Sommerküsse und Limonen - Jo Thomas - E-Book
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Sommerküsse und Limonen E-Book

Jo Thomas

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Beschreibung

Zeldas gemeinsame Zukunft mit Jugendfreund Lennie sah so verlockend aus: eine Hochzeit auf Sizilien und ein Haus inmitten von Zitronenbäumen. Doch statt Zitroneneis und Dolce Vita erwarten sie auf der Insel ein marodes Anwesen und jede Menge Ärger. Einziger Lichtblick: der charmante Kellner Luca, der Zeldas Gefühle gewaltig durcheinanderbringt. Als er ihr ein ungewöhnliches Angebot macht, werden die letzten Tage vor der Hochzeit zu einer emotionalen Achterbahnfahrt, die mehr als eine Überraschung bereithält ...

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Grußwort

Widmung

Zitat

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

Epilog

Dank

Willkommen in der Welt von Jo Thomas

Drei Rezepte aus "Two Kitchens"

Zitronen

Spaghetti mit Knoblauch, Öl und Zitrone

Tagliatelle mit Limone und Parmesan

Zitronentorte

Über das Buch

Zeldas gemeinsame Zukunft mit ihrem smarten Freund Lennie sah so verlockend aus: eine Hochzeit auf Sizilien und ein Haus inmitten von Zitronenbäumen. Doch statt Zitroneneis und Dolce Vita erwarten sie auf der Insel ein marodes Anwesen und jede Menge Ärger. Einziger Lichtblick: der charmante Kellner Luca, der Zeldas Gefühle gewaltig durcheinanderbringt. Als er ihr ein ungewöhnliches Angebot macht, werden die letzten Tage vor der Hochzeit zu einer emotionalen Achterbahnfahrt, die mehr als eine Überraschung bereithält …

Eine prickelnde Liebeskomödie vor der traumhaften Kulisse Siziliens

Mit köstlichen Rezepten

Über die Autorin

Jo Thomas arbeitet seit vielen Jahren als Journalisten für verschiedene englische Radiosender. Ihr Debütroman, Ein Sommer in Galway, hat sich in England zu einem Bestseller entwickelt und wurde unter anderem mit dem RNA Joan Hessayon Award ausgezeichnet. Jo Thomas lebt mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern in Vale of Glamorgan.

JO THOMAS

Sommerküsse und Limonen

ROMAN

Aus dem Englischen von Gabi Reichart-Schmitz

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2019 by Jo ThomasTitel der englischen Originalausgabe: »My Lemon Grove Summer«Originalverlag: Headline Review. An imprint of Headline Publishing Group, London

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Anita Hirtreiter, MünchenEinband-/Umschlagmotive: © shutterstock: Liliya_K | © Anastasia Lembrik | cosmicanna | Loguna | aleksa_ch | EleorUmschlaggestaltung: Manuela Städele-MonverdeeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0373-4

luebbe.delesejury.de

Liebe Leserinnen und Leser,

ich heiße Jo Thomas. Zunächst einige Informationen zu meiner Person. Seit vielen Jahren arbeite ich als Journalistin für verschiedene englische Radiosender, zum Beispiel für BBC Radio 5 und später auch für The Steve Wright Show auf Radio 2. Im Jahr 2014 schrieb ich meinen Debütroman, Ein Sommer in Galway, der sich zu einem E-Book-Bestseller entwickelte und unter anderem mit dem RNA-Joan-Hessayon-Award 2014 und dem Festival of Romance Best Ebook Award 2014 ausgezeichnet wurde. Es folgten die Romane Ein Sommer wie kein zweiter, Das kleine Château in den Hügeln, Sommerglück und Honigduft sowie Ein Sommer voller Schmetterlinge.

Falls ihr meine anderen Romane gelesen habt, wisst ihr, dass ihr euch auf eine Geschichte über Essen und Liebe mit einer guten Portion Sonne und einem Spritzer Spaß sowie auf Charaktere gefasst machen dürft, in die ihr euch hoffentlich verlieben werdet. Falls ihr neu in meiner Welt seid, herzlich willkommen! Ich hoffe, ihr werdet bleiben!

Ich war einmal in einem meiner Lieblingsrestaurants in Apulien in Süditalien, wo ich mein zweites Buch, Ein Sommer wie kein zweiter, schrieb. Nach dem Essen kam der Restaurantbesitzer an unseren Tisch und brachte Gläser für alle und eine Flasche Limoncello mit, diesen wunderbaren italienischen Zitronenlikör. Er holte sich einen Stuhl und fragte mich, was für Bücher ich schriebe. Er sprach kein Englisch, und ich konnte nicht viel Italienisch, aber irgendwie erklärte ich ihm, dass meine Bücher von Essen und Liebe handelten, weil ich immer schon fand, dass die beiden eng miteinander verbunden sind. Er wiederum erzählte mir, dass sich sein ganzes Leben um die Lebensmittel dreht, die er mit seiner Familie auf seinem Land anbaut, in seiner Küche zubereitet und dann auf den Tisch bringt. Mit ausgebreiteten Armen deutete er auf den Olivenhain, der uns umgab, zeigte auf den forno in der Küche, wo das Holzfeuer munter flackerte und Rauch aus dem Kamin aufstieg, und schlug dann mit der Hand auf den blank gescheuerten Holztisch, la tavola. »Für die, die wir lieben«, sagte er und legte sich die Hand aufs Herz. Und genau so ein Buch möchte ich schreiben: über die Lebensmittel, die wir anbauen, um sie zuzubereiten und auf den Tisch zu bringen – für die, die wir lieben. Also, schnappt euch einen Stuhl, und setzt euch an meinen Tisch!

Wenn ihr mehr über mich, meine Romane und meine jüngsten Abenteuer erfahren wollt, findet ihr mich unter www.jothomasauthor.com, bei Facebook www.facebook.com/JoThomasAuthor oder bei Twitter @jo_thomas01. Meldet euch bei mir, ich würde mich sehr freuen, von euch zu hören.

Liebe Grüße

Jo x

Für meinen Sohn Billy, weil er mich zum Lächeln bringt,und in Erinnerung an seinen Freund Luca,der ihm bewusst machte, wie wichtig die Fähigkeit ist,andere Menschen zum Lachen zu bringen.Und für Janice Symons, eine inspirierende Frau,die mir beigebracht hat, dass eine Mama immer Mama bleibt,gleichgültig, woher ihre Kinder kommenoder wohin sie gehen.Manchmal reicht eine flüchtige Begegnung mit einem Menschen, um eine Veränderung im Leben zu bewirken.

Großvater Potts in Tschitti Tschitti Bäng Bäng sagte: »Sag niemals Nein zu einem Abenteuer. Sag immer Ja,sonst wirst du ein sehr langweiliges Leben führen.«Familie ist das, was man daraus macht …

1. Kapitel

»Er ghostet dich? Echt jetzt? Schon wieder?!«, sage ich laut. Ich blicke auf das Display meines alten Handys und hoffe, dass der Typ, mit dem ich mich am Donnerstagabend zum dritten Date getroffen habe, sich doch noch melden wird. Als würde ich darauf warten, dass gleich mit einem Knall ein Flaschengeist in einer Wolke aus blaugrünem Rauch auftaucht und mir das Gesicht meines idealen Partners zeigt. Sein Online-Profil klang so toll, und auch bei unseren Verabredungen machte er einen netten Eindruck. Ich hatte geglaubt, er könnte der Richtige sein. Aber in diesem Fall ist nicht Aschenputtel vor dem Märchenprinzen davongelaufen, sondern offensichtlich hat der Märchenprinz vor mir die Flucht ergriffen … wieder mal.

Anscheinend habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, auf der Dating-App immer wieder einen Mr. Perfect auszuwählen, der nach einigen Treffen zu dem Schluss kommt, dass ich nicht seine Miss Perfect bin. Ich bin es leid, schließlich bin ich fast vierzig! Sollte ich nicht inzwischen einen Mann, Kinder, ein Heim und einen Hund haben? Ist es nicht das, was das Leben uns allen verspricht?

