmac | ESB Professional | Potapov AlexandereBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8619-6

be-ebooks.delesejury.de

1. Gemma

»Mrs. Campbell?! Ach, wie gut, dass Sie da sind!«

Ich will gerade durch die Eingangspforte des Kindergartens Farnham Castle gehen, als mich jemand von der Seite anspricht. Es ist ein Uniformierter mit ergrauendem Bürstenschnitt.

»Ich bin Police Inspector Miller.«

Wir reichen uns die Hände.

»Hab gerade noch einen Funkspruch an die Mannschaft abgesetzt.«

Er deutet zu den beiden Dienstwagen hinüber, die auf der anderen Straßenseite geparkt sind. Von weiteren Einsatzkräften ist jedoch nichts zu sehen.

»Meine Leute sind bereits mit der Suche beschäftigt«, erklärt PI Miller mir, meinen Blick richtig deutend. »Aber sie können natürlich nicht leisten, was wir uns von Ihnen erhoffen.«

Er schaut an mir vorbei zu meinem Kastenwagen, den ich auf dem kleinen Parkplatz im Schatten einer Kastanie abgestellt habe.

»Sind die Hunde da drin?«

»Ich habe nur meinen eigenen Hund dabei, Charles, einen English Springer. Er ist es gewohnt, im Auto zu warten, bis der Einsatz losgeht. Üblicherweise sind wir mindestens zu zweit. Aber es war keine Kollegin verfügbar. Und je früher wir mit der Suche beginnen, desto besser.«

»Definitiv! Wenn Sie mir bitte folgen würden?!«

Er führt mich hinein in den kleinen, lang gestreckten Bungalow, dessen Fenster mit Fingerfarbe verschönert sind.

Das Linoleum quietscht unter unseren Schritten, als wir durch den Eingangsbereich eilen. An den Wänden stehen winzige Bänke, mit jeder Menge kleiner Schuhe darunter und bunter Jäckchen darüber, die an Kleiderhaken mit hübschen Motiven hängen.

»Timothy hat seine Straßenschuhe und seine Jacke angezogen«, erklärt PI Miller mir und deutet im Vorbeigehen kurz auf einen leeren Platz, über dem ein kleines Schild mit einem Schneemann auf blauem Grund zu sehen ist. »Er muss die Einrichtung verlassen haben. Alle umliegenden Polizeiwachen sind informiert. Es gibt keinerlei Hinweise auf ein Kind, das allein durch die Straßen läuft.«

»Hier drinnen haben Sie alles abgesucht?«, erkundige ich mich und werfe einen Blick aus einem Flurfenster, an dem wir vorbeikommen.

Dort draußen spielen Dutzende Kinder. In einem großen Sandkasten, in Abenteuerbuden und auf Schaukeln. Zwischen ihnen sitzen oder stehen Kindergärtnerinnen, die sie beaufsichtigen. Es sieht aus wie in jeder anderen Tagesstätte um diese Tageszeit. Mit dem Unterschied, dass sich hier, unbemerkt von all den anderen Kindern, gerade ein kleines Drama abspielt. Ein Drama, das hoffentlich einen guten Ausgang nehmen wird.

»Ja, wir haben die Toilettenräume durchsucht, jeden Schrank und jede Abstellkammer. Auch draußen jeden Winkel abgegrast.«

PI Miller klopft energisch an eine Tür zu unserer Rechten und öffnet sie sogleich.

Es ist das Büro der Leiterin der Einrichtung. In der kleinen Sitzecke springen zwei Frauen von den durchgesessenen Polstern auf.

»Mrs. Campbell ist da«, erklärt der Polizist und stellt mir die beiden dann vor. »Mrs. Ford, die Leiterin des Kindergartens, und Mrs. Buck, Timothys Mutter.«

»Gut, dass Sie so schnell kommen konnten«, sagt Mrs. Ford.

Wir nicken uns zu.

Sie ist etwa in meinem Alter, also Anfang bis Mitte vierzig, und sicher hat sie schon einige knifflige Lagen in ihrer Funktion als Leiterin eines Kindergartens erlebt. Ihre betont aufrechte Haltung und ihr beherrschtes Atmen zeigen mir, dass sie sich jedoch der Brisanz der jetzigen Situation voll bewusst ist.

Mrs. Buck ist wahrscheinlich um die dreißig. Ihre Augen sind gerötet und panisch geweitet. Ihre Lider flattern.

»Ich verstehe nicht, dass die Polizei nicht längst mit Hunden unterwegs ist«, presst sie mit hoher Stimme und einem vorwurfsvollen Blick zum PI heraus. »Er ist ein kleiner Junge! Er kennt es doch gar nicht, allein zu sein. Wir müssen ihn, so schnell es geht, finden.«

PI Miller räuspert sich.

»Das habe ich Ihnen doch schon erklärt, Mrs. Buck, wir verfügen über keine eigene Hundestaffel. In Fällen wie Ihrem greifen wir auf die freie Staffel des Districts zurück. Mrs. Campbell hier gehört zu dieser Staffel.«

»Wie lange ist Timothy verschwunden?«, frage ich.

Mrs. Ford legt die Hände aneinander.

»Timothys Betreuerin Donna ist sicher, dass er zur Frühstückspause um zehn noch mit den anderen zusammensaß. Dann gab es draußen eine kleine Rangelei wegen der Schaukeln, die sie klären musste. Und danach …«

»Sie müssen doch merken, wenn eines der Kinder fehlt!«, wirft Mrs. Buck sofort mit schriller Stimme ein.

Der Miene von Mrs. Ford nach zu urteilen ist das ein Satz, den die Mutter des Jungen seit ihrem Eintreffen hier schon öfter gesagt hat.

»Donna ist nicht sicher, ob er danach noch bei den anderen war?«, fasse ich möglichst sachlich zusammen.

Mrs. Ford nickt.

Ich sehe auf die große Uhr an der Wand.

»Nicht einmal drei Stunden also. Haben Sie irgendeine Ahnung, einen Anhaltspunkt, wo er stecken könnte?«

Diesmal schüttelt Mrs. Ford den Kopf.

»Mrs. Buck, wohnen hier in der Nähe Verwandte oder Freunde, die er mag, deren Zuhause er kennt, zu denen er gegangen sein könnte?«, frage ich die Mutter.

Die junge Frau schluchzt auf und schüttelt ebenfalls den Kopf.

PI Miller hüstelt.

»Das haben wir selbstverständlich schon überprüft. Offenbar hat Timothy heute Morgen mehrmals gefragt, wann wieder ein Ausflug zum Abenteuerspielplatz stattfindet. Dort haben meine Leute als Erstes gesucht – aber keine Spur von dem Jungen.«

Ich sehe Mrs. Buck an, die mich ängstlich beobachtet.

»Wie haben Sie Timothy heute hierhergebracht? Zu Fuß oder im Wagen? Ich frage, damit wir nicht versehentlich einer älteren Spur folgen und dann am Ende an Ihrer Haustür landen.«

»Ich bringe Timmy jeden Morgen mit dem Auto her«, murmelt sie.