»Er ghostet dich?«, wiederholt Lennie. »Bist du schon wieder an so einen geraten?«

Ich nicke und werfe nochmals einen Blick auf mein Handy. Und noch einen, bevor ich mir die Niederlage endgültig eingestehe. »Ja, auch der Typ ist abgetaucht!« Während die Worte in mir nachhallen, trinke ich einen großen Schluck von dem warmen, leicht süßen Rosé. »Igitt, dieser Zinfandel schmeckt ja grässlich!« Ich verziehe das Gesicht und sehe mich an der provisorischen Bar nach einem anderen Getränk um. Doch zur Wahl stehen neben dem Zinfandel nur warmer Chardonnay oder ein ebenso wenig gekühlter Shiraz. Von allen dreien würde ich garantiert heftige Kopfschmerzen bekommen. Der kleine Partybereich, in dem wir uns befinden, ist nicht einmal ein richtiger Raum, sondern lediglich eine durch einen Vorhang abgetrennte Ecke eines Veranstaltungssaals. Ein großes Fenster bietet einen Ausblick über die Bucht und die Stadt. Nebenan ist eine Hochzeitsfeier in vollem Gange. Die Discobeleuchtung ist durch den Trennvorhang zu erkennen und erhellt die kahle, düstere Ecke, in der wir stehen.

»Ehrlich, Zelda, ich fasse es nicht, wie jemand so gemein sein kann! Wie oft ist es dir nun bereits passiert, dass dich jemand einfach ghostet?«

Ich seufze. So läuft das heutzutage. Wenn man an jemandem doch nicht interessiert ist, taucht man einfach ab. Alle suchen das Gleiche, aber kaum jemand findet es. Allerdings scheine ich tatsächlich ein Händchen dafür zu haben, mir immer wieder die falschen Männer auszusuchen. Ein, zwei oder höchstens drei Verabredungen, dann – wenn ich gerade denke, es könnte sich etwas entwickeln – werde ich ohne ein Wort fallen gelassen und fortan ignoriert. Das tut weh. Ich erfahre nie, ob es an mir liegt, denn ich glaube jedes Mal, aus der Sache könnte etwas werden, während die Typen anderer Meinung sind. Ich habe keine Ahnung, was ich falsch gemacht haben könnte. Ich weiß bloß, dass es schon wieder passiert ist.

»Und was gibt es bei dir Neues?« Ich nehme einen Schluck von dem schlechten Wein. »Wie läuft es zwischen dir und Bridget? Gibt es nicht eine Art Regel, dass man keine Kollegen aus derselben Firma daten soll?«

»Nein, zwischen Bridget und mir ist nie was gelaufen.«

»Gibt es sonst jemanden?«

Unangenehm berührt schüttelt er den Kopf.

»Dieser Markus, dein Chef, der wäre doch ein guter Fang. Aber ich wette, er ist vergeben.«

»Er ist frisch getrennt, glaube ich. War wahrscheinlich nichts Ernstes. Anscheinend ist er nicht auf eine feste Beziehung aus, also vergiss es.« Lennie trinkt einen Schluck Wein. Er wirkt seltsam nervös, aber ich habe keine Ahnung, warum. Ganz sicher hat er etwas auf dem Herzen, doch ich weiß nicht, was es ist. Bei der lauten Musik ist es zwecklos, ihn danach zu fragen, denn man versteht kaum sein eigenes Wort und kann gar nicht richtig denken!

Ich folge seinem Blick durch den beinahe leeren Raum. Lennies Gesicht wird von den blinkenden Lichtern von nebenan pink angestrahlt. Das Büfett ächzt, als erwarte es den Ansturm Hunderter von Partybesuchern. Stattdessen sind wir nur eine Handvoll, einschließlich einiger gelangweilter Kinder, die zwischen den Stühlen Fangen spielen.

»Wir haben doch gesagt, wir bleiben bloß eine Stunde«, schreit Lennie mir ins rechte Ohr. Er wirkt genervt.

»Aber es ist kaum jemand hier. Wir können nicht einfach verschwinden; sie würde es mitbekommen.« Ich lehne mich zurück und nicke in Lydias Richtung. Sie ist eine alte Freundin aus Collegezeiten. Was heißt Freundin: Wir waren eigentlich bloß eine Gruppe, die sich vor über zwanzig Jahren jeden Mittag in der Mensa zum Essen getroffen hat. Doch Lydia hält mit uns allen fleißig über Facebook Kontakt, obwohl wir uns jahrelang nicht gesehen und auch nichts gemeinsam haben.

Ich betrachte die anderen Gäste, die Lydias vierzigsten Geburtstag feiern. Ein paar Kollegen aus der Schule, an der Lydia unterrichtet. Sie haben ihre Kinder mitgebracht. Eine von Lydias Schwestern mit Familie; die andere konnte an diesem Wochenende nicht. Dann die Collegefreunde – also Lennie und ich. Ein Gefühl drohenden Unheils überkommt mich. Ist das alles? Ist es das, was die Zukunft für mich bereithält? Einen halb leeren Partyraum, ein Büfett und eine Reihe geladener Gäste, von denen die meisten nicht auftauchen?

Wieder werfe ich einen Blick auf mein Handy, nur für den Fall, dass Mr. Inhaber eines Maschinenbauunternehmens tatsächlich Mr. Right ist und mir mitteilen will, dass im Büro die Hölle los war, sein Handy-Akku leer war und sein Audi auf dem Weg zu mir eine Reifenpanne hatte. Aber nein. Nichts. Nur ein leeres Display, das mir alles sagt, was ich wissen muss. Ich stoße einen langen Seufzer aus.

»Lass uns abhauen«, sagt Lennie.

»Das geht nicht. Wenn wir verschwinden, ist kaum noch jemand da. Wir haben versprochen zu kommen.«

»Aber wir sind ja hier, wir haben uns blicken lassen. Jetzt lass uns gehen und etwas halbwegs Anständiges zu trinken auftreiben.« Er deutet mit dem Kinn auf mein Glas. »Du hasst Zinfandel! Und ich wette, dass deine Füße dich in diesen Pumps umbringen. Ich weiß, du liebst Schnäppchen, aber du solltest keine Schuhe kaufen, die nicht richtig passen, bloß weil sie günstig sind.«

Ich muss lachen – er kennt mich einfach zu gut. Meine Zehen können es kaum erwarten, aus diesen roten Vintage High Heels mit den weißen Punkten befreit zu werden. Ich versuche immer, hohe Absätze zu tragen, um dadurch meine geringe Körpergröße auszugleichen. Lennie überragt mich und sorgt dafür, dass ich mich noch kleiner fühle. Er ist groß und schlank und hat dunkles Haar, das er gerne mit Gel zurückstreicht, damit es zu den korrekten Anzügen passt, die er bei der Arbeit trägt; ohne Gel sehen seine Haare immer aus, als wäre er gerade erst aufgestanden. Seit Kurzem trägt er keine Kontaktlinsen mehr, sondern eine Designerbrille mit dunklem Rahmen, mit der er wie eine jüngere Ausgabe von Jeff Goldblum aussieht. Ich muss Lennies strahlendes Lächeln jedes Mal unwillkürlich erwidern. Ich dagegen habe leuchtend rot gefärbtes Haar und benutze einen passenden Lippenstift. Meine Figur könnte man als rundlich bezeichnen oder – wie Lennie es umschreibt, wenn er mich aufheitern will – als kurvenreich. Ich persönlich finde mich zu kurvenreich.

»Wir können nicht abhauen«, wiederhole ich. »Außerdem kann ich es mir nicht leisten, irgendwo anders hinzugehen. Nicht bei dem Gehalt, das ich jetzt verdiene, nachdem ich als Geschäftsfrau gescheitert bin.« Ich arbeite als Verkäuferin in der Abteilung Damenbekleidung eines großen Kaufhauses, wo es viele Regeln zu befolgen gilt. Man muss sich immer ein- und ausstempeln und an die Kleidervorschriften halten. Diese ganzen Unternehmensrichtlinien sind eigentlich mein schlimmster Albtraum, und dann auch noch diese miese Bezahlung.

»Du vermisst deinen Laden, hab ich recht?« Er legt den Kopf schief und betrachtet mich.

»Ich habe ihn geliebt.« Ich gebe mir Mühe, damit meine Stimme nicht zittert. »Er war mein Traum.« Aber ich bin nicht gut darin, meine Gefühle zu verbergen. Wenn ich glücklich bin, weiß es jeder, und wenn nicht … na ja, auch das kann ich nicht verbergen.