»Mrs. Buck parkt immer auf dem kleinen Hof und bringt ihren Sohn zum Hintereingang herein«, ergänzt Mrs. Ford und deutet aus dem Fenster auf die Rückseite der Einrichtung. »Der ist aber während des Vormittags immer abgeschlossen. Den kann Timothy nicht genommen haben.«

Das ist toll. Auf diese Weise kommt uns die alte Fährte von heute Morgen nicht in die Quere.

»Okay«, sage ich und werfe PI Miller einen Blick zu.

Mir wäre es lieber gewesen, wenn die Mutter des Jungen bei meiner nächsten Frage nicht anwesend wäre.

»Ich gehe davon aus, dass hier heute Morgen keine fremden Personen gesehen wurden, Mann oder Frau? Vielleicht jemand, der versucht hat, zu dem einen oder anderen Kind Kontakt aufzunehmen?«

Diesmal ist das Geräusch, das von der jungen Mutter kommt, eine Art Wimmern. Sie vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Stellt sie sich gerade vor, wie jemand Fremdes ihren kleinen Sohn in seinen Wagen zerrt? Versucht sie, all die Bilder auszublenden, die automatisch in jeder Mutter aufsteigen, wenn ihr Kind vermisst wird? Ich kann ihre Gefühle jedenfalls nachvollziehen. Wenn ich nur daran denke, ich müsste derartige Ängste um meine Lily ausstehen …

»Selbstverständlich haben wir das abgeklärt«, erwidert PI Miller.

»Wir haben behutsam bei den Kindern herumgefragt. Aber keines kann sich an etwas Auffälliges erinnern«, setzt Mrs. Ford hinzu.

Ich nicke.

»Sehr gut! Dann wissen wir, dass er höchstwahrscheinlich von hier losgegangen ist. Und wenn das der Fall ist«, ich wende mich an Mrs. Buck und versuche, so viel Zuversicht wie möglich in meine Stimme zu legen, »dann müssen Sie sich keine Sorgen machen. Mein Hund hat im Einsatz bisher noch nie versagt. Er findet Ihren Jungen!«

Mrs. Buck hebt den Kopf und sieht mich an. Ihr Blick forscht angstvoll in meinen Augen. Was sie dort sieht, scheint ihr Hoffnung zu geben. Der Ansatz eines winzigen Lächelns erscheint auf ihrem Gesicht.

Ich richte mich auf. In mir breitet sich die vertraute Spannung aus, die ich von anderen Einsätzen kenne.

»Was brauchen Sie, Mrs. Campbell?«, will PI Miller wissen. »Irgendein Kleidungsstück von Timothy?«

»Sein Sportanzug«, sagt Mrs. Ford und will bereits den Raum verlassen.

»Nein, warten Sie. Der Geruchsartikel sollte so wenig wie möglich mit fremden Gerüchen kontaminiert sein. Vielleicht hat ein anderes Kind oder eine Ihrer Kolleginnen die Sachen angefasst. Ich werde eine Kopie von einem Geruch nehmen, der möglichst frisch ist. Die Kinder tragen hier doch sicher Hausschuhe?«

Die beiden Frauen nicken.

»Ich bräuchte einen dieser Schuhe«, sage ich zu Mrs. Ford. »Aber bitte achten Sie darauf, dass Sie ihn nur von außen berühren. Am besten fassen Sie ihn nur an der Ferse an.«

Sie nickt und ist schon aus dem Raum.

Ich nehme meinen roten Einsatzrucksack vom Rücken, in dem ich alles aufbewahre, was für die Suche nach einer vermissten Person vonnöten sein könnte: einen Verbandskasten und ein Ersatzhandy. Aber auch Wasser für Charles und mich und seine Futterbelohnung. Und das Wichtigste für eine solche Suche: sterile Kompressen und zwei sorgfältig gereinigte, mit einem Drehdeckel verschlossene Gläser.

Als Mrs. Ford mit Timothys Hausschuh wieder hereinkommt, muss Mrs. Buck beim Anblick des einsamen, verlassenen Dings wieder mit den Tränen kämpfen.

Ich öffne eines der Gläser, nehme Donna den Schuh vorsichtig ab und stelle ihn auf den Tisch. Dann streife ich zwei frische Einweghandschuhe aus elastischem Gummi über. Ich öffne die Verpackung einer sterilen Kompresse und führe sie behutsam in Timothys kleinen Hausschuh ein. Für ein paar Sekunden presse ich die Kompresse fest vorn in die Schuhspitze. Dann ziehe ich sie heraus und lasse sie in das bereitstehende Glas fallen, das ich sogleich verschließe.

»Und jetzt hole ich meinen Hund.«

Charles ist aufgeregt. Er wedelt enthusiastisch und trippelt mit den Pfoten, während ich ihm sein Arbeitsgeschirr anziehe.

Er ist sechs Jahre alt und kennt die Sucharbeit von Welpenbeinen an. Für ihn gibt es nichts Größeres, als mit mir gemeinsam einer Spur zu folgen, sei es von einem vermissten Menschen oder auch mal von einem entlaufenen Haustier.

»Ich möchte mitgehen«, sagt Mrs. Buck, die zusammen mit PI Miller und Mrs. Ford hinter uns steht und mir bei der Vorbereitung zusieht.

Ich sehe sie an, während Charles sich in seinem Suchgeschirr – fertig zur Arbeit – neben mich setzt.

Jeder andere würde wahrscheinlich einen gut erzogenen braun-weißen Hund mit schokobraunen Schlappohren und bernsteinfarbenen Augen sehen, der sein Frauchen einfach nur anhimmelt. Doch ich kann spüren, wie er vor Eifer bebt.

Einen Moment lang bin ich versucht, Mrs. Bucks Bitte nachzugeben, denn es ist nicht gerade optimal, dass ich allein losgehe, um den Jungen zu suchen. Doch als ich sehe, wie sehr die Lider der jungen Mutter flattern, entscheide ich mich dagegen.

»Mrs. Buck, ich kann Ihren Wunsch nur zu gut nachvollziehen«, antworte ich. »Aber es wäre gut möglich, dass wir Charles damit verwirren, verstehen Sie?«

»Oh«, macht sie enttäuscht, doch dann nickt sie. »Ja, verstehe ich natürlich, dann lieber nicht.«

Eine Begleitperson, die diese Sucharbeit nicht kennt, kann den Hund in seiner konzentrierten Arbeit tatsächlich stören. Gerade emotional aufgelöste Angehörige neigen dazu, den Vierbeiner durch ihren panischen Eifer, den Vermissten zu finden, nach vorn zu drücken oder ihn an Kreuzungen oder auf Plätzen gar zu überholen, weil sie verständlicherweise zu ungeduldig sind, um den Hund die Spur sorgfältig ausarbeiten zu lassen. Aber damit er seine Arbeit machen kann, muss Charles freie Pfote haben, wie ich immer sage. Genau das ist es nämlich, was Charles stets zum Erfolg führt: die Möglichkeit, dass er seinen Job selbstständig und gut machen kann. Die Tatsache, dass ich ihm vertraue.

Ich stelle nun das fest verschraubte Glas vor der Tür des Kindergartens ab.

»Ich habe ja Ihre Nummer«, tröste ich die junge Mutter und klopfe auf meine Hosentasche, in der mein Handy steckt. »Ich melde mich sofort, wenn wir ihn gefunden haben.«

Ich nicke den Frauen und dem PI zum Abschied kurz zu, öffne dann das Glas, hake den Karabiner der langen Leine an Charles’ Suchgeschirr ein und deute auf das Glas.

»Trail, Charles, trail!«

Mein Spaniel hat auf diese Aufforderung gewartet.

Nur ganz kurz steckt er seine glänzende Nase in die Glasöffnung. Dann kontrolliert er den Boden im Umkreis eines Meters. In weniger als drei Sekunden hat er den Geruch des gesuchten Jungen aus all den anderen herausgefiltert und läuft los.

Ich lasse die acht Meter lange Suchleine aus meiner Hand gleiten und folge ihm.

Bevor wir um die Ecke biegen, schaue ich noch einmal zu den dreien im Eingang des Kindergartens zurück, die mir angespannt nachblicken. Mrs. Buck sieht aus wie gelähmt, und ich kann sie gut verstehen.

Vierjährigen, die allein unterwegs sind, kann auch hier, im eher beschaulichen Surrey, jede Menge zustoßen. In den kleinen Städten und den noch kleineren Dörfern, aus denen viele Anwohner täglich in die pulsierende Metropole London pendeln, gibt es trotz aller Backsteinhäuschen- und Rosenspalieridylle vieles, was einem so kleinen Kind zum Verhängnis werden könnte.

Umso mehr hoffe ich, dass Charles auch diesmal seine Supernase und Suchdisziplin unter Beweis stellen und mich zum hoffentlich unversehrten Timothy führen wird.

Obwohl ich die Leine locker halte, reißt der Kontakt zwischen meinem Hund und mir nie ab. Ich weiß, dass meine Kollegen in der Hundestaffel alle der Meinung sind, ich müsse die Leine straffer halten. Aber für Charles und mich ist es so genau richtig.

Ich folge dem braun-weißen Fellhinterteil, das vor mir eifrig über den Bürgersteig trabt, und bin wieder einmal von Charles’ Arbeitsfreude tief berührt. Charles wirkt bei allem, was er tut, immer vergnügt, er ist eine Frohnatur und daheim bei Lily und mir ein echtes Schmusemonster. Beim ausgiebigen Kuscheln mit ihm sollte man nicht meinen, dass er derart engagiert einer Aufgabe nachgehen würde. Aber als Stöber- und Apportierhund liegt meinem Springer Spaniel diese Arbeit im Blut.

Ich laufe hinter ihm, mal im Eilschritt, wenn er sich seiner Sache ganz sicher ist und im raschen Trab voraneilt, dann auch mal langsamer, wenn wir an Kreuzungen kommen. Eine Weile halten wir uns auf diese Weise entlang der gewaltigen Mauer des Farnham Castle. Die ehemalige Festung dominiert das Zentrum der Stadt. Doch dann biegt Charles plötzlich nach rechts ab, und wir erreichen einen offenen Platz. Charles hebt den Kopf und nimmt Witterung auf. Nach rechts, nach links. Ich bleibe stehen und lasse ihn das Gelände sondieren.

Farnham hat etwa doppelt so viele Einwohner wie mein Zuhause, der Nachbarort Godalming, der mit zwanzigtausend Bewohnern recht beschaulich ist. Aber auch Farnham ist – obwohl nicht weit entfernt vom tobenden, tosenden Zentrum des britischen Empire – an diversen Stellen geradezu ländlich und sogar idyllisch ruhig, sodass ich Charles bequem den Raum geben kann, den er braucht.

Es ist erst eine gute halbe Stunde her, seitdem ich den Anruf bekam. Es gibt Einsätze, bei denen ich mich nicht so beeile. Bei denen es nicht so drängt und ich nicht das Risiko eingehen würde, allein auf die Suche zu gehen. Doch diesmal habe ich gleich alles stehen und liegen lassen.

Gut, dass ich meiner Arbeit, dem Restaurieren alter Möbelstücke, zu Hause in meiner eigenen Werkstatt nachgehe. So bin ich zeitlich flexibler als viele meiner Kollegen in der Hundestaffel. Gerade zu dieser Vormittagszeit, zu der die meisten in irgendwelchen Broterwerbsjobs feststecken.

Jetzt gebe ich Charles die Zeit, den kompletten Platz abzusuchen. Vor dem Schaufenster eines nostalgisch anmutenden Süßwarenladens, hinter dem gewaltige Lollis, Schokolade und bunte Kaugummis locken, hält er sich ein wenig länger auf, was ich als gutes Zeichen werte. Wenn ich vier Jahre alt und zum ersten Mal ganz allein auf Tour wäre, wäre ich dort auch stehen geblieben.

Ein alter Mann stellt sein rotes Fahrrad vor der Apotheke ab und sieht uns neugierig zu, bevor er vor sich hin murmelnd das Geschäft betritt.

Interesse von Passanten sind Charles und ich gewöhnt. Das stört uns nicht bei der Arbeit.

Und siehe da – plötzlich senkt mein Hund die Nase wieder auf den Boden und gibt Gas. Ich lasse ihm Leine und beeile mich, ihm zu folgen. Hinein in eine kleine Gasse, die zwischen zwei Gebäuden hindurch und an ein paar Hintergärten entlangführt. Nicht zu glauben, dass so ein kleiner Dreikäsehoch diese Strecke allein zurückgelegt hat.

Wenn ich an meine Tochter Lily denke, die nun immerhin schon acht Jahre alt ist, kommt es mir noch erstaunlicher vor. Lily würde niemals einfach so allein aus der Schule abhauen. Und schon gar nicht würde sie auf verschlungenen Pfaden irgendeinem unbekannten Ziel entgegenstreben. Manchmal frage ich mich, ob sie sich vielleicht anders entwickelt hätte, wenn Quentin und ich uns damals nicht getrennt hätten. Ich weiß, dass sie darunter leidet, nur alle zwei Wochen ein Wochenende bei ihrem Daddy verbringen zu dürfen. Aber ein notorisch fremdgehender Ehemann war selbst mir ein zu hoher Preis für das Seelenheil meines über alles geliebten Kindes.

Vor Charles und mir führt die Gasse nun auf die Straße eines Neubaugebietes. Was um alles in der Welt hat den kleinen Timothy dazu getrieben, hier entlangzulaufen?

Gedanklich schicke ich ein Stoßgebet gen Himmel: Bitte lass dem Jungen nichts Schlimmes passiert sein! Die Arbeit in einer Hundestaffel zur Personenfindung ist nämlich nicht immer schön und erfreulich. Manchmal finden Hund und Hundeführer auch Dinge, die sie lieber nicht gesehen hätten.

Jetzt biegt Charles abrupt nach rechts ab. Wir folgen dem schmalen Trampelpfad zwischen zwei Häusern hindurch, bis dieser sich weitet und in einen der kleinen Parks mündet, die in dieser Grafschaft von einigen Gemeinden in Eigeninitiative angelegt wurden. Es gibt hübsche Blumenrabatten zwischen hohen Bäumen, einige Bänke und einen kleinen Teich, auf dem ein Entenpaar empört schnatternd das Weite sucht, als Charles an ihm vorbeiläuft. Die Tiere können ja nicht wissen, dass mein Hund während der Arbeit keinerlei Sinn für solch profanes Tun wie das Aufscheuchen von beunruhigten Federfreunden hat.