»Ich weiß«, erwidert Lennie sanft. Und er weiß es tatsächlich. Wir sind seit unserer Collegezeit befreundet, wo wir auch Lydia kennengelernt haben. Er studierte Architektur, in der Hoffnung, einmal tolle Häuser zu entwerfen. Meine Fächer waren Schauspiel und Fotografie. Doch Lennie wurde kein Architekt. Er ging zwar zur Uni, machte aber ständig Party und verlor gänzlich das Interesse an seinem Studium. Schließlich wurde er Immobilienmakler; er sagt immer, dass er trotz allem in der Baubranche tätig ist, doch ich weiß, dass es nicht das Richtige für ihn ist. Er macht sich gerne Gedanken darüber, wie Häuser verändert und umgebaut werden können, um sie zu verbessern. Zeit mit Immobilienbewertungen zu verschwenden ist im Grunde nicht sein Ding. Allerdings gehört zu seinem Job ein schickes Auto, und er muss jeden Tag einen Anzug tragen, worauf Valerie, seine Mutter, sehr stolz ist.

Mein Traumjob wäre es gewesen, beim Fernsehen tätig zu sein, entweder als Requisiteurin, Maskenbildnerin oder Regieassistentin. Ich glaube, weil ich geradezu süchtig nach Schwarz-Weiß-Filmen aus den Fünfzigerjahren bin. Am liebsten wäre ich Audrey Hepburn in Ein Herz und eine Krone. Wie glamourös! Doch es gelang mir nicht, etwas zu machen, mit dem sich Geld verdienen ließ. Schließlich gab ich den Traum auf, in der Filmbranche zu arbeiten, nachdem ich in einem Diner im amerikanischen Stil in einer billigen Nylon-Uniform kellnern musste, während ich auf meine große Chance wartete.

Als Lennie irgendwann die Idee hatte, ich solle einen Secondhandladen eröffnen, packte ich die Gelegenheit beim Schopf. Der Besitzer einer Tierhandlung in der High Street ging in den Ruhestand. Lennie sollte die Räumlichkeiten fotografieren und das Geschäft zur Verpachtung anbieten.

Der Tag der Schlüsselübergabe war wahrscheinlich der schönste in meinem bisherigen Leben, denn ich war überglücklich, meinen eigenen glamourösen und von Hollywood inspirierten Laden für Secondhandkleidung und Sammlerobjekte zu haben. Ich würde meinen Audrey-Hepburn-Traum leben.

Lennie und ich hatten im späten Teenageralter und mit Anfang zwanzig ganze Nächte damit verbracht, uns immer wieder Ein Herz und eine Krone anzusehen. Zu der Zeit wohnte ich bei ihm und seiner Mutter, die mich bei sich aufgenommen und sich um mich gekümmert hatte. Zu unserem privaten Filmprogramm gehörten auch … denn sie wissen nicht, was sie tun und sämtliche Filme mit Marilyn Monroe. Ich würde gerne behaupten, ich sähe aus wie Marilyn Monroe, aber es stimmt nicht. Nicht wirklich. Allerdings trage ich sehr gerne Tellerröcke mit breiten Gürteln, womit man mich oft auf der Arbeit aufgezogen hat, weil ich mich nicht an den Dresscode gehalten habe. Ehrlich, ich bin fast vierzig! Es ist, als wäre ich noch mal in der Schule. Ich schlinge mir auch gerne ein Tuch ums Haar, was beinahe einem Disziplinarvergehen gleichkommt. Ich nehme es ab, wenn ich zur Arbeit komme, und binde es gleich wieder um, sobald ich fertig bin. Dabei stelle ich mir vor, dass ich am Arm meines eigenen Gregory Peck hinausstolziere.

Ach, wie romantisch das ist! Aber vielleicht ist genau das mein Problem. Ich bin eine unverbesserliche Romantikerin – vielleicht gibt es das, wonach ich Ausschau halte, nur im Kino. Ich hoffe ständig, in der Spielfilmversion meines Lebens aufzutreten, und bin offensichtlich im Schneideraum auf dem Boden gelandet.

»Die Brillenkette Superspecs zieht in die Räumlichkeiten auf der High Street, wo bisher der Gemüsehändler war«, sagt Lennie, der nun aus Langeweile mit seinem Handy spielt. »Und Buster’s Burgers wird ebenfalls kommen.«

»Na ja, die kleinen unabhängigen Geschäfte werden aussterben, wenn die Pachten weiter erhöht werden. Die Wucherpreise können sich dann hauptsächlich nur noch Ketten leisten«, erwidere ich und spüre, wie sich mir die Nackenhaare aufstellen. Als ich nach meinem Glas greife, zittere ich unwillkürlich vor Wut und verschütte ein bisschen Wein. Ich frage mich, ob diese Gefühle wohl irgendwann einmal nachlassen werden.

»Eines Tages bekommst du wieder einen Laden«, meint Lennie und blickt mitfühlend von seinem Display auf.

»Ich bin einfach immer noch so wütend.« Ich spüre, wie mein Gesicht brennt. »Ich meine, ich schrieb schwarze Zahlen. Ich konnte meinen Lebensunterhalt bestreiten, und dann war da ja auch noch der Onlineshop …«

Lennie betrachtet mich liebevoll. Er hat das schon tausendmal gehört, seit ich mein Geschäft vor zwei Jahren aufgeben musste. Vor zwei Jahren! Die Zeit vergeht wie im Flug! Und wenn der Tag, an dem ich die Schlüssel erhielt, der schönste in meinem Leben war, so war der schlimmste Tag jener, an dem ich sie zurückgeben musste. Der Laden war mein absoluter Traum. Na ja, zumindest war es ein Anfang. Ich stellte mir vor, dass ich expandieren und erfolgreicher werden würde; ich größere Räumlichkeiten für die Möbel und Sammlerstücke bekäme, auf die ich mich zunehmend konzentriert hatte.

»Du fühlst dich ungerecht behandelt«, sagt Lennie und lächelt. Ich habe keine Ahnung, was daran lustig sein soll. Ich betrachte meinen Rosé, nicke und hoffe, dass meine Wut eines Tages verschwinden wird. Man hat mir meinen Traum und meine Zukunft gestohlen. So fühlt es sich für mich an.

Ich hole tief Luft, um mich wieder zu fangen, und sehe mir Lydia und ihre Geburtstagsgäste an. Das trägt nicht gerade dazu bei, meine Stimmung zu heben. Wer würde zu meiner Party kommen, wenn ich eine gäbe? Ich habe weder Kinder noch sonstige Familie. Es gibt nur mich … und Lennie und Valerie. Mit meiner Mutter habe ich bereits seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr. Ihr Leben war ein einziges Chaos. Wir haben uns einige Jahre nach unserem Bruch getroffen, jedoch kaum Gemeinsamkeiten gefunden. Danach sind wir eine Weile sporadisch in Verbindung geblieben, doch schließlich ist das Ganze im Sande verlaufen. Ich habe auch nicht das Bedürfnis, sie zu sehen. Ihr Leben ist immer noch das reinste Chaos, und ich wollte damit nichts mehr zu tun haben.

Es war Valerie, die mir den Halt gab, nach dem ich mich sehnte. Sie war unsere Busfahrerin, als ich die weiterführende Schule besuchte, und wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Ich saß in dem Kleinbus immer ganz vorne und übernahm die Regie über das Radio oder den CD-Player. Sie erkannte sofort, wenn ich einen schlechten Tag gehabt hatte, und wenn ich mal nicht im Bus war, sah sie nach, ob ich vielleicht nachsitzen musste. Im Handschuhfach lag stets ein Notfallschokoriegel für jene Tage, an denen ich getadelt wurde, weil ich meine Hausaufgaben nicht gemacht oder etwas verloren hatte, unkonzentriert war oder die Beherrschung verloren hatte und zum Direktor zitiert wurde, um mich zu beruhigen. Ich habe mich nie richtig eingefügt, doch Valerie war immer für mich da.

Nachdem ich von der Schule abgegangen war, ließ ich mich mit den falschen Leuten ein. Mein Leben geriet aus den Fugen, und als ich am absoluten Tiefpunkt angekommen war, war es Valerie, die ich anrief. Sie kam sofort und fand mich auf einer Bank in der Stadt. Sie verfrachtete mich in ihr Auto und nahm mich bei sich zu Hause auf. Anfangs beäugten Lennie und ich uns eher misstrauisch, doch bald entwickelte sich eine Bindung zwischen uns, als wir gemeinsam aufs College gingen und zudem feststellten, dass wir beide Tee und Toast in Valeries kleiner Küche liebten. Wir wurden beste Freunde.

Irgendwann bekam ich das Gefühl, ich sollte ausziehen, und zog in eine Studenten-WG. Heute wohne ich immer noch zur Miete. Die Immobilienpreise in unserer Gegend sind sprunghaft angestiegen, und ich weiß nicht, ob ich mir jemals etwas Eigenes leisten kann. Sogar Lennie ist schließlich wieder zu seiner Mutter gezogen, um Geld zu sparen.

Somit habe ich bisher in meinem Leben nichts und niemanden vorzuweisen. Ich meine, wenn man Anfang zwanzig ist, glaubt man, noch alles vor sich zu haben. Man lässt es richtig krachen und ist überzeugt, dass das Leben in den Dreißigern Gestalt annehmen wird. Dann wird man dreißig und erwartet, dass sich alles von selbst ergibt – berufliche Entwicklung, Partner und Kinder. Wie konnte es passieren, dass es für mich nie dazu gekommen ist, genauso wenig wie bei meiner Mutter? Ich bin neununddreißig – fast vierzig! – und wohne zur Untermiete bei einer älteren Dame namens Maureen, die eine ellenlange Liste mit Vorschriften und einen Kater namens Henri hat, der in meinen Kleiderschrank pinkelt, wenn ich die Zimmertür offen lasse.

Ein paar Jahre lang gab es Nathan in meinem Leben – und ich dachte, alles entwickelt sich in die richtige Richtung. Doch meine Beziehung mit ihm zerbrach an einem unseligen Wochenende in Westwales, als ich ihn mit der Kellnerin des Pubs im Bett erwischte. Meine Dreißiger habe ich mit der ständigen Suche nach dem Glück verbracht, das wir für einen Teil des natürlichen Lebenskreislaufes halten. Ich hielt fortwährend Ausschau nach dem richtigen Mann, nach dem richtigen Job, nach dem richtigen Haus. Dann dachte ich, ich hätte mein Glück gefunden – mit dem Laden, der kleinen Wohnung darüber und dem Balkon mit Blick auf die High Street, den ich mit Geranien bepflanzt hatte. Es fehlte nur noch der perfekte Partner. Und dann war schlagartig alles futsch.

Ich möchte nicht wie meine Mutter werden. Ich möchte ein ausgefülltes Leben. Ich möchte eine große Familie haben, um mit ihr zusammen meinen vierzigsten Geburtstag zu feiern, außerdem gute Freunde und loyale Kunden; stattdessen kann ich froh sein, ein paar Arbeitskollegen und ein paar Collegefreunde zu haben, die ich eigentlich kaum kenne.

Ich seufze aus tiefster Seele. »Es ist so deprimierend!«

»Was denn?«, fragt Lennie, der immer noch mit seinem Telefon beschäftigt ist, zerstreut.

»Das hier! Das Leben! Na ja, eigentlich der Mangel an Leben …«, stöhne ich. Mein Busen in dem V-Ausschnitt-Sweatshirt hebt und senkt sich. »Wenn mein Leben jenseits der vierzig so weitergeht …«

»Muss es nicht.« Er strahlt über das ganze Gesicht. »Wir könnten alles haben und diejenigen sein, die dafür sorgen, dass es funktioniert …«

»Was meinst du?« Ich runzele die Stirn. Ich sehe keine Chance, dass mein Leben sich schlagartig vor meinem gefürchteten vierzigsten Geburtstag ändert.

»Ich meine …« Er muss schreien, um sich verständlich zu machen. Die Musik hat einen Gang zugelegt; Lydia versucht, die Party in Gang zu bringen. »… den Pakt!«

»Den was?«

»Den Pakt aus Collegezeiten, erinnerst du dich?«

Ich schüttele den Kopf und rücke näher zu ihm hin. Es tröstet mich, so einen guten Freund zu haben, der selbst bei all den Rückschlägen an meiner Seite ist.

»Ich meine, keine abgebrochenen Kontakte mehr! Keine Jagd auf Mr. Perfect mehr!«

Ich bin immer noch verwirrt. Ich blicke zur Tür und hoffe, dass mein Date aufgetaucht ist, und Lennie glaubt, dieser Mann wäre der Richtige für mich. Aber ich sehe bloß, dass einige Gäste gerade gehen. Ich bin sauer auf mich, weil ich auch nur eine Sekunde lang geglaubt habe, dass Mr. Right doch noch gekommen ist, um mein Herz im Sturm zu erobern. Ich bin fast vierzig! Es ist Zeit, mit diesem Unsinn aufzuhören. Es ist Zeit, aufzuhören, an die Liebe auf den ersten Blick zu glauben. Es handelt sich dabei um einen Mythos, der von selbstgefälligen, verheirateten Menschen verbreitet wird, die meinen, sie hätten den Schlüssel zum Glück. Dabei ist ihr Leben genauso banal wie das aller anderen Menschen.

»Wovon redest du, Lennie? Bitte versuch um Himmels willen nicht, mich mit jemandem zu verkuppeln! Obwohl eine arrangierte Ehe vielleicht gar nicht die schlechteste Idee ist. Ich meine, wenn du losziehst, um den perfekten Partner für mich zu finden, kriegst du das bestimmt viel besser hin als ich momentan.« Ich lächele gequält.

»Ganz genau!« Lennie strahlt.

»Was? Das ist nicht dein Ernst!« Das Lächeln erstirbt auf meinen Lippen.

»Ich schlage nicht vor, dass wir für uns gegenseitig Partner suchen sollen, nein.«

»Was denn dann?«

»Erinnerst du dich nicht?« Auf einmal wirkt er nicht mehr ganz so überzeugt. »Was wir damals im College gesagt haben?«

Plötzlich fällt es mir wieder ein. »Wie bitte? Du meinst …?«

»Den Pakt«, beendet er den Satz für mich.

»Den Pakt!« Ich werfe den Kopf zurück, lache laut und genieße das Gefühl. Lennie schafft es immer, mich zum Lachen zu bringen. Ich betrachte meinen treuen Freund und lächele liebevoll. Aber Lennie erwidert mein Lächeln nicht. »Du meinst das ernst!« Ich umklammere mein Glas und reiße die Augen auf.

»Warum nicht? Ist doch sinnvoll. Es war der perfekte Pakt.«

Ich starre ihn an, dann hebe ich mein Glas und leere es in einem Zug. »Wenn wir bis zu unserem vierzigsten Geburtstag nicht den Traumpartner gefunden haben, heiraten wir beide und führen gemeinsam ein zufriedenstellendes Leben«, sage ich mit immer noch weit aufgerissenen Augen und einem Hauch von Begeisterung.

»Genau! Wir können alles haben. Mr. und Mrs. Zufrieden! Das ist der perfekte Plan.«

»Meinst du das im Ernst? Du willst den Pakt durchziehen?«

»Warum nicht? Die Frage ist, ob du es auch willst.«

Ich sehe mich in dem leerer werdenden Partyraum um, als hätte mir gerade jemand einen Ausweg aus dieser jämmerlichen Veranstaltung vorgeschlagen; einen Ausweg aus der Misere des Onlinedatings; einen Ausweg aus dem Ladenhüterdasein auf einem sehr hohen und zudem äußerst staubigen Regal.

2. Kapitel

»Der Pakt«, sage ich langsam und fühle mich sofort in meine Teenagerzeit zurückversetzt. Britney Spears, die im Hintergrund Oops! … I Did It Again singt, trägt ihren Teil dazu bei. Es ist ein Song, der mich anscheinend mein ganzes Leben lang verfolgt. Ich sehe den schlaksigen Teenager Lennie vor mir stehen. Dasselbe alberne Grinsen im Gesicht. Dieselben zu Berge stehenden Haare, die sich erfolgreich gegen jede Bändigung wehren.

»Ja, der Pakt.« Er lächelt so strahlend, als hätte er die Lösung für all unsere Probleme gefunden und als wäre es schon immer so einfach gewesen.