Wir kommen auf eine Wiesenfläche, die von Rabatten eingegrenzt ist.

Und hier beginnt Charles, mit der Nase am Boden im Kreis zu laufen. Er japst aufgeregt.

Ich kenne meinen Hund so gut, dass ich ihn lesen kann wie ein offenes Buch. Dies ist sein Verhalten, wenn er in den sogenannten »Endpool« gerät, das heißt, hier hat sich Timothys Geruch stark verdichtet, weil er offenbar schon eine Weile in der Nähe ist.

Ich sehe mich um. Eine kleine Blockhütte am Rand der Wiesenfläche fällt mir ins Auge.

»Charles, komm her!«, rufe ich ihn leise zu mir.

Falls Charles’ Nase und mein Instinkt richtigliegen und dort in dem Holzhäuschen tatsächlich Timothy Buck zu finden sein wird, möchte ich diejenige von uns beiden sein, die ihm als Erste gegenübersteht. Obwohl mir Mrs. Buck versichert hat, dass Timothy Hunde mag, will ich den kleinen Kerl lieber nicht vom freudig-überschwänglichen Charles bestürmen lassen.

Ich spüre, dass mein wunderbarer Freund auf vier Pfoten rasend gern weitersuchen und selbstständig finden möchte, doch er gehorcht brav.

»Fein gemacht, mein Guter! Du bist ein Toller! Fein, ja schau nur!«, lobe ich ihn für die geleistete Arbeit.

Rasch löse ich den Karabiner von seinem Geschirr und streifte ihm seine Arbeitskleidung ab. Mit der am Halsband befestigten Leine binde ich ihn an einer jungen Buche fest und stelle ihm seine Belohnung hin: ein Schälchen mit Frischkäse.

»Bleib!«, sage ich dann und gehe durch das ordentlich gestutzte Gras hinüber zu dem kleinen Blockhäuschen.

Meine Kehle ist eng vor Anspannung. Was werde ich nun finden?

Vorsichtig luge ich um die Ecke des Eingangs. Um dann mit einem erleichternden Seufzen aufzuatmen. Dort an der Wand, auf dem Boden, sitzt eine kleine Gestalt. Die Arme um die Knie geschlungen und den Kopf daraufgelegt, schluchzt sie herzzerreißend.

Timothy.

Er trägt die roten Schuhe und die hellblaue Jacke, die seine Mutter mir beschrieben hat.

»Hallo, Timothy«, spreche ich den Jungen an.

Er zuckt zusammen und sieht mich von dort unten mit weit aufgerissenen Augen an.

Ich hocke mich hin, damit ich mit ihm auf Augenhöhe bin.

»Ich bin Gemma. Und schau mal, das da drüben ist mein Hund Charles.«

Ich deute an mir vorbei zur Türöffnung hinaus, wo Charles gerade zufrieden das Schälchen ausschleckt.

»Weißt du, im Kindergarten haben sich alle große Sorgen gemacht, wohin du verschwunden sein könntest. Deine Mum ist auch da.«

»Mummy?«, piepst der Kleine und blickt hoffnungsvoll an mir vorbei.

»Sie wartet im Kindergarten auf dich, Timothy«, erkläre ich ihm. »Sie hat mich gebeten, dich zusammen mit Charles zu suchen. Er ist ein ausgebildeter Suchhund, weißt du? Er kann jedes Kind wiederfinden, das irgendwie verloren gegangen ist. Aber wie wäre es, wenn wir uns jetzt auf den Weg zum Kindergarten machen? Deine Mummy wartet auf dich.«

»Ich find den Weg nicht mehr«, jammert da der kleine Junge, erneut voller Verzweiflung, »und den tollen Spielplatz auch nicht. Ich wollte zur großen Rutsche.«

»Ich wette, deine Mum geht später mit dir hin, hm? Nun komm mal.«

Ich halte ihm die Hand entgegen.

Er rappelt sich auf und schaut mich vertrauensvoll an. Sein niedliches Gesicht ist von Tränen und Rotz vollkommen verschmiert. Das arme Kerlchen muss schreckliche Ängste ausgestanden haben, als ihm klar wurde, dass er nicht nur den ersehnten Spielplatz, sondern auch den Rückweg nicht mehr finden konnte.

Er greift nach meinen Fingern und schnieft. Seine Kinderhand ist heiß und feucht.

Als wir die Hütte verlassen, stelle ich Timothy Charles vor, der zuerst wild wedelt, sich aber auf meine Aufforderung hin brav hinsetzt und sich von ihm streicheln lässt. Während die beiden Freundschaft schließen – bei Kindern und Hunden die natürlichste Sache der Welt –, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und rufe Timothys Mutter an.

»Ja?«, ertönt fast augenblicklich die atemlose Stimme von Mrs. Buck.

»Wir haben ihn. Es geht ihm gut«, sage ich und kann sie vor Erleichterung aufschluchzen hören.

Das sind die Momente, in denen ich weiß, wieso ich diese wichtige Arbeit mache.

2. Pete

Ein letzter, feiner Pinselstrich, dann lege ich mein Werkzeug neben dem Zeichentisch ab und betrachte das Bild vor mir. Es gehört zu etlichen weiteren Illustrationen, die ein renommierter Londoner Verlag für sein neues Vogelbestimmungsbuch bei mir in Auftrag gegeben hat. Ich finde, der Alcedo atthis – uns Normalsterblichen wohl eher als Eisvogel bekannt – ist mir ganz besonders gut gelungen.

Bei dieser Art des Malens kommt es nicht nur auf die Proportionen des Körpers, die Ausrichtung der Federn an, sondern auch darauf, die Farben möglichst realistisch darzustellen. Die genauen Farbtöne von Vogelgefieder finden sich in keinem noch so gut ausgestatteten Öl- oder Aquarellkasten. Ich hatte so lange verschiedene Rot- und Brauntöne gemischt, bis ich den Ton des Brustgefieders genau getroffen hatte, und das leuchtende Blau der Schwingen und des Kopfes musste ich ebenfalls eigens kreieren. Dieses Exemplar sieht tatsächlich genau so aus, wie ich seine lebendigen Vorbilder draußen in der Natur durchs Fernglas gesehen und mit meiner Kamera festgehalten habe. Ja, obwohl ich selbst mein größter Kritiker bin, bin ich mit diesem Bild zufrieden.

»So früh am Tag schon fleißig?«, schnurrt eine samtige Stimme an meinem Ohr.

Im selben Moment fahren weiche Fingerspitzen über meinen Nacken und in den Haaransatz.

Nach einem kurzen, schreckhaften Zusammenzucken spüre ich, wie mein verräterischer Körper auf die wohl manikürten Hände reagiert, die sich in mein Haar wühlen.

Ich greife nach hinten, halte ihre Hand fest und ziehe sie an mich heran.

Sie lacht. Auf diese Art, wie Frauen lachen, wenn sie wissen, dass sie bei uns Männern genau das erreicht haben, was sie wollten.

»Noch ein kleiner Nachschlag gefällig?«, raune ich, während ich mich vorbeuge und ihren schlanken Hals küsse, den sie elastisch nach hinten biegt.

Wieder gibt sie ein Schnurren von sich.

»Hmm. Sehr angenehme Vorstellung. Aber ich wollte mich eigentlich nur kurz verabschieden, wirklich sehr schade.«

Sie schlägt mit den langen schwarzen Wimpern.

Jetzt erst fällt mir auf, dass sie schon komplett angezogen und geschminkt ist. Hatte sie all diese Cremes und Farben in ihrer Handtasche? Sie sieht nicht mehr weich und verwundbar aus, so wie letzte Nacht. Stattdessen ist sie wieder die, die ich gestern Abend im Pub in Farnham kennengelernt habe.

Und jetzt zuckt sie mit den schmalen Schultern.

»Ich hab noch Termine, weißt du? Andere Leute haben nicht das Glück, zu Hause arbeiten zu können. Hübsch übrigens.«

Sie deutet mit dem Kopf in Richtung Eisvogel.

»Wie? Oh, ähm, danke. Kein Frühstück?«

Sie schüttelt ihre langen dunklen Locken.

»Niemals Frühstück. Ich hab mir einen Kaffee gemacht. Das ist ja eine super Maschine, die du da hast. So was brauch ich auch unbedingt.«

Sie spitzt die Lippen und küsst mich auf die Nasenspitze.

»Mach’s gut. Ich hab dir meine Nummer hingelegt. Falls du mal wieder jemanden zum Weinverkosten brauchst.«

Neckisch zwinkert sie mir zu.

Dann stolziert sie auf ihren hohen Absätzen zur Tür.

»Wiedersehn«, sage ich mit einem Schmunzeln.

»Irgendwann, gerne«, antwortet sie, winkt kurz und ist schon verschwunden.

Einen kurzen Moment starre ich ihr nach. Dann lösche ich die Lampe über dem Zeichentisch und muss mich nach dem Aufstehen erst einmal recken und strecken.

Verflixt, es ist schon später als gedacht. Bei meiner konzentrierten Arbeit am Morgen habe ich mal wieder die Zeit vergessen.

Normalerweise ist das nicht weiter schlimm. Ich lebe allein, und so stört es niemanden, wenn ich bereits um sechs den Kaffeeautomaten in der Küche röhren lasse, die Mahlzeiten durcheinanderbringe oder auch mal bis nachts um drei arbeite, um dann in meinen Klamotten komatös ins Bett zu fallen.

Aber heute muss ich pünktlich in London sein. Und zwar mit dem Auto, was bei den berechenbar unberechenbaren Verkehrsverhältnissen in dieser irgendwie immer überfüllten Stadt nicht ganz einfach zu planen ist.

Ich eile durch die kleine Verbindungstür hinüber in die Küche und von dort aus die schmale Treppe hinauf ins Schlafzimmer.

Ein frisches Hemd und ein legerer Anzug müssen es zu diesem Anlass wohl sein, auch wenn ich sonst der Jeans-und-T-Shirt-Typ bin.

Dann rasch wieder hinunter, einen Schluck Saft aus der Flasche im Kühlschrank, den Schlüssel vom Haken und zur niedrigen Tür hinausducken in den Hof.

Mein Haus, vor zweihundert Jahren aus dem groben Sandstein der Grafschaft Surrey und nicht zu weit von der nächsten kleinen Stadt Godalming entfernt erbaut, war früher mal ein Bauernhof, mein Atelier ein Schweinestall, und auf den umliegenden Feldern stand das Korn. Hier lebe ich seit zehn Jahren. Nach meiner Kunstausbildung in London, Paris und Mailand, den wilden Zeiten zwischen harter Arbeit an der Staffelei und ausufernden Partys in der Nacht, hatte es mich mit Mitte dreißig aufs Land gezogen – dorthin, wo ein Landschaftsmaler wohl auch hingehört.

Und allen Unkenrufen zum Trotz, die mir weissagten, ich würde mich schon nach wenigen Monaten zu Tode langweilen und mit fliegenden Fahnen zurück in die pulsierende Hauptstadt fliehen, fühle ich mich auch nach einem guten Jahrzehnt immer noch pudelwohl auf diesem idyllischen Fleckchen Erde.

Die Abgeschiedenheit stört mich nicht. Im Gegenteil, es ist herrlich, bei der Arbeit höchstens einmal vom Postboten unterbrochen zu werden, der in der Hoffnung auf ein kleines Schwätzchen an die Ateliertür klopft.

Und ich bin ja nicht ganz aus der Welt. Wenn mir der Sinn nach Abwechslung oder Halligalli steht, springe ich in den Zug nach London oder besuche eines der Pubs in Godalming oder Farnham. Und bei solchen Gelegenheiten passiert es durchaus auch mal, dass ich am nächsten Morgen nicht allein in meinem Schlafzimmer unterm reetgedeckten Dach aufwache.

Es gibt erfreulich viele Frauen in sämtlichen zu meinen fünfundvierzig Jahren passenden Altersklassen – also ab Mitte zwanzig bis Mitte fünfzig –, die einem unkomplizierten Miteinander für ein paar Nächte oder auch nur eine Nacht nicht abgeneigt sind.

Mir fehlt es hier also an nichts.

Als ich über den Hof zu der kleinen Scheune hinübergehe, die mir für meinen selten genutzten Wagen als Garage dient, kommen mir die Hühner entgegengerannt.

Sobald ich mich draußen blicken lasse, sind sie da, weil ich meistens einen Leckerbissen für sie in den Taschen habe. Ich bleibe kurz stehen und schmunzele wieder einmal darüber, wie deutlich ihre Verwandtschaft zu den Dinosauriern zu erkennen ist. Es könnte auch eine Schar kleiner Theropoden sein, die da auf mich zuschießt.

Das Zeichnen von Vögeln und die damit einhergehende nähere Beschäftigung mit dieser Spezies hatte in mir den Wunsch ausgelöst, selbst welche um mich haben zu wollen. In meinem ursprünglich von einer berühmten Gärtnerin angelegten Garten habe ich etliche Vogelfutterstationen eingerichtet, um die herum es das ganze Jahr über schwirrt und piepst. Aber welche Vögel, abgesehen von diesen wild lebenden in meinem Garten, kann man als Mensch schon guten Gewissens an sich binden? Allein der Gedanke an Volieren oder – noch schlimmer! – kleine Zimmerkäfige löst bei mir beinahe schon Depressionen aus. Vögel haben Flügel und sollten sie benutzen dürfen. Die einzigen Vögel, auf die das nicht zutrifft und bei denen ich mich nicht schäbig fühle, sie zu halten, sind daher Hühner.

Ich habe es bisher nie bereut, eine kleine bunte Schar an Hennen und einen dem Kochtopf gerade noch entrissenen Hahn aufgenommen zu haben. Die Tiere erwidern meine Zuneigung mit fröhlicher Zutraulichkeit. Und ich danke ihnen für die eifrig produzierten Eier, indem ich keines von ihnen in der Pfanne enden lassen werde. Das lustige Gehüpfe vor mir und die erwartungsvoll geneigten Köpfe lassen mich schmunzeln.

»Jetzt nicht, Mädels, ich hab zu tun«, vertröste ich sie auf später.

»Ist das dein Standardspruch?«, ertönt da eine Stimme jenseits der Bruchsteinmauer.

Ich fahre zusammen.