»Wir waren siebzehn, knapp achtzehn.« Ein Lächeln zuckt um meine Mundwinkel; ich erinnere mich so lebhaft daran.

»Aber wir hatten recht! Seien wir doch ehrlich, es wird nicht passieren: Da draußen gibt es keinen Mr. und keine Miss Right für uns. Sonst wären wir ihnen bereits längst begegnet.«

»Ja, aber …« Ich sehe, wie ein weiteres Paar die Party verlässt – ein Kind klammert sich an den Fußknöchel des Vaters, ein zweites kuschelt sich zusammen mit einem abgewetzten Stoffhasen in die Arme der Mutter – und empfinde Neid. Ich hätte so gerne Kinder gehabt. Einen großen Familienesstisch. Ich hätte auch gerne kochen gelernt, aber Spaghetti Carbonara für eine Person war nie wirklich verlockend. Stattdessen lebe ich schon seit Jahren von Ofenkartoffeln mit verschiedenen Füllungen.

Lennie unterbricht meine Gedanken. »Wir haben immer gesagt, wir wären das perfekte Paar, wenn wir scharf aufeinander wären!«

Wir müssen beide lachen, dann hören wir abrupt auf und sehen uns an. Plötzlich legt sich ein Hauch von Ernsthaftigkeit über uns. Könnte ich mich in Lennie verlieben? Ich betrachte sein vertrautes Gesicht. Ich kann mir nicht vorstellen, ihn nicht in meinem Leben zu haben. Er weiß alles über mich: wie ich mich fühle, wie er mich aufheitern kann. Er weiß sogar, wie ich meine gekochten Eier mag: ins kalte Wasser legen, erhitzen und ab dem Siedepunkt drei Minuten kochen lassen! Aber ein Paar? Könnten wir ein Paar werden? Könnte ich ihn so sehen? Es gibt kein Feuerwerk, keine sprühenden Funken, und ich fühle mich nicht wie magnetisch angezogen von seinen Lippen, seinen Hüften; es gibt kein brennendes Verlangen, meine nackte Haut an seiner zu spüren, wie mit meinem Date neulich abends. Aber mein Date weiß nicht nur nicht, wie ich meine Eier haben mag, er ruft mich nicht mal zurück! So etwas würde Lennie nie tun. Lennie meldet sich praktisch täglich bei mir, und zwar mindestens einmal, manchmal sogar öfter. Er schickt mir alberne Textnachrichten. Er denkt ständig an mich … und ich an ihn. Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe. Vielleicht kann man doch nicht alles haben …

»Ich glaube nicht, dass man alles haben kann, Zelda.« Er spricht aus, was ich gerade denke, und bestätigt damit, was ich so an ihm liebe. »Sieh mal, manche Beziehungen kommen einem für einen kurzen Moment wie das Nonplusultra vor – wie ein Burger, wenn man richtig hungrig ist, aber eine Stunde später hat man schon vergessen, dass man ihn gegessen hat. Andere Beziehungen sind wie eine langsam gegarte Mahlzeit. Die Zutaten sind am Anfang ziemlich gewöhnlich, doch je länger sie vor sich hin köcheln, desto köstlicher wird das Gericht und desto länger hat man etwas davon.«

Ich sehe Lennie an. Er hat gründlich darüber nachgedacht, so viel ist sicher.

»Aber …« Mein Verstand versucht, die umherwirbelnden und miteinander kollidierenden Gedanken zu ordnen und zu verstehen. »Wir sind noch nicht vierzig! Na ja, ich jedenfalls noch nicht. Ich hab noch drei Monate!«

Lennie sucht meinen Blick und hält ihn fest. Ich werde rot.

»Es wird nicht passieren, Zelda; es gibt keinen Mr. und keine Miss Perfect. Besser geht’s nicht. Wir verstehen uns prima. Wir mögen die gleichen Dinge. Zwar streiten wir uns ab und zu, aber wir sind immer füreinander da. Wir sind Mr. und Miss Perfect … besser geht’s wirklich nicht.«

Wieder beiße ich mir auf die Unterlippe. Da ist was dran, denke ich. Dennoch bin ich nicht sicher, ob mir die Idee gefällt.

»Du und ich … ein gemeinsames Leben und eine eigene Familie«, sagt er.

»Eine Familie?« Das Wort bleibt mir fast im Hals stecken: eine letzte Chance auf das, was ich immer wollte. Als ich schaudere, schlüpft er aus seiner Jacke und legt sie mir um die Schultern. »Eine richtige Beziehung?«, hake ich nach. »Wie Freund und Freundin?« Ich möchte sichergehen, dass ich genau verstehe, was er meint.

Er nickt leicht. »Es könnte ein bisschen dauern, bis wir uns daran gewöhnen … auf diese Weise zusammen zu sein, aber wir bekommen es bestimmt hin.« Sein Gesicht wirkt offen und ehrlich.

»Aber …«, ich kann kaum glauben, dass ich das sage, »wie? Wie könnte es funktionieren? Du kannst nicht zu mir ziehen. Und du wohnst noch bei Valerie. Aber wir sind doch beide erwachsen und sollten unser eigenes Zuhause haben. Selbst wenn wir beschließen würden, ein Paar zu sein, würde sich nichts ändern. Wir haben beide kein Geld für eine eigene Wohnung.« Ich spüre, wie die Frustration wieder von mir Besitz ergreift. »Ich bin pleite, man hat mich aus dem Geschäft gedrängt. Bei den Preisen kann ich mir nicht mal eine weitere Runde Getränke leisten.«

Doch Lennie strahlt über das ganze Gesicht. »Ich möchte dir was zeigen. Lass uns von hier verschwinden.«

Er schnappt sich eine Flasche Prosecco von einem Tisch in der Nähe, ergreift meine Hand und zieht mich mit sich zum Notausgang. Als wir die kühle Nachtluft spüren, lachen wir beide wie zwei Teenager. Wir setzen uns auf die Hafenmauer, und er hält mir sein Handy hin. Das Display wird hell. Ich mache es mir bequem und schlüpfe aus meinen Schuhen.

»Familien, Paare und Alleinstehende – egal ob berufstätig oder im Ruhestand – gesucht, die in eine idyllische sizilianische Hügelstadt ziehen wollen, subventionierte Mieten und Startkapital inklusive«, lese ich langsam und fahre mit dem Finger unter den Wörtern entlang, damit die Seite nicht gleich wieder verschwindet.

»Denk mal drüber nach«, sagt Lennie. »Sonne und Meer … und anständiger Wein! Wir könnten uns beide Arbeit suchen und hätten das Startkapital und ein Haus ganz für uns allein. Das ist es, was sie anbieten. Ich habe es in den Nachrichten gesehen. Es ist ein Neubeginn.«

»Aber wir sind keine Familie … nicht mal ein Ehepaar.«

»Nein, aber wir können es werden … denk an den Pakt! Das ist es, Zelda! Das ist unsere Chance …« Er wirft einen Blick zurück zur Party. »… zu verhindern, dass wir so enden! Am vierzigsten Geburtstag nur eine Handvoll Bekannte vorweisen zu können.« Wir sehen beide auf den Hafen hinaus. Könnte das tatsächlich unsere Chance sein? »Und ich könnte das Geld weiß Gott gebrauchen. Wegen der Unsicherheit rund um den Brexit kaufen die Leute derzeit keine Häuser. Die Provisionen sind auf einem absoluten Tiefstand.«

Ich nehme ihm das Telefon aus der Hand und lese die Anzeige ein weiteres Mal.

»Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Wo ist das noch mal?« Ich kneife die Augen zusammen und versuche zu lesen.

»Auf Sizilien!« Seine Augen funkeln. »Denk drüber nach, Zelda.«

»Aber womit sollen wir unseren Lebensunterhalt verdienen?«

»Womit wir wollen!« Er strahlt. »Wir können uns Arbeit suchen, wenn wir angekommen sind. Uns umsehen, was sich so anbietet. Egal was. Vielleicht brauchen sie Englisch sprechende Immobilienmakler. Aber ich würde nehmen, was kommt. Und du könntest wieder ein Geschäft aufmachen. Ein kompletter Neubeginn.« Seine Begeisterung ist ansteckend. »Wenn nicht jetzt, wann dann, Zelda? Überleg es dir. Du könntest an deinem vierzigsten Geburtstag alles haben: ein Zuhause, ein neues Geschäft, einen Mann an deiner Seite … und das Ganze in der Sonne. Deinen ganz persönlichen Audrey-Hepburn-Film!«

Ich nehme ihm die Flasche Prosecco aus der Hand, trinke einen Schluck und dann noch einen. Dabei betrachte ich die Lichter in der Bucht von Cardiff und stelle mir vor, es wären die Lichter von Sizilien.