Offenbar bin ich ein bisschen angespannt. Denn wer sonst sollte hinter dieser Stimme stecken als Will, mein Nachbar und mittlerweile bester Freund?

Jetzt taucht er aus dem Beet hinter der etwas mehr als hüfthohen Mauer auf, die unsere Grundstücke trennt. Wahrscheinlich rückt er dort wohl wieder mal seinem Erzfeind, der Ackerwinde, zu Leibe.

»Guten Morgen, Pete!«, setzt er grinsend hinzu. »Ich hab dich doch nicht erschreckt?«

»Morgen! Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass du um diese Stunde schon in den Beeten herumwuselst.«

»Du weißt doch: Der frühe Vogel … und so weiter«, erwidert er und verstaut mit einer einzigen geschmeidigen Handbewegung lässig den Unkrautstecher in einer der vielen praktischen Taschen seiner Gärtnerhose.

William ist Ornithologe und passionierter Hobbygärtner, also der Prototyp eines verschrobenen Engländers. Mit seinem roten Lockenschopf, der auch in seinem Alter von Mitte vierzig noch wild um sein sommersprossiges Gesicht wiegt, entspricht er genau der Vorstellung, die Touristen aus anderen Ländern üblicherweise im Gepäck haben, wenn sie von London aus in die umliegenden ländlichen Grafschaften strömen.

Als William und ich mit meinem Umzug hierher zu Nachbarn wurden, habe ich mich gefreut, dass ein Vogelkundler direkt nebenan wohnt. Und tatsächlich nahm William mich begeistert mit auf seine Beobachtungstouren und zeigte mir seine besten Lauerplätze. Wenn man gemeinsam stundenlang irgendwo bewegungslos im Gebüsch hockt und Vögel beobachtet, mit Ferngläsern und geräuschlos auslösenden Kameras bewaffnet, verbindet das ungemein. Auch wenn es mich heute noch hin und wieder verblüfft, dass jemand damit sein Geld verdienen kann.

»Was für ein Standardspruch? Was meinst du?«

William grinst breit.

»›Jetzt nicht, Mädels.‹ Das hast du doch sicher auch der schicken Dunkelhaarigen gesagt, die gerade aus deiner Haustür kam. Du hast sie ziemlich früh aus dem Bett geworfen, hm?«

Ich rolle mit den Augen.

»Stell dir vor, Will, sie wollte gehen!«

»Ach, lass dich doch von mir nicht aufziehen«, erwidert er gutmütig.

William hält One-Night-Stands für verschenkte Lebenszeit. Er ist der Eine-und-für-immer-Typ. Aber meist verkneift er sich eine Bemerkung zu meiner komplett anderen Handhabung dieser Seite des Lebens. Ich meinerseits würde ihn nie damit aufziehen, dass er an die große, wahre Liebe glaubt und darunter nichts für ihn infrage kommt, wie er immer behauptet. Wie könnte ich auch? Er hat schließlich seine über alles geliebte Frau vor zwölf Jahren an den Krebs verloren.

Ich habe es immer bedauert, dass ich Hannah nie kennenlernen durfte. Die Beziehung der beiden muss so etwas wie der Himmel auf Erden gewesen sein, wenn man William und seinen Freunden glauben darf. Ein Miteinander auf Augenhöhe, eine Ehe, in der eine einzigartige Atmosphäre herrschte, weil zwei beste Freunde es zwischen sich so richtig knistern ließen.

Früher, als Teenager und noch bis in die Zwanziger hinein, bin ich davon ausgegangen, dass auch ich genau solch eine Art von Liebe erleben würde. Ich dachte, eines Tages würde mir diejenige begegnen, mit der ich mich wortlos verstehen und die meine Macken lächelnd hinnehmen würde. Ich war davon überzeugt, dass es natürlich eine wunderschöne und umwerfende Frau sein würde. Mit langen dunklen Haaren, groß, schlank, sexy von den Zehenspitzen bis zum Scheitel. Und ich hielt nach ihr Ausschau. Aber was soll ich sagen? Ich habe sie bis heute nicht getroffen – auch wenn ich ausführlich nach ihr gesucht und häufig etwas ausprobiert habe. Die wenigen Beziehungen, die über ein oder zwei Jahre gingen, haben mich ebenfalls ernüchtert. Wenn Ehe bedeutet, unentwegt aneinander herumzuzerren und eher nebeneinander als miteinander zu leben, dann bin ich für diese Lebensform wohl nicht geschaffen.

»Du hast Blau am Daumen«, sagt William in diesem Moment und deutet auf meine rechte Hand.

»Jetzt weiß ich endlich, wieso deine Stauden so viel besser blühen als meine«, sage ich und betrachte nachdenklich den Farbklecks an meinem Finger. »Du hast den grünen Daumen und ich …«

Ich halte den blauen Daumen grinsend in die Höhe.

»Du hast schon so früh am Tag gearbeitet?«, schlussfolgert mein Freund.

Ich zucke mit den Schultern.

»Ich habe nächste Woche Abgabe beim Verlag. Und da ich nicht weiß, wie es sich hier gestaltet, wenn ab heute Mittag mein alter Herr hier weilt, musste ich etwas vorarbeiten.«

»Ist es also so weit? Du holst ihn ab?«

William streicht sich mit der erdverschmierten Hand über die Stirn und hinterlässt dort einen dunklen Streifen.

In den vergangenen zehn Jahren, in denen ich jetzt hier lebe, hat mein bester Freund und direkter Nachbar meinen Vater nur zweimal kurz auf dem Hof getroffen. Und das, obwohl Dad nicht weit entfernt im wohlhabendsten Distrikt Surreys lebt, wo mein Bruder George und ich aufgewachsen sind. Ich finde, die Anzahl seiner Besuche hier sagt schon so einiges über das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir aus.

»Ich hoffe, ich finde einen geeigneten Parkplatz. Bis der Gips am Bein runterkommt, ist er auf den Rollstuhl angewiesen.«

»So einen komplizierten Beinbruch muss man auch erst mal hinkriegen«, bemerkt William.

»Sag ihm so etwas bloß nicht«, warne ich ihn. »Er ist so stolz darauf, dass er mit seinen neunundsiebzig Jahren immer noch jeden Handschlag am Haus selbst macht.«

William lacht.

»Ich bin doch nicht lebensmüde. Sonst hetzt er noch alle seine alten Air-Force-Kumpels auf mich. Nein, nein, keine Bange. Ich werde mich sicher nicht über halbierte Schien- und Wadenbeine ergehen. Maximal werde ich nebenbei erwähnen, dass selbst ich junger Hüpfer nicht auf fünf Meter hohen Leitern herumbalanciere, sondern jemanden zur Reinigung der Dachrinnen kommen lasse.«

»Das halte ich für einen wertvollen Hinweis«, sage ich und schaue wieder auf die Uhr. »Ich muss los. Bin spät dran.«

»Na, dann toi, toi, toi! Sag Bescheid, wenn ich irgendwie helfen kann, ja?«

»Mach ich. Danke dir!«

In dem kleinen, umgebauten Heuschober steige ich in meinen Kombi und fahre los.

*

Bis ich auf dem Parkplatz der Londoner Klinik aussteige, vergehen etwas mehr als anderthalb Stunden.

Im Laufe der Fahrt ist die Lebendigkeit, die ich während der nächtlichen Stunden mit meiner reizenden Begleitung erlebt habe, verflogen. Auch der wunderbare Flow, der mich wie so oft während meiner Arbeit am Morgen am Zeichenbrett getragen hat, blättert von mir ab wie alte Farbe.

An die Stelle tritt ein beklemmendes Gefühl, das mich gerne beschleicht, wenn ich einem Vater-Sohn-Treffen entgegensehe.

Nur ist dies leider nicht eines der steifen Dinner, zu denen wir uns üblicherweise hin und wieder in der Stadt treffen. Es ist auch nicht der zweite Weihnachtstag, der schon immer für die Familie reserviert war. Die Familie, die seit Mums Tod vor dreißig Jahren nur aus Dad, meinem vier Jahre jüngeren Bruder George und mir besteht.

Bei einem einzigen Weihnachtsfest vor vier Jahren gehörte auch Miranda dazu, was meinen Vater regelrecht aufblühen ließ. Aber seit wir unsere Beziehung wieder beendet haben, zeigt ihre Abwesenheit an den Feiertagen in seinen Augen wohl nur noch mehr, was für ein Versager der ältere Sohn der Familie Johnson ist.

Nein, leider wird das heutige Zusammentreffen mit Dad nicht in wenigen Stunden vorüber sein.

»Guten Morgen! Mein Name ist Pete Gardener«, melde ich mich bei der Schwester am Empfang der Station. »Ich möchte meinen Vater abholen, Albert Johnson.«

Die kurze Irritation auf ihrer Seite bin ich gewöhnt. Viele Menschen stutzen kurz, wenn Vater und Sohn nicht denselben Nachnamen tragen. Sie können nicht wissen, dass mein sogenannter Künstlername mir inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Der eigene Name bedeutet doch immer auch Identität. Und die finde ich in meinem selbst gefundenen Namen, der über meiner geliebten Arbeit als Illustrator und Maler steht, wesentlich mehr als in dem nichtssagenden, den ich geerbt habe.

»Ah ja«, sagt die Schwester und sieht den Gang hinunter zum Besucherbereich, wo auch ich stundenlang gesessen habe, als Dad nach seinem Sturz von der Leiter vor drei Wochen hier eingeliefert worden war. »Ich glaube, Ihr Vater erwartet Sie bereits. Wir brauchten das Zimmer«, setzt sie entschuldigend hinzu und deutet nun auch mit der Hand in die Richtung, in die sie geschaut hat.

Ich nicke ihr freundlich zu und mache mich auf den Weg.

Als ich um die Ecke biege, sehe ich Dad sofort.

Man hat seinen Rollstuhl an den Rand der Stuhlreihen in die Nähe der großen Glasfront geschoben, von der aus man hinunter auf den Parkplatz sehen kann. Dort sitzt er, trotz des Gipses, der vom Fuß bis übers Knie hinaufreicht, sehr aufrecht und mit durchgedrücktem Kreuz, wie immer.

Jahrzehnte bei der Royal Air Force haben ihn in vielfacher Hinsicht geprägt. Selbst bei Mums Beerdigung stand er damals kerzengerade wie eine Spielfigur auf dem Mensch-ärgere-dich-nicht-Brett, vergoss mit starrer Miene keine einzige Träne und klopfte uns Jungs abwechselnd auf die bebenden Schultern.

Ich atme tief ein und setze ein Lächeln auf.

»Hallo, Dad!«, sage ich klar und deutlich, als ich auf ihn zugehe.

»Guten Morgen, Peter!«, erwidert er und mustert mich mit seinen hellen Augen, deren Blau so durchdringend ist, dass ich als Kind glaubte, er könne mit ihnen in mich hineinsehen und meine Gedanken lesen.

Ich habe den lebendigen und warmen haselnussbraunen Blick von Mum geerbt. Wenn ich mich damals als kleiner Junge im Spiegel ansah, stellte ich mir immer vor, wie es wohl wäre, selbst solche Röntgenaugen wie Dad zu haben.

»Wieder keine Zeit für eine Krawatte gehabt?«

Ich lache, als hätte er einen Scherz gemacht. Dabei war seine Bemerkung bestimmt ernst gemeint. Seinen geradezu zwanghaften Ansprüchen in Sachen korrekter Kleidung entspreche ich also immer noch nicht. Er dagegen trägt sogar jetzt über Hemd und Krawatte ein Jackett. Dass es nicht zugeknöpft ist, ist wohl lediglich sein Zugeständnis an die erniedrigende Tatsache, dass er als Hose eine farblich passende, aber ausreichend weite Sporthose wählen musste, durch die der Gips passt.

Hoffentlich läuft sein Kleidungswahn in den kommenden Wochen nicht auf ewige Nörgelei und spitze Bemerkungen hinaus, wenn ich morgens in meinem üblichen Arbeitsdress ins Atelier hinübergehe: schlabberige Jogginghose, T-Shirt und uraltes Sweatshirt.

»Hast du gut geschlafen?«, erkundige ich mich.

»Natürlich. Ein reines Gewissen«, antwortet er prompt.

»Wie angenehm für dich. Tja, dann … wollen wir mal, oder?!« Ich greife nach der Tasche, die neben ihm auf dem Boden steht, hänge sie mir über die Schulter und will Dads Rollstuhl losschieben.

»Peter«, sagt er kühl. »Ich bin kein Opa, den man herumkutschieren muss.«

Mit diesen Worten löst er die Bremse am Rollstuhl, legt beide Hände auf die Metallschienen der Räder und fährt selbstständig an.

Das hätte ich mir denken können. Sein ganzes Leben war er stolz darauf, stets fit und sportlich zu sein. Das hat mit zunehmendem Alter nicht nachgelassen. Und selbst mit seinen mittlerweile neunundsiebzig Jahren joggt er noch jeden Morgen eine Runde ums Dorf … ähm, ist er gejoggt – denn auf diese Ertüchtigung wird er nun dank seines Leichtsinns eine Weile verzichten müssen.

Ich seufze leise, während ich ihm über das Linoleum des Krankenhausflurs folge.

Wir sind noch keine zehn Meter weit gekommen, als aus einem Zimmer ein Arzt tritt.

»Major Johnson! Nun geht es also nach Hause?!«, fragt er freundlich.

Dad liebt es, wenn man ihn mit seinem Rang anspricht, als stünde er immer noch im Dienste der Queen, und lächelt.

»Leider nicht zu mir nach Hause. Da gibt es entschieden zu steile Treppen und zu enge Türen. Mein Ältester nimmt mich für die paar Wochen bei sich auf, bis der Gips runterkann. Das ist Peter.«

Er deutet in meine Richtung.

Der Arzt und ich nicken uns zu.

Dad fährt fort: »Mein Jüngster, George, hat natürlich keine Zeit, sich um seinen alten Herrn zu kümmern. Wenn man in Afghanistan Kampfjets fliegt oder hier an der Basis den ganzen Tag am Hangar zu tun hat, kann man keinen pensionierten Major im Rollstuhl um sich rum gebrauchen.«

Er lacht auf diese gewisse Weise, auf die er nur lacht, wenn er ganz nebenbei erwähnen kann, dass sein jüngster Sohn ebenfalls Karriere bei der Air Force macht.