»Ich würde gerne Ja sagen …«, sage ich und blicke vor mich hin.

»Warum tust du es dann nicht?«, fragt er. Ich höre das Lächeln in seiner Stimme.

»Weil ich das immer tue – Ja sagen, ohne die Dinge gründlich zu durchdenken. Im Affekt handeln. Genau das war es, was mich im Leben jedes Mal wieder in Schwierigkeiten gebracht hat.«

»Diesmal ist es anders, Zelda! Ich bin es! Wir haben immer gesagt, dass wir es tun würden. Wenn du genauer drüber nachdenkst, wirst du feststellen, dass wir es unser ganzes Leben lang geplant haben. Es ist nichts Impulsives an der Sache.«

Wieder sehe ich ihn an. Er könnte recht haben. Doch was, wenn nicht? Was wäre, wenn … was wäre, wenn …

Auf einmal vibriert das Handy in meiner Tasche. Während ich danach suche, froh über die Ablenkung, nimmt Lennie die Flasche und trinkt einen Schluck, ohne den Flaschenhals abzuwischen. Das ist doch schon mal ein guter Anfang, denke ich. Als er lächelt, weiß ich, dass er das Gleiche tut wie ich: Er betrachtet die Lichter und stellt sich vor, wir wären auf Sizilien. Vielleicht ist das die beste Idee, die er je hatte.

Ich werfe einen Blick auf mein Handy, und mein Schmunzeln ist plötzlich wie weggewischt.

»Wer ist es?«, will Lennie wissen.

»Mr. Perfect von neulich.« Ich erinnere mich mit trügerischer Erregung an unsere letzte Verabredung.

»Soll das ein Witz sein? Der, der dich ignoriert und sich in Luft aufgelöst hat?«

»Hm!« Ich nicke und lese die Entschuldigung.

Lennie trinkt noch einen Schluck Prosecco. »Du hast die Wahl, Zelda. Wenn es das ist, was du willst, dann mach es. Oder«, er nickt in Richtung der Lichter über der Bucht und stellt sich offensichtlich immer noch unsere potenzielle gemeinsame Zukunft vor, »da ist Sizilien. Du, ich und ein ganz neues Leben, in dem Menschen, die sich in Luft auflösen, der Vergangenheit angehören. Wo Loyalität und geteilte Träume wichtig sind. Wie gesagt, wir planen das eigentlich schon, seit wir uns kennen. Es ist nicht so verrückt, wie du glaubst. Du und ich, Zelda – das Dream-Team!«

Mein Handy vibriert erneut.

Wollen wir uns später treffen?

Mein Daumen schwebt über dem Display und wartet darauf, was er schreiben soll.

Ich betrachte die Nachricht. Könnte dieser Typ der Richtige sein?

Und dann poppt eine weitere Nachricht auf.

Es muss ja nichts Ernstes werden. Wir können einfach einen One-Night-Stand haben oder vielleicht eine Affäre, was meinst du?

Schweigend forme ich die Worte mit den Lippen, und dann wird mir eines schlagartig klar: Ich bin eindeutig nicht in der Lage, meinen Mr. Right zu finden. Ich stopfe das Handy in die Tasche zurück und nehme Lennie die Flasche aus der Hand.

»Du hast recht. Warum sollen wir unsere Zeit mit Versagern verschwenden? Wir sind nette Menschen, stimmt’s? Wir haben ein bisschen Glück verdient. Wie du bereits gesagt hast, wir planen es praktisch schon unser ganzes Leben lang.«

»Genau!« Er strahlt wieder.

Ich denke an die Männer, die ich über diese verdammte App kennengelernt habe und mit denen ich so viel Zeit verschwendet habe, nur um dann geghosted zu werden. Die Fehler, die ich begangen habe, während ich auf den perfekten Partner gewartet habe – und die ganze Zeit war Lennie genau hier. Der liebe, loyale Lennie. Mein Freund, mein bester Freund. Natürlich ist er es, mit dem ich mein Leben verbringen sollte.

Ich hole tief Luft. »Wir machen es!«, sage ich und spüre den vertrauten Adrenalinschub, der durch impulsive Entscheidungen hervorgerufen wird, den Gefühlsüberschwang und die Aufregung, weil ich nicht weiß, welche Folgen die Entscheidung haben wird. Ich hebe die Flasche, proste Lennie zu – »Auf den Pakt!« – und trinke die billige Plörre, denn diesmal ist Lennie mit an Bord. Wir tun das gemeinsam, genau so, wie wir es vor all den Jahren geplant haben.

»Auf den Pakt!«, erwidert Lennie. »Und auf einen anständigen Wein!« Wir legen beide die Köpfe in den Nacken, lachen laut und genießen die Erleichterung und die Begeisterung, die unsere Entscheidung mit sich bringt. Wir jagen keinen Hirngespinsten mehr nach. Es ist Zeit, sich mit dem Hier und Jetzt zufriedenzugeben, mit dem, was die ganze Zeit schon direkt vor unserer Nase lag. Unser gemeinsames Leben fängt nun an, und ich empfinde prickelnde Erregung in der Magengrube. Ich sehe Lennie an und hoffe, dass es der Beginn des Feuerwerks ist, das sich mit der Zeit einstellen wird.

Ich bin sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich hatte einen Traum, und der Traum ist unbemerkt an mir vorübergegangen. Ich muss die Gelegenheit beim Schopf packen und aus dem Trott ausbrechen, in dem ich feststecke. Ihr gierigen Stadträte, die ihr die Mieten auf der High Street in die Höhe getrieben und mich aus dem Geschäft gedrängt habt; ihr Männer, die ihr den Kontakt abgebrochen habt; ihr Filialleiter, die ihr dafür sorgen wollt, dass ich mich kleide wie alle anderen – ich tue das wegen euch!

Ich bin aufgeregt und habe Angst, fühle mich aber gleichzeitig seltsam befreit. Eine große Last wurde mir von den Schultern genommen. Ich habe gefunden, wonach ich gesucht habe, und es war die ganze Zeit direkt vor meiner Nase. Kein spontaner Entschluss; wie Lennie sagt, haben wir das schon unser ganzes Leben lang geplant. Wie das langsam gegarte Gericht wird unser Leben perfekt werden!

3. Kapitel

Ich sehe mich ein letztes Mal in dem Zimmer um, das während der vergangenen zwei Jahre mein Zuhause war – seit ich meinen entzückenden Laden und die Wohnung verloren habe. Damals hat Lennie dafür gesorgt, dass mein Traum wahr wurde, und jetzt wird er es wieder tun. Ich muss unwillkürlich lächeln, als ich an Lennie denke. Er ist immer für mich da und muntert mich auf, wenn es nötig ist.

Ich mustere das schmale Bett, auf dem mein Koffer liegt. In Untermiete zu leben war nicht unbedingt das, was ich mir im Alter von Ende dreißig vorgestellt habe. Aber nun werde ich wahrscheinlich doch noch alles bekommen, wovon ich immer geträumt habe. Mein eigenes Heim, meine eigene Haustür, vielleicht wieder einen eigenen Laden, Unabhängigkeit von anderen und obendrein Sonne ohne Ende.

Ich kontrolliere zum wiederholten Mal, ob sich mein Reisepass und meine Bordkarte auch wirklich im Handgepäck befinden. Organisationstalent gehört nicht zu meinen Stärken, doch ich bin fest entschlossen, nichts zu verlieren und auch nicht zu spät zu kommen. Ich habe einen riesigen Koffer, den ich im Discounter erstanden habe. Er wirkt nicht sonderlich robust, aber er muss ja auch nur diese eine Reise überstehen.

Der Blick in den Spiegel jagt mir einen Schrecken ein. Ich werde mich schminken, sobald wir ankommen, es allerdings jetzt mitten in der Nacht zu tun fühlt sich irgendwie nicht richtig an. Ich ziehe mein Tuch hervor und schlinge es mir um den Kopf. Dann binde ich mir meine Strickjacke um die Hüften, schleiche aus meinem Zimmer und weiche der Katze aus, die auf dem Treppenabsatz sitzt und mich anstarrt, als wolle sie mich verurteilen.

So leise wie möglich zerre ich meinen Koffer die Treppe hinunter und meide die knarrende Stufe – es ist die zehnte von unten. Auf keinen Fall will ich Maureen aufwecken und mir erneut anhören, wie dämlich sie unsere Idee findet. Sie ist nicht dämlich! Na ja, vielleicht doch. Aber es ist eine Chance, etwas aus meinem Leben zu machen. Eine zweite Chance, mich weiterzuentwickeln. Ein eigenes Zuhause zu haben. Es stört mich nicht, wenn es lediglich so groß wie ein Schuhkarton sein sollte. Ich möchte mir nur nicht mehr die Wohnung mit jemand anders teilen müssen … abgesehen von Lennie natürlich. Von jetzt an gibt es Lennie und mich bloß noch als Paar.

Wieder empfinde ich Erleichterung. Ich bin nicht mehr zu haben. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt habe, aber ich freue mich darüber.

Obwohl schon Ende Mai ist, ist es draußen kalt und dunkel und unangenehm feucht.

Was, wenn er nicht auftaucht? Was, wenn er kalte Füße bekommen hat? Was, wenn ihm plötzlich klar geworden ist, dass er sein Leben doch nicht mit mir verbringen will, dass dort draußen jemand sein könnte, der besser zu ihm passt?

Gerade als Panik in mir aufsteigen will, biegt ein Taxi in die Straße ein. Ich sehe, wie die Lichter auf mich zukommen. Ein Seitenfenster fährt herunter. Lennie lächelt mich an. Immer pünktlich. Immer da. Ich hätte nie an ihm zweifeln sollen.

»Sieht so aus, als bräuchtest du eine Mitfahrgelegenheit«, sagt er grinsend.

Ich spiele mit und antworte: »Zufällig ja.«

»Hast du dir ein schönes Ziel ausgesucht?«

»Das habe ich tatsächlich: Ich ziehe nach Sizilien!« Als ich die Worte laut ausspreche, wird das Ganze plötzlich real. Ich muss unwillkürlich kichern.

Mir ist ganz schwindelig vor Aufregung und Nervosität. Aber nicht genug, um meinen Drang zu bremsen, zu unserem Ziel aufzubrechen. Nachdem unsere Bewerbung in Sizilien als Paar akzeptiert worden war, kündigte ich das Zimmer bei Maureen und meinen Job und verbrachte die vergangenen Wochen damit, alle davon zu überzeugen, dass die Idee richtig gut ist. Nur Valerie, die entzückt war, dass Lennie und ich endlich zusammenkamen, musste nicht überzeugt werden. Sie sagte, sie hätte immer schon gehofft, es würde eines Tages dazu kommen. Allerdings findet sie, wir sollten nur ein Sabbatical einlegen und nach einem Jahr wieder nach Hause zurückkehren.

Lennie steigt aus dem Taxi, öffnet den Kofferraum und verstaut meinen Koffer neben seinem. Als er mich ansieht, überlege ich, ob ich ihn jetzt küssen soll. Offensichtlich denkt er dasselbe. Wir beugen uns beide vor, doch in der letzten Sekunde entscheide ich mich für unsere übliche Umarmung, während er mich auf die Wange küssen will und schließlich meinen Oberkopf erwischt. Ich küsse die Brusttasche seiner Jacke, dann lösen wir uns ungeschickt voneinander. An den Feinheiten müssen wir später noch arbeiten. Ich war immer schon ein Tollpatsch – das behauptet Lennie jedenfalls –, aber wenn wir eine Familie gründen wollen, müssen wir mit den Grundlagen beginnen und lernen, uns richtig zu küssen. Aber das wird bestimmt noch, sage ich mir.

Als der peinliche Moment vorbei ist, hält er mir die Autotür auf, und ich lächele. Wir können wieder ganz wir selbst sein. Ich werfe einen letzten Blick auf das Reihenhaus und sehe Maureen hinter dem Vorhang stehen. Während das Taxi die Straße Richtung Flughafen entlangfährt, fühle ich mich wie eine Gefangene, die ihre Zellengenossin zurücklässt. Ich bin so froh, auszusteigen und meine Freiheit zu finden.

Im Flugzeug versuche ich zu schlafen, doch ich durchlebe immer wieder diesen etwas unglücklichen Kuss. Ich frage mich, wie es sein wird, wenn wir tatsächlich miteinander schlafen. Einmal zu Collegezeiten haben wir in betrunkenem Zustand rumgefummelt, als wir uns nach einer Party ein Bett geteilt haben. Anschließend haben wir uns darauf geeinigt, dass wir zu viel getrunken hatten und das Ganze ohnehin eine schlechte Idee gewesen wäre. Warum sollte man eine sehr gute Freundschaft aufs Spiel setzen? Aber irgendwie hat das Thema immer im Raum gestanden. Die Leute nahmen an, wie wären zusammen oder würden irgendwann ein Paar werden.

Nach dem Rumfummeln im betrunkenen Zustand schlossen wir den Pakt. Und jetzt sind wir hier. Vielleicht können uns auch diesmal ein paar Drinks auf die Sprünge helfen. Das und der Sonnenschein auf Sizilien. Bestimmt klappt es auch im Bett, wenn wir erst mal angekommen sind und die Anspannung von uns abgefallen ist. Ich brauche kein Feuerwerk und wilde Leidenschaft; ein bisschen Spaß ist völlig ausreichend. Ich betrachte Lennies vertrautes Profil – er schläft gerade, und sein Kopf rollt leicht zur Seite – und versuche, mir ein paar sexy Gedanken zu machen. Als es nicht funktioniert, schiebe ich es auf meine Müdigkeit. Ich lehne den Kopf gegen seine starke, breite Schulter und schließe die Augen.

Als ich aufwache, weist der Flugkapitän gerade die Crew an, zur Landung ihre Sitzplätze einzunehmen.

»Bitte öffnen Sie die Blende«, fordert die Flugbegleiterin mich auf ihrem Weg durch den Gang auf. Ich gehorche und werde sofort von der strahlenden Morgensonne geblendet. Als meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt haben, sehe ich hinaus und hole tief Luft. Der eindrucksvolle Buckel des Ätna füllt das ganze Fenster aus, als wäre er der Mittelpunkt eines Fotos. Groß und stolz steht er da – es ist, als blicke er auf seine Untertanen herab. Dabei stößt er kleine Rauchwolken aus, die sich wie eine weiße Krone um seinen schneebedeckten Gipfel schmiegen.

»Wow!«, stoße ich hervor und spüre Lennies Gewicht, als er sich vorbeugt, um ebenfalls einen Blick auf den Vulkan zu erhaschen.

»Wow, in der Tat!«, sagt er, als wir schließlich auf sizilianischem Boden landen, um unser neues Leben miteinander zu beginnen.

*

Als wir durch die Glasschiebetür in den Ankunftsbereich treten, fühle ich mich, als tue sich eine völlig neue Welt vor mir auf, was die Schmetterlinge in meinem Bauch bestätigen. Wir bleiben neben unseren Koffern stehen, betrachten die Menschen mit den Schildern in den Händen und suchen nach unseren Namen. Wir blicken auf ein Meer von Sonnenbrillen, auf Köpfen, auf Stirnen und in Ausschnitten von Pullis. Überall sind glänzende Sneaker mit Plateausohlen zu sehen, und trotz des strahlenden Sonnenscheins tragen alle Leute Mäntel oder Steppjacken. Für uns wirkt es wie Hochsommer, doch den Sizilianern sind die Temperaturen dafür eindeutig noch nicht warm genug. Überall in der Ankunftshalle bellen kleine Hunde, die sich auf den Armen ihrer Besitzer befinden, und der Duft nach heißem Kaffee und süßem Gebäck lässt meinen Magen laut knurren.

Auf keinem Schild können wir unsere Namen entdecken.

»Was, wenn das Ganze ein Riesenschwindel ist?«, platzt es aus mir heraus. Schlagartig werde ich von Zweifeln und Ängsten erfasst.