»Nun tun Sie mal nicht so, als ob Sie zum alten Eisen gehören würden«, erwidert der Arzt und spricht damit genau das aus, was Dad am liebsten hört.

Er winkt ab.

»Ach ja, nur von hohen Leitern am Hausdach sollte ich mich am besten fernhalten, nicht wahr?«

Der Doktor wiegt nur den Kopf.

»Mangelnde Vorsicht bei riskanten Reparaturarbeiten ist schon wesentlich jüngeren Männern zum Verhängnis geworden, Major Johnson.«

Die beiden verabschieden sich mit Handschlag. Der Arzt eilt mit wehendem Kittel weiter. Und Dad gibt auf dem Weg zum Fahrstuhl richtig Gas, als müsse er nun aller Welt beweisen, dass die Sache mit dem alten Eisen tatsächlich nicht zutrifft.

Aus irgendeinem Grund ist mir plötzlich noch beklommener zumute als bei meiner Ankunft hier.

Vielleicht, weil die wenigen Minuten mit Dad hier und das kurze Gespräch mit dem Arzt wirkten, als seien sie ein Hinweis auf die Wochen, die mich nun erwarten.

3. Gemma

»Mum!«, ruft Lily quietschend aus dem Wohnzimmer. »Adrian schummelt schon wieder!«

Ich muss schmunzeln und gehe aus der Küche hinüber, in der Hand eine Karaffe mit selbst gemachter Holunderlimonade.

»Wie kann man denn beim Scrabble schummeln?«

»Er sagt einfach, es gibt einen Wasserentensuchhund! Das wären neunzehn Buchstaben! Aber ich weiß genau, dass es so eine Rasse nicht gibt«, empört sich mein Mädchen.

Mein bester Freund Adrian, seines Zeichens belesener Buchhändler, könnte sein Patenkind bestimmt bei einer Menge Themen an der Nase herumführen, aber in Hundesachen lässt Lily sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Sie kann sich kaum an die Zeit erinnern, als es ihren geliebten vierbeinigen Freund Charles noch nicht gab, fliegt auf Hunde jeder Größe und jeden Alters und kann wie aus der Pistole geschossen mehr Hunderassen auswendig aufsagen als ich selbst. Und ich mache die Hundearbeit immerhin schon seit vielen Jahren und habe unterschiedlichste Vierbeiner kennengelernt.

Adrian versucht sich an einer Unschuldsmiene, was bei seinen stylisch silberweiß gefärbten Haaren und dem schwarzen Henriquatre-Bart rund um den Mund geradezu niedlich aussieht.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mal von genau so einem Hund erzählt hast, Gemma«, behauptet er. »Sah der nicht so ähnlich aus wie ein English Springer Spaniel?«

Er deutet demonstrativ auf Charles, der in seinem Korb neben dem Sofa auf dem Rücken liegt und selig schlummert.

»Schäm dich, Adrian!«, antworte ich grinsend. »Man muss auch gegen eine Achtjährige mal verlieren können.«

Das wertet Lily als Entscheid für sich, juchzt auf und schiebt Adrians Spielsteine zu ihm zurück.

Der hebt die Hände in die Luft und gibt sich geschlagen.

»Noch eine Runde?!«, bettelt Lily.

Adrian schaut auf die Uhr.

»Lieber nicht, Honey, ich muss gleich wieder los, und eine Partie zu unterbrechen ist viel zu schade, findest du nicht?«

Lily zieht einen Flunsch. Doch dann entdeckt sie die Limonade und ist sofort abgelenkt. Sie liebt meine Holunderlimo.

Während sie sich mit einiger Mühe aus der schweren Karaffe in ihr dickbauchiges Glas einschenkt, räumt Adrian die Scrabble-Steine zurück in die Packung.

»Und du willst wirklich nicht zum Essen bleiben? Joline bringt ihre Erdbeertörtchen als Dessert mit«, versuche ich ihn zu locken.

Ich mag es am liebsten, wenn wir drei Freunde einen Abend gemeinsam verbringen. Seit der Schulzeit sind wir ein Kleeblatt und haben schon diverse Höhen und Tiefen miteinander erlebt.

Und als wäre dies Jolines Stichwort zum Auftritt gewesen, ertönt in diesem Augenblick die kleine Glocke an der Eingangstür.

Lily stellt ihr Glas hastig ab, tatsächlich ohne etwas zu verschütten, und rennt zur Tür.

Charles erwacht mit einem Schnarcher, rappelt sich umständlich im Körbchen auf und blickt sich mit seinen hübschen hellbraunen Augen verwirrt um. Eines seiner langen Ohren hängt ihm zunächst noch über den Kopf und rutscht dann langsam herunter.

»Als Wachhund ist der liebe Charly nicht besonders gut geeignet«, sagt Adrian mit hochgezogenen Brauen.

»Dafür hat er andere Qualitäten«, erwidere ich.

Aus dem Flur hören wir Lilys helle und eine weibliche dunkle Stimme.

Dann hüpft Lily ins Zimmer und ruft: »Joline ist da!«

Tatsächlich erscheint meine beste Freundin seit Kindertagen direkt hinter ihr.

Joline ist ein echter Hingucker, wie ich wieder einmal neidlos feststelle. Sie trägt die dunklen, hüftlangen Haare glatt auf dem Rücken und den Pony so kurz geschnitten, dass es auf den ersten Blick nach versehentlich ausgerutschter Schere und auf den zweiten wie der Modetrend schlechthin aussieht. Heute ist sie komplett in Grün gekleidet: grüne Kunstlederjacke über eng anliegendem grünen Top und grüner Slimjeans samt grünen Stiefeletten. In dem Dress würde ich aussehen wie ein Buttercup-Kürbis, aber Joline trägt die Sachen so lässig, dass sie damit über jeden Laufsteg marschieren könnte. Ihre natürliche Ausstrahlung, die mich immer an ein scheues Reh erinnert, das sich beim Davonlaufen aber noch einmal beschwingt umschaut, unterstreicht ihren Auftritt.

»Hallo, allerseits!«, begrüßt sie uns mit ihrer samtigen Stimme und platziert den Teller mit den verlockenden Erdbeertörtchen auf dem Tisch.

Dann wird erst der begeistert auf und ab hüpfende Charles von ihr geknuddelt, bevor sie mich und Adrian umarmt.

»Auf welcher Reise bist du denn gerade?«, erkundigt Adrian sich interessiert und mustert ihre Aufmachung.

Wir wissen beide, dass Joline sich gern so anzieht, dass es mit ihrer aktuellen Arbeit harmoniert.

»Kent«, erklärt Joline sanft abwinkend, als sei es nicht weiter der Rede wert. »Ein stinkreicher Adeliger will ein Ölgemälde von seiner Parkanlage. Also, kein Garten mit Staudenrabatten oder allerlei Schnickschnack. Nein, wirklich ein Park. Mit unzähligen Bäumen und Büschen und Rasen und Sträuchern und Büschen und Rasen und Bäumen. Alles da ist einfach nur …«

Sie deutet an sich hinab.

»Grün?«, wirft Lily ein und kichert.

»Erraten!«

Unsere Freundin stupst ihr mit dem Finger an die Nase.