»Bis jetzt hat uns niemand um irgendwelche Zahlungen gebeten«, entgegnet Lennie besonnen. Er hat recht, denn niemand hat Geld von uns verlangt. Ganz im Gegenteil: Sie wollen uns dafür bezahlen, dass wir uns hier niederlassen. Einen Einmalbetrag bei unserer Ankunft und ein weiterer in drei Monaten, falls wir beschließen hierzubleiben. Außerdem müssen wir nur eine symbolische Miete für ein Haus zahlen.

Ich betrachte die Freunde, Familien und Kollegen, die sich zur Begrüßung küssen, und werde wieder von Glücksgefühlen überwältigt. Auf jeden Fall muss ich mehr Übung im Küssen bekommen!

»Ich schreibe eine Nachricht an die Nummer von unserem Kontakt, damit wir erfahren, was los ist«, erklärt Lennie. »Warum organisierst du nicht Kaffee und was zu essen?« Er nimmt ein paar Euro aus seinem Geldbeutel.

»Okay. Ich zahle es dir zurück«, antworte ich und nehme das Geld. »Sobald wir das Startgeld kriegen.« Maureen hat mich beinahe finanziell ruiniert, als ich mein Zimmer gekündigt habe. Angeblich stand im Vertrag, dass ich für alle möglichen Kosten aufkommen muss, zum Beispiel für die Reinigung des Teppichs und der Vorhänge.

»Nicht nötig«, sagt Lennie und legt mir seinen langen Arm um die Schulter. »Wir sind ein Paar, ein Team. Was mir gehört, gehört auch dir!« Er strahlt, und ich erwidere sein Lächeln. Der Gedanke, dass wir ein Team sind, vermittelt mir ein wunderbar wohliges Gefühl.

Als ich mit zwei starken schwarzen Kaffees zurückkehre und in ein warmes, frittiertes Schmalzgebäck beiße – gefüllt mit süßem, cremigem Ricotta und Schokostückchen –, fühle ich mich, als wäre ich im Himmel. Für Lennie habe ich ein Stück Ciambella mitgebracht, der einem Gugelhupf gleicht. Er liebt Süßes. Die Sizilianer sind eindeutig Schleckermäuler!

»Hier.« Ich reiche ihm seinen Kaffee und die Papiertüte mit seinem Kuchen. »Aber zuerst musst du das hier probieren.« Ich halte ihm mein Schmalzgebäck hin, und er beißt hinein. Warmer Ricotta quillt seitlich aus dem Gebäck und bleibt in Lennies Mundwinkeln kleben.

»Oh!« Entzückt verdreht er die Augen. »Das allein war schon die Reise wert!«, sagt er mit dem Mund voll Schokolade und Frischkäse.

»Und, was gibt es Neues?«, will ich wissen und hole mir mein Gebäck zurück. »Ach, ich habe noch was mitgebracht«, füge ich hinzu, nehme zwei Flaschen Orangensaft aus der Tasche und gebe ihm eine davon.

»Ich habe mit dem Bürgermeister telefoniert. Er hat sich entschuldigt, weil er aufgehalten wurde. Er ist gleich da. Ich habe ihm gesagt, wir warten draußen. Er hat die Fotos aus unserer Bewerbung und wird uns erkennen. Also können wir ein bisschen Sonne tanken, während wir frühstücken.«

Wir balancieren unsere Kaffeebecher, die fettigen Papiertüten und die Servietten, während wir unsere Rollkoffer nach draußen in den strahlenden Sonnenschein ziehen. Unvermittelt bleiben wir stehen und wechseln einen langen Blick, weil wir es kaum fassen können, dass wir tatsächlich hier sind. Vor uns ragt der Ätna auf, groß und stolz, und ich nicke dem Vulkan grüßend zu, während wir uns auf einer Bank niederlassen und unser Gebäck, den Kaffee und den Orangensaft zu uns nehmen. Schon jetzt habe ich das Gefühl, alles würde so laufen, wie ich es mir erhofft habe.

»Lennie, Zelda! Mi dispiace! Mi dispiace!«

Wir heben beide die Köpfe, die wir in den Nacken gelegt haben, um die Sonne zu genießen – mit Sonnenbrillen und geschlossenen Augen. Lennie schiebt seine Sonnenbrille auf die Stirn, wie die anderen Männer es hier tun. Na bitte! Wir sind praktisch schon Einheimische! Ein Mann in einem dunkelblauen Anzug und leichten Hemd, dessen oberster Knopf offen steht, und mit einer locker gebundenen dunklen Krawatte weicht den fahrenden Autos aus und läuft mit großen Schritten auf uns zu. Sein Gesicht ist braun gebrannt, um die Augen und zu beiden Seiten seiner großen Nase hat er tiefe Falten.

»Herzlich willkommen!« Munter streckt er uns die Hand entgegen, und wir stehen auf, um ihn zu begrüßen. Er ergreift meine Hand, schüttelt sie energisch und küsst mich auf beide Wangen. Ich gehe mit der Situation sehr souverän um. Als wäre es mir vorherbestimmt, hier zu sein. Danach begrüßt der Mann Lennie auf die gleiche Weise; er wirkt etwas befremdet, versucht sich aber sofort anzupassen und macht bei dem zweiten Wangenkuss ein lautes Kussgeräusch. »Willkommen, Bürger von Sizilien!« Der Mann lächelt so warm wie die Sonne und streicht sein graues Haar glatt. »Es tut mir leid, dass ich zu spät bin. Es gab … ein paar Probleme. Aber kommt bitte mit.« Er deutet auf den Parkplatz. »Ich bringe euch in den Ort … zu eurem neuen Zuhause.«

»Welche Probleme denn?«, hake ich nach.

Er wirkt plötzlich erhitzt, seine Stirn glänzt im Sonnenlicht. Dann zaubert er ein breites Lächeln aufs Gesicht. »Ach, nichts, was nicht gelöst werden kann. Nun, bitte …« Er geht voran zu seinem Wagen, und während wir ihm folgen, zwinkert Lennie mir rasch zu und grinst.

Das Auto, ein staubiger silberner Fiat, weist zahlreiche Dellen auf. Nicht gerade das, was ich erwartet habe. Nicht angemessen für einen Bürgermeister, denke ich, aber er hat schließlich gesagt, dass er wegen irgendwelcher Probleme aufgehalten wurde. Vielleicht hat ja sein Wagen gestreikt, und der hier ist geliehen.

Zügig verlassen wir den Flughafen und fahren auf die Autobahn. Ich sehe meine neue Welt vorbeihuschen. Schließlich verlassen wir die Autobahn und setzen die Fahrt auf schmaleren Nebenstraßen fort. Überall entdecke ich gelbe Blüten, die an überhängenden Zweigen neben und oberhalb der holprigen Straßen wachsen.

»Was ist das für eine Pflanze?«, frage ich, als meine Neugier überhandnimmt. Ich möchte alles über meine neue Umgebung erfahren.

»Ätna-Ginster«, antwortet der Bürgermeister. »Er wächst hier auf Sizilien und außerdem auf Sardinien. In sonnigem und offenem Gelände auf kargen, steinigen Böden.«

Der Jasmin-ähnliche Duft weht zusammen mit dem Straßenstaub ins Auto. Ich sehe zum Ätna hinauf, der die ganze Zeit im Blickfeld ist, als würde er jede unserer Bewegungen beobachten.

»Da drüben auf den Feldern wächst Wilder Fenchel. Daraus kann man großartiges Pesto machen«, erklärt er und zeigt auf die steinigen Hügel, die mit leuchtend grün-gelben Pflanzen bedeckt sind. Und trotz des köstlichen Frühstücks läuft mir bei dem Gedanken an Pesto aus Wildem Fenchel das Wasser im Mund zusammen.

Wir fahren durch einige Orte – ich sage zwar fahren, doch eigentlich ist es eher wie eine Autoscooter-Tour oder vielmehr eine Schachpartie, bei der alle Fahrer ihre Spielzüge geheim halten, während sie Kreisverkehre und Kreuzungen passieren. Entlang der schmalen Straßen parken Autos, deren Hecks stolz auf die Fahrbahn ragen, sodass andere Fahrzeuge ständig in Schlangenlinien fahren müssen. Außerhalb der Ortschaften gibt es Felder mit Orangen- und Zitronenbäumen in geraden Reihen, wohl gehegt, und lassen die ganze Region wie Gold glänzen.